Florians Schatten (19)
Dieser Eintrag ist Teil 19 von 19 der Serie Florians-Schatten
Windelgeschichten.org präsentiert: Florians Schatten (19)
(Vorwort: Der letzte Teil hat auf dieser Plattform gemischte Reaktionen hervorgerufen – umso gespannter bin ich, wie dieser hier bei euch ankommt. Er ist auf jeden Fall wieder deutlich umfangreicher geworden.
Ein herzliches Dankeschön an euch alle für die vielen ausführlichen Kommentare, die ihr mir immer wieder dalasst. Besonders bedanken möchte ich mich erneut bei nice.smile, der sich jedes Mal die Zeit nimmt, meine Texte sorgfältig gegenzulesen und mich auf Logikfehler aufmerksam zu machen.
In diesem Teil gibt es einige Szenen mit medizinischem Hintergrund. Ich habe versucht, sie so realistisch wie möglich darzustellen – auch hier war nice.smile mit seinem Fachwissen eine große Hilfe. Trotzdem erhebe ich natürlich keinen Anspruch auf absolute medizinische Genauigkeit.
Ich wünsche euch viel Freude beim Lesen – und freue mich, wie immer, auf eure Rückmeldungen!
Ich fuhr mit dem Familienbus auf den Hof, die Musik laut aufgedreht. Shadow on the Wall von Mike Oldfield lief gerade im Radio – Papas Rocksender. Normalerweise streamte ich lieber meine eigene Musik, aber heute ließ ich das Radio einfach laufen. Der Song hatte sich schon in meinem Kopf festgesetzt, und ich trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad, während ich langsam in die Einfahrt rollte.
Kurz bevor ich das Haus erreichte, fiel mir Pierre auf, der neben meinem Auto stand. Schön, dass er auch schon wach ist, dachte ich. Vielleicht könnten wir am Nachmittag etwas unternehmen. Ich parkte den Bus, drehte die Musik leiser und stieg aus, noch in Gedanken beim Lied.
Als ich um mein Auto herumging, um Pierre zu begrüßen, stockte ich plötzlich. Direkt neben meinem Auto lag Florian im Schnee. Ich hatte ihn eben vom Auto aus gar nicht gesehen.
„Florian? Was machst du denn auf dem Boden? Steh lieber auf, nicht dass du dir was wegholst.“
Während ich sprach, fiel mir auf, dass er irgendwie merkwürdig dalag. Unnatürlich. Und wieso lag da eine Dose Red Bull neben ihm? Mein Magen zog sich unangenehm zusammen.
Er bewegte sich nicht.
Ich machte einen weiteren Schritt auf ihn zu. „Florian?“ Keine Reaktion. Ich sah zu Pierre, der mich mit großen Augen anstarrte. Mein Herzschlag beschleunigte sich.
„Was ist passiert?“ Meine Stimme klang jetzt aufgeregter, schärfer. Ich hockte mich zu Florian und rüttelte vorsichtig an seiner Schulter.
„Florian, alles gut?“
Nichts.
Er war so blass.
Ich rüttelte fester. „Florian! Hey!“
Immer noch keine Reaktion. Jetzt war die Panik da. Mein Atem ging schneller, mein Herz hämmerte in meiner Brust. Ich legte eine Hand auf seine Stirn – eiskalt und feucht.
Instinktiv tastete ich nach seinem Puls, doch meine Hände zitterten, ich war zu aufgewühlt. Ich beugte mich vor und hielt mein Ohr an seine Nase. Kein Atemzug. Oder war ich zu panisch, um ihn zu spüren?
„Was ist hier passiert?!“ schrie ich jetzt Pierre an.
Er stand einfach nur da, wie erstarrt. Keine Antwort.
Reiß dich zusammen, schoss es mir durch den Kopf. Ich versuchte es noch einmal mit dem Puls. Diesmal spürte ich etwas – schwach, aber da.
Er lebte.
Ich hob ihn hoch. Sein Körper war so leicht, viel zu leicht. Er fühlte sich an wie eine Puppe, die keine Kontrolle mehr über sich selbst hatte.
„Was ist hier passiert?! Und warum liegt da eine Dose Red Bull?! Sprich mit mir, verdammt!“ Meine Stimme überschlug sich fast.
Pierre rührte sich nicht. Er wirkte, als wäre er selbst völlig überfordert.
Ich konnte jetzt nicht auf ihn warten. Ich drehte mich mit Florian auf dem Arm um und rannte ins Haus.
„Mama! Ruf den Notruf! Florian ist bewusstlos!“ rief ich schon beim Eintreten.
Ich stürmte ins Wohnzimmer, legte Florian auf den Teppich. Mama kam mit dem Telefon in der Hand hinterher, ihr Gesicht wurde kreidebleich, als sie ihn sah.
„Was ist passiert?“ Ihre Stimme war zittrig.
„Ich weiß es nicht! Er lag draußen im Schnee. Neben meinem Auto. Bei Pierre.“
Ich streckte die Hand aus. „Gib mir das Telefon.“
Sie reichte es mir mit zitternden Fingern. Ich wählte sofort 112.
„Notruf, wo genau befindet sich der Notfall?“
„Mein kleiner Bruder… er ist bewusstlos. Ich weiß nicht, was passiert ist! Er liegt hier, er ist eiskalt, sein Puls ist schwach, er reagiert überhaupt nicht!“ Meine Stimme zitterte stärker, als ich es beabsichtigt hatte. Panik kroch in mir hoch.
„Wo genau befinden Sie sich?“, fragte die Disponentin ruhig, aber bestimmt.
„In Steinweiler, Hofsteig 1. Es ist ein Bauernhof, kurz vor dem Ortseingang, wenn man aus Richtung Hof kommt!“, stieß ich hastig hervor. Ich konnte das Zittern in meinen Händen kaum noch kontrollieren.
„In Ordnung. Wer sind Sie genau, bitte?“
„Sebastian… Sebastian Wagner, sein Bruder.“ Meine Kehle war trocken, und meine Finger klammerten sich um das Telefon, als könnte ich damit die Situation unter Kontrolle bringen.
„Was genau ist passiert, Herr Wagner?“
Ich rang nach Luft, doch es half nicht. Meine Gedanken überschlugen sich. „Ich weiß es nicht! Ich habe ihn so im Schnee gefunden – bewusstlos und eiskalt. Ich kann seinen Puls kaum spüren.“
„Bleiben Sie ruhig. Ein Rettungswagen und ein Notarzt sind unterwegs. Wie alt ist Ihr Bruder?“
„Sieben. Er ist sieben Jahre alt.“
„Atmet er?“
Ich beugte mich über Florian, lauschte an seinem Mund. Mein eigener Atem ging viel zu schnell, meine Brust zog sich schmerzhaft zusammen. „Ich… ich glaube ja. Aber nur sehr schwach.“
„Ein Rettungswagen und ein Notarzt sind bereits unterwegs. Ich bleibe bei Ihnen, bis sie da sind. Halten Sie Ihren Bruder unbedingt warm und bring sie ihn bitte in die stabile Seitenlage, Herr Wagner.“
Scheiße! Warum war ich nicht selbst darauf gekommen? Das hätte ich sofort machen müssen! Wut und Angst vermischten sich zu einer eisigen Panik in meinem Bauch. Ich biss mir fest auf die Lippe und zwang mich, ruhig zu bleiben.
„Okay, ja. Ich mach das jetzt.“ Meine Finger zitterten, während ich das Telefon kurz neben mich legte. Vorsichtig rollte ich Florian auf die Seite. Sein Körper war erschreckend kalt und schlaff, und ich schluckte schwer, als ich bemerkte, wie blass sein Gesicht war.
Mama kniete neben mir, die Augen weit aufgerissen vor Angst. „Was ist los?“, flüsterte sie und presste eine Hand vor den Mund.
„Hol eine Decke, schnell!“, befahl ich knapp. Sie sprang sofort auf, rannte aus dem Raum und kehrte Sekunden später mit einer dicken Wolldecke zurück. Ihre Hände bebten, während sie Florian sorgfältig zudeckte, und Tränen liefen über ihre Wangen.
Ich griff hastig nach dem Telefon, stellte es auf Lautsprecher und legte es neben Florian auf den Boden.
„ Hören Sie mich noch, Herr Wagner?“, fragte die ruhige Stimme aus dem Lautsprecher.
„Ja, ich höre Sie! Er liegt in stabiler Seitenlage und ist zugedeckt!“ Meine Stimme brach fast vor Anspannung.
„Gut. Der Rettungsdienst trifft bald ein. Bleiben Sie ganz ruhig und beobachte, ob sich etwas ändert.“
„Ja, mach ich.“
In diesem Moment begann Florians Körper plötzlich unkontrolliert zu zucken. Seine Arme und Beine schlugen wild umher, sein kleiner Körper krampfte so heftig, dass es mir den Atem verschlug.
„Verdammt, Florian!“ Panisch wandte ich mich zum Telefon. „Er… er zuckt am ganzen Körper! Er krampft plötzlich!“
Die Stimme der Disponentin blieb ruhig, aber weicher. „Okay, Sebastian, hör mir gut zu. Sorge dafür, dass er sich nicht verletzt, aber halte ihn nicht fest. Lass den Krampf vorübergehen. Wenn er sich übergibt, drehe ihn wieder auf die Seite.
Ich atmete hektisch. Mein Herz schlug so laut, dass ich kaum noch denken konnte. „Florian, komm schon… bitte…“, flüsterte ich verzweifelt, während ich versuchte, seinen Kopf vorsichtig zu schützen. Der Anfall ließ langsam nach, und gerade als ich glaubte, es sei vorbei, übergab Florian sich plötzlich mit einem erstickenden Laut.
„Er übergibt sich!“, schrie ich panisch ins Telefon.
„Dreh ihn auf die Seite!“, kam sofort die Antwort.
„Hab ich schon!“, schrie ich zurück, während Mama hastig ein Taschentuch aus der Box auf dem Tisch zog und Florian sanft das Erbrochene aus dem Gesicht wischte. Ein verzweifeltes Schluchzen entkam ihr.
Von draußen hörte ich plötzlich Papas Stimme: „Was ist hier los? Pierre ist gerade mit Sebastians Auto weggefahren – und zwar viel zu schnell!“
Mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. „Pierre…“, murmelte ich entsetzt und sah hilflos zu Florian hinunter. „Was ist nur passiert? Was ist mit Florian passiert? Warum fährt Pierre davon, statt zu helfen?“
„Wir sind hier!“, rief Mama verzweifelt und ihre Stimme überschlug sich beinahe vor Panik.
Papa stürmte ins Wohnzimmer, sein Blick flog hektisch von mir zu Florian, und ich sah in seinen Augen dieselbe pure Angst, die auch mich gefangen hielt.
„Papa, stell dich raus an die Einfahrt! Der Rettungswagen kommt gleich, sie müssen uns sofort finden!“, rief ich hektisch.
Papa nickte knapp und eilte aus dem Zimmer.
„Wie geht es Ihrem Bruder jetzt? Atmet er?“, fragte die Disponentin ruhig.
Papa hatte mich kurz abgelenkt. Ich beugte mich erneut tief über Florian. Ein säuerlicher Geruch, gemischt mit der süßlichen Note von Red Bull, hing in der Luft. Mein Herz setzte beinahe aus, als ich bemerkte, dass Florians Lippen langsam bläulich wurden und kein Atemzug mehr wahrnehmbar war.
„Er atmet nicht mehr!“, entfuhr es mir panisch.
Ich versuchte, ruhig zu bleiben, aber mein Herz raste. Die Stimme am Telefon klang klar, bestimmt – ganz anders als das Chaos in meinem Kopf.
„Leg deinen Bruder auf den Rücken“, sagte sie. Ich gehorchte mechanisch, meine Hände zitterten.
„Eine Hand auf die Stirn, die andere unter sein Kinn. Kipp seinen Kopf leicht nach hinten.“
Ich tat es, so vorsichtig ich konnte. Sein Gesicht war fahl, seine Lippen blass.
„Schau kurz in seinen Mund – liegt da irgendwas? Irgendwas, das die Atemwege blockieren könnte?“
Ich beugte mich vor. Da war noch etwas Erbrochenes an seinem Mundwinkel.
Ein Würgereiz stieg in mir auf. Doch ich schluckte ihn herunter. Es war mir egal. Ich wischte mit dem Ärmel über seinen Mund, so gut es ging. Jetzt zählte nur, dass er wieder atmete.
„Okay, jetzt gib ihm fünf Atemspenden. Verschließ seine Nase mit zwei Fingern, setz deinen Mund über seinen und atme langsam hinein. Nur so viel, dass sich sein Brustkorb hebt. Fünfmal.“
Ich zögerte, dann beugte ich mich über ihn. Eins… zwei… drei… Ich flehte innerlich, dass er sich bewegt. Vier… fünf… Sein Brustkorb hob sich jedes Mal kaum merklich.
Nichts.
„Beginn mit der Herzdruckmassage“, sagte die Stimme ruhig. „Mit dem Handballen in die Mitte der Brust – etwa ein Drittel tief drücken, zügig und gleichmäßig. Dreißig Mal. Denk an den Rhythmus: hart, schnell, durchgehend.“
„Ich zählte in meinem Kopf – jeden einzelnen Druck. Ansonsten war mein Kopf wie leergefegt. Es gab nur diesen Moment, nur das Hier und Jetzt.“
„Dann wieder zwei Atemspenden“, erinnerte sie mich. Ich beugte mich vor, atmete vorsichtig in seinen kleinen Körper. Dann wieder drücken. Dreißig Mal.
„Wenn du Hilfe brauchst, lass deine Mutter mithelfen“, sagte sie weiter. „Einer von euch übernimmt das Drücken, der andere die Atemspenden. Wechselt euch ab, wenn ihr müde werdet. Ich bleibe bei euch. Ihr seid nicht allein.“
Aber ich fühlte mich allein. So verdammt allein. Und doch machte ich weiter, weil ich wusste, dass ich keine andere Wahl hatte.
„Mama, übernimm du das Beatmen!“, rief ich, während ich mich über Florian beugte.
Sie nickte sofort, beugte sich tief über ihn und gab ihm zwei Atemzüge. Ich zählte die Kompressionen in meinem Kopf, meine Arme brannten bereits, aber ich durfte nicht nachlassen.
Wir knieten beide auf dem Boden – direkt neben Florian. Alles um mich herum war ausgeblendet. Nur er zählte. Nur dieser Moment.
Meine Angst und Verzweiflung drohten mich zu überrollen, aber aufgeben war keine Option.
Ich weiß nicht, wie lange wir das machten. Die Zeit schien stillzustehen.
Dann, ganz plötzlich, hörte ich sie – Sirenen, erst leise, dann lauter.
Mein Körper wollte aufgeben, mich zwingen, einfach aufzuhören. Aber ich wusste: Ich muss weitermachen. Bis Hilfe da ist.
Doch plötzlich – Stille.
Die Sirene war weg.
Nein. Das konnte nicht sein. Das musste doch der Rettungswagen für Florian sein!
Aber es war nichts mehr zu hören.
Also machten wir weiter. Weiter, immer weiter.
Dann – endlich – ging alles ganz schnell. Schritte, Stimmen auf dem Flur, das Klacken einer Tür. Drei Sanitäter stürmten herein, bereits im Gespräch.
„Kind, männlich, sieben Jahre – HLW läuft, Beatmung begonnen, kein AED angeschlossen“, rief die Frau vorne, während sie sich umsah.
„Übernehmen wir die Kompression?“ fragte der junge Sanitäter hinter ihr.
„Ja – direkt übernehmen!“, antwortete die Ältere, dann wandte sie sich an mich.
„Wir übernehmen jetzt.“
Ich wich zur Seite. Neben mir kniete sich der junge Mann sofort nieder und setzte ohne zu zögern die Herzdruckmassage fort – fest, schnell, im richtigen Rhythmus.
„Kompressionen laufen“, sagte er konzentriert.
„Ich übernehme die Beatmung“, rief der dritte Sanitäter, während er den Beatmungsbeutel vorbereitete.
Die älter Sanitäterin kniete sich ebenfalls hin und griff zur Schere.
„Ich schneid die Kleidung auf. AED vorbereiten.“
Mit schnellen, aber vorsichtigen Bewegungen schnitt sie Florians Shirt auf.
Dann holte sie ein Gerät hervor, das ich nur aus Erste-Hilfe-Kursen und Filmen kannte – ein Defibrillator.
„Pads drauf – analyse“, sagte sie ruhig. Sie befestigte die Elektroden auf Florians Brust.
„Rhythmusanalyse läuft. Finger weg!“, warnte sie mit lauter Stimme.
Der junge Sanitäter hob sofort die Hände. Auch ich zuckte zurück.
Ein leises Piepen erfüllte den Raum. Sekunden vergingen.
„Kein Schock empfohlen – wir machen weiter“, sagte sie nach einem Blick aufs Display.
„Tim, du bleibst bei den Kompressionen.“
„Kompressionen laufen“, bestätigte er, ohne den Takt zu verlieren.
Die ältere Sanitäter, holte mit ruhiger Routine einen kleinen Plastikschlauch hervor. Mit schnellen, erfahrenen Handgriffen öffnete sie vorsichtig Florians Mund, überstreckte den Kopf und schob den Tubus behutsam hinein. „Atemweg gesichert, Larynxtubus sitzt“, bestätigte sie knapp, und sofort begann der Sanitäter, mit dem Beutel Luft in Florians Lunge zu pumpen.
Die ältere Sanitäterin kniete sich ruhig neben Florian, während die anderen beiden weiterarbeiteten – Herzdruckmassage, Beatmung, ohne Pause.
Mit schnellen, geübten Bewegungen desinfizierte sie Florians Arm und setzte ihm eine Kanüle. Ich musste genau hinsehen, um jedes Detail aufzusaugen – als würde ich sonst etwas Wichtiges verpassen.
Sie griff ohne zu zögern in den Notfallrucksack, zog eine kleine Ampulle heraus und hielt sie kurz gegen das Licht, bevor sie sie aufbrach. Mit einer ruhigen Selbstverständlichkeit zog sie die Flüssigkeit in eine Spritze und injizierte sie über den Zugang in Florians Arm.
„Adrenalin nach ALS-Schema“, hörte ich sie leise sagen – mehr zu sich selbst als zu den anderen.
Alles ging so schnell, so präzise, als wäre sie allein auf sich gestellt – und doch wirkte nichts überhastet. Ich wünschte, ich hätte auch nur annähernd so ruhig wirken können. Stattdessen saß ich nur da, mein Herz raste, mein Atem flach, und ich starrte auf Florians reglosen Körper.
Ich wusste nicht, ob das Adrenalin irgendetwas verändern würde.
Aber ich hoffte es. So sehr.
„Was genau ist passiert?“, wandte sich der junge Sanitäter dann an mich, während er den Druck auf Florians Brustkorb rhythmisch und kräftig fortsetzte.
Ich schluckte schwer, mein Herz raste immer noch panisch. „Ich habe Florian draußen bewusstlos im Schnee gefunden. Mein Freund stand daneben, aber er konnte oder wollte mir nicht sagen, was passiert war.“
„Wo ist dein Freund jetzt?“, fragte er direkt weiter, während er konzentriert weiterdrückte.
„Keine Ahnung… Er ist plötzlich mit meinem Auto weggefahren“, murmelte ich verzweifelt und fühlte mich vollkommen hilflos. „Okay, und was ist passiert, seit du bei ihm bist?“
„Ich habe den Notruf gewählt, und die Disponentin wies mich an, ihn in die stabile Seitenlage zu bringen.
Doch plötzlich begann er zu zucken – sein ganzer Körper verkrampfte, dann sackte er schlaff in sich zusammen.
Kurz darauf würgte er und übergab sich.
Die Disponentin sagte mir, ich solle ihn erneut in die Seitenlage bringen. Ich habe alles so gemacht, wie sie es gesagt hat…
Aber dann… wurden seine Lippen… sie färbten sich blau.“
Ich schluckte schwer, als die Erinnerung mich erneut überrollte. „Sie sagte mir, ich soll sofort mit der Beatmung und Herzdruckmassage beginnen, bis ihr hier wart.“
In diesem Moment trat ein weiterer Mann hinzu, deutlich älter, mit grauen Haaren und einem selbstsicheren Auftreten. „Was haben wir hier?“, fragte er die Sanitäterin.
Sie berichtete ruhig und präzise: „Junge Sieben Jahre, bewusstlos, initiale Krampfanfälle, Atemstillstand, Herzkreislaufstillstand, Atemweg gesichert mit Larynxtubus, aktuell keine schockbare Aktivität. Wir folgen dem ALS-Protokoll, erste Adrenalingabe erfolgt, regelmäßige Reevaluation läuft.“
Mit zitternden Händen und vor Anspannung trockener Kehle beobachtete ich hilflos, wie sie weiter um Florians Leben kämpften.
„Krampfanfälle, Erbrechen, Bewusstlosigkeit… hypoglykämisch?“ überlegte der Notarzt laut.
„Möglich. Messen wir den Blutzucker.“
Ein Pieks in Florians Finger, ein Tropfen Blut, dann sagte der Sanitäter:
„BZ 92 – keine Hypoglykämie. Wir müssen von einer zentralnervösen Ursache ausgehen.“
Ich runzelte die Stirn. Keine Unterzuckerung – also lag die Ursache wohl woanders.
„Toxische Ursache?“ warf die Sanitäterin ein.
„Kann sein. Vergiftung nicht ausgeschlossen.“
Mir zog es den Magen zusammen. Sie vermuteten also eine Vergiftung – aber womit?
Der Notarzt sprach schnell, aber mit ruhiger Stimme, während er das Funkgerät aktivierte. Ich konnte jedes Wort hören – der Funk war laut genug, um das Gespräch mitzuverfolgen.
„Leitstelle Hof von LUCAS Hof 82, kommen.“
Ein kurzes Rauschen, dann die Antwort:
„LUCAS Hof 82, Leitstelle hört.“
„Hier spricht der Notarzt. Wir haben einen bewusstlosen Jungen, sieben Jahre alt. Intubiert, Kreislauf instabil, Ursache unklar – Verdacht auf Intoxikation. Transport erfolgt unter Notfallbedingungen. Bitte Zielklinik auf toxikologische Diagnostik vorbereiten.“
Ein Moment Stille, dann die klare Stimme der Disponentin:
„Verstanden, LUCAS Hof 82. Zielklinik wird informiert, toxikologische Diagnostik vorbereitet. Guten Transport.“
Der Notarzt bestätigte knapp:
„LUCAS Hof 82, verstanden. Ende.“
Ich kniete direkt neben Florian. Alles um mich herum wirkte plötzlich gedämpft, als wäre ich unter Wasser. Die Stimmen, das rhythmische Zischen des Beatmungsbeutels, selbst die Bewegungen der Sanitäter – alles war da, aber irgendwie weit weg, wie durch einen Schleier.
Ich starrte auf seinen kleinen Körper. Die Geräte, die Kabel, der Tubus in seinem Mund – das alles schien viel zu groß, viel zu fremd für ihn. Seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig, mechanisch, getrieben von der Beatmung.
Meine Hände wurden feucht, mein Atem flach. Ich wollte ihn berühren, seine Haut spüren, ihm irgendwie zeigen, dass ich da bin. Aber ich wagte es nicht. Ich hatte Angst, etwas falsch zu machen.
Florian lag einfach da. Still. Viel zu still.
Einer der Sanitäter griff wieder zum Defibrillator.
„Rhythmuskontrolle“, sagte er knapp, während der andere kurz die Herzdruckmassage stoppte.
Das Gerät piepste leise. Alle hielten kurz inne.
„Herzrhythmus vorhanden“, sagte die ältere Sanitäterin nach einem Blick auf das Display.
„Schwach, aber regelmäßig. Puls tastbar – peripher.“
Ein Hauch von Erleichterung ging durch den Raum, doch niemand ließ nach.
Sie stabilisierten ihn weiter mit Infusionen und Medikamenten. Alles geschah schnell, geübt, ruhig – als hätten sie es schon unzählige Male getan.
Schließlich nickte der Notarzt knapp. „Er ist transportfähig. Wir bringen ihn sofort in die Klinik.“
Er sah zu Mama. „Sind Sie die Mutter?“
Sie nickte stumm, ihre Augen voller Angst.
„Sie können mitfahren.“ Seine Stimme war ruhig, aber klar. Keine Diskussion.
Ich sah mich hektisch um, suchte nach Papa – er stand in der Tür, das Gesicht angespannt. Unsere Blicke trafen sich.
Er nickte mir zu. „Wir fahren hinterher.“
Als sie Florian vorsichtig auf die Trage legten, spürte ich, wie sich mein Brustkorb zusammenzog. Ich konnte kaum atmen.
Meine Hände zitterten, mein ganzer Körper fühlte sich leer und gleichzeitig viel zu schwer an. Aber das war egal.
Florian kämpfte. Und das war alles, was zählte.
Annette:
Von einem Moment auf den anderen stand unsere Welt Kopf. Kaum fünf Minuten konnten vergangen sein, seit ich Florian nach draußen geschickt hatte, um Sebastian und Markus zum Essen zu holen – und jetzt lag er regungslos auf dem Boden des Esszimmers. Vor wenigen Minuten hatte ich noch mit einem Lächeln das Mittagessen vorbereitet, und nun lag Florian regungslos auf dem Boden des Esszimmers. Die Stimme Sebastians, voller Panik und Dringlichkeit, hallte noch in meinem Kopf nach, während ich mit zitternden Händen das Telefon hielt. Alles verschwamm um mich herum, mein Atem stockte. Ich wollte funktionieren, aber meine Gedanken überschlugen sich. War das wirklich passiert? War Florian… nein, das durfte nicht sein.
Doch während ich wie gelähmt war, handelte Sebastian. Ohne zu zögern begann er mit der Beatmung, seine Hände bewegten sich sicher, sein Blick blieb konzentriert. Ich war überwältigt von seiner Entschlossenheit – und zugleich erschüttert von meiner eigenen Hilflosigkeit. Erst als die Disponentin ihn anwies, sich von mir unterstützen zu lassen, wurde ich wachgerüttelt. Mechanisch folgte ich ihrer Anweisung, während mein Herz raste. Ich kniete mich neben Sebastian und übernahm die Beatmung, während er die Herzdruckmassage ausführte. Schritt für Schritt arbeitete ich mich aus meiner Erstarrung heraus, ließ mich von den klaren Anweisungen leiten – und klammerte mich an die Hoffnung, dass es noch nicht zu spät war.
Als die Rettungskräfte endlich durch die Tür kamen, wich die Erleichterung sofort neuer Angst. Ein Sanitäter kniete sich an Sebastians Stelle und führte die Herzdruckmassage fort, während eine andere Florian die Kleidung aufschnitt. Ich sah, wie sie Sensoren auf seinen viel zu dünnen Brust klebte, während ich noch verzweifelt versuchte, in seinem Gesicht eine Regung zu erkennen. Dann spürte ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter – sanft, aber bestimmt. „Ich übernehme,“ sagte ein Sanitäter
Ich saß nun neben der Liege, während der Krankenwagen mit heulenden Sirenen durch die Straßen raste. Mein Blick war starr auf Florian gerichtet, mein kleiner Junge, der gerade erst in unser Leben getreten war. Und nun kämpfte er – um was? Um Luft? Um sein Bewusstsein? Um sein Leben?
Der Notarzt sprach mit dem Sanitäter, seine Stimme ruhig, aber bestimmt:
„Sauerstoff läuft mit acht Litern. Blutdruck ist immer noch zu niedrig. Weiter Adrenalingabe vorbereiten. Wir müssen den Kreislauf witer stabilisieren.“
Der Sanitäter nickte, bereitete eine Spritze vor, während ich mich an der kalten Metallbank festhielt, um nicht von der nächsten Kurve herumgeschleudert zu werden. Mir war übel vor Angst.
Dann wandte sich der Notarzt an mich.
„Hat Ihr Sohn so etwas schon einmal gehabt?“
Ich räusperte mich, meine Stimme klang viel zu dünn.
„Florian ist mein Pflegesohn… erst seit einer Woche bei uns. Ich wüsste nicht, dass er so etwas schon einmal hatte.“
Der Notarzt musterte mich kurz, sein Blick wurde weicher, bevor er weitersprach.
„Wissen Sie, ob er an einer bekannten Vorerkrankung leidet? Asthma? Allergien? Irgendeine chronische Erkrankung?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Mir ist nichts bekannt. Seine Akte hatte nur vage Angaben… aber er ist sehr dünn für sein Alter.“
„Gab es vor dem Vorfall etwas Ungewöhnliches? War er krank? Hat er sich beschwert?“
Ich wollte antworten, doch meine Kehle fühlte sich plötzlich eng an. Mein Blick fiel auf Florian, der reglos auf der Trage lag, umringt von Notfallmedizinern. Mein kleiner Junge, der noch vor wenigen Stunden mit strahlenden Augen auf dem Traktor gesessen hatte. Mein kleiner Junge, der mit mir in der Küche stand, mir half, so stolz darauf, ein Teil unserer Familie zu sein.
Ich schluckte schwer, versuchte mich zu konzentrieren. Denken, Annette!
„Er war heute Morgen ruhig…“ Meine Stimme klang fremd, brüchig. Ich zwang mich weiterzusprechen, während meine Gedanken fieberhaft durch den Tag rasten. „Unsicher, wie so oft, aber das ist nichts Ungewöhnliches für ihn. Er hat gegessen, mit uns geredet… Und dann hatte er Spaß beim Traktorfahren. Er hat mir in der Küche geholfen, alles schien normal.“
Normal.
Das Wort hallte in meinem Kopf nach, während mir das Herz schwer wurde. Alles war so gut gewesen. Kein Anzeichen, keine Vorwarnung. Und jetzt lag er da, leblos, verletzlich. Ich wollte mehr sagen, irgendetwas, das ihnen helfen konnte – aber mein Kopf war leer, gefüllt nur mit der schrecklichen Angst, ihn zu verlieren.
Der Notarzt tauschte einen Blick mit dem Sanitäter.
„Es könnte eine Stoffwechselstörung sein, ein unerkannter Infekt oder eine Vergiftung. Wir checken das gleich im Krankenhaus.“
Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Stoffwechselstörung? Vergiftung? Ich hatte doch gedacht, ich passe auf ihn auf. Hätte ich es merken müssen? Hätte ich etwas tun können?
Während ich seine kleine, kalte Hand hielt, schloss ich die Augen und betete – zu wem auch immer, dass er durchhält. Dass dieser Samstag nicht der Tag wird, an dem wir ihn verlieren.
Die Fahrt mit dem Krankenwagen war eine einzige verschwommene, sirenendurchdröhnte Hölle gewesen. Ich hielt mich an der kalten Kante der Trage fest, als wir endlich zum Stehen kamen. Sofort wurden die Türen aufgerissen, Stimmen schwirrten um mich herum.
„Männlicher Patient, sieben Jahre alt, bewusstlos. Zustand nach Krampfanfall mit anschließender Reanimation durch Ersthelfer – erfolgreich. Intubation vor etwa dreißig Minuten, assistierte Beatmung läuft stabil.“
„Kreislauf instabil – Blutdruck zuletzt 80 zu 40. SpO₂ bei 92 Prozent unter acht Litern Sauerstoff. Keine äußeren Verletzungen. Kind ist auffallend klein und untergewichtig, Gewicht geschätzt bei 16 bis 18 Kilogramm.“
„Adrenalin nach Reanimationsschema verabreicht – insgesamt drei Gaben à 0,1 Milligramm i.v.“
„Verdacht auf Intoxikation oder metabolische Entgleisung. Pflegekind, medizinische Vorgeschichte nicht vollständig dokumentiert.“
Der Notarzt sprach in schnellem, routiniertem Ton, während Florian von mehreren Krankenschwestern und Ärzten übernommen wurde. Ich versuchte, an seiner Seite zu bleiben, doch eine Hand berührte sanft meinen Arm.
„Kommen Sie bitte hier rüber, wir kümmern uns um ihn.“
Mein ganzer Körper sträubte sich gegen den Gedanken, auch nur einen Schritt von ihm wegzugehen. Doch ich wusste, dass ich den Ärzten Platz machen musste. Also trat ich unsicher zurück, blieb aber in Reichweite, während sie ihn auf die große, grelle Liege der Notaufnahme hoben. Kabel wurden angeschlossen, ein Monitor begann zu piepen. Sein kleiner Körper lag so reglos da, so schrecklich blass.
„Er reagiert nicht auf Schmerzreiz,“ sagte eine Ärztin, während sie seine Pupillen mit einer Lampe überprüfte.
„Miosis,“ murmelte eine andere.
Ich wusste nicht, was das bedeutete, aber die Art, wie sie sich ansahen, ließ meine Angst nur noch wachsen.
„Toxikologische Ursache sehr wahrscheinlich,“ sagte der Notarzt nun mit ernster Miene. „Die Pflegeeltern sind nicht sicher, ob er Vorerkrankungen hat. Plötzlicher Kreislaufzusammenbruch, hypoton, hypoventilierend… Wir brauchen eine Blutgasanalyse, und ein Tox-Screening.“
„Könnte eine Vergiftung sein,“ stimmte der behandelnde Arzt zu, während eine Krankenschwester bereits mit einer Spritze Blut aus der Kanüle in Florians Arm zog.
Vergiftung? Mein Herz setzte einen Schlag aus.
„Aber womit?“ Meine Stimme klang heiser, fast fremd.
Niemand konnte mir eine Antwort geben. Während ein Arzt eine Infusion vorbereitete und eine Schwester Medikamente auf einem Tablett bereitlegte, wurde mir langsam bewusst, dass niemand wusste, was mit Florian los war.
Die verzweifelte Suche nach der Ursache.
Ich hörte sie über mögliche Ursachen sprechen – Insulin-Schock, Hirnblutung, ein epileptischer Anfall. Aber nichts passte richtig zusammen.
Dann sah ich, wie ein Arzt die Blutergebnisse ausdruckte und runzelte die Stirn.
„Glukose ist normal… keine Hinweise auf eine Ketoazidose… Blutdruck weiter im Keller, Pupillen immer noch eng… Das passt nicht zu einem normalen Kreislaufkollaps.“
Eine Ärztin trat näher an den Monitor.
„CO2-Werte erhöht… Hypoventilation ist nicht rein metabolisch. Das riecht nach einer zentraldämpfenden Substanz.“
„Sedativa? Opioide?“ fragte der Notarzt.
Mein Atem stockte.
„Sedativa? Sie meinen… eine Art Beruhigungsmittel?“
Der Arzt wandte sich mir zu.
„Hat Florian Zugang zu Medikamenten? Könnte er etwas aus Ihrer Hausapotheke genommen haben?“
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Nein! Unmöglich!
„Nein! Nein, um Gottes Willen!“, platzte es aus mir heraus. Ich schüttelte heftig den Kopf und spürte, wie meine Hände vor Aufregung zitterten.
„Außer ein paar Kopfschmerztabletten haben wir nichts im Haus – und die sind sicher verstaut. Er hätte da niemals drankommen können! Außerdem war er kaum drei Minuten weg. Ich hatte gerade das Essen vorbereitet und ihn rausgeschickt, damit er meinen Mann und meinen Sohn zum Essen ruft.“
Die Vorstellung allein schnürte mir die Kehle zu. Hatte ich wirklich an alles gedacht? Hatte ich irgendetwas übersehen?
Die Panik in meiner Stimme ließ meine Brust eng werden. Ich suchte verzweifelt nach Antworten – was war mit Florian passiert?
Ich stand ein paar Schritte von der Liege entfernt, die Arme um mich geschlungen, als könnte ich mich so selbst zusammenhalten. Alles um mich herum wirkte hektisch und doch seltsam geordnet. Die Ärzte und Schwestern arbeiteten mit ernsten, konzentrierten Mienen, tauschten Worte aus, die ich nicht verstand – zumindest nicht vollständig. Aber ich hörte die Dringlichkeit in ihren Stimmen, und das war mehr als genug, um mir Angst zu machen.
„Wir brauchen eine Urinprobe.“
Ich beobachtete, wie eine Schwester an die Liege trat und vorsichtig Florians Windel öffnete. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Er regte sich nicht, zeigte keine Reaktion. Mit ruhigen Handgriffen befestigte die Schwester einen kleinen Beutel an ihm.
„Blutdruck 85 zu 50, Herzfrequenz 130, Sauerstoffsättigung schwankt,“ hörte ich einen der Ärzte sagen.
Ich verstand nicht jedes Wort, aber niedrig und schwankt klangen nicht gut.
„Wir geben weiterhin Vollelektrolytlösung, 100 Milliliter pro Stunde,“ ordnete ein Arzt an. Eine Schwester hängte einen Beutel mit einer klaren Flüssigkeit an einen Ständer und verband den dünnen Schlauch mit der Kanüle in Florians Arm.
Ein weiteres Gerät wurde herangerollt. Eine Ärztin zog sich Handschuhe an und trug eine durchsichtige Flüssigkeit auf Florians Bauch auf. Dann setzte sie ein kleines Gerät darauf, das mit einem Monitor verbunden war – ein Ultraschall. Ich erkannte es aus meiner Schwangerschaft mit Sebastian.
„Ich mache einen schnellen Ultraschall des Abdomens, um innere Blutungen oder Auffälligkeiten auszuschließen.“
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Innere Blutungen?
Die Ärztin fuhr mit konzentrierter Miene mit dem Gerät über Florians Bauch. Ich hielt den Atem an.
„Kein Hinweis auf freie Flüssigkeit, keine vergrößerten Organe. Sieht unauffällig aus.“
Ich spürte, wie meine Schultern sich ein kleines Stück senkten, doch die Anspannung ließ nicht nach.
Der Arzt nickte knapp. „Gut. Wir testen das Blut und den Urin auf Giftstoffe, Infektionen und Stoffwechselentgleisungen.“
Ich stand immer noch an der gleichen Stelle, während ich die Szene vor mir beobachtete. Die Schwester, die den Urinbeutel angebracht hatte, löste ihn nun vorsichtig. Ich sah, wie sie die kleine Menge Flüssigkeit in ein Röhrchen umfüllte, es beschriftete und dann mit schnellen Schritten den Raum verließ.
Währenddessen trat eine andere Schwester näher an Florian heran und schloss seine Windel wieder. Es war eine fast beiläufige Bewegung – mechanisch, routiniert. Aber für mich hatte es etwas Beruhigendes. Es wirkte fast wie ein Zeichen dafür, dass er nicht nur ein Patient war, sondern immer noch ein kleiner Junge, um den sich gekümmert wurde.
Ich hielt den Atem an, während die Monitore weiterhin seine Werte anzeigten. 85 zu 50… 130 Schläge pro Minute… Sauerstoffsättigung schwankend. Ich verstand nicht alles, aber ich sah die Blicke der Ärzte, die sich immer wieder zwischen den Zahlen auf den Bildschirmen und Florians Körper bewegten.
Eine Schwester überprüfte die Infusion, die gleichmäßig tropfte. Sein kleiner Arm lag still neben ihm, mit einem dünnen Schlauch verbunden. „Wir lassen die Flüssigkeit weiterlaufen, er reagiert stabil darauf,“ hörte ich einen der Ärzte sagen.
Mein Herzschlag verlangsamte sich einen Moment. Stabil? Bedeutete das, dass es ihm besser ging? Ich wagte kaum zu hoffen.
Die Ärztin mit dem Ultraschallgerät räumte es zur Seite und trat zu den anderen. „Kein Hinweis auf innere Blutungen oder Organveränderungen,“ sagte sie, während sie sich die Handschuhe auszog.
„Wir geben ihm noch etwas Zeit,“ antwortete der Arzt. „Die Infusion wirkt, sein Kreislauf bleibt stabil. Sobald wir die weitern Laborergebnisse haben, wissen wir mehr.“
Erleichterung breitete sich in mir aus. Sein Zustand schien sich nicht zu verschlechtern. Vielleicht, nur vielleicht, würde das alles gut ausgehen.
Doch dann begann das Piepen der Monitore erneut zu wechseln. Ich sah, wie die Zahlen sich veränderten, langsamer wurden. Die Gespräche zwischen den Ärzten wurden drängender.
„Blutdruck sinkt! 80 zu 45 und fallend!“
„Er braucht Vasopressoren, sofort! Katecholamine aufziehen!“
Mein Blick flog zwischen den Gesichtern der Ärzte hin und her. Die Worte rauschten an mir vorbei, ich verstand sie nicht wirklich, aber ich spürte die Anspannung, die plötzlich den Raum erfüllte. Das hier war ernst. Sehr ernst.
Meine Beine fühlten sich weich an, und ich musste mich gegen die Wand lehnen, um nicht umzukippen. Die Tränen, die ich so lange zurückgehalten hatte, brannten in meinen Augen.
Ich wollte etwas sagen, wollte wissen, was genau sie jetzt taten, doch ich bekam keinen Ton heraus.
Plötzlich trat eine der Schwestern zu mir. Ihre Stimme war sanft, aber bestimmt. „Frau Wagner, bitte kommen Sie mit mir.“
Ich blinzelte sie verwirrt an. „Was? Nein, ich bleibe hier! Ich kann ihn nicht allein lassen!“
„Die Ärzte tun alles, was sie können. Aber Sie müssen jetzt den Raum verlassen.“ Ihre Hand legte sich sanft auf meinen Arm, doch ihre Haltung zeigte, dass sie nicht mit sich diskutieren lassen würde.
Ich schüttelte den Kopf, spürte, wie sich Panik in mir ausbreitete. „Bitte, ich muss hierbleiben!“
„Wir kümmern uns um Ihn. Ich verspreche es Ihnen,“ sagte sie leise. „Aber jetzt ist es besser, wenn Sie mit mir kommen.“
Ich wollte protestieren, wollte mich losreißen, doch ich wusste, dass es nichts bringen würde. Wiederwillig ließ ich mich von ihr aus dem Raum führen, während mir das Herz schwer wurde. Mit jedem Schritt spürte ich, wie die Distanz zwischen mir und Florian wuchs, und ich konnte nichts dagegen tun.
Die Schwester brachte mich in einen separaten Raum, einen kleinen, ruhigen Bereich mit einem Tisch und ein paar Stühlen.
Ich setzte mich, meine Beine fühlten sich wackelig an. Die Tränen, die ich zuvor unterdrückt hatte, liefen mir nun ungehindert über die Wangen. Ich wischte sie nicht weg.
Ich konnte nur hoffen. Hoffen, dass ich ihn nicht zum letzten Mal gesehen hatte.
Sebastian:
Der Krankenwagen fuhr mit heulenden Sirenen los, der Notarztwagen folgte direkt dahinter. Ich stand immer noch da, unfähig, mich zu bewegen, während ich die roten Lichter in der Ferne verschwinden sah. Mein Herz hämmerte gegen meine Brust, und mein Magen fühlte sich an, als würde er sich umdrehen.
Florian…
Das Bild von ihm, regungslos auf dem Boden liegend, ließ mich nicht los. Ich hatte ihn beatmet, seine Brust bewegt sich unter meinen Händen, doch er hatte nicht reagiert. Und jetzt war er in diesem Krankenwagen – bewusstlos, mit Schläuchen und Drähten an ihm. War er überhaupt noch…?
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Papas Stimme mich erreichte.
„Sebastian, wo hast du die Schlüssel vom Bus?“
Ich blinzelte und brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er mich meinte. Hastig griff ich in meine Jackentasche und reichte ihm die Schlüssel.
„Los, einsteigen! Wir fahren hinterher.“
Papas Stimme war fest, aber ich hörte die Anspannung darin. Ohne zu zögern sprang ich auf den Beifahrersitz, und kaum hatte ich die Tür zugeschlagen, trat er das Gaspedal durch. Ein Blick auf den Tacho ließ mich schlucken – er fuhr schneller, als erlaubt war, aber das war mir gerade völlig egal. Sollte uns doch jemand blitzen. Er holte schnell auf und reihte sich direkt hinter den Notarztwagen ein.
Papas Hände umklammerten das Lenkrad, seine Augen waren starr auf die Straße gerichtet.
„Was ist genau passiert?“ fragte er mit ernster Stimme.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich bin gerade mit dem Auto auf den Hof gefahren, da stand Pierre neben meinem Wagen. Ich wollte ihn begrüßen, aber dann… da lag Florian einfach auf dem Boden.“
Ich schluckte.
„Ich habe erst nicht begriffen, dass er bewusstlos ist. Ich dachte, er wäre vielleicht hingefallen oder würde sich ausruhen. Ich habe Pierre gefragt, was los ist, aber er hat mich einfach nur angeschaut. Kein Wort gesagt, er sah irgendwie… geschockt aus.“
Papas Stirn legte sich in Falten.
„Hat er ihn angefahren?“
„Nein, das denke ich nicht.“
„Was dann?“
Ich rieb mir über das Gesicht, versuchte, meine Gedanken zu ordnen.
„Ich weiß es nicht genau… Es sah so aus, als hätte Florian Red Bull getrunken. Eine leere Dose lag neben ihm, und er hatte was davon über sich gekippt.“
Papa runzelte die Stirn. „Wo hat Florian das her?“
„Pierre trinkt das Zeug wie andere Wasser. Ich habe ihm schon oft gesagt, dass es nicht gesund ist, aber er kommt nicht davon los. Ich verstehe nur nicht, warum er Florian etwas davon gegeben hat.“
Papa presste die Lippen zusammen. „Und du denkst, er hat das Getränk nicht vertragen?“
Ich seufzte. „Klar, so viel Koffein ist für seinen kleinen Körper nicht gut. Aber dass er einfach zusammenbricht? Das passt nicht.“
Mein Magen zog sich erneut zusammen. „Vielleicht eine allergische Reaktion?“
„Und warum ist Pierre dann weggefahren?“ fragte Papa scharf.
Ich schüttelte den Kopf. „Wenn ich das wüsste… Schock? Panik? Keine Ahnung.“
Ich biss mir auf die Lippe. „Der Notarzt sprach von einer Vergiftung. Und… Florians Reaktion passt nicht zu einem anaphylaktischen Schock.“
„Einem was?“
„Einem anaphylaktischen Schock – das ist eine extreme allergische Reaktion.“
Papa dachte einen Moment nach, dann sah er mich kurz an. „Vielleicht solltest du Pierre mal anrufen und fragen, was passiert ist.“
Ich rieb mir die Schläfen. „Stimmt… irgendwie stehe ich noch neben mir.“
Mit zittrigen Fingern zog ich mein Handy aus der Tasche und wählte Pierres Nummer. Es klingelte. Einmal. Zweimal. Fünfmal. Dann sprang die Mailbox an.
„Er nimmt nicht ab.“
Papa drückte die Lippen zusammen. „Vielleicht steht er noch unter Schock, so wie er davon gefahren ist.“
Ich nickte langsam. „Hoffentlich baut er keinen Unfall… Ich versuche es später noch mal. Vielleicht ruft er zurück, wenn er sich wieder gefangen hat.“
Der Krankenwagen und der Notarztwagen fuhren durch ein großes Tor in den Bereich der Notaufnahme. Wir konnten dort nicht hinterherfahren, also suchte Papa einen Parkplatz auf dem Besucherparkplatz. Sobald der Bus stand, stiegen wir aus und eilten ins Krankenhaus.
An der Anmeldung blieb Papa stehen und sprach die Frau am Empfang an.
„Hallo, mein Pflegesohn wurde gerade in die Notaufnahme eingeliefert. Meine Frau sollte bei ihm sein. Wie kommen wir dorthin?“
Die Frau sah uns aufmerksam an. „Wie heißt denn Ihr Pflegesohn?“
„Florian Brock.“
„Und sein Geburtsdatum?“
Papa zögerte einen Moment, dann seufzte er. „Ich muss gestehen, dass ich es nicht auswendig weiß. Er ist erst seit einer Woche bei uns.“
Die Frau nickte verständnisvoll. „Wie lange ist das her, dass er eingeliefert wurde?“
„Gerade eben, wir sind direkt hinterhergefahren,“ warf ich ein.
Sie tippte etwas in ihren Computer und sah dann wieder auf. „Dann steht er wahrscheinlich noch nicht im System. Sie können aber nicht einfach so in die Notaufnahme gehen.“
Ich fühlte, wie sich meine Hände zu Fäusten ballten. Ich wollte einfach nur wissen, wie es Florian ging.
„Gehen Sie hier links nach hinten und folgen Sie der roten Linie an der Wand. Am Ende des Ganges finden Sie hinter einer Glastür einen Wartebereich. Dort können Sie warten.“
Ich atmete tief durch, versuchte, die Ungeduld in mir zu unterdrücken.
„Ich trage Sie als Angehörige ins System ein. Man wird Sie informieren, sobald es möglich ist. Dafür brauche ich noch Ihre Namen.“
„Markus und Sebastian Wagner,“ sagte Papa ruhig.
„Okay, Herr Wagner, ich habe das vermerkt.“
Ich nickte ihr kurz zu, dann folgte ich Papa in den angegebenen Wartebereich.
Ich wusste nicht, was mich erwarten würde, als wir den Raum betraten, aber der Anblick traf mich wie ein Schlag.
Mama saß auf einem Stuhl, zusammengesunken, als hätte ihr Körper all seine Kraft verloren. Ihre Schultern bebten unter leisen, unterdrückten Schluchzern, ihr Gesicht war in ihren Händen verborgen. Neben ihr kniete eine Krankenschwester, sprach leise auf sie ein, eine Hand beruhigend auf ihrem Arm.
Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Alles in mir schrie danach, dass es eine gute Nachricht sein musste, dass Florian wach war, dass er sich erholt hatte – aber Mamas zitternde Gestalt ließ mir keine Luft mehr zum Atmen.
Meine Angst um Florian verstärkte sich ins Unermessliche. Ich hatte ihn erst wenige Stunden gekannt, aber es fühlte sich an, als wäre er schon immer mein kleiner Bruder gewesen. Von dem Moment an, als ich ihn im Schnee gefunden hatte, war da etwas gewesen – ein unbestimmtes Gefühl, das über bloße Verantwortung hinausging. Es war nicht nur Mamas Wunsch gewesen, ihn aufzunehmen. Es war auch meiner.
Florian gehörte zu uns. Zu mir.
Ich dachte an seine zögerlichen, schüchternen Blicke, als wir uns kennengelernt hatten, an die Art, wie er sich an Mama klammerte, als könnte er nicht glauben, dass jemand ihn wirklich wollte. Ich dachte an sein Lächeln, als wir mit dem Lego bauten, dieses vorsichtige, aber echte Lächeln, als hätte er zum ersten Mal das Gefühl gehabt, einfach nur Kind sein zu dürfen.
Und jetzt lag er irgendwo in diesem Raum – vielleicht immer noch bewusstlos, vielleicht… nein. Ich konnte diesen Gedanken nicht zu Ende denken.
Meine Hände ballten sich unbewusst zu Fäusten, während ich tief einatmete und auf Mama zuging.
„Mama…?“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Sie hob den Kopf langsam, ihre Augen waren gerötet und voller Schmerz. Tränen liefen ihr über die Wangen, doch als sie mich ansah, versuchte sie ein schwaches, gebrochenes Lächeln.
Ich schluckte schwer. „Wie… wie geht es ihm?“
Ich brauchte eine Antwort. Irgendeine. Alles in mir zog sich zusammen in der verzweifelten Hoffnung, dass sie mir sagen würde, dass Florian durchkommen würde. Dass ich ihn wiedersehen würde. Dass ich noch eine Chance hätte, sein großer Bruder zu sein.
„Ich weiß es nicht, Sebastian…“ Mamas Stimme war kaum mehr als ein ersticktes Flüstern, brüchig, voller Schmerz. „Es sah erst besser aus, und dann… dann fiel plötzlich sein Blutdruck. Ich… ich musste raus.“
Ihre Worte trafen mich mitten ins Herz. Ich spürte, wie meine Beine weicher wurden, wie sich ein dumpfes, schweres Gefühl in meiner Brust ausbreitete. Florian ging es also nicht besser. Im Gegenteil.
Ich konnte kaum atmen. Ich wollte Antworten. Ich wollte Gewissheit. Aber stattdessen bekam ich nur diese hilflose Angst, die mich fast zerriss.
Die Schwester, die eben noch beruhigend auf Mama eingeredet hatte, sah uns mit einem sanften, aber wachsamen Blick an. Sie schien den Moment zu verstehen, schien zu wissen, dass wir jetzt Zeit brauchten.
„Ich lasse Ihnen einen Moment mit Ihrer Familie,“ sagte sie leise, mit einer Ruhe, die mir seltsam fremd erschien. „Falls Sie mich brauchen, ich bin gleich da hinten am Tresen.“
Sie deutete auf einen nahegelegenen Bereich, wo andere Pflegekräfte geschäftig zwischen Monitoren und Patientenakten arbeiteten. „Falls Ihnen schwindelig wird oder Sie sich unwohl fühlen, sagen Sie mir bitte sofort Bescheid, ja?“ Ihr Blick ruhte eindringlich auf Mama, als wollte sie sicherstellen, dass sie sich nicht völlig aufgab.
Mama nickte schwach, wirkte aber nicht wirklich anwesend. Ihre Hände lagen verkrampft in ihrem Schoß, und ich sah, wie ihre Finger unbewusst den Stoff ihrer Hose zwischen sich rieben.
Die Schwester zögerte kurz, als wollte sie noch etwas sagen, entschied sich dann aber dagegen. Stattdessen schenkte sie mir einen kurzen, ermutigenden Blick, bevor sie sich langsam entfernte – weit genug, um uns Raum zu geben, aber nah genug, um eingreifen zu können, falls Mama… falls Mama zusammenbrach.
Ich wusste, dass das eine Möglichkeit war. Ich hatte sie noch nie so gesehen – so verloren, so gebrochen. Und ich wusste nicht, ob ich stark genug war, um das für sie zu sein, was sie jetzt brauchte. Aber ich musste es sein.
Also tat ich das Einzige, was ich tun konnte. Ich kniete mich vor sie, legte vorsichtig meine Hände um ihre zittrigen Finger und hielt sie einfach fest. Für sie. Für mich. Für Florian.
Papa setzte sich neben Mama und umarmte sie fest, als könnte er sie mit seiner bloßen Anwesenheit davor bewahren, noch weiter in sich zusammenzufallen. Sie lehnte sich an ihn, ließ sich von ihm halten, doch ihr Blick blieb leer, ihre Schultern bebten leicht mit jedem zittrigen Atemzug.
Ich wusste nicht, wie lange wir so dasaßen. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Keiner von uns sagte etwas. Was hätte man auch sagen sollen? Nichts konnte die Angst lindern, nichts konnte uns die Gewissheit geben, dass Florian es schaffen würde. Also schwiegen wir. Jeder in seinem eigenen Chaos aus Gedanken und Gefühlen gefangen.
Ich spürte, wie meine Hände sich unruhig zu Fäusten ballten, meine Finger verkrampft in den Stoff meiner Hose griffen. Ich konnte nicht einfach nur hier sitzen. Ich musste etwas tun.
Ich zog mein Handy aus der Tasche und entsperrte es mit zittrigen Fingern. Mein Blick fiel auf den Namen, der mir fast schon fremd erschien. Pierre. Mein Kiefer spannte sich an, während ich die Anruftaste drückte. Das Freizeichen ertönte – einmal, zweimal, dreimal. Keine Antwort. Ich biss mir auf die Lippe und versuchte es erneut. Wieder nichts.
Mein Puls begann schneller zu schlagen, doch diesmal nicht vor Angst – sondern vor Wut. Wo war er? Warum nahm er nicht ab?
Ich schloss die Augen und atmete tief ein, versuchte meine Gedanken zu ordnen. Aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr stieg die Wut in mir hoch wie eine Welle, die ich nicht mehr kontrollieren konnte.
Egal, was passiert war. Egal, ob er unter Schock stand. Er konnte doch nicht einfach davonfahren!
Ich ballte die Faust so fest, dass meine Nägel sich in meine Haut gruben. Er hätte uns wenigstens sagen müssen, was passiert ist! Vielleicht war es genau diese eine Information, die Florian jetzt retten konnte! Vielleicht hätte irgendetwas von dem, was er gesehen oder getan hatte, den Ärzten helfen können! Und stattdessen? War er einfach abgehauen. Feige. Rücksichtslos.
Ich versuchte es noch einmal. Und noch einmal. Und mit jedem erfolglosen Versuch wurde meine Wut stärker.
Die Zeit verstrich quälend langsam.
Jede Minute zog sich endlos hin – wie eine Ewigkeit. Immer wieder versuchte ich, Pierre zu erreichen, doch mein Handy blieb stumm. Kein Klingeln, keine Nachricht, kein Lebenszeichen.
Mit jedem gescheiterten Versuch wuchs meine Wut, fraß sich durch meine ohnehin schon brüchige Geduld.
Wie konnte er sich einfach nicht melden?
Wie konnte er in so einer Situation so verantwortungslos sein?
Oder… war er gar nicht in der Lage, zu antworten?
War er in Panik von der Straße abgekommen?
Ist er vielleicht selbst verunglückt?
Währenddessen war Papa mehrmals zu den Schwestern gegangen, um nach Florian zu fragen. Jedes Mal kam er mit demselben Ausdruck zurück – dieser Mischung aus Anspannung und Hilflosigkeit. Jedes Mal schüttelte er den Kopf, und jedes Mal zog sich mein Magen noch ein Stück weiter zusammen. Keine Neuigkeiten waren nicht unbedingt schlechte Neuigkeiten, aber sie waren auch nicht das, was wir brauchten.
Ich weiß nicht, wie lange wir so dagesessen hatten, doch plötzlich öffnete sich die Tür. Ein Mann Mitte fünfzig trat ein, sein weißer Kittel verriet sofort, dass er ein Arzt war. Er wirkte ruhig, aber sein ernster Blick ließ mein Herz sofort schneller schlagen.
In mir zog sich alles zusammen.
Der Arzt ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, dann richtete er sich auf Mama, die mit verweinten Augen und einem Gesicht voller Erschöpfung aufblickte. „Gehören Sie alle zur Familie?“ Seine Stimme war ruhig, aber seine Frage ließ mich noch nervöser werden.
Mama schluckte schwer, wischte sich mit zitternden Fingern über die Wangen und nickte dann. Ihre Stimme brach, als sie sprach: „Ja… wie geht es Florian?“
Ich hielt den Atem an.
Der Arzt sah kurz zu Papa, dann zu mir, bevor er antwortete: „Florian ist stabil und außer Lebensgefahr. Aber sein Zustand bleibt weiterhin kritisch.“
Für einen Moment stand die Welt still.
Die Worte hallten in mir nach, und ich brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, was sie bedeuteten. Stabil. Außer Lebensgefahr. Ich fühlte, wie ein gewaltiger Druck von meiner Brust fiel, als wäre eine unsichtbare Hand, die mich die ganze Zeit gewürgt hatte, endlich verschwunden.
Ich sah zu Mama. Ihre Lippen bebten, ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen – doch diesmal waren es nicht nur Tränen der Angst. Auch Papa atmete tief durch, als wäre er zum ersten Mal seit Stunden nicht mehr gefangen in dieser endlosen Anspannung.
Die Erleichterung, die mich durchfuhr, war unbeschreiblich.
Ich wollte etwas sagen, aber meine Kehle war wie zugeschnürt. Mein Kopf sank nach vorn, meine Hände zitterten leicht, als ich sie ineinander verschränkte. Es fühlte sich an, als hätte ich die Luft die ganze Zeit angehalten und könnte jetzt endlich wieder richtig atmen.
Doch bevor ich mich von diesem Gefühl mitreißen lassen konnte, sprach der Arzt weiter: „Wir haben jetzt die Ergebnisse aus der Urinprobe…“
Mein Herz schlug erneut schneller. Die Angst, die mich gerade noch verlassen hatte, kroch in meine Brust zurück. Was hatte Florian im Körper? Was hatte ihn so aus dem Leben gerissen?
Ich konnte den Ausdruck auf Mamas Gesicht sehen – dieselbe Angst, dieselbe Frage. Wir warteten. Auf Antworten. Auf Gewissheit. Auf die Wahrheit.
Der Arzt hielt einen Moment inne, als wollte er seine Worte sorgfältig abwägen. Sein Blick war ernst, aber nicht kalt – professionell, aber nicht emotionslos. Dann setzte er langsam an:
„In Florians Urin haben wir Gamma-Hydroxybuttersäure nachgewiesen – kurz GHB. Diese Substanz wirkt stark dämpfend auf das zentrale Nervensystem und wird umgangssprachlich als KO-Tropfen bezeichnet. Sie kann zu tiefer Bewusstlosigkeit, Krampfanfällen und vor allem zu schwerer Atemdepression führen – genau das, was bei Florian passiert ist.“
Ein eisiger Schauer lief mir über den Rücken. KO-Tropfen. Das konnte doch nicht wahr sein. Wer würde so etwas einem Kind antun?
Mama rang nach Luft, ihre Hand klammerte sich an Papas Arm, als bräuchte sie etwas, an dem sie sich festhalten konnte. Papa wirkte angespannt, seine Miene versteinert, aber seine Finger zuckten leicht – ein sicheres Zeichen dafür, dass es in ihm brodelte.
„Die gute Nachricht ist,“ fuhr der Arzt fort, „dass diese Substanz relativ schnell vom Körper abgebaut wird. Das bedeutet, dass Florian sich in den nächsten Stunden oder spätestens in den nächsten ein bis zwei Tagen vollständig von der Wirkung erholen sollte.“
Ein kurzer Moment der Erleichterung durchfuhr mich – aber dann sah ich den ernsten Ausdruck in den Augen des Arztes und wusste, dass es noch ein aber gab.
„Allerdings,“ fuhr er fort, „hängt seine vollständige Erholung nicht nur davon ab, wie schnell die Substanz abgebaut wird. Viel entscheidender ist, wie lange sein Gehirn möglicherweise ohne ausreichende Sauerstoffzufuhr war.“
Mein Herz setzte einen Schlag aus.
„Wie meinen Sie das?“ fragte Mama mit brüchiger Stimme.
Der Arzt sah sie direkt an. „Florian hatte einen Atemstillstand. Wir wissen nicht genau, wie lange er aufgehört hat zu atmen, bevor die Wiederbelebung begonnen wurde. Das ist ein entscheidender Faktor, wenn es um mögliche Folgeschäden geht. Je länger das Gehirn ohne Sauerstoff war, desto höher ist das Risiko, dass es langfristige Beeinträchtigungen gibt.“
Mama schnappte hörbar nach Luft. Papa legte sofort einen Arm um sie, hielt sie fest, als hätte er geahnt, dass sie in sich zusammenfallen könnte.
Ich schluckte schwer.
„Aber… Sie haben ihn doch wieder stabilisiert, oder? Sein Kreislauf funktioniert wieder?“
Meine Stimme klang rau, beinahe flehend.
„Und wir haben sofort mit der Beatmung begonnen – direkt nachdem er sich übergeben hatte.“
Der Arzt nickte. „Ja, sein Kreislauf ist stabil, und das ist ein sehr gutes Zeichen. Aber wir müssen weiterhin beobachten, ob neurologische Auffälligkeiten auftreten, sobald er wieder von der Beatmung genommen wird. Es kann sein, dass er sich ohne Probleme erholt – es kann aber auch sein, dass wir in den nächsten Tagen erst erkennen, ob es Beeinträchtigungen gibt.“
Meine Finger krallten sich in den Stoff meiner Hose. Florian musste doch einfach wieder aufwachen. Normal sein. Alles musste einfach wieder gut werden.
„Was tun Sie jetzt für ihn?“ fragte Papa mit ernster Stimme.
„Wir versorgen ihn weiterhin mit Flüssigkeit und stabilisieren seinen Kreislauf. Er bleibt vorerst intubiert und wird maschinell beatmet, um sicherzustellen, dass er ausreichend Sauerstoff bekommt. Sobald sein Körper zeigt, dass er wieder selbstständig atmen kann, werden wir versuchen, ihn vorsichtig zu extubieren. Danach werden wir seine neurologische Reaktion genau beobachten – Pupillenreaktion, Reflexe, Bewusstsein. Das gibt uns Hinweise darauf, ob es Folgeschäden gibt.“
Mama schluchzte leise. Ich hatte noch nie gesehen, dass sie so wirkte – so zerbrechlich, so völlig am Boden zerstört.
Dann richtete der Arzt seinen Blick auf mich. „Jetzt eine ganz wichtige Frage: Wissen Sie, wie Florian mit dieser Substanz in Kontakt gekommen ist?“
Ich spürte, wie sich meine Kiefermuskeln anspannten. Pierre.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein…“ Ich schluckte schwer. „Aber ich werde es herausfinden.“
Der Arzt musterte mich kurz, dann nickte er. „Das wäre wichtig. Wenn wir wissen, wann und in welcher Menge er es aufgenommen hat, könnte uns das helfen, seinen Zustand besser einzuschätzen. Falls Sie irgendeinen Verdacht haben, lassen Sie es uns bitte wissen.“
Ich nickte, aber innerlich kochte ich. Ich hatte eine sehr genaue Vorstellung davon, wer mir diese Antwort geben konnte.
Der Arzt hielt kurz inne, als wolle er Mama einen Moment Zeit geben, das Gesagte zu verarbeiten. Doch seine Stimme blieb ruhig und bestimmt, als er fortfuhr:
„Da Florian minderjährig ist, müssen wir sowohl das Jugendamt als auch die Polizei informieren.“
Mama zuckte leicht zusammen, dann nickte sie langsam, ihre Hände verkrampften sich in ihrem Schoß. Ihre Anspannung war greifbar, aber sie widersprach nicht. Natürlich musste die Polizei informiert werden. Jemand hatte Florian diese Substanz verabreicht – sei es absichtlich oder fahrlässig. Und das durfte nicht einfach unbeantwortet bleiben.
Der Arzt fuhr fort: „Wir verlegen Florian jetzt auf die Intensivstation. Dort können wir ihn besser überwachen und ihn in einem ruhigen Umfeld stabilisieren. Sobald der Transport abgeschlossen ist, lasse ich Sie informieren, damit Sie zu ihm können.“
Mama atmete zitternd aus, ihre Finger verkrampften sich so stark, dass ihre Knöchel weiß wurden. „Danke…“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, voller Erschöpfung, voller Angst.
Der Arzt musterte sie kurz, dann fügte er sanft hinzu: „Sollte er wieder zu Bewusstsein kommen, wäre es gut, wenn er ein vertrautes Gesicht erkennt.“
Ich schluckte schwer. Ein vertrautes Gesicht.
Also war nicht sicher, wann – oder ob – er aufwachen würde.
Mama nickte erneut, wischte sich mit einer fahrigen Bewegung eine Träne aus dem Gesicht. „Ich werde da sein.“
Papa legte eine Hand auf ihre Schulter, drückte sie leicht. „Wir beide.“ Seine Stimme war ruhig, aber fest. Unnachgiebig.
Ich konnte nicht still sitzen. Mein Herz raste, meine Hände zitterten vor unterdrückter Wut und Angst. Ich stand auf, fuhr mir durchs Haar und wandte mich an den Arzt. „Wie lange wird es dauern, bis er aufwacht?“
Der Arzt seufzte leise. „Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Das hängt davon ab, wie schnell sein Körper die Substanz abbaut – und davon, ob neurologische Schäden vorliegen.“
Mein Kiefer spannte sich an. Also gab es keine klare Antwort. Keine Garantie.
Ich ballte die Fäuste. Ich konnte nichts tun. Nichts außer warten. Und das machte mich wahnsinnig.
Ich ließ meinen Blick auf Mama ruhen. Sie wirkte müde, ausgelaugt, als hätte die Angst all ihre Energie aus ihr herausgesogen. Ich wollte ihr sagen, dass alles gut wird, dass Florian bald wieder aufwacht – aber ich konnte es nicht. Ich konnte es nicht versprechen.
Also tat ich das Einzige, was ich tun konnte. Ich zog mein Handy aus der Tasche, ging ein paar Schritte zur Seite und versuchte erneut, Pierre zu erreichen.
Kaum dass der Arzt sich von uns abgewandt hatte, atmete Mama tief durch. Ihre Hände lagen auf ihrem Schoß, die Finger leicht verkrampft, als würde sie sich selbst daran hindern, völlig in sich zusammenzusinken.
„Ich muss mit Frau Peters vom Jugendamt und der Polizei telefonieren.“ sagte sie leise, aber bestimmt.
Sie griff nach ihrer Tasche, kramte kurz darin herum – erst langsam, dann hektischer. Ich sah, wie ihre Stirn sich in Falten legte, ihre Atmung schneller wurde. Schließlich ließ sie die Tasche sinken und schloss für einen Moment die Augen.
„Ich hab mein Handy zu Hause liegen lassen…“
Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber ich hörte die aufkeimende Panik darin. Nicht, weil sie das Handy nicht hatte, sondern weil sie gerade jetzt nicht noch mehr Kontrolle verlieren wollte.
Papa reagierte sofort. „Nimm meins.“
Er zog sein Handy aus der Jackentasche und reichte es ihr. Mama nahm es mit leicht zitternden Fingern entgegen, drückte es kurz fest, als müsste sie sich selbst daran erinnern, was sie tun musste. Dann atmete sie tief durch, und entsperrte es. „Hast du die Nummer von Frau Peters im Speicher?“
Papa nickte knapp. „Ja, unter ‚Frau Peters Jugendamt‘.“
Ich konnte sehen, wie sie sich zwang, die Fassung zu bewahren, während sie wartete, dass jemand ranging. Doch in ihren Augen lag diese unbändige Erschöpfung, die Angst, die selbst jetzt nicht nachließ.
Während sie auf die Verbindung wartete, ließ ich meinen Blick auf mein eigenes Handy sinken. Keine neue Nachricht. Kein Anruf. Pierre blieb verschwunden.
Annette:
Ich drückte das Handy fester an mein Ohr, während meine Finger sich um den Stoff meiner Hose krallten. Mein ganzer Körper fühlte sich angespannt an, als könnte ich nicht einen Moment länger still stehen.
„Peters?“
Die vertraute Stimme von Elke Peters klang am anderen Ende der Leitung, geschäftsmäßig wie immer, doch ich hörte, wie sie sofort aufmerkte.
„Hallo Elke, hier ist Annette Wagner. Ich rufe vom Telefon meines Mannes an.“
Eine kurze Pause. Dann ein aufmerksames „Hallo Annette. Wie geht es dir? Und wie geht es Florian?“
Ich presste meine Lippen aufeinander und spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Wie sollte ich das in Worte fassen? Ich hatte das Gefühl, als würde ich mit jedem Satz, den ich aussprach, die Realität nur noch greifbarer machen – und das machte mir Angst.
„Elke, ich bin gerade im Krankenhaus. Es sind schlimme Dinge passiert.“
Am anderen Ende wurde es kurz still. Dann, mit eindringlichem Tonfall: „Was ist passiert?“
Ich holte tief Luft, doch als ich die Worte aussprach, zitterte meine Stimme. „Florian wurden K.o.-Tropfen verabreicht.“
„Wie bitte?!“ Elke klang nun nicht mehr nur aufmerksam – sie klang alarmiert.
Ich schloss für einen Moment die Augen, als könnte ich die Bilder aus meinem Kopf verdrängen. Florian, bewusstlos im Wohnzimmer. Sein blasses Gesicht, die blauen Lippen. Wie wir, verzweifelt um sein Leben kämpften.
„Wo und wie ist das passiert? Und wie geht es ihm?“
Ich schluckte schwer und zwang mich, weiterzusprechen. „Er wird gerade von der Notaufnahme auf die Intensivstation verlegt. Der Arzt sagt, er ist jetzt außer Lebensgefahr…“
Doch bevor ich weitersprechen konnte, entglitt mir die Stimme. Ein Schluchzen brach aus mir heraus, und ich konnte es nicht mehr unterdrücken. Meine freie Hand fuhr fahrig über mein Gesicht, während ich verzweifelt versuchte, mich zu sammeln. Ich musste reden. Ich musste erklären.
Mit brüchiger Stimme fuhr ich fort: „Wo und wie genau… so richtig wissen wir es noch nicht. Es ist bei uns auf dem Hof passiert. Florian lag bewusstlos draußen im Schnee, bei Sebastian seinem Freund. Er sollte eigentlich nur Markus und Sebastian zum Essen holen.“
„Und wie kommt Florian an K.o.-Tropfen?“ fragte Elke nun mit ernster, fast anklagender Stimme.
Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf, auch wenn sie es nicht sehen konnte. „Ich weiß es nicht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, was da passiert ist.“
„Was sagt der Freund von Sebastian dazu?“
Ich biss mir auf die Lippe. „Bisher nichts. Er hat während der ganzen Geschehnisse den Hof verlassen – und reagiert auch nicht auf Anrufe.“
„Annette… nimmt dein Sohn oder sein Freund Drogen?“
Ich zuckte zusammen. „NEIN!“ Die Empörung schoss mir sofort durch die Kehle. „Sebastian würde so etwas nie anrühren!“
„Annette, ich verstehe deine Reaktion, so würde so ziemlich jede Mutter reagieren. Aber bist du dir ganz sicher?“
Mein Herz schlug schneller. „Elke! Ja, bin ich! Ich kenne meinen Sohn!“
„Und was ist mit dem Freund von Sebastian?“
Ich öffnete den Mund, wollte sofort „Nein!“ sagen – aber dann hielt ich inne.
Mein Blick wanderte zu Sebastian. Er saß ein paar Schritte entfernt, das Handy am Ohr, doch dann ließ er es langsam sinken. Seine Lippen waren zu einer schmalen Linie gepresst, seine Augen funkelten vor Frustration, als er den Kopf schüttelte. Pierre hatte wieder nicht abgehoben.
Ein unangenehmes Ziehen breitete sich in meiner Magengrube aus. Ich spürte, wie mein Magen sich zusammenkrampfte, während mir die Erkenntnis langsam in die Glieder fuhr. Es konnte nur von Pierre kommen.
Ich räusperte mich und sprach mit rauer Stimme: „Elke… du hast recht. Es kann eigentlich nur von Pierre kommen. Also von Sebastians Freund. Deswegen ist er bestimmt auch abgehauen…“
Ein kaltes Gefühl kroch in meine Brust. Mir wurde schlecht. Der Raum schien sich enger anzufühlen, als würde die Luft plötzlich dünner.
„Elke… ich rufe dich zurück. Ich muss mit Sebastian sprechen – und die Polizei anrufen.“
„Nein, Annette, du musst mich nicht zurückrufen“, sagte sie sofort, ihre Stimme fest und zugleich voller Wärme. „Ich komme zu dir ins Krankenhaus. Seid ihr in Hof?“
Ich schloss kurz die Augen, zwang mich zur Ruhe. „Ja“, antwortete ich leise. „Wir sind in Hof.“
„Annette, Florian schafft das!“, sagte sie bestimmt. Keine Floskel, kein Trost aus der Ferne – es war, als würde sie mir ihre Zuversicht direkt mitgeben. „Ich bin in einer halben Stunde bei euch.“
Tränen stiegen mir in die Augen. Ich rang nach Worten.
„Danke“, flüsterte ich. Es war alles, was ich in dem Moment herausbrachte. Aber sie verstand.
Mein Blick wanderte durch den Raum, bis er auf Sebastian fiel. Er stand ein Stück weiter, sprach leise mit Markus. Die beiden wirkten angespannt, aber das waren wir alle. Wie hätte es auch anders sein können? Ich wusste, dass ich mit Sebastian sprechen musste, dass ich eine Frage stellen musste, die mir das Herz zerriss. Aber ich konnte nicht anders. Ich brauchte Gewissheit.
Ich ging zu den beiden hinüber, und als sie mich bemerkten, schwiegen sie. Ich räusperte mich, spürte, wie meine Hände feucht wurden, wie mein Magen sich zusammenzog. Dann sagte ich:
„Frau Peters vom Jugendamt ist unterwegs.“
Sebastian und Markus nickten, ohne ein Wort zu sagen. Sie warteten darauf, dass ich weitersprach. Ich sah Sebastian direkt an.
„Sebastian… mir fällt diese Frage wirklich nicht leicht.“
Er blickte mich erwartungsvoll an, seine Stirn legte sich leicht in Falten. Ich wusste, dass er spürte, dass jetzt etwas kam, das ihn treffen würde.
Ich holte tief Luft. „Hast du irgendetwas mit Drogen zu tun?“
Sebastian riss die Augen auf. „Mama, nein!“ Seine Stimme war laut, fast empört. „Du weißt, dass ich Drogen verabscheue!“
Ich atmete langsam aus. Ich glaubte ihm. Ich wollte ihm glauben.
„Und Pierre?“
Ich sah, wie er sofort reagieren wollte, den Mund schon geöffnet hatte – doch dann hielt er inne. Die Entschlossenheit in seinem Blick wich einem Ausdruck von Unsicherheit.
„Nein, Mama…“ Seine Stimme klang jetzt leiser, als würde er die Worte erst abwägen. „Zumindest glaube ich das… aber…“
Er fuhr sich durch die Haare, sein Atem ging schneller. Ich sah, wie seine Finger sich an seiner Hose verkrampften, wie er begann, nervös hin und her zu wippen.
„Fuck! … Pierre, du Arschloch…“ Er ballte die Fäuste. „Und ich hab ihn auch noch mitgebracht…“
Ich spürte, wie in mir alles enger wurde. Es tat weh, ihn so zu sehen. Die Erkenntnis traf ihn mit voller Wucht, sein Gesicht war blass, seine Augen weit aufgerissen.
„Mama, ich weiß es nicht. Aber es ist die einzige Erklärung!“
Seine Stimme bebte. Ich schluckte schwer. „Zu demselben Schluss bin ich auch gerade gekommen.“
Markus, der bisher schweigend zugehört hatte, schnaubte leise, dann sah er mich an. „Ihr denkt, dass Pierre Florian dieses Zeug verabreicht hat?!“
Ich nickte langsam.
Sebastian drehte sich abrupt zu Markus. „Er ist der Einzige, der in Frage kommt!“ Seine Stimme war jetzt lauter, aufgewühlt. „Scheiße… Papa, ich hab ihn mitgebracht! Ich hab ihm vertraut! Ich… ich hab nicht mal gemerkt, was los war!“
Ich wollte etwas sagen, wollte ihn beruhigen, aber was hätte ich sagen sollen? Es war die Wahrheit. Wir hatten Pierre vertraut. Wir alle. Und jetzt lag Florian auf der Intensivstation.
Markus atmete schwer ein, sein Gesicht war hart, seine Kiefermuskeln angespannt. „Sieh zu, dass du ihn erreichst. Und wenn du ihn hast, dann sag ihm, dass er verdammt nochmal hierherkommen soll!“
Ich konnte die Wut in seiner Stimme spüren, und ich fühlte sie selbst.
Ich richtete mich auf, spürte, wie meine Atmung sich wieder beschleunigte. „Ich werde jetzt mit der Polizei telefonieren. Es ist bestimmt besser, wenn wir sie rufen, bevor das Krankenhaus es tut.“
Sebastian sah mich an, und in seinen Augen lag nicht nur Wut – da war auch Schuld, da war auch Angst.
Ich konnte es nicht mehr mit ansehen. Die Art, wie Sebastian dastand – die Schultern hochgezogen, die Hände zu Fäusten geballt, sein ganzer Körper eine einzige, angespannte Welle aus Schuld und Verzweiflung. Sein Atem ging unregelmäßig, seine Augen glänzten, und ich wusste, dass es nur noch Sekunden dauerte, bis ihn die Emotionen endgültig überrannten.
Also tat ich das Einzige, was ich tun konnte. Ich zog ihn fest in meine Arme.
„Es tut mir leid, Sebastian.“ Meine Stimme war weich, voller Schmerz. „Ich weiß, dass du damit nichts zu tun hast.“
Zuerst blieb er steif, als könne er meine Worte nicht annehmen. Doch dann spürte ich, wie sein Körper unter meinen Armen zu zittern begann, wie seine Fäuste sich in meinem Rücken verkrampften, als würde er sich an mir festhalten, um nicht den Halt zu verlieren.
Und dann hörte ich es. Ein unterdrücktes, verzweifeltes Schluchzen.
„Nein, Mama… ich habe ihn mit zu uns nach Hause gebracht…“ Seine Stimme brach, erstickt von all den Emotionen, die er nicht mehr zurückhalten konnte. „Es ist meine Schuld.“
Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich strich ihm beruhigend über den Rücken, hielt ihn noch ein bisschen fester.
„Nein, Sebastian.“ Meine Stimme war fest, entschlossen. „Keiner konnte das ahnen. Wir haben ihm genauso vertraut.“
Er schüttelte den Kopf, löste sich ein Stück aus der Umarmung und sah mich mit roten Augen an. „Aber wenn Florian nicht wieder aufwacht…“
Mein Atem stockte für einen Moment. Der Gedanke war da, lauerte in den dunkelsten Ecken meiner Angst, aber ich durfte ihn nicht zulassen. Nicht jetzt. Nicht hier.
Ich nahm Sebastians Gesicht zwischen meine Hände, zwang ihn, mich anzusehen.
„Nein, Sebastian! Florian wird wieder aufwachen. Und er wird es schaffen.“
Ich schluckte schwer, doch meine Stimme blieb stark.
„Wir haben ihn. Du hast ihm das Leben gerettet. Du hast nicht gezögert, du hast ihn beatmet, du hast ihn am Leben gehalten. Und weil du das getan hast, wird er es schaffen!“
Seine Unterlippe bebte, seine Augen füllten sich erneut mit Tränen. Dann nickte er, ganz langsam, als wollte er versuchen, meinen Worten zu glauben.
Ich wusste, dass er Zeit brauchte. Zeit, um sich von der Schuld zu lösen, die eigentlich nicht seine war. Aber das Wichtigste war, dass er verstand.
Er war kein Grund für Florians Leid. Er war der Grund, warum Florian überhaupt noch eine Chance hatte.
Ich atmete tief durch und wischte mir mit zitternden Fingern die Tränen aus dem Gesicht. Ich musste mich zusammenreißen. Jetzt war nicht der Moment für Verzweiflung – jetzt brauchten wir Klarheit, wir brauchten Antworten. Und wir brauchten die Polizei.
Ich griff nach dem Handy und spürte, wie meine Hände immer noch leicht bebten. Ein tiefer Atemzug. Dann wählte ich die Nummer der Polizei.
Das Freizeichen ertönte, mein Herz hämmerte gegen meine Rippen.
Nach wenigen Sekunden meldete sich eine sachliche, aber freundliche Stimme:
„Polizeinotruf, was kann ich für Sie tun?“
Ich schluckte schwer, versuchte, meine Gedanken zu ordnen. „Mein Name ist Annette Wagner, ich rufe aus dem Klinikum Hof an. Mein Pflegesohn liegt auf der Intensivstation. Ihm wurden offenbar K.o.-Tropfen verabreicht.“
Ein kurzer Moment der Stille, dann wurde die Stimme am anderen Ende ernst. „Verstehe, Frau Wagner. Ihr Pflegesohn – wie alt ist er?“
„Sieben Jahre.“ Die Worte kamen mir nur schwer über die Lippen. Es fühlte sich falsch an. Sieben Jahre – und er lag bewusstlos in einem Krankenhausbett wegen einer Droge, die niemals in seine Nähe hätte kommen dürfen.
„Und was genau ist passiert? Haben Sie Informationen darüber, wie er die Substanz zu sich genommen hat?“
Ich rieb mir mit der freien Hand über die Stirn. „Wir wissen es nicht genau. Florian wurde bewusstlos auf unserem Hof gefunden. Der Arzt hat bestätigt, dass es sich um K.o.-Tropfen handelt.“
Ich hörte, wie der Polizist am anderen Ende tief einatmete. „Verstehe. Gibt es Hinweise darauf, wer diese Substanz verabreicht haben könnte?“
Mein Blick wanderte zu Sebastian, der mich mit angespannten Augen beobachtete. Ich nickte ihm leicht zu, dann sagte ich:
„Es gibt einen Verdacht. Ein Freund meines Sohnes, Pierre… Er war mit Florian draußen, aber dann ist er plötzlich vom Hof verschwunden. Er hat sich bisher nicht gemeldet und geht nicht ans Telefon.“
Ein kurzes Tippen auf einer Tastatur, dann fragte der Polizist weiter: „Haben Sie eine vollständige Namensangabe zu dieser Person?“
Ich nickte, auch wenn er es nicht sehen konnte. „Ja, Pierre Vogel. Er ist zwanzig Jahre alt.
Jedes Detail zählte. Je mehr die Polizei wusste, desto größer war die Chance, dass sie Pierre fanden. Und mit ihm vielleicht endlich die Wahrheit darüber, was mit Florian passiert war.
Nachdem ich die Informationen weitergegeben hatte, fragte der Polizist: „Wie ist der aktuelle Gesundheitszustand des Kindes?“
Ich schloss kurz die Augen, versuchte, meine Gedanken zu sortieren. „Er ist außer Lebensgefahr, aber sein Zustand ist weiterhin kritisch. Er ist noch intubiert und wird künstlich beatmet. Die Ärzte beobachten ihn, um festzustellen, ob es Folgeschäden gibt.“
„Danke für die Informationen, Frau Wagner. Ich werde die Situation an unsere Kollegen weiterleiten. Eine Streife wird so schnell wie möglich ins Krankenhaus kommen, um mit Ihnen zu sprechen.
Ich atmete schwer aus, nickte unbewusst. „Danke.“
„Bleiben Sie in der Nähe des Krankenhauses erreichbar, wir melden uns, sobald jemand da ist.“
„Ja… wir bleiben hier.“
Ich ließ das Handy langsam sinken und schloss für einen Moment die Augen. Die Anspannung in meinem Körper war unerträglich, aber zumindest hatte ich etwas getan. Zumindest bewegte sich jetzt etwas.
Ich sah zu Sebastian, der mich mit einer Mischung aus Erwartung und Angst ansah.
„Die Polizei kommt.“
Er nickte, biss sich auf die Lippe und sah mich an, seine Augen voller Fragen, auf die wir beide keine Antwort hatten. Warum hat er das getan? Was bringt ihm das? Was hatte er mit Florian vor?
Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenzog. All diese Fragen bohrten sich tief in meinen Kopf, aber sie führten zu nichts. Wir konnten nur spekulieren.
„Das werden wir erst erfahren, wenn Florian aufwacht oder wenn Pierre sich dazu äußert.“ Meine Stimme klang fester, als ich mich eigentlich fühlte.
Sebastian schüttelte den Kopf, fuhr sich durch die Haare. „Wenn Florian aufwacht, wird er sich vermutlich an nichts mehr erinnern. K.o.-Tropfen werden oft eingesetzt, damit Opfer wehrlos sind und sich danach an nichts erinnern können.“
Ein Schauer lief mir über den Rücken. Ich wollte gar nicht weiter über den Kontext dieser Aussage nachdenken – nicht in Bezug auf Pierre. Nicht in Bezug auf Florian.
Was wäre passiert, wenn Sebastian nicht dazugekommen wäre?
Ich schloss für einen Moment die Augen, verdrängte die Gedanken. Wir hatten keine Antworten – nur Angst und Ungewissheit.
Da öffnete sich eine Tür, und eine Schwester trat in den Wartebereich.
„Frau Wagner?“
Ich hob den Kopf und sah sie an. „Ja?“
„Sie können jetzt zu Ihrem Sohn. Aber bitte nur eine Person.“
Mein Herz machte einen Sprung. Ich nickte, sah kurz zu Markus und Sebastian. Beide nickten mir aufmunternd zu. Ich wusste, dass sie mich verstanden, dass sie wussten, dass ich jetzt bei Florian sein musste.
Ohne ein weiteres Wort folgte ich der Schwester.
Der Flur war hell erleuchtet, aber die sterile, fast unnatürliche Stille ließ mir eine Gänsehaut über die Arme laufen. Jeder Schritt fühlte sich schwer an, als würde die Luft um mich herum dichter werden.
Wir betraten den Fahrstuhl, und ich spürte, wie mein Puls sich beschleunigte, je höher wir fuhren. Ein leises Piepen, dann öffneten sich die Türen. Der Gang hier war anders als in der Notaufnahme – ruhiger, ernster. Keine Hektik, kein Stimmengewirr, nur ein gelegentliches Piepen von Geräten aus den angrenzenden Räumen.
Am Ende des Gangs blieb die Schwester vor einer Tür stehen. Über dem Rahmen prangte ein Schild: „Zutritt nur für Personal“. Sie griff nach einem kleinen Anhänger, hielt ihn an einen Sensor, und mit einem leisen Summen entriegelte sich die Tür.
Hinter ihr erstreckte sich ein großer Raum mit einem zentralen, eckigen Tresen, um den herum mehrere Monitore aufgereiht waren. Ich erkannte sofort die Zahlen und Kurven, die in stetigem Rhythmus über die Bildschirme liefen – Sauerstoffsättigung und Herzfrequenz.
Es war derselbe Anblick wie in der Notaufnahme. Aber hier wirkte alles noch ernster, noch überwältigender.
Um diesen zentralen Bereich herum führten Türen in einzelne Zimmer. Die Schwester führte mich zu einem davon. Mein Herz pochte so laut, dass ich kaum noch etwas anderes hören konnte.
Dann traten wir ein.
Mein Atem stockte, als ich ihn sah.
Florian lag reglos in dem viel zu großen Krankenhausbett. Sein kleiner Körper wirkte zerbrechlich unter den weißen Laken, fast verloren zwischen all den Schläuchen und Kabeln, die an ihm befestigt waren.
Sein Gesicht war blass, seine Augen geschlossen. Ein Beatmungsschlauch ragte aus seinem Mund, die Maschinen um ihn herum gaben in regelmäßigen Abständen leise Töne von sich. Sein Brustkorb hob und senkte sich mechanisch, nicht aus eigener Kraft, sondern weil das Beatmungsgerät es für ihn tat.
Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Ich wusste, dass die Maschinen ihm halfen, dass sie notwendig waren – aber es wirkte so unwirklich, so grausam.
Ich trat langsam näher, meine Finger berührten die kühle Bettkante.
„Oh, Florian…“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Er sah so klein aus, so verletzlich. Ich hatte ihn erst seit einer Woche in meinem Leben – und doch fühlte es sich an, als hätte ich ihn schon immer gekannt. Als wäre er schon immer mein Sohn gewesen.
Ich ließ mich langsam auf den Stuhl neben dem Bett sinken. Behutsam nahm ich seine Hand – sie wirkte klein in meiner, kalt und reglos. Auf seinem anderen Arm, leicht zur Seite gedreht, sah ich das durchsichtige Pflaster, unter dem die Infusion in eine feine Vene führte. Der Schlauch wirkte viel zu groß für seinen schmalen Arm – ein stilles Zeichen dafür, wie ernst es um ihn stand.
Ich wollte etwas sagen, ihm sagen, dass ich hier war, dass er nicht allein war. Aber meine Kehle war wie zugeschnürt.
Stattdessen saß ich einfach nur da, hielt seine Hand und versuchte, meinen eigenen Herzschlag zu beruhigen. Ich war hier. Und ich würde bleiben. So lange, bis er wieder aufwachte.
Die Schwester sprach mit sanfter Stimme, als sie sich zur Tür wandte.
„Ich bin nebenan, wenn Sie etwas brauchen.“
Ich drehte meinen Kopf leicht zu ihr, sah für einen Moment in ihr mitfühlendes Gesicht und nickte langsam. Ich wollte etwas sagen – vielleicht Danke, vielleicht einfach Ich hoffe, ich brauche Sie nicht – aber kein Wort kam über meine Lippen.
Als sie den Raum verließ, richtete ich meinen Blick wieder auf Florian. Mein kleiner Junge.
Er lag so still da, die feinen, blonden Haare fielen ihm in die Stirn. Vorsichtig hob ich meine Hand, ließ meine Finger sanft über seine Haut gleiten. Seine Stirn war kühl, weicher als ich es mir vorgestellt hatte, fast zerbrechlich.
Ein sanftes Streicheln, mehr wagte ich nicht. Ich wollte ihn nicht stören. Ich wollte ihn nur spüren.
Ich schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Die Erinnerungen an die Notaufnahme überrollten mich. Die hektischen Stimmen, die lauten Pieptöne, das kalte Gefühl der Angst, das mich fast erstickt hatte. Ich hatte dort gestanden, hilflos, hatte nur beobachten können, wie sie um ihn kämpften. Jede Sekunde war eine Qual gewesen.
Und jetzt? Jetzt durfte ich hier sitzen. Jetzt durfte ich ihn berühren, seine Hand halten, seine Haut fühlen. Jetzt durfte ich hoffen.
Mein Herz klopfte leise in meiner Brust, während ich mich ein wenig vorbeugte, meine Finger weiterhin sanft über seine Stirn gleiten ließ. Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber es war das Einzige, was ich für ihn tun konnte.
„Ich bin da, mein Schatz… Mama ist bei dir.“
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, meine Stimme bebte leicht. „Ich bleibe hier, bis du wieder aufwachst.“
Ich wollte, dass er es wusste, auch wenn er mich nicht hören konnte. Ich wollte, dass er spürte, dass er nicht allein war. Dass er kämpfen konnte, weil ich hier war – weil wir alle hier waren.
Ich hielt seine kleine Hand in meiner, spürte die Wärme, das leichte Zittern meiner eigenen Finger.
„Ich lasse dich nicht allein.“
Und ich meinte jedes einzelne Wort.
Sebastian:
Ich starrte auf das Display meines Handys, den Daumen fest auf der Wahlwiederholung. Noch einmal. Vielleicht diesmal.
Doch diesmal klingelte es nicht einmal mehr. Direkt die Mailbox.
Ich spürte, wie sich ein Knoten in meiner Brust bildete, während ich das Telefon langsam sinken ließ. Meine Finger krampften sich um das Gerät, als könnte ich es mit purem Willen dazu bringen, mir endlich eine Antwort zu geben. Aber Pierre schwieg.
Feige.
Ich biss die Zähne zusammen und atmete schwer aus, als ich das Handy in meine Hosentasche schob.
„So oft wie du es jetzt schon versucht hast, macht es keinen Sinn mehr.“ Papas Stimme war ruhig, aber ich hörte die Erschöpfung darin. „Er wird nicht rangehen. Sonst hätte er schon längst zurückgerufen.“
Ich wusste, dass er recht hatte. Natürlich hatte er recht. Pierre war abgehauen, hatte sich aus dem Staub gemacht und ignorierte jetzt jede einzelne meiner Nachrichten. Er wusste genau, dass wir ihn suchen.
Aber was sollte ich sonst tun? Einfach nichts tun? Das Warten fraß mich auf.
Ich schnaubte leise und ließ mich tiefer in den Stuhl sinken, den Kopf gegen die Wand gelehnt. Florian lag auf der Intensivstation, und Pierre war einfach weg. Ich konnte es nicht begreifen. Ich konnte es nicht akzeptieren.
Ich hatte gerade wieder das Handy aus der Tasche gezogen – auch wenn ich selbst nicht wusste, warum –, als die Tür aufging und eine ältere Frau den Raum betrat.
Sie wirkte entschlossen, ihr Blick wanderte durch den Raum, bis er auf Papa fiel. Kaum dass er sie erblickte, richtete er sich auf.
„Frau Peters.“
Die Frau – Elke Peters, fiel es mir wieder ein – nickte, und ein leichtes Schmunzeln huschte über ihr Gesicht.
„Wir waren doch schon beim Du, Markus.“
Papa seufzte und fuhr sich müde über das Gesicht. „Ja, Elke… es tut mir leid. Ich bin einfach nur durch mit den Nerven.“
Sie musterte ihn kurz, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf mich.
„Du bist bestimmt Sebastian?“
Ich nickte und stand auf, reichte ihr die Hand. Sie schüttelte sie mit festem Griff.
„Hallo, Sebastian. Ich bin Elke Peters. Du darfst mich gerne Elke nennen.“
„Hallo, Elke.“ Meine Stimme klang rauer, als ich es beabsichtigt hatte, aber sie schien es nicht zu bemerken.
„Wo ist Annette?“ fragte sie dann.
Papa lehnte sich zurück und sah auf die Uhr. „Sie ist vor zwanzig Minuten zu Florian auf die Intensivstation gegangen.“
Elkes Miene wurde weicher. „Okay… und wie geht es Florian?“
Papa seufzte. „Wir wissen nicht mehr als vorhin, als Annette mit dir telefoniert hat.“
Stille.
Ich sah zu Boden und ballte die Hände zu Fäusten. Ich hasste diese Stille. Ich hasste dieses Gefühl der Machtlosigkeit.
Florian kämpfte um sein Leben, Pierre war weg – und alles, was wir tun konnten, war warten.
In diesem Moment betraten zwei Polizisten den Wartebereich. Beide trugen dunkelblaue Uniformen mit reflektierenden Schriftzügen, Pistolen am Gürtel, Funkgeräte an der Schulter. Ihr Auftreten war ruhig, aber man merkte sofort das sie eine Autorität ausstrahlen.
Die Frau war vielleicht um die vierzig, schlank, mit streng zusammengebundenen blonden Haaren. Ihre Augen wirkten wach und aufmerksam, der Blick routiniert, aber nicht unfreundlich. Neben ihr stand ein breitschultriger Mann, etwa zehn Jahre jünger, mit kurzgeschnittenem dunklem Haar und einem ernsten Gesicht. Er wirkte eher wie der ruhige Beobachter – einer, der viel registrierte, aber wenig sagte.
Sie blieben vor uns stehen, beide hielten kurz inne, dann fragte die Frau in einem sachlichen Ton:
„Frau Wagner?“
Bevor Papa oder ich reagieren konnten, meldete sich Frau Peters ruhig zu Wort. „Nein, Frau Peters. Jugendamt.“
Papa machte sofort einen Schritt nach vorn. „Sie sind aber richtig hier. Ich bin Markus Wagner, das ist mein Sohn Sebastian.“
Ich nickte den beiden nur kurz zu. Mein Magen war flau, mein Herz schlug zu schnell.
„Meine Frau ist gerade auf der Intensivstation bei unserem Pflegesohn Florian.“
„Die Polizistin nickte kurz und deutete auf ihren Begleiter. ‚Das ist mein Kollege, Oberkommissar Lessing. Ich bin Hauptkommissarin Lehmann.‘“
Ihr Kollege nickte nur kurz zur Begrüßung.
Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass alles lauter wurde – das Piepen in der Ferne, das Rauschen der Lüftung, sogar mein eigener Atem. Sie waren hier. Jetzt wurde es offiziell. Jetzt war es nicht mehr nur unsere Sorge.
Ich konnte nur hoffen, dass sie die richtigen Fragen stellten. Und dass wir endlich Antworten bekamen.
Die Polizisten standen nun dicht bei uns, beide aufmerksam, aber ruhig. Ich konnte die Anspannung in meinem Nacken spüren – nicht, weil sie unfreundlich wirkten, sondern weil allein ihre Anwesenheit alles noch realer machte. Jetzt ging es nicht mehr nur um Angst. Jetzt ging es um Ermittlung. Um Verantwortung. Um Wahrheit.
Die Hauptkommissarin – Frau Lehmann – blickte sich kurz um und wandte sich dann ihrem Kollegen zu.
„Herr Lessing, könnten Sie bitte das Krankenhauspersonal fragen, ob uns ein ruhiger Raum zur Verfügung gestellt werden kann?“
Der Polizist nickte knapp und ging zielstrebig auf eine der Schwestern zu, die hinter dem Tresen standen. Ich sah ihm nach, wie er etwas erklärte und die Schwester daraufhin mit einem ernsten Nicken in Richtung eines Seitengangs zeigte.
In der Zwischenzeit wandte sich Frau Lehmann wieder uns zu.
„Wir würden gerne in Ruhe mit Ihnen sprechen. Können Sie uns bitte in groben Zügen schildern, was passiert ist?“
Ich schluckte. Mein Mund war plötzlich trocken. Aber ich wusste, dass ich jetzt reden musste. Also atmete ich tief ein und begann.
„Ich war mit dem Auto meiner Eltern unterwegs – eine Auslieferungsfahrt. Als ich zurückkam… fand ich meinen kleinen Bruder – also den Pflegesohn meiner Eltern – draußen im Schnee liegen.“
Meine Stimme zitterte leicht, aber ich versuchte, ruhig zu bleiben. Ich zwang mich, ihr in die Augen zu sehen.
„Er war bewusstlos. Pierre, also mein Freund, stand neben ihm. Ich… ich habe Florian sofort ins Haus getragen und von dort aus den Notruf gewählt.“
Ich wollte weitersprechen – über die Seitenlage, die Wiederbelebung, über alles, was danach kam – doch die Kommissarin hob sanft die Hand.
„Okay. Danke.“ Sie machte sich eine kurze Notiz auf ihrem Block und sah dann zu Papa. „Wo waren Sie zu diesem Zeitpunkt?“
Papa richtete sich auf, sah sie mit ernster Miene an. „Ich habe von all dem nichts mitbekommen. Ich war zu diesem Zeitpunkt im Hühnerstall beschäftigt.“
Frau Lehmann nickte langsam. Sie wirkte konzentriert, nicht misstrauisch – aber sie hörte genau zu, nahm jedes Detail auf.
Dann drehte sie sich wieder zu mir.
„Herr Wagner, ich würde gerne mit ihnen als Erstes sprechen, wenn das für sie in Ordnung ist.“
Ich nickte stumm. Mein Herz klopfte laut, aber ich wusste: Das war jetzt wichtig.
Ich folgte der Hauptkommissarin schweigend. Ihr Kollege – Oberkommissar Lessing – kam uns gerade entgegen, offenbar hatte er mit einer Schwester gesprochen. Sie nickten sich kurz zu.
„Herr Lessing, alles geklärt?“
„Ja, Zimmer am Ende des Gangs. Besprechungsraum.“
Frau Lehmann wandte sich wieder mir zu. „Kommen Sie bitte mit.“
Gemeinsam gingen wir den Flur entlang. Ich lief zwischen ihnen, fühlte mich plötzlich seltsam eingeengt.
Obwohl ich wusste, dass ich nichts falsch gemacht hatte, wuchs ein unangenehmes Gefühl in mir. So mussten sich Menschen fühlen, die etwas verbrochen hatten.
Die Schritte der beiden Polizisten neben mir klangen ruhig und kontrolliert – meine eigenen schienen irgendwie zu laut, zu schwer.
Der Raum, in den ich geführt wurde, lag etwas abseits. Tageslicht fiel durch große Fenster, und ein ovaler Tisch stand in der Mitte, umgeben von schlichten, grauen Stühlen. Die Luft war kühl, aber nicht unangenehm. Es wirkte sachlich, nüchtern – nicht bedrohlich, aber auch nicht einladend. Ein Ort für Gespräche, die niemand führen will.
„Setzen Sie sich bitte.“
Ich tat es, nickte leicht und ließ mich langsam auf einen der Stühle sinken. Frau Lehmann setzte sich mir gegenüber, ihr Kollege schräg daneben. Sie holte ihren Notizblock heraus, er ein Tablet. Beide sahen mich ruhig an.
„Herr Wagner, wir würden zunächst gern einige persönliche Daten aufnehmen.“
Ich nickte, mein Herz klopfte spürbar schneller. „Sebastian Wagner. Geboren am 9. Dezember 2004 in Hof.“
„Was machen Sie beruflich?“
„Ich studiere Medizin. Erstes Semester. In München. Ich bin nur über das Wochenende zu Hause.“
Meine Stimme klang fester, als ich gedacht hätte – aber in meinem Magen drehte sich alles.
„Könnten Sie uns bitte die Namen und Geburtsdaten Ihrer Eltern nennen?“
„Markus Wagner, geboren am 11. Februar 1982. Und Annette Wagner, geboren am 18. Dezember 1985.“
Frau Lehmann notierte sich alles sorgfältig, ohne große Reaktion. Dann sah sie wieder zu mir hoch.
„Und Ihr Pflegebruder? Darf ich fragen, wie er heißt? Und seit wann er bei Ihrer Familie lebt?“
Ich holte tief Luft.
„Ich… ich kann gar nicht viel über ihn sagen. Er ist sieben Jahre alt. Er wohnt erst seit einer Woche bei meinen Eltern. Ich habe ihn selbst erst gestern zum ersten Mal kennengelernt.“
Die Kommissarin hob kurz die Augenbrauen. „Sie kennen ihn erst seit gestern – sprechen aber von ihm als Ihrem Bruder?“
Ich nickte sofort. „Ja. Für mich ist er das. Auch wenn wir uns erst kurz kennen. Ich kann es nicht erklären, aber… er zählt für mich wie ein vollwertiges Familienmitglied.“
Ich sah ihr direkt in die Augen. Ich meinte jedes Wort. Es war keine Floskel. Florian war mehr als nur ein Pflegekind in diesem Moment geworden.
Frau Lehmann erwiderte meinen Blick einen Moment lang, dann schrieb sie weiter. Kein Urteil. Kein Kommentar. Nur Arbeit – aber ich hatte das Gefühl, dass sie mich verstanden hatte.
Ich atmete langsam aus. Es ging nicht darum, mich zu rechtfertigen. Es ging darum, Florian zu helfen – und dafür würde ich alles tun, was nötig war.
„Er heißt Florian… Ich glaube, sein Nachname ist Brock – aber ganz sicher bin ich mir da ehrlich gesagt nicht.“
Hauptkommissarin Lehmann nickte leicht, während sie ruhig weiterschrieb. Ihr Gesicht zeigte keine Reaktion, nur konzentrierte Sachlichkeit.
„In Ordnung. Können Sie mir jetzt bitte so genau wie möglich beschreiben, was passiert ist – ab dem Moment, als Sie am Hof angekommen sind?“
Ich atmete tief durch. Mein Herz klopfte wieder schneller, als die Bilder in meinem Kopf hochkamen – wie ich auf den Hof fuhr, wie ich Pierre sah… und dann Florian.
„Ich kam mit dem Auto meiner Eltern zurück – ich war auf Auslieferungsfahrt. Als ich auf den Hof fuhr, stand Pierre… also mein Freund…“
Ich stockte. Das Wort fühlte sich plötzlich falsch an. Nicht mehr richtig.
Frau Lehmann blickte von ihrem Notizblock auf.
„Ihr Freund? In welcher Beziehung stehen Sie zu ihm?“
Ich zögerte kurz, dann rang ich mich zu einer Antwort durch. „Wir… waren in einer Beziehung. Also… ich glaube, ich muss sagen: Ex-Freund.“
„Verstehe. Sie waren ein Paar, aber jetzt nicht mehr?“
Ich hatte ihn geliebt. Gott, ich hatte Pierre wirklich geliebt. Nicht einfach so – nicht flüchtig oder halbherzig. Es war tief gewesen, echt. Ich hatte geglaubt, er wäre mein Mensch. Jemand, der mich verstand, der mich hielt, wenn alles andere in mir wackelte. In seinen Augen hatte ich mich selbst gesehen – besser, klarer, stärker.
Und jetzt? Jetzt sollte ich ihn hassen. Ich musste ihn hassen. Für das, was er getan hat. Für das, was er Florian angetan hat. Mein kleiner Bruder…
Ich kann es nicht begreifen. Ich will ihn verabscheuen, ich will, dass jeder Gedanke an ihn mir nur noch Übelkeit bereitet. Und manchmal tut er das auch. Aber dann kommt da dieser andere Teil in mir hoch. Der, der sich an sein Lächeln erinnert. An Abende voller Gespräche, an das Gefühl, nicht allein zu sein. Ich erinnere mich daran, wie sehr ich ihm vertraut habe. Wie sehr ich ihn gebraucht habe.
Mein Kopf sagt mir, dass es vorbei ist. Dass alles, was ich in ihm gesehen habe, eine Lüge war. Aber mein Herz… mein Herz hinkt hinterher. Es hat noch nicht begriffen, dass ich ihn nicht mehr lieben darf.
Und wenn ich ehrlich bin, wenn ich ganz ehrlich bin – es tut weh. Es zerreißt mich. Ich hasse ihn, ja. Aber ich hasse auch mich selbst dafür, dass ein Teil von mir ihn vermisst. Dass ich ihn nicht einfach auslöschen kann aus mir.
Wie soll man jemanden gleichzeitig lieben und hassen? Wie soll ich damit leben, dass beides in mir existiert?
Ich will ihn nie wiedersehen. Ich will, dass er verschwindet. Ich will, dass er leidet. Und trotzdem sitze ich hier – mit einer Leerstelle in mir, die einmal er gefüllt hat
„Ja, so ist es. Aber nach dem, was vorhin mit Florian passiert ist… für mich ist das vorbei.“
„In Ordnung.“ Sie machte sich dazu Notizen, ohne weiter nachzuhaken.
„Also… Sie kommen zurück von der Tour und sehen Ihren damaligen Freund?“
„Ja. Er stand bei meinem Auto, das auch auf dem Hof geparkt war. Ich habe den Van meiner Eltern gefahren. Als ich geparkt hatte und ausstieg, wollte ich eigentlich zu Pierre gehen, ihn begrüßen – aber dann habe ich Florian gesehen.“
Meine Stimme wurde brüchig. Ich schluckte schwer. „Er lag im Schnee. Direkt vor Pierre. Bewusstlos.“
Frau Lehmann sah mich ernst an, aber ihre Stimme blieb ruhig. „Warum fuhren Sie mit dem Auto Ihrer Eltern und nicht mit Ihrem eigenen?“
„Der Van hat deutlich mehr Platz. Ich hatte Milch, Snacks und andere Produkte für Verkaufsautomaten dabei – die liefere wir regelmäßig aus. Mit meinem Kleinwagen wäre das gar nicht möglich gewesen.“
„Verstehe.“
Sie schrieb wieder etwas auf. Ich sah zu, wie der Stift über das Papier glitt, und fragte mich, wie viele solche Befragungen sie wohl schon geführt hatte. Ob sie dabei auch mal jemanden vor sich hatte, der sich so machtlos fühlte wie ich jetzt.
Frau Lehmann sah mich ernst an. „Florian lag also bewusstlos am Boden. Was haben Sie dann getan?“
Ich atmete tief durch. Das Bild von ihm im Schnee war wieder so präsent, dass es mir fast die Kehle zuschnürte.
„Ich… ich hab es zuerst nicht realisiert. Ich hab nicht verstanden, was los war. Ich dachte, er wäre einfach nur gestürzt oder hingefallen… ich hab gesagt, er soll aufstehen, weil der Boden zu kalt ist.“
Meine Stimme war leiser geworden. Ich spürte die Scham. Wie naiv ich in dem Moment war. Wie harmlos ich die Situation einschätzen wollte.
Frau Lehmann nickte nur leicht. Keine Wertung in ihrem Gesicht. Dann fragte sie:
„Wie hat Pierre in diesem Moment reagiert?“
„Gar nicht.“ Ich sah sie an, und meine Stimme klang fester. „Er hat mich nicht angeschaut. Sein Blick… ging einfach durch mich durch. Ich dachte, er steht unter Schock. Dass er vielleicht gerade realisiert, was passiert ist.“
Sie machte sich Notizen, kurz und knapp. Dann sah sie wieder auf.
„Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen? Irgendetwas Ungewöhnliches an der Situation?“
Ich nickte langsam, ging in Gedanken nochmal zurück zu diesem Moment.
„Neben Florian lag eine Red-Bull-Dose. Ich habe sie gesehen, aber nicht gleich beachtet. Als ich ihn hochgehoben habe, habe ich gemerkt, dass ein Teil des Getränks auf seiner Jacke war. Das ist mir da erst aufgefallen.“
Frau Lehmann hob kurz den Blick. „Trinkt Florian öfter Energy Drinks?“
„Nein. Auf keinen Fall.“ Ich schüttelte den Kopf. „Meine Eltern würden ihm sowas nie geben. Wir haben sowas auch nicht im Haus.“
„Und Pierre? Trinkt er das?“
„Ja.“ Ich zögerte keine Sekunde. „Er trinkt das ständig. Manchmal zwei, drei Dosen am Tag. Ich hab ihn oft genug damit gesehen.“
Sie notierte auch das. Kein Kommentar, kein Kopfnicken – aber ich spürte, dass sie das registrierte. Dass jedes Detail in ihrem Kopf ein Mosaik bildete.
„Wie ging es dann weiter?“, fragte Frau Lehmann ruhig und schlug eine neue Seite in ihrem Block auf.
Ich atmete tief durch, mein Blick blieb kurz an einem der Fenster hängen. Draußen bewegte sich kaum etwas. Der Winter hatte selbst die Luft schwer gemacht. Ich sah sie wieder an und begann zu erzählen. So genau ich konnte. Ohne etwas auszulassen.
Ich schilderte, wie ich Florian ins Haus getragen hatte. Wie ich ihn hingelegt und den Notruf gewählt hatte. Was die Notrufzentrale gesagt hatte. Wie Mama reagierte. Wie ich begann, ihn zu beatmen. Wie wir versuchten, alles richtig zu machen, während ich dachte, ich verliere ihn.
Frau Lehmann machte sich dabei immer wieder Notizen, manchmal hakte sie nach. Ihre Fragen waren präzise, aber ruhig – trotzdem fühlte ich mich irgendwann wie in einem Verhör.
Sie ließ mich alles durchgehen, ließ nichts offen. Es dauerte. Die Minuten zogen sich, aber ich blieb konzentriert. Ich wollte, dass sie alles verstand. Ich wollte, dass sie die richtigen Schlüsse ziehen konnte.
Irgendwann legte sie den Stift beiseite und blätterte in ihren Notizen ein Stück zurück.
„Ich fasse Ihre Aussage jetzt so zusammen, wie ich sie mitgeschrieben habe.“
Dann begann sie ruhig und konzentriert vorzulesen. Es war vielleicht nicht jedes Wort genau so, wie ich es gesagt hatte – aber sie hatte die wesentlichen Punkte präzise erfasst.
Am Ende sah sie mich mit ruhigem Blick an.
„Ist das so korrekt, Herr Wagner? Oder möchten Sie noch etwas ergänzen oder korrigieren?“
Ich brauchte einen Moment. Die Worte, die sie vorgelesen hatte, klangen so endgültig – fast wie ein Protokoll aus einem Gerichtsverfahren. Ich war erstaunt, wie genau alles erfasst worden war.
„Nein“, sagte ich schließlich leise. „So hat es sich zugetragen.“
Frau Lehmann nickte. Dann sah sie mich wieder direkt an – diesmal mit etwas mehr Nachdruck in der Stimme:
„Also gehen Sie davon aus, Herr Wagner, dass Ihr Freund – beziehungsweise Ihr Ex-Freund – Ihrem Pflegebruder K.o.-Tropfen verabreicht hat?“
Ich zögerte. Der Moment war schwer. Es war das erste Mal, dass es jemand so direkt aussprach.
„Ja“, sagte ich dann. „Es ist die einzige Erklärung. Eine andere habe ich nicht.“
Ich spürte, wie meine Stimme brüchig wurde. Mein Blick senkte sich.
„Ich frage mich die ganze Zeit, warum. Ob ich irgendwas falsch gemacht habe. Ob ich nicht gemerkt habe, wie sich Pierre verändert hat… oder ob er immer so war. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass Florian das nicht verdient hat. Er hat schon so viel durchgemacht. Und ich… ich hab ihn mitgebracht. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich Pierre so falsch eingeschätzt habe.“
Ich fuhr mir mit einer Hand durchs Gesicht, versuchte, die Gedanken zu ordnen. Doch es war zu viel. Die Wut, die Scham, die Trauer.
Frau Lehmann sagte nichts zu meinen Zweifeln. Stattdessen fragte sie sachlich:
„Herr Wagner, ich benötige jetzt bitte den vollständigen Namen von Pierre, sein Geburtsdatum und seine Anschrift.“
Die plötzliche Rückkehr in die Sachlichkeit riss mich fast aus dem Sessel. Ich blinzelte, sammelte mich – dann antwortete ich mechanisch:
„Pierre Vogel. Geboren am 27. August 2003.“
Ich überlegte kurz, dann fuhr fort:
„Er wohnt in Hof, am Theodor-Weidner-Ring 42, 95032 Hof.“
Sie schrieb alles ruhig auf. Keine Miene verzog sich. Ich wusste, dass sie es genau richtig machte. Sachlich bleiben, damit man klar denken kann.
Dann hob sie den Blick, ihre Stimme blieb ruhig:
„Haben Sie auch eine Telefonnummer von ihm?“
Ich nickte knapp, griff automatisch nach meinem Handy, blätterte durch die Kontakte und zeigte ihr den Eintrag. Sie notierte die Nummer, ohne ein Wort.
Aber mir war klar: Für mich war nichts mehr sachlich. Es ging um Florian. Und um einen Verrat, der sich anfühlte wie ein Stich ins Herz.
„Sie sagten vorhin, dass Herr Vogel mit Ihrem Fahrzeug weggefahren ist.“
Ich nickte langsam. Allein der Gedanke daran ließ meine Schultern wieder verkrampfen.
„Was für ein Fabrikat war das Fahrzeug? Und ich benötige außerdem Ihr amtliches Kennzeichen.“
Ich schluckte trocken, antwortete dann:
„Ein neon-grüner VW Golf, Baujahr 2010… also Golf 6. Das Kennzeichen ist HO – SW 1204.“
Als Frau Lehmann ihre Unterlagen zusammenlegte und das Gespräch vorerst beendete, saß ich noch immer wie festgenagelt auf dem Stuhl. Ich spürte, dass sich mein Körper kaum bewegt hatte, seit ich mich hingesetzt hatte. Meine Schultern waren angespannt, meine Hände eiskalt.
Aber das, was sich in mir anfühlte, war schlimmer als jede körperliche Erschöpfung.
Ich starrte auf den Tisch vor mir, während ihre Worte in meinem Kopf wieder hallten. „Ihr Ex-Freund.“
Ich hatte es ausgesprochen. Laut. Es war jetzt Realität. Und doch fühlte es sich an, als hätte ich keine Kontrolle darüber gehabt.
Ich hatte Pierre geliebt.
Oder zumindest hatte ich geglaubt, es zu tun. Ich kannte dieses Gefühl – das Kribbeln, wenn er lächelte, die Wärme, wenn wir zusammen waren. Ich hatte ihm vertraut. Ich hatte ihn in mein Leben gelassen, in meine Familie geführt.
Und jetzt…
Jetzt war da nur Leere. Und Wut. Und Entsetzen.
Wie konnte jemand, den ich so nah an mich herangelassen hatte, so etwas tun?
Ein Teil von mir wollte schreien, wollte ihn zur Rede stellen, wollte wissen, warum. Warum Florian?
Ein Teil von mir… spürte immer noch etwas. Einen Schatten von dem, was da mal gewesen war.
Und genau dieser Teil machte mich fast krank.
Wie kann man jemanden lieben und gleichzeitig so sehr hassen?
Ich dachte an Florian. An seinen kleinen, reglosen Körper. An seine blassen Lippen. An das Piepen der Monitore.
Er kämpft. Um sein Leben. Und ich kann nichts tun, außer warten.
Und Pierre? Der war einfach gegangen. Abgehauen.
Kein Blick zurück. Kein Wort. Kein Erklären.
Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte. Ob ich ihn jemals wirklich gekannt hatte.
Und das war vielleicht das Schlimmste an allem.
Ich schloss kurz die Augen, versuchte, meinen Atem zu beruhigen. Ich musste zurück zu meiner Familie. Zu Mama, zu Papa – und zu Florian.
Denn egal, was mit Pierre war, egal, wie sehr es wehtat:
Jetzt ging es um ihn. Um meinen kleinen Bruder.
Und ich würde ihn nicht im Stich lassen. Nie.
Annette:
Ich saß einfach nur da, neben Florian, ohne mich zu rühren. Meine Finger umschlossen seine kleine Hand, so zart, so still. Sie fühlte sich nicht mehr ganz so kalt an wie vorher – vielleicht war das Einbildung, vielleicht auch Hoffnung.
Ich starrte auf seinen Brustkorb, der sich in gleichmäßigen Abständen hob und wieder senkte. Aber es war nicht sein eigener Atem. Es war die Maschine, die für ihn atmete. Jedes leise Zischen, jedes rhythmische Piepen wurde Teil meiner Welt. Es war beängstigend… und gleichzeitig das Einzige, was mir im Moment Halt gab.
Solange diese Geräte arbeiteten, lebte er.
Ich wollte, dass er spürte, dass ich da war. Dass er nicht allein war. Ich streichelte mit dem Daumen über seinen Handrücken, flüsterte ihm ab und zu leise Worte zu. Worte, die vermutlich nur ich hörte.
Irgendwann kam eine Schwester in den Raum. Sie bewegte sich routiniert, aber leise – mit dieser ruhigen Selbstverständlichkeit, die Menschen haben, die oft mit solchen Situationen konfrontiert sind.
„Ich würde jetzt seine Infusion wechseln.“
Ich nickte nur stumm.
Sie überprüfte alles sorgfältig, warf einen kurzen Blick auf den Monitor, dann schob sie sanft die Decke zur Seite. Ich sah, wie sie sich eine frische Windel vom Regal nahm.
Da war dieser Moment. Dieses Gefühl, etwas tun zu wollen. Etwas Praktisches. Etwas Vertrautes.
„Ich kann das machen“, sagte ich plötzlich, leise, fast zaghaft.
Die Schwester drehte sich zu mir und lächelte. Es war kein mitleidiges Lächeln, sondern ein warmes, mitfühlendes.
„Bleiben Sie ruhig bei Ihrem Sohn sitzen. Ich mache das – das ist für uns nichts Ungewöhnliches.“
Ich sah sie an, mein Blick voller Dankbarkeit und Erschöpfung. Ich nickte langsam, ließ meine Finger weiter auf Florians Hand ruhen.
Sie öffnete vorsichtig die Windel, warf einen kurzen Blick hinein und nickte zufrieden.
„Er hat viel Urin ausgeschieden – das ist sehr gut. Seine Nieren arbeiten auf Hochtouren. Sie bauen das Gift ab.“
Ihre Stimme war ruhig, fast aufmunternd. „Es geht ihm bestimmt bald besser.“
Diese Worte – so einfach, so vorsichtig ausgesprochen – trafen mich tief. Ich hatte Angst, sie zu glauben, aber gleichzeitig wollte ich mich an ihnen festklammern.
Vielleicht… vielleicht war da wirklich Hoffnung.
Ich beugte mich leicht über Florian, drückte sanft seine Hand.
„Hast du gehört, mein Schatz? Du machst das großartig. Ich bin so stolz auf dich.“
Und während die Schwester weiter leise arbeitete, saß ich einfach da.
Still. Wachend. Und hoffend.
Mit leisen Schritten trat eine Ärztin ein. Sie war vielleicht Mitte dreißig, trug ein Namensschild mit „Dr. Riedl, Pädiatrie / Intensiv“ und hatte einen aufmerksamen, aber freundlichen Blick.
„Guten Abend“, sagte sie ruhig und trat an Florians Bett. Die Schwester nickte ihr kurz zu, trat dann einen halben Schritt zurück.
Ich richtete mich ein wenig auf, mein Herz schlug schneller. Die Ärztin schaltete eine kleine Lampe ein und beugte sich vorsichtig über Florian. Mit sanften Fingern hob sie seine Augenlider an und leuchtete kurz in jedes Auge.
Sie lächelte leicht. „Miosis löst sich. Beidseits wieder positive Lichtreaktion.“
Ich sah sie verwirrt an. „Entschuldigung… was bedeutet das?“, fragte ich leise.
Dr. Riedl wandte sich mir zu, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. „Seine Pupillen reagieren wieder auf Licht. Vorhin waren sie starr und eng – das ist bei bestimmten Substanzen typisch, die das zentrale Nervensystem dämpfen. Jetzt sehen wir wieder eine Reaktion. Das bedeutet, sein Gehirn beginnt auf äußere Reize zu antworten – und das ist ein sehr gutes Zeichen.“
Ich spürte, wie meine Kehle sich zuschnürte. Ein gutes Zeichen. Es war das erste Mal, dass jemand das so klar sagte.
Sie sah kurz zur Schwester, die bestätigend nickte. Dann erklärte sie weiter – ruhig, professionell, aber nicht kalt.
„Wir werden jetzt beginnen, die Maschinelle Beatmung schrittweise zu reduzieren. Momentan übernimmt das Gerät noch komplett die Arbeit – aber wenn das Nervensystem sich weiter erholt, sollte Florian selbst wieder atmen können.“
Ich nickte, auch wenn ich innerlich noch nicht alles verstanden hatte. Sie merkte es offenbar.
„Wir machen das sehr behutsam“, fuhr sie fort. „Gerade bei Kindern. Ihr Körper ermüdet schneller als bei Erwachsenen – das heißt, wir lassen ihm alle Zeit, die er braucht. Zuerst senken wir den Atemhub des Geräts leicht ab und beobachten, ob er eigene Atemversuche unternimmt.“
Ich sah sie an, meine Finger fest um Florians Hand. „Und wenn er das schafft?“
„Dann gehen wir Schritt für Schritt weiter. Immer nur ein bisschen. Wenn er stabil bleibt und die Werte gut sind – Sauerstoffsättigung, CO₂ im Blut, Atemfrequenz – dann können wir vielleicht schon bald extubieren, also den Schlauch entfernen.“
Mein Blick wanderte zu dem Beatmungsschlauch, der zwischen Florians Lippen lag. Es sah so fremd aus. So unnatürlich. Und gleichzeitig war es das, was ihn am Leben hielt.
„Aber… wenn er es noch nicht schafft?“, fragte ich, meine Stimme kaum hörbar.
Dr. Riedl lächelte sanft. „Dann lassen wir ihm mehr Zeit. Wir zwingen nichts. Sein Körper gibt das Tempo vor – und wir passen uns an.“
Ich nickte langsam. In meinem Inneren breitete sich eine zarte, zerbrechliche Hoffnung aus. Noch nicht groß genug, um zu atmen – aber genug, um mich aufrecht zu halten.
Ich sah zu Florian. Und flüsterte: „Du machst das gut, mein Schatz. Wir sind hier. Und du bist nicht allein.“
Die Ärztin sagte noch etwas zur Schwester, dann verließ sie das Zimmer. Die Schwester warf mir ein aufmunterndes Lächeln zu, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit widmete.
Und ich blieb einfach sitzen. Die Hand meines kleinen Jungen in meiner. Und wartete – nicht mehr nur voller Angst. Sondern mit einem Funken Hoffnung
Ein junger Pfleger trat an meinen Platz. Ich kannte ihn nicht, aber sein Blick war freundlich und mitfühlend. Er sprach leise, fast entschuldigend:
„Frau Wagner? Die Polizei ist gerade eingetroffen. Man bittet Sie, nach unten zu kommen – sie würden gerne mit Ihnen sprechen.“
Ich zuckte leicht zusammen. Mein erster Impuls war Ablehnung. Ich sah sofort zu Florian. Er lag da, klein und verletzlich, angeschlossen an Monitore und Schläuche. Ich konnte ihn doch jetzt nicht allein lassen. Nicht jetzt.
„Jetzt?“, fragte ich, und meine Stimme zitterte. „Ich… ich will ihn nicht alleine lassen.“
Die Schwester, die sich noch immer um die Geräte kümmerte, hatte das Gespräch mitbekommen. Sie wandte sich mir ruhig zu.
„Frau Wagner, wir sind hier“, sagte sie mit beruhigender Stimme. „Florian ist gut überwacht. Und es wird noch eine Weile dauern, bis er überhaupt beginnt, aufzuwachen. Wir rufen Sie sofort, wenn sich etwas verändert.“
Ich sah mich kurz um. Es viel mir schwer zu gehen, ob es an dem Raum lag? Die Wände standen, ja – es waren richtige Räume. Und doch fehlte etwas Entscheidendes: Es gab keine Tür zwischen mir und dem Flur, nichts, was man hinter sich hätte schließen können. Keine Möglichkeit, auch nur für einen Moment allein zu sein, Abstand zu gewinnen. Die Intensivstation war offen, gegliedert nur durch Vorhänge und Trennwände, die mehr an deuteten als schützten. Es fühlte sich an, als würde ich ihn zurücklassen, sobald ich einen Schritt hinaus tat. Als müsste ich ihn loslassen, nur weil der Raum keinen Ort bot, ihn festzuhalten.
Ich beugte mich nochmal zu ihm, legte meine Hand an seine Wange. „Ich bin gleich wieder da, mein Schatz. Du bist nicht allein. Ich komm zurück – versprochen.“
Dann richtete ich mich langsam auf, atmete tief durch und nickte dem Pfleger zu. Ich folgte ihm aus dem Bereich, spürte bei jedem Schritt den Sog des Raumes hinter mir – als würde ein Teil von mir dort bleiben.
Florian war in besten Händen. Aber mein Herz… das blieb bei ihm.
Ich folgte dem Pfleger schweigend. Der Fahrstuhl summte leise, während wir langsam in die unteren Etagen fuhren. Mein Blick war starr auf die geschlossene Fahrstuhltür gerichtet, doch meine Gedanken waren noch oben – bei Florian.
Wie lange würde ich weg sein? Was, wenn genau in dem Moment etwas passierte?
Ich wandte mich leicht zu dem jungen Mann neben mir.
„Wie komme ich zurück auf die Station, wenn ich fertig bin?“
Er lächelte sanft. „Gleich rechts neben dem Stationsbereich gibt es eine Klingel. Einfach drücken, dann wird Ihnen geöffnet.“
Ich nickte nur und versuchte, mir den Weg einzuprägen. Ich wollte keine Zeit verlieren, wenn ich wieder zu Florian zurück durfte.
Als sich die Türen öffneten und wir den vertrauten Wartebereich betraten, in dem wir vor einer Stunden gesessen hatten, fühlte sich alles seltsam fremd und gleichzeitig bedrückend vertraut an.
Ich sah Elke. Sie unterhielt sich gerade mit Markus und Sebastian, doch als ich näherkam, drehten sich alle drei sofort zu mir um. In ihren Blicken lag Anspannung – und Hoffnung.
„Wie geht es Florian?“
Die Frage kam von Markus und Sebastian fast gleichzeitig.
Ich holte tief Luft. Ich wollte stark sein, ruhig, sachlich – aber die Erleichterung, die ich oben gespürt hatte, war zerbrechlich wie Glas.
„Es geht ihm besser“, sagte ich, und meine Stimme klang brüchig.
„Seine Pupillen reagieren wieder – die Ärztin meinte, das sei ein gutes Zeichen. Sie wollen jetzt langsam versuchen, die maschinelle Beatmung herunterzufahren… schauen, ob er wieder selbstständig atmen kann.
Aber… bei Bewusstsein ist er noch nicht.““
Beide nickten ernst, ohne etwas zu sagen. Ich konnte sehen, wie sie die Information verarbeiteten.
Elke trat näher an mich heran.
Und plötzlich überkam mich alles. Die Verantwortung, die Angst, die Schuld. Tränen stiegen mir in die Augen, ich schluckte schwer.
„Ich hatte die Verantwortung… ich hätte das verhindern müssen“, flüsterte ich, fast tonlos. „Ich weiß nicht, wie das passieren konnte…“
Elke sagte nichts. Sie legte einfach die Arme um mich und zog mich in eine stille, warme Umarmung.
Und ich ließ es zu. Weil ich nicht mehr konnte. Weil ich in diesem Moment jemanden brauchte, der mich hielt.
„Markus und dein Sohn haben mir erzählt, was passiert ist“, sagte sie leise. „Florian schafft das – und das ist im Moment das Wichtigste. Alles andere klären wir später. Jetzt ist es wichtig, dass du… dass ihr für ihn da seid. Um den bürokratischen Teil kümmere ich mich mit dem Jugendamt.“
„Danke…“, flüsterte ich, mehr brachte ich nicht heraus.
Dann hörte ich eine Stimme rechts von mir – klar, sachlich, aber nicht unfreundlich. Eine Frau, die mir bisher gar nicht aufgefallen war.
„Frau Wagner?“
Ich löste mich aus Elkes Umarmung, trat einen Schritt nach vorne und sah die Frau an.
Sie war in Uniform – korrekt, unaufgeregt. Ihre Augen ernst, aber nicht hart.
„Ja, das bin ich.“
„Hauptkommissarin Lehmann. Wie geht es Ihrem Pflegesohn?“
„Er ist noch nicht wieder bei Bewusstsein“, antwortete ich ehrlich, „aber… es geht ihm besser.“
Sie nickte. „Ich weiß, dass Sie sicher schnell wieder zu ihm möchten.“
Ich nickte ebenfalls. Sie hatte recht – es gab im Moment nichts, das mir wichtiger war.
„Ich muss Ihnen dennoch ein paar Fragen stellen“, sagte sie. „Wir halten es so kurz wie möglich. Bitte folgen Sie mir.“
Ich atmete tief durch. Dann warf ich einen letzten Blick zurück zu Markus, Sebastian und Elke – sie nickten mir zu, still, verständnisvoll. Und ich folgte der Kommissarin.
Florian:
Alles war irgendwie komisch.
Ich war… irgendwo. Vielleicht in der Schule. Oder doch nicht? Die Tafel war schief, und die Stühle sahen aus wie aus einem anderen Klassenzimmer. Alles wackelte ein bisschen.
Dann war da ein Junge. Oder ein Mann.
Er sah mich an. Ganz nah. Seine Augen waren dunkel, aber… nicht nett. Nicht freundlich. Ich mochte ihn nicht.
Ich kannte ihn nicht. Aber irgendwas an ihm machte mir Angst. Ganz tiefe Angst. So eine, bei der der Bauch ganz eng wird und die Hände kalt.
Ich wollte weglaufen. Aber meine Beine waren schwer. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich fühlte mich so… leicht und gleichzeitig ganz festgehalten.
Dann wurde alles heller. Das Gesicht verschwand. Auch der Raum. Alles wurde nur noch hell und weiß. Und dann:
Stille.
Ich wollte die Augen öffnen. Aber sie waren so schwer. Ich versuchte es trotzdem. Erst ein bisschen. Dann ganz.
Das Licht tat weh. Es war viel zu hell. Ich blinzelte und alles war verschwommen. Die Decke über mir war weiß. Die Luft roch komisch, so, wie es beim Arzt riecht.
Mein Hals…
Er brannte. Ganz doll. Ich wollte schlucken, aber es ging kaum.
Es tat weh. So, als hätte ich ein Stück Stein im Hals oder einen dicken Kloß, den ich nicht runterbekomme.
Ich wollte reden. Aber da kam kein Ton raus. Nur so ein Kratzen. Es machte mir Angst.
Wo bin ich?
Was ist passiert?
Ich wusste es nicht. Gar nichts wusste ich.
Ich wollte mich umschauen, also drehte ich ein bisschen den Kopf. Sofort drehte sich alles mit. Die Wände, das Licht… mir wurde ganz schwindelig. Ich machte schnell die Augen wieder zu.
Als ich sie wieder öffnete, war da jemand.
Eine Frau. Sie saß ganz nah bei mir. Sie sah traurig aus… aber auch lieb. Ihre Augen waren rot, und sie hatte Tränen drin, aber sie lächelte mich trotzdem an.
Ich kannte sie nicht.
Oder doch? Irgendwie kam sie mir bekannt vor.
Sie war nicht meine Mutter… aber sie war trotzdem wichtig. Ganz wichtig.
Ich wusste nicht, warum. Aber mein Bauch sagte: Sie ist gut. Sie ist für mich da.
Und dann merkte ich: Sie hielt meine Hand. Ganz fest. Ganz warm.
Ich konnte nichts sagen. Konnte nichts fragen. Aber ich wollte wissen, warum sie weinte.
Hatte ich was falsch gemacht? War ich schuld?
Ich konnte nur liegen. Und ihre Hand spüren. Und denken:
Ich will nicht, dass sie traurig ist.
Ich will wissen, was los ist. Aber mein Kopf ist so leer.
Warum bin ich hier? Warum tut alles so weh?
Aber ich war nicht allein. Sie war da.
Sie sprach zu mir. Ganz leise. Ihre Stimme war warm und weich, ein bisschen zittrig, aber… irgendwie vertraut.
„Ich bin da, mein Schatz. Alles wird gut.“
Ich hörte die Worte, aber ihr Gesicht sah trotzdem traurig aus. So, als wollte sie stark sein, aber es ging nicht so richtig. Ihre Augen glänzten, und ich sah, dass sie immer noch weinte.
„Mama ist bei dir und passt auf dich auf.“
Mama?
Das Wort klang fremd. Und gleichzeitig machte es etwas in meinem Kopf.
Ein Bild tauchte auf.
Mama.
Aber nicht sie. Nicht die Frau, die jetzt neben mir saß.
Eine andere Mama. Die ich immer enttäuscht hatte.
Die oft böse auf mich war, wenn ich etwas nicht richtig gemacht hatte. Wenn ich zu langsam war, oder leise, oder gar nichts gesagt habe. Die, die mit den harten Augen.
Ich nannte sie nie „Mama“. Schon lange nicht mehr.
Irgendwann hatte ich aufgehört, es zu versuchen.
Aber sie – die Frau hier bei mir – war anders.
Sie sah mich nicht böse an. Ihre Augen waren traurig, ja, aber auch liebevoll. Ich spürte das. Sie hielt meine Hand, ganz fest und ganz vorsichtig.
Ich wollte ihre Nähe. Ich wollte… ich weiß nicht… vielleicht einfach nur in ihre Arme.
Aber… war sie meine Mama?
Mein Kopf war voll mit Fragen. Alles fühlte sich so komisch an. Nicht wie sonst.
Ich wusste nicht mehr, was echt war.
War ich noch im Traum? War das hier wirklich?
Aber ihr Blick… ihre Stimme… ihr Duft… das fühlte sich echt an.
So wie es sich anfühlen sollte.
Ich konnte nichts sagen. Konnte sie nicht fragen. Aber mein Herz klopfte leise in meinem Brustkorb, und ich wünschte mir, dass sie nicht wegging.
Ob sie meine Mama war oder nicht – ich mochte sie. Ich fühlte mich bei ihr sicher.
Und das war gerade das Wichtigste für mich.
Ich wollte was sagen. Musste was sagen.
Aber mein Hals brannte. So schlimm, dass es sich anfühlte, als wäre da ein Dorn drin. Trotzdem… es war wichtig. Ich musste es sagen.
Ich versuchte, meine Lippen zu bewegen, aber sie fühlten sich trocken und schwer an. Mein ganzer Mund war komisch. Und mein Bauch… meine Brust… alles tat weh.
Ich hustete. Nur kurz. Aber es war, als würde mein ganzer Körper dabei zusammenzucken. Der Schmerz war überall.
„Nic… nicht…“
Die Frau sah sofort zu mir. Ihr Kopf kam näher, sie beugte sich über mich und legte ganz vorsichtig eine Hand auf meine Stirn. Ihre Hand war warm. So warm.
„Es ist alles gut, Florian. Es ist alles gut.“
Ihre Stimme zitterte. Sie war traurig, aber so sanft.
Ich versuchte es noch einmal. Es war, als müsste ich das sagen, bevor die Kraft weg war.
„Nn… nnich… nicht… weggehen…“, flüsterte ich, so leise, dass ich es fast selbst nicht hörte.
Ein Schluchzen. Ganz nah.
„Nein, mein Schatz. Mama bleibt bei dir. Ich lasse dich nicht allein.“
Da war es wieder. Mama.
Sie hatte es wieder gesagt.
Ich wusste nicht, ob es richtig war. Ob sie wirklich meine Mama war.
Aber es fühlte sich richtig an.
Und sie blieb.
Ich war so müde. Alles wurde schwer. Meine Augen wollten sich schließen.
Ich kämpfte kurz dagegen an, aber… es war zu viel.
Sie war da. Und ich war nicht allein.
Dann wurden meine Augen ganz langsam wieder dunkel.
Und ich ließ mich einfach treiben.
Fortsetzung folgt….
… (gekürzt)
Oder musstet ihr auch kurz tief durchatmen – so wie Annette?
Jetzt bin ich natürlich gespannt:
Wie habt ihr diesen Teil erlebt?
Gab’s Gänsehaut, Mitgefühl, Kopfschütteln oder vielleicht sogar ein kleines „Puh…“ beim Lesen?Lasst mir gern einen Kommentar da –
ob ausführlich wie ein Einsatzbericht oder kurz wie ein Piepen auf dem Monitor.
Ich freu mich über jedes Feedback – und Florian würde sicher auch nicken, wenn er gerade wach genug dafür wäre. )
Autor: michaneo | Eingesandt via Mail
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Kurze Antwort: Achterbahn der Gefühle.
Von Verzweiflung bis Wut alles dabei und zum Ende hin noch etwas Erleichterung dazu.
Zum medizinischen Teil, der war sehr gut. Hab jetzt beim lesen nichts wahrgenommen woran ich als Laie zweifel. Vermutlich könnte man über einzelne Werte Diskutieren, aber dafür müsste ich mein Halbwissen erstmal mit Recherche ergänzen.
OK 30 Minuten von Intubation bis Schockraum klingt lang, aber wenn ich es durchrechne kommt das gut hin von Vorstadt oder Vorort bis in die Klinik.
Allgemein eine sehr gut geschrieben Geschichte, auch wenn die Themen die du behandelst eher vom Dunkeln ins Licht blicken. Ich hoffe zumindest das Florian mehr Licht in seinem Leben bekommt, und nicht wieder die nächste Finsternis den Lichtblick überrollt.
Gruß Dragi
Super spannend der arme junge muss ganz schön leiden ich hoffe das mit Pierre schnell aufgeklärt wird
Danke dir, Marcel93 – freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefällt!
Und ja, Pierres Aktivitäten werden natürlich ans Licht kommen, und er wird auch mit Konsequenzen rechnen müssen. Allerdings werde ich das nicht allzu ausführlich behandeln, da er kein Hauptprotagonist ist und wir die Geschichte nicht aus seiner Perspektive erleben. Es wäre spannend, die Beweggründe und inneren Konflikte eines Antagonisten näher zu beleuchten. Vielleicht in einer anderen Geschichte. Gerade solche Perspektivwechsel können richtig Tiefe bringen und zeigen, dass nicht alles nur schwarz oder weiß ist.
Hey Dragi,
vielen lieben Dank für dein Feedback! Es freut mich wirklich sehr, dass dich die Geschichte emotional mitgerissen hat – genau das war mein Ziel. Und ehrlich gesagt ging’s mir beim Schreiben genauso. Es war eine ziemliche Achterbahnfahrt, auch für mich.
Der medizinische Teil sollte so realistisch wie möglich wirken, auch wenn ich natürlich nicht garantieren kann, dass sich alles genau so in der Realität abspielen würde. Aber ich hatte großen Spaß daran, mich da hineinzudenken und die Szenen auszugestalten.
Was die dreißig Minuten betrifft – ja, das klingt auf den ersten Blick lang. Mein Korrekturleser hat das auch kritisch angemerkt, zumal er in dem Bereich ein bisschen Erfahrung mitbringt. Wir haben dann gemeinsam abgewogen, was realistisch wäre. Vom Fundort in einem kleinen Dorf außerhalb von Hof bis zur Klinik, inklusive Erstversorgung und Transport, sind dreißig Minuten durchaus plausibel. Auch wenn die Adressen in der Geschichte fiktiv sind, orientiere ich mich bei Entfernungen, Fahrzeiten und Umgebungen an einem Storyleitfaden mit realen Vorbildern – einfach, um die Welt glaubwürdig und stimmig zu halten.
Und ja – die Geschichte bewegt sich thematisch eindeutig eher im Dunklen. Für Florians kleine Kinderseele sind das sicher einschneidende und möglicherweise traumatische Erlebnisse. Aber gerade durch diese Tiefen wird die Beziehung zu Annette und seiner neuen Familie umso bedeutungsvoller. Solche Krisen schweißen zusammen und geben der Entwicklung der Figuren mehr Tiefe. Und am Ende ist es ja genau das: Wenn alles immer glatt läuft, verliert eine Geschichte ihre Spannung und das echte Leben darin.
Danke nochmal – ich freu mich sehr, wenn du weiterhin mitliest!
Liebe Grüße
Michaneo
Hallo Michaneo,
ich wollte jetzt nicht zu einer friede Freude Eierkuchen Geschichte, aber was Florian in 2 Wochen mit erlebt hat ist schon krass.
Raus aus der Familie, Pflegestelle, Die Erlebnisse im Zoo, Neue Familie, die Körperliche Auseinandersetzung in der Schule, erfahren dass er vermutlich immer Probleme mit der Kontinenz haben wird, und zum ersten Wochenende in der neuen Familie ein Mordanschlag.
Ich glaube nach so 2 Wochen bräuchte ich ein Halbes Jahr Urlaub und Therapie um das alles zu verarbeiten.
Und man kann ja geradezu davon ausgehen, dass es mit den „schwierigen Klassenkameraden“ und der Kunstlehrerin wieder Probleme gibt sobald er wieder in die Schule darf.
Da würde ich schon echt auf etwas Ruhe für Florian hoffen, gerne auch als kurz zusammengefasster Zeitsprung.
Klar für die Geschichte und die Spannung ist Ereignis an Ereignis interessanter, aber einfach Mal 4 Wochen wo Florian Alltag hat fände ich realistischer.
Und natürlich werde ich weiter lesen.
Gruß Dragi
Ich bin gerade mächtig froh, dass du es geschafft hast, dieses schwere, medizinische Kapitel zu schreiben, was vielleicht alles aufdecken wird und freue mich schon auf das nächste Kapitel, wenn der Täter auffliegt. Wenn Sebastian mit Pierre Schluss macht, kann ich das gut verstehen und freue mich einfach nur, wenn es mit Florian und er vielleicht irgendwann mit seinen alten Bekanntschaften aus der Not-Betreuung wieder Kontakt aufnehmen kann. Ich freue mich, schreib auf jeden Fall weiter. Die Gefühlsbeschreibung der Protagonisten sind auf jeden Fall wichtig. Ich habe nicht aufgehört, zu lesen und bin nach wie vor gefesselt. Viel Erfolg bei einer Forsetzung!
Hallo Aufzugstrinker,
schön, dass du die Geschichte weiterhin mitverfolgst – das freut mich wirklich sehr!
Die Beziehung zwischen Sebastian und Pierre ist wohl endgültig zerbrochen. Für Sebastian ist das sicher nicht leicht. Auch wenn sein Verstand die Situation ganz klar erfasst, wird es emotional trotzdem wehtun – solche Enttäuschungen hinterlassen Spuren.
Der medizinische Teil war zwar herausfordernd, aber auch richtig spannend zu schreiben. Ich hatte viel Spaß daran, mich in diese Szenen hineinzudenken.
Und ja, die alten Bekannten aus der Nordbetreuung werden weiterhin in der Geschichte auftauchen – sie bleiben Teil von Florians Welt, auch wenn sie eher Nebenrollen einnehmen.
Ich kann mich Dragi da nur anschließen. Eine Gefühlsexplosion von feinsten. Ich weis nicht, was ich noch dazu schreiben soll….. und das soll schon was heißen, wenn ich sprachlos werde.
Nur eines: weiter so 👍
Hallo Phill,
schön zu hören, dass die Emotionen und Gefühle gut bei dir angekommen sind – genau das ist mir beim Schreiben besonders wichtig!
Schade natürlich, dass dich das Kapitel sprachlos gemacht hat – ich freu mich nämlich immer über ausführliches Feedback! 🙂
Aber vielleicht findest du beim nächsten Teil ja wieder mehr Worte – und keine Sorge, der ist bereits in Arbeit und es geht gut voran. Es wird also definitiv weitergehen!
Natürlich bin ich sprachlos im Positiven sinne😊
Ich brauche eine Fortsetzung
Hey Ben,
geht mir genauso – der nächste Teil ist schon in Arbeit ;-)!
Du hast wirklich meinen Respekt! Die Geschichte ist unglaublich gut geschrieben! Das Kapitel war super spannend und bewegend. Mir haben beim lesen die ganze Zeit ein wenig die Augen gebrannt, weil alles so emotional und packend war. Auch auf philosophischer Ebene wirkt dieses ganze Krankenhaus Kapitel beeindruckend. Es ist wie eine Geburt in seine neue Familie.
Nebenbei muss ich auch wirklich loben, wie professionell die ganzen medizinischen Details rüberkommen. Ich habe selbst einige Erfahrung in der Notfallmedizin und ich hatte beim Lesen fast schon Flashbacks. Auch die ruhigen sachlichen Polizisten waren sehr glaubhaft dargestellt. Ich hatte mehrmals das Gefühl du schreibst einen Erfahrungsbericht über echte Menschen und es kamen immer wieder Verknüpfungen zu echten Erinnerungen meinerseits.
Hut ab und weiter so!
Hallo parkin,
vielen lieben Dank für dein Feedback! Das mit den feuchten Augen kann ich sehr gut nachvollziehen – mir geht’s beim Schreiben oft genauso. Und selbst wenn ich den Text zum x-ten Mal zum Probelesen durchgehe, berührt es mich noch immer.
Was du zur philosophischen Ebene geschrieben hast – das hat mich sehr gefreut. Ja, es fühlt sich tatsächlich ein bisschen wie eine Art „Wiedergeburt“ für Florian an. Durch diese intensive Erfahrung entsteht zwischen ihm und seiner neuen Familie eine ganz andere Tiefe, eine neue Form von Bindung, die sonst vielleicht nie so gewachsen wäre.
Besonders freut es mich, dass du den medizinischen Teil als stimmig empfunden hast. Ich hab mich da mit meinen laienhaften Recherchen so gut wie möglich reingefuchst – und zum Glück hab ich mit ************** einen tollen Korrekturleser an meiner Seite, der sich in dem Bereich auch ein bisschen auskennt und mir da den nötigen Feinschliff liefert. Dass es damit sogar für jemanden aus dem Fach glaubwürdig rüberkommt, ist das schönste Kompliment.
Die sachliche Art der Polizei war mir wichtig – auch wenn sie nicht ganz so viel Spaß gemacht hat wie das Schreiben der Szenen mit dem medizinischen Personal. Aber sie gehört eben dazu, um das Gesamtbild rund und realistisch zu halten.
Und was deinen Eindruck angeht, dass es wie ein echter Erfahrungsbericht wirkt – das freut mich riesig. Genau das war mein Ziel. Einige Elemente – nicht speziell dieser Abschnitt, aber bestimmte Szenen im Zusammenhang mit Extremsituationen im medizinischen Bereich oder auch Befragungen durch die Polizei – basieren tatsächlich auf realen Erlebnissen. Natürlich stark in die Geschichte eingepasst und ausgeschmückt, aber mit einem wahren Kern.
Danke nochmal für deinen tollen Kommentar – hat mich ec
ht gefreut!
Es freut mich, dass ich dir mein Kommentar Freude bereitet hat und ich dir ein klein wenig für deine Arbeit zurückgeben konnte. Du machst wirklich einen sehr guten Job und ich hoffe du hast weiterhin Spaß daran! Man merkt an der Qualität wie viel Herzblut drinsteckt.
Ich bin fix und fertig mein Blutdruck immer noch auf 180 Danke für diesen Unglaublich Intensiven Teil Riesen Kompliment an den Autor alles so detailliert beschrieben und eine Emotionale Achterbahn fahrt die ganzen Gefühle die reingepackt wurden Sensationell. Freue mich schon auf den nächsten Teil Danke schön
Hallo pamperspop,
ich hoffe doch sehr, dass ich bei der nächsten Geschichte nicht ernsthaft auf deine Blutdruck-Erfahrungen zurückgreifen muss… Aber es freut mich total, dass dich der Abschnitt emotional so gepackt hat – genau das war das Ziel.
Ich freu mich selbst schon riesig darauf, den nächsten Teil fertigzustellen und endlich zu veröffentlichen. Es geht gut voran – auch wenn ich bisher erst etwa ein Viertel von dem geschrieben habe, was ich inhaltlich für den nächsten Abschnitt geplant habe. Aber: Es wird!
Guten Morgen,
Musste diesen Krimteil erst eine Nacht verarbeiten. Die Erzählungen und die jeweilige Sichtweise für mich hervorragend beschrieben. Diese menschliche Hilflosigkeit in dieser extremen Situation dargestellt, es wird ja noch brutaler wenn es Familie, Angehörige oder Freunde sind.
Die medizinischen Fachbegriffe bin ich aussen vor. Aber cool eingebaut.
Diese Vorkommnisse in diesem Stück sind emotional schon keine Schonkost, aber die Spannung finde ich total realistisch.
Bin auf die Fortsetzung gespannt, aber danke an den Schreiber ✍️ und den Korrekturleser,finde ihr macht eine super Arbeit.
Einfach: DANKE 👍❤️
Wow! besser als jedes Buch! Ich verabscheue Pierre zu tiefst, Ich hoffe er bekommt eine mehr als gerechte strafe! Und ich hoffe sehr, dass es Florian gut gehen wird.
Das war hart
Habe auch geweint
Vor Wut und vor Erleichterung
Danke
Hei, der Teil hat es in sich, und ich bin gespannt, ob Pierre gefunden und befragt wird, warum er Florian das angetan hat. Sehr gut geschrieben und ich hoffe das es genauso spannend weitergeht. 5 Sterne
Ich glaube nicht dass er Florian wirklich töten wollte. Ich denke er wollte ihn vermutlich einfach vergessen lassen was er gesehen hat. Aber das war absolut dumm und gefährlich und dafür gehört er hart bestraft.
Also vermutlich geht Pierre für versuchten Mord ein paar Jahre in den Knast. Nicht weil er Florian töten wollte, aber Gerichte mögen die Kombination von Kindern und Drogen absolut nicht. Und da zwei sogenannte Mordmerkmale (Heimtücke wegen dem Gift bzw Droge und Vertuschung einder anderen Straftat) erfüllt sind, ist die Verurteilung wegen versuchtem Mord möglich.
Alternativ wird es gefährliche Körperverletzung mit versuchtem Totschlag, da Pierre davon ausgehen musste das bei der verabreichten Menge ein Kind sterben könnte.
Der Verteidiger wird natürlich alles versuchen um mit gefährlicher Körperverletzung davon zu kommen, aber da sehe ich keine Chance.
Wenn Michaneo es sich einfach machen will findet man Pierre tot im Fahrzeug um einen Baum gewickelt. Dann ist das Thema auch erledigt.
Gruß Dragi
Sehr schön geschrieben. Und was so zwischen den Zeilen versteckt liegt und wartet, kann auch noch ganz interessant werden.
Ich bin sehr begeistert, eine dieser guten Geschichten, die durchaus Taschenbuch Charakter haben!
Zeitlich inhaltlich ist die Geschichte jetzt erst ca 2 Wochen alt. Man hört allerdings keinen Piep von seinen leiblichen Eltern… Kein heimliches an der Schule warten, … Kein Anwalt, …
Vielleicht kommt da gelegentlich noch Action rein…
Pierre steht in meinen Augen schon an der Wand, allerdings ohne Augenbinde. Und sein Loch soll er selbst buddeln…
Wünsche dir ganz viel Spaß weiterhin bei deiner Schriftstellerei.
Ich hatte meinen Wuffel im Arm und den Nukki im Mund und habe beides dringend gebraucht. Was eine nervenaufreibende Geschichte. Danke das du nicht 2-3 Abschnitte früher aufgehört hast. Den Cliffhanger hätte ich nicht ertragen!
Den Schockraum überstanden? – Aber mal gerade soeben!!! Wieder unfassbar emotional geschrieben, auch die Teile mit der Notfallrettung (ich bin selber in dem Bereich tätig) und im Krankenhaus. Sehr schön, dass alle Beteiligten ein Licht am Ende des Tunnels erkennen können (na ja, wohl bis auf Pierre).
Ich schreibe jetzt hier zum ersten Mal,
Obwohl ich viele Geschichten hier lese.
Du gehörst definitiv zu den besten Autoren, in dem Ende vom letzten Kapitel und diesem war alles an Gefühlen dabei (Wut, Angst um Florian, Mitgefühl und Spannung).
Allerdings auch noch eine weitere Angst, das es nicht mehr viele Kapitel geben wird, zumindest ist das meine Vermutung, die dich nicht dazu bringen wird und auch nicht soll die Geschichte mehr zu strecken als du es vorgesehen hast, aber ich werde traurig sein über das Ende der Geschichte wenn es eintritt, egal ob es nur noch 3 oder weitere 15 Kapitel geben wird.
wahnsinn, das ist genau das richtige was ich vor meiner Sani Prüfung brauche 🙂
Absolut genial! Der medizinische Teil ist gut gelungen (bin Laie). Krasse Wendung, das wird noch richtig kriminalistisch!!! Bitte dringend eine Fortsetzung einstellen. Ich musste die Geschichte 3x lesen, bevor ich einen Kommentar abgeben konnte.
Weiter so.