Die Geheimnisse der Kerkwald Geschwister (20)
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Kapitel 20
Über das Erkennen von Gelegenheiten
Was zuletzt geschah:
In Kleinfeldern hatte der dritte November 2012 mit einem Großbrand auf der Windparkbaustelle begonnen. Trotzdem war die größte Frage, die sich Jakob am Vormittag stellte, ob man unter seinen Hosen seine Windel erkennen konnte.
Doch das sollte sich schnell ändern: In dem Moment, wo die beste Freundin seiner großen Schwester, Franzi, ihm den Schlüssel für den elterlichen Bauernhof zuwirft, realisiert Jakob mit einem Mal, dass Franzi hinter den Angriffen steckt, welche das Dorf so in Aufrur versetzt haben! Möglicherweise sogar hinter dem Brandanschlag. Während sein ahnungsloser großer Bruder noch irgendwas für die große Winterfeier der Jugendlichen vorbereitet und selbst seine Schwester nichts von allem ahnt, bricht Jakob in Franzis Zimmer ein, findet heraus dass auch Robin und Nick mit Franzi unter einer Decke stecken und spielt die drei geschickt gegeneinander aus.
Beim Versuch, sich Verstärkung in Form von seinem besten Freund Fenix sowie Bürgermeisterenkel Max zu organisieren, hinterlässt Jakob allerdings eine verhängnisvolle Nachricht auf dem Knoppschen Anrufbeantworter. Und kaum realisiert der Elfjährige, dass Franzi zwar Farbbomen wirft und zusammen mit Nick und Robin Protestplakate aufhängt, aber dass er die drei deswegen noch lange nicht bei der Polizei verpfeifen will.
Und als wäre der Tag damit nicht lang genug gewesen, erinnert sich Jakob, kaum sind die fünf auf dem Rückweg von dem Hinterhalt, den die Jungen für ihre großen Geschwister vorbereitet hatten, an die Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Und bricht mit Hilfe der Jugendlichen auch noch bei Max ein. Will die Nachricht auf dem AB löschen und hört dabei zufällig mit, dass in Wahrheit Alfred Knopp, Max Vater und Sohn des fast siebzigjährigen Bürgermeisters, hinter der Brandstiftung steckt.
Und nahm mitsamt Beweisstück reisaus.
„Wie gefällt dir das?“, fragte Robin ihren kleinen Bruder. In ihrer linken Hand hielt sie den hinteren Rumpf des Legoflugzeuges, das zwei Monate auf Jakobs Kommode gestanden hatte ohne wieder auseinandergebaut zu werden, weil es Jakob so gut gefallen hatte. Bis David es auf den Boden geworfen und absichtlich zerstört hatte.
Beim nun stattfindenden Wiederaufbau begnügten sich die beiden Geschwister nicht damit, sämtliche von ihrem großen Bruder erzeugten Schäden wieder zu reparieren. Das wäre ja langweilig! Stattdessen hatte Jakob vorgeschlagen, das Flugzeug als Airbus A380 zu bauen: Doppelstöckig! Natürlich war das eine ganz schön große Aufgabe, grade wenn man bedachte, dass Jakob den oberen Rumpf aus weißen, gebogenen Zweierplatten gebaut hatte, von denen es kaum genug in seiner Sammlung gab, um daraus ein so großes Doppelstockflugzeug zu bauen.
Deshalb hatte Robin eine ganze Weile lang in dem umgekippten Inhalt der großen Legokiste gekramt und die Dachlinie nun abwechselnd aus roten und gelben Steinen zusammengesetzt.
Jakob legte die Flugzeugnase, in die er grade eine neue Cockpitplatte platziert hatte, ab und sah auf: „Das sieht voll bescheuert aus!“, befand er. Doch er lachte wieder, registrierte seine große Schwester.
„Komm schon! Das ist das neue Flugzeug von Ketchup-Senf-Airlines!“, verteidigte Robin ihre Baukünste und schubste ihren kleinen Bruder gespielt-empört.
„Moment!“, antwortete Jakob und drehte sich um zu dem Kleinteilestapel, den er vor seiner Hochbettleiter sortiert hatte. Kurz blieb Robins Blick an dem weißen, ausgefransten Rand seiner Pampers haften, der oberhalb seines Po aus der hellblauen Jeanshose herausschaute. Er trug immer noch dieselbe Windel wie heute Morgen.
Suchend kramte der schmächtige Zehnjährige in den kleinen, flachen und fragilen Ministeinen, bevor er sich wieder umdrehte: „So?“, fragte er, als er zwei kleine rote Flaschen aus dem Imbisswagenset auf die Positionsleuchten am äußeren Ende der Flugzeugflügel drückte. Es sah aus, als ständen Ketchup- und Senfflaschen auf den Flügeln.
„Genau so!“, kicherte Robin und lächelte ihren kleinen Bruder an. Jakobs Anspannung schien langsam zu verschwinden. Ihre eigene nur so halb, wenn sie ehrlich war. In der Innenfläche seiner rechten Hand klebte ein großes quadratisches Pflaster, welches das provisorische Taschentusch ersetzt hatte, mit dem sie seine kleine Verletzung im Wald behandelt hatten. Ansonsten erinnerten äußerlich nur noch die Matschflecken, mit denen seine alte, ausgewaschene Jeans übersäht war, an die Ereignisse des Nachmittags. Der auf den Flicken an seinem rechten Knie aufgestickte gelbe Bagger, war vor lauter Dreck kaum mehr als solches zu erkennen, auch wenn Robin zugeben musste, dass Bagger und Matsch schon irgendwie gut zusammenpassten.
Es war genau die Jeans, die sich Jakob immer geweigert hatte anzuziehen. Jedenfalls bis gestern Mittag alle seine normalen Hosen vollgepinkelt im Wäschekorb gelegen hatten. Natürlich waren die jetzt immer noch nicht trocken und entsprechend hatte Jakob nüchtern betrachtet gar keine andere Wahl als auch heute wieder seine Baggerflickenjeans zu tragen.
Doch Jakob schien sich so ausgesprochen wenig daran zu stören, dass es zumindest auf seine große Schwester so wirkte, als hätte das erste Anziehen besagter Hose eine Art Schalter in ihm umgelegt. Es war ein bisschen tollkühn, das an einem Knieflicken festzumachen, aber Robin kam es vor als hätte sich ihr kleiner, bald elfjähriger Bruder, über Nacht wieder in einen Grundschüler verwandelt. Natürlich nicht nur wegen der Hose, sondern auch wegen seinen Pampers. Jakob musste der einzige Junge auf der Welt sein, bei dem man vollgepinkelte Windeln mit seiner Grundschulzeit assoziierte.
Behaglich fuhr Robin mit ihren Handflächen über die kurzen, rauen Fasern von Jakobs Autoteppich. Es war gemütlich hier. Die Rollläden der beiden Fenster in seinem Zimmer hatten sie heruntergelassen noch bevor die letzten Sonnenstrahlen das Tal verlassen hatten und hatten damit symbolisch auch den ereignisreichen Tag mitbeendet. Das beruhigend warme Licht der einzelnen Glühlampe über ihren Köpfen spendete angenehmes Licht und nur die Tatsache, dass Jakobs Zimmertür nicht nur angelehnt, sondern fest verschlossen war, deutete darauf hin, dass in diesem Moment bei weitem nicht alles in bester Ordnung war.
Prüfend drückte Jakob die umgebaute Flugzeugnase gegen den Rumpf, den Robin grade angefangen hatte, in neuer Form zusammen zu bauen. Abschätzend wiegelte er seinen Kopf hin und her und schien unsicher zu sein, ob das Gebaute seinen Ansprüchen genügte. Erfreut nickte er.
Das Knarzen des alten Heizkörpers, das Hörspiel, ihr kichern und Jakobs beruhigtes Atmen. Alles wurde plötzlich jäh übertönt, gradezu zerschnitten vom melodischen Klang der Türklingel.
Beide Geschwister wussten genau, wer in diesem Moment vor der Haustüre stand.
„Abendessen?“, schlug Robin nach einer kurzen Pause, vor. Um Abzulenken. Aber wenn sie ehrlich war, hatte sie auch schon ganz schön Hunger. Nach diesem verdammten Tag. Jakob sicherlich auch. Mit ihrem Kopf deutete sie nach links, wo ein bislang fast unberührter Teller der gesäumt von Leberwurst- und Nutellabroten sowie kleingeschnittenen Äpfeln in der gemütlichen, kuscheligen Fläche unter Jakobs Hochbett stand. Ungeachtet der Tatsache, dass eigentlich keiner der drei Geschwister Essen mit auf das Zimmer nehmen durfte, stellten die Brote zusammen mit den großen Apfelsaftgläsern das Abendessen der Beiden dar. Robin war schon bei der Zubereitung klar gewesen, dass sie die nächste Stunde wohl nicht in die Küche gehen konnten und heute beschwerte sich ohnehin niemand wegen solcher Kleinigkeiten.
„Gleich!“, winkte Jakob ab, während er aus der Hocke aufstand und wie ein zu groß geratenes Kleinkind zu seiner Hochbettleiter watschelte. Die Gleich-Devise war das erste, was Jakob festgelegt hatte, nachdem sie sich so weit sortiert hatten, dass sie mitsamt verarztetem Jakob und zubereitetem Abendessen versorgt gewesen waren und Robin ihm eröffnet hatte, dass sie den ganzen restlichen Abend mit ihm in seinem Kinderzimmer spielen würde, solange er wollte.
Kaum hatten sie die Türe verschlossen, hatte Robin die Windelschublade geöffnet, eine frische, ordentlich zusammengeklappte Pampers hervorgezogen und fragte ihren kleinen Bruder: „Na, wollen wir dir endlich mal eine frische Pampi anziehen?“
Doch da hatte Jakob sich schon vor seinen Legohaufen gehockt und offenbar ganz andere Sachen vor. Kurz tastete er selbst mit einer Hand an seinen dicken Windelpo, doch schien völlig unbeeindruckt davon, wie weit diese im matschig-durchnässten Superabsorber seiner ausgelasteten Pampers versank zu sein, bevor er gemervt sagte: „Gleeich!“
Das gleich war jetzt eine Hörspielkasettenseite her.
Robin nickte, obwohl sie noch nicht verstand, was Jakob stattdessen plante, hatte er den Rumpf des Legoflugzeuges doch abgelegt und schien ein neues Spiel vorzubereiten. Er stieg drei Stufen auf seiner Hochbettleiter nach oben, ehe er nach seiner Bettdecke und den danebenliegenden Kuscheltieren griff, diese herunterwarf und sich zu seiner großen Schwester umdrehte.
Robin konnte ihren kleinen Bruder nur schwer verstehen, denn Jakob flüsterte plötzlich: „Können wir Höhle bauen, bevor wir essen? Unter dem Hochbett?“, fragte er.
Natürlich konnten sie. Und während sie Jakobs frisch bezogene Bettdecke mit der Oberkante unter die Matratze klemmte, verstand Robin so langsam auch, was ihr kleiner Bruder wollte. Jakob kniete in der entstehenden Höhle, richtete eine Taschenlampe gegen die Hochbettunterseite – beziehungsweise Höhlendecke, stapelte seine Kuscheltiere auf der Hochbettleiter und legte noch Kissen in den Spalt zwischen Bettdecke und Teppich. In der Ecke seines abgeschlossenen, vor unerwünschten Eindringlingen geschützten Kinderzimmers baute sich Jakob ein noch sichereres Hochbettversteck.
Nervös trommelte Eva mit ihren Fingern auf den Küchentisch. Sie saß schräg, beinahe verkehrtherum auf einem der Esszimmerstühle damit sie aus dem Augenwinkel einen Blick auf die Haustüre werfen konnte. Er würde sicherlich jeden Moment da sein. Kurz sortierte sie ihre Gedanken. David war nicht zu Hause, wo er stattdessen war, hatte sie vergessen. Oder hatte es nie gewusst. Robin und Jakob waren oben in Jakobs Zimmer, in Sicherheit. Robin erklärte ihrem kleinen Bruder in diesem Moment sicherlich, warum er das, was er heute erlebt hatte, niemals jemandem erzählen durfte. Und dann würde sie vermutlich mit Jakob zusammen etwas spielen, damit sich der kleine Junge wieder etwas beruhigte. Vielleicht würden sie das Flugzeug, was David vor ein paar Tagen kaputt gemacht hatte, wieder aufbauen. Und um Jakobs Pampers würde sie sich auch noch kümmern. Robin hatte das alles im Griff.
Eva war stolz auf ihre einzige Tochter.
Volker hatte sie natürlich eingeweiht. Der saß im Wohnzimmer und sollte durch die angelehnte Türe alles mithören, um im Zweifelsfall eingreifen zu können. Falls es nicht so lief wie nach Plan. Eva musste zugeben, dass sie mehr als erleichtert gewesen war, als ihr Mann ihrem Vorhaben seinen Segen gegeben hatte. Wenn sie ehrlich war, hatte sie das nicht einmal erwartet.
Durch das alte, undichte Fenster hörte sie, wie ein Geländewagen in ihre Straße einbog, noch bevor dessen Scheinwerfer die Straße erhellten. Ein lauter, alter, knurrender Dieselmotor. ,GRF – K 1947‘, der Wagen, den der Bürgermeister seit mehr als zwanzig Jahren fuhr. Eva kannte sich nicht mit Autos aus, doch für sie klang das Gefährt eher nach einem Lastwagen als nach einem normalen PKW. Ihr Mann könnte ihr nun sicherlich viel zu dem kantigen Mercedes-Jeep erzählen, wenn sie ihn nur fragen würde. Begeistert würde er ihr irgendein kleines Detail zum Wagen oder dessen Entwicklungsprozesses erläutern und sich in den Ausführungen dazu völlig verzetteln. „Sowas gibt es ja heute gar nicht mehr“, würde er unweigerlich sagen.
Als sich die Fahrertüre des Wagens öffnete, erhob sich auch Eva von ihrem Stuhl und war im Flur, noch bevor es schellte.
„Herbert, da bist du ja!“, lächelte sie den alten Mann an, als sie die Haustüre öffnete.
„Guten Abend, Eva“, grüßte er sie, bevor er, ohne den Mantel abzulegen, in ihren Flur schritt: „Ist der Junge da?“
„Jakob?“, fragte Eva, und wies mit ihrer Gestik wie selbstverständlich nach links in die Küche: „Warum setzt du dich nicht erstmal und erzählst mir einmal die ganze Geschichte. Schließlich bin ich ja seine Mutter.“
Herbert seufzte mehr als ungeduldig doch nahm widerwillig Platz auf der Eckbank ein.
„Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?“, fragte Eva.
Herbert Knopp stieß einen Seufzer aus, der wie ein Nein klang.
Ungeachtet dessen stellte Eva ihm eine bereits vorbereitete, kaum mehr lauwarme Kaffeetasse hin.
„Also. Dein Junge hat heute auf meinem Anrufbeantworter eine Nachricht für meinen Enkel, Maximilian, hinterlassen. Gesagt hat er, dass er herausgefunden hat, wer unseren Hof mit Farbe beworfen hat!“, erklärte Herbert hörbar aufgebracht. Er klang ungewöhnlich unruhig.
„In der Halloweennacht?“, schien Eva erstaunt zu schlussfolgern: „Ist ja allerhand! Jakob, ehrlich?“
„Die junge Sellers-Tochter ists gewesen!“, platzte Herbert heraus: „Ich hab mir sowas gleich gedacht! Und Jakobs Anruf hats mir bestätigt …“
Eva holte kurz Luft und schien den alten Mann durch eine Rückfrage unterbrechen zu wollen, doch Herbert erhöhte sein Sprechtempo, um den Faden nicht aus der Hand zu geben und insistierte: „Aber Eva, ich muss jetzt wirklich unbedingt mit deinem Jungen sprechen! Er muss eine Aussage machen, damit …“
Als hätte die bloße Tatsache, dass Herbert sein Anliegen mit lauter, druckvoller Stimme wiederholte, sie überzeugt, stand Eva auf: „Alles klar!“, nickte sie und wies wieder in den Flur: „Der Junge ist oben in seinem Zimmer. Komm, ich bring dich hin.“
Langsam folgte der alte Mann der Mittvierzigerin über die schmale Treppe in dem kleinen, gemütlich eingerichteten, doch etwas chaotischen Haus in den ersten Stock. Der billige Linoleumboden im Flur wellte sich unter Alfreds Schritten und auch die knarzende Treppe hatte schon bessere Tage gesehen. Ein paar dreckige Kinderschuhe lagen unordentlich im kurzen oberen Flur, der neben vier Türen sonst nur eine Luke zum Dachboden zu bieten hatte. Für Lesesessel, eine Anrichte oder Vasen, wie bei ihm auf dem Gutshof, war hier ohnehin kein Platz.
Herr Knopp atmete erleichtert aus: „Danke. Wir können uns dann nachher auch gerne nochmal um euren Erweiterungsbau am Schlachthof unterhalten“, bot er Eva an. Er musste ihr etwas anbieten, das war ihm völlig klar. Nach zwanzig Jahren Bürgermeisteramt wusste man so etwas.
„Ja, lass uns gleich nochmal unterhalten“, antwortete Eva und lächelte ihn an.
Herbert wurde mulmig und spürte, wie sein Herz zu pochen begann. Eva lächelte nicht freundlich oder erfreut, wie jemand es tun würde, der endlich die langersehnte Aufmerksamkeit des Bürgermeisters für sein Projekt bekommen hatte.
Stattdessen lächelte Eva, als hätte sie schon gewonnen. Er runzelte die Stirn, während er versuchte, ihre Mimik zu interpretieren. Bürgermeister Herbert Alfred Knopp war sogar so darauf fokussiert, sich einen Reim darauf zu machen, dass er nicht mal mitbekam, wie sie an dem Raum, an dessen Tür mit bunten Holzbuchstaben „Jakob“ geschrieben stand, vorbeigingen und stattdessen die gegenüberliegende Türe öffneten.
Zu seiner Überraschung blickte der alte Mann in einen stockfinsteren Raum, in dem nur das Licht eines Computerbildschirmes flackerte. Zuerst räusperte Herbert sich verwundert, bevor er erkannte, was auf dem Monitor zu sehen war.
Eine Schwarzweiß-Aufnahme. Im Hintergrund, am oberen Bildrand, waren lodernde Flammen zu erkennen, kurz vorm Waldrand des Staatsforstes. Der Mittelteil des Bildes war gesäumt von den abgeernteten Feldern, welche die Westseite des Dorfes umschlossen. Unten, im Vordergrund hingegen, war seine G-Klasse zu sehen, wie sie grade über einen Feldweg fuhr. GRF – K 1947. Mit seinem nichtsnutzigen Sohn Alfred am Steuer.
„CAM 11: Anlieferung Hinterhof“, stand in der oberen linken Ecke des Bildes.
Herbert Knopps Blick fiel auf das silberne Gerät, welches vor dem Monitor auf dem Schreibtisch stand. „AXIS“ stand in großen orangenen Lettern darauf. Das war ganz klar das Überwachungsgerät aus dem Schlachthof, wegen dem ihn Alfred so stolz angerufen hatte. Die Sache, die angeblich erledigt war. Nicht mal das hatte der Nichtsnutz richtig hinbekommen!
Der Anblick des Standbildes reichte Herbert völlig, auch wenn es dazu noch eine Videoaufnahme gab. Auf der zu sehen sein musste, wie sein Geländewagen erst zur Baustelle hinfuhr, dort ein paar Minuten parkte und dann, als das Feuer zu lodern begann, sich über den Wirtschaftsweg wieder entfernte.
„Weißt du …“, mischte sich Eva nach einem kurzen Moment Stille ein: „ … einer der Vorteile, im Schlachthof zu arbeiten, ist natürlich, dass man als Schichtleiterin auch das Passwort für das Überwachungssystem kennt.“
Der Bürgermeister schnappte nach Luft, doch Eva lies sich nicht beirren: „Lass uns doch wieder nach unten gehen. Du hast Recht: Wir müssen uns wirklich einmal unterhalten, Herbert.“
Kurz sah Knopp noch einmal in Eva Kerkwalds Augen. So mussten Löwen ihre Beute anschauen kurz bevor sie zuschlugen.
Höflich deutete Eva zur Treppe.
Still und in ihrer eigenen Welt versunken lauschten die beiden Geschwister der Hörspielkassette, während sie ihre Brote aßen. Zumindest Jakob. Bevor er sich an ihre Schulter gekuschelt hatte, war der Junge noch einmal aus seiner selbstgebauten Höhle gekrochen und hatte, thematisch passend, die Hörspielkassette getauscht. „Fünf Freunde erkunden den Geheimgang“ hatte vor einer Viertelstunde begonnen zu spielen, und mittlerweile hatten die vier englischen Jugendlichen eine Höhle in ihrem Felsenhaus entdeckt und erkundeten nun dieselbe. Robin hatte währenddessen unauffällig auf die Geräusche im Flur geachtet und war sich relativ sicher, dass der Bürgermeister immer noch bei ihnen zu Hause sein musste und grade wieder vom ersten Stock ins Erdgeschoss zurückgegangen war.
„Du bist wie George“, stellte Jakob fest und Riss seine Schwester aus ihren Gedanken. George? Robin kicherte. Jakob meinte das natürlich als Kompliment. George, also Georgina, das burschikose und tempramentvolle Abenteuermädchen der Bande. Definitiv wesentlich cooler als Anne, die sich in Robins Wahrnehmung hauptsächlich um Timmys Hundekekse zu kümmern schien.
„Warum?“, fragte sie interessiert.
„Hmmm …“, überlegte Jakob selbst kurz: „George ist ja ein Jugenname, weil Georgina ja ein Junge sein will ein bisschen. Deshalb nennt sie sich so …“
Robin lachte: „Das will ich aber nicht, Bärchen!“
„Nööö“, antwortete Jakob: „Aber du heißt Robin! Und das ist auch ein Jugenname eigentlich!“
Die angesprochene knuffte ihren kleinen Bruder: „Das ist ein Name für beides, Jungs und Mädchen!“, verteidigte sie sich gespielt-empört
„Bei mir in der Klasse heißt ein Junge Robin!“, erklärte sich Jakob kichernd.
„Sag ihm, er hat einen Mädchennamen“, lachte Robin: „Außerdem hast du viel eher das Zeug zum Fünf-Freunde-Helden, nicht ich!“
Mit dieser Aussage hatte sie ein breites Grinsen auf die Lippen des müden Jungen gezaubert: „Findest du echt? Und wer bin ich dann?“
Robin überlegte kurz: „Also … nächste Woche wirst du so alt wie Dick …“, überlegte sie laut: „Aber eure Ermittlungen gegen … Franzi und mich hast du doch angeführt, oder? Dann bist du ja schon irgendwie Julian …“
Stolz sah Jakob zu seiner großen Schwester rüber und bedankte sich, bevor er einen weiteren Bissen von seinem Leberwurstbrot nahm und wieder der Geschichte lauschte. Kurz verlor sich Robin in dem altmodischen Soundtrack, der eine soeben beendete Szene nun mit der nächsten Verband und erinnerte sich wieder an die Tatsache, dass diese Kassetten so alt waren, dass sie schon ihre Mutter als Kind gehört hatte.
Ihr kleiner Bruder wurde immer ruhiger während Robin einen Arm um seine Schulter legte und beinahe erwartete dass der Zehnjährige gleich einschlafen würde – Bevor er sich plötzlich leicht anspannte und mit zwei Fingern sachte über die pralle Windelbeule in seinem Schritt strich. Im nächsten Moment streckte Jakob seine Beine aus und stützte sich mit den Händen so auf dem Teppichboden ab, dass sein Po den Boden nicht mehr berührte sondern leicht in der Luft schwebte.
Robin musste kichern. Sie kannte ihren Bruder gut genug, um zu wissen, dass er grade in die Hose machte. Bestimmt war er die ganze Zeit zu aufgeregt gewesen um überhaupt zu bemerken dass er mal musste und nun war es einfach losgelaufen.
Mit großen, wässerigen Augen sah Jakob ertappt zu seiner Schwester. Sanft streichelte sie durch seine Haare und sagte leise, beinahe flüsternd: „Ach Bärchen …“
In diesem Moment realisierte Robin, die die ganze Zeit auf lauter andere Sachen geachtet hatte, auch, dass es in der selbstgebauten Höhle ein bisschen nach Pipi roch. Doch sie war sich nicht sicher, ob das an Jakob selbst oder an seiner Bettwäsche lag. Vermutlich an Beidem.
Doch der schien mit dem Fluten seiner Pampers gar nicht mehr fertig zu werden: „Bärchen, du musst mal öfters pullern und nicht erst, wenn dus gar nicht mehr halten kannst“, riet die Fünfzehnjährige dem in Anstrengung erstarrten Jungen während sie glaubte, ganz leise ein Plätschern zu hören. Robin wusste genauso gut wie der Windelträger selbst, dass er seine saugfähige Unterwäsche grade deutlich überforderte.
Und, dass er daran grade nichts ändern konnte.
Doch da war es auch schon zu spät. Auf Jakobs rechtem Oberschenkel bildete sich ganz plötzlich und ohne weitere Vorwarnung ein rasant wachsender, nass-dunkler Fleck auf der hellen Jeans.
Robin verdrehte die Augen, stieß sich hektisch von der Wand, an der sie gelehnt hatte ab, schwang die Höhlenbettdecke zur Seite und zog die Schublade von Jakobs Kommode auf. Pampers Feuchttücher, Pampers BabyDry in der größten Größe sowie die Windelcreme in der großen blauen Tube von Nivea. Pamperskind-Basics.
„Ach Jakob …“, tadelte sie ihren Bruder, während sie die Bettdecke wieder zur Seite schob. Jakob schien fertig zu sein, zumindest war er jetzt aufgestanden. Auf seiner Hose prangte ein tellergroßer nasser Fleck. Der Zehnjährige senkte peinlich berührt den Kopf und schwieg. Sie konnten nur hoffen, dass seine anderen Hosen bis morgen früh wieder trocken waren.
Als sie sich vor den Jungen hinkniete und in die Hände klatschte, wusste der, was zu tun war und auch, dass er es mal wieder übertrieben hatte. Schuldbewusst setzte er sich auf seinen klitschnassen Pamperspo obwohl er genau wusste, dass die Windel dadurch auch noch an seinem Popo auslaufen würde und legte sich anschließend auf den Rücken.
Aber jetzt war es doch eh zu spät!
Früher hätten seine Pampis das ausgehalten!
„Sorry …“, nuschelte Jakob, während Robin sein himmelblaues Sweatshirt nach oben zog und gleichzeitig schon seine Hose aufknöpfte.
„Ja Jakob … du hast doch Pampis, damit deine Hosen eben NICHT nass werden …“, sagte Robin. Doch ihr tadelnder Blick war da schon wieder verschwunden und insgeheim wusste Jakob auch, dass er seine Hosen nassmachen konnte soviel er wollte und Robin trotzdem nie wirklich böse auf ihn sein könnte.
Die Fünfzehnjährige zog Jakobs Jeans behutsam bis zu dessen Knöcheln herunter während er seine Beine breit machte. Eine gelblich angelaufene, enorm aufgequollene Pampers kam zwischen Jakobs Beinen zum Vorschein. Seine Oberschenkelinnenseiten glänzten vor Nässe. Jetzt roch es definitiv nach Pipi.
Robin faltete die frische Pampers auf und musste gar nichts sagen, damit Jakob im passenden Moment seinen Po anhob.
„Die hätte noch nicht auslaufen sollen!“, meckerte er trotzig, während Robin die frische Windel als provisorische Unterlage drunterschob.
„In welcher Welt?“, fragte Robin liebevoll-spöttisch, als Jakob sich wieder absinken lies.
Die Pampers schmatzte deutlich, als sein Po den Boden wieder berührte.
„Mhm … nicht auslaufen, hm?“, neckte Robin ihren kleinen Bruder.
Jakob kicherte: „ … Manno echt nich!“, meckerte er, da öffnete Robin synchron die beiden Klebestreifen. Der Rechte war nass.
Mit einer Routine als hätte es die zwei Jahre, in denen sich Jakob selbst gewickelt hatte, nie gegeben klappte Robin das Vorderteil der Pampers zurück und zog ein Feuchttuch aus der leuchtend türkisgrünen Packung hervor. Dann noch Eines. Und ein weiteres.
Jakobs Haut glänzte vor Nässe.
„Hätten wir dich eine halben Stunde früher gewickelt, wäre das jetzt nicht so eine Sauerei …“, reüssierte die Fünfzehnjährige und konnte – das musste sie sich selbst eingestehen – einen leicht besserwisserischen Tonfall nicht vermeiden.
Nun war es Jakob, der die Augen verdrehte.
Kicherte.
Seinen Schmollmund zog.
„Da. Hatte. Ich. Aber. Keine. Luuuust!“, meckerte er halbernst.
Robin warf die verbrauchten Feuchttücher kommentarlos in das dunkelgelbe Vorderteil der völlig vollgepinkelten Windel. „Po hoch“, instruierte sie, während sie ein paar neue Tücher aus der Packung zog.
„Ich mein … was ist der Sinn von Pampis wenn ich trotzdem gewickelt werden muss genau dann wenn ich grade keine Lust hab?“, redete Jakob weiter, während Robin erst seinen Po und den unteren Schrittbereich reinigte und anschließend die volle Windel wegzog und zuklappte.
„Ohhh Bärchen …“, säuselte Robin übertrieben betroffen: „ … ein ganzer langer Tag und dann musst du einmal für nur fünf Minuten still liegen für eine frische Pampers …“
Mit ihrem Daumen hatte sie die Kappe der Cremetube aufgeschnippst, die Tube gequetscht und verrieb nun die Lotion zwischen ihren Händen, sodass sie nicht ganz so kalt war, bevor sie begann ihren Bruder damit einzucremen.
Würden Jakobs Füße nicht noch in der nassgepinkelten Hose feststecken, hätte er jetzt sicherlich spielerisch nach seiner großen Schwester getreten: „Das ist viel schlimmer, als du denkst …“, antwortete er, während er sich bemühte, nicht zu lachen.
Der Donnerschlag, mit dem die Haustüre zuknallte, schreckte beide Geschwister kurz auf.
Jakob sah panisch zu seiner großen Schwester.
Sein Lächeln war wieder verschwunden.
Sie hörten, wie der große Dieselmotor des Geländewagens wieder ansprang.
„Jetzt ist er weg“, flüsterte sie, obwohl es keinen Grund mehr zum Flüstern gab. Doch auch Robin wirkte kurz wie eingefroren, bevor sie die frische Windel hochklappte und zuklebte. Ganz langsam verließ sie Jakobs Höhle wieder, griff im dunklen Raum nach dem in der Ecke liegenden Schlafanzug und machte den fast elfjährigen Jungen kurzerhand noch vollständig Bettfertig.
Ein weiteres Mal verlies sie die Höhle, warf die erstaunlich schwere Windel in Jakobs überquellenden Windelmülleimer und drehte die Hörspielkassette, die irgendwann in den letzten Minuten stehen geblieben sein musste um, bevor sie wieder in das Höhlenversteck zurückkroch.
Erleichtert atmete sie aus, während Jakob sich, ruhig und müde, mit dem Kopf an ihren Oberkörper lehnte.
„Sei ehrlich, ist doch besser jetzt, oder?“, fragte sie.
Jakob lies sich einen Moment Zeit mit der Antwort.
„Ist wirklich besser jetzt“, befand er und lächelte.
Jetzt war alles besser.
Und während in Kleinfeldern ein sehr sehr ereignisreicher Tag nun endlich sein Ende nimmt, habe ich an dieser Stelle die Gelegenheit erkannt, mich bei allen Leserinnen und Lesern für die Treue und die zahlreichen Kommentare bedanken. Möchte dabei allerdings auch ankündigen, dass diese Geschichte bis Ende August in Sommerpause gehen wird. Spätestens Anfang September geht es dann mit frischem Schwung weiter!
Bis bald und bleibt verspielt,
Euer giaci9
Autor: giaci9 (eingesandt via E-Mail)
Diese Geschichte darf nicht kopiert werden.
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Eine tolle Geschichte. Wir freuen uns auf mehr. Genieß den Sommer!
Danke für dein Lob, Erik!
Den Sommer genießen? Das mache ich! Ich bin auch schon wieder dabei, an der Geschichte weiterzuschreiben, aber ich will mir etwas Zeit lassen mit dem weiteren Veröffentlichen, um auch mal neue Sachen auszuprobieren und so. Einfach etwas kreative Freiheit eben! 😀
Sehr gute Geschichte aber mit mehr wickeln von Jakob das Robin nur ihn wickeln
Findest du wirklich, dass das gut wäre? Das würde doch ziemlich sicher ganz schön monoton werden. Findest du nicht?
Aww… ich wünsche dir eine erholsame Sommerpause Giaci! Wieder ein ganz tolles Kapitel was du da geschrieben hast
Lg
Danke für dein Lob unter diesem und dem letzten Kapitel, Toasty! Freut mich sehr, dass es dir gefällt 😀
Mit jedem Kapitel gefällt mir die Geschichte besser! Es ist so lebendig, wie Du die Gefühle Angst, Unsicherheit und doch Geborgenheit beschreibst.
Danke, dass Du so hartnäckig dranbleibst und wir immer wieder etwas Neues lesen dürfen. Fünf Sterne? Scheinen mir doch zuwenig! 🙂
Danke für dein Lob! Irgendwie komme ich auch, je mehr Kapitel es werden, desto besser ins Schreiben hinein. Auch wenn der Anfang etwas holprig war, weil ich nicht wusste, wo ich hinwollte. Dafür läufts jetzt fast von alleine! 😀
Ich habe von Zeit zu Zeit Ideen zu anderen Geschichten – einer Fortsetzung von „die Verwandlung“, aber auch ganz neues. Aber irgendwie bin ich immer der Meinung, dass die Geschichte um Robin, Jakob und David definitiv noch nicht auserzählt ist. 😀
Oder eine Fortsetzung zu einem gewissen Felix :3
Achja. Deeeeer! 😀 Magst du mir verraten, was dir an der Geschichte so besonders gefällt? So rein aus Interesse 😀
Felix hat mich immer an mich selber erinnert, dazu konnte ich Giacis Wunsch nach einem kleinen Bruder nur allzu gut nachvollziehen
Lg
Außerdem gab es ja noch so viele unbeantwortete Fragen…. würde Felix jetzt immer bei Giaci in 2014 bleiben, was ist mit seiner Mutter die ja immer noch in 2007 fest steckt ohne ihren Sohn, wie läuft es jetzt mit dem großen Karl, seine Freundschaft mit Fabian… in der Schule
..
Oh man Giaci es gibt wirklich noch sooooo viele Fragen die nicht beantwortet wurden von dir :/ soooo viel Potenzial…
Aaabeer ich kleiner Fuchs hatte ja ursprünglich vor meine Geschichte in der selben Stadt handel zu lassen aus der Giaci und Felix kamen….. hatte nur keine Lust die Geschichte als Windelgeschichte um zu schreiben
… hoffe du vergibst mir
Vielen Dank für die Antwort. Du hast mich wirklich zum nachdenken gebracht … 🙂