Zwischen Gestern und Morgen (15)
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Während Benjamin noch tief und fest schlief, saß ich am Rand seines Bettes und wachte über ihn. Die Stunden nach der Operation waren für ihn anstrengend, und ich konnte förmlich fühlen, wie sehr ihn das alles erschöpft hatte. Sein Atem war jetzt ruhig und gleichmäßig, sein kleines Gesicht wirkte entspannt. Es tat gut, ihn so zu sehen, auch wenn der Gedanke an das, was noch kommen würde, schwer auf mir lastete.
Plötzlich öffnete sich die Tür leise, und Frau Grünwald trat zusammen mit einem Mann in Zivil ein. Ich kannte ihn nicht, aber er wirkte entschlossen und professionell. Sie stellte ihn als Gustav vor. „Wir haben eine neue Unterkunft für Sie organisiert,“ erklärte sie leise, um Benjamin nicht zu wecken. „Wohin genau wir Sie bringen, werden wir erst unterwegs bekannt geben. Aber es ist sicherer, wenn wir jetzt aufbrechen.“
Ich nickte. Mittlerweile wusste ich, dass wir uns in Karlsruhe befanden, und die Ungewissheit über unseren nächsten Aufenthaltsort machte mir ein mulmiges Gefühl. Trotzdem war ich dankbar, dass sie so schnell gehandelt hatten. Es fühlte sich an, als wäre das Netz um uns immer enger geworden, und der Gedanke, Benjamin in Sicherheit zu bringen, gab mir etwas Ruhe.
„Wir werden in einem Rettungswagen mitfahren, begleitet von Gustav und einem weiteren Personenschützer namens Otto,“ fuhr Frau Grünwald fort. „Der AirTag, den wir in Benjamins Schulter gefunden haben, wurde in einem anderm Fahrzeug ohne Fenster aus der Notaufnahme herausgebracht. Unser Ziel ist es, die Täter in eine Falle zu locken.“
Ein leises Zittern lief mir über den Rücken bei dem Gedanken, dass sie uns vielleicht schon ganz nah gewesen waren.
Ich sah zu Benjamin, der immer noch schlief. Das er seinen Daumen wieder im Mund hatte ließ mich ein wenig schmunzeln, auch wenn ich wusste das es ein Zeichen von der Suche nach Trost und Geborgenheit ist. Er sah so friedlich aus, so unschuldig. Und in diesem Moment wurde mir klar, wie sehr ich alles tun würde, um ihn zu beschützen. „Wann brechen wir auf?“ fragte ich leise.
„Sobald er wach ist,“ antwortete Gustav. „Wir wollen ihn nicht überstürzen, aber wir dürfen auch keine Zeit verlieren.“
Ich legte eine Hand sanft auf Benjamins Stirn und strich ihm über die Haare. „Es wird alles gut, mein Kleiner,“ flüsterte ich, mehr zu mir selbst als zu ihm.
Ich weckte ihn Sanft und nahm ihn vorsichtig auf den Arm, ich spürte sein kleines, warmes Gesicht an meiner Schulter. Er war so erschöpft, und ich wusste, dass diese Momente für ihn alles bedeutete.
Als ich ihn frisch gemacht und ihm seine Kleidung wieder angezogen hatte, konnte ich sehen, wie sehr ihn all das mitgenommen hatte. Seine Augen fielen immer wieder zu, und es war klar, dass er es nicht alleine schaffen würde, wach zu bleiben.
„Komm her, mein Schatz,“ flüsterte ich, als ich ihn vorsichtig wieder hochnahm. Sofort legte er seinen Kopf an meine Schulter, seine Atmung wurde ruhiger, und ich konnte spüren, wie er sich langsam entspannte. Ich hielt ihn fest, spürte sein kleines Herz gegen meine Brust schlagen, während wir den Flur entlang gingen.
Während ich ihn trug, war mir bewusst, wie viel Gewicht gerade auf meinen Schultern lag, und das meine ich nicht im wörtlichen Sinne. Benni vertraut mir so sehr, er verlässt sich auf mich. Jeder Schritt, den ich tat, tat ich für ihn. Thomas ging neben mir, und Gustav führte uns, aber das alles war irgendwie weit weg. Mein Fokus war auf dem kleinen Jungen in meinen Armen, der gerade in meiner Umarmung zur Ruhe kam.
Ich spürte, wie seine kleinen Hände an meinem Shirt zogen, als ob er sicherstellen wollte, dass ich ihn nicht loslasse. Ich hielt ihn noch fester und strich ihm sanft über den Rücken. „Alles gut, mein Schatz,“ flüsterte ich ihm ins Ohr. „Ich bin hier, du musst dir keine Sorgen machen.“ Er murmelte etwas im Schlaf, vielleicht ein halber Gedanke, bevor er wieder tief in seinen Traum versank.
Für Benni schien die Welt um uns herum nur ein verschwommenes Bild zu sein, aber für mich war sie laut und chaotisch. Wir gingen durch die Notaufnahme, vorbei an Menschen, die sich hastig bewegten, an blinkenden Lichtern und den Geräuschen von Krankenwagen. Doch ich blendete alles aus. Meine ganze Welt war dieser kleine Junge, den ich festhielt, der mir vertraute, als ob ich der Anker wäre, der ihn in Sicherheit wiegt.
Ich legte meinen Kopf kurz auf seine weichen Haare, roch diesen vertrauten Geruch von ihm, und ein Lächeln legte sich auf mein Gesicht. „Wir schaffen das, mein kleiner Sonnenschein,“ dachte ich bei mir. „Egal, was noch kommt.“
Während ich so weiterging, spürte ich, wie meine Arme langsam schwerer wurden, aber das war mir egal. Ich trage ihn, weil er mich braucht. Und ich bin seine Mama, das weiß ich jetzt mit jedem Schritt mehr.
Im Fahrzeug, während die Straßen sanft unter uns hinwegzogen, sah ich zu Gustav, der hinten bei uns im Rettungswagen saß. Benjamin lag erschöpft in meinen Armen, halb im Schlaf. Seine kleine Hand umklammerte leicht meine, während ich ihn festhielt. In der stillen Atmosphäre fragte ich leise: „Wird die Strecke lang?“
Gustav warf mir einen kurzen Blick zu und lächelte sanft. „Ungefähr zweieinhalb bis drei Stunden werden wir unterwegs sein,“ erklärte er ruhig. „Aber keine Sorge, wir wechseln gleich das Fahrzeug in einer Garage oder besser gesagt in einer Halle. Ein alter Indianertrick, den ich von meinem Ausbilder Volker gelernt habe,“ fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu.
Das lockere Augenzwinkern brachte mich kurz zum Lächeln, obwohl die Anspannung noch immer spürbar war. Benjamin rührte sich leicht in meinen Armen, vielleicht hatte er das Gespräch im Halbschlaf mitbekommen. Ich streichelte sanft seinen Rücken, drückte ihn näher an mich und flüsterte ihm beruhigend zu, dass alles in Ordnung sei.
„Warum der Fahrzeugwechsel?“ fragte ich flüsternd, um Benjamin nicht zu wecken.
„Sicherheit,“ sagte Gustav kurz. „Es hilft, Spuren zu verwischen und mögliche Verfolger zu verwirren.“
Ich nickte, während ich über die Situation nachdachte. Alles war so surreal – die ständigen Veränderungen, die Vorsichtsmaßnahmen, das Gefühl der Unsicherheit, das in der Luft lag. Aber solange Benjamin und ich in Sicherheit waren, spielte der Rest keine Rolle.
Während Benni so ruhig in meinen Armen lag, konnte ich nicht anders, als darüber nachzudenken, wie sehr er mein Leben innerhalb von nur einer Woche auf den Kopf gestellt hatte. Vor vier Jahren hatte ich schon einmal darüber nachgedacht, ein Kind zu adoptieren. Die Idee war da, und ich hatte mir alles genau überlegt. Doch dann kamen die Zweifel, und ich bekam kalte Füße. Was, wenn ich nicht gut genug bin? Was, wenn ich es nicht schaffe? Und so verschwand der Gedanke wieder in den Hintergrund.
Und jetzt? Jetzt lag dieser kleine Junge in meinen Armen, und ich würde alles, wirklich alles, für ihn tun. Wenn es sein müsste, würde ich für ihn sogar mein Leben geben. Er war so zerbrechlich, so unschuldig – und doch hatte er in den wenigen Tagen, in denen ich ihn kannte, etwas in mir geweckt, von dem ich nicht wusste, dass es überhaupt existierte. Diese bedingungslose Liebe, dieser unerschütterliche Wille, ihn zu beschützen, egal was kommt.
Ich streichelte sanft über seinen Kopf, sah seine entspannten Gesichtszüge und spürte, wie sehr ich ihn bereits ins Herz geschlossen hatte. Es war, als ob er immer schon ein Teil meines Lebens gewesen wäre. Alles, was ich besaß, war nichts im Vergleich zu dem, was Benni mir in so kurzer Zeit gegeben hatte: eine Liebe, die ich kaum in Worte fassen konnte.
„Ich werde immer für dich da sein, kleiner Sonnenschein,“ flüsterte ich leise, während ich ihm einen sanften Kuss auf die Stirn gab.
Wir fuhren in ein bewachtes Hafengelände und steuerten direkt in eine große, unscheinbare Halle. Es wirkte alles gut durchdacht, kein unnötiges Risiko wurde eingegangen. Von dort aus mussten wir in eine angrenzende Nebenhalle, ohne das Gebäude zu verlassen. Die Schritte hallten dumpf durch die Hallen, während ich Benni dicht bei mir hielt. Er war noch immer müde und schien die Umgebung kaum wahr zunehmen.
Als wir die zweite Halle erreichten, wartete dort bereits ein großes SUV mit abgedunkelten Scheiben auf uns. Ohne viel Aufsehen zu erregen, half mir Thomas, Benni in einen Kindersitz zwischen uns zu schnallen. Der Wagen war geräumig und perfekt ausgestattet für eine unauffällige Fahrt. Otto, unser Fahrer, wirkte jung – wesentlich jünger, als man es von jemandem mit einem solchen Namen erwarten würde. Aber natürlich war klar, dass „Otto“ nicht sein richtiger Name war. Das alles schien wie aus einem Film, doch für uns war es gerade Realität.
Sobald wir alle sicher im Wagen waren, setzte sich Otto ans Steuer, Gustav nahm den Platz vorne ein. Ohne viel zu reden, startete der Motor, und wir fuhren langsam aus dem Gelände. Ich beobachtete Benni aus dem Augenwinkel. Er schien wieder ein wenig wacher zu werden, und ich war froh, dass er ruhig blieb.
Die Scheiben des Wagens waren so stark getönt, dass man von draußen nichts sehen konnte, und das Gefühl, sicherer zu sein, ließ mich etwas durchatmen. Auch wenn die Anspannung nicht ganz verschwand, war ich froh, dass wir diesen Schritt hinter uns hatten.
Im Gegensatz zur ruhigen und bedächtigen Fahrt mit Andreas und Martin, fuhr Otto auf der Autobahn mit einem beeindruckend hohen Tempo. Es drückte uns regelrecht in die Sitze, und ich konnte die Spannung in meinen Schultern spüren. Doch als ich einen Blick auf Benni warf, bemerkte ich etwas Unerwartetes. Trotz der Geschwindigkeit schien er es zu genießen. Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht, und er lehnte sich entspannt zurück, als hätte das schnelle Fahren eine beruhigende Wirkung auf ihn.
Ich musste schmunzeln. Für Benni, der sonst so viele Sorgen und Ängste mit sich herum trug, schien diese schnelle Fahrt eine Art Abenteuer zu sein. Es war schön zu sehen, wie er sich ein wenig entspannen konnte, auch wenn ich innerlich immer noch auf der Hut war.
Thomas schien das rasante Tempo nicht ganz geheuer zu sein. Er warf einen vorsichtigen Blick zu Otto und fragte mit leichter unsicherheit in der Stimme: „Müssen wir es wirklich so eilig haben?“
Gustav, der neben ihm saß, drehte sich grinsend um. „Keine Sorge“ sagte er ruhig, „das ist eine verlässliche Methode, um herauszufinden, ob wir verfolgt werden. Wir halten dieses Tempo für eine Weile, und ein weiteres Polizeifahrzeug folgt uns in einigem Abstand. Sollte jemand uns über längere Zeit dicht auf den Fersen bleiben, wird er ganz zufällig einer spontanen Polizeikontrolle unterzogen.“
Dabei huschte ein verschmitztes Lächeln über sein Gesicht, als ob er diese Strategie schon oft angewendet hätte.
Thomas atmete tief durch, offensichtlich nicht ganz überzeugt, aber er sagte nichts mehr. Ich konnte sehen, dass er sich ein wenig entspannte, als er sah, dass Gustav alles im Griff zu haben schien.
Benni hingegen schien das Ganze überhaupt nicht zu stören. Er war weiterhin tiefenentspannt und schaute interessiert aus dem Fenster, während die Landschaft an uns vorbeizog.
Ich erwachte in einem Kindersitz, als ich plötzlich von einer starken Beschleunigung in meinen Sitz gepresst wurde. Es war ein völlig neues Gefühl, das ich so noch nie erlebt hatte. Mein Herz klopfte schneller, und irgendwie beschloss ich, dass es mir gefiel. Mama saß links von mir, Thomas rechts, und vorne im Auto saßen zwei Männer. Ich konnte den Mercedes-Stern auf dem Lenkrad erkennen.
Neugierig fragte ich Mama: „Wann gibt es etwas zu essen?“
Mama lächelte sanft, auch wenn sie ein bisschen müde wirkte. „Sobald wir sicher angekommen sind, Benni. Es dauert nicht mehr lange.“
Ich seufzte leise, aber die Aufregung über die Geschwindigkeit machte es mir gar nicht so schwer zu warten.
Die Fahrt verlief ansonsten ereignislos. Gustav, der vorne saß, drehte sich zu uns um und erklärte: „Diesmal werdet ihr in einem kleinen Ort in der Nähe des Bodensees untergebracht. Im Vergleich zu eurer letzten Unterkunft ist diese besser auf euch eingerichtet.“
Ich schaute interessiert zu Mama, und sie nickte leicht, als wäre sie erleichtert.
Gustav fuhr fort: „Die Besorgungsliste, die Martin ursprünglich ab arbeiten wollte, ist schon erledigt, und alles ist vor Ort für euch bereit.“
Mama fragte nach: „Ist Martin auch dort?“
Gustav schüttelte den Kopf. „Nein, er ist in Karlsruhe bei Andreas geblieben. Er will da sein, wenn er aufwacht. Andreas soll wohl über dem Berg sein, aber er braucht noch Zeit, um sich zu erholen.“
Mama nickte still, und ich spürte, wie sie meine Hand ein bisschen fester drückte. Auch ich dachte an Andreas und war froh, dass es ihm besser ging.
Als wir ankamen, war es bereits dunkel. Das Haus, auf das wir zufuhren, lag auf einem großen, von hohen Mauern umgebenen Grundstück. Die massiven Tore, die sich vor uns öffneten, verstärkten den Eindruck, als würden wir eine Festung betreten. Es strahlte eine Art Sicherheit aus, aber auch etwas Bedrückendes.
Ich blickte zu Mama, die mich fest in ihren Armen hielt, während wir durch die Einfahrt fuhren. Sie schaute sich aufmerksam um, und obwohl sie versuchte, ruhig zu wirken, konnte ich spüren, dass auch sie die Atmosphäre dieses Ortes erfasste.
„Sieht ganz schön sicher aus“, flüsterte ich Mama zu, die mich beruhigend anlächelte und mir über den Kopf strich.
„Ja, das ist es wohl“, antwortete sie leise, während wir das Grundstück betraten.
Gustav führte uns durch das beeindruckende Haus, das sofort einen viel gemütlicheren und wohlhabenderen Eindruck machte als die letzte Unterkunft.
Obwohl alles größer und weitläufiger war, fühlte ich mich hier wohler. Die weichen Teppiche, das warme Holz und die hohen Decken strahlten eine behagliche Atmosphäre aus, die ich in den letzten Tagen so vermisst hatte. Es fühlte sich fast wie ein richtiges Zuhause an.
Mama und ich würden wieder ein Zimmer teilen, und allein diese Tatsache gab mir ein Gefühl von Sicherheit. Doch als Gustav uns den Notfallraum zeigte, durchzog mich ein mulmiges Gefühl. Der Raum war kalt und unheimlich, mit massiven Metalltüren, die sich wie ein unüberwindbares Hindernis anfühlten. Es war, als ob die Türen uns von der Welt da draußen abschotten sollten, und das machte mir Angst.
Gustav erklärte ruhig: „Das ist der Panikraum. Falls es jemals nötig wird, könnt ihr euch hier in Sicherheit bringen.“ Seine Worte sollten beruhigend klingen, doch der Gedanke, diesen Raum jemals betreten zu müssen, ließ mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen.
Mama merkte sofort, dass mich der Raum verunsicherte. Sie legte beruhigend eine Hand auf meine Schulter und lächelte liebevoll.
„Keine Sorge, Benni. Wir sind hier sicher. Der Raum ist nur für den äußersten Notfall gedacht, und ich bin immer bei dir.“
Das beruhigte mich ein wenig, doch das beklemmende Gefühl blieb. Als wir weitergingen, führte Gustav uns in das Zimmer, in dem er und Otto ihre Ausrüstung und Überwachung hatten. Der Raum war voller Monitore, die das gesamte Gelände zeigten.
Auf den Bildschirmen konnte man die Einfahrt, den Garten und die hohen Mauern sehen, die das Grundstück umgaben. Alles war im Blick, jeder Winkel wurde überwacht.
„Hier behalten wir alles im Auge,“ sagte Gustav mit einem kurzen Blick zu Otto, der konzentriert auf einen der Bildschirme starrte. „Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen, wir passen auf euch auf.“
Trotz seiner Worte war es der Panikraum, der mir Unbehagen bereitete. Der Rest des Hauses fühlte sich sicher an, und das beruhigte mich. Mama spürte, dass ich immer noch etwas besorgt war, und nahm mich sanft an die Hand.
„Komm, Benni. Lass uns in unser Zimmer gehen und ein bisschen zur Ruhe kommen. Hier bist du sicher,“ sagte sie, ihr Lächeln so warm und beruhigend wie das Haus selbst. Sie war immer bei mir, und das half mir, die Anspannung etwas loszulassen.
Dieses Haus wirkte wie eine Festung, als wäre es für Staatsgäste oder hohe Sicherheitsanforderungen gebaut. Gustav hatte nicht zu viel versprochen. Ein kurzer Blick in die Schränke verriet, dass jemand für uns einen ordentlichen Großeinkauf erledigt hatte. Ich frage mich nur, wie sie das alles so schnell organisieren und die Sachen sogar noch waschen, trocknen und ordentlich verstauen konnten.
Benni schien sich hier wohler zu fühlen als im letzten Haus, aber der Panikraum, bereitete ihm sichtliches Unbehagen. Auch ich hoffte inständig, dass wir ihn nie benutzen müssten – nicht, weil ich Angst vor dem Raum selbst hatte, sondern weil ich eine Situation wie die von gestern niemals wieder erleben möchte.
Ich glaube, ich kann nie wieder Krimis oder Thriller lesen, ohne an die letzten Tage denken zu müssen. Aber ich vermute, in der nächsten Zeit stehen ohnehin eher Kinderbücher und Erziehungsratgeber auf meiner Bücherliste.
Bevor es jedoch Zeit war, ins Bett zu gehen, machten Benni und ich noch einen kleinen Abstecher in die Küche. Thomas stand dort bereits am Herd und machte Dosenravioli für uns warm. Nicht gerade das Beispiel für Haute Cuisine, aber als ich Benni beobachtete, wie er die Ravioli in sich hineinschaufelte, fragte ich mich ernsthaft, wo er das alles hinsteckte. Trotzdem freute ich mich riesig, dass es ihm schmeckte, und das Strahlen in seinem Gesicht war einfach unbezahlbar.
Nachdem wir gegessen hatten, war es endlich Zeit, uns ins Bett zu kuscheln.
Benjamin hatte zwar unterwegs viel geschlafen, aber man merkte ihm an das er noch sehr erschöpft von allen war. Sobald er sich an meine Brust gekuschelt hatte, spürte ich wie seine Atmung gleichmäßige wurde.
Es war eine bisher eine ruhige Nacht, und ich dachte, er würde sich hier bei mir sicherer fühlen. Doch jetzt wälzt er sich neben mir hin und her, seine kleinen Hände fest in die Decke gekrallt. Ich spüre, wie er zu zittern beginnt, und höre das leise Schluchzen, das tief aus seiner Kehle kommt.
„Nein… bitte… komm mit… du musst mitkommen,“ murmelt er plötzlich, seine Stimme klingt fern, als wäre er in einer anderen Welt gefangen. Ich richte mich auf, drehe mich zu ihm und streiche ihm sanft über das Haar. „Benni, mein Schatz, wach auf… du bist bei mir,“ flüstere ich sanft und ziehe ihn näher an mich heran. Doch es scheint ihn nicht zu erreichen. Er ist in diesem Albtraum gefangen.
„nein bleib bei mir… ich schaffe das nicht……“ Seine Worte lassen mein Herz schneller schlagen. Ich spüre, wie sein kleiner Körper sich verkrampft, wie er im Schlaf um sich schlägt, als würde er sich gegen etwas wehren, das ihn einholen will.
„Benni, du bist hier bei mir. Du bist in Sicherheit.“ Ich versuche, ihn zu beruhigen, halte ihn fest in meinen Armen. Aber er windet sich weiter, seine Stirn ist schweißnass, und er murmelt immer wieder „Bitte… komm mit mir…“
Ich weiß nicht, wie ich ihn aus diesem Albtraum holen soll. Die Panik in seiner Stimme schmerzt mich zutiefst. Was auch immer er durchmacht, es ist so real für ihn, dass nichts von dem, was ich tue, zu ihm durchdringt. Ich streichle weiter über seinen Kopf, drücke ihn sanft an mich und wiederhole immer wieder: „Ich bin hier, Benni. Ich lasse dich nicht allein. Alles ist gut.“
Aber tief in mir wächst die Verzweiflung. Er ist bei mir, aber gleichzeitig so weit weg. Ich wünschte, ich könnte diesen Albtraum einfach wegnehmen, ihn vor all dem beschützen. Doch jetzt kann ich nur bei ihm bleiben und hoffen, dass er bald erwacht, dass die Angst nachlässt und er endlich zur Ruhe kommt.
Ich träume von dem jungen Mann, den ich Alexej nenne. Seine dunklen Haare, die schmalen Gesichtszüge – ich weiß nicht, warum ich diesen Namen gewählt habe, aber er fühlt sich richtig an. Es ist laut, so laut im Labor. Alles piept, Maschinen summen, und das grelle Licht flackert. Ich spüre die Kälte der sterilen Umgebung, als wäre ich um diesem Panikraum. Die sterile Luft sticht in meiner Nase, und alles um mich herum ist beklemmend und beängstigend.
„Los, Benni! Wir müssen gehen!“ höre ich Alexejs Stimme. Sie klingt drängend, fast panisch. Ich drehe mich um und sehe ihn, wie er mich am Arm zieht, weg von den Maschinen, weg von den weißen Kitteln. Wir rennen. Ich weiß nicht, wie lange wir schon gerannt sind. Alles verschwimmt um uns herum. Meine Füße tun weh, aber ich kann nicht aufhören. Die Männer… sie sind hinter uns her.
Die nächsten Bilder sind unklar. Wir sind plötzlich draußen, in einem Lieferwagen. Alexej sitzt am Steuer, seine Hände zittern, aber er fährt schnell, zu schnell. „Halt dich fest!“ sagt er, und ich klammere mich an den Sitz, während der Wagen durch enge Gassen rast. Draußen sehe ich nur verschwommene Lichter. Alles ist in Bewegung, alles ist laut. Ich höre das Rumpeln der Straße unter uns, die Sirenen in der Ferne.
Dann sind wir am Bahnhof. Der kalte Betonboden unter meinen Füßen fühlt sich hart an. Es ist so laut hier, Menschen überall, Züge kommen und gehen. Aber ich habe nur Augen für Alexej. Er zieht mich durch die Menge, die Männer in Schwarz sind immer noch hinter uns. Ich höre ihre Schritte, sie sind nah, viel zu nah. „Schneller!“ Alexej drückt meine Hand fester, zieht mich weiter.
Plötzlich bleibt er stehen, zieht mich in eine Ecke, wo wir kurz außer Sicht sind. „Benni, du musst hier rein!“ Er öffnet die Tür eines Zugs, der gerade bereit zum Abfahren ist. Ich verstehe nicht. „Aber du…?“ frage ich, meine Stimme zittert. „Ich komme nach, ich verspreche es,“ sagt er und schiebt mich in den Waggon.
Ich stolpere hinein, mein Herz rast. Er bleibt draußen, wirft mir einen letzten Blick zu. „Vertrau mir,“ sagt er. Dann dreht er sich um und läuft los, weg von den Männern. Durch das Fenster des Zugs sehe ich, wie Alexej die Verfolger ablenkt. Sie rennen ihm nach. Ich sehe, wie er auf einen anderen Zug zusprintet, in den er in letzter Sekunde einsteigt.
Aber er kommt nicht zurück.
Der Zug, in dem ich sitze, setzt sich in Bewegung. Ich drücke mein Gesicht gegen das Fenster, sehe, wie Alexej immer kleiner wird, wie die Männer in Schwarz ihm nachjagen. Die Welt draußen zieht an mir vorbei, aber mein Herz bleibt bei Alexej. „Er hat versprochen, er kommt nach…“ murmele ich verzweifelt, aber er ist weg. Ich bin allein.
Die Panik steigt in mir auf, meine Hände zittern, und ich fühle mich, als würde ich fallen, tiefer und tiefer in die Dunkelheit.
Ich schrecke hoch, völlig außer Atem, mein Herz rast, und der Schweiß klebt an meiner Stirn. Ich blinzele, versuche, mich zu orientieren, aber der Albtraum hängt noch wie ein dunkler Schleier über mir. „Alexej!“ rufe ich, panisch, meine Stimme zittert. Ich schaue mich hektisch um, meine Hände greifen nach der Decke, aber er ist nicht hier. Wo ist er?
„Wo ist Alexej?“ frage ich, meine Augen suchend durch den Raum gleitend. Alles fühlt sich so real an. Der Lärm, die Flucht, die Männer in Schwarz – ich spüre immer noch die Kälte des Zugfensters auf meiner Stirn. Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass ich in einem Bett liege, sicher… bei Mama.
Aber der Albtraum lässt mich nicht los. Alexej… Er hat mir versprochen, dass er nachkommt. Warum ist er nicht hier? Ich fühle, wie meine Hände zittern, und ich wische mir über das Gesicht, versuche, den Rest der Dunkelheit zu vertreiben, die mich gerade noch gefangen hielt.
„Wer ist Alexej?“ fragt Mama sanft, ihre Stimme zittert ein wenig vor Sorge. Ihre Augen suchen meinen Blick, aber ich schaue weg. Die Frage hallt in meinem Kopf wider, und plötzlich fühle ich mich wieder verloren. Alexej… Wer ist er wirklich? In meinem Traum war er so klar, so wichtig. Er hat mir geholfen, hat mich gerettet. Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke, fühlt es sich leer an. Es gibt keine wirkliche Verbindung, keine Wärme, kein Gefühl.
„Ich… ich weiß es nicht,“ murmle ich schließlich, meine Stirn runzelnd. „Im Traum war er… so wichtig. Er hat mich rausgebracht, er hat gesagt, dass er nachkommt. Aber jetzt…“ Ich stoppe, weil mir die Worte fehlen. Es ist seltsam, als ob ich alles über ihn weiß, aber gleichzeitig nichts. Keine Emotionen, keine Erinnerungen, die ich wirklich fühlen kann. Nur das Wissen, dass er wichtig war.
„Er… er war wichtig, ich weiß das,“ sage ich unsicher und schaue Mama fragend an, als könnte sie mir helfen, die Lücke zu füllen. „Aber ich kenne ihn nicht wirklich. Ich erinnere mich nur daran, dass er mir geholfen hat, aber… ich weiß nicht, wer er ist. Es fühlt sich so an, als würde er in meinem Kopf existieren, aber nicht hier, in meinem Herzen.“
Es verwirrt mich. Wie kann jemand so bedeutend sein und doch so fremd? Mama legt ihren Arm um mich, als ob sie spürt, wie verloren ich mich fühle. Aber selbst ihre Umarmung kann das seltsame Gefühl nicht ganz vertreiben.
Fortsetzung folgt…
Autor: michaneo (eingesandt via E-Mail)
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