Annes fast normales letztes Schuljahr – vom Mädchen zur jungen Frau (5)
Annes fast normales letztes Schuljahr – vom Mädchen zur jungen Frau (5)
5 Angenehmere Düfte und viel Rotwein
Als sie die Haustür öffnete, strömten ihr verschiedene hervorragende Gerüche aus der Küche entgegen. Ihr Vater war wieder in seinem Element. „Bin wieder da“, rief sie in den Flur. „Sehr schön, dauert aber noch einen Moment!“ Sie musste lächeln. Wenn Werner beim Kochen war, wurde aus einem Moment mindestens eine halbe Stunde. Als sie sich Schuhe, Mütze, Schal und Mantel entledigt hatte, warf sie einen Blick in die Küche, die sich in ein kreatives Chaos verwandelt hatte. „Grüß Dich, meine Große!“ „Hallo Papa.“ Sie umarmten sich. Sie hatten immer ein sehr inniges Verhältnis zueinander. „Wie lange wütest Du denn schon rum?“ „Och, zwei Stunden, mehr nicht. Hast Du schon Hunger?“ „Ja, sehr.“ Vier Töpfe standen auf dem Herd, und der Backofen lief auch. „Was gibt’s denn?“ „Was Warmes.“ „Ach was!“ „Dass Ihr Frauen immer so neugierig sein müsst!“ „Wer nicht neugierig ist, erfährt nix.“ „Ja, das sagt Deine Mutter, die zum Glück auch noch meine geliebte Frau ist, auch immer.“ „Dann will ich mal nicht weiter stören und sag Mama noch Hallo.“
Ihre Mutter saß im gemeinsamen Arbeitszimmer und guckte wenig begeistert in den großen Bildschirm. Sie begrüßten sich. „Was machst Du?“ „Buchhaltung. Rüdiger hat mir einen Schwung Rechnungen mitgegeben.“ Rüdiger war der Besitzer des Antiquariats, in dem Bettina arbeitete. Obwohl sie nie etwas in der Richtung gelernt, sondern Kunstgeschichte studiert hatte, erledigte sie für ihren Chef den Großteil seiner Administration. Er konnte mit Computern nicht umgehen, und sie war froh, einen Teil ihrer Arbeit von Zuhause aus erledigen können. Bevor ihre Brüder auf die Welt kamen, war sie Kuratorin in einem Museum, gab diese Tätigkeit jedoch auf, um für ihre Kinder da zu sein. Später fand sie die Anstellung in dem kleinen Antiquariat, die sie auch behielt, als Luisa auf die Welt gekommen war. „Ich geh nochmal duschen, bevor das Essen beginnt“, drehte sich Anne zur Tür. „Herrje, ich muss mich ja auch noch zurecht machen“, entfuhr es Bettina. „Am Hochzeitstag kann man das schon mal machen“, gab Anne zurück und war verschwunden.
Auf dem Weg in ihr Zimmer traf sie auf Giulia. Ihr fiel wieder ein, dass das Au-Pair-Mädchen noch nicht winterfest gekleidet war. „Ach, komm doch mal mit! Ich hab was für Dich, Bis Du was Eigenes hast.“ „Si.“ Giulia war noch nie in Annes Zimmer. „So schön“, stieß sie begeistert aus. „Ja, ich fühle mich sehr wohl hier.“ Sie öffnete ihren Kleiderschrank. „Möchtest Du ein paar Strumpfhosen?“ „Strumpf-osen?“ Sie schien das Wort nicht zu kennen, aber Anne kannte das italienische nicht. „Tights? Collants?“ „Ah, calze!“ „Okay, calze. Willst Du dicke oder dünne?“ Die Sizilianerin wirkte ein wenig überfordert. „In Sizilen ich trage nie, eh…“ „Strumpfhosen?“ „Si, Strumpf-osen.“ Sie lächelte. Wieder ein neues Wort! „Ich glaube, hier brauchst Du sie. Unsere Winter sind sehr kalt. Ich habe fast immer Strumpfhosen an. Zum Beweis krempelte sie ihr linkes Hosenbein bis über das Knie hoch und zupfte an der Strumpfhose. „Sie geben mir warm.“ Giulia nickte. Anne drückte ihr ein paar Baumwollstrumpfhosen und ein paar blickdichte Strumpfhosen aus ihrem reichhaltigen Fundus in die Hand. „Vielleicht sind sie Dir ein bisschen zu groß, aber fürs erste sollten sie ausreichen. Wir können ja, wenn Du nach Weihnachten wieder hier bist, zusammen einkaufen gehen.“ „Si.“ Giulia nickte wieder. Anne war sich nicht sicher, ob sie alles verstand. Sie gab ihr noch zwei Jeans und einen Pullover, die sie nicht mehr anzog. „Das kannst Du behalten.“ „Mille grazie, viele Dank.“ Glücklich verließ die Giulia das Zimmer, um sich wieder um Luisa, die im Treppenhaus quäkte, zu kümmern.
Anne entschied sich für das lila Kleid mit den Spaghettiträgern, das knapp ihre Knie bedeckte, ein graues Cardigan, eine schwarze, blickdichte Feinstrumpfhose und schwarze Ballerinas, als sie aus der Dusche kam. Sie war über die Ablenkung, die ihr das Hochzeitstagsessen bot, ganz dankbar. Der Nachmittag mit Billy ging ihr immer noch nicht aus dem Kopf. Dass sie sich in der Windel nicht vollkommen unwohl fühlte, machte ihr ein wenig zu schaffen. Und dann war da auch noch Max!
Der Tisch war liebevoll gedeckt, viele Kerzen sorgten für ein warmes Licht. Werner hatte seine Kochschürze abgelegt und extra seinen Hochzeitsanzug angezogen, in den er nach 16 Jahren Ehe immer noch rein passte. Ihre Eltern hatten erst nach ihrer Geburt geheiratet. Bettina, die nach vier Niederkünften nicht mehr ganz das Gewicht von einst halten konnte, trug ein schwarzes Cocktailkleid, eine hautfarbene dünne Feinstrumpfhose und rote Pumps. Giulia trug ein buntes, kurzes, luftiges Kleid, das sowohl vom Stoff als auch vom Blumenmuster her eher für den sizilianischen Sommer geeignet war als für den deutschen Winter. Aber sie hatte Annes Rat beherzt und eine schwarze Baumwollstrumpfhose darunter gezogen, die nicht so recht dazu passte, weil sie an den Fesseln und an den Knien einige Falten warf, aber sie erfüllte ihren Zweck. Die schwarzen Absatzschuhe ließen sie ein wenig größer wirken. Sie war so geschminkt, dass älter als 19 Jahre wirkte. Ihre Brüder trugen das, was sie sonst auch trugen – Jeans und Hoodies. Frederik verzichtete zur Feier des Tages auf seine Baseballkappe.
Nach der französischen Zwiebelsuppe hielt Werner eine kleine Dankes- und Liebesrede auf seine Frau, die es nach 23 Jahren Zusammensein immer noch mit ihm aushielt und verhindert habe, dass er nicht wieder nach Bremen zurückkehrte. Luisa plapperte immer wieder fröhlich dazwischen. Die Angesprochene errötete und lächelte ihn verschämt an. Seine Ansprache wollte kein Ende nehmen, aber Frederik unterbrach ihn mit einem „Du bist nicht bei Gericht, Du musst kein Plädoyer halten“. „Okay, Du hast recht. Ich freue mich, mit der besten Frau der Welt verheiratet zu sein und wünsche Euch, meinen Kindern, genauso viel Glück in der Liebe, wie ich es schon sehr lange habe.“ „Amen“, entgegnete Anton. Bettina bedankte sich für die „Wunderschönen Worte“ und gab ihrem Mann einen innigen Kuss. Den Rinderbraten in Portweinsauce mit selbst geschabten Spätzle ließen sich alle schmecken.
„Woher hast Du denn das schöne Kleid?“ Anne war in ihr Tiramisu vertieft und registrierte gar nicht, dass sie angesprochen war. „Anne?“ „Ach so. Das habe ich mit Billy diesen Sommer gekauft.“ „Das habe ich noch nie an Dir gesehen. Es steht Dir ausgezeichnet. Es betont auch Deine Weiblichkeit.“ Sie wusste nicht, was sie auf die Worte ihrer Mutter entgegnen sollte. „Ich hab’s auch heute zum ersten Mal an.“ „Nein, das steht Dir, wirklich! Oder findet Ihr nicht?“ Werner nickte, während er an seinem Rotwein nippte. „Deine Mutter hat wie immer Recht.“ „Und ich habe eine frische Jeans an“, warf Anton ein. „Auch das wissen wir sehr zu schätzen, mein Sohn“, bemühte sich der Vater, das anzuerkennen.
Es war schon spät am Abend, als Anne bemerkte, doch mehr als gewöhnlich getrunken zu haben. Giulia hatte zwischenzeitlich Luisa ins Bett gebracht und war nicht wieder gekommen, die Jungs spielten mit ihren Handys. Mit Alkohol hatte sie noch nicht viele Erfahrungen gemacht. Aber ihr Weinglas war immer wieder voll. Und der Grappa schmeckte ihr auch wesentlich besser als letztes Jahr. Das Menü war wieder rundum sehr gelungen, was den vor allem den leidenschaftlichen Koch erfreute. „Und nächstes Jahr gerne auch mit Freund, gell, Anne?“ „Zu Befehl, Papa!“ Am liebsten mit Max, dachte sie sich. „Wir bringen auch unsere Weiber mit“, ergänzte Frederik die sehr locker gewordene Runde, in der ihr Vater wieder einmal erzählte, wie er Bettina herumgekriegt hatte. Anne dachte wieder an Max. Das kurze Treffen mit ihm auf dem Weihnachtsmarkt hatte nachhaltig Eindruck bei ihr hinterlassen. Sie hätte ihm keine Bedeutung beigemessen, wenn Billy sie nicht auf ihn angesprochen und in ihr schmackhaft gemacht hätte. Aber jetzt? Trotz des Alkohols spürte sie ein leichtes Kribbeln.
„Ich räume noch die Spülmaschine ein“, säuselte die auch schon sehr angeheiterte Bettina, „sonst macht das morgen früh wieder alles Giulia.“ „Ich helfe Dir“, sekundierte ihre Tochter. „Hach, war das wieder schön“, schwärmte ihre Mutter ausgelassen, während sie grob für Ordnung in der Küche sorgten. Sie bliesen die verbliebenen Kerzen aus und gingen ihrer Wege.
In ihrem Zimmer spürte sie den Wein noch mehr. Etwas schwankend zog sie sich aus, die Kleider schmiss sie entgegen ihrer Gepflogenheiten auf den Boden. Die Strumpfhose ließ sie wie immer an, schnappte sich das auf dem Bett liegende Nachthemd und ließ sich dorthin fallen.
Autor: couchier (eingesandt via E-Mail)
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