Zweite Chance (2) – Kapitel 13
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Kapitel 13 – Unstoppable – Harndrang außer Kontrolle
Was bisher geschah:
Guten Tag verehrter Leser, mein Name ist Giacomo, meines Zeichens Schüler und seit sieben Tagen zusätzlich großer Bruder eines elfjährigen Jungen namens Felix. Auf den folgenden Seiten haben Sie, werter Leser, die Gelegenheit einzutauchen in ein Abenteuer durch Raum und Zeit. Nehmen sie sich ein Glas Rotwein, nehmen sie Platz in ihrem Lesesessel und machen sie sich bereit für die Reise.
Aber jetzt erstmal genug von dieser Pseudo-Hochgestochenen-Sprache! Bis vor einer Woche war ich Einzelkind, bis ich mich schließlich selbst besuchen kam. Nix mit Schizophrenie oder so, nein, bei meinem Besuch handelt es sich um mich mit 11 Jahren. Geht nicht? Denkste! Geht nicht gibt’s nicht! Long Story Short: Mein 11 jähriges Ich heißt nun Felix und hat, nachdem es zusammen mit mir mehrere Tage von einer mehr oder weniger geheimen Regierungsorganisation namens 1406-Division untersucht wurde, eine Identität im hier und jetzt, im Jahre 2014 bekommen. Nachdem die Osterferien vorbei waren, wurde der kleine Felix auf dieselbe Schule wie auch schon im Jahre 2007 eingeschult und ist nun dabei, sich dort einzufinden, was ihm erstaunlich gut gelingt. Übrigens teilt Felix selbstverständlich auch meine Leidenschaft für Windeln und trägt selbige – im Gegensatz zu mir sogar dauerhaft. Wie ich gestern erkennen musste, scheint sich bei ihm sogar ein Faible für Ageplay zu entwickeln. Ja wer hätte das denn gedacht! Kurzum: Es wird spannend.
Kapitel 12:
Es ist fast 11 Uhr, als es dann tatsächlich Frühstück gibt, eine ganze Stunde nachdem ich meinem überaus neugierigen kleinen Bruder gesagt hatte, das ich „dann mal Frühstück mache“. Wieso nenne ich Felix eigentlich meinen kleinen Bruder? Es fühlt sich so an als wäre er mein kleiner Bruder. Von daher lassen wir das mal so. Das Frühstück jedenfalls, kam dann doch etwas später als geplant, dafür aber mit frischen Brötchen und allerhand sonstiger Leckereien und wenn ich mich so umschaue, scheint die Verzögerung auch niemandem sauer aufgestoßen zu sein. Der einzige Frühaufsteher im Hause hatte heute Morgen immerhin noch genug Kakao von gestern Abend zu trinken und dürfte sich über die extrastunde Fernsehen vermutlich eher gefreut haben als diese zu bedauern.
„Endlich. Hungaaaaaaah!“, gibt der Dreikäsehoch allerdings doch von sich, als er nach zweimaliger Aufforderung schließlich ohne Gegenwehr in der Küche erscheint. Verstrubbelte Haare die sich hinten aufgerichtet haben, mit einem liebenswürdigen Grinsen auf dem Mund und einer Pampers, die fast bis zu den Kniekehlen hängt. Eigentlich längst Zeit zum wickeln, aber niemand weiß besser als ich das Felix das grade ziemlich genießen dürfte und so tue ich, als würde ich seine nasse Windel nicht bemerken. Meiner Mutter ist das generell noch nie aufgefallen, vermutlich denkt sie wenn es um physische Ausmaße geht, noch an die Pampers der Neunziger, die waren ja sowieso dicker. Oder merkt sie es bloß nicht?
Wie dem auch sei, da sich scheinbar niemand besonders daran stört, setzt sich Felix mit einem charakteristischen Schmatzgeräusch der triefnassen Pampers auf seinen Stuhl und nimmt sich begeistert ein Puddingteilchen aus dem Brotkorb. Wenn um halb Eins Fabian kommt, sollte Felix allerdings sowohl frisch gewickelt sein als auch nicht mehr in seinem Schlafanzug stecken, was selbiger aber vermutlich mittlerweile wieder ganz vergessen hat. Aber keine Angst Kleiner, dafür hast du doch mich. Aber jetzt erstmal Frühstück, nicht, dass dieser gefräßige Gnom mir noch meinen Amerikaner wegfuttert!
„Und was habt ihr dieses Wochenende so vor?“, eröffnet meine Mutter das Tischgespräch, während sie ihren Tee umrührt. Im Hintergrund läuft leise WDR-2 im Radiorecorder und draußen macht sich der Frühling bemerkbar, ein zotteliger Kater läuft vor der Küchentüre umher und versucht, die Vögel zu jagen, die sich an unserem Vogelhaus ernähren. Die Kamera gleitet im Kreis um unseren Küchentisch, den Dialog eröffnet Felix: „Fabi kommt ja heute Nachmittag! Und danach, ähhh, keine Ahnung“, trägt Lexi vor, während er mit seinen Beinen unterm Tisch umherwackelt. Die Kamera dreht sich kontinuierlich weiter, bis ich etwa in der Mitte des Bildes bin: „Ich übernachte doch heute bei Tom, mit David und Marcel!“, antworte ich. Das steht ja immerhin auch schon länger fest, länger sogar, als es Felix hier gibt. Also etwa zwei Wochen. Felix! Ob das für ihn in Ordnung ist? Die Kamera löst sich mit einem abrupten Schwenk nach links aus der Drehung und fährt langsam auf Felix zu. Er schaut bedrückt rein, verständlich, wenn man daran denkt, wie er gestern nicht einschlafen konnte: „Wobei, vielleicht überleg ichs mir auch noch mal“, füge ich zögerlich an, wobei die Kamera von Felix Gesicht ebenso abrupt wegschwenkt wie sie dort gelandet ist und während ich spreche genau so langsam auf mich zufährt wie auf Felix davor. Ein erleichtertes Lächeln ist auf Lexis Gesicht zu sehen, während er in sein Marmeladenbrötchen beißt und dabei das halbe Brötchen zerkrümelt auf seinem Schoß landen lässt. Meine imaginäre Kamera steht nun zwei Meter weiter entfernt in der Diagonalen hinter dem Serviertisch und fängt ein, wie meine Mutter scherzend: „Du kleines Ferkel!“, Richtung Felix richtet und selbiger dadurch kickern muss und dabei nur noch mehr von seinem Brot zerbröselt, während der Bildausschnitt langsam absinkt. Ein Michael-Bay-Gedächtnis-Lensflare flirrt in die imaginäre, anamorphe Linse während die Kamera immer weiter absinkt und die zwischen den Bäumen hindurchscheinenden Strahlen der Morgensonne auffängt, bevor die Optik das kleine Display des Küchenradios in den Fokus nimmt. 11:16. Cut. Zu Schnulzig? Ach sei doch leise!
Im Kopf grübele ich, ob ich die drei einfach zu mir einladen kann, nehme mein Handy raus und tippe genau diese Überlegung in eine gemeinsame Chatgruppe. „Hey, meint ihr, wir können das heute Abend zu mir schieben? xD“ wird ins Chatfeld getippt und noch blitzschnell ein Spongebob-Patrick-Gif hinterhergeschickt mit der Bildunterschrift „Wir nehmen einfach Bikini Bottom und schieben es wo anders hin“, bevor meine Mutter anmerkt, dass Handys am Esstisch in die Hosentasche gehören. Ist ja guuuut!
Wie meine Mutter nun ausführt, wird wohl auch Thomas dieses Wochenende da sein. Thomas, meine Mutter, Felix, Ich, Fabian, Tom, Marcel und David. Na das nenn ich Full House! Während ich grübele treffen offenbar die ersten Rückmeldungen meiner Freunde ein. Im Smartphone in meiner Hosentasche was ich jetzt nicht raushohlen darf. So nah und doch so fern!
„… und die Strecke soll dann vom Wohnzimmer bis in mein Zimmer führen!“, beendet Felix währenddessen seine Ausführungen zu seinem heutigen Tagesplan. Die Legoeisenbahn, mit je einem Schienennetz im Wohnzimmer und einem in Felix Zimmer. Einem Fernzug, für den er schon einen Teil der Waggons gebaut hat, der zwischen Wohnhausen und Felixdorf hin und herfährt und Regionalzügen die Zimmerintern fahren. Angetrieben wird das ganze durch die Batteriebetriebenen und Ferngesteuerten Motoren von Fabians etwas neuerer Legoeisenbahn, der davon sogar zwei Stück hat – und auch das Schienennetz wird komplettiert durch Schienen aus Fabis Sammlung. Verdammt, ich will mitspielen!
Eine ganze Weile lang reden wir noch über verschiedenste Themen, fragen dabei aber eigentlich hauptsächlich Felix aus, wie es ihm denn mit den neuen Freunden und der neuen Klasse so ergeht, bis es schließlich viertel vor Zwölf ist. 45 Minuten! Ein ganz schön langes Frühstück. Aber gut, nicht jeder hat einen Zeitreisenden am Esstisch. Während meine Mutter anfängt, die Küche aufzuräumen, steht Lexi schon vom Esstisch auf und auch ich folge ihm kurz darauf. Nicht das wir hier noch mithelfen müssen! Und außerdem kann ich so endlich die ganzen während des Frühstücks eingegangenen Nachrichten lesen. Was wohl der Grund für die zwei Vibrationen dieses kleinen Wundergerätes war? Ich öffne das Chatprogramm und sehe eine prominente „2“ über unserem altgedienten Gruppenchat prangen. Tapp.. „Ok cool, dann muss ich nicht aufräumen!“, steht als Nachricht von Tom an zweiunterster Stelle, gefolgt von einem lapidaren „k“ von Davids Account aus. „Neue SMS?“, fragt Felix interessiert, stellt sich dabei auf die Zehenspitzen und zieht meinen rechten Arm ein bisschen nach unten um, trotz seiner kleinen Größe, auf das Display schauen zu können.
„Hihi, nein, so ähnlich“, muss ich kichern. SMS. Das ist so 2007: „Neee, das ist Telegram, ein Chatprogramm, läuft übers Internet …“, beginne ich meine Ausführungen, werde aber von einem wissbegierigen Elfjährigen, in Bärchenschlafanzug und Marmelade an den Mundwinkeln, unterbrochen: „Chatten? Was ist denn das?“
„Ähhhhh“, Hm. Wie erklärt man das jetzt? Gechattet hat man in 2007 ja auch schon, aber als Elfjähriger wohl nicht so. Da hat man eher seine Freunde auf dem Festnetz angerufen, und wenn die Eltern ans Telefon gingen, „Hat Karl heute Zeeeeeit?“, gefragt. Weiß ich aus eigener Erfahrung: „Naja, du schreibst halt Nachrichten und der andere erhält die direkt danach. Also wie bei SMS. Nur halt übers Internet. Und mit mehr als zwei Leuten. Und man kann natürlich auch Bilder und alles Mögliche verschicken, wie bei einer Email. Begeistert nimmt mir Felix mein Smartphone aus der Hand und wischt offensichtlich ziemlich ungeübt auf dem Display hoch und runter. In der linken Hand hält er das Gerät, während er mit dem rechten Zeigefinger hoch und runterscrollt. Auf dem Display fliegen lauter Nachrichten durch den virtuellen Strom, abgewechselt durch viele Gifs und Bilder, hauptsächlich von technischen Gerätschaften: „Bling“, ertönt es aus dem Handylautsprecher, was Felix erstmal erschreckt: „Huch?“ Technikversiert, wie er ist, kombiniert er allerdings recht schnell dass das vermutlich eine neue Nachricht war und wischt wieder mit dem Finger nach unten, wo er selbige vermutet.
„Ich komm schon um 12, ok? Meine Eltern haben später keine Zeit mich zu fahren“, schreibt Marcel um zehn Minuten vor Zwölf. Ehe ich antworten kann, hat Felix schon damit begonnen „Ok “ in den Chat zu schreiben, mitsamt manuell eingetippten Smiley. Oldschool.
Felix nächster Bildschirmdruck gilt der Windowsflagge unter dem Display und anschließend dem weißen Internetbrowsersymbol welches stark dem des Internet Explorer ähnelt welchen er natürlich noch vom PC kennt. Zielstrebig fängt er an, eine Adresse in die Navigationsleiste einzutippen: „windelnet.de“. Hehe.
„Gutes Stichwort, Lexi!“, kommentiere ich, während ich ihm mein Handy wieder entreiße und den Internetbrowser sofort wieder schließe bevor Felix auf Enter drücken kann: „Mein kleiner Lieblingsbruder braucht dringend einen Windelwechsel würde ich sagen!“
„Och nöööö“, kommentiert Felix nur. War ja klar dass das bei ihm keine Begeisterung auslöst.
„Oder willst du immer noch in der Nachtpampers und deinem Schlafanzug rumlaufen wenn Fabian gleich kommt?“, erinnere ich ihn an seine Verabredung in 40 Minuten. Kurze Zeit später liegt er freiwillig auf dem Wickeltisch. Ritsch, Ratsch, und schon ist die durch und durch nasse Windel ab und im vor ein paar Tagen gekauften Windelmülleimer versunken. Kurz darauf ist bereits die neue Windel angelegt und Felix duftet nun dezent nach Windelcreme statt nach Pipi. Wenige Sekunden später ziehe Ich Lexi eine blaue Jeans über die frische Pampers und in Anbetracht des ziemlich guten Wetters heute ein weißes T-Shirt, mit gelb-blau gestreiften Ärmeln und einer Sonne welche eine Sonnenbrille aufhat in der Mitte, über seinen Oberkörper.
Ob ich Felix zu sehr verwöhne indem ich ihn anziehe anstatt das ihn selbst machen zu lassen? Ja, vielleicht. Ob er das verdient hat mit dem, was in der letzten Zeit passiert ist? Ja, vielleicht. Keine Ahnung. Ich bin doch erst 17, woher soll ich mich mit sowas auskennen?
Bevor Felix nun wieder frisch vom Wickeltisch springen kann, stülpe ich ihm noch schnell Socken über die Füße, wenn schon, dann richtig! Weiß mit blauen Highlights und einem Fußball am Knöchel, echt knuffig! Größe 39 bis 42. Hey, die würden doch sogar noch mir passen! Sollte ich mal probieren.
„So, fertig!“, kommentiere ich während ich Lexis Schlafanzug in die Waschtruhe stecke. Ehe ich mich versehe, springt der frisch gebackene Fünftklässler auch schon vom Wickeltisch auf und macht sich wieder auf den Weg ins Wohnzimmer: „Ich bau dann weiter am Schienensystem!“, informiert er mich noch, während er aufgedreht die Tür zum Flur aufreißt.
„Feelix?“, ruft meine Mutter nun allerdings aus dem Wohnzimmer um dessen Legospielpläne jäh zu unterbrechen: „Machst du doch bitte erstmal deine Hausaufgaben, bevor nachher Fabian kommt?“ Soviel zum verwöhnen. „Och Nöööhööööhöööö!“, kommentiert Felix frustiert, hörbar hat er absolut keine Lust, jetzt seine Hausaufgaben zu erledigen. Er weiß allerdings genau so gut wie ich, dass man mit einer Lehrerin schwierig Spaßen kann, wenn es ums Hausaufgaben machen geht. Resigniert geht der frisch gewickelte Felix in Richtung seines Zimmers. Armer Kleiner: „Kopf hoch, dauert doch nicht lange. Und kannst ja mich fragen, wenn du irgendwo nicht weiterkommst!“, starte ich den Versuch der Aufmunterung während ich Felix auf die Schulter klopfe. Hm, hilft nur bedingt. Aber da muss er natürlich durch.
Man, wieso muss ich denn grade jetzt die Hausaufgaben machen! Die sind doch erst bis Montag, das dauert doch noch voll lange, es ist doch grade erst Samstagmorgen! Und gleich kommt eh Fabian und ich wollte vorher noch die Schienen im Wohnzimmer fertig gebaut haben! Wie kann die denn so plötzlich damit kommen, dass ich jetzt Hausaufgaben machen muss? Das ist unfair!
Genervt ziehe ich die blaue Mappe mit meinen Heften aus dem Rucksack und knalle sie ebenso genervt auf meinen Schreibtisch. Das Hausaufgabenheft mit dem originellen Namen „Häfft“ gibt Auskunft: am Freitag hab ich nur Mathe aufbekommen, und von Donnerstag sind noch Bio und Reli zu machen. Och nööö, Reli? Muss das sein? Bis Montag brauche ich davon nur Bio und … Mathe. Menno. Wieso hab ich auch so viel Mathematik im Studenplan? In der Erwartung, meine Biologiehausaufgaben schnell erledigt zu bekommen krame ich meinen Biohefter aus der Sammelmappe. Arbeitsblatt, Nummer 1 a und b. Den Text lesen, die verschiedenen Arten der Laubbäume in Mitteleuropa rausschreiben und dann noch den Lückentext ausfüllen, in welchem es darum geht, wieso Bäume so wichtig für unser Ökosystem sind. Geht ja noch. Aber ziemlich langweilig, wieso kann es da nicht um Technik gehen! Lange dauert diese Aufgabe allerdings nicht und so schlage ich den Biohefter wieder zu und wünsche mir prompt, die Biohausaufgaben hätten länger gedauert.
Denn jetzt muss ich Mathe machen! Nochmal Brüche Addieren und Subtrahieren! Das lief doch schon beim letzten Mal nicht so gut. In meinem Gedächtnis grübele ich, was Frau Schaf da in der Mathestunde gestern erklärt hatte. Ich müsste die Brüche noch kürzen? Ja, ich glaube das hat sie gesagt. Und kürzen tut man indem man … häää? Mist.
Frustriert grübele ich und rechne die letzten Hausaufgaben bei denen Fabi ja so treffsicher bemerkt hatte das sie zu fünf achtel falsch wären nochmal nach und komme immer auf dasselbe Ergebnis. Da ist doch nichts falsch! Alle Rechnungen machen so Sinn und stimmen so und sogar wenn ich von der Summe wieder die eine Zahl abziehe lande ich wieder bei der anderen. Und wenn das geht, dann muss das doch stimmen! Frustriert blättere ich wieder auf die letzte Seite meines Heftes auf welcher bis auf „S. 53 Nr. 2 a)“ nicht besonders viel steht. Um genau zu sein Garnichts. Und so vergehen die nächsten zehn Minuten ziemlich unproduktiv, denn das einzige was sich füllt ist nicht mein Matheheft, sondern meine bis dahin noch frische Pampers. Manno, ich verstehe das nicht!
Kurz überlege ich, einfach irgendwelche Zahlen zu erfinden und hinzuschreiben, dann wäre ich auch endlich fertig und könnte weiter an der Legoeisenbahn bauen! Das wäre sowieso besser, immerhin wollte ich die im Wohnzimmer doch noch fertig bauen bevor Fabi kommt! Das ist generell total unfair dass ich ausgerechnet jetzt die Hausaufgaben machen muss!
Andererseits meinte Giaco, wenn ich etwas nicht verstehe sollte ich ihn fragen. Darauf habe ich jetzt allerdings keine Lust. Aber irgendwie will ich den großen Giacomo auch nicht hintergehen, und so stehe ich auf, um ins Zimmer meiner siebzehnjährigen Variante zu gehen, um ihn zu dem Brüche-Mysterium zu befragen.
„Giacomoooooo?“, frage ich noch während ich die Tür öffne. Als Antwort kommt nichts. Denn Giacos Zimmer ist offensichtlich leer. Durch die beiden großen Fenster im Zimmer kann ich allerdings auf den Parkplatz vor dem Haus blicken, wo nicht nur ein großer schwarzer Kombi steht, sondern auch Giacomo und dieser eine große Freund von ihm. Beide laden ein paar Sachen aus dem Kofferraum des Autos und scheinen damit offensichtlich ziemlich beschäftigt zu sein. Nicht lange allerdings, denn kurz darauf stoßen beide die nur angelehnte Wohnungstür wieder auf. Giacomo hat einen grauen Breitbildmonitor von Dell und eine Tasche aus welcher eine Tastatur herausschaut in der Hand und Marcel einen schwarzen Desktopcomputer: „Hey, Felix!“, begrüßt mich Marcel netterweise, während ich wortlos den Durchgang zur Zimmermitte freimache.
Ok, die beiden scheinen definitiv beschäftigt zu sein, da frage ich Giacomo lieber nachher wegen den Brüchen. Ich gehe wieder in mein Zimmer, klappe mein Matheheft wieder zusammen und flitze kurz darauf auch schon ins Wohnzimmer. Da ich Mathe ja jetzt nicht weitermachen kann und Biologie schon fertig habe, bin ich damit dann wohl erstmal mit den Hausaufgaben fertig! Selbiges verkünde ich auch freudestrahlend meiner Mutter, nicht ohne ihr dabei von meinem neu erworbenen Wissen über Laubbäume zu erzählen, bevor ich mich schließlich wieder in den Legoschienennetzbau stürze.
Offenbar vergeht die Zeit wie im Fluge während ich aus übriggebliebenen grünen Dachplatten den Bahnsteig am Couchtisch errichte. Ich weiß, grün ist eine ungewöhnliche Farbe für Bahnsteige, aber ich habe keinen anderen Platten mehr übrig und außerdem ist der Bahnsteig halt grün, weil da schon Gras drauf wächst. Ist ja auch nur für die Regionalbahn, die hält halt auch an älteren, grasbewachsenen Haltestellen.
Der Bahnsteig ist allerdings grade mal halb fertig, da klingelt es schon an der Tür. Aufgeregt springe ich vom Wohnzimmerteppich auf und flitze in den Flur zur Gegensprechanlage. Das muss Fabi sein: „Hallo?“, frage ich in den Hörer, woraufhin ein blechernes „Hi Felix, ich bins!“, zurückkommt. Schnell drücke ich die Türöffnungstaste welche im selben grün erstrahlt wie der Bahnsteig den ich grade am errichten bin und schlittere auf meinen dicken Socken in Richtung Wohnungstür. Aufgeregt reiße ich selbige auf, was meine mittlerweile ebenfalls in den Flur gekommene Mutter mit den Worten: „Langsam Lexi, langsam“ kommentiert.
„Hiiiiiiiii!, rufe ich meinem neuen besten Freund entgegen als selbiger unsere Wohnung betritt, in den Händen eine Plastikkiste voller Legoschienen. Ich glaube das wird mega cool heute! Wie auch beim letzten Mal entwickelt sich ein Gespräch zwischen unseren Müttern während Fabian sich eilig seine Schuhe abstreift und neben meine kickt. Wenige Sekunden später rennen wir beide auch schon ins Wohnzimmer um dort die Strecke in Richtung meines Zimmers zu bauen.
„Ein Grüner Bahnsteig?“, kommentiert Fabian skeptisch, als er die Legoeisenbahnanalage im Wohnzimmer sieht, während er genau wie ich versucht, die Weichen aus dem Schienengewirr im Plastikkasten herauszufriemeln.
„Ja, der ist mit Gras überwachsen“, kommentiere ich während ich die erste Weiche am zweigleisigen Hauptbahnhof von Wohnzimmerdorf einbaue. Denn leider habe ich nur vier Weichen welche alle schon am großen Hauptbahnhof bei mir im Zimmer verbaut sind und so müssen Fabians Weichen im Wohnzimmer aushelfen. Zwei am kleinen Bahnhof, eine beim Abzweig in Richtung Flur und eine beim Gleis zur Fabrik. Die Weichen sind schnell eingesetzt und so sind wir kurz darauf damit beschäftigt, das Gleis durch den Flur zu legen.
„Huch, was machen die denn da?“, fragt schließlich der als Einziger der Anwesenden nicht in unseren Plan eingeweihte Marcel als selbiger zusammen mit Giacomo den Flur betritt. Scheinbar sind die beiden mittlerweile fertig mit dem PC-verkabeln. „Die bauen eine riesen Legoeisenbahn. Mit zwei Netzen in Felix Zimmer und im Wohnzimmer und naja, wie du hier siehst, eine lange Verbindung dazwischen.“
„Und wie wollen die das steuern?“, fragt Marcel skeptisch, nachdem er einen Blick auf die durch den ganzen Flur laufenden Schienen geworfen hat.
„Das ist eigentlich ganz cool, die neuen Legoeisenbahnen sind jetzt Ferngesteuert. Fabian, also er hier, hat zwei von den neuen Motoren inklusive Fernbedienungen, und damit wird dann der Intercity und der Zug im Wohnzimmer angetrieben. In Felix Zimmer gibt es nur die stromführenden Schienen, sodass da mein Modellbahntrafo den Regionalzug antreiben kann“, führt Giacomo aus was ich ihm beim Frühstück erklärt habe.
Scheinbar ist auch Marcel von unserer Idee ziemlich angetan: „Das ist ja echt cool!“
„Aber weißt du, was das Problem ist?“, fragt Giacomo nun Marcel, woraufhin ich sofort leicht erbost: „Es gibt keins!“ antworte. „Genau!“, pflichtet Fabi mir bei.
„Doch“, lässt sich Marcel nicht beirren: „Die sind zu zweit, es gibt aber drei Züge in drei Räumen, das kann man ja gar nicht steuern“, stellt er fest wobei sich in Giacomos Gesicht ein Grinsen bildet: „Stimmt., da brauchen die wirklich dringend unsere Untersütztung!“, pflichtet Giaco ihm bei.
„Ihr wollt also mitspielen?“, durchschaue ich Giacomo: „Seid ihr nicht ein wenig zu groß dafür?“, necke ich ihn. Uhhh, ein erstaunter Blick von Giacomo. Das hat gesessen!
„Seit ihr nicht noch zu klein um mit einer strombetriebenen Eisenbahn zu spielen?“, kontert Giacomo nach kurzer Bedenkzeit.
„Ich bin nicht klein!“, antworte ich ganz aus Reflex. Bin ich wirklich nicht! Halt warte, ich weiß, was jetzt kommt: „Und jetzt komm mir nicht mit meiner Pampers!“, gehe ich in den Angriff um Giaci seinen Konter wegzunehmen, noch bevor dieser ihn äußern kann.
Es folgt ein erneuter erstaunter Blick, diesmal allerdings von Fabi. Ein Bist-du-blöd-wieso-sagst-du-das-Blick. Wieso denn? Fabi weiß es und Giacomo auch, ich habe also kein Geheimnis ausgeplaudert grade, außerdem hab ich den Scherz doch gestern schon genau so gemacht. Warte … oh, Marcel ist ja auch hier! Ähhhh ok, das war jetzt vielleicht ein bisschen peinlich. Ziemlich peinlich. Fuck! Plötzlich werde ich ziemlich kleinlaut und schaue verlegen auf die Legostrecke vor meinen Knien.
„Oder wir sind ganz cool und bauen einfach ein paar Kameras auf um dann ein kleines Stellwerk zu haben von dem aus man alles Steuern kann!“, sagt mein großer Bruder nun in die kurze, peinliche Stille hinein und beendet selbige damit. Giaco meinte zwar, Marcel wüsste schon von meinen Windeln, aber das jetzt so zu erwähnen war schon echt unnötig. Manchmal habe ich eine ziemliche Tendenz zur Blödheit.
Glücklicherweise wird meine für mich selbst sehr unvorteilhafte Bemerkung im Giacomo-Showdown schnell wieder durch andere Ereignisse verdrängt. Giacomo und Marcel beschäftigen sich damit, ein paar Laptops und ihre Handys im Flur und im Wohnzimmer aufzustellen und tragen Marcels PC samt einem großen Breitbildmonitor in mein Zimmer, während Fabi und Ich die Strecke dorthin vollenden. Kurz vor meiner Zimmertüre gehen uns allerdings leider die Graden aus, weshalb der folgende Abschnitt kurzerhand ziemlich kurvig werden muss.
„Das muss so sein, da sind Berge!“, kläre ich Giacomo und Marcel auf. Man braucht nur eine passende Erklärung, dann ist alles andere kein Problem mehr! Wie beim Hausaufgabenvergessen.
„Ziemlich unsichtbare Berge“, antwortet Giacomo daraufhin süffisant. So, Felix, konzentrier dich, was konterst du darauf? Fabi, sag doch auch mal was! Aber der ist offenbar noch etwas schüchtern gegenüber den beiden Elftklässlern. Verständlich, wäre ich vielleicht auch wenn ich bei einem Freund zu Besuch wäre und da wären dann zwei Elftklässler.
Deine Muddah ist unsichtbar!, könnte ich antworten. Bisschen blöd allerdings in der Situation von mir und Giacomo. „Du bist unsichtbar!“, antworte ich nach kurzer Bedenkzeit schließlich, mir fällt halt nix besseres ein. Das ist unfair, der ist sechs Jahre älter als ich! Zur Unterstreichung meiner Aussage strecke ich schließlich noch meine Zunge raus. Belustigtes Lachen auf Seiten der Elftklässler. Allerdings kein Wir-lachen-über-dich-, sondern ein Wir-lachen-mit-dir-Lachen. Die beiden sind nicht gegen mich, natürlich. Ich muss mich eigentlich gar nicht verteidigen, fällt mir auf. Gewohnheit.
Während wir den Schnellzug auf Gleis 1 des großen Hauptbahnhofes in meinem Zimmer mithilfe der Rangierlokomotive zusammenstellen, scheint bei Giacomo und Marcel mittlerweile auch die Bildübertragung zu funktionieren. Kurz darauf setzt sich auch der aus zwei blauen Doppelstockwagen und einer gelb weißen Lokomotive bestehende Regionalzug in Bewegung und steuert langsam in Richtung Bahnhof zu: „Haaaalt!“, rufe ich. Denn der Bahnhof hat zwar drei Gleise, Gleis 3 kann man aber nur von der anderen Richtung aus erreichen und so bleiben dem Regionalzug nur noch Gleis 1 und 2 zur Einfahrt in den Bahnhof. Auf Gleis 1 steht der Schnellzug, und durch Gleis 2 bin ich grade die Rangierlokomotive am fahren. Die sind dabei einen Crash zu bauen! „Ihr Eumel, der Bahnhof ist voll!“, kommentiere ich erneut und springe auf um in Richtung meines Schreibtisches zu gehen. „Fabi, häng du den letzten Wagen mal an!“, instruiere ich meinen besten Freund mit der Zugbildung.
„Oh, upsi“, gibt Giacomo von sich, während er den Trafo auf Null zurückdreht. Knapp. „Gut, dass du kein Lokomotivführer bist“, stellt auch Marcel völlig zurecht fest. Giacomo sitzt an meinem Schreibtischstuhl, und auf dem Schreibtisch auf dem ich eben noch meine Hausaufgaben gemacht hatte, steht jetzt ein großer Breitbildmonitor, auf welchem fünf Videoübertragungen aus unserer gesamten Wohnung zu sehen sind. Drei aus dem Wohnzimmer, und zwei aus dem Flur: „und der PC ist jetzt meiner?“, scherze ich während ich mir die Bilder auf dem Monitor anschaue. Der Hauptbahnhof des Wohnzimmers ist zu sehen, daneben jeweils die linke und rechte Streckenhälfte des Wohnzimmers, darunter zwei Kameraperspektiven, die den länglichen Flur fast komplett abdecken.
„Hättest du wohl gerne!“, antwortet Marcel belustigt auf meinen Versuch, den PC zu erobern. Verdammt, hätte ja klappen können!
„So, und wer nimmt jetzt welchen Zug?“, fragt Giacomo schließlich, nachdem wir die Besitzverhältnisse von Marcels Desktopcomputer geklärt haben.
„Also in Anbetracht deiner Fahrkünste nehme ich besser den Regionalzug hier“, stellt Marcel fest und lässt den kleinen Zug kurzerhand ein wenig zurückrollen, um die Weiche und den Bereich dahinter für meinen Rangierzug freizumachen. Endlich!
„Darf ich bitte den Schnellzug nehmen?“, fragt Fabian anschließend ziemlich aufgeregt.
„Das heißt Intercity!!“, antworten daraufhin Giacomo und Ich gleichzeitig, was Marcel zu einem „Oh Gott zwei von der Sorte!“, veranlasst. Auch Fabi steuert ein nicht ganz ernstgemeintes: „Klugscheißer!“ hinzu, was ich durch ein „Aber du!“ beantworte. Egal, es heißt halt nunmal Intercity.
Kurz darauf haben wir bereits alle Lokführerrollen verteilt und auch Giacomo darf mal die Regionalbahn steuern obwohl er sich eben als wohl denkbar ungeeignet für den Lokführerberuf erwiesen hat und so nehme ich wieder Platz vor dem großen Hauptbahnhof in der Mitte meines Zimmers und schiebe mit der Rangierlokomotive den letzten Wagen an den für Legoverhältnisse wirklich langen Intercityzug.
„Meine Damen und Herren, auf Gleis 1 steht für sie bereit: Intercity Zwölf Richtung Wohnzimmerhausen. Bitte steigen sie ein, Türen schließen selbsttätig“, sage ich in meiner Rolle als Ansager, während ich die Rangierlokomotive aufs Abstellgleis zurück schiebe um den Weg für den Intercity in Richtung Wohnzimmer freimache. Langsam setzt sich der Zug in Bewegung und fährt über das von mir natürlich Richtig gestellte Weichenfeld aus dem Hauptbahnhof heraus und biegt schließlich in Richtung Flur ab wobei er langsam beschleunigt um kurz danach wieder langsamer zu werden vor den unsichtbaren Bergen. Ich muss sagen, das macht Fabi echt gut!
„Auf Gleis 3 fährt ab: Regionalexpress 1 nach Schrankhausen, über Heizungsdorf und Tischfurt“, lautet meine nächste Ansage, was dann auch für Marcel das Zeichen ist, mit dem Regionalzug abzufahren. Während ich noch damit beschäftigt bin, die Weichen im Hauptbahnhof richtig für das spätere zurückkehren des Zuges zu stellen, blicke ich kurz rüber an den Schreibtisch unter mein Hochbett. Ein ungewohntes Bild. Ein großer Computermonitor, Maus und Tastatur und davor zwei große Jugendliche, von denen einer jetzt sowas wie mein großer Bruder ist, sowie ein zehnjähriger den ich seit grade mal einer Woche kenne und der jetzt schon mein bester Freund ist. Ein Zehnjähriger der grade seine linke Hand zwischen seine Beine drückt, offensichtlich mal wieder, um einzuhalten.
Och Fabi! Schonwieder? Nachdem mein Job am Hauptbahnhof erst einmal erledigt ist, geselle ich mich auch zu den anderen an meinen Schreibtisch und schaue auf den Monitor. Der Schnellzug ist mittlerweile im Wohnzimmer angelangt und fährt auf den dortigen Hauptbahnhof zu. Währenddessen kann Fabi natürlich schlecht aufs Klo gehen, das sehe ich ein. Ich sag doch, der braucht Drynites! Während der Regionalexpress zwischen meinem Schreibtisch und der Hochbettleiter zum stehen kommt, um die Haltestelle „Schreibtischhausen“ zu bedienen, drückt der arme Fabian erneut seine Beine zusammen und tippelt vom einem Bein auf das andere. Wie schicke ich den jetzt am unauffälligsten aufs Klo? Ich stupse Giacomo an und deute mit meinen Augen auf Fabian, woraufhin Giaco die Augenbrauen hochzieht und natürlich sofort versteht, was los ist. Er hat ja genug Erfahrung mit dem einpullern, hihi.
Fabian selbst hingegen lässt sich überhaupt nichts anmerken, abgesehen von seinem Rumgehampel. Ich bin mir nichtmal sicher ob er überhaupt merkt das er grade aufs Klo muss. „Fabian, ich glaube Felix will auch mal den Intercity steuern“, setzt Giacomo nun an: „Was hälst du davon wenn ihr einen Schichtwechsel macht, wenn der Zug im Hauptbahnhof angekommen ist? Wenn die Regionalbahn den einen Wagen abkoppelt habt ihr doch genug Zeit dafür!“
„Och nööööö“, stellt Fabi nur fest, denn offenkundig macht ihm das Intercity-steuern ziemlich viel Spaß: „Könnt ihr beide euch nicht abwechseln?“, antwortet Fabian während er sich mit seinem Oberkörper leicht nach vorne lehnt, ein bisschen in die Hocke geht und kurz auch seine rechte Hand zwischen seine Beine drückt: „Ist doch voll cool wenn wir dann gleich zu zweit die Züge im Bahnhof steuern können!“, schlägt er vollkommen unbeeindruckt vor, während auch Marcel kurz verwundert in seine Richtung schaut.
Da hat er recht. Aber das ist mir doch egal, du sollst nur aufs Klo gehen, du Doofkopp! „Och biiiitte, ich will den Intercity!“, beharre ich während Fabi seine Beine überkreuzt.
„Hmm, und wenn ich mich dann mit Giacomo abwechsel?“, schlägt Fabi jetzt vor: „komm schon!“
Er versteht es einfach nicht! Ich lehne mich seitlich am sitzenden Marcel vorbei um Fabi ins Ohr zu flüstern: „Wir wollen das du aufs Klo gehst! Du musst mal!“
„Jaaahaaaa“, lautet Fabis eher genervt klingende Antwort während er den Regler der Fernbedienung langsam zurückdreht und seinen Zug in den Bahnhof einrollen lässt. „Komm schon“, sage ich, diesmal ohne zu flüstern woraufhin ich mir einen Piekser in meine Hüfte einfange! „Eeeey!“, kichere ich. Eigentlich würde ich jetzt sofort zu einer Kitzelattacke schreiten, aber wenn ich das mache dürften bei Fabi vermutlich alle Dämme reißen. So belasse ich es beim Protest mit Worten, während sich mein bester Freund nicht von seiner Mission als Lokführer ablenken lässt und seinen Zug professionell weitersteuert und dabei weiterhin krampfhaft einhält. Immer wieder nimmt er seine rechte Hand von der Fernbedienung weg um sie zu seiner linken in den Schritt zu drücken, nur um sie kurz darauf wieder wegzunehmen um den Zug weiter steuern zu können.
Zu meiner und Giacomos Erleichterung rennt Fabian, kurz nachdem sein Zug im Bahnhof angekommen ist, eine Hand immer noch in den Schritt gedrückt dann doch auf Toilette! Das wurde auch Zeit. Aber ja, ich kann Fabi verstehen. Drei Züge in drei Räumen zu steuern ist eine verdammt coole Sache, und vor allem auch eine, wo man währenddessen definitiv nicht auf Toilette gehen kann. Gut möglich, das auch ich mir dabei in die Hose gemacht hätte, im Einhalten war ich ja noch nie ein wirklicher Experte. Zum Glück hab ich das Problem nicht mehr, und so muss ich auf meinen ebenfalls kurz darauf überschwappenden Blaseninhalt überhaupt keine Rücksicht nehmen und genieße bald darauf schon meine realtiv überraschend warm werdende Pampers, während ich mal wieder volle Kanne einpullere, ohne eine Chance zu haben, den Strahl zu stoppen. Wie hab ich das früher nur ohne Windeln geschafft?
Aber auch für Fabi scheint das ganze eher glimpflich ausgegangen zu sein, nur ein Tischtennisschläger-großer Fleck ziert seine dunkle Jeans, so dass er nichts weiter tun muss als seinen Pullover etwas weiter herunterzuziehen um seinen kleinen Unfall zu kaschieren. Dementsprechend ohne Probleme lassen wir noch eine ganze Weile die drei Züge durch die Wohnung flitzen, bis die beiden Eltfklässler schließlich durch David und Tim unterbrochen werden und verschwinden, nachdem sie zwei weitere Computer in die Wohnung getragen haben, anschließend in Giacomos Zimmer. Hey, mehr Legozüge für uns! Blöderweise ist kurz darauf auch Marcels Rechner und damit unsere Betriebszentrale wieder von meinem Schreibtisch verschwunden und auch die Batterien von Fabis Legozugmotoren gehen langsam zu Ende und so kommt langsam doch Langeweile bei uns aus.
„Fußball?“, schlage ich vor, während wir in Mitten der Legoschienen hocken und überlegen, was wir jetzt Spielen könnten. Eigentlich eine gute Idee, nur hält der Regen leider wenig davon. Dabei war es heute Morgen so schön sonnig! Irgendwie scheinen alle Optionen die wir haben, darauf hinauszulaufen, das wir zu Fabian gehen. Akkus der Züge aufladen? Zu Fabian gehen. Uns bei Knochentrocken für die verlorene Runde Mario-Party rächen? Zu Fabian gehen. Fabians Carrerabahn aufbauen? Zu Fabian gehen.
„Können deine Eltern uns vielleicht abholen?“, frage ich Fabian, denn zum einen versperrt uns dieser verdammte Regen den Weg mit den Fahrrädern zu Fabian und zum anderen wurde Fabian mitsamt seiner Legoschienen von seinen Eltern gefahren und sollte auch mitsamt seiner Legoschienen wieder zurückkommen.
„Ähhhh …“, setzt Fabi an, kommt aber nicht weiter, denn unser kreatives Brainstorming wird jäh unterbrochen – durch meine Mutter: „Lexi, Thomas und Ich sind beim Tanzunterricht, wir sind um …“, zack, schon wird sie wieder von mir unterbrochen: „Könnt ihr mich und Fabi zu ihm fahren??? Biiiiiitte!“
„Felix, das heißt „Fabian und mich“, der Esel nennt sich immer zu erst!“, lautet die Antwort meiner Mutter. Eine Deutschlehrerin als Mutter zu haben ist manchmal echt nervig!
„Jaaaaahaaaa! Könnt ihr denn?“
„Nach Neu-Schweinfurt? Ich glaube das müsste gehen“, antwortet meine Mutter und macht sich wieder auf den Weg zu Thomas: „Thomas, können wir die beiden Kleinen noch mitnehmen?“ Ey! Wir sind nicht klein!
„Ja, das liegt ja direkt auf dem Weg“, stellt Thomas fest, doch in seiner Stimme steckt etwas skepsis: „Aber wir müssen jetzt wirklich los, sonst kommen wir schon wieder zu spät!“
„Ähhhh, wir müssen noch die Legoschienen abbauen!“, antworte ich den Beiden leicht überrumpelt, während Fabian das Problem schon erkannt hat und anfängt, die Schienen in seine große Plastikkiste zu räumen.
„Na dann hopp!“, lautet die Antwort meiner Mutter nur, während auch sie uns hilft, die restliche Bahn durch den Flur schnell ab zu bauen. Wenige Minuten später habe ich die Legokiste bereits meiner Mutter in die Arme gedrückt, bin eilig in meine Schuhe geschlüpft und bin grade dabei in meine Jacke zu schlüpfen, während ich die Tür zu Giacomos Zimmer aufstoße: „Hey, ich bin bei Fabian!“, informiere ich ihn. Offensichtlich haben nicht nur wir es sehr eillig, sondern auch die vier Jugendlichen vor ihren Computern: „Oh, cool! Viel Spaß!“, ist alles, was Giacomo sagt, während Tim nur „Fuck, pass doch auf!“ ruft und offensichtlich alle ziemlich mit ihrem Spiel beschäftigt sind. Spielen die etwa ein Ballerspiel? Bevor ich mir die Action auf den Monitoren genauer anschauen kann, erinnert mich meine Mutter bereits daran, dass wir ja ziemlich in Eile sind: „Lexi, wir müssen los!“, erinnert sie mich leicht genervt, sodass ich die Türe zu Giacos Zimmer schnell wieder schließe und mit Fabi zusammen nach draußen renne. Der hat seine nasse Hose mittlerweile offenbar auch schon wieder vergessen und hat seinen Pullover schon länger nicht mehr über die Problemstelle gezogen. Macht aber nix, denn der Fleck ist eh schon wieder halb trocken! Die große schwarze Limousine steht schon ausgeparkt auf der Straße und so schlüpfen wir eilig in die beiden großen Rücksitze.
„Schau mal hier“, zeige ich Fabian die vielen Funktionen in dem Mittelding, was meinen und seinen Sitz voneinander trennt: „Massagefunktion!“, sage ich und drücke den dazu passenden Knopf an seiner Seite der Lehne. Noch während sein Sessel anfängt sich genau wie meiner leicht zu verformen, schalte ich ihm bereits die Sitzheizung an. Und fahre den Sonnenschutz an den Seitenfenstern und der Heckscheibe aus. Zuuuuur, zzzzzzt klick. Verdammt cool, wie das einfach so auftaucht! Ein bisschen stolz bin ich auf dieses Auto und ja, ich komme mir grade verdammt cool vor, wie ich hier grade mit Fabian unterwegs bin. Da würde Leon aber staunen!
Früher wollte ich sowas immer. Papa hatte immer nur alte Gebrauchtwagen, den Mazda oder am Schluss den blauen Polo-Kombi. Der Mazda hatte auch eine Armlehne auf der Rückbank, aber die war ausklappbar und nicht so ein Monströses Ding wie das was hier zwischen mir und Fabian steht wie eine Grenzmauer. Bevor ich mir allerdings weiter darüber Gedanken machen kann, oder Fabian die restlichen Funktionen der Limousine zeigen kann, scheinen wir in Neu-Scheinfurt einzubiegen. Auf der Landstraße, kurz bevor man links zu Karl abbiegen muss, ist jetzt eine Brücke und eine Abbiegespur wie auf einer Autobahn. Einfach so! Da war früher nur Feld! Gespannt stütze ich mich auf der Armlehne zwischen mir und Felix auf und schaue durch die Windschutzscheibe, während wir über die Brücke fahren. Ziemlich neu sieht die Brücke noch aus, der Asphalt noch Dunkelgrau und der Beton links und rechts davon fast noch weiß. Und dann gerät es ins Sichtfeld: Neu-Schweinfurt.
Etwa 50 Häuser kann man von hier oben sehen, eine kleine Fabrik direkt neben dem Eingang links, einen Bauernhof und vor allem viele Baumaschinen. Fünf Kräne ragen über dem kleinen Dorf in den Himmel und sind offenbar damit beschäftigt, die Häuser aufzubauen, denn viele der Einfamilienhäuser links und rechts der Straße sehen noch nicht wirklich fertig aus – selbst das Dach fehlt noch. Würde ich mal zu Fabian wollen und nicht wissen, wo er eigentlich wohnt, müsste ich wohl nur wenige Häuser durchprobieren bevor ich das richtige erwischen würde.
Neu und schick sehen die Häuser aus, die schon mehr oder weniger fertig sind. Wir fahren an einem kleinen Platz vorbei, gesäumt von einer Holzbank mitsamt Tisch, einem kleinen Brunnen und ein paar metallenen Schaukästen, biegen an der Feuerwache von der Hauptstraße ab und in eine noch kleinere Seitenstraße. Hier sind die meisten Häuser schon fertig, teilweise fehlt noch der Vorgarten, an einigen stehen noch Gerüste und manche bestehen noch aus großen Ziegelsteinen ohne jede Farbe aber viele sind offenbar schon bewohnt. So auch das fünfte Haus auf der linken Seite, welches aus hellweißen Backsteinen besteht und bei welchem Fabian: „Hier!“ ruft. Nummer 6, an dem Fenster hängen schon Gardienen und auch die Einfahrt zur Garage scheint fertig zu sein, der kurze Weg von der Straße zum Haus führt allerdings noch über ein paar Holzbalken.
Umständlich kraxele ich aus dem Sessel, den ich während der Fahrt mehr oder weniger in Liegeposition gefahren habe, während alle anderen in Richtung Kofferraum gehen und Fabians Legokiste aus diesem hervorholen. Vor dem prasselnden Regen schutzsuchend laufen wir eilig über die Holzbalken und ich muss bemerken, dass meine Pampers mal wieder ziemlich dick geworden ist. Besonders nachdem ich mich eben so in den Autositz gekuschelt habe, ist die Pampers natürlich breitgedrückt und dementsprechend fühlt sich das grade auch an zwischen meinen Beinen. Etwas breitbeinig laufe ich den anderen hinterher, während sich die nasse Windel zwischen meinen Oberschenkeln bei jedem Schritt wieder anpasst und statt in die Breite wieder in die gewohnte Dreiecksform gequetscht wird. Trotzdem drückt sich das warme Teil schon spürbar gegen meinen Po und ich fange an, mich zu fragen, wann ich das eigentlich alles reingepullert hab.
Autor: giaci9 (eingesandt via E-Mail)
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