Die Verwandlung (1)
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Die Verwandlung
Day One – Was einst verloren ging
„Feuer!“, rief Paul alarmiert und brachte Finn spätestens dann zum schmunzeln, als er mit einem ziemlich lauten, nachgemachten Tatütatata-Geräusch eines der großen roten Playmobil-Feuerwehrautos in Richtung der Plastikritterburg schob. Relativ schnell hatte Finn seine betont desinteressierte ich-bin-viel-zu-cool-und-sowieso-zu-alt-für-sowas-Haltung gegenüber dem fünfjährigen Paul aufgegeben und sich, nachdem er zu erst ratlos in dessen Kinderzimmer stand und , für ihn selbst verwundernd, neidisch dessen Spielzeugberge angeblickt hatte, neben denselben auf den weichen Autoteppich gekniet und angefangen mitzuspielen. Finn griff den kleinen Kommandowagen aus der Playmobil-Feuerwache, steckte sorgfältig zwei Feuerwehrleute hinein, schob diesen eilig hinter Pauls Drehleiter her und klärte den kleinen Jungen auf: „Das ist der Einsatzleitwagen, der muss zuerst fahren!“
Finn zögerte kurz und machte dann auch selbst die Martinshorngeräusche nach. Viel zu peinlich eigentlich, aber hey, er war ja gerade so etwas wie der Babysitter des Fünfjährigen. Zumindest seiner Ansicht nach. Und es bekam ja ohnehin niemand mit, vor dem ihm das peinlich sein musste.
„Na, spielt ihr schön?“, fragten Finns und Pauls Mutter wie aus dem Nichts nahezu synchron und brachten Finn dazu, sich hektisch und erschrocken umzudrehen und aufzuspringen, sein Shirt wieder glattzustreifen und nervös seine Mutter anzublicken. Bereits ein paar Minuten hatten sie Still im Türrahmen gestanden und amüsiert zugeschaut wie sich der zwölfjährige Finn der sonst immer äußerst darauf bedacht war, bei jeder seiner Handlungen möglichst cool zu sein, erst zögerlich neben Paul auf den Boden gekniet hatte und nach und nach angefangen hatte, mit ihm mitzuspielen. Nun stand er wieder im Raum und versuchte vergeblich, gegenüber den beiden Erwachsenen wieder so zu wirken als wäre er ein cooler Jugendlicher, der ja nur kurz auf das Kindergartenkind aufgepasst hatte. „Äh ja, ich hab nur … ich hab ihm nur erklärt, dass der Einsatzwagen vor der Drehleiter fahren muss!“, brachte er betont gelangweilt hervor und stellte, sobald diese Worte seinen Mund verlassen hatten fest, dass das wohl die peinlichste Ausrede in der Geschichte aller peinlichen Ausreden gewesen sein musste. „Natürlich, mein Großer!“, sagte seine Mutter immer noch verzückt und wuschelte Finn durch seine Haare. „Mamaa!“, beschwerte sich dieser prompt und strich seine Haare mit der linken Hand routiniert wieder so zur Seite wie sie sein sollten.
„Na Pauli, habt ihr Spaß?“, wendete sich erst Pauls Mutter, dann auch seine Mutter dem kleinen Jungen, der währenddessen einfach weitergespielt hatte zu. Paul nickte freudig und grinste vom einen Ohr zum anderen. „Hast du Durst?“, fragte seine Mutter und nahezu gleichzeitig Finns Mutter: „Willst du ein paar Äpfelchen?“ Paul kam gar nicht hinterher mit dem nicken. Die beiden Frauen blickten den kleinen Jungen verzückt an und Finn beobachtete die Szenerie verwirrt. „Wie siehts denn in deiner Pampers aus, Schnuffi?“, fragte Pauls Mutter fast ebenso verzückt wie sie ihr kleines Wunschkind eben gefragt hatte, ob es Durst habe.
Anstatt auch nur eine Sekunde auf eine Antwort zu warten, hob sie den Fünfjährigen kurzerhand hoch, riss ihn jäh aus seinem Spiel und fasste ihm an seinen dicken Windelpo: „Ohhhh, du hast aber wieder viel gepullert“, stellte sie fest, hob Pauls T-Shirt hoch und zog die erkennbar nasse Windel an seinem Rücken nach außen während der Fünfjährige teilnahmslos neben Finn stand und auf die Playmobilfahrzeuge herunterblickte. „Meinst du wir sollten dich mal wickeln?“, fragte sie Paul immer noch in überfreundlichem Ton während Finn fasziniert auf den Fünfjährigen neben ihm schaute. Höchstens einen Kopf kleiner als er war der Junge und durfte noch Pampers tragen. Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden drehte sich nur um Paul, nur der selbst kümmerte sich grade mehr um sein Playmobil. Finns Mutter streichelte Paul durch die Haare und fragte ebenso verzückt: „Wollen wir dich mal wickeln Pauli? Du bist ja ganz pitschenass da unten!“
Paul verstand so langsam, was die beiden ihn umkreisenden Frauen von ihm wollten: „Nein!“, rief er und schüttelte energisch den Kopf. Finn blickte ihn gebannt an. Richtige Entscheidung, schmunzelte er. Als Finn noch Windeln trug, wollte er die auch nie loswerden, viel zu schön war es, wenn es da unten nass und warm war. Aber was hatte er damals schon zu bestimmen? Überhaupt, Windeln, das waren noch Zeiten, dachte er wehmütig während er die sorgfältig in Reih und Glied aufgestapelten Windeln auf Pauls Wickeltisch anblickte. Fürchten, dass seine Mutter davon Notiz nehmen könnte, musste er keine haben. Finn hätte auch einen Flossdance oder Handstand machen können und wäre unbemerkt geblieben, hier drehte sich grade alles um Paul. Nur um Paul.
„Ach Pauli, meinst du nicht …“, fragte dessen Mutter erneut, aber Paul beharrte: „Nein, nicht wickeln jetzt!“ Finn erwartete nun aus eigener Erfahrung, dass Pauls Wunsch von den beiden Erwachsenen gepflegt ignoriert werden würde. „Na wenn du meinst“, sagte dessen Mutter und kraulte dem Fünfjährigen durchs Haar bevor sie ihm einen weiteren, dumpf erklingenden Klaps auf dessen Windelpo gab und mitsamt Finns Mutter und den Worten: „Wir machen dir dann mal Äpfelchen, Schnuffi!“, in den Flur verschwand. Hey, er wollte auch Äpfelchen, dachte sich Finn halb beleidigt, halb belustigt. Nachdem er kurz Löcher in den Raum gestarrt hatte, als er über das Verhalten der beiden Mütter nachdachte, kniete er sich wieder neben den kleinen Jungen und machte bei dessen Ritterburg-Feuerwehrspiel mit.
Finn war von Windeln fasziniert. Schon immer. Selbst, als er selbst noch welche getragen hatte, eigentlich wollte er sie nie loswerden. War leider nicht seine Entscheidung, stattdessen hatten seine Eltern ihn relativ schnell und erfolgreich trocken und sauber bekommen, damit aber keinen Einfluss auf seine Windelleidenschaft gehabt. Wenn man muss einfach in die Hose machen, wo man grade ist. Schon im Kindergarten hätte er am liebsten getauscht mit den Kindern die sich regelmäßig in die Hose machten weil sie ihr Spiel nicht unterbrechen wollten, aber irgendwie war ihm das doch zu peinlich. Und nun war er heute auf Paul getroffen, der Fünfjährige Sohn von Antonia, der besten Freundin seiner Mutter. Grade erst aus Norddeutschland war diese zusammen mit ihrer Familie zurück in die Heimat gezogen und Paul war ein Fünfjähriger, der noch Windeln trug als wäre es das normalste der Welt. „Wegen dem ganzen Umzugsstress und irgendwie sind wir noch nicht so richtig dazu gekommen“, hatte Antonia sich lapidar versucht zu verteidigen als Finns Mutter die Windel des Kindergartenkindes aufgefallen war. „Ach, er hat doch noch Zeit“, hatte seine Mutter aber schnellt festgestellt und war ohnehin wie vernarrt in den Sohn ihrer besten Freundin und hatte die halbe Zeit, die sie heute hier verbracht hatten damit zugebracht, sich um Paul zu kümmern. Dabei hatte sie doch eigentlich so wenig Zeit wo sie nun wieder ihre Vollzeitstelle hatte weil Finn mittlerweile so ein selbstständiger großer Junge war. Hatte sie ihm jedenfalls gesagt. Ja, Finn war neidisch. Er wollte auch so sein wie Paul, der grade verdammt viel Spaß mit seinen zahlreichen Playmobil-Feuerwehrfahrzeugen hatte und dessen offenbar durchaus sehr nasse Windel sich währenddessen in seiner Jeans wölbte, an der Mittelnaht vorbeidrückte und seinen Po ausbeulte. Wieso durfte Paul mit Fünf noch Windeln tragen und Finn nicht?
Während Finn sich allerlei Gedanken machte, hielt der Fünfjährige plötzlich inne, mitten in der Bewegung, eingefroren. Kannte Finn mittlerweile schon, Paul pinkelte sich grade in die Windel, versuchte das nicht mal zu verstecken. Kurz darauf drückte er kurz die Beine zusammen und spielte dann einfach weiter. „Wir müssen da hoch!“, spielte Finn mit und zeigte auf den großen Turm der schwarzgrünen Plastikburg und schob die Drehleiter in Position während Paul selbige hochkurbelte. Irgendwie machte es ja wirklich Spaß, vor allem bei der riesigen Anzahl von Playmobilsachen, die in Pauls Kinderzimmer bereitstanden.
Wenig später hatte sich Finn fast ebenso ins Spiel vertieft wie der kleine Paul, bevor die Beiden wieder von ihren Müttern gestört wurden. Diesmal aber nur zur versprochenen Verpflegung mit geschnittenen Apfelstücken und Apfelsaft. Erst bei diesem Anblick stellten die beiden Kinder fest, dass sie beide ziemlichen Durst und Apettit hatten. Bald darauf waren die Gläser leer, die Äpfel weg und Antonia genoss es, im Wohnzimmer ein ruhiges Gespräch mit Finns Mutter führen zu können.
Mehre Stunden zog sich die Feuerbekämpfung an der Ritterburg noch hin, immer mehr Feuerwehrautos wurden von den Beiden aufgebaut, Schläuche verlegt, Feuerwehrmänner mit Atemschutzmasken versehen und auch Polizeiautos zur Absperrung an den Einsatzort beordert. Als Antonia irgendwann erschrocken feststellte, sie sollten wirklich mal wieder nach den Kindern sehen, fanden sie die beiden leise und angeregt inmitten von Playmobil spielend. Paul hatte seinen Stinker in seine Pampers gemacht, das roch man sofort.
Schon lange, aber das wussten nur Paul und Finn. Als der Fünfjährige aufgestanden war um den Polizeihubschrauber aus der anderen Ecke des Zimmers zu holen, hatte er sich noch nicht einmal richtig aufgerichtet, als er kurz stöhnte, die Hände zu Fäusten ballte und langsam wieder in die Hocke ging während er presste. Finn schaute gebannt zu, wie sich Pauls Windelpo weiter ausbeulte während sich dessen großes Geschäft in seine Pampers schob und wie Paul, nachdem er fertig geworden war, sich wieder aufrichtete, mit seiner rechten Hand gegen seinen Po drückte und befühlte, was er da grade angerichtet hatte. Daraufhin taten beide Jungen, als hätten sie es abgesprochen, so als wäre nichts passiert. Mehr als eine Stunde lang.
Es stank, aber das fand Finn nicht schlimm. Stattdessen spielten sie einfach weiter und freundeten sich an. Finn erzählte Paul viel über Feuerwehr und Polizei, immerhin hatte er sich früher selbst sehr dafür interessiert: „Das ist der Rüstwagen, der bringt vor allem die Werkzeuge, die die Feuerwehrmänner brauchen, wenn sie zum Beispiel Leute aus Autos befreien wollen“, stellte er einen der signalroten Lastwägen vor und schob die kleine Mini-Rollade, welche vor die Playmobil-Werkzeuge gesetzt war, nach oben um selbige zu präsentieren. „Was ist das?“, fragte Paul und zeigte auf eines der Werkzeuge. Überhaupt, Fragen konnte Paul echt gut, er tat quasi nichts anderes als Finn mit Fragen zu löchern. Erst zu den Feuerwehrautos und dann schließlich, als ihm dort die Fragen ausgingen, zu Finn selbst: „Gehst du schon in die Schule?“, fragte Paul interessiert und fuhr währenddessen die Drehleiter immer wieder aus und ein. „Ja“, antwortete Finn schnell.
„Lernt man was zur Feuerwehr?“, fragte Paul daraufhin interessiert und schaute Finn, im Schneidersitz vor diesem sitzend mit großen Augen an. Finn fragte sich, ob dem Jungen wohl irgendwann die Fragen ausgehen würden. Taten sie nicht. „Nein, leider nicht. Jedenfalls bis jetzt noch nicht. Kommt vielleicht noch!“, antwortete er. „Wie alt bist du denn?“, fragte Paul, ohne sich über Finns Antwort Gedanken zu machen. Machte es überhaupt einen Unterschied, was Finn sagte oder wollte Paul einfach nur mit seinen Fragen nerven? Moment, was hatte der kleine Stinker gefragt, wie Alt Finn war? Finn stockte.
Zwölf Jahre war er alt, darauf bestand er normalerweise energisch. Auch letztens, als er sich im Saturn „Fortnite – Rette die Welt“ kaufen wollte und die Kassiererin ihm, obwohl er seinen Schülerausweise vorzeigte, nicht glauben wollte, dass er schon Zwölf ist. Finn war wirklich klein für sein Alter, 1 Meter und 37 Zentimeter groß, dazu relativ dünn und hatte weiche Gesichtszüge, wenn irgendjemand sein Alter schätzte, dann lag er meist mindestens um zwei Jahre daneben und wurde von Finn daraufhin in der Regel umgehend darauf hingewiesen, dass er schon Zwölf Jahre Alt war!
Und das obwohl Finn darauf achtete, jugendliche Kleidung zu tragen. Ein nices grau-hellblaues Superdry-Tshirt mit Neonblauer Kaputze und eine Tech-Stretch Skinnyjeans mit hohem Elastananteil, dazu seine aufwändig zur Seite gekämmten glänzend braunen Haare, man sah doch, dass er kein Zehn- oder Neunjähriger war! Fand Finn jedenfalls. Aber als ihn nun der kleine Paul fragte, wie alt er war, dieser Junge, mit dem er grade zwei Stunden ins Playmobil-Universum vertieft war, überkam ihm zum ersten Mal der Wunsch, auf diese Frage etwas anderes als sein tatsächliches Alter zu antworten. „Ich bin schon acht!“, sagte er überzeugt, so wie es ein Achtjähriger es eben sagen würde. Das passte grade gut, ein Achtjähriger, der mit einem Fünfjährigen mit der coolsten Playmobilsammlung der Welt spielte. Ein Bemerkenswerter Kontrast dazu, wie er sich noch heute Vormittag darüber beschwert hatte dass er doch definitiv zu alt wäre, heute mit zu Antonia und ihrer Familie mitzukommen, die sicherlich total uncool wäre und er viel lieber Battlefield zocken würde. Und außerdem wollte er sich heute Nachmittag mit Luca treffen! Hatte sich beides Erledigt, grade war Finn in einer anderen Welt gelandet, wo es nicht darauf ankam, möglichst Erwachsen zu sein, sondern in einer etwa fünfzehn Quadratmeter großer Kinderzimmerwelt in der man sich um nichts kümmern musste und in welcher es nur darauf ankam, Spaß zu haben. „Boah, du bist aber groß!“, stellte Paul trotzdem beeindruckt fest. Was er wohl gesagt hätte, wenn Finn ihm gesagt hätte, er sei Zwölf? Das würde Finn wohl nie erfahren.
„Ach, da hat aber jemand eine volle Windel, kann das sein? Puuuuh!“, scherzte Finns Mutter, und Antonia hob ihren Sohn, diesmal ohne diesen vorher zu fragen, direkt auf den großen Wickeltisch und setzte ihn an dessen Kante ab. „Warte, ich helf dir!“, sagte Finns Mutter und stellte sich bereitwillig neben Antonia während Finn sich eilig aus dem Raum schlich als Pauls Windel geöffnet wurde. Das stank nun doch zu sehr, schien die beiden Frauen aber nicht zu beeindrucken. Finn stand währenddessen im hellen Flur und zückte zum ersten Mal seit vielen Stunden wieder sein Smartphone um alle in der Zwischenzeit eingetrudelten Nachrichten zu beantworten. „Heute Abend Grand Operations?“, fragte Luca. „Junge, es sind irgendwie 25 Grad oder so, lass doch Badesee“, lautete Finns Antwort. Luca dachte wirklich immer ans zocken, aber dafür war während der Sommerferien wirklich noch genug Zeit. Nach einem kurzen Zurücktippen erwarteten ihn ganze achtundfünfzig Gruppennachrichten, in der Gruppe war wohl die selbe Diskussion wie grade zwischen ihm und Luca gewesen, Badesee oder zocken. Hatten sich eh für Badesee entschieden.
Genervt ließ Finn das Handy wieder routiniert in seine Hosentasche gleiten und blickte durch die halbgeöffnete Türe auf die Wickelkommode. Die beiden Mütter hatten ihm ihre Rücken zugewandt, Paul blickte zur Decke und so bemerkte ihn mal wieder niemand. Grade aber ganz praktisch, dachte er sich. Pauls volle Windel war schon entsorgt und grade faltete Antonia eine neue Windel für Paul auf. Da war sie, weiß glänzend, mit grün-blauen Akzenten, weich und flauschig. Groß genug, damit sie vermutlich auch noch Finn passen würde. Weniger als vier Meter von ihm entfernt. Pampers Babydry Größe 7, da war sich Finn ziemlich sicher. Die neu eingeführte größte Windelgröße, zwar nur wenig größer als die alte Größe 6+, aber immer noch definitiv groß genug um auch Finn einigermaßen zu passen. Das war der erste Gedanke, den er hatte, als er heute in Pauls Kinderzimmer kam. Nachdem der zweite Gedanke „mitnehmen!“ war, lautete der dritte Gedanke „Wie?“.
Hätte er seinen Rucksack dabeigehabt, wäre das die naheliegendste und einfachste Methode gewesen, der lag aber zu Hause unter seinem Schreibtisch, wo sollte er auch sonst sein? Die einzige, wenigstens halbwegs realistische Variante die er gefunden hatte, war die Windel anzuziehen. Einfach schnell ins Bad, Windel unter die Hose anziehen und dann auf diesem Wege nach Hause schmuggeln, er hatte es sich gut überlegt.
Aber wie hatte es ihm sein Vater erst vor kurzem erklärt? Risiko ist definiert als Eintrittswahrscheinlichkeit des zu vermeidenden Ereignisses mal den potentiellen Schaden. Die Eintrittswahrscheinlichkeit war, das war allerdings etwas schwierig einschätzbar, weder besonders gering noch besonders hoch. Zumindest an Paul war die Windel nicht zu übersehen, und das nicht nur weil sie voll war, sondern auch weil sie oben aus der Hose herausschaute, das konnte ihm auch passieren. Viel schwerer wog aber der Schaden. Wie sollte er seiner Mutter erklären, wieso er auf einmal eine von Pauls Windeln angezogen hatte? Da fiel ihm nichts zu ein, unmöglich. Da könnte ihm auch sein unglaubliches Ausreden-Talent nicht helfen. Daraus resultierte, das Risiko war zu hoch. Und die Windeln zwar nur wenige Meter von ihm entfernt aber doch unerreichbar. Dann lieber welche in einem weiter entfernten Supermarkt kaufen. Obwohl er schon oft nach passenden Supermärkten und deren Produktangebot online recherchiert hatte und mehrmals kurz davor war, auch das hatte er sich nie getraut. Unerreichbar.
Stattdessen stand Finn nun nervös im hellen Flur, blickte mal durch die großen Fenster in den Vorgarten, drehte sich dann schnell um und schaute wieder in Pauls chaotisches und gleichzeitig so vertraut-gemütlich wirkendes Kinderzimmer. Abgelenkt griff er wieder nach seinem Smartphone und checkte erneut seine Messages – immer noch alles irrelevant, aber er hatte das Gefühl, dieser Kinderwelt jetzt entfliehen zu müssen. Er war doch schon Zwölf. Aber er wollte nicht. Darauf bedacht, bloß nicht nervös zu wirken flippte er sein Handy unruhig in seiner rechten Hand umher, so wie man das früher mit Fidget-Spinnern gemacht hatte und lehnte sich lässig ans Fensterbrett der Fensterfront hinter ihm. „Paul“, prangte in großen, bunten Holzlettern auf der dunklen Holztüre vor dessen Kinderzimmer. Ziemlich naheliegend. Es musste irgendwo ein Gesetz geben, das Kinder immer ihre Namen an ihrer Tür aus großen Holzbuchstaben kleben hatten, besonders Kinder, die selbst noch nicht lesen konnten, schmunzelte er. Er selbst hatte den „FINN“-Schriftzug bei der letzten Renovierungsaktion vor noch nicht ganz einem Jahr eigenhändig heruntergerissen, fand er damals schon zu kindisch und bunt. Stattdessen hatte er angefangen, seine Tür mit allerlei Aufklebern zu dekorieren. Mit Apple, Nike, BMW und vielen weiteren hatten auf seiner Zimmertüre viele große Unternehmen eine kleine Niederlassung, aber auch Größen der Musikszene hatten ihre Zelte auf den zwei Quadratmetern Zimmertüre aufgeschlagen. Kraftklub, ein ä mit drei Punkten aber auch internationale Bands wie Blink 182 und Papa Roach. Kam deutlich cooler, als vier bunte Buchstaben.
Aber, und das fühlte Finn ganz deutlich, als er Pauls Zimmertüre anblickte, da fehlte was ohne die vier Buchstaben. Schwer war es zu greifen, aber zum ersten Mal dachte er nach, ob er etwas vielleicht zu früh aufgegeben hatte. Nein, nicht der Versuch, Leon zu erklären, das zocken mit Maus und Tastatur einfach besser ist als mit Controller. Auch nicht das Skateboarden, da war er halt einfach schlecht drin. Sein altes Kinderzimmer damals, mit Hochbett, einem Autoteppich genau wie Paul und den ganzen hellen Holzmöbel, die so angenehm nach eben diesem Material dufteten. Andererseits, sein aktuelles Zimmer mit seinem Gaming-PC und dem bequemen großen Bett war ihm doch lieber und das konnte man auch echt gut Freunden vorzeigen. Aber der Anblick von Pauls Kinderzimmer, und das würde Finn erst später bewusst werden, löste ein wohliges, vertrautes Gefühl der Geborgenheit aus. Sehr ähnlich sah auch sein Zimmer fast sein ganzes Leben aus. Es waren andere Zeiten.
„So, das war es schon! Ging doch ganz schnell, oder Schnuffi?“, fragte Antonia ihren Sohn freudig, während sie ihn vom Wickeltisch herunterhob und vor demselben abstellte. Nicht der Bruchteil einer Sekunde verging, bevor Paul sich wieder dem Playmobilhaufen zuwandte währen Finn immer noch im Flur stand, sich zwar langsam und zögerlich, wieder ins Kinderzimmer bewegte. „Ich pass noch was auf Paul auf!“, antwortete er ungefragt dem Blick seiner Mutter und konnte sich dabei ein Lächeln nicht verkneifen. „Siehst du, ich hab doch gesagt, so schlimm wird das garnicht!“, antwortete seine Mutter daraufhin und brachte Finn sowohl innerlich als auch äußerlich etwas zum Grummeln. Aber sie hatte ja recht, es war wirklich nicht so schlimm geworden: „In einer Stunde fahren wir auch wieder, dann bist du deine nervige alte Mutter wieder los!“, sagte sie lachend in die Richtung ihrer Freundin und Finn gleichzeitig umarmend. Endlich hatte sie mal gemerkt, dass er auch noch da ist, dachte sich Finn erleichtert und umarmte seine Mutter zurück. Nur kurz allerdings, denn Antonia stand bereits im Türrahmen: „Oh ja, ich muss dir uuuunbedingt noch zeigen, wass Pauli für mich vor den Sommerferien im Kindergarten gebastelt hat!“
Und weg waren sie. Übrig blieben nur Pauls Motorengeräusche und das tapsen von Finns Füßen, der langsam am Wickeltisch vorbeiging, mit dem Blick kurz dort festklebte und schließlich zwischen Wickeltisch und Ritterburg wie angewurzelt stehenblieb. Entscheidungsparalyse. Finn musste auf Toilette. Definitiv nichts dramatisches, denn Finn musste für sein Alter vergleichsweise oft auf Toilette, jede Nacht mindestens einmal und auch tagsüber öfters. War aber definitiv kein Problem, daran hatte er sich gewöhnt. Aber nun stand er da, mitten im Zimmer dieses Kindergartenkindes und in seinem Gehirn blitzte der Gedanke auf, jetzt einfach noch nicht auf Toilette zu gehen. Konnte er später noch machen. Stattdessen kniete er sich neben Paul und spürte deutlich, wie er relativ dringend musste. Seine Blase drückte und sendete seinem Gehirn Signale: „Füllstand erreicht! Aufs Klo jetzt!“. Finns Herz pochte als er eine Hand zwischen gegen seinen Schritt (zwischen oder gegen beides passt nicht) drückte. So machten dass Kinder bekanntlich, wenn sie dringend aufs Klo mussten, es ihnen aber wichtiger war, weiter zu spielen als ein paar Minuten durch einen sowieso früher oder später Notwendigen Klogang zu verlieren. Das war bei Finn grade zwar definitiv nicht nötig, aber er fand einfach, das gehörte jetzt dazu. Ein Achtjähriger der ins Playmobilspielen vertieft war und mehr oder weniger verzweifelt versuchte, seinen Klogang zu verschieben. Wieso zur Hölle er das jetzt grade machte, fragte er sich gar nicht erst.
„Die Ritter ist verletzt! Wir brauchen einen Krankenwagen“, befand Paul währenddessen und ließ mehrere Playmobilritter in die eher für kleine Zinnsoldaten gemachte, viel zu kleine Plastikburg fallen, schaltete das Blinklicht bei dem Krankenwagen an und ließ selbigen vor die Burg rollen. Kein Wunder, dass die Ritter verletzt sind, wenn sie von einem Riesen mehrere Meter über dem Boden fallen gelassen werden, scherzte Finn still mit sich selbst während Paul die Rettungssanitäter aussteigen ließ und in Richtung Burg schob.
„Stopp!“, sagte einer der Polizisten beziehungsweise vielmehr Finn, der seine Stimme so verstellte, dass man dabei eigentlich in schallendes Gelächter verfallen musste: „Sie können nicht hoch in die Burg, da tobt noch das Feuer! Das ist viel zu gefährlich für sie, wir schicken einen Feuerwehrtrupp mit Atemluft hoch und bringen ihnen die Verletzten runter!“
„Alles klar, vielen Dank!“, antwortete die Rettungssanitäterin nach einer kurzen Verständnispause. Man, die Ausbildungsstandards für Rettungssanitäter werden aber auch immer niedriger, witzelte Finn wieder mit sich selbst. Wenn ihm beim Zocken genau so gute Witze einfallen würden wie hier, er wäre ein top Letsplayer, schmunzelte er.
Der Zwölfjährige beugte sich, eine Hand immer noch zwischen die Beine gepresst, rüber zur neben Paul stehenden Drehleiter und fuhr deren Korb auf den Boden herunter: „Wir machen das mit der DLK, Chef!“, ließ Finn den einen Feuerwehrmann zu seinem Gruppenführer sagen und Paul verfolgte die Ritterrettung hochgespannt. Mitsamt Schlauch, Spritze und zwei Feuerwehrmännern fuhr die Drehleiter hoch und transportiere kurz darauf bereits den ersten Ritter herunter. Finn drückte seine Beine etwas mehr zusammen.
„Musst du mal Pipi?“, fragte Paul plötzlich, obwohl er jetzt eigentlich den Rettungssanitäter hätte spielen müssen. Finn schüttelte eilig mit dem Kopf. Erste Regel, wenn man dringend aufs Klo muss: Niemals zugeben, dass man dringend aufs Klo muss! Weil, wegen ist so. Als Antwort grinste Paul nur wissend. Natürlich, er war ein Fünfjähriger und kein Vollidiot und dementsprechend glaubte er ganz genau zu wissen, was Finn da grade tat. Wenn auch nicht aus eigener Erfahrung dachte Finn, während er irgendeinen Quatsch sagend, den Playmobil-Rettungssanitätern den ersten Ritter mit Falltraumata übergab. Und kurz darauf den Zweiten. Und den Dritten. Die Zeit verstrich, und Finn war immer weniger bei der Sache. Seine Blase kribbelte, sein Herz pochte wie Wild und er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal so lange eingehalten hatte. Er achtete schon darauf, seinen Oberkörper nicht zu weit nach vorne zu neigen, damit das Gefühl nicht zu stark wurde. Überhaupt, was war das für ein komisches Gefühl? Es machte einen ganz hibbelig, tat aber eigentlich gar nicht weh. Wie ein Klopfen wiederkehrend übermittelte es immer schneller „Überfüllung, Überfüllung!“. Finn stellte sich vor, dass es in seinem Körper eine kleine Staudammwarte gab mit kleinen Angestellten, die grade alle durchdrehten, weil der Staudamm drohte, Überzulaufen, die Order von oben aber trotzdem lautete: „Schleusen zu!“ Ein Befehl, der offensichtlich mit der Realität nur für einen begrenzten Zeitpunkt zu vereinbaren war. Immer aufgeregter wurden die kleinen Schleusenwärter-Männchen, trommelten entrüstet gegen die Türe vom Schleusenmanagment, bis selbiges den Befehl umänderte: Schleusen auf! Finn fing einfach an, zu pinkeln. Hingekniet, neben Paul auf dessen Autoteppich. Mit voller Absicht. Sofort wurde die ganze Welt nass. Finn dachte nicht nach, sonst würde ihm auffallen, was er da grade tat. Er fühlte nur. Die Nässe, diese fantastische Wärme und vor allem diese unglaubliche Erleichterung. Wie wenn man nach zehn Kilometern Longboardfahren im Hochsommer endlich etwas zu trinken in die Hände bekommt. Wie beim letzten Klingeln des Schulgongs am letzten Schultag vor den Sommerferien. Holy Shit. Alles in Finn entspannte sich, er zog seine nass gewordene linke Hand die fast schon trotzig immer noch zwischen seine Beine gepresst war, weg, und stützte sich stattdessen damit auf dem Boden ab. Plötzlich war alles still, nur noch das Geräusch von ein paar Pipitropfen, welche von Finns durchnässter Hose auf den Boden fielen wie eben die Ritter aus Pauls Hand erfüllte den Raum. Langsam begann das Gehirn des Zwölfjährigen wieder zu arbeiten. Seine Hose: Komplett nass. Seine Socken auch. Der Teppich auch. Langsam hob Finn seinen Blick und traf den von Paul. Der starrte ihn mit offenem Mund gleichermaßen empört und erstaunt an. Einen Moment lang blickte er Finn direkt in die Augen, sprang dann auf, und lief aus dem Zimmer: „Finn hat sich in die Hose gemacht“, rief er, während er nach unten ins Wohnzimmer rannte, um den Erwachsenen bescheid zu sagen. Ey, ich hab den doch eben auch nicht verpetzt, dachte Finn sich zu erst. Dann erst erschlug ihn die Realität völlig und seine nächsten fünf Gedanken waren nur noch: Fuck, fuck, fuck, fuck, fuck. Was hatte er da bitte grade getan?
Autor: giaci9 (eingesandt via E-Mail)
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Giaci du bist grandios mein Freund ich mag deinen Stil ,deine Stories und deine Erzählungsführung
Bin zwar kein großer Van echten Kinderstorry’s, aber schöne Geschichte, auch wenn an der insinnigsten Stelle abgebrochen. Würde mich dennoch über eine Fortsetzung freuen.
Die Fortsetzung ist bereits eingereicht und sehr viele weitere Kapitel sind schon geplant! 🙂
Hallo
Ich finde das eine sehr schöne und auch Spannende Geschichte.
Ich würde mich über eine Vortsetzung sehr freuen. Ich Danke Dir Herzlich für das Schreiben.
Was für eine großartige Story, bin mal gespannt, wie es weitergeht? Ob Finn jetzt eine Windel anziehen muss?
Die Geschichte ist sehr schön, ich kann zwar wenig Omorashi anfangen, aber die Geschichte selbst ist sehr niedlich und lebensnah geschrieben, abgesehen davon, dass ich ein Lego-Kind war/bin (wenn ich es mir leisten kann).
Vielen Dank für dein Lob! Bei der Story bleibt es natürlich nicht nur bei Omorashi (wie ja auch mehr oder weniger subtil (naja, eher weniger :D) erkennbar ist. Und ich gelobe feierlich, Lego gibts in der Geschichte auf jeden Fall auch noch mehr als genug! 🙂
Sehr schöne Geschichte, unbedingt weiterschreiben!
Und was ist mit zweite Chance?
Gute Frage!
Die ist nicht beendet und ich schreibe von Zeit zu Zeit auch immer noch weiter! Da „Zweite Chance“ allerdings mein Erstlingswerk war, habe ich über die Jahre einige Fehler begangen, die mich jetzt stören, die ich aber nicht mehr ändern kann – das stört beim Schreiben.
Beispielsweise hat die Ich-Perspektive in Zweite Chance definitiv Flair, aber schränkt sie einen als Autor doch sehr stark ein. Die letzten Kapitel musste ich alle mit dem Ausdruck eines Elfjährigen schreiben. Das ist zwar lustig, aber irgendwann wünscht man sich, auch andere Satzkonstruktionen verwenden zu können oder Dinge anders erklären zu können. Dieses Problem habe ich bei einem allwissenden Erzähler nicht und das gefällt mir sehr an „Die Verwandlung“. 😀
Eine weitere wichtige Sache ist, wie man vielleicht auch schon gemerkt hat, bei Zweite Chance habe ich bis heute keinen Plan. Die Kapitel schreibe ich nach aktuellen Ideen aufbauend auf den vorherigen, aber wo das ganze einmal hinführen soll, das weiß ich nicht. Bei dieser neuen Geschichte hingegen habe ich damit angefangen, mir einen kompletten Plan für die Geschichte ins Notizbuch zu schreiben und entwickele jetzt daraus die Kapitel. Ich weiß also jetzt schon wie das Ende lauten soll und das macht das Schreiben durchaus vielfältiger. 😀
Kurzfassung: Zweite Chance wird auf jeden Fall weiter gehen, aber nicht unbedingt bald! 🙂
Coole geschichte und schön das du wieder schreibst, war schon ein wenig entäuscht das bei der story
Das 2. ich nichts mehr kam
Könntest du bitte weiter schreiben den ich möchte gerne wissen wie es weiter geht danke
Und hier ist sorga eine Idee der Vater von ihn ist ein Wissenschaftler und ist spizalist um Sachen zu schrumpfen.
Die Erwachsenen kommen sofort in das Kinderzimmer und sahen das kaos was er angestellt haten sie Paketen ihn brachten ihn ins Badezimmer und zogen ihm die Sachen aus und badeten ihn und zogen ihn nach den baden ihn eine Windel an und zogen ihm ebenfalls Baby Kleidung an
Das ……. das macht alles keinen Sinn und würde definitiv nicht zum Stil dieser Geschichte passen.
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