Jona (9)
Windelgeschichten.org präsentiert: Jona (9) – Teil 8
Kapitel 9: Heilende Taten
Es war gefühlt nochmal eine Ewigkeit später als Sarah dann die Türe zu meinem Zimmer öffnete. Irgendwie hing ich vermutlich noch halb in dem Gespräch mit Dr. Berger und bemerkte sie erst nicht. Sie setzte sich auf den Stuhl auf dem vorhin noch Dr. Berger gesessen hatte und schaute mich zunächst einfach nur an. Sie sagte nichts und ich in mit meinem gedankenverlorenen Blick bemerkte sie auch nicht. Erst als ich meinen Kopf zur Türe drehte, weil ich jederzeit mit ihrer Ankunft rechnete, geriet ihr Gesicht in mein Blickfeld und ich erschrak fürchterlich. Ich wusste nicht so recht wie ich das Gespräch beginnen sollte. Vor mir saß das Mädchen, das mich vermutlich mehr als einmal gerettet hat, also einmal im realen Leben und einmal in meiner Nahtodwelt oder wie auch immer man diesen Ort nennen sollte. Ich war mir wirklich unsicher und schaute sie einfach nur an. Meine linke Hand fischte unterbewusst nach meinem Bären und fand ihn. Ich drückte ihn fest an mich und schaute sie weiter an ohne etwas zu sagen.
Es dauerte einen Moment und Sarah brach das Schweigen.
„Ich hoffe ich habe dich mit dem Bären nicht erschreckt?“ fragte sie. War das wirklich das erste, dass ihr in den Sinn kam? Mich nach dem Bären zu fragen.
„Ähm…ganz ehrlich. Ich dachte ich würde abgestochen oder sowas.“ nuschelte ich halb in den Bären in den ich meinen Unterkiefer vergrub.
„Gibst du ihn mir mal?“ fragte Sarah. Ich war mir unsicher ob ich ihn jetzt aus der Hand geben wollte. Trotzdem bewegte ich meine zitternden Hände langsam auf Sarah zu und reichte ihr den Bären. Sie nahm ihn vorsichtig an und setzte ihn auf ihren Schoß, mit dem Gesicht zu mir gedreht.
„Ähm…hast du ihn geflickt?“ fragte ich unsicher. Sarah nickte.
„Warum? Wann? Wie? Wie bist du an ihn dran gekommen?“ fragte ich. Meine Gedanken überschlugen sich förmlich.
„Fangen wir mit dem leichten an. Ich war mit Dr. Berger nochmal bei dir zu Hause nachdem du naja du weißt schon. Ich habe mir alles angesehen und habe den Bären in deinem Zimmer auf dem Bett gesehen. Wenn du einen solchen Bären immer noch bei dir im Bett hast, dann muss er dir sehr am Herzen liegen. Ich habe natürlich auch gesehen, dass er Brandspuren hat und definitiv bessere Tage gesehen hat. Ich habe lange mit Dr. Berger darüber diskutiert ob es richtig wäre, dir den Bären zu bringen und ob es in Ordnung wäre, wenn ich ihn versuche zu flicken. Von letzterem war er nicht begeistert, aber ich habe es trotzdem gemacht. Ich habe mich sofort nachdem ich aus der Wohnung kam daran gesetzt und versucht alles möglichst schön wieder herzurichten. Ich hoffe du bist mir nicht böse oder so?“ erklärte sie mir.
„Nein gar nicht.“ war alles was ich herauskriegte, dann begann ich zu weinen, ich weiß nicht ob aus Freude über das was Sarah getan hatte oder wegen der Erinnerungen die hochkamen. Ich sah, dass Sarah aufstand und mir den Bären wieder auf den Schoß setzte und sich wieder hinsetzte. Ich drückte ihn wieder an mich.
Es dauerte einen Moment bis ich mich wieder gefangen hatte.
„Danke.“ sagte ich leise in Sarahs Richtung.
„Für was möchtest du mir danken?“ fragte sie mir.
„Gerade irgendwie für alles. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll und wo ich aufhören soll.“ sagte ich traurig.
„Ist nicht so wichtig. Ich glaube ich sollte jetzt gehen.“ sagte sie.
„Warum? Hab ich was falsches gesagt?“ fragte ich verwundert über ihren plötzlichen Abschied.
„Nein gar nicht. Ich komme morgen wieder, dann können wir nochmal in Ruhe reden.“ erklärte sie mir und ging zur Türe. Sie drehte sich noch einmal zu mir um und sagte: „Gute Nacht Jona. Bis morgen.“. Dann verließ auch sie mein Zimmer. Ich wusste nicht wie spät es war, aber das lange Gespräch mit Dr. Berger zollte langsam seinen Tribut. Ich war müde. Immerhin waren meine Hände jetzt frei, so konnte ich mir wenigstens eine halbwegs angenehme Schlafposition in meinem Bett aussuchen. Das Kopfteil stellte ich mit der dazugehörigen Fernbedienung ein weniger tiefer und legte mich auf die Seite, den Bären fest im Arm.
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Ich weiß nicht wann ich eingeschlafen war und wie lange ich geschlafen hatte, aber als ich aufwachte saß Sarah wieder neben meinem Bett. Ich schloss daher, dass es bereits Nachmittag sein musste, aber wirklich sicher war ich mir nicht. Anscheinend war Sarahs Gips auch Geschichte, denn dieser war von ihrem Arm verschwunden. Ihr linke Arm wirkte ein wenig wie der einer Leiche, ziemlich weiß, aber was konnte man schon erwarten, wenn der Arm mehrere Wochen in Gips gehüllt war.
„Ah du bist wach.“ begrüßte mich Sarah mit einem Lächeln.
„Ähm ja klar. Wie spät ist es denn?“ fragte ich verschlafen.
„Erst zehn, also noch ziemlich früh.“ antwortete Sarah.
„Ok. Aber was machst du so früh hier?“ fragte ich verwundert. Eigentlich müsste sie doch jetzt in der Schule sein.
„Ich hab heute morgen den Gips abgenommen bekommen. Meine Mutter war so nett mich für heute vom Unterricht zu befreien.“ erklärte sie mir und schaute kreuz und quer durch das Zimmer als ob sie etwas suchte.
„Ist irgendwas?“ fragte ich sie.
„Böse Erinnerungen, mehr nicht.“ antwortete sie kurz. Das klang alles andere als gut. Sollte ich nachfragen oder lieber nicht? Dr. Berger hatte mir gesagt sie würde mir alles zu gegebener Zeit erklären, aber wollte ich so lange warten?
„Was für Erinnerungen?“ fragte ich sie schließlich und dachte mir gleichzeitig, hätte ich Trottel doch nicht gefragt.
„An dieses Zimmer. Das war das Zimmer in dem ich drei Wochen lang gelegen habe als ich im Koma lag.“ antwortete sie mir.
„Oh das wusste ich nicht.“ entschuldigte ich mich für die Frage.
„Woher sollst du das auch wissen. Ich hätte nur nicht gedacht, dass ich das Zimmer so schnell wieder sehe weißt du.“ entgegnete sie mir auf meine Entschuldigung.
„Da bin ich wohl irgendwie nicht ganz unschuldig dran. Bitte entschuldige, dass du das alles mitbekommen hast.“ murmelte ich vor mich hin und hoffte, dass sie verstand was ich meinte.
„Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Ich dachte wirklich es wäre vorbei als ich dich gefunden habe. Ich bin froh, dass du wieder wach bist.“ gestand sie mir. Warum war ihr das überhaupt wichtig? Wir kannten uns noch nicht lange, eigentlich könnte ihr doch egal sein was mit mir passierte, war es aber anscheinend nicht. Warum hatte sie mich nicht einfach liegen lassen und es zu Ende gehen lassen. Dann wäre doch alles gut oder etwa nicht? Ich wäre bei Natalie, bei Chris und meinen Eltern. Warum war ich ihnen nicht hinterher gegangen. Was hielt mich hier? War sie es? Nein das konnte doch nicht sein oder etwa doch?
„Das war nicht meine Absicht, wirklich nicht. Du hättest das nicht sehen sollen, keiner hätte das sehen sollen. Ich wusste in diesem Moment einfach nicht wie es weitergehen soll und habe einfach nur rot gesehen. Ich habe einfach nicht darüber nachgedacht, dass wir verabredet waren. Der Knall, ich habe die Wohnungstüre nicht verschlossen. Deshalb bist du überhaupt reingekommen.“ erinnerte ich mich an die Ereignisse vor ein paar Tagen.
„Ich verstehe gut wie du dich gefühlt haben musst. Verzweiflung und Schmerz, schiere Aussichtslosigkeit. Es ist schon ein wenig her aber auch ich habe das schon hinter mir.“ erklärte sie mir.
„Irgendwie glaube ich dir das nicht so ganz. Du wirkst dafür zu optimistisch.“ versuchte ich sie aus der Reserve zu locken. Irgendwann musste sie ja auch mal ein wenig von sich preisgeben. Dr. Berger hatte nur gesagt ich sollte sie nicht unter Druck setzen, aber das war ja nur ein Nachfragen und kein Druck machen.
„Möglich. Du kriegst die Antworten früh genug, versprochen. Ich sage für den Moment so viel, dass diese Sache mit dem Bus und dem Koma ihre Folgen hinterlassen haben, positive wie negative Folgen. Ich weiß noch nicht welche überwiegen, das wird sich zeigen. Ich bin nicht ohne Grund bei Dr. Berger in Behandlung, auch wenn ich nicht so weit gehen würde wie du es versucht hast, brauchst in Zukunft nicht leichtsinnig behaupten ich wäre zu optimistisch und würde Taten wie deine nicht verstehen.“ entgegnete sie mir ein wenig gereizt. Ich hatte wohl einen wunden Punkt getroffen. Das war anscheinend das vor dem mich Dr. Berger gewarnt hatte. Ich musste mich in Zukunft echt zusammenreißen, wenn ich mehr von ihr erfahren wollte. Moment mal in Zukunft? Wann hatte ich das letzte Mal an die Zukunft gedacht. Das muss gefühlt Ewigkeiten her gewesen sein, aber jetzt tat ich es, nur wegen ihr oder wie? Was machte dieses Mädchen mit anscheinend genug eigenen Problemen mit mir? Wo sollte das bloß hinführen?
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Sarah hatte sich danach recht schnell verabschiedet. Ich wusste nicht ob es daran lag, dass ich diesen unschönen Punkt angesprochen hatte, aber ich glaubte eher weniger, dass es daran lag, denn sie verabschiedete sich herzlich wie auch die letzten Tage. Inzwischen war es früher Abend, zumindest schätzte ich das. So langsam verlor ich jegliches Zeitgefühl. Immerhin wusste ich, dass Donnerstag war, wenigstens den Tag konnte ich zu ordnen. Meine voraussichtlich letzte Nacht im Krankenhaus wie ich erleichtert feststellen musste. Der Nachmittag war tatsächlich nochmals recht aufwühlend gewesen. Sarahs Mutter und Dr. Berger hatten mir nochmals einen Besuch abgestattet und alle Formalitäten mit mir geregelt. Ein ziemlich dicker Papierstapel, den ich durcharbeiten durfte. Nur die Hälfte verstand ich wirklich und da ich vermutlich immer noch gut mit Schmerzmitteln versorgt wurde, war es schwierig gewesen sich dauerhaft auf die Dokumente zu konzentrieren. Ich musste oft nachfragen was das alles zu bedeuten hatte, erhielt aber meiner Meinung nach ziemlich gute Erklärungen. Vor allem Helen, ja wir hatten uns in dem Gespräch dann auf ein du zwischen uns geeinigt, schien ziemlich in ihrem Element zu sein was das rechtliche Geschriebsel anging. Ergab auch Sinn, denn wie ich in dem Gespräch erfahren habe, war sie tatsächlich Anwältin. Ob sie einen gewissen Fachbereich hatte, hatte sie mir nicht verraten, aber das war auch nicht so wichtig. Die Unterlagen kosteten mich mehrere Stunden Arbeit. Ziemlich anstrengend. Die beiden hatten mit mir auch abgesprochen, dass sie sich darum kümmern würden Chris Wohnung aufzulösen und meine Sachen dort rauszuholen. Ein ziemlich unschönes Thema, das mich auch einen längeren Moment mit Tränen in den Augen außer Gefecht setzte. Da gewannen die beiden tatsächlich wieder einen Pluspunkt bei mir. Sie setzten mich nicht unter Druck wegen der Unterlagen oder den Klärungen, sondern ließen mir die Zeit die ich brauchte um wieder zur Ruhe zu kommen. Am liebsten hätte ich mir meinen Bären genommen und hätte ihn fest an mich gedrückt, aber vor den beiden war es mir dann doch zu peinlich, auch wenn es sie bestimmt nicht gestört hätte. Irgendwie auch ein Pluspunkt für die beiden, aber den zählte ich jetzt einfach mal nicht wirklich mit, weil ich mir den Bären nicht genommen hatte und die Reaktion nicht bestätigt wusste. Während wir die restlichen Unterlagen durchgingen, kam auch noch der behandelnde Arzt und wollte Dr. Berger und Helen schon aus dem Zimmer werfen um mit mir alleine zu sprechen. Dr. Berger hatte die Situation erklärt und wie weiter mit mir verfahren wird und die beiden konnten bleiben, war mir in dem Moment auch irgendwie recht, damit musste ich nur das wichtigste behalten. Sollten die anderen sich den Rest merken.
Morgen wäre der voraussichtliche Entlassungstag. Man würde nach dem Frühstück nochmals meine Verbände wechseln und wenn die Heilung gut vorangeschritten wäre, dann könnte ich gehen. Zudem wäre das Frühstück dann die erste Mahlzeit seit langem, die ich zu mir nehmen würde. Bislang hatte man mich anscheinend über den Tropf versorgt. Wohl wegen der recht hohen Dosierung der Schmerzmittel und wegen des enormen Blutverlusts. Ich wäre ja gerne ein wenig umhergewandert und hätte mal etwas anderes gesehen als dieses Zimmer, aber das blieb mir verwehrt. Aufstehen war frühstens morgen eine Option. Einfach zur Sicherheit. Als ob ich abhauen würde oder sowas. Die Gelegenheit hätte ich ja bereits gehabt. Meine Fixierung war gelöst, also hielt mich eigentlich nichts mehr an mein Bett gefesselt, dachte ich zumindest. Ich wurde eines besseren belehrt, denn eine Sache hatte ich in dem ganzen Delirium oder Halbdelirium noch gar nicht realisiert. Ich war noch nicht einmal aufgestanden um zur Toilette zu gehen. Das Krankenhaus hätte entsprechende Vorkehrungen getroffen. Ich wollte ganz ehrlich gesagt nicht wissen was das heißen sollte. Morgen würde alles entfernt und ich sollte vielleicht noch ein paar Tage ein fieses Zwicken oder so verspüren, aber könnte auch durch die Schmerzmittel, die ich noch eine Woche kriegen sollte einfach abgemildert. Die Verbände sollten Anfang der Woche nochmals gewechselt werden, das würde dann der Hausarzt erledigen. Alles andere ignorierte ich mehr oder weniger, denn das war für mich eher weniger von Relevanz. Der behandelnde Arzt blieb noch ein paar Minuten oder vielleicht auch länger, wie gesagt mein Zeitgefühl war bis auf den Wochentag kaum noch zu gebrauchen, aber das würde sich bestimmt noch ändern. Spätestens wenn ich wieder mein Handy hätte. Danach hatte ich ganz vergessen zu fragen. Wäre schon super, wenn ich das wieder hätte, aber das lag außerhalb meiner Entscheidungsgewalt. Das dürfte nun Helen entscheiden. Mit der letzten Unterschrift, die ich gesetzt hatte, hatte ich mich entmündigt und stand nun unter ihrer Aufsicht. Ich hoffte die Entscheidung nicht zu bereuen und irgendwie hoffte ich auch darauf mein Handy zurückzubekommen. Eigentlich brauchte ich es nur als Uhr, denn wichtige Nummern waren nur zwei Stück drin. Eine würde mir keine Antwort liefern, nämlich die von Chris. Tote gehen selten ans Telefon. Das wusste ich zur Genüge. Bevor ich bei Chris eingezogen war, habe ich mehr als einmal Natalies Nummer angerufen, nur um ihre Stimme auf der Mailbox zu hören. Irgendwann hatten ihre Eltern die Nummer dann gekündigt und diese Möglichkeit war mir ab diesem Zeitpunkt verwehrt. Im Nachhinein vielleicht sogar besser so, genauso wie die Entscheidung meine alte Nummer gegen eine neue zu tauschen. Die zweite Nummer die mir wichtig war, war natürlich Sarahs Nummer. Gut sie würde ich in Zukunft vermutlich seltener anrufen müssen. Ich würde sie jeden Tag sehen, da brauchte ich sie eher weniger anrufen.
Autor: Timo (eingesandt via E-Mail)
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Ich bin gerade erst auf diese Geschichte gestoßen, und habe alle Teile am Stück durch gelesen, doch nun würde ich sooo gerne wissen, wie es weiter geht.