Alles wird besser, vielleicht sogar gut (3)
Windelgeschichten.org präsentiert: Alles wird besser, vielleicht sogar gut (3)
Auch wenn ich wirklich mächtig Bammel vor dem hatte, was in den nächsten Minuten passieren sollte, fühlte ich mich gar nicht mal so schlecht. Die Aktion mit der Krankenschwester hatte mir mal wieder gezeigt, wie gut Onkel Phil mich kannte. Und wie sehr ich ihm vertrauen konnte. Ohne, dass ich ihn darum bitten musste, half er mir, aus meinen Klamotten rauszukommen. Und so saß ich bereits wenige Augenblicke später nur noch in meiner Windel auf der Behandlungsliege und wartete auf die Ärztin. So ganz ohne Klamotten bekam ich schnell mit, wie kalt es eigentlich hier auf der Krankenstation war. Wäre schon gut, wenn sie die Ärztin ein bisschen beeilen würde, jammerte ich. “Cool bleiben, und warm halten!”, antwortete Onkel Phil und zauberte aus einem der Schränke eine warme Decke, in die er mich einpackte. Blieb die Langeweile, mit der ich versuchte, meine Aufregung zu überspielen. Immerhin ging es bei der Aktion gleich darum, ob die Windeln nach meiner OP wirklich in die Tonne konnten, oder … ja was eigentlich? Oder ob es in meinem Körper etwas gab, das ganz gewaltig schief lief. Und das dafür sorgte, dass ich noch sehr, sehr lange in die Windel machen würde. Es war mein absoluter Alptraum. Aus irgend einem Grund viel mir jetzt Tilda ein. Ich wusste grob, dass sie so ein Fall war. Bei ihr gab es wohl lediglich eine geringe Chance, dass sich nach der Pubertät und nach diversen OPs vielleicht mal ohne Windel auskommen würde. Und trotzdem war sie immer gut drauf. Krass. Würde ich das auch schaffen, wenn sich herausstellte, dass auch mir erstmal nicht zu helfen war? Ich schluckte. Und plötzlich hatte ich das Bedürfnis, mit Onkel Phil zu reden. Er musste einfach einen Ausweg kennen. Er wusste doch immer Rat! Ich war drauf und dran, die Fassung zu verlieren. Hektisch sah ich mich um begann zu zittern und suchte Blickkontakt mit Onkel Phil. Der reagierte sofort, trat zwei Schritte zu mir, hob mich vorsichtig von der Liege und trug mich zu dem großen Sessel, in dem er bis jetzt gesessen hatte. Dort setzte er sich, zog mich auf seinen Schoß und schloss die Arme um mich. Sofort wurde das Zittern besser. Mein Atem ging flacher. Er war da. Er würde immer da sein. Er musste einfach immer da sein. Langsam, beruhigte ich mich. Perfektes Timing. Denn plötzlich stand die Ärztin in der Tür und schob einen Gerätewagen mit einem ziemlich unspektakulären grauen Kasten, diversen bunten Kabeln und einer braunen Medikamentenflasche in den Raum. Uff. Jetzt wurde es ernst.
“Hallo Paul, bist du bereit?” Ich nickte von Onkel Phils Schoß aus, bewegte mich aber keinen Millimeter. “Na dann wäre es gut, wenn dein Onkel dich hier auf die Liege legen könnte!” Konnte er natürlich. Und ich war froh, dass er mich nach drüben trug. Mit meinen weichen Knien hätte ich keinen Meter geschafft. Mit einer sehr angenehmen Ruhe schälte sich mich anschließend aus der Decke und begann, ein paar Punkte an meinem Körper, am Rücken, im Nacken und am Kopf mit Desinfektionstüchern abzuwischen. “Da kommen gleich die Elektroden hin!”, erklärte sie. Und ich verspreche dir: “Das tut nicht weh. Nichts, was wir hier heute machen, tut weh!” Okay, das half ein bisschen. Mit geübten Bewegungen platzierte sie dann die Klebepads mit den Elektroden. “Siehste, das war’s schon. Jetzt verkabeln wir dich , ziehen dir dann etwas an und sind dann eigentlich auch schon soweit, mit dem Test zu beginnen!” Okay. Auch das hatte ich verstanden. Die Ärztin griff sich ein ganzes Bündel Kabel vom Wagen und begann damit, die Elektroden mit dem grauen Kasten zu verbinden. Kurz darauf reichte sich Onkel Phil einen Body, wie ihn so ähnlich auch Tilda trug. Wortlos streifte mir Onkel Phil das Ding über, zog den Stoff vorsichtig über die Elektroden, verschloss die Druckknöpfe zwischen den Beinen, führte die Kabel durch ein Loch im Body heraus und reichte die Kabelenden der Ärztin. Die stöpselte die Kabel im grauen Kästchen ein, aktivierte das Gerät und nickte zufrieden. “Passt. Wenn die ersten Signale ankommen, kalibriert sich das Gerät und wir können mit dem EKG beginnen. EKG. Elektrokardiogramm. Das hatte mir Onkel Phil erklärt. Damit sollte gemessen werden, welche Signale mein Darm und meine Blase im Ernstfall ans Gehirn schickten. Und was dort überhaupt ankam. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann piepste der Kasten zufrieden und schaltete ein Lämpchen auf grün. Es konnte also losgehen. Als nächstes drückte mir die Ärztin einen erstaunlich kleinen Plastikbecher in die Hand, in dem sich eine orangefarbene, zähe Flüssigkeit befand. Ich schaute sehr skeptisch, kam aber nicht mehr dazu, mir Sorgen zu machen. “Prost, Paul. Das Zeug schmeckt eigentlich gut. Süß halt. Wichtig ist nur, dass du es komplett austrinkst!” Tat ich. Und zu meiner großen Erleichterung war der Geschmack wirklich sehr okay. Ein bisschen wir geschredderte Gummibärchen. Ich schluckte den Schleim runter und wusste dann nicht so richtig, was ich jetzt mit mir anfangen sollte. Und jetzt? “Jetzt wartest du!”, erklärte mir die Ärztin die weiteren Schritte. “Ich möchte dich bitten, möglichst auf der Liege zu bleiben. Die EKG-Kabel sind zwar recht lang, aber rumlaufen kannst du damit dennoch nicht. Hinsetzen ist aber kein Problem! Und mach dir keine Sorgen, es wird nicht lange dauern. Die Wirkung wird in ungefähr 10 Minuten einsetzen. Wichtig ist vor allem, dass du nicht versucht gegen den Drang anzukämpfen. Das Medikament, das ich dir gegeben habe, ist sehr, sehr effektiv. Wenn es wirkt, kannst du nichts mehr aufhalten. Und für die abschießende Diagnose ist es wichtig, dass die Werte nicht durch von dir bewusst ausgelöste Impulse gestört werden. Hast du das verstanden?” Ich nickte ein bisschen überfordert. “Es kann sein, dass sich das alles ein bisschen so anfühlt, als hättest du Blähungen. Versuche einfach, dich zu entspannen! Ich bin in 20 Minuten wieder da, dann beginnen wir sofort mit der Auswertung, okay!?” Daumen hoch.
Kaum war sie draußen, horchte ich krampfhaft in meinen Körper hinein. Nichts. Fühlte sich alles an, wie immer. Okay, was hatte ich erwartet. Ich bekam trotz der Anspannung mit, dass sich Onkel Phil neben mich setzte. “Du machst das übrigens alles hammermäßig souverän! Ich habe echt sehr, sehr großen Respekt vor dir!” Jetzt wurde ich ein bisschen rot. Ich sah Onkel Phil lange an. Er meinte das echt genau so, wie er das sagte. Und erreichte genau die Wirkung, die er beabsichtigt hatte. Ich entspannte mich. Sein Lob floß wie eine Welle warmen Glücks durch meinen Körper. Ich hatte das Gefühl, plötzlich wieder frei durchatmen zu können. Es fühlte sich großartig an. Wobei genau dieses Gefühl nur ein paar Minuten anhielt. Anders als von der Ärztin angekündigt, bekam ich keine Blähungen, sondern hatte das Gefühl, als hätte ich viel zu viel gegessen. Angenehm war das nicht. Aber auch nicht wirklich schlimm. Außerdem ließ es sehr schnell nach. War das jetzt schon alles? Konnte es sein, dass das Mittel gar nicht wirkte? Konnte es natürlich nicht.
Es wirkte sogar ausgezeichnet. Ich hatte es nur nicht wirklich mitbekommen. Erst als Onkel Phil in aller Ruhe meine Decke zur Seite klappte wurde mir klar, dass der Test bereits in vollem Gange war. Beziehungsweise eigentlich schon vorbei war. Ich bemerkte zuerst die dunklen Flecken, die sich im Windelbereich unterhalb des Bodys abzeichneten. Dann kam der Geruch. Wann war denn das passiert? Ich war komplett überfragt. Und mal wieder sehr hilflos. “Oh, das ging aber schnell!”, kommentierte Onkel Phil und drückte den Rufknopf an der Wand. “Dann kann die Ärztin ja schon viel früher wieder kommen!”. Mit einer schnellen Bewegung deckte er mich wieder zu. Ich versuchte gleichzeitig zu erkennen, was das graue Kästchen denn so tat. Außer einer mit bunten Linien bekritzelten Papier-Wurst, die das Ding ausspuckte, gab es aber nichts zu sehen. Ich war mir sicher, dass das kein gutes Zeichen war. Ich hatte nichts gespürt. Also nichts im Sinne von nichts. Gar nichts. Also doch mit Windeln in die Schule? Wie sollte das gehen, wenn ich auf dem Schulhof meine Windel füllte? Oder vielleicht sogar im Klassenzimmer!? Und schon war sie wieder da, die Panik. Ich hab nichts mitbekommen, flüsterte ich unsicher und griff nach Onkel Phils Hand. Ich will nicht mit ‘ner Windel in die Schule Onkel Phil! Mehr brauchte ich nicht raus, bevor es mir die Kehle zuschnürte. Onkel Phil sagte nichts. Er hob mich vorsichtig von der Liege, setzte mich auf seinen Schoß und nahm mich einfach in den Arm. Eigentlich wollte ich protestieren, weil ich genau wusste, dass die volle Windel das nicht lange mitmachen würde. Ich hatte aber nicht mehr die Kraft, irgend etwas zu tun. Ich ließ mich einfach in Onkel Phils vertraute Arme fallen, sank zusammen wie ein gesprengter Industrie-Schornstein. Klein, verängstigt. Aber beschützt. “Ich bin da Paul!”, flüsterte Onkel mir leise ins Ohr, während er mir zärtlich die Haare aus dem verheulten Gesicht wischte. “Wenn das jemand schafft, dann du! Und du bist nicht allein. Versprochen!” Ich speicherte seine Worte ab, auch wenn ich akut wenig mit ihnen anfangen konnten. Noch war da viel zu viel Angst.
Die Ärztin, die sich irgendwann neben uns setzte und erstaunlicherweise eine ganze Weile lang nichts sagte, trug nicht wirklich dazu bei, dass ich meine Panik in den Griff bekam. Erst als ich gefühlt ein Jahrhundert später meine Atmung im Griff hatte und mein Hirn so langsam wieder die Oberhand gewann, realisierte ich, dass sich Onkel Phil leise mit der Ärztin unterhielt. Er wusste, dass ich das nicht leiden konnte. Und doch war ich unendlich dankbar. Denn ganz offensichtlicht hatt Onkel Phil ihr einfach nur erklärt, warum ich hier gerade so einen filmreifen Mini-Nervenzusammenbruch hingelegt hatte. Für den würde ich mich zu gegebener Zeit schämen. Aber hey, es gab jetzt echt Wichtigeres. Die Sache mit der Inkontinenz, der Enkopresis und der Schule, zum Beispiel. Und so signalisierte ich mit einem Räuspern und einem schnellen Kopfnicken, dass es losgehen könne. Schweigen. Dann ein Griff zur vollgekrizelten Papierwurst, die das graue Kästchen ausgespuckt hatte. Ich hörte das Rascheln des Papiers. Roch das Parfüm der Ärztin. Irgendwas mit Lavendel. “… und deshalb ist das Ergebnis der Untersuchung ziemlich eindeutig!” Äh, was? Wo war denn der Beginn der Gesprächs hin? Konzentrier dich, Paul! Mein Verwirrung war fast greifbar. Die Ärztin nahm’s locker. “Hoppla, wo warst du denn gerade? Aber egal. Also nochmal: Das sieht alles gut aus, Paul!” Wieder Stille. Gut. Was hieß denn gut, zum Teufel? “Nachdem was wir hier sehen können, funktioniert die Übertragung der Signale aus Darm, Blase und allen anderen relevanten Organen und Muskeln problemlos! Zumindest theoretisch. Allerdings zeigen die Entzündungswerte in deinem Blut, dass dein Körper gerade gut damit zu tun hat, diese Entzündung in den Griff zu bekommen. Ursprung der Entzündung ist ziemlich sicher deine entzündete Blase. Dazu kommen die Medikamente, die du nehmen musst. Die helfen deinem Körper, die Entzündung zu bekämpfen, schwächen aber leider zusätzlich bestimmte Muskelgruppen und erschweren die neuronale Reizübertragung! Bis zur OP wird das also nicht besser werden. Eher schlimmer, da wir die Dosierung erhöhen müssen, um dich fit für den EIngriff zu machen!” Und das hieß jetzt bitte was? “Dass die Operation ziemlich sicher dafür sorgen wird, dass du nach einer Reha die Windeln loswerden wirst! Und zwar komplett!” Echt? Kein Scheiß jetzt? “Kein Scheiß!”, beendete die Ärztin ihre Erklärung lachend. Strike! Mit einem Jubelschrei sprang ich von Onkel Phils Schoß. Das muss ich unbedingt Juli erzählen. Können wir los? Es dauerte eine Zeit bis ich bemerkte, dass Onkel Phil mich mit einer Mischung aus Heiterkeit und Verwunderung ansah. Was denn? “Können wir alles machen, Paul! Aber vielleicht vorher eine frische Windel, oder?” Oh. Ups? 100 Punkte im Peinlichkeits-Bingo für Paul. Wie immer. Ein halbnackter Freudentanz in einer Windel an ihrer Belastungsgrenze. Ich wurde knallrot. Und natürlich weit und breit kein cooler Spruch, der die Situation retten könnte. Von wem hatte ich eigentlich dieses Trottel-Talent?
Von Onkel Phils Seite der Familie sicher nicht. Der blieb, wie meistens, entspannt und hatte die Sauerei mit der Test-Windel schnell im Griff. “Wickeln kann ich!”, grinste er, als er mit routinierten Handgriffen die benutzten Feuchttücher in die Windel legte und aus dem ganzen Zeug mit Hilfe der vier Klebebänder ein fies riechendes Paket zusammenklebte. Wie immer versuchte ich, das Päckchen zu ignorieren, das er am Rand der Krankenliege zwischenlagerte, auf der er mich saubergemacht hatte. Wenn ich es nicht sehen konnte, dann gab es das Problem auch nicht. Ja, das war kindisch. Aber nur so kam ich mit der Sache einigermaßen klar. “Du bekommst jetzt noch ein Zäpfchen mit einem Wirkstoff, der das Abführmittel neutralisiert. Sonst würde die Wirkung noch rund 2 Stunden anhalten. Und das muss ja nicht wirklich sein, oder?”, fragte die Ärztin, als Onkel Phil mich “freigegeben” hatte. Ich nickte. Es gab schlimmeres. Als das Ding dann an seinem Plartz saß, fehlte nur noch die frische Windel und meine Klamotten. Die hatte Onkel Phil längst bereitgelegt. Neu war der Body, wie ich ihn grade schon getragen hatte. “Wir probieren die Dinger mal aus! Mal sehen, ob das Wickeln damit ein bisschen flotter geht!”, meinte Onkel Phil. Ich hatte dagegen nichts einzuwenden. Warum auch. Die Ärztin hatte mir je erklärt, dass die Medikamente mein aktuelles Problem noch verstärken würden. Und schon mit der normalen Dosierung war das Ergebnis mehr als eindeutig. Kein Kontrolle. Also auch kein Widerstand mehr. Also entspannte ich mich und ließ mich von Onkel Phil anziehen. Body, ein gelbes Langarm-Shirt, die buntgestreifte Thermo-Strumpfhose und meine Hüttenschuhe. Mehr brauchte ich erstmal nicht. “So bist du ganz vorzeigbar!”, zeigte sich Onkel Phil erstmal recht zufrieden mit seinem Werk. Ich fand’s zumindest sehr bequem. Und ob ich nun in einer Leggings über Schiff ging, oder in einer Strumpfhose, war für einen Außenstehenden eh nicht zu erkennen. “Abmarsch in Richtung Kabine!”, kommandierte Onkel Phil gut gelaunt. “Du musst nämlich erstmal deiner Mama die Neuheiten erzählen, oder?” Klar. Mama hatte ich in der Aufregung komplett vergessen. Wie peinlich. “Und dann sind da ja auch noch zwei Tagesberichte zu schreiben!”, ermahnte mich Onkel Phil. Und schon hatte ich es nicht mehr ganz so eilig, in die Kabine zu kommen. “Jetzt jammer nicht!”, meinte Onkel Phil, während er mich durch die Flure schob. “Ich hab heute meinen humanen Tag und erlasse dir jeweils die Hälfte der Aufgabe. Mit deinem kaputten Arm sitzt du sonst bis morgen früh dran! Und wir wollen ja heute noch zu einem festlichen Abschiedsessen, oder?” Er zwinkerte. Ja klar wollten wir. Wollte ich! Alle würden da sein: Juli, seine Großeltern. Und Tilda mit ihrer Mutter! Wahnsinn. Ich war nur vier Tage auf dem Schiff gewesen und doch hatte sich gefühlt alles verändert. Also alles im Sinne von ALLES. Ich hatte Juli getroffen. Wir hatten zusammen mehr erlebt, als manche Freunde in ihrem ganzen Leben gemeinsam durchmachen. Und Tilda. Meine Tilda. Die mir nicht nur gezeigt hatte, das Thema Windeln nicht immer ganu so ernst zu nehmen, und die eigentlich in allem das passende Gegenstück von mir war. Um nichts in der Welt wollte ich diesen Abend verpassen.
Entsprechend konzentriert ging ich die Sache mit den Tageberichten an. Nachdem ich mit Mama telefoniert hatte. Der Anruf kostete mich einiges an Überwindung. In den letzten Tagen hatte ja vor allem Onkel Phil mit ihr gesprochen. Bevor ich die grüne Taste auf Onkel Phils Handy drückte, hatte ich gedanklich schon gepackt. Ausgeschlossen, dass mich Mama nach all den Ereignissen hierlassen würde. Nie im Leben. Da konnte Onkel Phil mir erzählen, was er wollte. Es kam natürlich anders. Ganz anders. Mama war … toll. Keine Vorwürfe. Nix. Dafür jede Menge Fragen. Erwachsenen-Fragen. Sie wollte wirklich wissen, was ich wollte. Wahnsinn. Was ich wollte? Die Sache mit Onkel Phil zu Ende bringen. Inklusive der Operation in knapp 14 Tagen. Auf der Insel. Und Mama hatte keine Problem damit. Oder besser: Sie ließ sich nicht anmerken, dass es für sie ein Problem sein könnte. Sorgte dann aber zum Schluss doch noch für einen echten Mama-Moment. “Wir machen das genau so, wie du es für richtig hälst, Paul!” Kurze Pause am Telefon. “Mit einer kleinen EInschränkung: Ich werde natürlich pünktlich zur OP zu euch kommen!” Wieder eine Pause. Wahrscheinlich rechnete sie damit, dass ich protestieren würde. Ich wartete darauf, dass noch was von ihr kam. Kam aber nicht. Ich schluckte. Wo kam denn jetzt auf einmal der Klos im Hals her? Mama? “Ja, Paul?” Das … das wäre super! Jetzt war’s raus. Weg war der Klos im Hals. Stattdessen war da jetzt ein flauschiges warmes Gefühl im Bauch. Ja, ich hatte den coolsten Onkel der Welt an meiner Seite. Er würde mich auch im Krankenhaus beistehen. Aber da würde auch Mama sein. Meine Mama. Und genau so musste das sein.
Ich strahlte noch immer bis knapp unter die gegelten Haare, als wir keine zwei Stunden später unsere reservierten Plätze beim Italiener einnahmen. So langsam gewöhnte ich mich an die Wuschelfrisur, die Onkel Phil mir mit geübten Handgriffen in Form zupfte. Ich trug ein neues weißes Hemd mit einer aufgedruckte Fliege, das Onkel Phil aus seinem Koffer gezaubert hatte. Drunter einen der hellblauen Bodys, die wir in der Krankenstation bekommen hatten und der die super dicke Windel zumindest ein kleines bisschen in ihre Schranken wies. Dazu noch eine rote Strumpfhose, die eigentlich für Notfälle reserviert war. In Not war in diesem Moment niemand, abgesehen von meinem Klamottenvorrat. Wir mussten morgen dringend die Wäscheberge loswerden, die ich in den letzten vier Tagen verursacht hatte. Drüber trug ich eine dunkelblaue Thermo-Leggings. Wieder eine Notlösung. Nein, das war nicht das festlichste Outfit, das man sich vorstellen konnte, aber anders ging es nicht. Meine beiden Latzhosen waren in der Wäsche und alle, ja wirklich alle meine Jeans waren mit dem Windelpolster schlicht überfordert. Die meisten Hosen bekam ich nichtmal über den Po. Und falls doch, dann stand ich vor der Herausforderung, mit offener Hose durch die Gegend laufen zu müssen. Die Knöpfe gingen nicht zu. Keine Chance. Also, Leggings. War eh viel bequemer. Vor dem Spiegel war ich dann auch ganz zufrieden mit mir. Bis zur Hüfte sah ich sogar sehr gut aus. Coole Frisur, witziges Hemd. Sympathischer Typ. Vom Gummibund der Leggings abwärts war ich dann halt wieder nur Paul mit dem Windelpopo. Stop, kleine Einschränkung: Paul mit dem Windelpopo und den coolsten Sneakern diesseits der Milchstraße. Fühlte sich das alles doof an? Überraschenderweise nicht. Warum auch? Alle, die ich an diesem Abend treffen würde, wussten um meine Situation. Und keinen meiner Freunde hatte es bislang gestört, dass ich ein bisschen undicht war. Okay. komplett undicht.
Wir waren fast 20 Minuten zu früh. Weil ich gedrängelt hatte. Juli würde mit seinen Großeltern auf die Minute pünktlich eintreffen, Tilda mit ihrer Mutter sicherlich zehn Minuten zu spät. Aber irgendwie war das mein Abend. Und als “Gastgeber” war es mir wichtig, mehr als Pünktlich zu sein. Ich genoss die Zeit mit Onkel Phil alleine am Tisch. Genoss die Vorfreude auf den Abend. Genoss den Duft des mediterranen Büffets und den würzigen Geruch, der aus dem offenen Küchenbereich durch den Raum waberte. So roch das Paradies. “Vielen Dank für die Einladung!”, lieber Paul riss mich eine tiefe Stimme aus meinem Spätabend-Tagtraum. Puls auf 280, Schockstarre. Der Graf. Scheiße, wo kam der denn jetzt plötzlich her? Viel zu früh? Wie lange war ich im italienischen Genießerhimmel, zum Teufel? Ich versuchte möglichst unauffällig und elegant zurück in die Realität zu finden. Das klappte … nicht. Atmen, denken, lächeln. Das war in so einem Schreckmoment echt ein bisschen viel verlangt. Erschwerend kam dazu, dass natürlich pünktlich zum Schock meine Blase das letzte bisschen Kontrolle aufgegeben hatte. Zumindest schlussfolgerte ich das aus der Wärme, die plötzlich zwischen meinen Beinen zu spüren war. Davon geriet ich eigentlich längst nicht mehr aus dem Takt. Wenn, so wie gerade, sich alle dunklen Mächte gegen mich verschworen, dann aber schon. Und so wurde aus meiner sorgsam vorbereiteten Begrüßung ein schiefes Grinsen. Ich sah garantiert bescheuert aus. Zum Glück waren der Graf und die Gräfin Kummer gewohnt und ließen sich problemlos von Onkel Phil in eine belanglose Plauderei hineinlenken. Ich dankte ihm mit einem schnellen Lächeln. Blieb nur noch Juli. Der hatte so gar nichts vom Understatement seiner Großeltern geerbt. Und stelle das auch postwendend unter Beweis. “Auf welche Kröte hast du denn grade gebissen, Paul?” Ja, sehr witzig, Juli. Mit einem Schnuller im Gesicht sah er nicht wirklich souveräner aus. Dachte ich mir. Behielt sein Geheimnis dann aber natürlich für mich. Ein kurzer Ellenbogen-Check in seine Seite musste als Antwort reichen. Reichte auch. Weil sich auch Jui ganz offensichtlich sehr auf den Abend freute. Und so ganz anders aussah, als ich es erwartet hatte. Okay, er trug eine seiner sterbenslangweiligen Cordhosen. Farbton: Kameldurchfallbeige. Das war’s dann aber auch schon, in Sachen Spießigkeit. Statt Pullunder und steifem Hemd hatte er sich irgendwo einen grünen Kapuzenpulli besorgt, der erstaunlich gut zur Cordhose passte. Aber natürlich überhaupt nicht zu seinen Neon-Sneakern. Dafür aber zu seiner neuen Frisur. Ein klassischer Undercut. Sehr angesagt. Fast war ich ein bisschen neidisch. Aber nur fast. Er sah echt gut aus. Ich wollte mir gar nicht vorstellen was der arme Kerl hatte unternehmen müssen, um von seinen Großeltern die Freigabe zu bekommen, so auf die Straße, bzw. unter Leute zu gehen. Während ich noch voll in der Juli-Inventur steckte, bekam ich nur kurz mit, wie er die Augen verdrehte und vorwurfsvoll zu seinen Großeltern blickte. Die hatten im Gespräch mit Onkel Phil offensichtlich gerade Julis Outfit thematisiert und waren bass erstaunt, dass Onkel Phil den Look ebenso gut fand, wie ich. 2:0 für Juli.
Wir hatten kaum Platz genommen, da spürte ich erst zwei Hände auf meinen Augen und dann einen zarten Kuss auf der Backe. Tilda! Hilfe, jetzt fuhr mein Magen Achterbahn. Tilda war da. Und sie hatte mich geküsst. Geküsst! Mich! Und dann der Durft ihres Erdbeer-Lipgloss. Ich wusste ganz kurz nicht wohin mit mir, mit meiner Freude und meinen Händen. Mein Körper löste die Sache auf die bewährte Art: Alles Blut in die Ohren. Fertig. Ich leuchtete wie eine XXL-Tomate und versuchte krampfhaft, meine Atmung wieder in Gang zu bekommen. Das klappte, ging aber auf Kosten von Kommunikation. Das bekannte schiefe Lächeln von vorhin musste reichen. Ich war der Smalltalk-Rohrkrepierer des Tages. Hatte aber so zumindest von Beginn an die Lacher auf meiner Seite. Das wurde erst besser, als Tilda und ich zum Vorspeisen-Buffet aufbrachen. Erst jetzt hatte ich Zeit, mir den Rest von Tilda anzusehen. Sie hatte ihre Haare zu einem französischen Zopf geflochten, trug einen schlichten Jeans-Jumpsuit und dazu rosa Birkenstock-Sandalen. Ihre Zehen steckte in weißen Strümpfen mit kleinen blauen Punkten. Sie sah umwerfend aus. Trotz oder gerade wegen der dicken Windel-Beule, die ihre Körpermitte zierte. Genau wie bei mir. Toller Jumpsuit, flüsterte ich ihr zu, als sie neben mir versuchte, kleine Mozarella-Bällchen und Cocktail-Tomaten elegant auf ihren Teller zu balancieren. Das klappte nur so lange gut, bis mein “Kompliment” ins Spiel kam. Dann bekam auch Tilda rote Ohren und konnte in Sachen Mozarella und Tomaten von vorne beginnen. Es freute mich tierisch, dass die sonst so schlagkräftige Tilda nicht mehr als ein verlegenes “Danke” herausbrachte. “Erde an Tilda und Paul!?” Das war Juli. Dem waren wir ganz offensichtlich mächtig peinlich. Zumindest hielt er deutlichen Abstand. “Können wir jetzt vielleicht wieder zurück an den Tisch? Ich hab Hunger!” Ja doch. Keine Hektik. “Du fastest heute, Paul?” Hä? Was wollte Juli denn. Oh. Schneller Blick auf meinen Teller. Der war tatsächlich leer. Und schon wechselten die roten Ohren wieder den Besitzer.
So ging das übrigens bis nach der Hauptspeise. Wir flachsten, lachten und glucksten, als hätten wir unser Leben lang nichts anderes gemacht. Und auch die Erwachsenen hatten ihren Spaß. Onkel Phil hatte zwei seiner neusten Bildbände dabei, Tildas Mutter berichtete von ihrem neuen Job und Julis Großeltern erzählten von Expansionsplänen ihres Hotels. Konnte dieser Abend bitte einfach nie aufhören? Ich schielte auf die Uhr. Schon kurz nach 8. Wow. Üblicherweise schickte mich Onkel Phil in einer Stunde ins Bett. Aber nicht heute. Das hatten wir besprochen. Wir wollten nach dem Essen nämlich noch in die Bibliothek. Und unsere Scrabble-Schlacht final zu Ende bringen. Entsprechend erstaunt war ich, als Tildas Mutter ihre Tochter auf dem Weg zum Dessert-Buffet abfing. “Tilda, wir legen kurz eine Pause ein, bitte!” Erstaunte Blicke. Bei mir. Bei Tilda. Und bei Juli. Der reagierte am Schnellsten, stand aber mehr als auf dem Schlauch. “Was? Was ist denn los?” Tilda verdrehte die Augen. “Lasst euch nicht aufhalten. Mama ist der Meinung, dass ich einen Boxenstop brauche!” Oh. Jetzt fiel auch bei mir der Groschen. Ich schielte kurz in Richtung Tildas Hüfte. Okay, ihre Windel war ziemlich sicher nicht mehr ganz taufrisch und hing deutlich sichtbar schwer zwischen ihren Beinen. Und was viel wichtiger war: Ich konnte jetzt auch wieder riechen, was Tildas Mutter meinte. Und diesmal war’s nicht ihr Lipgloss. Ich verstand und winkte Tilda zum Abschied kurz zu. Juli war nach wie vor ziemlich ahnunglos. “Was ist denn los?” Zeit für ein genervtes Augenrollen meinerseits. Juli, Tilda braucht einen frische Windel! “Oh? Echt? Hab ich gar nicht gemerkt!” Kunststück. Du warst ja auch mit Essen beschäftigt! Jetzt schmollte er. Und bekam deshalb auch nicht mit, wie mein Selbstbewusstsein schlagartig in Unsicherheit umschlug. Oder besser: Panik. Ich war mir nämlich plötzlich nicht mehr ganz so sicher war, wie es in meiner eigenen Verpackung aussah. Klar, ich konnte die Feuchtigkeit ein bisschen spüren. Aber das war bei den dicken Dingern kein Problem. Was mich echt verunsicherte war der Geruch, den ich noch wahrnahm, obwohl Tilda nicht mehr neben mir stand. Konnte es sein, dass ich es diesmal wieder nicht mitbekommen hatte? Ohne viel Worte zu verlieren, schlich ich so unauffälig wie möglich zu Onkel Phil. Ein kurzer Anstupser. Zwei intensive Blicke. Einer in meine Augen, einer in Richtung Windel. Dann legte er in aller Ruhe sein Besteck zur Seite und blickte entspannt zu Julis Großeltern: “Sie entschuldigen uns kurz? Aber wir müssen uns kurz frisch machen!”. Er griff zu seiner Tasche und schob mich dann in Richtung Toiletten. Genau den Weg, den vorher auch Tilda mit ihrer Mutter eingeschlagen hatte. Kurz frisch machen? Ich mochte seinen Humor. Das, was ich da roch, deutete eher auf etwas ganz anderes hin. Aber wir würden sehen. Jetzt musste erstmal Onkel Phil ran. Und ich würde mir später überlegen, wie ich Tildas Mutter klar machen sollte, dass ihre Tochter “unschuldig” auf dem Wickeltisch lag. Da gehörte ganz eindeutig ich hin.
Also: Abmarsch in Richtung Restaurant-Toiletten. Dort gab es, wie fast überall auf dem Schiff, auch ein Behinderten-Toilette mit Wickelmöglichkeiten. Der Raum war abgeschlossen. Das war in dem Fall kein Pech, sonder nur folgerichtig. Schließlich war da ja Tilda mit ihrer Mutter drin. Onkel Phil reagierte wie immer pragmatisch: Kurz gegen die Tür klopfen, Tildas Mutter mit kurzen Worten erklären, dass wir ebenfalls ziemlich dringend eine Wickelmöglicheiten brauchen. Fertig. Keine Minute später standen wir zu viert in dem nicht gerade riesigen Raum. Tilda hatte sich aus ihrem Jumpsuit geschält und stand in ihrem Body und Kniestrümpfen neben der Tür. Ihre Mama hatte zwischenzeitlich den Wickeltisch mit einer saugfähigen Unterlage abgedeckt und legte Feuchttücher und eine frische Windel bereit. Konnte also gleich losgehen. Musste es ja aber gar nicht. Auftritt Paul. Ich stellte mich neben Tilda und versuchte in Worte zu fassen, wofür es in meinem Alter keine Worte geben sollte: Meine volle Windel. Entsprechend wenig beeindruckend gestaltete sich mein Gestammel. Eine gefühlte Ewigkeit später war es dann raus: Meine Windel war der Grund für Tildas Boxenstopp.
Dass ich für dieses Geständnis nicht mehr als ein müdes Lächeln kassiert, verwirrte mich. Tilda verdrehte sichtbar erheitert die Augen und kletterte mit Schwung auf den Wickeltisch. Was war denn jetzt los? 100 Punkte für den dämlichsten Blick des Jahres. Tildas Mutter hatte schließlich Mitleid mit mir und klärte die Situation auf: “Paul, es ehrt dich sehr, dass du Tilda in Schutz nimmst! Ich bin mir aber sicher, dass Tilda und ich nicht ohne Grund hier sind!” Nicht ohne Grund? What? “Man Paul!”, kam es irgendwann von Tilda gewohnt forsch. “Meine Windel ist doch auch voll!!” Oh. Echt jetzt? Stummes Nicken von Tilda. Und ein wissendes Schulterzucken ihrer Mutter. Na toll. Vorbei meine Rolle als selbstloser Retter. “Ich störe diese wirklich einzigartige Szene der Erkenntnis ja nur ungern, aber ich würde gerne wieder zurück zu meiner Pasta. Und raus aus diesem Raum mit zwei nicht sehr vorteilhaft riechenden Heranwachsenden!” Das war Onkel Phil. Der hatte in der Zwischenzeit “unsere” Wickelunterlage ebenfalls auf dem Tisch platziert. Samt einer sauberen Windel und Feuchttüchern. Konnte also losgehen.
Eine Minute später lag ich etwas überrumpelt neben Tilda und spürte, wie Onkel Phil mir erst die Schuhe, dann die Leggings und zum Schluss die Strumpfhose auszog. Body und nix weiter. Gleichstand mit Tilda in Sachen Outfit. Dennoch wünschte ich mich ins nächstbeste Mauseloch. Da war aber keins. Wie immer. Mit einer vollen Windel auf dem Wickeltisch neben einem Mädchen, das man wirklich gut findet. Ging’s noch schlimmer? Eher nicht. Oder halt, doch: Onkel Phil und Tildas Mama könnten sich zum Beispiel noch über die Vorzüge von meinen Windeln und Tildas Feuchttüchern unterhalten. Das war jetzt bitte nicht wahr, oder? War es aber natürlich. Und so beobachtete ich fassungslos, wie eine meiner Windeln auf Tildas Seite des Tisches wanderte und im Gegenzug eine Packung von Tildas Feuchttüchern zu mir rüber. Als Onkel Phil dann endlich den ersten Druckknopf meines Bodys öffnete, schloss ich die Augen. Ich wollte mir das Elend nicht auch noch ansehen müssen. Schlimm genug, dass alle im Raum riechen konnten, wie schlimm es vor allem in meiner Windel aussah. Entsprechend lange dauerte es, bis Onkel Phil mich endlich gründlich gesäubert hatte. Trotz der superweichen Feuchttücher von Tilda. Ich war den Tränen nahe, als mich Onkel Phil nach einer gefühlten Ewigkeit vom Tisch hob und neben Tilda stellte. Die hatte längst wieder ihren Jumpsuit an. Der saß wegen der XXL-Windel, die sie jetzt trug, an der Hüfte deutlich enger als zuvor. Ich hatte noch Strumpfhose, Leggings und Schuhe vor mir. Nichts davon konnte ich wegen des Gipsarms wirklich alleine anziehen. Was nicht gerade dazu beitrug, meine Stimmung aufzuheitern. Lediglich Tildas Lockerheit machte die Situation für mich einigermaßen erträglich. Die fand nicht nur das Tragegefühl meiner Windeln total gut. Sondern offensichtlich auch mich selbst. “War das nicht cool, Paul? Unser erstes Date auf dem Wickeltisch!” Gequältes Grinsen, während mir Onkel Phil gerade die Leggings über die rote Strumpfhose zog. Uff. Stimmte ja, irgendwie. Verrückt was trotzdem. Also alles. Weil ich Tilda sehr mochte. Und sie mich auch, da war ich mir ziemlich sicher. Noch aber so gar keine Ahnung hatte, was ich mit dieser Zuneigung anfangen sollte. Oder wollte. Oder konnte.
War jetzt und hier aber auch wirklich egal. Schließlich war es höchste Zeit, wieder zurück zu unseren Freunden zu kommen. Und zu unseren vollen Tellern. Dennoch fühlt sich der Rückweg anders an. Ich schlurfte neben Tilda her und spürte, dass sich in den letzten zehn Minuten etwas verändert hatte. Tilda war mir irgendwie vertrauter. Näher. Vielleicht hatte sie ja Recht. Und es war wirklich so etwas wie ein erstes Date. Okay, es hatte auf einem Wickeltisch stattgefunden. Und ich hatte ganz ehrlich noch keine Ahnung, was bei einem echten Daten wirklich passieren sollte. Es musste irgend etwas sein, das zwei Menschen einander näher brachte. Soviel stand fest. Und das passte wunderbar zu dem, was ich empfand. Neben dem Hunger, der sich langsam sehr deutlich meldete. Also: Zurück an den Tisch. Da saß Juli neben seinen Großeltern und brachte bereits die zweite Portion Nudeln an ihren neuen Bestimmungsort: seinen Magen. Er sah sehr zufrieden aus. Wegen der unbegrenzt verfügbaren Pasta. Und wegen mir. Beziehungsweise Tilda. Er mochte uns ja beide. War aber nicht so gut darin, das in Worte zu fassen. “Na, alles wieder frisch bei euch beiden?” Sag ich doch. Der Julifant im Porzellanladen. Ich grinste, streckte ihm die Zunge raus und ließ mich neben ihn auf die Sitzbank fallen. Die dicke Windel knisterte dabei so laut dass ich mir sicher war, dass es sogar der Kapitän auf der Brücke hören konnte. Konnte er aber natürlich nicht. Ich würde mich daran trotzdem nie gewöhnen. Viel Zeit, mich über mein aktuelles körperliches Defizit und die Windeln zu ärgern hatte ich allerdings nichts. Es galt, Julis Pasta-Vorsprung aufzuholen. Und mit meinen Freunden einen schönen Abend zu verbringen. Was ganz wunderbar funktionierte. Wenn man mal davon absah, dass Juli den letzten Teil des Abends ohne Hose verbringen musste. Er hatte sich beim zweiten Dessert-Gang eine ganze Schüssel Rote Grütze über die Hose geleert. Schade um das “schöne” Cord-Teil. Sein Glück, dass er sich bei der Klamottenwahl zwar für den modernen Look mit Kapuzenshirt und Neon-Sneakers entschieden hatte, ansonsten aber eher klassisch unterwegs war und eine Strumpfhose drunter gezogen hatte. Hellbraun mit bunten Rennwagen drauf. Das sah in Kombination mit den grellen Sneakern furchtbar aus, bewahrte ihn aber davor, den Abend abbrechen zu müssen. Und nur darauf kam es an. Unser Abend.
Autor: Der Beobachter (eingesandt via E-Mail, exklusiv)
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