Annes fast normales letztes Schuljahr – vom Mädchen zur jungen Frau (10)
Annes fast normales letztes Schuljahr – vom Mädchen zur jungen Frau (10)
10. Zwei Frauen, ein Bett
„Na, Du Schlafmütze, auch wieder wach?“ Anne öffnete ihre Augen und wusste kurz nicht, wo sie gerade war. Sie blickte verschlafen umher, bis sie Billy entdeckte. Nach einem Abstecher über den kleinen Supermarkt in der Nähe des Bahnhofs, in dem sich die Freundinnen noch etwas zum Abendessen gekauft hatten, ließen sie sich auf Billys Bett fallen. Sie zappten sich durch das Fernsehprogramm und blieben bei einer amerikanischen Serie hängen, die in der x-ten Wiederholung lief. Sie hatten sich gerade nicht viel zu sagen und genossen die Ruhe nach einem hektischen Nachmittag in Freiburg. Darüber muss sie eingeschlafen sein. „Wie lange habe ich denn geschlafen?“ „Ne knappe Stunde, also nicht so lang.“ „Ich bin immer noch platt. Mir wäre es am liebsten, wenn wir das Bett heute nicht mehr verlassen müssten.“ „Wird sich nicht vermeiden lassen, wenn wir noch etwas essen wollen. Selbst wenn wir das Pizzataxi rufen, muss jemand an die Tür, um den freundlichen Lieferanten zu empfangen.“ „Pizzataxi klingt gut!“ Billy drehte sich zu ihrem Nachttisch, auf dem sehr viel Zeug lag. Sie schichtete ein wenig um und zog wenige Augenblicke später den Prospekt eines Lieferservice aus einem Stapel hervor. „Pizza Angelo ist ganz gut.“ „Ja, den kenne ich auch, da haben wir auch schon ein paar Mal bestellt. Und unser Au-Pair-Mädchen ist auch ganz begeistert von ihm.“ Gemeinsam studierten sie die Speisekarte, bevor Billy zu ihrem Handy griff. Offenbar bestellte sie dort häufiger, denn die Nummer war eingespeichert. „Einmal die 23 und einmal die 27 und einen Chianti“, sprach sie ins Telefon. Nicht schon wieder Alkohol, dachte sich Anne, die froh war, dass ihr Kopfweh endlich weg war! „So ein Gläschen Wein schafft doch die nötige Bettschwere“, versuchte die Hausherrin ihre Freundin davon zu überzeugen. „Bettschwere habe ich eigentlich schon genug.“
Dabei stellte sie fest, dass fast noch komplett angezogen war, während ihre Freundin nur noch mit ihrem Langarmshirt und ihrer Strumpfhose bekleidet war. Anne zog sich ihren Rock und ihren Pullover auch aus und saß nun in roter Bluse und roter Strumpfhose auf dem Bett. „Lady in red“, sang Billy leise. „Aber ich tanze nicht.“ Macht nix, ich fordere Dich nicht auf. Das muss schon Max machen.“ Wie zum Teufel kam ihre Freundin jetzt auf ihn? Fast den ganzen Tag musste sie nicht an ihn denken. Zu viel anderes hatte sich seit dem kurzen Hallo auf dem Weihnachtsmarkt ereignet, dass sie keine Zeit dafür hatte. Ihr wurde es plötzlich ganz warm ums Herz, und Billy entging der Blick, den ihre Freundin schlagartig bekam, nicht. Sie hatte ein Lächeln im Gesicht, das nur Verliebte haben, die ihr Geheimnis nicht preisgeben wollen. „Er gefällt Dir also doch!“ Fast triumphierend sprach sie das aus. Anne errötete und blickte auf das Bett. „Wusst ich’s doch! Ich kenne doch meine beste Freundin!“ „Ja, er ist schon ganz süß.“ Billy musste schon genau hinhören, so leise war ihre Freundin. „Wie schon gesagt: So wie er Dich gestern angeschaut hat, steht er auch auf Dich.“ „Meinst Du wirklich?“ „Ich müsste mich schon schwer täuschen!“ „Woran hast Du das gemerkt?“ „Na ja, er hat halt so geschaut wie jemand, der verliebt ist, sich aber nicht traut, seine Angebetete anzusprechen.“ „Aha.“ „Ja, jetzt müsst Ihr halt nur mal zusammen kommen!“ „Aber wie mache ich das?“ „Sei halt ganz nett zu ihm, wenn Ihr Euch das nächste Mal seht. Lächel ihn an! Mach ihm ein Kompliment. Zu den Klamotten, die er anhat, oder wie er mit den Rentnern umgeht, whatever!“
Sie wurden vom Klingeln an der Wohnungstür unterbrochen, als sie sich gerade in das Gespräch vertieft hatten. Billy stand auf, zog sich einen Bademantel über ihre Hausklamotte. Anne war erleichtert, denn sie wollte nicht, dass der Lieferant ihre Freundin in Windeln sah, auch wenn sie unter der Strumpfhose vielleicht nicht eindeutig zu erkennen war. Billy zwinkerte ihr zu. „Keine Angst, meine Geheimnisse teile ich nicht mit jedem. Auch nicht mit charmanten Pizzataxifahrern!“
„Wart mal, mich zahle!“ Anne zog ihren Geldbeutel aus der einer der Seitentaschen ihres Rucksacks heraus und drückte ihn ihrer Freundin in die Hand. „Die Firma dankt!“ Sie ging zur Tür, um die Bestellung zu bezahlen. Auf dem Rückweg ging sie noch in die Küche, um Besteck und zwei Weingläser zu holen. „Kannst Du mir gerade helfen? Alleine schaffe ich das nicht.“ Anne quälte sich aus dem bequemen und warmen Bett und half Billy beim Transport des Abendessens. „Der Bote ist schon eine scharfe Schnitte.“ Billy pfiff durch die Zähne. Dann schnapp ihn Dir!“ „Nee, geht nicht, der ist mit der Tochter von Angelo zusammen. Den krieg ich nicht.“
„Buon apetito!“ Sie breiteten die Pizzakartons auf dem Bett aus und ließen es sich gutgehen. Billy zappte wieder durch das Fernsehprogramm, bis sie bei ‚Schlag den Raab‘ hängen blieb. „Das ist doch ganz okay, oder?“ Anne nickte, während sie an ihrer Pizza Quattro Stagioni kaute. „Auch ein Gläschen?“ Billy entkorkte den Wein und goss sich ein wenig ein. Die Angesprochene konnte gar nicht antworten, weil sie ein volles Glas in die Hand gedrückt bekam. Sie seufzte. Ihrer Freundin konnte sie selten etwas ausschlagen.
„Aber jetzt nochmal zu Max!“ Die Kartons lagen leer zwischen Bett und Fernseher, und ihre Gläser waren halbleer, als Billy wieder auf Annes Schwarm zu sprechen kam. „Wann siehst Du ihn denn wieder?“ „Am Dienstag Mittag. Da gehen wir durchs Altenheim und verteilen kleine Plätzchenpäckchen für die Rentner und wünschen ihnen frohe Weihnachten.“ „Geht da jeder alleine, oder geht Ihr zu mehren?“ „Wir gehen immer zu zweit.“ „Ausgezeichnet! Dann sag ihm, dass Du mit ihm die Päckchen verteilen willst. Die Alten werden entzückt sein, wenn sie Euch zusammen sehen!“ „Du bist blöd.“ „Nein, im Ernst, die freuen sich, wenn sie von einem jungen Paar beschenkt werden.“ „Aber wir sind doch kein Paar!“ „Das ist doch denen egal. Die freuen sich einfach, weil es sie an ihre Jugend erinnert.“ „Und wenn wir fertig sind?“ „Dann verabredet Ihr Euch, Dummerle!“ „Du meinst, ich kann ihn einfach fragen, ob er sich mit mir treffen will?“ „Warum denn nicht?“ „Und wenn er nicht will?“ „Der will, glaub mir!“ „Aber wo gehe ich denn mit ihm hin?“ „Gute Frage.“ Zwischen den Jahren hatten nur zwei Cafés auf, die sich eher an ältere Kundschaft richteten. Und die Spelunke, die sich Schorschs Bistro nannte, war auch nicht der geeignete Ort für ein Date zweier frisch verliebter. „Vielleicht fällt mir noch was ein.“
Anne bekam Herzklopfen bei dem Gedanken, vielleicht mit Max die Rentner zu beschenken. Ja, sie würde sich trauen, ihn zu fragen, ob er mit ihr die Runde machen wolle. Das Glas Rotwein verlieh ihr eine Euphorie, die ihr vollkommen unbekannt war. Ihr Wangen glühten. Billy lächelte ihre Freundin liebevoll an. Es gefiel ihr, wie die Verliebte in Gedanken versunken war und glücklich dabei wirkte. Das passierte selten genug.
Die Geisterstunde war bereits vorbei, und Stefan Raab hatte wieder seinen Gegner geschlagen, als Billy sehr herzhaft gähnte. „Bis Du auch so müde?“ Anne kämpfte auch schon länger mit ihrer Müdigkeit. „Alt werde ich heute nicht mehr.“ „Okay, dann wickle ich mich noch frisch. Sicher ist sicher.“ „Wie oft hast Du da seit heute Nachmittag rein gemacht?“ „Zwei- oder dreimal, glaube ich.“ Anne erinnerte sich nur an das eine Mal auf der Fahrt nach Hause. „Im Zug – und wann noch?“ „Als Du tief und fest geschlafen hast und in irgendeiner Werbepause.“ „Das habe ich wirklich nicht mitbekommen.“ „So, und bevor ich mich wickle, lasse ich noch den restlichen Rotwein raus.“ Billy richtete sich auf, um sich in die Hocke zu begeben. Sie stütze sich mit ihren Händen auf dem Knie ab und schloss ihre Augen. Ihre Gesichtszüge entspannten sich vollkommen. Anne konnte das Rauschen in der Windel ihrer Freundin hören. Sie lächelte wieder. Irgendwie gefiel es ihr, wie sie sich diesem kleinkindlichen Erlebnis hingab und dabei freute. Viel schien es nicht gewesen zu sein, denn sie setzte sich schnell wieder anders hin und befühlte ihren Schritt. „Ui, viel mehr hätte nicht kommen dürfen. Jetzt ist die Windel randvoll.“ „Ist Dir die Windel schon mal ausgelaufen?“ „Ja, schon öfter. Vor allem morgens, wenn ich nachts gewickelt geschlafen habe. Da achte ich nicht so drauf, wie viel schon drin ist. Und ich hab einen Schonbezug auf dem Bett, damit die Matratze nix abkriegt.“ „Du bist ja richtig professionell.“ „Das ist wohl eine Berufskrankheit“, gab Billy zurück.
„Jetzt aber wirklich!“ Eher widerwillig verließ sie das warme Bett, um die Sachen aus dem Kleiderschrank zu holen, die sie für den Windelwechseln benötigte. „Willst Du auch eine“, wagte sie wieder einen Vorstoß, um sie ihr schmackhaft zu machen. „Nein, lass mal.“ Im Halbdunkel, mehr gab die Nachttischlampe an Licht nicht her, legte sie sich auf das Badetuch, das sie unter dem Bett hervor holte. „Das ist aber eine andere Windel als die, die Du bis jetzt anhattest.“ „Ja, die lilanen sind dicker und saugfähiger. Die sind ideal für die Nacht! Da muss ich morgens nicht so schnell aufstehen, wenn ich es mir im Bett noch ein wenig gemütlich machen will.“ Anne war beeindruckt, wie wie viel ihre Freundin über Windeln wusste. Sie kannte gerade einmal die Pampers ihrer kleinen Schwester, die sie ab und zu wickelte. Dass es unterschiedlich dicke Windeln für Erwachsene gab, erschien ihr vollkommen absurd, aber sie hatte sich auch nie Gedanken darüber gemacht.
Die schwarze Baumwollstrumpfhose zog Billy aus, weil es ihr unter der Bettdecke doch zu warm werden würde. Anne zog auch ihre rote Baumwollstrumpfhose aus und griff nach dem Nachthemd in ihrem Rucksack. „Schwitzen wollen wir ja nicht, gell?“ Anne nickte. Sie ging noch einmal auf die Toilette, während ihre Freundin mit den wenigen Handgriffen, die ihr inzwischen bekannt waren, ihre Windel wechselte. Als Anne aus dem Bad zurück kam, ging sie ebenfalls dorthin, um die Windeltüte im Abfalleimer zu entsorgen und sich die Hände zu waschen. Sie zogen sich ihre Nachthemden über, bevor sie sich im großen Bett ausbreiteten. Sie kuschelten sich ineinander ein und rieben sich an ihren von Feinstrumpfhosen umhüllten Beinen, wie sie es immer machten, seit Billy ihr das erste Mal eine von ihren gegeben hatte. Sie genossen diese Zweisamkeit, die sie früher fast jedes Wochenende hatten, sehr .
Kurz darauf schliefen sie eng umschlungen ein.
Autor: couchier (eingesandt via E-Mail)
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Klasse geschrieben, freue mich auf den nächsten Teil.