Alles wird besser, vielleicht sogar gut (10)
Windelgeschichten.org präsentiert: Alles wird besser, vielleicht sogar gut (10)
Kurz darauf saßen wir alle gemeinsam am großen Esstisch, der inzwischen komplett in der Sonne stand. Das runde Fenster im Dach war so positioniert, dass die Sonne einen Ring aus Licht um den Tisch zog. Das Sonnenlicht sorgte nicht nur dafür, dass der massive Holztisch noch beeindruckender wirkte, als er es eh schon war, sondern hob auch die Stimmung, die eh schon ziemlich gut war. Denn, zu diesem Schluss war Onkel Phil bereits nach einem kurzen Blick auf die Kalkulation gekommen, wir hatten wirklich gute Arbeit geleistet. “So kann die Party steigen”, schlussfolgerte er, während er parallel unsere Liste an den Drucker im Büro nebenan schickte. “Wir machen euch jetzt ein bisschen schick und verschwinden dann in Richtung Stadt, okay?” Das war sehr okay. Also Abmarsch in Richtung Kinderzimmer. “Juli, du suchst dir bitte aus den Klamotten im linken Schrank eine dünne Hose oder Leggins raus! Ein warmer Overall für dich habe ich bereits in die Garderobe gehängt, direkt neben den von Paull!” Juli bestätigte den Arbeitsauftrag mit einem nach oben gereckten Daumen. Mich schickte Onkel Phil mit einer schnellen Handbewegung in Richtung Wickeltisch. Ach ja: die Windel. Ich bemerkte erst jetzt, wie schwer die mittlerweile zwischen meinen Beinen hing, ganz abgesehen vom Duftschleier, den ich jetzt erst wahrnahm. Mal wieder das volle Programm. Eine echte Überraschung war das nicht. In den letzten beiden Tagen hatte sich meine Verdauung auf einen erschreckene zuverlässigen Rythmus eingependelt: Die erste volle Windel vor dem Frühstück, die zweite nach dem Mittagessen. Zwischendurch und bis zum Abend dann noch vier bis fünf nasse Windeln. Und was half mir das jetzt? Nix. Das konnte doch nicht sein, dass ich nullkommagarnichts mitbekam, wenn ich meine Windel füllte. Das hatte ich doch früher auf der Toilette auch gespürt, zum Teufel. Zum Glück sah Onkel Phil die Tränen nicht, die mir auf dem Wickeltisch die Wange runterliefen und in der saugfähigen Wickelunterlage landeten. Er war einfach zu beschäftigt damit, mich “untenrum” wieder vorzeigbar zu bekommen. Einziger Vorteil der ganzen Aktion: Ich würde gleich im Einkaufszentrum vor “großen” Überraschungen verschont bleiben. Noch so ein Tiefschlags-Gedanke: Ich freute mich jetzt schon drauf einkaufen zu gehen, ohne mir in die Windel zu kacken. Toller Typ, dieser Paul.
Aus einer der Schubladen angelte Onkel Phil eine dünne, blau-weiß-gestreifte Leggings, die er mir über die blaue Strumpfhose zog. In Kombination mit dem gelben Minions-Pullover ging ich so ganz sicher nicht als Gangster durch, war aber doch ganz vorzeigbar. Juli quälte sich zeitgleich mit der vierten Leggings herum, die er aus dem Schrank mit den “Gäste-Klamotten” gezogen hatte. “Alle zu klein!”, grummelte er und meinte damit vor allem: zu eng. Vier Versuche, vier Mal war er erst an seinem Windel-Po und dann an seinem Bauch gescheitert. Das Problem: Die Auswahl an einigermaßen vorzeigbaren Farben und Motiven in Julis Größe war relativ begrenzt. Genau genommen passte ihm lediglich eine Leggings richtig gut, die käme aber nur in Frage, wenn er sich spontan als Mädchen verkleiden würde: Sie war in hellblau und rosa gehalten, mit kleinen Glitzer-Steinchen beklebt und zeigte die Prinzessin aus die Schöne und das Biest. Die Wahl fiel dann zwangsläufig nach viel Gejammer und sogar ein paar Tränen auf eine bunte Blockringel-Leggings, die bis auf zwei rosafarbene Elemente fast als Unisex-Klamotte durchgegangen wäre. Warum fast? Weil zwei weiße Ringelbündchen das Ding dann doch als Mädchen-Teil outeten. Juli stand kurz davor, sich von unserem Shopping-Trip abzumelden, als mir auffiel, dass die Ringelbündchen überhaupt kein Problem waren. Sie waren in den Thermo-Gummistiefeln, die Juli und ich tragen würden, überhaupt nicht zu sehen! Diese Erkenntnis brachte mit ein High-Five von Onkel Phil und ein trotzig hingeschnieftes Kopfnicken von Juli ein. So war’s offensichtlich okay für ihn.
Keine zehn Minuten später saßen wir in Onkel Phils Wagen. Wir steckten beide in dicken Overalls, meiner leuchtete gelb, Juli steckte in einem baugleichen roten Overall, allerdings drei Nummern größen. Bei den Thermo-Stiefel dann vertauschte Farben: Meine waren rot, seine gelb. Das Unwetter war Geschichte und auch der Regen war weitergezogen. Geblieben waren stürmische Böen und Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Das ideale Wetter, um sich im Warmen auf eine Party vorzubereiten. Noch in der Tiefgarage schälten wir uns aus den Overalls. Juli regelte das selbstständig, ich brauchte Onkel Phil, um mit Juli gleichzuziehen. Der dämliche Gipsarm war grundsätzlich im Weg. Als uns kurz darauf der Aufzug mit einem flauschigen Pling ins helle Licht einer gut gefüllten Shopping-Meile spuckte, fielen wir mit unseren Outfits quasi nicht auf. Dicke Unterwäsche, lange Pullover, Stiefel. Das war hier in der Gegend offensichtlich der Standard-Look fürs Jungvolk. Wir gehörten zwar zu den Ältesten die Stadt Jeans oder Thermo-Hosen Leggings trugen, waren aber nachweislich die die Einzigen. Ich war mir allerdings sehr sicher, dass wir die Windeln ziemlich exklusiv hatten. Onkel Phil dirigierte uns zu einem beleuchteten Plan, der den Grundriss des Gebäudes zeigte. “Jungs, jetzt seid ihr dran! Ich habe gleich einen Termin in der Nachbarschaft und bin in knapp 90 Minuten wieder da. Wir treffen uns um 15:30 Uhr in dem Café hinter uns. Bis dahin müsst ihr halt alles besorgt haben, was ihr geplant habt! Alles klar?” Wir nickten. 90 Minuten sollten wir schaffen, auch wenn das eine ganz schöne Lauferei werden würde. Denn natürlich gab es unser Party-Equipment nicht schön ordentlich in einem Laden, sondern sauber verteilt im gesamten Shopping-Center. “Und noch was”, ergänzte Onkel Phil seine Predigt: “Ihr bleibt zusammen. Immer! Ich möchte hier niemanden alleine durch die Gegend tigern sehen, klaro?” Diesmal gab’s einen Doppel-Nicker. Wir sprachen kein Dänisch und keiner von uns wollte hier auf sich alleine gestellt durch die Geschäfte stolpern. Kurzes Abklatschen, dann war Onkel Phil in Richtung Ausgang verschwunden.
Nächste Aufgabe: Schlachtplan ausarbeiten. Wir wollten zunächste die Zutaten für die Cocktails einsammeln. Eine Cocktail-Party mit Deko aber ohne Cocktails wäre der Supergau. Ohne Deko konnten wir aber leben. Die Zutaten-Tour führte uns durch drei Geschäfte: zwei Discounter und ein sündhaft teurer Feinkost-Schuppen. Der musste aber sein, weil nur dort gab es die passenden exotischen Früchte. Ich war bereits nach dem ersten Discounter fertig mit den Nerven. Unser Zeitplan war jetzt schon nicht mehr zu halten. Wir wussten zwar, in welche Läden wir gehen mussten, kannten uns dort aber eben überhaupt nicht aus. Schonmal Lytchees in Dosen bei einem dänischen Discount gekauft? Gut. Wir nämlich auch nicht. Ehrlich gesagt war ich noch nie alleine beim Discounter gewesen. Höchstens mal beim Bäcker. Oder beim Kiosk um die Ecke… Bei Juli sah es nicht viel besser aus. Immerhin hatte er die Kosten im Blick. Da lage wir super im Plan. Beim zweiten Discounter kam allerdings auch der zähe Juli langsam an seine Grenzen. Weil uns die Zeit ausging. Weil wir diese verfluchten Kokosflocken nicht fanden, die eigentlich im Angebot waren. Und weil seine Konzentration nachließ. “Ich muss aufs Klo!”, flüsterte er mir zu, während wir zum dritten mal ein Regal nach den Kokos-Flocken scannten. Wollte der mich jetzt veräppeln? Erde an Juli: Du hast eine Windel an, zum Kuckuck! Mein Blick muss selten dämlich ausgesehen haben. Aber ich verstand sein Problem echt nicht. Juli verdrehte die Augen. “Danke für den Hinweis, Klugscheißer! Reinpinkeln ist nicht mein Problem. Ich muss aber richtig! Und das will ich da auf gar keinen Fall reinmachen! Das hab ich deinem Onkel doch versprochen!”. Auch wieder wahr. Aber mal ehrlich: Mich fragte ja auch keiner, ob ich das prickelnd fand, so ganz ohne Kontrolle über meine Ausscheidungen. Juli brauhte die Windeln ja nur als “Sicherheitspuffer”. Und den würde er jetzt aufbrauchen. Schon während mir das alles durch den Kopf ging bemerkte ich selbst, wie lächerlich das alles war. Natürlich wollte Juli die Windel nicht benutzen, wenn es sich vermeiden ließ. Ich würde genauso handeln, an seiner Stelle. Hornochse! Julis Auge gaben mir den Rest. Ich sah seine Verzweiflung. Sah seine Not. Also: Plan B. Beziehungsweise Plan W.C.
Ich schob Juli mit einem entschlossenen Schnaufer in Richtung Kasse, ignorierte sein Gejammer, was denn jetzt mit den Kokosflocken sei, fand die Dinger dann tatsächlich DIREKT vor dem Kassenband und und schickte ihn mit einem Fingerzeig vor in Richtung Aufzug. Die Toiletten waren im Untergeschoss, dort gab es auch einen Zugang zum Feinkostladen. Wenn es wirklich so dringend war, wie er gesagt hatte, war auf dem Weg zum Aufzug eh nur noch Watschel-Geschwindigkeit drin. Ich würde bezahlen und ihn dann kurz vor dem Aufzug einholen. So die Theorie. Die, endlich mal, auch in der Praxis funktionierte. Juli stand bereits vor den Aufzugtüren, als ihr herangesprintet kam. Fast ohne abzubremsen betrat ich mehr oder weniger gleichzeitig die Aufzug-Kabine, die einbisschen aussah, wie aus einem Science-Fiction-Film. Ein Riesen-Ding, hell und mit viel Platz. Große Displays gaben einem das Gefühl, Mitten auf einer Sommerwiese zu stehen und nicht in einer Aufzugskabine. Das in die Aluplatte an der Wand eingravierte Datum outete das Gefährt als Säugling. Wenn ich das richtig deutete, fuhr er hier erst seit wenige Wochen, was zum Renovierungszustand des gesamten Gebäudes passte. Um so besser. Kurz bevor sich die Türen lautlos schlossen, quetschte sich noch eine ältere Dame mit einem Jungen in das hell erleuchtete Innere. Oma und Enkel, das war nicht schwer zu erraten. Der Junge war maximal in Julis Alter, war aber nur so groß wie ich, dabei aber sicher dreimal so schwer. Kein Brummer wie Juli, aber doch ganz gut im Futter. Er trug eine hellblaue Ski-Latzhose mit Spiderman-Aufdruck auf der Seite, das passende Oberteil hatte sich seine Großmutter über den Unterarm gehängt. Obenrum leuchtete ein heller grüner Fleece, der ebenfalls Spiderman-Verzierungen trug. Seine Füße steckten in dunkelblauen Gore-Text-Klettstiefeln mit Blink-LED in der Ferse und, natürlich, einem stilisierten Spinnenetz auf der Seite der Stiefel. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich meine Mutter angebettelt hatte, mir solche Stiefel zu kaufen. Ich hatte einfach einen Faible für alles, was blinkte. Und doch war ich insgeheim froh, nicht als Spidi-für-Arme durch die Gegend laufen zu müssen. So cool sah das nun wirklich nicht aus. Vorallem wenn man ein derart gequältes Gesicht zur Schau stellte, wie Spiderman-Junior. Die Oma des Superhelden-Insekts war wenig besser drauf. Sie war nicht gut auf ihren Enkel zu sprechen und zeterte auf Deutsch. Wohl weil sie der Meinung war, dass wir als Dänen das dann nicht verstanden. Tja. So kann man sich täuschen. “Bennett, die nächste Fähre können wir vergessen! Und nur, weil du zu Hause nicht mehr auf die Toilette wolltest, so wie ich es dir gesagt habe! Immer ist diese furchtbare Spielkonsole wichtiger!” Okay, noch ein Fall für die Toilette. Und zum Thema Spielkonsole sage ich an dieser Stelle lieber mal nichts. Und so richtig folgen konnte der kleine Superheld ihr auch gar nicht mehr. Er stand kurz davor, sein Helden-Outfit einzusauen. Er kämpfte. Und Juli kämpfte. Mitleid hatte ich nur mit einem der beiden.
Kurz bevor die Kabine im Erdgeschoss ankommen sollte, platzierten sich beide Klo-Kandidaten mehr oder weniger Sprungbereit vor der Tür. Jetzt nur keine Zeit verschwenden. Juli hatte mir in der Zwischenzeit alle Tüten und de Rucksack übergeben, den er getragen hatte. Es musste gleich sehr, sehr schnell gehen. Unnötiger Ballast störte da nur. 3, 2, 1, Blitzstart. So der Plan. Der allerdings von einem kalten Knirschen durchkreuzt wurde. Die Aufzugskabine erzitterte leicht, bremste dann deutlich zu schnell ab und blieb dann stehe. Ohne, dass sich direkt danach die Türen öffneten. Fast zeitgleich begann in einem der Displays ein grüner Telefonhörer zu blinken. “Störung! Bitte nehmen Sie Kontakt zur Leitstelle auf!”, erzählte eine kühle Computerstille. Na wunderbar. Und nun? Ich blickte zu Oma-Spiderma, Sie auch zu mir. Und wir beide dann im Anschluss auf unsere beiden “Patienten”. Das war jetzt ein ausgesprochen beschissenes Timing, liebe Aufzugsfirma. “Nein, bitte nicht!”, kreischte der kleine Spiderman panisch und in einer Tonlage, die so gar nicht zu seinem Superhelden-Style passte, als er mitbekam, was hier gerade vor sich ging. Juli kreischte nicht, stand aber dennoch kurz vor einem mittelschweren Nervenzusammenbruch. Wiel lange noch, fragte ich ihn, ohne die Frage laut zu Stellen, in dem ich auf meine Uhr am Handgelenk zeigte. Fünf Finger. Oha. Fünf Minuten maximal. Juli, das würde ziemlich sicher ins Auge gehen. Oder besser, in die Hose. Je nach Blickwinkel.
Oma-Spiderman wollte jetzt eigentlich die Führung übernehmen und die Leitstelle kontaktieren, genau so, wie das die Frau m Aufzug uns per Endlosschleife erzählte. Immerhin war sie die Erwachsene hier an “Bord”. Sie kam aber nicht so weit, weil ihr jetzt komplett die Fassung verlierender Enkel sich an sie klammerte und sie anbettelte, ihm zu helfen. Sie versuchte es erst mit Verständnis, liebevollen Worten und einer zärtlichen Umarmung. Eine Oma halt. Drang aber damit nicht zu ihm durch. Er war ganz offensichtlich nicht mehr in der Lage, lange einzuhalten. Und der sich andeutende Kontrollverlust warf ihn völlig aus der Bahn. Wir mussten aber auch mit der Leitstelle Kontakt aufnehmen. Das usste auch die Superhelden-Oma und schaltete deshalb um auf Erwachsenen-Modus. Sie zog den Mini-Spiderman an den Schultern von sich weg und drückte ihn unsanft zu Boden. “Es reicht jetzt, Bennett! Du ist 12 Jahre alt und willst andauernd wie ein Erwachsener behandelt werden. Dann benimm dich jetzt auch so! Setz dich hin, auf deine Ferse. So haben wir das früher immer gemacht, wenn grade keine Toilette in der Nähe war! Und nimm dir ein Beispiel an dem jungen Mann, der ganz sicher ebenfalls ein dringendes Bedürfnis hat. Macht der so ein Theater wie du?” Uff, das hatte gesessen. Und vor allem der Vergleich mit Juli war nicht nett. Und vor allem ja auch unfair. Egal was passierte, Juli würde hier nicht vor völlig fremden in die Hose mache, sondern maximal seine Windel benutzen. Ohne dass davon jemand anderes unmittelbar etwas mitbekam. Das war ein gewaltiger Unterschied. Kurz ertappte ich mich dabei, die Sache klarzustellen und der alten Dame ganz großherzig eine unserer Ersatz-Windeln für ihren Enkel anzubieten. Jeder von uns hatte zwei davon im Rucksack. Ich stellte die Idee aber zunächst zurück. Die Leitstelle hatte jetzt erstmal Vorrang.
Entschlossenen Schrittes kam Oma Spiderman zu uns rüber und nahm mit einem zufriedenen Nicken wahr, dass auch Juli mittlerweile auf seinen Fersen saß. Ob das wirklich half, den Drang zu unterdrücken war schwer zu sagen. Es war im anzusehen, wie konzentriert er war. Und ich würde ihn jetzt ganz sicher nicht dabei stören. Ich positionierte mich neben Oma Spiderman, die unmittelbar im Anschluss den grünen Telefon-Button auf dem Touchscreen drückte. Die Anzeige färbte den Button rot und bereits wenige Augenblicke später meldete sich eine ruhige Telefonstimme auf Englisch. Ich sortierte panisch die wenigen Englischen Wortfetzen, dich ich kannte. So viel also zum überlegenen pädagogischen Konzept einer Privatschule. Die ganze Englisch-Frühförderung für die Katz. Zum Glück hatte Oma Spiderman offensichtlich beim Englisch-Unterricht deutlich intensiver zugehört und klärte mit dem Mann am anderen Ende der Leitung die Lage. Ich reichte ihr noch eine Visitenkarte von Onkel Phil. Den musste der Leitstellen-Mensch unbedingt informieren. Wir hatten natürlich ein Notfall-Handy im Rucksack. Das half in diesem Metallkäfig aber herzlich wenig: kein Empfang. Ein kurzes Klicken, dann war das Gespräch beendet. “30 Minuten, dann sind wir hier raus!”, fasste Oma Spiderman das Gespräch zusammen. “Die Techniker sind bereits da und haben den Fehler im Antrieb bereits gefunde. Sie starten im Augenblick die Systeme neu!” 30 Minuten waren okay. Für mich und Oma Spiderman. Bei Juli und Bennett sah das aber natürlich komplett anders aus. Vor allem Bennett verlor jetzt endgültig die Fassung. Er sprang auf, schrie, tobte und trommelte wie von Sinnen gegen die Metallwände der Aufzugskabine. Er rüttelte am umlaufenden Geländer, rannte zu uns herüber und patschte mit der flachen Hand immer wieder gegen den Touchscreen, nur um dann Mitten in der Bewegung einzufrieren. Ich wusste, was jetzt kam. Wusste, was der arme Kerl jetzt gerade mitmachte. Klar war er mir unsympathisch. Aber der Moment, als Bennett die Kontrolle über seine Blase und seinen Darmausgang aufgeben musste, kannte ich nur allzu gut. Die totale Niederlage.
Bennett krallte die Finger ins blankpolierte Edelstahl-Geländer und schloss die Augen und ließ mit einem wimmernden “Oh bitte nein …” der Natur freien Lauf. Es dauerte eine ganz Weile, bis sich die Nässe von Innen nach Außen durch seine Unterwäsche und die Schneehose gefressen hatte. Dann aber war sie nicht mehr aufzuhalten. Ein immer größer werdender dunkelblauer Fleck breitete sich zwischen seinen Beinen aus, bevor die Flüssigkeit der Schwerkraft folgte und seine Beine hinunter in die Schuhe lief. Zeitgleich konnten wir sehen, wie sich mit einem lauten Schmatzen seine Hose am Po ausbeulte. Es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Wenige Augenblicke später war’s vorbei. Er löste den Griff ums Geländer, tapste breitbeinig zu seiner Großmutter, die ihn schockiert in Empfang nahm. Sie schloss ihn in ihre Arme, achtete aber sehr genau darauf, einen Sicherheits-Abstand zu seinem Unterkörper zu halten. Es dauerte nicht lange, bis sich Bennetts Zustand auch in der Luft bemerkbar machte. Da mussten wir jetzt durch. Zumal die Luft in wenigen Augenblicken noch schlechter werden würde. “Ich kann auch nicht mehr!”, stöhnte Juli leise. Ich nickte, setzte mich neben ihn und gab ihm zu verstehen, dass das für mich völlig okay wäre. Dann zog Juli seine Beine unter seinem Po hervor, setzte sich in die Hocke und ließ alles, was er in den letzten Minuten so mühsam unterdrückt hatte, in die Windel. Ich hörte das leise Knistern der Seni, als sie sich unter dem Druck von Julis Darminhalt spannte. Hörte das Zischen, als er gleichzeitig begann, in die Windel zu pinkeln. Juli würgte. “Das ist so eklig!”. Stimmt. Aber ein Blick zu Bennett ließ ihn verstummen. Den hatte es deutlich schlimmer erwischt. Und wenn wir es schlau anstellten, würde niemand etwas von Julis voller Windel mitbekommen. Bennett war ja der offensichtliche Grund für die verpestete Luft. Dennoch wollten wir versuchen, Bennett zu helfen. Das hatten wir schnell geklärt.
Ich schnappte mir unsere Rucksäcke und schleifte sie zu Oma Spiderman. Bennett starrte mit leerem Blick vor sich hin, wollte auf gar keinen Fall irgend jemand in die Augen sehen. Die Scham war jetzt übermächtig. Ich fragte seine Großmutter ruhig, ob sie Wechselwäsche für Bennett dabei habe? Sie nickte. Die war allerdings unten in den Schließfächern. Da hatten sie ihre Koffer deponiert. Sie wollten doch heute eigentlich weiter nach Sylt. Sie haben jetzt hier lediglich frische Socken für Bennett. “Ich habe gedacht, ich hülle ihn nachher einfach in meine Jacke, dann sollte es schon gehen. Das war natürlich Quatsch. Ohne Jacke konnte Sie auf keinen Fall nach draußen. “Wir haben wahrscheinlich alles dabei, was sie brauchen!”, meinte Juli, der mittlerweile aufgestanden war und vorsichtig zu uns herüber kam. Er hatte offensichtlich Angst, dass etwas aus seiner Windel “fallen” könnte, sollte er sich zu hastig bewegen. Das war natürlich Quatsch. Aber ich war zugegeben der einzige Windel-Profi in dieser Runde. Kein Grund also, den Klugscheißer raushängen zu lassen. “Wir haben Feuchttücher, frische Unterwäsche und eine Leggings. Damit sollten Sie das Ganze einigermaßen in den Griff bekommen!” Oma Spiderman nickte überrascht. Und dankbar. Bennett starrte weiter ins Leere. “Sollen wir ihr auch eine der Wickelunterlagen geben?”, flüsterte Juli mir ins Ohr. Gute Frage, nächste Frage. Wechselwäsche dabei zu haben, ließ sich ja noch irgendwie erklären. Aber eine Einweg-Wickelunterlage? Also wäre ich Oma-Superman, würde ich spätestens ab diesem Moment ziemlich genau wissen wollen, was die beiden Jungs da noch so alles in ihren Rucksäcken haben. Ich zögerte. Haderte mit mir selbst. Hatten wir wirklich Angst davor, dass eine ältere Dame uns fragen könnte, warum wir eine Wickelunterlage dabei haben? Die hatte jetzt echt andere Sorgen. Und in 30 Minuten würde jeder wieder seines Weges gehen. Ich presste die Lippen zusammen und nickte still. Und damit war dann auch Juli einverstanden.
Er reichte ihr ohne ein weiteres Wort die das bunte Zellstoff-Plastik-Ding, zog dann eine seiner bunten Mickey-Mouse-Wechselunterhosen und das passende Unterhemd aus seinem Rucksack und zauberte dann noch die Prinzessinnen-Leggings ans Licht, die er zu Hause nur unter Androhung von körperlicher Gewalt hatte anziehen wollen. Er hatte sie also tatsächlich mitgenommen. Oder anders: Onkel Phil hatte das getan. Bei Wechselklamotten durfte man nicht zimperlich sein, das wusste ich. Anschließend wechselte Juli zu meinem Rucksack und zog noch einer meiner Strumpfhosen hervor. Es war das “Schwestermodell” der blauen Thermo-Strumpfhose, die ich gerade trug. Die in Julis Hand war allerdings grün und hatte statt einer Wolke eine dümmlich grinsende Sonne auf dem Po. Die Wolken hätten besser zu Bennett gepasst. Aber man konnte nicht alles haben.
Oma Spiderman war längst im Pragmatismus-Modus und hatte gerade die Wickelunterlage neben Bennett auf dem Boden ausgebreitet. Keine Nachfrage, nichtmal ein Stirnrunzeln. Genau so, wie ich mir das gedacht hatte. Menschenkenntnis konnte ich. Eindeutig. Und deshalb war ich mir sicher, dass das mit Bennett noch ein ziemliches Drama werden würde. Aber so weit waren wir erstmal noch nicht. Erstmal versuchte Oma Spiderman, ihren Enkel wieder soweit “wach” zu bekommen, damit er beim Umziehen kooperierte. Ich war da skeptisch. Die ersten Handgriffe liefen aber ohne Probleme. Nachdem es Bennentt immerhin geschafft hatte, seine Klett-Stiefel selbst auszuziehen stellte seine Großmutter erleichert fest, dass zumindest die Schuhe fast kein Urin abbekommen hatten. Mit neuem Elan stellte Oma Spiderman Bennett anschließend auf die Beine und öffnete die Klick-Verschlüsse seiner Skihose, die sofort mit einem satten “Pflotsch” nach unten klatschte. Keine Überraschung bei der Menge Flüssigkeit, die das Ding hatte aufsaugen müssen. Bennetts Hose war aber erstmal die kleinste Sorge seiner Großmutter. Dafür aber der gesamte Rest. Denn zu meiner und Julis Überraschung trug Bennett unter der Skihose nämlich nur seine normale Unterwäsche und kurze Spongebob-Söckchen. Keine lange Unterhose. Keine Strumpfhose. Und das war das Problem. Nicht, weil es bei den Temperaturen vernünftiger gewesen wäre. Sondern weil so eine eng anliegende zusätzliche Schicht Unterwäsche dafür gesorgt hätte, dass Bennetts Darminhalt einigermaßen an Ort und Stelle geblieben wäre. War er aber nicht. Heißt: Die braune Pampe hatte sich wirklich überall verteilt. Am Po, rund um die Hüfte, den Rücken hoch und zwischen den Beinen. Juli hatte sich sicherheitshalber in die andere Ecke des Aufzugs verzogen, er kam schon mit dem Geruch seiner Windel kaum klar. Ich war da härter im Nehmen und diente Oma Spiderman als Feuchttuch-Spender, auch wenn es jetzt zunächst darum ging, Bennett aus den Sachen rauszubekommen.
Auch wenn die alte Dame ganz offensichtlich schon sehr lange keine dreckigen Klamotten mehr hatte wechseln müssen sah man ihr doch an, dass sie das in ihrem Leben bereits ein paar Mal gemacht hatte. Sowas verlernte man offensichtlich nicht. Wie Fahrradfahren. Unter Anleitung seiner Großmutter stieg Bennett aus der Hose, die anschließend vorsichtig in einen der schwarzen Müllsäcke wanderte, die Juli und ich ebenfalls im Rucksack hatten. Das Ding war definitiv nicht mehr zu retten. Während sich Bennett mit einer Hand an der seiner neben ihm knieenden Oma festhielt, zog sie ihm die Socken aus, die ebenfalls in den Sack mit der Hose kamen. Anschließend kam die komplett eingesaute Unterhose dran, die Oma Spiderman großflächig mit ein paar Feuchttüchern von den größten Brocken befreite und anschließend mit ein paar Feuchttüchern als Puffer dazwischen nach unten zog. Der nächste Kandidat für den Müllsack. Es war wahnsinn, das alles als stiller Beobachter zu verfolgen. Oma Spiderman war die einzige echte Superheldin dieser Familie, ganz klar. Ihr Enkel war zu diesem Zeitpunkt bereits keine große Hilfe mehr. Zwar saß der Schock bei ihm noch tief, allerdings realisierte er gerade, dass er jetzt halbnackt hier im Aufzug stand und die Prozedur noch längst nicht beendet war. Die pure Vorstellung weckte seinen Kampfgeist, den hier gerade allerdings so gar niemand gebrauchen konnte. Ihm war’s egal. Und deshalb bekam erstmal seine Großmutter seine ganze Wut und Verzweiflung zu spüren. Er giftete, zeterte und jammerte, wollte auf keinen Fall, dass Oma Spiderman ihn noch weiter auszog, während wir dabei zusehen konnten und gab ihr sehr eindeutig zu verstehen, dass er niemals im Leben die hässlichen Klamotten anziehen würde, die sie von den beiden “Spinnern” für ihn bekommen hatte. Es war seiner Großmutter anzusehen, dass sie ihm gerne eine Ohrfeige verpasst hätte. Das ging aber alleine schon aus rein praktischen Gründen nicht, weil sie ihn festhielt und damit verhinderte, dass er die Sauerei an und um ihn herum noch weiter verteilte.
Dass er Juli und mich als “Spinner” bezeichnete, konnte ich nicht nachvollziehen. Es war mir ehrlich gesagt aber auch völlig egal. Viel entscheidender war Julis Reaktion. Der gab auch nicht viel darauf, ob andere ihn für einen Spinner hielten, oder nicht. Aber beim Thema Großmutter war seine Zündschnur ultrakurz. Ja, er hatte es nicht einfach mit seinen Großeltern. Aber er hatte ihnen alles zu verdanken. Alles! Entsprechend großen Wert legte er darauf, dass man seine Großeltern mit Respekt behandelte. Und genau den ließ Bennett nachhaltig vermissen. Bevor ich so richtig wusste, was geschah, war Juli bereits auf den Beinen und mit zwei großen Sätzen bei Bennett. Der war zwar auch nicht gerade ein Leichtgewicht, verglichen mit Juli aber nur eine halbe Portion. Mit seiner rechten Pranke packte er Bennett im Genick und fixierte ihn damit. Ich war mir sicher, dass Bennett in diesem Moment lieber mit einem Schraubstock gekuschelt hätte, als Julis Hand im Nacken zu spüren. “Du hast jetzt Sendepause, mein Freund!”, zischte Juli, ohne dabei seinen Griff nur einen Millimeter zu lockern. “Deine Großmutter zieht dich im wahrsten Sinne des Wortes gerade aus der Scheiße, in die du dich selbst reingeritten hast!”. Wow. So wortgewaltig kannte ich ihn ja gar nicht. “Du hast eine bessere Lösung, als dir von deiner Oma mit den Sachen von den beiden “Spinnern” helfen zu lassen? Perfekt! Dann leg’ los. Bin mal gespannt, wie du dich ohne unsere Feuchttücher sauber bekommst. Oder ohne deine Großmutter an die Sauerei rankommst, die sich da deinen Rücken hochgeschoben hat. Und dann sind wir schon sehr daran interessiert zu erfahren, mit welchen Klamotten du nachher aus dem Aufzug spazieren willst!?” Rumms. Das hatte gesessen. Jeder einzelne Satz ein Volltreffer. Eigentlich waren solche rhetorischen Glanzleistungen ja mein Tanzbereich. Wobei das jetzt wirklich egal war, denn Julis Worte und sein Eisenfaust-Griff verfehlten ihre Wirkung nicht. Zwei, drei kurze Schniefer, ein paar verzweifelte Blicke zu seiner Großmutter und schon war Bennett wieder in der Spur. Er bekam sogar ein genuscheltes “‘tschuldigung, Oma” über die Lippen.
Der Rest war dann fast schon zu einfach. Juli gab Bennett wieder frei und verzog sich in seine Ecke des Aufzugs. Er fühlte sich in seiner vollen Windel ganz offensichtlich nämlich alles andere als wohl. Und Bennett war auf einmal mit Feuereifer bei der Sache. Gemeinsam mit seiner Großmutter schaffte er es sogar, seinen Fleece-Pullover über den Kopf zu bekommen, ohne das gute Stück einzusauen. Das Ding konnte er also nachher wieder anziehen. Blieb noch sein orangenes Shirt und das Unterhemd. Beide hatten deutliche Kotspuren und mussten mit in den Müllsack. Ohne Klamotten drumherum war es dann auch mehr oder weniger kein Problem, Bennett einigermaßen sauber zu bekommen. Die großen, weichen Feuchttücher, die Onkel Phil uns in die Rucksäcke gepackt hatte, waren Gold wert. Und so lag Bennett keine fünf Minuten später wieder ziemlich frisch auf der Wickelunterlage, während seine Großmutter letzte Hand an seine Oberschenkel und den Genitalbereich legte. “So, alles wieder sauber!”, verkündete sie anschließend mit einem erleichterten Seufzer. “Willst du dich selbst anziehen?” Bennett schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich war es besser so. In zehn Minuten würde der Aufzug wahrscheinlich wieder funktionieren. Das musste jetzt also ratzfatz gehen. Sie fädelte also Bennetts Beine in Julis Wechsel-Unterhose und schob dann ohne ein weiteres Wort die Strumpfhose hinterher. Bennett versteifte sich kurz, als er den weichen Stoff auf seiner Haut spürte. Ihm war deutlich anzusehen, dass er lange keine Strumpfhose mehr getragen hatte. Dann zog Oma Spiderman Bennetts Oberkörper nach oben und komplettierte mit dem frischen Unterhemd und dem alten Fleece-Pullover den neuen Look ihres Enkels. Fehlte nur noch die Leggings. Das Glitzerding passte lustigerweise farblich ganz gut zu Bennetts restlichem Outfit. Glitzersteinchen und Prinzessinnen-Konterfei auf den Po verschwanden fast vollständig unterm weit nach unten hängenden Fleece-Pullover. Jetzt noch die Klettstiefel und fertig war der neue Bennett. Deutlich weniger cool als vorher, dafür aber sauber und warm verpackt. Die Schöne und das Biest vs. Spiderman. Das bekommt man auch nicht alle Tage zu sehen.
Autor: DerBeobachter (eingesandt via E-Mail)
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Fortsetzung bitte!
An einigen Stellen musste ich tatsächlich lachen.
Eine Glanzleistung, wirklich eine Top Arbeit!!
Du hast einen Schreibstil, der ist unglaublich…
Definitiv fünf Sterne wert!!
Nach wie vor eine ganz tolle Geschichte Trotzdem eine Kritik: Am Anfang, wo sie das Einkaufscenter betreten, wird der Sinn eines Satzes nicht ganz klar(Thema Kleidung). das ist schade und zeigt: Es macht Sinn den Text selbst noch einmal durchzulesen. Auch mir selbst passiert es, dass ein Teil des Satzes verloren geht auf dem Weg zwischen Kopf und Tastautur.
Das schmälert der Wert deiner Geschichte aber nicht. Ich freue mich auf die Fortsetzung.
Wäre es ein Buch, hätte es definitiv einen Platz in meinem Bücherregal verdient!!! Und eigentlich ist diese Geschichte gut genug für ein Buch!