Ein Haus voller Jungs (2)
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Kapitel 2 – Große und kleine Kinder
* * *
Unter der Woche schlief ich nicht gerne im Zimmer. Hier drin fühlte ich mich immer, als wäre ich in einer anderen Welt, einer anderen Zeit – früh aufstehen und sich für die Schule fertig machen zu müssen, riss mich zu unsanft aus dieser Welt.
Aber es waren Ferien. Ich war schon eine Weile im Halbschlaf gewesen, keine Ahnung wie lange, während Sammy immer noch schlief. Er sah dann immer so friedlich aus, aber ich hatte immer die Sorge, dass er vielleicht gerade einen Albtraum hatte, ohne dass es jemand merkte. Ich würde mich zwischen ihn und alles stellen, was ihm wehtun will, aber natürlich konnte ich meinem Bruder auch nicht in den Kopf schauen.
Leise öffnete sich die Zimmertür und Papa trat ein. Ich sah ihn etwas verschlafen an.
„Guten Morgen Großer,“ flüsterte er. „Frühstück ist fertig.“
Ich nickte und löste mich vorsichtig von Sammy, aber Papa kam schon dazu und begann, meinen Bruder sanft zu wecken. Sammy drehte sich in meine Richtung, aber Papa fuhr ihm langsam mit den Fingern über die Füße – da war er kitzelig. Sammy zog die Füße weg, aber Papa folgte ihnen einfach.
„Komm Kleiner, Zeit aufzustehen,“ flüsterte er. Widerwillig richtete Sammy sich auf.
„Habt ihr gut geschlafen?“ fragte Papa. Ich nickte, und zu meiner Erleichterung tat Sammy das auch.
„Dann kommt,“ sagte Papa und half uns aus dem Bett. „Es gibt Pfannkuchen.“
Wenn wir eine Liste der besten Erfindungen der Welt machen würden, müssten Pfannkuchen mit Nutella auf jeden Fall irgendwo dabei sein. Davon konnten wir einfach nicht genug bekommen, und wenn Papa uns lassen würde, würden wir so lange essen, bis wir platzen.
Papa und ich aßen beide mit Besteck, aber Sammy war dazu heute morgen wohl noch nicht bereit. Ergebnis war, dass seine Hände und sein Gesicht voller Nutella waren, aber Papa machte das nichts aus – verständlich, denn mein Brüderchen sah so schon echt süß aus.
„Darf ich noch einen?“ fragte Sammy, nachdem er bereits seinen zweiten Pfannkuchen verschlungen hatte.
„Für heute Mittag sind noch welche da,“ sagte Papa. „Du weißt, dass du nach mehr als zwei sonst Bauchschmerzen kriegst.“
Sammy versuchte „Den Blick“, aber Papa ließ sich nicht erweichen – dafür kannte er die Situation zu gut. Nachdem auch ich fertig war, ließ er uns noch austrinken und führte uns dann ins Bad, wo er prompt ein Bad einlaufen ließ. Während sich die Wanne füllte, begann Papa, uns aus unseren Windeln zu befreien – Sammys war erwartungsgemäß voll, aber auch meine hatte im Laufe der Nacht und auch heute morgen ihrem Zweck dienen müssen. Ich kletterte schon mal vorsichtig in die Wanne, Sammy ließ sich von Papa reinsetzen.
„Wir wollen ja, dass ihr sauber in die Ferien startet,“ sagte Papa und fügte noch etwas Shampoo hinzu. Ich fuhr meinem Bruder durch die Haare und er legte seinen Kopf auf meine Schulter.
So konnten die Ferien beginnen.
* * *
Der örtliche Kindergarten war eine Elterninitiative und verhältnismäßig klein. Damals drei Gruppen, aber mit nur um die 20 Kindern statt der üblichen 25, inzwischen war noch eine reine U3-Gruppe angebaut worden. Der höhere Betreuungsschlüssel hatte natürlich seinen Preis, aber Papa war es wichtig gewesen, dass man gut auf mich und meinen Bruder eingehen konnte.
In den Ferien bot der Kindergarten, da viele Kinder sowieso im Urlaub waren, älteren Geschwisterkindern oder Ehemaligen an, die Einrichtung zu besuchen. Gerade in den Sommerferien verbrachten Sammy und ich meistens etwa eine Woche dort, und auch dieses Mal würden wir zumindest in der ersten Ferienwoche viel Zeit hier verbringen, damit Papa guten Gewissens zur Arbeit gehen konnte, mit dem Wissen, dass wir zumindest ein warmes Mittagessen bekommen und nicht den ganzen Tag am PC verbringen würden. Ich selbst hatte nur ein Jahr dort verbracht, und auch nur, weil ich erst mit sieben eingeschult wurde, so wie auch Sammy nach mir, daher hatte ich nicht ganz die Bindung an diesen Ort wie mein Bruder. Aber da ich älter war, hatte ich auch ein paar weitere Freiheiten, durfte das Gelände verlassen, mich jederzeit zurückziehen und wenn ich wollte sogar nach Hause gehen – wobei ich dann Sammy mitnehmen würde. Früher war ich auch gewickelt hierher gebracht worden, wobei das nicht groß Thema war – es bedeutete nur, dass ich, und später ich und Sammy, gelegentlich im Wickelraum verschwanden, denn als Schulkinder wollten wir natürlich nicht mehr von unseren früheren Betreuern gewickelt werden. Inzwischen wickelte ich aber höchstens noch Sammy, ich selbst wollte keine unangenehmen Fragen von Seiten der kleinen Kinder beantworten, falls sie etwas merken würden.
Sammy war das komplette Gegenteil. Er hatte mehr als drei Jahre hier verbracht und war den Betreuern in guter Erinnerung geblieben. Wann immer er hier war, wurde er praktisch wieder zum Kindergartenkind, aber auf die gute Art – fröhlich, spielfreudig, liebenswert und ausgelassen, und im Vergleich zu den anderen der coole große Junge, mit dem man richtig viel Spaß haben kann. Irgendwo beneidete ich ihn darum, sich so fallen lassen zu können, aber natürlich war mir klar, dass dies für ihn etwas besonderes war.
Ich sah gerade meinem Bruder zu, wie er mit ein paar Kindern rumtobte, als mich eine Stimme aus meinen Gedanken riss.
„Darf ich dir was sagen?“
Die Stimmte gehörte Niklas, einem der Erzieher hier.
„Klar,“ antwortete ich.
„Ich finds klasse, wie liebevoll du dich um deinen Bruder kümmerst.“
Ich errötete etwas.
„Danke,“ sagte ich. „Aber das sollte eigentlich nichts besonderes sein.“
In diesem Moment wandte sich Sammy in meine Richtung um und rief „Alle auf Luka!“. Wenige Augenblicke später lag ich im Sandkasten und wurde von Sammy und vier weiteren Jungen festgehalten.
„Nicht alle Knochen brechen!“ rief Niklas und grinste mich dabei an – sonst war er wohl derjenige, der „Opfer“ solcher Attacken wurde.
Natürlich war ich deutlich stärker als irgendeiner der Beteiligten, auch wenn meine Bewegungsfreiheit etwas eingeschränkt war. Ich befreite einen Arm und zog einen der Jungen an mich, um ihn durchzukitzeln. Die anderen versuchten natürlich gleich, ihn zu befreien und mit mir das Gleiche zu tun. Wären wir in einer Tierdoku gewesen, wäre ich wohl der Löwe und die anderen die Hyänen gewesen. So ging es einige Minuten lang, bis ich irgendwann vor Erschöpfung zu keuchen begann.
„Jungs, lasst Luka mal atmen,“ rief Niklas und erlöste mich damit. Sammy hörte sofort auf, die anderen brauchten ein paar Momente, bis die Anweisung auch zu ihnen durchgedrungen war.
„Alles okay, Luka?“ fragte Sammy. Die Ausgelassenheit in seinem Gesicht war Besorgnis gewichen.
„Alles gut, Sammy,“ antwortet ich. „Ich bin nur nicht mehr so jung.“
Sammy kicherte.
„Du wirst ja früh alt! Soll ich dich lieber Opi nennen?“
Die anderen Kinder brachen in Gelächter aus.
„Was soll ich denn dann sagen?“ rief Niklas.
„Du bist auch alt!“ riefen die Kinder zurück. Die Ablenkung nutzte ich, um mir Sammy zu greifen und nochmal durchzukitzeln.
„Wen nennst du hier alt?“ fragte ich, während er sich in meinen Armen wand.
„Hör auf!“ flehte Sammy, aber ich kannte meinen Bruder zu gut.
„Bin ich alt?“
„Ja!“
Es war also alles gut, es konnte weitergehen. Eine halbe Minute später fragte ich erneut.
„Bin ich immer noch alt?“
„Nein!“
Ich hörte auf und ließ Sammy zu Atem kommen.
„Aber du bist älter,“ kicherte er.
„Da hast du wohl Recht. Und zu großen muss man lieb sein, nicht wahr, Kinder?“
Meine Frage wurde mit lautem Kichern beantwortet.
„Lasst die zwei mal Pause machen,“ rief Niklas. Die Gruppe lief weiter, um das nächste Spiel zu spielen. Sammy beugte sich an mein Ohr.
„Luki, ich musste mal.“
Ich nickte kurz Niklas zu, dann machte ich mich mit Sammy auf den Weg zum Wickelraum.
Nach einem kurzen Zwischenstopp bei seiner Tasche, um diskret eine neue Windel rauszuholen, setzte sich Sammy auf den Wickeltisch. Ich schloss die Tür, dann machte ich mich an die Arbeit. Zum Glück war hier alles nötige griffbereit, sodass ich meinen Bruder schnell gesäubert und neu verpackt hatte. Nachdem die neue Windel sicher verschlossen war, sprang Sammy vom Wickeltisch. Während er seine Hose wieder hochzog, desinfizierte ich den Wickeltisch – das hatte ich mir vor Jahren mal von einer der Erzieherinnen abgeschaut, und wir wollten hier ja alles so hinterlassen, wie wir es vorgefunden hatten. Ich prüfte kurz, ob die Luft rein war, dann verließen wir den Wickelraum und gingen wieder nach draußen.
* * *
Wir hatten die Kita gerade verlassen, als mein Handy vibrierte. Eine Sprachnachricht von Papa. Ich stellte die Lautstärke hoch und spielte sie ab.
„Hey Luka,“ ertönte Papas Stimme, „ich bin heute Abend noch essen. Für dich und Sammy wäre noch Pizza im Kühlschrank, oder ihr könntet was bestellen. Könnte spät werden, aber wenn was ist, könnt ihr mich anrufen.“
Es gab eine kurze Pause, nur das Display verriet, dass die Nachricht noch nicht vorbei war.
„Und macht keinen Blödsinn, ihr zwei.“
Wir grinsten uns an. Sowas würden wir ja nie machen.
„Weißt du was das heißt?“
„Pommespizza!“
Also, das war unser voller Ernst. Klar, man könnte vieles machen, aber so viel, was für uns spannend wäre, gäbe es nicht. Verbotene Filme? Sammy und ich mochten keine Horrorfilme oder sowas. Vielleicht mal ne Creepypasta, aber die fallen ja nicht unter verboten. Und wir besaßen zwar ein paar Spiele, die streng genommen nicht für unsere Altersklasse gedacht waren, aber die spielten wir auch nicht mehr als den Rest, deshalb fand Papa das auch nicht schlimm. Zumal Papa es immer schon fehlkonzipiert fand, dass die USK keinen Unterschied zwischen einem Sechsjährigen und einem Elfjährigen machte.
Aber der Fernseher war durch Papas Abwesenheit frei, was bedeutete, dass man darauf super Videos schauen konnte.
„Hey, der neue Teil von The Last Stand ist raus!“ rief Sammy, während die YouTube Startseite sich mit Vorschlägen füllte.
Zur Erklärung, das ist eine Serie von Animationen, die zwei der besten Dinge auf der Welt miteinander kombiniert – Minecraft und Star Wars. Ich nickte und startete den ersten Teil, damit wir den auch mal in groß sehen konnten. Die nächsten Minuten lang füllten Lichtschwertduelle, die selbst die Filme ziemlich alt aussehen ließen, das Bild, bis der neue Teil mit den Worten „to be continued“ endete.
„Ich hoffe das dauert nicht wieder Monate bis zum neuen Teil,“ murmelte Sammy. Währenddessen wurden neue Vorschläge eingeblendet.
„Memes?“ fragte ich. Sammy grinste.
„Memes.“
Die konnte man auch zu den besten Erfindungen der Welt zählen. Wie hatten die Menschen nur früher ohne Internet gelebt? Muss ziemlich langweilig gewesen sein.
Wir verbrachten die nächsten Stunden, abgesehen von einem kurzen Abendessen, mit Memes, Spielen und YouTube. Oh, und ungesunde Mengen an Eis, schließlich war es Sommer und dadurch recht warm. Wir wollten eigentlich nicht mal so lange aufbleiben, aber aus fünf Minuten wurden immer wieder 30, dann 60. Wir bekamen nicht mal mit, wie sich die Haustür öffnete.
„Ihr seid ja immer noch wach.“
Es steckte kein Vorwurf in der Aussage, aber ich erstarrte trotzdem. Wenn wir Pech hatten, waren wir jetzt richtig in Schwierigkeiten.
„Oh, wir wollten ja eigentlich schon längst im Bett sein,“ versuchte ich, die Lage noch irgendwie zu retten. „Aber du kennst das ja, an manchen Spielen wächst man einfach fest.“
Papa spielte gerne so Spiele wie Civilization, Anno oder Stellaris, wo schnell Stunden ins Land gehen konnten, wenn man nicht aufpasste. Wenn ein Elternteil dafür Verständnis hatte, dann er.
„Und wir müssen ja nicht mal Pinkelpausen machen,“ fuhr Sammy fort.
Hm, das könnte funktionieren. Papa ließ uns einige Momente auf eine Antwort warten, bis er sich räusperte.
„Ehrlich gesagt bin ich ganz froh, dass ihr noch wach seid.“
Oha. Irgendwie war ich mir nicht sicher, ob das so gut war.
„Jungs… ich muss euch was erzählen.“
Autor: Löwenjunge (eingesandt via E-Mail)
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