Erik & Tim (5)
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Kapitel V: Fußball und Planschbecken
Erik war erstaunlich früh aufgewacht, schon kurz nach acht Uhr und das ohne Wecker! War er vielleicht krank? Hatte sich etwas ein Alienparasit in sein Gehirn eingenistet, nur um ihn ausgeschlafener zu machen?! Vielleicht lag es auch daran, dass er gestern aus Versehen den Flugmodus seines Smartphones eingeschaltet hatte – nur eine Vermutung.
Er war sogar so früh aufgestanden,dass er noch mit seinen Eltern frühstücken konnte, die, obwohl sie schon gegessen hatten, noch am Tisch saßen und die Radionachrichten hörten. Früher hatten seine Eltern eisern darauf bestanden, dass Erik jede Mahlzeit zusammen mit seinen Eltern am Esstisch aß, doch dann kam die Feuernation und alles änderte sich! Nein, halt, warte, nicht die Feuernation, sondern die Pubertät entbrannte in Erik. Eine Zeit lang hatten seine Eltern noch versucht ihn dazu zu bewegen mit ihnen am Tisch zu sitzen, aber irgendwann hatten sie es einfach aufgegeben. Da war es eine willkommene Überraschung ihren Sohn schon so früh so wach zu erleben.
„Na Großer, du bist ja schon wach, hast du nicht gut geschlafen?“, fragte Eriks Mutter, als ihr Sohn sich an den Esstisch setzte.
„Doch, äh, keine Ahnung, ist ja auch nicht so unnormal, schon wach zu sein.“, antwortete Erik, die Milch von seinem Löffel schlürfend.
Joachim und Erika[1] gaben sich einen vielsagenden Blick, sie kannten ihren Sohn, vielleicht sogar besser als er sich selbst kannte, aber sie beschlossen zu schweigen – Wer will denn schon am Morgen einen Streit vom Zaun brechen?
„Und, hast du heute was vor?“, versuchte Joachim die peinliche Stille, die seinem Sohn, der weiter sein Müsli aß, gar nicht aufgefallen war.
„Nö, nich wirklich.“, erwiderte Erik, der eigentlich geplant hatte den Tag mit Zocken zu verbringen, aber das konnte er se inen Eltern nicht sagen, die hätten sonst bestimmt irgendeine Aufgabe für ihn gefunden, die er ganz bestimmt nicht erledigen wollte.
„Na wenn das so ist kannst du ja gleich mit zu Oma kommen.“, schaltete sich Erika ein – Mist!
„Äh, also, ohm-“ begann Erik damit sich irgendeinen Grund dafür, nicht mitgehen zu können, aus dem Ärmel zu schütteln. Erik mochte seine Oma, wirklich! Aber sich irgendwelche langweilige Gespräche über Arthritis und Reuma anhören? Nee, das hielt Erik bestimmt keine fünf Minuten aus!
„Also, das geht nicht! Weil … ich muss noch neue Wundschutzcreme aus der Apotheke holen! Genau!“, beendete Erik seinen Satz und hätte sich im selben Moment gerne eine gescheuert, da das bedeutete, dass er gleich mit dem Fahrrad in die Innenstadt fahren musste, was nicht wesentlich besser war als mit Mama zu Oma zu fahren.
„Na gut, sag einfach Bescheid, falls du es dir anders überlegst.“, lächelte Erika zurück, die genau wusste, dass sich ihr Sohn gerade selbst in die censored[2] geritten hatte.
Erik überlegte es sich nicht anders. Kurz bevor seine Mutter ih fragen wollte, ob er seine Meinung geändert habe, zog Erik seine Schuhe und flüchtete, seinen Rucksack schulternd, aus der Türe.
Erik hasste es mit dem Fahrrad durch die Innenstadt zu fahren, also nicht das Fahrradfahren, das mochte er, zumal er durch seine Polsterung nicht die Agonie spürte, die andere beschrieben, wenn sie auf dem schmalen Sattel saßen. Allerdings war es genau diese Polsterung, die ihm Probleme bereitete, denn durch das Sitzen wurde seine Windel immer verformt und nach hinten gedrückt, was dazu führte, dass sie, nachdem Erik wieder vom Rad abgestiegen war, dazu führte, dass seine Unterwäsche prominent heraus guckte. Zwar hatte sich Erik daran gewöhnt in der Schule als Windelträger bekannt zu sein, allerdings konnte er die mitleidigen Blicke und das schamhafte, blitzartige Wegschauen nicht leiden. Als Erik zwölf Jahre alt war gab es sogar einen dezent traumatischen Vorfall, als Erik sein Fahrrad an einer Kindertagesstätte vorbei geschoben hatte. Ein kleiner Junge, der an der Hand seiner Mama hing, hatte ihn kurz angestarrt und dann lauthals „Mama, der Junge da braucht auch noch Windeln!“ verkündet, was seine Mutter mit „Siehst du, auch große Kinder haben manchmal noch Schwierigkeiten mit dem Töpfchen.“, kommentiert hatte. Man war das peinlich. Erik fand es nicht sonderlich toll als Beispiel für Pipiprobleme genutzt zu werden, zumal er ja gar keine Schuld daran hatte, er konnte nicht verhindern, dass er in die Windel machte, der Knirps schon! Das war etwas völlig anderes!
Aber sei es drum, Erik stieg, den Vorfall aus seinem Gedächtnis verbannend, auf seinen Drahtesel und radelte los. Bis in die Innenstadt war es nicht weit, nur bis zur Hauptstraße, den Fuchsberg runter, an der Grundschule vorbei und dann dem Straßenverlauf folgen – vielleicht fünf Kilometer, wenn überhaupt.
Der Sechzehnjährige war ganz in seine Gedanken vertieft, als er durch ein gebrochenes „Hey!“, wieder zur Aufmerksamkeit gezwungen wurde, war vermutlich auch besser so. Vor ihm, auf dem Bürgersteig stand Tim, der sein Fahrrad neben sich her schiebend aus der Einfahrt des Hauses heraus lief.
„Hi Tim.“, erwiderte Erik den Gruß.
„Wo fährst du hin?, fragte sein Gegenüber nun.
„Äh, zur Apotheke.“
„Zur … dir is aber schon klar, dass heute Sonntag ist, oder?“, schmunzelte der Fünfzehnjährige verwirrt zurück.
Mist. Das hatte Erik natürlich vergessen, kein Wunder, dass seine Mutter seinen Bluff nicht geschluckt hatte!.
„…“
„…“
„Äh, ich wollte mir mal die Nachbarschaft anschauen, kannst gerne mitkommen.“, bot Tim Erik an. Es wäre sicherlich interessanter zu zweit durch die Nachbarschaft zu fahren, als allein, zumal Erik anscheinend sowieso nichts besseres zu tun hatte.
„Öh, ja, klar, gerne.“, akzeptierte Erik.
„Okay, ich richte mich einfach nach dir, du kennst dich hier ja sicherlich besser aus als ich.“, gab Tim nun die Führung an Erik ab.
Mist, jetzt auch noch Verantwortung[3]! So hatte Erik sich das nicht vorgestellt.
Dennoch tat Erik, was von ihm erwartet wurde und führte Tim über die Betonplatten des Nordwegs und der umgebenden Straße. Die Häuser waren noch nicht alt, fast alle wurden vor etwa zwanzig Jahren gebaut, als viele Westdeutsche die Kleinstadt als neues Imobilienprojekt betrachtet hatten. Viel Land, geringe Kosten und eine gute Nah- und Fernverkehrsanbindung zu moderaten Preisen, keine schlechte Investition. Und so sahen die Häuser auch aus, klassische Spitzdachhäuser, alle mit Garten, nur wenige ohne Garage und keines sah wirklich heruntergekommen aus, klar bei einigen begann so langsam die Farbe abzublättern und einige Leute hatten ihr Dach schon mehrfach erneuern müssen, aber alles in allem war es eine nette Nachbarschaft, fast schon idyllisch.
Die beiden Jungen hatten sich genau den richtigen Tag zum Fahrradfahren ausgesucht. Die Sonne schien heiß auf die Erde herab und röstete alles, was sich in der Sonne befand. Der Himmel war blau und nur wenige Wolken waren zu sehen, nicht eine grau. Die Vögel zwitscherten in den Bäumen und einige Kinder planschten fröhlich im aufblasbaren Pastikplanschbecken herum, oder rannten durch die Strahlen der Wassersprenger. Erik erinnerte sich daran, wie er vor gar nicht allzu langer Zeit noch das gleiche getan hätte und Tim war beinahe in Versuchung zu fragen, ob er mitspielen könne, lies es dann aber doch, bleiben.
„Du, sag mal Erik, wie ist es eigentlich so, immer äh, … na du weißt schon, ähm-“, startete Tim aus einer Laune heraus, schloss aber den unbeendeten Satz mit hochrotem Kopf nicht ab, denn bevor er das hätte tun können schaltete sich schon Erik ein.
„Windeln zu tragen?“, beendete er den Satz des beschämten Fünfzehnjährigen, der nur schüchtern nickte.
„Hmm, wie ist es denn immer Boxershorts zu tragen?“, fragte Erik zurück.
„Äh … normal halt, keine Ahnung, hab ich noch nie drüber nachgedacht.“, konstatierte Tim.
„Exakt! Genau so ist das auch für mich, ich kann dir nicht sagen wie es ist Windeln zu tragen, ich kenne es halt nicht anders.“, sagte Erik, der diese Unterhaltung schon so oft geführt hatte, dass er fast jede mögliche Variante kannte, in die diese Unterredung verlaufen könnte, er wusste nur noch nicht in welche – kommunikative Superposition[4]!
Da hätte Tim auch selbst drauf kommen können. Doofer Tim, stellst immer so doofe Fragen, du Doofmann[5], schollt Tim sich gedanklich selbst.
Viel Zeit sich zu ärgern hatte Tim allerdings, denn als sie an der Grundschule ankamen hielt Erik an.
„Hier bin ich früher zur Schule gegangen.“, meinte Erik.
„Siehst du den Baum dahinten, den hab ich damals gepflanzt!“, sagte Erik stolz, wobei er nur ein ganz kleines bisschen flunkerte. Erik hatte den Setzling in die Erde gesteckt, ja, aber das Ganze war ein Klassenprojekt, um die Aufmerksamkeit der Schüler und vor allem deren Eltern auf Umweltschutz zu lenken. Das dürre Spitzeichenbäumchen, das erst in Jahrzehnten selbst Eicheln tragen würde, war umgeben von einem kleinen Drahtzäunchen, das vermutlich nicht sonderlich effektiv als reale, aber zumindest als symbolische Barriere nützlich war.
Tim staunte nicht schlecht, an seiner alten Grundschule hatte es so etwas nicht gegeben, schade eigentlich, wäre sicher cool gewesen, aber die Vergangenheit lies sich eben nicht ändern.
Als nächstes fuhren die beiden Jugendlichen die asphaltierte Straße entlang, die zur Spitze des Wasserturmberges hinauf führte, den jeder Bayer vielleicht gerade so als Hügel bezeichnet hätte, auf dessen Kuppe ein kleiner Spielplatz und sogar ein, offenbar von Kindern, mit Stöcken und Steinen umrandetes Fußballfeld erbaut waren. Um diese herum standen einige Bänke, die, mehr schlecht als recht, im sandigen Boden verankert waren. Es waren nicht viele Kinder dort, vermutlich war es den Eltern auch einfach zu warm und die wenigen Kinder, die dort waren, bevorzugten das hölzerne Klettergerüst, das kleine Fußballfeld und den Sandkasten, der eigentlich völlig unnötig war, denn der ganze Boden war sandig, während sie sich von den metallenen Spielgeräten, die vermutlich fast schon glühten, fern hielten.
Oben angekommen ließen die beiden Radfahrer ihre Räder in den Sand fallen und setzten sich auf die kreisrunde Bank des Drehgerüsts[6], oder wie dieses Ding, das Kinder von außen immer so lange drehen, bis den Kindern, die drin sitzen übel wirde, auch immer nannte. Dort legten sie erst einmal eine Verschnaufpause ein, während sie sich die Wasserflasche, die Tim mitgenommen hatte, teilten. Dafür hatte Erik eine Packung M&Ms dabei, die kleinen Schockoperlen waren zwar schon halb zu einem braunen, etwas unappetitlich aussehenden Klumpen zusammen geschmolzen, schmeckten aber trotzdem.
Von diesem Sitzplatz aus konnte man fast die ganze Stadt überblicken, die Kirche, mit ihren beiden spitzen Türmen, den Lidl, der so gar nicht zur Altstadt passen wollte und das Rathaus, das den Blick auf den Marktplatz verdeckte. Eine stille Brise wehte und für einen kurzen Augenblick war alles einfach nur schön.
BONG! Mit einem Mal wurden die Jungen aus ihrer Trance gerissen, als der rote Gummiball von einer der Metallstangen abprallte.
„Sorry!“, rief der Schütze, der so um die zehn, elf Jahre alt gewesen sein musste, bevor der den Ball aufhob und wieder zu seinen Freunden zurück rannte.
„Wenn der den Ball den Berg runter schießt hat er aber zu laufen!“, feixte Tim, als er sich wieder von dem unerwarteten Beschuss erholt hatte.
„Oh ja, damit habe ich Erfahrung!“, erinnerte sich Erik, der noch vor einigen Jahren selbst mit einigen Nachbarkindern hier oben Fußball gespielt hatte. Er konnte sich noch gut an die Schere/Stein/Papier-Runden erinnern, die er viel zu oft verloren und ihn damit zum Ballholen verdammt hatten.
Irgendwann hatte Erik dann aufgehört zum Fußballspielen hier her zu kommen, wieso wusste er selbst nicht genau. Vielleicht hatte er sich zu alt gefühlt, oder fand dass das nicht mehr cool war aber vielleicht war er dazu einfach auch zu faul geworden – Faulheit scheint irgendwie ein roter Faden für Erik zu sein.
Plötzlich kam einer der Fußballspieler zu den Teenagern herüber, der Junge war selbst wahrscheinlich etwa dreizehn Jahre alt, wie der helle Flaum über seiner Oberlippe verriet.
„Äh, wir brauchen noch Mitspieler, wollt ihr mit spielen?“, fragte der Kleine, schon ziemlich aus der Puste.
Tim und Erik schauten sich an, schauten zu dem Kind zurück und Tim entschied einfach für beide, ja, sie wollten mitspielen!
Schnell packten sie ihre Snacks wieder zurück in ihre Rucksäcke, die sie anschließend in den Schatten eines Baumes legten, an dem schon mehrere Taschen lagen, die mittlerweile schon wieder halb in der Sonne schmorten.
Tim bewies sofort mit dem ersten Pass, dass er überhaupt kein sportliches Talent besaß, was so gar nicht zu seiner T-Shirtauswahl passte. Die Kinder rasten in einer Geschwindigkeit um ihn herum, die er gar nicht für möglich gehalten hatte. Erik hingegen, dribbelte die gegnerische Mannschaft ganz lässig aus und jonglierte den Ball sogar einige Male mit seinen Füßen in der Luft, was einige der Spieler dazu brachte ein erstauntes „Boah!“ oder ein anerkennendes „Wow!“ auszurufen um dann den Ball aus der Luft ins gegnerische Tor, das ein mit den Füßen in den Boden geritztes Viereck darstellte, was anschließend zu einer regen Diskussion darüber führte, ob der Ball wirklich im Tor gelandet , oder über die imaginäre Linie hinweg geflogen war. Am Ende einigte man sich darauf, dass der Ball dann zu hoch geschossen war, wenn der Torhüter ihn nicht mehr springend mit seinen Händen erreichen konnte, was alle für einigermaßen fair hielten.
Erik und Tim bemerkten gar nicht wie schnell die Zeit verstrich, während sie so ins Spiel vertieft den Ball umher kickten. Erst als die anderen Kinder sich so langsam eines nach den anderen verabschiedeten und nach Hause, zum Mittagessen, aufbrachen, schaute Erik auf sein Handy. Es war inzwischen 11:34 Uhr und erst jetzt bemerkten die Jugendlichen verschwitzt und völlig außer Atem, aber glücklich das weinerliche Grummeln ihrer Mägen, die nach Nahrung bettelten. Die andere Sache, die Erik erst jetzt auffiel war die Windel, die schwer zwischen seinen Beinen hing und nur noch gerade so an seiner Hüfte gehalten wurde. Tja, das ist das Problem mit dicken Windeln, sie sind eben nicht für viel Bewegung ausgelegt, aber diese komischen Flex-Hosen oder Sportwindeln waren nichts für Erik, die hielten einfach nichts aus.
„Ich muss mal eben wohin.“, rief Erik Tim zu, während er mit seinem Rucksack zur Wasserturmrückseite lief. Seinen Mitspielern war natürlich schon längst das Polster in seinem Schritt aufgefallen, aber bis auf Tim und ein oder zwei Erwachsenen, die aus gebührender Entfernung zugeschaut hatten, wusste niemand was das unter Eriks Hose war. Mist, dachte Erik, hätte ich einen Gürtel angehabt wäre das nicht passiert, doofe Baggyjeansshorts!.
Er mochte es eigentlich nicht sich in der Öffentlichkeit umzuziehen, logisch, mag wahrscheinlich keiner, aber hier gab es keine Toilette. Die anderen, Kinder wie Erwachsene gingen einfach ins Gebüsch, um sich zu erleichtern, das war für Erik allerdings keine Option, also zog er sich, mit einem mulmigen Gefühl im Bauch die Hose runter und lehnte sich gegen die graphittiierte Backsteinwand des Wasserturms. Mit einem schmatzenden „Flop!“ fiel die Windel zu Boden, wurde fachmännisch eingerollt und in einem Plastikbeutel verstaut, bevor Erik sich mit den Reisefeuchttüchern sauber machte, die er ebenfalls in den Plastikbeutel warf. Es dauerte nicht lange bis Erik frisch gewindelt und weniger watschelnd zurück kam und den Platikbeutel in einen der metallenen Müllkörbe beim Spielplatz entsorgte.
Tim hatte während der ganzen Aktion fasziniert zum Wasserturm geschaut, er hatte Erik natürlich nicht sehen können, wusste aber dennoch was er tat. Er fragte sich wie das wohl war sich so im stehen zu wickeln, hätte er gerne auch mal gemacht, so völlig ungeniert in der Öffentlichkeit. Er schüttelte den Kopf, in seiner Fantasie klang das viel magischer als es vermutlich in Wirklichkeit war.
„Komm, wir fahren zurück, ich hab Kohldampf!“, erklärte Erik lächelnd, nachdem er zurück zu Tim gegangen war, der ihn immer noch ein kleines bisschen anstarrte.
„Ja, warte kurz, ich geh kurz pullern!“, meinte Tim, bevor ins Gebüsch lief – hätte er ja wirklich auch mal früher machen können!
Aber es half nichts, Erik musste warten. Während Tim sich einen blickgeschützten Platz ohne Ameisenhügel suchte tippte Erik lustlos auf seinem Handy herum. Morgen Mathe bei Frau Saalfeld … man wird das lustig, stöhnte der Schüler, der zwar gut in Mathe war, aber seine Lehrerin einfach nicht leiden konnte, innerlich.
„Äh, du-u“, hörte er auf einmal eine Stimme, während etwas a seinem Hosenbein herum zupfte. Nein, keine groteske Fusion aus Tarantel und Papagei, sondern ein Mädchen, vielleicht 7 Jahre alt, wenn überhaupt, war der Grund für beides.
„Ja?“, antwortete Erik, zu dem Mädchen herunter schauend.
„Äh, has- mmm hast du, e-eine Pam- äh Pampi an?“, fragte das Kind verlegen, während es zu Boden schauend. Nun war es Erik, der errötete und sich verteidigend „Ich trage einen Inkontinenzslip.“,antwortete, ein Wort das das Mädchen offenbar noch nie gehört hatte, was es damit zum Ausdruck brachte Erik verwirrt anzustarren.
Der Jugendliche seufzte hörbar, bevor er schließlich mindestens genauso verlegen wie das Kind „Ja“ sagte.
In diesem Moment schaltete sich eine Frau etwas ende zwanzig ein, die offenbar die Mutter des Kindes war.
„Tut mir leid, meine kleine Sabine ist manchmal etwas forsch.“, entschuldigte sich die Mutter, was Erik ein wenig entspannen lies.
„Kein Problem“, antwortete er, gespielt cool.
Lächelnd setzte die Frau, die nun ihren Arm um ihrer Tochter Schulter gelegt hatte das Gespräch fort.
„Meine Kleine war vor zwei Wochen im Baggersee schwimmen und da hat sie sich eine ordentliche Blasenentzündung eingefangen, deswegen mussten wir sie zeitweise wieder in Windeln stecken. Ich hoffe es ist nicht allzu schlimm, dass sie dich so direkt angesprochen hat.“, erklärte sie, während das Mädchen immer roter wurde.
Diese Erklärung machte Sinn. Na ja, ein bisschen jedenfalls. Erik beugte sich zu dem Mädchen runter, während Tim zurück schlenderte und das Schauspiel beobachtete.
„Das wird schon wieder, und Windeln zu tragen ist echt kein Ding, du wirst schon sehen, so schlimm ist das gar nicht.“, sagte er sanft.
Das half offenbar, denn das Kind lächelte jetzt wieder leicht zu Erik hoch, während es sich mit dem Arm über die Augen wischte.
„Siehst du mein Schatz? Der große Junge sagt auch, dass das nicht so schlimm ist.“, bekräftigte Sabines Mama Eriks Zuspruch, was für Marie offenbar genug war. Sie umarmte Erik noch kurz, was für alle Beteiligten unerwartet kam und lief dann hüpfend, an der Hand ihrer Mutter zurück zum Klettergerüst.
Man war das unangenehm gewesen, dachte Erik. Er hätte allerdings nicht gedacht, dass seine Windel so offensichtlich gewesen war. Er brauchte dringend neue Hosen!
„Na, hast du eine neue Freundin?“, kicherte Tim, als er wieder bei Erik angekommen war.
„Pffft, pass auf was du sagst, sonst stecke ich DICH höchstpersönlich in eine Windel, dann kannst du mal sehen wie lustig das ist!“, drohte Erik spaßeshalber. Allerdings kam die Drohung bei Tim anders an, als bei anderen, weshalb dieser schlagartig verstummte und ebenso rot wurde, wie Erik gerade eben noch war. Gerne hätte er ja gesagt, aber Tim wusste dass das eine doofe Idee war.
Als die beiden Jugendlichen, die sich schon fast so verhielten als seine sie alte Freunde, obwohl sie sich doch eigentlich gerade erst richtig kennen gelernt hatten, den Berg herunter sausten war es Erik, der einen Entschluss faste. Er hatte noch nie einen Freund gehabt mit dem er so viel Spaß hatte, also tat er das, was er schon lange einmal tun wollte und als die beiden erschöpft vom Vormittag, aber zufrieden wieder bei Tim ankamen,
verabschiedete sich Erik von Tim, obwohl er eigentlich gerne noch etwas mit ihm unternommen hätte, aber er traute sich nicht ihn zu fragen, weil das irgendwie in seinem so kindergartenmäßig klang, als würde er ihn fragen, ob er mit ihm spielen wolle. Nein, Erik wollte cool wirken vor dem Jungen, von dem er schon jetzt als Freund dachte.
Auch Tim hätte gerne noch mit Erik gespielt, aber auch er wollte cool wirken – Jugendlich ey, so ambivalent.
In den nächsten Wochen trafen sich die Jungen regelmäßig nach der Schule und verbrachten auch ihre Pausen miteinander, Beobachter hätten geglaubt, dass sie schon ewig Freunde waren.
Es war ein Mittwoch, an dem Tim Erik fragte, ob er mit ihm ins Freibad gehen wolle. Er wollte schon lange, also seit er wusste, dass es in der Nachbarstadt ein Freibad gab, schwimmen gehen, in de Dorf, in dem er aufgewachsen war gab es so etwas nicht, nur einen kleinen See, der fast immer mit einer dicken Schicht Entengrütze bedeckt war.
Erik willigte nach einigen Überredungsversuchen ein. Er mochte das Freibad nicht, zumal er seine Windeln dort nicht wirklich verstecken konnte, klar er besaß eine Schwimmwindel, die einer normalen Badehose sehr ähnlich sah, war auch teuer genug gewesen, dass man das erwarten konnte, aber der dicke Po fiel natürlich trotzdem auf. Ja, Erik wusste, dass die Dinger eigentlich für Stuhlinkontinenz waren, also er nicht die eigentliche Zielgruppe war, dennoch, er konnte ja nicht einfach mit seinen normalen Windeln ins Wasser gehen, die würden sich in Sekunden voll saugen und einfach ins Wasser pieseln wollte er auch nicht, zumal es auch auffallen würde, wenn ihm auf der Rutschentreppe Urin aus der Hose tropfen würde.
Als sich die beiden an der Bushaltestelle trafen, bepackt mit Rucksack und Badehandtuch, freuten sie sich riesig auf die Abkühlung. Es war zwar schon Mitte September, aber die Sonne brannte immer noch so heiß, dass niemand geglaubt hätte, dass sich der Herbst doch so langsam näherte. Nur die Kastanien, an denen schon dicke Stachelbälle hingen, die Kinder gerne benutzten, um sich gegenseitig zu pieksen, verrieten, dass der Sommer nicht mehr lange dauern würde – ein Grund mehr ihn auszukosten.
Das Freibad war an diesem Nachmittag gut besucht, nicht nur Jugendliche bevölkerten den Rasen, der die Pools umrahmte, sondern auch einige Familien und diverse Rentner hatten sich überlegt sich im kühlen Nass abzukühlen.
Tim suchte gar nicht erst eine Umkleidekabine, er zog, nachdem er sein Handtuch auf dem Gras ausgebreitet hatte, einfach seine, sehr erwachsenen Klettsandalen aus und ließ seine Hose Boden fallen, unter der sich eine nur etwas kürzere Bermudahose verborgen hatte.
Erik hatte es da schwerer, in einer der orangenen Stehkabinen, die über die Grasfläche verteilt waren, und die man nicht mal abschließen konnte, wollte er sich eher nicht umziehen, also ging er zu den Toiletten, die er am Eingang des Freibads gesehen hatte, während Tim ungeduldig auf ihn wartete. Erik ging allerdings nicht in die Herrentoilette, sondern steuerte schnurstracks den ausgezeichneten Wickelraum an. Er hatte Erfahrung und wusste, wie dreckig die Toilettenkabinen sein konnten, da war ihm der Wickelraum wesentlich lieber. Zu seinem Glück war auch niemand dort, um ihn zu stören, als machte er sich ans Werk. Nachdem er seine Windel, die tatsächlich auch schon wieder wechselbedürftig gewesen war, entsorgt hatte, zog er die dunkel blaue Schwimmwindel an, die so sehr versuchte erwachsen und nicht windelig zu wirken. Die kleinen Bündchen, die in Eriks Beine kniffen, wurden verdeckt von kurzen Hosenbeinen, die unbedingt so aussehen, als wären sie ganz gewöhnlich. Der Hosenbund dichtete Die Hose knapp unter seinem Bauchnabel ab. Fertig umgezogen lief Erik zurück zu Tim, um möglichst schnell ins kühle Nass einzutauchen.
Die Jungen duschten sich nicht ab, Tim sprang einfach vom Beckenrand ins Wasser, um sich anschließend zitternd zu beschweren, wie kalt das Wasser war. Erik wählte die Rentnervariante und ging ganz langsam, Schritt für Schritt ins Wasser, um sich zu akklimatisieren. Tim ließ sich das aber nicht gefallen, er zog es vor seinen Freund mit Wasser zu bespritzen, bis dieser anfing ihn durchs Wasser zu jagen, das den Kindern nur bis zur Hüfte reichte. Klar, sie hätten auch Bahnen schwimmen können, aber dazu hatte keiner von beiden wirklich Lust, zumal dieser Bereich fast ausschließlich von lebenden Toten bevölkert wurde, zu denen sich die beiden definitiv nicht zählten.
Nachdem Erik Tim gefangen und sich mit einem ordentlichen Spritzer in Tims Gesicht gerächt hatte, beschlossen die beiden die Rutschen auszuprobieren. Es gab genau zwei Rutschen, eine kleine, gelbe, offene Rutsche, die breit genug war, dass man bequem zu zweit herunter rutschen konnte und eine rote Rutsche, die schneckenförmig nach unten kreiselte, beide zogen eine kleine Menschenschlange hinter sich her.
Schließlich beschlossen sie zuerst die gelbe Rutsche auszuprobieren. Zwar waren sie mit die größten Rutscher, aber das hieß nicht, dass das Ganze weniger Spaß machte Natürlich rutschten sie nicht einfach so herunter, statt dessen versuchten sie sich beim Rutschen in möglichst merkwürdige Positionen zu begeben. Die rote Rutsche war wesentlich schneller, besonders wenn man das Wasser vorher staute, um dann mit Affenzahn nach unten zu gelangen.
Nach etwa einer Stunde hatten die beiden dann erst einmal genug und ließen sich ausgepowert auf ihre Handtücher fallen. Die warme Sonne tat gut auf der Haut und Tim war schon bald eingenickt.
Erik hingegen konnte nicht schlafen, nicht nur weil er nicht müde war, sondern weil er sich wieder ordentlich windeln musste – man war das nervig. Das Schwimmbad war einer dieser Orte, an denen es besonders nervig war Windeln zu brauchen. Anderen Leuten war das gar nicht bewusst, viele Jugendliche trugen den ganzen Tag über ihre Bermudas und sprangen dann einfach so ins Wasser, ein Luxus, den sich Erik für kein Geld der Welt hätte kaufen können.
Er lies Tim noch eine Weile dösen, nachdem er sich wieder frisch gemacht hatte und beschloss, sich am Kiosk ein Eis zu kaufen. Erst als er wieder zurück kam bemerkte er, dass Tims Daumen seine Lippe berührte, als hätte er ihn gerne in den Mund gesteckt. Das sah irgendwie echt niedlich aus, fand Erik, dem schon länger aufgefallen war, dass sein Freund wesentlich verspielter war als er selbst, aber er war ja auch jünger, okay nur ein Jahr, aber trotzdem!
Tim wurde erst wieder wach, nachdem ein fremdes Kind, das nicht älter als acht Jahre sein konnte ihm mit einer Wasserpistole ins Gesicht gespritzt hatte.
Das fand Tim zwar doof, aber der Schütze dafür sehr lustig. Tim blieb nichts anderes übrig, als mit hoch erhobenen Händen und knurrenden Dinogeräuschen den Jungen zu verfolgen, bis dieser sich zu seinen Eltern verkroch – Feigling!
„Hast du Lust auf Volleyball?“, fragte Tim Erik, als er wieder zurück war.
„Öhm, klar, hast du denn einen Ball?“, musterte Erik daraufhin seinen Freund, bisher hatte er noch nicht gesehen, dass Tim einen Ball gehabt hätte.
„Aufpusten!“, befahl Tim grinsend, während er Erik den orangenen Gummiklumpen vor die Nase hielt.
„Hä? Warum ich?“, beschwerte sich der Angesprochene.
„Na, weil du gerade die ganze Zeit faul hier herum gesessen hast!“, erklärte Tim theatralisch.
„Aber du hast doch auch bis eben noch gepennt!“
„Ja, aber meine Windel schaut nicht aus meiner Hose raus.“, lächelte Tim, während er nach unten in Eriks Schritt schaute, was den dazu veranlasste das selbe zu tun. Nichts zu sehen.
„Hey, das sti-“, wollte Erik gerade noch sagen, aber Tim war schon davon gelaufen und wartete nun bei dem kleinen Sandfeld, dessen zwei Pfosten netzlos waren breit grinsend auf seinen Freund.
Nachdem der Gummiball aufgeblasen war fingen sie tatsächlich an Volleyball zu spielen, das Spiel entwickelte sich allerdings schnell in ein ganz anderes, irgendeine Kombination aus Fußball, Volleyball und Rugby. Die Jugendlichen rannten durch den Sand und dem Ball hinterher und waren schon bald ganz und gar mit Sand bedeckt.
Kinder[7] …
Erst als die Ansage kam, dass „alle Kinder unter achtzehn Jahren das Bad nun verlassen“ sollten machten sich die Jungen auf zu gehen und mit dem Bus zurück nach Hause zu fahren. Sie waren ganz schön erledigt, aber glücklich. Ein leichter Sonnenbrand zeichnete sich auf den Gesichtern der beiden ab und ihre Haut roch noch immer nach Chlor und Schweiß.
Als die beiden wieder in ihrer Stadt waren und vor Tims Haus standen, fragte Erik, aus einer Laune heraus, Tim, ob er nächsten Freitag mal einen Abend zu ihm nach Hause zum Zocken kommen wollte.
Die Worte „übernachten“ oder „Übernachtungsparty“ nahm er nicht in den Mund – das klang so grundschulmäßig, und „Pyjamaparty“ schon gar nicht, das klang so als wäre er ein dreizehnjähriges Mädchen, das eine Kissenschlacht anfangen und Nagellack austauschen wollte und was Mädchen halt sonst so taten, Periodenverg[8]– NEIN! AUS! Böser Erik, denk gar nicht erst daran!
Tim war zwar etwas überrumpelt von der plötzliche Einladung, aber er nahm sie gerne an. Er hatte schon öfters bei anderen Kindern übernachtet, das waren mit seine schönsten Erinnerungen, na ja außer das eine Mal, als Max bei ihm den „Hand ins Wasser halten“-Trick versucht hatte. Das hatte zwar nicht funktioniert, aber warmes Wasser über den Kopf geschüttet zu bekommen war auch nicht gerade toll.
„Klar, wann soll ich da sein?“, fragte Tim nach dem konkreten Zeitplan.
„Äh, vielleicht so um sieben?“, antwortete Erik, der sich über die Details noch gar keine Gedanken gemacht hatte.
„Okay, ich frag meine Eltern nachher ob das klar geht.“, sagte Tim noch, bevor er sich von Erik verabschiedete und in dem gelben Haus verschwand.
Autor: AllesIsi (eingesandt via E-Mail)
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Es ist mir eine Freude und echte Ehre, der erste zu sein, der Deinen neuen Teil kommentiert. Deine Geschichte zu lesen ist eine angenehme Abwechslung zu dem, was sonst meistens hier landet. Zudem ist es diesmal auch ein längerer Teil, was mich besonders freut. Denn achtzehn kurze Teile lesen zu müssen, ist lustloser und anstrengender als vier oder fünf längere.
Danke für Deine Mühe und Zeit! 🙂 🙂