Alles wird besser, vielleicht sogar gut (11)
Windelgeschichten.org präsentiert: Alles wird besser, vielleicht sogar gut (11)
Jetzt war aber erstmal die Leitstelle dran. Wo blieben denn jetzt bitte die Helfer? Die halbe Stunde war rum und Bennett war wieder vorzeigbar. Von unserer Seite wären wir dann soweit. Kein Verlass mehr auf das Rettungspersonal von heute. Fast 15 Minuten dauerte es noch, bis sich die Kabine endlich wieder in Bewegung setzte. Die Fahrt dauerte nicht lange, dann öffnete sich die Kabinentür mit dem gleichen Pling, das wir schon vom Beginn unseres kleinen Abenteuers kannten. Neu war das Empfangskommitee, das auf der anderen Seite der Aufzugstür wartete. Neben drei Aufzugs-Technikern, vier Rettungssanitätern, diversen Mitarbeitern des Einkaufszentrums und ein paar neugierigen Kunden stand da vor allem: Onkel Phil. Die Leitstelle hatte ihn also erreicht. Der Stein, der mir vom Herzen fiel, war tonnenschwer. Erst jetzt spürte ich, wie angespannt ich in der letzten dreiviertel Stunde gewesen war. Es war keine echte Angst. Aber eingesperrt in so einem Aufzug ist es eben schwer, echte Glückshormone zu bilden. Onkel Phil drückte mich an sich und nahm auch Juli in die Arme. “Seid ihr in Ordnung? Was wolltet ihr eigentlich in dem Aufzug?” Die Erklärung musste noch ein paar Augenblicke warte. Erstmal hatten wir alle Hände voll zu tun, den Sanitätern zu erklären, dass wir in allerbester körperlicher Verfassung waren. Und dann war da noch der Manager des EInkaufszentrums, der mehr als erleichtert aufatmete, als Onkel Phil ihm versicherte, dass er das Zentrum nicht auf Schmerzensgeld verklagen würde, weil die Verantwortlichen einen technisch nicht einwandfreien Aufzug auf die Kunden losgelassen hatten. Allerdings hielte er es für mehr als angemessen, wenn sich das Center-Management bei den Opfern mit einem großzügigen EInkaufsgutschein entschuldigen würde. Dabei verzog er keine Miene. Auf die Idee wäre ich im Leben nicht gekommen. Und Onkel Phil wahrscheinlich auch nicht. Der Mitarbeiter des Einkaufszentrums hatte ihn selbst drauf gebracht mit seiner Panik vor schlechter Presse. Und so hielten ein paar Minuten später alle Insassen des Aufzugs einen Einkaufsgutschein in Höhe von jeweils 150 Euro in den Händen. Oma Spiderman war den Tränen nahe und bedankte sich überschwänglich bei Onkel Phil. Für diese wunderbare Möglichkeit, die Urlaubskasse aufzubessern. Und für die beiden bestens ausgestatteten Kinder, die ihrem Enkel aus seiner misslichen Lage geholfen hatten!
Damit konnte Onkel Phil noch nicht wirklich etwas anfangen. Er wusste ja noch nicht im Detail, was passiert war. Das mussten wir unbedingt ändern. Statt uns zuzuhören, schon mich Onkel Phil allerdings erst in Richtung Kundentoilette. “Später, Juli!” Ich glaube es ist jetzt erstmal wichtiger, dass du aus deiner Windel rauskommst!” Stille. Dämlich gucken kann ich. Warum denn ich? “Juli, der Geruch ist ziemlich eindeutig!”, versuchte Onkel Phil sein Ansinnen zu erklären. “Ich bin das!”, kam es kurz darauf kleinlaut von Juli. “Wir waren wegen mir im Aufzug. Weil ich dringend aufs Klo musste! Dann blieb die Kabine stecken und ich konnte es irgendwann nicht mehr halten. Ich hab alles in die Windel gemacht. Sorry!” Der arme Kerl fühlte sich wirklich elend. “Oh! Auch gut.” Mehr kam erstmal nicht von Onkel Phil, der immernoch auf die Toiletten zusteuerte. “Aber eigentlich auch egal, wen ich wickle. Und das war ja wohl ein echter Notfall, wenn ich das richtig sehe!” Heftiges Nicken meinerseits.
Und so lag nicht ich, sondern Juli wenige Minuten später auf dem großen Wickeltisch der Behinderten-Toilette, die wie der Aufzug offensichtlich erst vor wenigen Wochen renoviert worden war. Alles war super hell und freundlich und auf dem neuesten Stand der Technik. Wickeltisch, Waschbecken und Toilette konnten elektrisch in der Höhe verstellt werden. Onkel Phil hatte den schweren Juli also nicht auf die Wickelunterlage wuchten müssen, sondern konnte ihn auf Kniehöhe draufsteigen lassen, bevor er die ganze Fuhre nach oben surren ließ. Dann zog er Juli erst die gelben Thermo-Stiefel aus und dann die Leggings und zum Schluss Julis Strumpfhose. Beide hatten zum Glück nichts abbekommen. Lediglich Julis Unterhose, die er über der Windel trug, war fällig für eine Runde im Vollwaschgang. Vor allem an den Bündchen hatte sich ein Teil des Windelinhalts einen Weg nach draußen gesucht. Das war aber nicht weiter schlimm. Zwar war Julis Ersatz-Unterhose jetzt bei Bennett, dank seiner Strumpfhose und der Leggings würde er aber problemlos ohne dieses Stück Unterwäsche klar kommen. Onkel Phil bemerkte natürlich, dass ihm in Sachen Wechselklamotten deutlich weniger zur Verfügung stand, als er vorgesehen hatte. “So, jetzt aber raus mit der Sprache: Habt ihr einen Teil der Sachen verkauft, um mehr Geld für Cocktail-Zutaten zu haben? Oder warum fehlt in euren Rucksäcken die Hälfte? Bevor ich loslegen konnte, setzte Juli den verbalen Blinker, zog an mir vorbei und erzählte Onkle Phil haarklein, was im Aufzug passiert war. Die Erklärung passte genau in die Zeitspanne, die Onkel Phil brauchte, um Juli wieder frisch zu machen und ihm die frische Windel zuzukleben. “Zwei selbstlose Helden habe ich da dabei!”, grinste er und ließ den Wickeltisch langsam wieder nach unten fahren, so dass Juli bequem runtersteigen konnten. “Da wird es Zeit, dass wir den Rest für unsere Superhelden-Party einkaufen, oder?” Die frische Windel hatte bezogen auf Julis Gemütslage ein kleines Wunder vollbracht. Er war wie ausgewechselt und konterte lässig Onkel Phils Neckereien: “Vorsicht! Wer lästert kriegt nachher übrigens keine Cocktails!” Gespieltes Entsetzen bei Onkel Phil. “Und wer nicht ganz schnell in seine Klamotten kommt darf sich nachher nicht beschweren, dass es ihn untenrum nachher ein wenig fröstelt!” Juli verzog sich also zum Stuhl, auf dem seine Strumpfhose und die Leggings lagen, während Onkel Phil die Einweg-Unterlage vom Wickeltisch zog und dessen Oberfläche gründlich desinfizierte. Dann schnappte er mich am Kragen und zog ich sanft zu sich her. “Sorry, kurzer Windelcheck!” Ich verdrehte die Augen, ohne mich allerdings ernsthaft zu wehren. Der Nässe-Indikator vorne auf der Windel war nicht mehr blau, sondern hellgrün. Ich hatte die Windel natürlich benutzt, sie war aber noch weit von ihrer Belastungsgrenze entfernt. Final noch ein schneller Blick von oben in die Windel, dann stand fest: auch hintenrum noch alles sauber, was mich echt erleichterte. “Bestens. Dann kann’s ja losgehen!”
Für die restlichen EInkäufe Onkel Phil an unsere Seite zu haben, war ein Segen. Er sprach fließend Dänisch und fand sich deshalb in den Läden problemlos zurecht. Das sparte unendlich viel Zeit und Nerven. Als wir schließlich aus dem Feinkostladen kamen, hatten wir nicht nur alles für die Party beisammen, sondern lagen unterm Strich auch nur 15 Minuten hinter unserem Zeitplan. Gar nicht schlecht, fand ich. Onkel Phil hatte sogar noch Zeit gefunden, im Vorbeigehen für Juli eine 3er-Packung Leggings zu kaufen, die auf einem Aktionstisch vor einem Klamottenladen lagen. Alle drei verschiedenfarbig geringelt, aber alle ohne Rosa-Anteil oder Häkelbündchen. Wir hatten zwar im Haus jede Menge Klamotten, aber eben quasi keine Hosen in Julis Größe und in Farben, die auch Jungs tragen konnten. Oder besser: wollten. Daumen hoch von Juli. Bevor uns Onkel Phil in Richtung Tiefgarage lotste, legten wir an einer kleinen Sitzgruppe noch einen kurze Stopp ein, weil Onkel Phil uns wieder in unsere Overalls stecken wollte. Noch ein schneller Check der Tüten: alles da. Nächster Halt: Auto. Statt des Aufzugs nahmen wir aber die Treppe. Onkel Phil grinste. “Diese Superhelden von heuten sind auch nicht mehr das, was sie mal waren!”
Unterm Strich kamen wir nur gut 35 Minuten später zu Hause an, als geplant. Das konnten wir verschmerzen, aber nur, wenn jetzt alles Hand-in-Hand lief. Nachdem wir uns also aus den Overalls geschält hatten, beorderte Onkel Phil kurzerhand Juli in die Küche, um die Zutaten fürs Essen zu schnibbeln. Der zog eine Grimasse vor Begeisterung. Gemüse und Salat fein schnippeln. Da war er gut drin. Nicht. An der Rollenverteilung gab’s aber nichts mehr zu rütteln. Ich war hinter der Bar eingeplant um dort die Zutaten fein säuberlich nach Rezept vorzubereiten. Und schon im Rohzustand sah das Cocktail-Setup extrem lecker aus. Fehlte noch die Winter-Deko. Für die hatten wir maximal 50 Minuten. Zum Glück kam Juli in diesem Augenblick aus der Küche zurück. Fertig? “Klar, mit den Nerven!”, grinste er und erzählte nebenbei noch von einem Spezialmenü, das Onkel Phil noch vorbereiten müsse. Ohne uns. Wahrscheinlich hätte ich an diesem Punkt bereits hellhörig werden müssen. Wurde ich aber nicht. Ich hielt Julis “Rausschmiss” aus Küche für Notwehr. Ich konnte mir vorstellen, welches Chaos Juli in der Küche hinterlassen hatte. Selbst schuld. Er hatte die Jobs ja so eingeteilt 🙂
Ich hatte schlicht keine Zeit, für eine intensive Recherche, was Onkel Phil da in der Küche tat. Aus Zeit- und Budgetgründen hatten wir das Thema Deko ziemlich eingedampft. Und Zeit war gerade unser größtes Problem. Wichtig war vor allem, das Wohnzimmer komplett einzuschneien. Das wollten wir mit weißen Bettlaken machen, die es aus irgend einem Grund hier im Haus in rauhen Mengen gab. Ich schickte Juli also mit dem ersten Stapel in Richtung Wohnzimmer und drückte ihm meine Zeichnung in die Hand. So sollte das aussehen, bitteschön! Ich selbst bastelte parallel aus Tonpapier und Unmengen Klebstoff riesige Schneeflocken und ein paar Schneemänner. Nicht wirklich ausgefeilt, aber immerhin winterlich. Das musste reichen. Als ich mit meinen ganzen Papp-Requisiten ins Wohnzimmer kam, hatte Juli mehr oder weniger ganze Arbeit geleistet. Alles weiß, bis auf die Decke. Aber man konnte nicht alles haben. In der Ecke zur Küche hin stand die neue “Eis-Bar”, hinter der ich nachher Cocktails zaubern würde. Das Buffet würden wir auf dem Wohnzimmertisch anrichten, den Juli ebenfalls komplett in ein Bettlaken eingepackt hatte. Schnell noch die Schneeflocken und Schneemänner verteilen. Fertig. Gemessen an der knappen Zeit und allem, was heute sonst noch so passiert war, hatten wir einen richtig guten Job gemacht, fand ich. Und Onkel Phil fand das offensichtlich auch, als er ein paar Minuten später zu uns stieß. “Wow, das ging jetzt aber schnell! Dann kann es ja in 20 Minuten losgehen!” High-Five für jeden. “Einmal umziehen, bitte!”, kam sofort das nächste Kommando von Onkel Phil, der uns mit einer hastigen Handbewegung in unser Zimmer schickte. So richtig überraschend kam das nicht, immerhin sollte das eine Pyjama-Party werden. Unser Problem war ein sehr praktisches: Weder Juli noch ich trugen Pyjamas.
Seit ich rund um die Uhr auf Windeln angewiesen war, schlief ich eigentlich immer in einem Body und einer Strumpfhose. Weil’s bequem war und Onkel Phil die Wickelei vereinfachte. Juli hatte zwar theoretisch Schlafanzüge, die waren aber praktisch natürlich in dem Koffer, der nach wie vor nicht hier eingetroffen war. Also war auch er auf Strumpfhosen umgestiegen. Und so standen wir etwas verloren im Zimmer und wussten nicht so genau, was wir denn jetzt tun sollten. Immerhin stieß Onkel Phil ein paar Minuten später zu uns und nahm die Sache in die Hand. Wie immer. Juli war der erste, den Onkel Phil auf den Wickeltisch beorderte. Und der sah dort wie immer, nicht sehr glücklich aus. Er wusste, dass seine Windel klatschnass war. Wusste es, weil er bewusst reingepinkelt hatte. Wusste, dass die Ausrede, sonst wäre die Deko nicht fertig geworden, mehr als vorgeschoben war. Wusste aber auch, dass er im Augenblick dieses Polster brauchte. Für sich und seine angeschlagene Seele. Und Onkel Phil hatte ihm versprochen, ihm zu helfen. Zwei Tage noch, dann würden sie versuchen, Juli gemeinsam wieder fit zu machen, für den Alltag ohne Windel. Erst mit Pullups. Dann ganz ohne. Eigentlich eine Blaupause für das, was auf mich zukommen würde, nach der OP. Nur, dass ich wahrscheinlich länger als eine Woche damit zu tun haben würde.
Onkel Phil brauchte keine fünf Minuten, um Juli zu wickeln. Weil alles, was an Unterhosen in Juli-Größe im Haus war, aktuell in der Wäsche ware, bekam Juli zum ersten Mal einen meiner hellblauen Pflegebodys. Fand ich erstmal komisch. Juli kam aber gut damit klar. So als sei für ihn sehr klar, dass er heute Abend ganz sicher keine Anstrengungen mehr unternehmen würde, die Windel nicht zu benutzen. Drüber dann eine dicke weiße Strumpfhose. Das passte zumindest ganz gut zum Thema Winter, Juli sah ein bisschen aus, wie ein halbgefrorener Schneeball. Und wenn ich richtig deutete, was Onkel Phil für mich rausgelegt hatte, dann wäre ich im Anschluss gleich das perfekte farbliche Gegenstück zu Juli: blaue Strumpfhose, weißer Body. Bei mir dauerte es aber etwas länger, bis ich abmarschbereit neben Juli stand. Ich hatte die Windel voll. Mal wieder. Und mal wieder nichts gemerkt. Das musste während meiner Bastelei passiert sein. Sonst hätten mich Onkel Phil oder Juli bereits weit vorher darauf hingewiesen. Der Einzige, der das nämlich meist nicht mitbekam, war ich selbst. Alle anderen konnten meinen Windel-Status meist zehn Meilen gegen den Wind riechen. Ich nahm an, dass es eine Art Selbstschutz war, den mein Körper sich ausgedacht hatte. Was wirklich los war drang meist erst so richtig zu mir durch, wenn Onkel Phil das Vorderteil der vollen Windel wegklappte. Es war diese Kombination aus kalter Luft, Geruch und feuchtem Knistern, die mir jedes Mal ins Gedächtnis rief, welche widerliche Arbeit Onkel Phil da verrichten musste. Der war dabei aber eher das kleinere Problem. Vorwürfe oder gar ein verzogenes Gesicht hatte ich bei ihm noch nie erlebt. Nicht bei Onkel Phil. Dafür aber bei mir. Ich ekelte mich vor mir selbst. Mit nassen Windeln kam ich zur Not selbst klar. Aber der Rest war einfach schlimm. Weil ich in diesem Zustand immer auf Hilfe angewiesen sein würde. Egal wie, diese OP musste mir einfach helfen, zumindest das große Geschäft wieder in den Griff zu bekommen. Mehr wollte ich nicht.
Onkel Phil war längst Profi darin, mich zu wickeln. Aber ich war kein Kleinkind mehr, dessen Hintern sich mit zwei Feuchttüchern sauber kriegen ließ. Ich hatte im Sitzen in die Windel gemacht, entsprechend großflächig hatte sich die Sauerei verteilt. Ich hörte irgendwann auf zu zählen, wie viele Feuchttücher Onkel Phil brauchte, bis er den gröbsten Dreck entfernt hatte. Erst dann griff er zu den feuchten Baumwolltüchern, die er vorher in warmem Seifenwasser eingeweicht hatte und holte den letzten Rest meines Darminhalts von meiner Haut. Die warmen Tücher auf meiner Haut markierten meist den Moment, in dem ich die Augen wieder öffnete. Der Duft der Seife und dieses damit verbundene Sauberkeitsgefühl auf der Haut waren das Signal das ich brauchte, um wieder in der Wirklichkeit anzukommen. So war es auch diesmal wieder. Kaum hatte Onkel Phil auch das letzte Stück meine Windelbereichs bis zum Rücken hin frisch gemacht, gehörte mein Körper wieder mir. Ich öffnete die Augen und sah in dankbar an. Er lächelte nur. “Freust du dich auf den Abend heute?” Ich nickte. “Gut. Alles andere ist nicht wichtig!”
Der Rest war dann wirklich Routine. Frische Windel vom Stapel, richtig platzieren, ein bisschen Pflegecreme verteilen und die vier Klettbänder verschließen. Obwohl mein Body nichts abbekommen hatte, nahm Onkel Phil einen frischen vom Stapel. Die Farbe musste ja passen. Kurz darauf stand ich neben Juli. Der zweite der halbgefrorenen Schneebälle. Oben weiß, unten hellblau. “Gebt mir noch fünf Minuten!”, meinte Onkel Phil, der sich grinsend an uns vorbeischob. Konnte er haben. Zusammen warteten wir, bis uns Onkel Phil ins Wohnzimmer rief. Was zur Hölle hatte er bitte vorbereitet?
Die Antwort haute uns fast aus den Socken, wenn wir denn welche getragen hätten. So blieb es beim klassischen “Spucke weg”. Was war denn bitte mit dem Wohnzimmer passiert? Klar, wir hatten die Deko gemacht. Tücher aufgehängt, Möbel eingepackt, Schneeflocken verteilt. Wir hatten ein cooles Wohnzimmer in einen weißen Raum mit Papierdeko verwandelt. Indoor-Winter für Arme, wenn man so wollte. Und Onkel Phil: Hatte daraus hinter unserem Rücken eine echte Winterlandschaft gezaubert. Ein paar geschickt platzierte LED-Scheinwerfer tauchten den ganzen Raum in blauweißes Licht. Aus den Boxen der Surround-Anlage fauchte eisiger Polarwind, die XXL-Leinwand zeigte Eisschollen und ein im Packeis festgefahrenes Schiff. Auf dem Wohnzimmer-Tisch stand nicht nur das Fingerfood-Buffet, sondern auch ein Eisberg aus echtem Eis. Dessen Zwillingsbruder stand auf meiner Bar, daneben Cocktail-Gläser aus Eis. Zwei Ventilatoren pusteten kleine Schaumstoff-Schneeflocken durch den Raum. Dass ich sprachlos war, kam öfter mal vor. Aber selbst Juli bekam nicht mehr als ein Stammeln hin.
Weil auch er ziemlich beeindruckt war. Und weil er gesehen hatte, was ich noch nicht sehen konnte: Einen Partygast, der hinter dem linken Sofa an der Wand lehnte. Außerhalb meines Blickfeldes. Juli war aber voll im Bild. Und auf einmal mächtig nervös. Ich konnte lediglich erkennen, wie er sich vom einen auf den anderen Augenblick unwohl fühlte, in seiner Haut. Er schob sich nervös hinter eines der Sofas und machte den Eindruck, am liebsten in einem Mauseloch verschwinden zu können. Was denn mit ihm los sei, wollte ich genervt wissen. Ich war noch dabei im Kopf zu sortieren, was Onkel Phil hier alles an den Start gebracht hatte. Für mich. Für uns. Und konnte so gar nicht verstehen, warum Juli gerade so aussah, als sei er in eine ganz falsche Galaxie abgebogen.
War er aber natürlich nicht. Aber er hatte jemanden gesehen, der eigentlich nicht hierher gehörte. Jemanden der uns kannte. Mich kannte. Und Juli kannte. “Ausatmen, Juli!”, hörte ich plötzlich eine Stimme, die wirklich nicht hierher gehörte, aber sofort erklärte, warum Juli sich am liebsten in Luft aufgelöst hätte. Tilda? Oh mein Gott, das war Mathilda. Meine Mathilda! Und dann wurde aus der Stimme schlagartig der dazu passende Mensch. Mathilda kam aus der Ecke neben dem Sofa und rannte auf uns zu. Sie trug ein enges, glitzerweißes Kleid und eine hellblaue Strumpfhose, passt also voll in unser Thema. Als sie mir um den Hals fiel, fühlte sich das an, als wäre sie nie weg gewesen. Ich drückte sie an mich und spürte dabei das dicke Windelpolster um ihren Po. Da war aber noch ein Gefühl. Nämlich genau das Gefühl das mir sagt, warum Juli auf einmal so neben sich stand. Tilda kannte uns. Mich und Juli. Aber nur mich kannte sie mit Windel. Juli war auf dem Kreuzfahrtschiff immer der “Normale” zwischen den beiden “Undichten” gewesen. Und jetzt stand er hier neben uns. Mit einer Windel unter der Strumpfhose. Der große, starke Juli war jetzt einer von uns. Das machte ihm schwer zu schaffen.
Onkel Phil schien mit sowas gerechnet zu haben. Er tauchte wie aus dem Nichts neben Juli auf und zog ihn behutsam zu sich. “Juli, du musst dir keine Sorgen machen! Tilda weiß von deiner Windel und weiß, warum die sie gerade trägst! Es gibt keinen Grund, unsicher zu sein. Freunde können mit so etwas umgehen, oder Mathilda?” Die stand zwischenzeitlich dicht neben Juli. “Klar! Ich hab schon ganz andere Kerle mit Windeln gesehen! Finde ich nicht schlimm. Können wir jetzt bitte eine Party feiern!?” Das war typisch für sie. Mathilda machte keine Gefangenen. Nie. Sie sprach immer aus, was sie dachte. Sowas konnte ins Auge gehen. Tat es aber in diesem Fall nicht. Ich war mir sicher, dass sich Juli für die Windel schämte. Vor allem dafür, dass er wusste, dass er sie eigentlich gar nicht brauchte. Im Augenblick aber einfach nicht stark genug war, auf dieses so deutlich spürbare Stück Sicherheit und Geborgenheit zu verzichten. Mathilda war aber genau dieser Umstand völlig egal. Warum jemand eine Windel trug, interessierte sie nicht. Sie mochte jemanden, oder sie mochte jemanden eben nicht. Auf Juli und mich traf zum Glück Ersteres zu. Und nur darauf kam es an. Das spürte Juli. Und wechselte innerhalb weniger Augenblicke zumindest wieder in eine Körperhaltung, die entfernt an Entspanntheit erinnerte.
Und jetzt? Party? Noch nicht ganz. Ich wollte erst wissen, wie Mathilda hierher kam. Die Erklärung kam von Onkel Phil. “Ihr Mutter hat sie vor 30 Minuten hier abgeliefert. Sie ist vom örtlichen Energieversorger eingeflogen worden, um die Reparatur von zwei Umspann-Stationen zu überwachen!” Der Sturm. Klar! Tildas Mutter arbeitete für einen großen Energiekonzern. Hätte ich ja auch gleich drauf kommen können. “Mama holt mich übermorgen nach dem Frühstück wieder ab!”. Sonntag also. Das waren kaum zwei Tage. So ein Käse. Ich wusste, wie bescheuert mein Gemotze war. Knapp zwei Tage, das war besser als gar kein Tag. Tilda hatte Montag wieder Schule, weil sie eben nicht das Glück hatte, 14 Tage zusätzlichen Umbau-Urlaub genießen zu können, so wie Juli und ich. Da war es wieder, mein Miespeter-Gen. Das musste ich von meinem Vater haben. Alle Gläser: immer halb leer. Das ging mir sowas von auf den Geist. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf und stürmte zu meinem Platz an der Bar. Tilda war da. Juli war da. Ich war da. Und Onkel Phil war da. Das hier war meine erste Pyjama-Party, und wenn man es mal genau nahm, sogar meine erste Party überhaupt. Wir würden uns einen tollen Abend machen. Das würde gut werden. Nein, besser als gut. Viel besser!
Autor: DerBeobachter (eingesandt via E-Mail)
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Ein Wort: „wow“ deine Geschichte ist die wohl mit Abstand beste Geschichte seit langen ich freue mich immer wieder auf eine fortsetzung
Alles andere als 0815
Klare Idee
Klare Struktur/roter Faden
Kein und dann und dann und dann
10/10 Punkten
Coole geschite freue mich auf die Fortsetzung wie die Pyjama Party wohl wird? Ob du Schlafstramper haben??
super story bin begeistert . ich stimme sören voll und ganz zu . bitte mach so weiter.
freue mich schon auf den nächsten teil 🙂
Hab die fortsetzung wieder mit großem Vergnügen gelesen. Sören bringt es auf den Punkt und auch ich stimme ihm zu. Bitte unbedingt weiter schreiben.
Wann geht es weiter?
Liegen die nächsten Folgen in weiter Zukunft, oder können wir auf baldige weitere Folgen hoffen?