Wind über Ammeroog (7)
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Was bisher geschah: Vivienne macht auf der Nordseeinsel Ammeroog Urlaub in einem Ferienhaus in einer exklusiven, abgelegenen Siedlung. Sie hat nicht nur das Haus, sondern die ganze Siedlung für sich allein. Bei einem Spaziergang am Strand erfährt sie, dass eine Sturmflut bevorsteht. Auf dem Weg zurück zum Ferienhaus kommt ihr ein Mann entgegen, mit dem sie einen verstohlenen Blick tauscht. Zurück im Haus erfüllt sich Vivienne geheime Wünsche: Sie zieht sich eine Windel und ein Eichhörnchenkostüm an und beginnt zu fantasieren, dass ihre Familie um sie versammelt wäre. Als der Sturm seinen Höhepunkt erreicht, bricht es aus ihr heraus und wütend, nur mit ihrer Windel bekleidet rennt sie hinaus in das Unwetter. Nachdem eine Schaukel, auf der sie geschaukelt war, zusammengebrochen ist, und der Wind ihr die Windel vom Leib geweht hatte, besinnt sie sich und kehrt zurück in die sichere Wärme des Hauses.
Die Tür schlug sofort hinter ihr zu, und der Wind war weg. Es war trocken, kein Hauch regte sich. Das Heulen war ein Pfeifen geworden, schwach wie ein Altweiberfurz. Als Vivienne durchatmete, merkte sie erst, wie sehr sie zitterte. Ihr war kalt, und für ihren Körper fühlte es sich ungewohnt an, nicht mehr durchgeschüttelt und in alle möglichen Richtungen gezerrt zu werden. Aber in ihrem Kopf raste es. Sie hatte geatmet, in wenigen Minuten war ihr Sauerstoff für einen Monat in die Lungen geblasen worden, und die Endorphine rasten. In ihrer Hand knisterte es. Ihre klammen Finger hatten sich noch immer um die Windel geschlossen, die meisten Finger auf der Außenseite, aber der Zeigefinger griff in die gelbe, feuchte Saugfläche. Sie machte ein leises, angeekeltes Geräusch, kniete sich auf den Fußboden und faltete die Windel zusammen. Die Handbewegung konnte sie noch aus dem Effeff. Sie hatte sie zwar zehn Jahre lang nicht mehr gebraucht, aber nicht verlernt. Als sie die zusammengefaltete Windel zukleben wollte, klebte einer der Verschlüsse nicht mehr richtig, bei der Landung auf der Düne war er sandig geworden, aber mit etwas Druck bekam sie ihn schließlich doch zugedrückt.
Eine sanfte, anheimelnde Melodie kam von irgendwoher, und Vivienne hob den Kopf. Auf dem Bildschirm sah sie wie die Kamera schwenkte, vom Tal, wo Feline erschöpft bei ihrem Nachwuchs lag, hinauf zur Anhöhe, wo Bambi stolz neben seinem Vater stand und auf seinen Stammhalter herabblickte.
Der Film war einfach weitergelaufen, und jetzt war er zu Ende. Vivienne hatte vorhin vergessen ihn auszuschalten. Es war in Ordnung. Sie war nicht mehr in der Stimmung für Bambi. Sie hob die Bedienung auf und schaltete aus. Neben der Matratze stand noch ihr Kakao. Sie hob ihn auf und nahm einen Schluck. Er war kalt geworden und weit von dem Genuss entfernt, der er warm war. Sie schüttete ihn in den Ausguss in der Küche, dann ging sie hinüber ins Bad um sich sauberzumachen.
Sie hatte erwartet, dreckig zu sein, aber auf das Bild, das sich ihr ihm Spiegel bot, war sie nicht vorbereitet. Fast hätte sie gedacht, einer Fremden gegenüberzustehen. Schlamm, Dreck und Gras klebten überall an ihrem Körper. Über der linken Brust und am linken Oberarm zeichneten sich Male ab, die sich zu veritablen blauen Flecken entwickeln würden. Ihr rechter Oberschenkel war aufgeschrammt, und Blutfäden rannen ihr zum Knie. Über ihrem linken Auge klaffte eine Schnittwunde, die sie nicht spürte und von der sie keine Ahnung hatte, bei welcher Gelegenheit sie entstanden sein konnte. Ihre Haare hatten ihren rotblonden Ton fast völlig verloren. Sie waren schmutzig, versalzen und verdreht. ‚So sähe ich also aus, wenn ich Dreadlocks hätte.‘ dachte Vivienne. Am ungewohntesten und fremdesten aber kamen ihr die Augen und der Mund vor. Die Augen leuchteten, als würde in ihnen ein geheimes Feuer glimmen, und der Mund zeigte ein entspanntes, gelöstes und breites Lächeln, so widersinnig das nach dem, was sie erlebt hatte, auch sein mochte. Vor allem bereitete ihr aber Freude, wie jung sie aussah. Man würde wirklich nicht glauben, dass sie auf die Fünfzig zuging. Sie sah keinen Tag älter aus als achtzehn. Sie war wieder ein Mädchen. Ein wildes, schlankes, nacktes Mädchen, das fern aller Zivilisation aufgewachsen war.
Vivienne strahlte, und das wilde Mädchen im Spiegel strahlte zurück.
„Ich bin schmutzig geworden, Papa.“
„Das kann man wohl sagen. Und dabei warst du früher immer so ein reinliches Kind. Du hast ja nicht einmal gerne im Sandkasten gespielt.“
Sie hielt die Windel hoch. „Und ich habe meine Windel benutzt.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass du das tun würdest.“
„Ich auch nicht.“ sagte Vivienne. Sie widerstand dem Drang sich dorthin zu drehen, wo die Stimme herkam. „Findest du, dass ich verrückt bin, Papa?“
Er ließ sich mit der Antwort so viel Zeit, dass Vivienne für einen Moment befürchtete, dass er gegangen sein könnte. „Du bist nicht verrückt“, sagte er, „du bist an einem besonderen Punkt in deinem Leben, und du machst Dinge, die vielleicht nicht für jeden verständlich sind.“
Vivienne machte ein Geräusch, das wie ein verunglücktes Lachen klang. „Ich mache Dinge, die nicht einmal ich verstehe.“
„Du nimmst deinen eigenen Weg. Und egal, was ist, ich werde dich immer lieb haben.“
„Danke, Papa.“ Sie bemühte sich, dass ihre Stimme nicht brach, während sie es sagte. Halb erwartete sie, gleich von ihm in den Arm genommen zu werden, aber sie wusste, dass das nicht passieren konnte.
„Und jetzt ab in die Wanne mit dir!“ sagte er.
„Ja, Papa. Sofort.“ sagte sie. Sie legte die Windel auf dem kleinen Tisch neben der Wanne ab und stieg hinein. Sie setzte sich auf den Wannenboden, stellte die Brause an und als verheißungsvoll das Wasser aus dem Duschkopf schoss, prüfte sie die Temperatur. Es war gleich, so durchgepustet wie sie war, gab es kein zu kalt. Als sie die Brause in ihr Gesicht hielt, spürte sie, wie sich Schichten von Dreck lösten. Sie legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Es war eine unglaubliche Wohltat.
Ihr Vater lachte ungläubig. „Unfassbar! Wie ein einziger Mensch so dreckig werden kann!“
„Jetzt werde ich ja wieder sauber.“
Das Wasser hatte jetzt eine höhere Temperatur erreicht, und Dampf stieg auf, als die Tropfen auf ihren Körper trafen. Ihre Zehen und Finger kribbelten. Das Blut musste aus ihnen zurückgewichen sein, so kalt waren sie schon geworden. Vivienne hatte es nicht gemerkt.
„Das war ganz schön leichtsinnig von dir, da hinauszugehen.“
„Ich weiß. Aber du weißt, dass ich das eigentlich nicht mache. Nur heute.“
„Ja. Ich weiß.“ Er seufzte. „Aber es gibt da etwas, über das ich mit dir reden muss.“
Der ernste Tonfall in seiner Stimme beunruhigte sie. „Was denn?“
Ihm fiel es hörbar schwer, die Worte herauszubringen. Er war nicht gerne böse mit ihr. „Was du vorhin zu deiner Mutter gesagt hast, das war nicht in Ordnung. So darfst du nicht mit ihr sprechen.“
„Was habe ich denn gesagt?“ fragte Vivienne.
„Ich denke, das weißt du genau.“
Vivienne nahm die Flasche mit dem Shampoo und goss sich eine großzügige Menge in ihre rechte Handfläche. Sie brauchte einige Sekunden, bis es ihr einfiel. Sofort schämte sie sich, dass es ihr nicht mehr sofort präsent gewesen war.
Sie hatte ‚Scheiß auf dich.‘ gesagt.
„Oh.“ sagte sie.
„Das hat deiner Mutter sehr weh getan. Warum hast du das gesagt?“
Vivienne rieb sich das Shampoo ein, spürte aber bereits an der Sprödigkeit ihrer Haare, dass der Schaden, den sie sich mutwillig selbst beigefügt hatte, nicht so schnell behoben wäre.
„Warum hast du das gesagt, Vivchen?“ fragte ihr Vater erneut, ein wenig drängender.
„Ich weiß nicht, ich … ich wollte, dass sie mich in Ruhe lässt. Dass sie mich einfach machen lässt.“
„Deine Mutter hat sich Sorgen um dich gemacht. Sie hat es nur gut mit dir gemeint. Und was du vorhattest, war leichtsinnig und dumm. Das weißt du doch alles, oder?“
„Ja. Ja, das weiß ich doch, aber … es war doch trotzdem meine Entscheidung. Sie hätte sich da nicht einmischen sollen.“
„Sie hatte Angst um dich. Sie hatte Angst, dass dir etwas zustößt Sie liebt dich.“
Vivienne stellte die Brause auf die schwächste Stufe und begann, sich das Shampoo aus den Haaren zu spülen.
„Und wenn mir etwas zustößt! Es ist meine Sache.“
„Ach, Vivchen“, sagte ihr Vater und es war, als würde sie seine Hand in ihrem Rücken spüren, „ich verstehe dich ja, aber du kannst nicht so mit deiner Mutter reden. Das verstehst du doch, oder?“
Sie rang sich zu einem Nicken durch. „Ja. Ja, du hast ja recht. Ich sollte mich bei ihr entschuldigen.“ Sie wusste, dass er recht hatte, aber was sie letztlich zum Nachgeben bewegt hatte, war der Wunsch, nicht mit ihrem Vater zu streiten.
Die Hand in ihrem Rücken tätschelte zart und stolz. „Meine große Vivienne. Ja, das solltest du.“
„Wo ist Mama denn?“
Seine Stimme änderte sich. „Sie ist weg. Mit den anderen. Nur ich bin noch da.“
Schwarzbrauner Schaum floss aus ihren Haaren in Richtung des Ausgusses, wo er gluckernd verschwand.
„Kommt sie wieder?“
„Nein. Sie und die anderen sind fort. Und ich gehe auch bald.“
„Dann bin ich wieder alleine.“ sagte Vivienne.
„So, wie du es wolltest.“
„Ich wünschte, du wärst bei mir.“
Sie war sich nicht sicher, ob sie die Hand in ihrem Rücken noch spürte. Wenn sie noch da war, bewegte sie sich nicht und hatte dieselbe Temperatur wie das Wasser angenommen.
„In gewisser Form bin ich immer bei dir.“
„Bitte sag so etwas nicht“, sagte sie scharf, „ich bin kein Kind mehr. Rede nicht mit mir wie mit einem Kind. Ich vermisse dich, Papa. Ich vermisse dich jeden Tag. Wieso bist du gegangen?“
„Glaubst du denn, ich wollte gehen?“
Sie stellte das Wasser ab. „Nein. Natürlich nicht.“
„Vivchen.“ Seine Stimme klang traurig. „Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch, Papa.“
Und jetzt wusste sie, dass seine Hand nicht mehr auf ihrem Rücken lag und sie seine Stimme nicht mehr hören würde. Das Gluckern hielt noch eine Weile an, und an seinem Geräusch hätte sie erahnen können, wo in der Wand die Wasserleitung verlief, wenn es sie interessiert hätte, aber es interessierte sie nicht. Sie starrte nur vor sich hin auf den minzgrünen Wannenrand, das Kinn gestützt auf die Arme, die sie über die Knie gebeugt hatte.
Es war zwei Jahre her, dass ihr Vater gestorben war, und sie hatte geheult wie ein Schlosshund.
Sie hatte ausgiebig um ihn getrauert. Lange hatte sie sich gefragt, wann sie über seinen Verlust hinweg kommen würde. Jetzt kannte sie die Antwort.
Sie würde nie darüber hinwegkommen. Der Gedanke an ihn würde immer mit Schmerz verbunden sein.
„Ich liebe dich, Papa.“ flüsterte sie. Es war nicht ihre Stimme gewesen, die das gesagt hatte. Es war die Stimme eines kleinen Mädchens gewesen. Und auf das Flüstern kam keine Antwort. Nur draußen pfiff der Wind, immer noch. Kein bisschen schwächer als vor einer halben Stunde. Woher kam bloß diese Kraft?
Vivienne schloss die Augen und lauschte. Der Wind hatte jetzt etwas merkwürdig Beruhigendes an sich. Das ergab überhaupt keinen Sinn. Noch immer heulte er, noch immer war er alles andere als sanft, noch immer war er ohne Rhythmus oder Muster. Und, das durfte sie nicht vergessen, er war unbarmherzig. Er hatte eine Schaukel zum Einsturz gebracht, auf der sie gerade geschaukelt hatte, und er hatte ihr ihr einziges Kleidungsstück vom Leib gerissen, sofern man es Kleidungsstück nennen konnte. Aber er war da. Darauf konnte sie sich heute Nacht verlassen.
Es begann sie zu frösteln. Das war ein gutes Zeichen. Sie war durchgefroren von draußen hereingekommen, war aber so aufgepumpt gewesen mit Hormonen, dass ihr überhaupt nicht kalt war. Jetzt schienen ihre Nerven wieder ihren normalen Dienst aufgenommen zu haben. Es fiel ihr schwer, sich aus der Wanne zu erheben, zu lange hatte sie ihre Position gehalten. Sie nahm sich ein großes flauschiges Handtuch und trocknete sich ab. Der Anblick, der sich ihr jetzt im Spiegel bot, war ein völlig anderer. Das nackte, wilde Mädchen war verschwunden. Sie erkannte sich selbst wieder. Das war ihr Körper, ihr vertrauter alter, etwas zu blasser Körper. Sie sah aber Schrammen, wo sie vorher keine gehabt hatte, und ihre Haare sahen immer noch ramponiert aus. Ihr Gesicht war müde, aber in ihren Augen lag immer noch dieses schwache Leuchten. Und als sie es sah, glaubte sie, dass sie es in ihrem Inneren fühlen konnte. Sie wusste nicht genau, was es bedeutete, aber sie mochte es.
Sie wollte nicht, dass es wegging.
Als sie zurück in den Wohnbereich ging, fiel ihr Blick auf das braune Fellknäuel nahe der Haustür. Sie hatte das Kostüm eilig ausgezogen und abgeworfen, und so lag es jetzt noch da. Sie überlegte für eine Sekunde, ob sie es nach den Ereignissen der letzten Minuten wieder anziehen sollte.
Sie entschied sich dafür.
Sie war hier noch nicht fertig.
Sie ging zunächst ins Schlafzimmer zurück und entnahm der Reisetasche eine weitere Windel. Danach hätte sie nur noch eine, aber das war in Ordnung. Sie bestand nicht darauf, in die Windel zu machen, von daher sollte eine lange vorhalten. Und wenn sie beide aufgebraucht wären, würde sie eben etwas anderes unter dem Kostüm tragen, das wäre kein Beinbruch.
Dieses Mal verlief das Anlegen problemlos. Sie hatte schnell gelernt. Es würde sich gut anfühlen, wieder etwas Kleidung zu tragen, auch wenn sie unförmig aussah und sie in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkte. Aber es war bequem, das konnte sie nicht anders sagen. Und etwas Bequemlichkeit tat ihr gerade sehr, sehr gut. Mit leicht watschelndem Schritt ging sie zur Haustür, hob das Kostüm an und stakste in die Löcher für die Füße. Es fühlte sich dieses Mal etwas anders an als zuvor. Vorhin hatte sie die Trocknerwärme umgehauen und fast in eine andere Sphäre befördert, jetzt war das Kostüm abgekühlt. Aber es war immer noch kuschelweich, und sie genoss, den Stoff überall an ihrem Körper zu fühlen, und wie es sich wie eine Umarmung anfühlte, als sie die Knöpfe schloss.
Sie knipste das Licht im Wohnbereich aus und ging hinüber in ihr Schlafzimmer. Der Mond schien durch das Fenster und streichelte mit seinem Licht an den Streben des Kinderbettes entlang. Es sah etwas fremdartig aus, etwas unheimlich – aber zugleich wie ein Ort ihrer Sehnsucht. Sie wollte nur noch dort hinein. Dann wäre der anstrengende Tag vorüber.
Es war leichter gesagt als getan. Sie hatte sich zwar den Schemel neben das Bett gestellt, aber mit ihrem Kostüm und ihrer Windel hatte sie Beweglichkeit eingebüßt, und sie schaffte es nicht einmal das erste Bein über die Querlatte zu heben. Ganz kurz erwog sie, das Kostüm für den Moment auszuziehen, aber dann erschien ihr das doch als zu umständlich. Stattdessen machte sie einen entschiedenen Ruck nach vorne, verlagerte das Gleichgewicht über die Stange hinaus und griff ihr Pendant auf der anderen Seite. Ihr Plan war gewesen, sich über dem Bett zu halten und dann vorsichtig herabzulassen, aber es gelang ihr nicht, ihr eigenes Gewicht zu halten, und so sackte sie ab, in eine Position in halber Höhe, in der sie so unmöglich verrenkt war, dass sie sich nur noch fallen lassen konnte. Sie plumpste auf das Oberbett und die Matratze und musste lachen bei der Vorstellung, wie lächerlich sie ausgesehen haben musste. ‚Du bist ja ein schönes Eichhörnchen‘, dachte sie, ‚schau mal, wie grazil du kletterst.‘
Im Halbdunkel ertastete sie die Umrisse der Decke und schlüpfte unter sie. Es war nun vorbei. Der Tag war vorüber. Das fahle Mondlicht warf das Abbild der wirren und zerfahrenen Wege der Regentropfen auf dem Fenster an die Wand, und Vivienne hörte es platschen und pladdern.
‚Vielleicht muss ich bald wieder.‘ dachte sie. Es wäre nicht schlimm. Sie würde das Bett dafür nicht verlassen müssen.
Eine eigentümliche Ruhe füllte sie aus. Dumpf ahnte Vivienne, dass sie gerade verwirrt sein sollte, hochgradig verwirrt angesichts dessen, was sie heute getan und sich eingebildet hatte, aber sie war es nicht. Der Tag hatte ihr gut getan, alles hatte ihr gut getan, einmal abgesehen von dem zusammenstürzenden Klettergerüst. Aber es hatte ihr gut getan, ihrem Vater zu sagen, dass sie ihn liebte. Er wusste es, dass wusste sie, er hatte es immer gewusst, auch an dem Tag, an dem er starb. Aber es war trotzdem gut, es ihm noch einmal gesagt zu haben.
Und es war gut zu wissen, dass sie in sich den Mut trug, zu tun, was sie wollte.
‚Morgen gehe ich in den Ort. Morgen gehe ich im Eichhörnchenkostüm in den Ort.‘ dachte sie plötzlich. Sie wusste nicht, woher der Gedanke gekommen war, und irgendwie ahnte sie, dass es keine gute Idee war, aber die Vorstellung gefiel ihr. Sie würde ja nicht lange dort bleiben – dort gab es ohnehin nichts zu tun, aber sie könnte einmal die eine lange Straße entlanggehen, an der sich die Cafés, Eisläden und Souvenirshops für die Touristen dicht an dicht drängten, dann die andere, die quer dazu verlief und genauso aussah, und dann könnte sie wieder ihren Rückweg antreten. Das würde nur fünf Minuten dauern, und es wäre niemand da, der sie kannte. Nach aller Wahrscheinlichkeit würde sie nicht mal jemand ansprechen. Da wären höchstens ein paar Senioren aus dem Rheinland, die vielleicht ein Foto machen und nachher, aus dem Urlaub zurückgekehrt, ihren Nachbarn berichten würden, was da für eine Bekloppte herumgelaufen war.
Eine Bekloppte.
Ja, sollten die anderen sie für eine Bekloppte halten, sie war ein Eichhörnchen, und es gefiel ihr. Aber am meisten gefiel ihr, wie wenig innerer Widerstand sich in ihr regte. Es fühlte sich wie etwas an, was sie wirklich machen würde.
Genau.
Morgen.
Morgen würde sie über ihren Schatten springen. Morgen würde sie in ihrem Eichhörnchenkostüm in den Ort gehen. ‚Heute war ein guter Tag‘, dachte sie, ‚und morgen wird auch ein guter Tag.‘
Mit einem sanften Lächeln schloss sie die Augen und drehte sich in ihre Schlafposition.
Und dann klopfte es.
Autor: Winger (eingesandt via E-Mail)
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mach weiter zweitbeste Kapitel es Kapitel 6
Da bleibt nur eine Frage. Wer da klopfte die Kinder oder der Herr
Danke! Aber vielleicht ist es ja auch jemand ganz anderes, der da klopft … 😉 ? Ich versuche, den Cliffhanger bald aufzulösen.
Nimmt die (Windel) Geschichte jetzt Fahrt auf?
Ich kann dir auf jeden Fall versprechen, dass die Geschichte eine ganz neue Wendung nimmt. Ich bin gespannt, wie es ankommt.
Sind ja wirklich interessante Dinge die Vivien erlebt. Bin mal gespannt wer dieser späte Besucher sein wird! Ich vermute der einzelne Mann der Ihr in den Dünen begegnet ist. Und ob Sie wirklich Ihren Plan umsetzt und in dem Outfit in’s Dorf geht. Freu mich auf den nächsten Teil.
Danke, ich versuche mal, dass es nicht so lange dauert bis dahin. Es werden Dinge passieren, die Vivienne nicht geplant hatte.