Jona (38)
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Kapitel 38: Schöne kleine Welt
Ich war wieder wach. Zumindest glaubte ich das. Ich fühlte mich so als ob ich jahrelang in einem dunklen Loch gefangen gewesen war. Ich schaute auf mein Handy. Es war inzwischen fast zwei Uhr am Morgen. Ich fasste mir ins Gesicht. Es war nass. Hatte ich geweint? Chris und Natalie, dieser total verrückte Traum. Ich erinnerte mich an jedes Detail, vermutlich wollte ich das so. Ich wusste nicht mehr was ich noch glauben sollte und was nicht. Mir war nicht klar, was der nächste logische Schritt sein sollte. Ich konnte ja nach meinen berserkerähnlichen Sprüchen kaum zu Sarah und Helen gehen und sagen „Hey tut mir leid, ich war ein Idiot.“. So einfach konnte es nicht sein. Ich war immer noch der Überzeugung meine Reise war vorbei, aber nicht weil ich sie nicht fortsetzen wollte, nein ich war mir sicher, dass ich meine Chance verspielt hatte. Ich hatte meine Ersatzfamilie, mein Ersatzzuhause und wahrscheinlich auch die zweite Liebe meines Lebens verspielt, nachdem ich die erste bereits verloren hatte. Wie sollte ich das jemals wieder gerade biegen?
Ich glaubte ein Klopfen zu hören. Bildete ich mir das nur ein? Nein, da war tatsächlich ein Klopfen an meiner Türe. Es klopfte ein drittes Mal. Ich wusste nicht wer um zwei Uhr morgens etwas von mir wollte. Ich ging davon aus, dass es Sarah sein musste, aber nach meinem Auftritt ihr gegenüber, glaubte ich kaum, dass sie Lust hätte mich zu besuchen, außer um mir einen wie ich inzwischen feststellen musste gehörigen Arschtritt zu verpassen. Ich entschied mich trotzdem aufzustehen und ging zur Türe und öffnete sie langsam.
Ich hatte gar nicht die Gelegenheit zu schauen wer da war, denn als ich meinen Kopf nach draußen stecken wollte, legte sich schon eine Hand auf meine Augen. Ich wollte mich befreien und setzte zu einem Schrei an, doch ein Finger legte sich kurz bevor ich schreien wollte auf meinen Mund und wollte mir so mitteilen, dass ich nicht schreien sollte.
„Augen zumachen.“ sagte Sarah leise und sehr schlecht verständlich, so als ob sie etwas im Mund hatte, das sie am sprechen hinderte. Es war tatsächlich sie. War das meine Chance alles irgendwie gerade zu biegen oder würde jetzt die Endabrechnung folgen.
„Sarah…ich…war ein Idiot“ entgegnete ich leise immer noch mit ihrer Hand vor den Augen und hoffte, dass das ihre Stimmung aufbessern würde.
„Warst du, aber mach jetzt die Augen zu und lass mich rein.“ sagte sie immer noch unverständlich, dieses Mal aber bestimmter. Ich schloss meine Augen und ging einen Schritt zurück, sodass sie eintreten konnte. Einen Moment später hörte ich schon wie sie die Türe schloss und um mich herum ging. Ich spürte ein Stück Stoff auf meinem Gesicht und wollte mich schon wehren, aber Sarah sagte mir: „Damit du nicht schummelst. Eine Augenbinde.“ und zog die Augenbinde an meinem Hinterkopf mit einem Knoten zusammen.
„Sarah das ist nicht der richtige Zeitpunkt für irgendwelche Spiele. Ich muss dir etwas wichtiges sagen.“ sagte ich gereizt.
„Falls du dich entschuldigen möchtest, darfst du das gerne tun, deinen Mund habe ich dir doch nicht verbunden oder?“ sagte sie mit gedämpfter Stimme. War es mit einer einfachen Entschuldigung wirklich erledigt? Das konnte ich mir nicht vorstellen.
„Sarah, ich habe dich verletzt körperlich, wie seelisch, das war alles andere als in Ordnung. Ich war nicht bei mir, ich war einfach, ich weiß nicht, von falscher blinder Wut geleitet, gegen dich, deine Mutter, Sandra, gegen alles und jeden. Ich fühle mich verdammt mies deswegen und habe gerade Angst, dass ich das nicht mehr gerade gebogen bekomme. Ich glaube eine einfache Entschuldigung reicht da nicht, bei keinem von euch.“ erklärte ich ihr meine Bedenken.
„Versuchs doch erst mal, dann können wir weiter sehen.“ forderte mich Sarah mit inzwischen besser verständlicher Stimme auf. War es wirklich so einfach? Einfach eine ernstgemeinte Entschuldigung und fertig? Bestimmt nicht oder? Da war doch irgendwo ein Haken?
„Sarah. Es tut mir leid, dass ich dich für Dinge bestrafen wollte, die du nicht verbrochen hast. Es war einfach ein Schock für mich, dass dein Vater und Natalies Stiefvater die gleiche Person sind. Ich habe mich in etwas hinein gesteigert. Wenn ich du wäre, dann würde ich mir wohl eher nicht verzeihen, aber vielleicht gibst du mir noch mal eine Chance.“ formulierte ich meine bestmögliche Entschuldigung und wartete auf eine Antwort. Die Tatsache, dass ich Sarahs Reaktion nicht sehen konnte, machte es für mich nicht besser. Ich merkte aber, dass sie sich bewegte und jetzt ziemlich nah bei mir sein musste. Sie wollte doch nicht etwa? Doch sie wollte. Ich spürte ihre Lippen auf meinen. Dieses Mal stieß ich sie nicht weg. Ich ließ es geschehen, nein nicht nur geschehen, sondern ich genoss es. Einen Moment später war es auch schon vorbei.
„War das jetzt eine Art von ja?“ fragte ich verwundert und hoffte nicht falsch zu liegen.
„Du kriegst deine zweite Chance Jona, verspiele sie nicht so leichtfertig wie die erste, denn noch eine bekommst du von mir nicht. Ich liebe dich, aber ich bin nicht blind vor Liebe. Diese Sache mit Sandra. Ist da irgendetwas Wahres dran oder wolltest du ihr nur einen wegen der Backpfeife auswischen?“ entgegnete mir Sarah auf meine Frage.
„Also sie hat sich in dich verliebt, definitiv, der Rest war an den Haaren herbeigezogen.“ antwortete ich verlegen.
„Scheiße.“ kommentierte Sarah meine Antwort.
„Warum?“ fragte ich verwundert.
„Ich hab sie vorhin vor die Türe gesetzt und alle Messanger und ihre Telefonnummer blockiert. Ich wollte nichts von ihr wissen. Ich war echt geschockt als ich das gehört habe. Selbst die Tatsache, dass sie sich in mich verliebt hat, schockiert mich ein bisschen.“ erklärte mir Sarah.
„Ihr beiden seid seit Jahren befreundet, das kriegt ihr auch irgendwie hin.“ merkte ich an.
„Ich weiß aber nicht ob ich das überhaupt will.“ sagte Sarah.
„Ähm ich lenke ungerne vom Thema ab, aber warum trage ich eigentlich die Augenbinde?“ fragte ich sie um wieder zu ihrem Überfall zurückzukommen.
„Erfährst du noch.“ erklärte Sarah.
„Ok aber dann lass mich nicht so doof hier rumstehen!“ forderte ich von ihr und wurde kurz danach herum gedreht und zu meinem Schreibtisch geführt. Blind durch die Dunkelheit und die Augenbinde ertastete ich mit Mühe den Stuhl und setzte mich. Ich hörte den Lichtschalter und konnte durch den Stoff tatsächlich dank des Lichts die Silhouette von Sarah erkennen, die sich auf mein Bett setzte und mich anschaute. Sie bewegte sich eine ganze Weile nicht. Ich wusste nicht was sie vor hatte, aber ganz wohl war mir bei der Sache definitiv nicht, vor allem da ich immer noch ein wenig die Anspannung von vorhin in der Luft zu fühlen glaubte.
„Warum machst du hier irgendwelche komischen Spielchen mit mir?“ fragte ich vorsichtig obwohl ich am liebsten genervt geantwortet hätte.
„Ich…ich…ich habe Angst.“ antwortete mir Sarah.
„Angst? Vor was denn?“ fragte ich besorgt und griff mit den Händen an die Augenbinde an meinem Hinterkopf um sie zu lösen.
„Lass sie bitte auf!“ forderte mich Sarah erneut auf. Ich verstand sie noch weniger als sonst. Was machte ihr Angst und warum sollte ich nichts sehen? Das ergab keinen Sinn, überhaupt keinen.
„Ist ja gut, aber dann erklär mir bitte was los ist. Ich verstehe kein Stück weit was du gerade von mir willst.“ beschwerte ich mich.
„Deshalb bin ich doch hier. Ich will dir alles erklären, ich meine wirklich alles.“ entgegnete Sarah. Das klang vielversprechend endlich Antworten, auch wenn ich gar nicht mehr damit gerechnet hatte. Keine Ahnung warum sie jetzt auf die Idee kam mir alles erklären zu wollen, eigentlich war es der schlechteste Zeitpunkt, den man sich für sowas aussuchen konnte. Wir hatten uns eigentlich zerstritten und sie kam auf die Idee mir alles zu sagen.
„In Ordnung, aber findest du das nach meinem Verhalten wirklich angebracht?“ fragte ich gelassener als vorher. Verschrecken wollte ich sie jetzt nicht.
„Du hast dich bei mir entschuldigt.“ antwortete sie knapp.
„Und was wenn ich es nicht getan hätte? Hättest du mir das trotzdem erzählt oder wie?“ fragte ich verwirrt. Das ergab doch überhaupt keinen Sinn.
„Vermutlich. Ich hatte einfach die Hoffnung, dass du innerhalb deines Tages Bedenkzeit deine Meinung noch änderst. Ich nehme mal an du ziehst nicht aus oder?“ entgegnete Sarah.
„Ähm…das ist doch ne Scherzfrage. Ich habe dich gerade geküsst. Ich möchte alles andere als weg von dir, auch wenn ich dich vor Stunden am liebsten noch auf den Mond geschossen hätte oder sonst wo hin.“ antwortete ich ihr.
„Sehr schön das freut mich, also nicht das mit dem Mond, nur dass wir uns richtig verstehen, aber da beginnt dann das eigentliche Problem. Ich habe Angst, dass ich dich doch noch verlieren könnte. Also auch als normalen Freund. Angst davor, dass du dich trotzdem von mir abwendest und mich nie wieder sehen willst, wenn du alles weißt und ich habe Angst davor, dass du mich auslachst und mich nicht verstehst.“ erklärte sie mit unsicherer Stimme. Ich konnte nicht sehen ob sie weinte, aber ich merkte, dass sie sich nicht wohlfühlte und das lag nicht daran, dass ich mich wie der letzte Heckenpenner aufgeführt hatte.
„Wenn du die Angst hast, warum willst du mir dann alles erklären? Das ergibt doch keinen Sinn. Du kannst es doch einfach bei dem aktuellen Status belassen. Vielleicht ist das nach meinem Ausraster sogar besser, am Ende verwende ich das irgendwann noch gegen dich so wie bei Sandra.“ merkte ich.
„Das Risiko muss ich wohl oder übel eingehen. Wenn du das aber jemals tun solltest, dann kriegst du nicht mal mehr eine Sekunde Bedenkzeit. Meine Mutter kann auch anders. Außerdem wenn es nach ihr gegangen wäre, wärst du schon am Samstagabend geflogen. Ich konnte sie davon überzeugen, dass sie dir wenigstens bis einschließlich Montag Zeit gibt.“ erklärte mir Sarah.
„Na toll, da habe ich ja noch ein tolles Gespräch vor mir. Du brauchst mir aber trotzdem keinen Offenbarungseid oder ähnliches zu leisten.“ versicherte ich ihr.
„Ja brauche ich, aber ich will mich nicht vor dir verstecken. Auf Dauer funktioniert das sowieso nicht. Ich will die sein, die ich bin und mich nicht verstellen oder sonst was. Außerdem weißt du eigentlich schon mehr als irgendwer sonst außer meiner Mutter und Dr. Berger.“ erklärte Sarah mir. Dr. Berger wusste also Bescheid, möglicherweise der Grund für ihre Behandlung? Sie musste ja in Behandlung sonst wäre sie nicht an dem Tag an dem sie im Wartezimmer gemalt hatte dort gewesen. Dr. Berger hatte mich auch vorgewarnt, dass ich seltsame Dinge sehen oder hören könnte und Antworten kriegen würde, naja die Art und Weise wie ich sie kriegen sollte, war auch sehr seltsam und fragwürdig.
„Du bist einer der wenigen Menschen mit denen ich in den letzten Wochen und Monaten halbwegs normal sprechen konnte. Jeder hat seine Macken, Ecken und Kanten. Du hast mir so viel gutes getan, ich habe dich dafür mit Füßen getreten und trotzdem hast du mich nicht aufgegeben. Ich werde dich bestimmt nicht auslachen oder verstoßen, da brauchst du keine Angst zu haben. Versprochen.“ versuchte ich Sarah zu beruhigen und wartete auf eine Reaktion.
„Danke.“ erwiderte sie. Sarah räusperte sich, sagte aber noch nichts. Sie sammelte sich wohl immer noch.
„Puh…ok…ganz ruhig.“ sagte sie leise zu sich selbst. Sie wirkte ziemlich unsicher, unsicherer als vorher.
„Du musst das nicht tun, wenn du dir so unsicher bist.“ warf ich ein. Ich hoffte natürlich, dass sie keinen Rückzieher machen würde, aber ich wollte ihr trotzdem nochmal die Gelegenheit geben sich das zu überlegen.
„Ach verdammt.“ fluchte sie. „Zieh die verdammte Augenbinde ab und frag mich aus. Ich kann es einfach nicht anders loswerden. Sorry.“ sagte sie wütend auf sich selbst. Ich zog langsam die Augenbinde von meinen Augen.
Mich schauten zwei große, leicht mit Tränen gefüllte Augen an. Sarah hatte sich in meine Decke eingewickelt. Ich konnte nur ihren Kopf sehen, alles andere lag unter der Decke versteckt. Ich lächelte sie freundlich an. Dadurch, dass ich nur ihr Gesicht sehen konnte, wusste ich natürlich nicht warum ich die Augen bis jetzt geschlossen halten musste. Ich vermutete, dass sie irgendetwas trug, dass ich zunächst nicht sehen sollte. Ich stand vom Stuhl auf und ging Richtung Bett. Sarah wich immer ein wenig vor mir zurück, so als ob sie Angst hätte, dass ich ihr gleich die Decke vom Leib reißen würde und über sie herfallen würde. Ich setzte mich auf die Matratze damit ich bequem sitzen konnte und schaute weiter auf Sarah. Was sollte ich jetzt großartig fragen? Ich könnte nur fragen ob sie die Decke weglegt, aber ob ich dann schlauer wäre, wusste ich nicht.
„Ich tue dir nichts versprochen. Du brauchst dich nicht unter meiner Decke verstecken.“ sagte ich mit ruhiger Stimme. Ich wusste nicht warum sie in diese Art von Panik verfiel.
„Ich bin halt immer noch unsicher, weißt du.“ gestand sie mir. Hatte sie wirklich so große Angst? Was versteckte dieses Mädchen nur für ein Geheimnis, dass sie solche Angst davor hatte es mir zu offenbaren?
„Du hast immer noch die Möglichkeit abzubrechen. Nochmal du bist nicht verpflichtet mir alles zu sagen. Ich schätze es, dass du es tun willst, aber wenn du nicht breit bist, solltest du es vielleicht nicht tun.“ sagte ich. Sarah nickte. Ich denke es war gut, dass ich sie nicht unter Druck setzte, denn sie begann damit sich aus der Decke zu befreien.
———————————————————————————————
Ich weiß nicht wie groß meine Augen waren und wie erstaunt ich schaute als ich Sarah sah. Also ich hätte jetzt erwartet, dass sie nackt wäre oder sonst irgendwas, aber tatsächlich war sie angezogen. Ich musste erst mal genau betrachten was ich dort an ihr alles sehen konnte. Das erste das mir ins Auge fiel war natürlich der ähm Ganzkörperanzug oder was auch immer das sein sollte. Ich glaube in Europa war das nicht unbedingt üblich sowas zu tragen, eher in Amerika. Ich überlegte wie das Teil noch gleich hieß. Onesie oder so ähnlich. Ihrer war auf jeden Fall rosa mit einem sehr mädchenhaften Muster aus Prinzessinnen, Einhörnern, vereinzelten Herzen, Zauberstäben und lauter Sternen. Eigentlich ein recht schönes Motiv. Es stand ihr erstaunlich gut, aber vermutlich hätte auch ein Kartoffelsack in meinen Augen Sarah gut gestanden. Bis hierhin, war das noch recht normal. Der Onesie oder wie auch immer das Ding hieß ging tatsächlich vom Kopf bis zu den Füßen und hatte in der Mitte kleine Knöpfe, die an den Beinen jeweils bis zu den Füßen ging. Durch die Löcher zwischen den Knöpfen konnte ich nochmals das gleiche Muster erkennen. Anscheinend trug die darunter noch etwas anderes. Beim Blick auf die Knöpfe fiel mir etwas anderes ins Auge. Das machte mich wiederum stutzig. Der Onesie kam mir nur etwas ungewöhnlich vor, aber das was ich jetzt sah war wiederum eher die Kategorie sehr seltsam. Auf der Höhe ihrer Brust baumelte etwas. Es hing an einem Band, das am Kragen befestigt war. Ein kleiner Klipp war dort zu sehen. Ein lilafarbenes Band führte zu dem leicht baumelnden Gegenstand. Es war ein Schnuller. Ein lilafarbener Schnuller, der auf das Motiv der Prinzessin auf dem Onesie hatte. Ich konnte mich nicht erinnern jemals einen so großen Schnuller gesehen zu haben. Das war definitiv kein Schnuller für ein Baby. Das war ein Schnuller, der für Erwachsene hergestellt wurden sein musste. Ich hätte nicht gedacht, dass es so etwas überhaupt gibt, aber anscheinend gab es so etwas. Was machte Sarah mit einem Schnuller? Hatte sie ihn vorhin im Mund gehabt als ich sie so schwer verstanden habe? Sie schaute mich immer noch etwas unsicher an.
„Steht dir gut.“ sagte ich ein wenig schmunzelnd. Am liebsten hätte ich ja gelacht, aber das hätte sie falsch verstehen können. Wir waren jetzt gerade an einem Punkt, an dem ich mir keinen unnötigen Fehltritt leisten sollte und mein Lachen fand ich aufgrund ihrer Angst mehr als unpassend.
„Danke.“ sagte sie leise und wurde ein bisschen rot.
„Ich das da ein Schnuller?“ fragte ich neugierig obwohl ich die Antwort schon wusste. Sarah nickte eifrig mit dem Kopf. „Ich nehme mal an den benutzt du auch genauso wie die Fläschchen oder?“ fragte ich weiter.
„Ja.“ war die verlegene Antwort von Sarah.
„Bislang sehe ich da noch nichts schlimmes dran, auch wenn es nicht ganz alltäglich ist. Also warum hast du so viel Angst davor mir alles zu erzählen?“ fragte ich ziemlich ratlos. Mit einem Fläschchen hatte ich sie ja bereits ein paar Mal gesehen und auch nicht mit Abweisung oder ähnlichem regiert. Es war eigentlich sogar in gewisser Weise süß anzusehen.
„Stimmt wohl, aber das ist noch nicht alles.“ sagte sie mir und begann langsam die Knöpfe zu öffnen. Ich schaute zu während sich Knopf für Knopf öffnete, bis Sarah an ihrem Schritt angekommen war. Den oberen Teil ihres Kleidungsstücks streifte sie mit etwas Mühe ab und ließ ihn nach hinten gleiten. Jetzt war das Bild noch skurriler als vorher. Unter dem Onesie trug sie einen Body mit dem gleichen Muster. Auch der stand ihr gut, wie ich feststellen musste, gut das war auf Grund des Motivs auch nicht sonderlich schwierig. Ich musterte sie von oben bis unten ob mir irgendetwas auffallen würde. Ich hatte Mühe es zu erkennen, aber in ihrem Schrittbereich bemerkte ich, dass neben dem bunten Stoff auch buntes Plastik zu sehen war. Ich merkte auch, dass ihr Schritt ziemlich ausgebeult war. War das etwa? Nein das konnte doch nicht sein oder etwa doch? Aber warum? Sarah merkte bestimmt, dass es in mir ratterte, aber ich war noch nicht in der Lage etwas zu sagen. Sie kam mir zuvor.
„Du hast es bemerkt oder?“ fragte sie und deutete in ihren Schritt. Ja das hatte ich bemerkt, aber warum machte sie jetzt eine solche Welle darum. Ich hatte sie schon mehr oder weniger in Windeln gesehen, gut nicht in einer bunten Windel, aber machte das einen Unterschied? Und sie würde die bestimmt nicht zum Spaß tragen oder etwa doch? War das der Grund warum sie so viel Panik hatte? Warum sollte sie freiwillig Windeln tragen?
„Ähm ja, habe ich. Hast du mir nicht gesagt, dass sowas gar nicht schlimm ist? Die Farbe ist ein wenig ungewöhnlich, ja, aber warum machst du dir denn so viel Panik, wenn du eine Windel trägst, wenn du sie brauchst?“ fragte ich immer noch sichtlich verwirrt. Sarah schluckte bei der Frage. Sie hatte anscheinend mit genau dieser Frage gerechnet.
„Ich…ich…brauche sie nicht.“ antwortete sie mir unsicher und stotternd. Was sollte ich darauf antworten? Das war jetzt wirklich überraschend. Aber ich konnte immer noch nicht den Hintergrund verstehen. Warum machte sie das?
„Ähm…wow.“ war das erste das mir über die Lippen kam. Ich wusste nicht ob ich damit jetzt die Situation verschlimmert hatte oder nicht. Ich verarbeitete gerade anscheinend immer noch diese Information von ihr. Ich konnte doch jetzt nicht plump fragen warum sie das machte oder? Ich schaute immer noch auf Sarah. Sie fing an zu weinen. Fuck, das war bestimmt wegen meiner Antwort. Sie glaubte jetzt ihre Befürchtungen hätten sich bewahrheitet und ich wäre total geschockt oder ähnliches. Ich sagte nichts und rückte ein wenig näher an sie heran. Dieses Mal wich sie nicht zurück, was daran liegen konnte, dass sie gerade einfach nicht darauf achtete. Ich war jetzt direkt neben ihr.
„Ähm…darf ich?“ fragte ich unsicher, aber erhielt keine Antwort. Sarah weinte weiter. Ich fühlte mich gerade verdammt schuldig, wieder ein Mal. Meine Reaktion war bestimmt alles andere als angebracht gewesen. Ich wollte irgendetwas tun um es besser zu machen. Ich schlang meine Arme einfach ohne Erlaubnis um die weinende Sarah und drückte sie an mich. Es dauert einen längeren Moment bis ich merkte, dass sie sich beruhigte. Ich merkte den Widerstand an meinen Armen. Sie wollte sich aus der Umarmung lösen, also lockerte ich den Griff und ließ sie wieder frei. Ich schaute in die immer noch tränennassen Augen und versuchte anhand ihres Blickes herauszufinden was sie dachte. Gedankenlesen konnte ich nicht, das war klar, aber das ein oder andere konnte ich schon an den Blicken meiner Gesprächspartner erahnen. Sarahs Augen verrieten mir jedoch nichts. Sie machte sich daran ihren Onesie wieder zuzuknöpfen und wollte schon aufstehen, aber ich hielt sie am Arm fest.
„Bitte geh noch nicht.“ sagte ich ihr. Ich hoffte sie würde mir diesen Gefallen tun.
„Du findest es also nicht schlimm?“ fragte sie.
„Es ist seltsam, aber nicht schlimm, eigentlich ist es sogar irgendwo süß anzusehen. Ich möchte es verstehen. Bitte erklär mir warum du das machst.“ bat ich sie und erntete ein kleines Lächeln.
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Es wurde langsam hell und ich merkte auch, dass die Müdigkeit mich langsam übermannte. Sarah hatte mir so viel erzählt. Ich war vermutlich nicht bei allem mitgekommen und hatte bestimmt nicht alles verstanden. Ich versuchte mir nochmal alles in Erinnerung zu rufen. Es war verdammt viel Input gewesen. Sarah bezeichnete sich selbst als Teenbaby, also einen Teenager, der sich gerne in ein Baby zurückversetzt. Gut bei ihr war es wohl eher ein Kleinkind, also nicht ganz so weit zurück. Das erklärte dann auch das Verhalten von ihr, bei dem ich manchmal eher das Gefühl hatte mit einer Vierjährigen als mit einer Sechzehnjährigen zu sprechen. Die Fläschchen, der Schnuller, die Kleidung, das Malen, das Spielen und dass sie Windeln trug gehörten nach ihrer Erklärung dazu. Ich merkte schon, dass ich eine Weile brauchen würde um ganz genau dahinter zu steigen und es wirklich zu verstehen. Sarah saß immer noch auf meinem Bett. Irgendwie war ich froh, dass sie nicht gleich abgehauen war nachdem sie mir das alles erzählt hatte. Ich war aber immer noch unfähig Fragen zu stellen. Ich wusste nicht mal was genau ich fragen sollte. Alles hatte anscheinend mit ihrem Leben und dem Koma zu tun und sie nutzte das alles als eine Art Ausgleich zur großen bösen Welt wie sie es nannte, in gewisser Weise konnte ich das nachvollziehen, auch wenn das für mich eher ungeeignet wäre. Sie schaffte sich einfach eine schöne kleine Welt, in der sie sich keine Sorgen um irgendwas machen musste. Wie ich feststellen musste, schien es bei ihr ziemlich gut zu funktionieren. Wenn ich an das Leuchten ihrer Augen dachte, das ich gesehen hatte als ich sie bei Dr. Berger getroffen hatte oder als ich ihr vorgelesen hatte. Wenn das wirklich nur daher kam, dann war das eine ziemlich wirkungsvolle Methode um einfach für einen Moment aus der normalen Welt zu entfliehen. Sich einfach mal eine Auszeit nehmen und keine Gedanken um irgendwas machen zu müssen. Ich musste bei Gelegenheit noch mehr erfahren. Jetzt gerade war ich aber definitiv nicht mehr aufnahmefähig.
„Sarah?“ fragte ich müde und gähnend.
„Ja, was ist?“ entgegnete sie unsicher.
„Danke für deine Erklärungen. Ich habe es denke ich weitestgehend verstanden. Aber ich bin jetzt so müde, dass ich einfach nur noch schlafen will. Bitte sei mir nicht böse.“ antwortete ich.
„Bin ich nicht. Ich gehe mal rüber. Ich hoffe du denkst jetzt nicht zu schlecht von mir.“ sagte sie und wollte aufstehen, aber ich hielt sie nochmals fest.
„Nein alles gut. Ich weiß das kommt jetzt vielleicht ein wenig plötzlich, aber möchtest du nicht hier bleiben?“ fragte ich unsicher.
„Bist du dir sicher, dass ich bleiben soll?“ fragte sie vorsichtig.
Eine berechtigte Frage wie ich feststellen musste, aber gerade überwiegte die Tatsache, dass ich nach diesem Tag und vor allem meinem mehr als bescheidenen Traum, den ich bewusst noch nicht erwähnt hatte, nicht alleine sein wollte. Ich nickte nur und ging zum Lichtschalter und schaltete das Licht aus. Durch die Helligkeit draußen konnte ich sowieso genug sehen. Ich legte mich ins Bett und deckte mich zu. Unter der Decke war zum Glück genug Platz für zwei Leute. Ein zweites Kopfkissen hatte ich nicht, aber Sarah behalf sich einfach mit meinem Arm. Ich ließ sie gewähren. Ich genoss es in dem Moment einfach nur sie in meiner Nähe zu haben und hoffte, dass sich tatsächlich alles wieder in Wohlgefallen aufgelöst hatte.
Autor: Timo (eingesandt via E-Mail)
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Danke für diesen Teil! War wieder spannend zu lesen wie Jona trotz seines Absturzes und aufbrausendem Verhalten, dennoch Sarah’s Gunst nicht verlohren hat uvd Sie Ihm obendrein immer noch so sehr vertraut und Ihm Ihr Geheimniss anvertraut. Bin gespannt ob es mit Sarah’s Mutter auch so einfach zu klähren ist und ob sich Sarah und Sandra auch wieder vertragen! Schreib bitte weiter.
Wieder einmal ein sehr schöner Teil, vielen Dank 🙂
Zum Glück gibt es Geschichten wie deine, wo einem einfach nur das Herz aufgeht beim lesen
Wie immer sehr sehr schön geschrieben und so voll von Emotionen.
ich wünschte ich könnte das auch.
ich habe auf meinen Rechner 3 Geschichten aber darin fehlt genau das.
@Julia schreib mich auf Discord an. Ich kann auch über deine Geschichten lesen.
@Autor ich bin sicher, dass deine Geschichte großartig ist, aber ich bin noch nicht bei diesem Teil angekommen.