Die Fußball-Jungs (6)
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Die Fußball-Jungs – Kapitel 6
Für Heike war der Samstag Nachmittag sehr produktiv gewesen. Die erste Ladung frisch gewaschene Wäsche, darunter das Bettzeug ihres großen Sohnes, hing zum Trocknen auf der Wäschespinne im Garten des Einfamilienhauses, der Rasen war fertig gemäht und auch die Terrasse hatte sie vom Unkraut in den Fugen befreit und gründlich gefegt. Jetzt war genau die richtige Zeit dafür: Ihr älterer Sohn Jonathan hatte im Ort ein Fußballspiel und Noah, ihr zweiter Sohn, war oben in seinem Zimmer beschäftigt. Zwar hatte sie ihm heute Morgen erst seinen geliebten Nintendo DS weggenommen, aber der achtjährige Wirbelwind kam auch gut ohne Spielekonsole aus. Die beiden Brüder hatten in der letzten Nacht eine Erkundungstour durch die verlassene Fabrik am Stadtrand gemacht und landeten schlussendlich auf der örtlichen Polizeiwache. Da musste es einfach Konsequenzen geben! Auch Jonathan war nicht ohne Strafe davon gekommen. Für ihn gab es zwei Wochen keine Playstation. Die bei den Kindern so begehrten Elektrogeräte hatte sie bereits in ihrem Schlafzimmerschrank verstaut. Gerade ihr zwölfjähriger Sohn verbrachte ihrer Meinung nach eh zu viel Zeit vor dem Bildschirm.
Doch ihr arbeitsreicher Tag fand ein jähes Ende, als der Jugendtrainer von Jonathans D-Jugend des örtlichen SV Fichtenwald sie auf ihrem Handy anrief. Die Nummer des Dreißigjährigen hatte sie eingespeichert, um ihren Sohn per SMS vom Training abmelden zu können. In knappen Worten erklärte er der Mutter seines Mittelfeldspielers, dass Jonathan von einem gegnerischen Spieler gefoult wurde und sich am Arm verletzt hatte. Sie sollte zum städtischen Krankenhaus kommen, da der Arm lieber untersucht werden sollte!
„Noah? Kommst du bitte? Wir müssen jetzt wirklich los!“, rief Heike aufgeregt ihrem achtjährigen Sohn vom Fuß der Treppe zu.
Der Grundschüler war noch im oberen Stockwerk auf der Toilette, wo er sich noch schnell seiner stibitzten Windel entledigen musste, bevor er zu seinem großen Bruder ins Krankenhaus fuhr. Während seine Mutter mit der Gartenarbeit beschäftigt gewesen war, hatte er einen alten Karton mit Babywindeln gefunden. Die passten ihm zwar nicht so gut wie die Pampers, mit denen ihn seine Mutter jeden Abend wickelte, aber sie gaben ihm ein wunderbares Gefühl von Sicherheit.
„Jahaaa!“, rief Noah und rannte die Holztreppe herab.
Routiniert schlüpfte er in seine Schuhe und zog die Klettverschlüsse stramm. Bei dem schönen Sommerwetter brauchte er keine Jacke und lief sogleich nach draußen zum VW Golf seiner alleinerziehenden Mutter. Auf der Rückbank des Familienautos lag wie eh und je sein Kindersitz auf der rechten Seite.
„Angeschnallt?“, fragte Heike als sie den Zündschlüssel umdrehte und der Motor aufbrummte. Im Rückspiegel sah sie den Lockenkopf nicken und fuhr aus der Einfahrt des Einfamilienhauses.
Am anderen Ende der Kleinstadt parkte der Jugendtrainer Maik gerade seinen BMW auf dem großen Parkplatz des Fichtenwalder Krankenhauses. Sein Beifahrer Jonathan wurde langsam sichtlich nervös. Er war zuletzt im Vorjahr hier gewesen, als seinem kleinen Bruder eine kleine Platzwunde am Kopf genäht werden musste. Noah hatte furchtbar geweint und hatte große Angst, wodurch auch Jonathan ein ungutes Gefühl mit dem Krankenhaus verband. Nun gingen ihm böse Vorahnungen durch den Kopf, was die Ärzte mit ihm anstellen würden. Zwar hatte der Zwölfjährige seine Angst vor Nadeln langsam abgelegt, jedoch war er nicht gerade scharf darauf Blut abgenommen zu bekommen. Hinzu kam noch die nasse Unterhose, die er unter seiner Fußballkleidung trug. Sie fühlte sich kalt und unangenehm an. Würden die Ärzte bemerken, dass er sich eingenässt hatte? Was würde Mama dazu sagen? Oh man, war das peinlich!
Lage mussten die beiden nicht auf Jonathans Mutter warten. Nach kurzer Wartezeit am Haupteingang des Krankenhauses kamen Heike und Noah zu dem verletzten Sportler, der sich immer noch den linken am eng an seinen Körper hielt.
„Mensch Jonathan, was machst du denn für Sachen?“, fragte Heike besorgt und musterte ihren Sohn voller Sorge.
„Der blöde Abwehrspieler hat mich einfach umgeholzt. Da bin ich voll auf den linken Arm gefallen.“
„Kannst du den bewegen, oder tut das zu doll weh?“
„Es geht schon, aber…“
„Wir gehen erst mal rein, Schatz.“, unterbrach ihn seine Mutter hektisch und wandte sich Maik zu, „Danke, dass du ihn hergefahren hast. Seine Sachen holen wir auf dem Rückweg im Vereinsheim ab.“
Der Jugendtrainer wünschte seinem Torschützen noch alles Gute und ging wieder zu seinem Sportwagen, während die dreiköpfige Familie die Klinik durch die verglaste Schiebetür betraten. Mit schnellen Schritten ging Heike voran zur Anmeldung, wo eine sichtlich schlecht gelaunte Krankenschwester vor einem Bildschirm saß und die zweifache Mutter zunächst kaum registrierte.
„Entschuldigung? Mein Sohn hatte einen Sportunfall und er müsste…“
„Versichertenkarte bitte!“, unterbrach die Frau sie barsch und streckte ihre Hand aus, ohne ihre stark geschminkten Augen vom Monitor abzuwenden.
Hektisch wühlte Heike in ihrer Handtasche nach dem großen Portemonnaie, in dem sie die Versichertenkarten ihrer Söhne aufbewahrte. Die Angestellte tippte Namen und Geburtsdatum ein und überflog die angezeigten Informationen. Nach ein paar Mausklicks und Tastatureingaben gab sie die Karte an Heike zurück und deutete auf den Wartebereich, wo für die Patienten Stühle und Zeitschriften bereitstanden.
„Bitte nehmen sie Platz! Wir rufen sie dann auf.“
Heike nahm sich eine der Zeitschriften, in denen es um Klatsch und Tratsch aus der Welt des europäischen Adels ging und setzte sich. Auch ihr beiden Söhne nahmen auf den Stühlen neben ihrer Mutter Platz. Noah schielte direkt zur Kinderspielecke voller interessanter Sachen, wo zwei Kinder in seinem Alter vor dem Maltisch im Schneidersitz saßen und sich die Wartezeit vertrieben.
„Mama, darf ich da malen?“, fragte Noah und war schon fast auf dem Weg zu den anderen Kindern.
„In Ordnung, aber sei bitte nicht so laut. Das ist ein Krankenhaus und kein Spielplatz, ja?“
Schnurstracks lief der kleine Wirbelwind zu den anderen Kindern an den quadratischen Tisch und schnappte sich Papier und Buntstifte. Sein Bruder sah kurz herüber zur Spielecke und versicherte sich, dass sein kleiner Bruder nicht mehr in Hörweite war. Nun konnte er seiner Mutter von seiner nassen Unterhose beichten, ohne das Noah davon mitbekam. Der kleine Nervzwerg durfte auf keinen Fall davon mitbekommen! Schlimm genug, dass er Mama einweihen musste und nicht einfach Zuhause trockene Kleidung anziehen konnte. Ohne das Foulspiel von diesem blöden Eichenhainer wäre er schon längst unter der Dusche und hätte die nassen Sachen irgendwie in die Waschmaschine schmuggeln können. Früher oder später würde Mama bemerken, dass er nicht trocken geblieben war.
„Du Mama?“, flüsterte Jonathan leise seiner Mutter ins Ohr, „Ich…ich hab da ein Problem.“
Heike schaute von der Zeitschrift auf und schaute ihren Sohn besorgt an.
„Problem? Was ist denn los, Großer? Werden die Schmerzen schlimmer?“
„Nein…das nicht.“, zögerte der Zwölfjährige kurz mit seiner Antwort, „Da ist beim Fußballspiel ein bisschen…Pipi in die Unterhose gegangen.“
Normalerweise hätte Jonathan nicht so einen kindischen Ausdruck für Urin verwendet, aber in diesem Moment war er einfach überfordert gewesen. Sein Arm tat höllisch weh, seine Hose war nass und er wollte einfach nur, dass es aufhört! Mit großen Augen sah er seine Mutter an. Heike seufzte leise. Ging das Thema jetzt auch bei Jonathan los? Bedauernd sah sie ihren großen Sohn, der beinahe schon ein Teenager war an:
„Da kümmern wir uns drum, wenn wir wieder zuhause sind. Jetzt müssen wir erst mal gucken was mit deinem Arm los ist.“
Es dauerte noch fast eine halbe Stunde, bis Jonathan von der unfreundlichen Frau an der Anmeldung aufgerufen wurde. Heike legte die Zeitschrift zurück zu den anderen und ging auf die Kinderspielecke zu.
„Noah, kommst du bitte? Dein Bruder ist jetzt dran.“
„Kann ich nicht hier warten, Mama?“, quengelte der Achtjährige, der gerade noch mit seinem Bild beschäftigt war. Mit den vielen Buntstiften hatte er seine Drachenritterburg gemalt und war aber noch längst nicht fertig damit.
„Nein, Schatz. Das geht nicht.“, winkte Heike den Jungen zu sich, „Musst du nochmal auf die Toilette?“
„Nö, muss nicht.“, winkte Noah ab und tapste zu seiner Mutter.
„Geh bitte trotzdem! Solche Untersuchungen können echt lange dauern und ich will nicht, dass wir heute noch eine nasse Hose haben!“
Noch bevor Heike bemerkte, dass sie sich verplappert hatte, machte Noah große Augen: „Noch eine? Hä? Aber ich hab doch heute noch gar nicht…“, der Grundschüler bekam große Augen, „Hat Jonathan etwa…“
„Nein, nein, nein. So hab ich das nicht gemeint!“, versuchte Heike die Situation zu retten.
„Jonathan hat sich in die Hose gemacht?“, fragte Noah etwas zu laut und bekam dafür prompt einen Tritt gegen sein Schienbein von seinem großen Bruder.
„Auaa!“, stöhnte der Grundschüler auf.
„Man Mamaaa! Sag das doch nicht ihm! Das ist voll peinlich!“, fuhr Jonathan seine Mutter gekränkt an. Er hatte extra darauf geachtet, dass der Zwerg nichts davon mitbekam und sie posaunte das einfach so raus. Noch bevor ein Wortgefecht zwischen den beiden entstehen konnte, griff Heike ein.
„Schluss jetzt! Nicht so laut. Das ist hier ein Krankenhaus und hier hat man leise zu sein. Du gehst jetzt sofort auf die Toilette, Noah. Keine Diskussion!“
Der tadelnde Blick einer vorbeigehenden Krankenschwester traf die zweifache Mutter. Sie wurde nicht gerne laut in der Öffentlichkeit, aber sie musste bei den Jungs eben manchmal härter durchgreifen, um nicht die Kontrolle über die Situation zu verlieren.
Mit angesäuerter Miene öffnete Noah die Tür zu den Toiletten. Er hasste es, wenn er so herumkommandiert wurde. Noah, mach dies! Noah, mach das! Geh ins Bett, Noah! Mach deine Hausaufgaben, Noah! Seitdem er ein Schulkind war, wurde Mama immer strenger zu ihm und lies ihm, seiner Meinung nach, immer weniger Freiräume. Im Kindergarten musste er weder langweilige Hausaufgaben machen, noch so etwas ekliges wie Brokkoli essen. Heute achtete seine Mutter sehr genau darauf, dass er auch das Gemüse auf seinem Teller aufaß und bei den Hausaufgaben, die ihn lange genug vom Spielen abhielten, verstand sie überhaupt keinen Spaß.
Die Herrentoilette war menschenleer und Noah begab sich in eine der Kabinen. Leise äffte er die Stimme seiner Mutter nach: „Du gehst jetzt sofort auf die Toilette, Noah.“
Nein, da hatte er nun einfach keine Lust drauf. Allein der Gedanke, dass er sich auf die Klobrille auf einer öffentlichen Toilette setzen musste, gab ihm eine Gänsehaut. Zwar war seine Blase schon wieder soweit gefüllt, dass ein Besuch auf dem stillen Örtchen Sinn gemacht hätte, aber das war ihm egal. Er sah sich kurz um und verließ nach einem Augenblick den Toilettenraum, wo Heike und Jonathan schon auf ihn warteten.
„Hast du deine Hände gewaschen, Schatz?“, fragte Mama.
Noah nickte nur stumm und hoffte, dass Mama das nicht kontrollieren würde. Aber dafür hatte Heike eh keine Zeit. Die dreiköpfige Familie wurde in einen Behandlungsraum geführt, wo Jonathan auf der Liege Platz nahm. In seinem Gesicht spiegelte sich seine Nervosität. Der hell erleuchtete Raum mit sanft-hellblauer Wandfarbe strahlte zwar eine gewisse Ruhe aus, aber der Zwölfjährige bekam langsam Herzklopfen. Hatte er sich vielleicht doch einen Knochenbruch zugezogen? Unruhig musterte Jonathan den Schreibtisch, auf dem ein moderner Flachbildschirm und ein dickes Buch mit dem Titel Kinderchirurgie Band II. Stand für ihn etwa doch eine Operation an, oder musste er etwa hier über Nacht bleiben? Die Gedanken rasten dem Siebtklässler durch den Kopf und ließen ihn seine nasse Unterhose völlig vergessen. Nach einigen Minuten Wartezeit betrat ein Mann in Heikes Alter das Behandlungszimmer. Der weiße Kittel verriet sofort, dass er ein Arzt war und die Halbglatze und seine Nickelbrille gaben ihm ein sehr akademisches Aussehen.
„Guten Tag, mein Name ist Dr. Hoffmann. Ich bin Unfallchirurg und soll mir einmal den Jonathan angucken. Das bist du?“
Mit einem milden Lächeln auf den Lippen ging der Arzt auf Jonathan zu und nahm auf einem Drehhocker Platz, den er mit den Füßen in Richtung der Liege rollte.
„Oh man, ein Unfall beim Fußball? Das tut echt weh. Hab ich in deinem Alter auch oft gehabt. Wie ist euer Spiel denn ausgegangen?“, fragte Dr. Hoffmann, um Jonathan die Situation angenehmer zu machen. Er wusste genau, wie er mit jungen Patienten umgehen musste.
„Wir haben 1:0 gewonnen und ich hab das Tor geschossen!“, berichtete Jonathan stolz und schaute den Chirurgen stolz an.
„Wow, sogar Torschütze! Na dann hoffen wir doch mal, dass deine Mannschaft nicht so lange auf dich verzichten muss. Zeig mir mal bitte, wo du die stärksten Schmerzen hast.“
Jonathan zeigte auf seinen linken Oberarm, ganz in der Nähe des Schultergelenkes. Der Doktor streifte sich weiße Einweghandschuhe über die Hände und tastete die Stelle vorsichtig ab.
„Beweg den Arm mal bitte vor und zurück. Geht das,oder tut es zu doll weh?“
Jonathan konnte den Arm zwar problemlos bewegen, aber sein Gesicht verriet, dass er es nicht ohne Schmerzen konnte.
„Okay, auf einer Skala von Eins bis Zehn. Wo befindet sich da der Schmerz?“
Der Angesprochene überlegte kurz, bevor er mit Sieben antwortete. Dr. Hoffmann rollte mit dem Drehhocker zum Schreibtisch und hackte wild auf die Tastatur ein.
„Patient klagt über Schmerzen im linken Arm. Leichte Schwellung, kein Anzeichen für offene Verletzung.“, murmelte er, während das laute Klacken der Tasten den Raum erfüllte, „Die Beweglichkeit ist nur leicht eingeschränkt, jedoch sind keine Deformitäten oder Anzeichen einer Fraktur sichtbar.“
Schwungvoll drehte der Chirurg sich zurück zu seinem kleinen Patienten und erklärte ihm das weitere Vorgehen.
„Also so wie es aussieht, ist das eine relativ harmlose Prellung. Die tut zwar saumäßig weh, ist aber nicht weiter schlimm, da sie von alleine abheilt. Du solltest den Arm kühlen und ruhig halten. Aber um ganz sicher zu sein, dass mit deinem Arm nichts schlimmeres ist, würde ich dich einmal hoch zu meinen Kollegen in die Radiologie schicken. Die machen ein Röntgenbild, damit wir uns deinen Knochen noch einmal zur Sicherheit genau ansehen können.“
Jonathan nickte und war erleichtert, dass sein Arm vermutlich nicht gebrochen und alles nur halb so schlimm war. Heike hatte noch ein paar kleine Fragen, die Dr. Hoffmann kompetent und schnell beantworten konnte und so fanden sich die Drei kurze Zeit später im Wartebereich der Radiologie ein.
„Mama, ich hab Durst!“, nörgelte Noah los,als Heike sich gerade auf einem der Stühle im Wartebereich hingesetzt hatte.
„Noah, ich hab nichts zu trinken dabei. Da musst du warten, bis wir zuhause sind.“
„Da eben war aber so ein großer Wassertank, wo man sich was holen kann.“
„Dann kommen wir da ja gleich wieder vorbei.“, seufzte Heike.
„Ich will aber jetzt!“, protestierte der Achtjährige. Langsam wurde der Ausflug mit der ewigen Warterei langweilig und er konnte einfach nicht mehr still dasitzen. Außerdem rächte sich nun seine Sturheit. Wäre er vor Jonathans Untersuchung auf die Toilette gegangen, wäre seine Blase jetzt nicht am Rande der Aufnahmekapazität! Aber er wollte ja nicht auf Mama hören und hatte nur so getan als ob er pinkeln war.
„Dann hol dir einen Becher.Wir warten aber hier, falls Jonathan gleich schon zum Röntgen kann.“
Noah nickte und sprang auf. Aber seine Mutter legte ihre Hand auf seine Schulter und schaute ihn ernst an: „Einen Becher, Noah. Nicht mehr, ja? Und du kommst dann sofort wieder hierher zurück.“
„Jaja Mama.“, lächelte der blonde Lockenkopf und rannte mit quietschenden Schuhsohlen los. Es tat gut, seinem Bewegungsdrang nachzugeben. So rückte der Fakt, dass er verdammt dringend Pipi musste wieder in den Hintergrund. Direkt nach dem Trinken würde er einfach schnell auf die Toilette gehen, ohne das Mama etwas davon mitbekam. Immerhin dachte sie, dass er das schon vorhin erledigt hatte. Mit schnellen Schritten lief Noah durch den hell erleuchteten Krankenhausflur, begegneten einigen Ärzten und Krankenpflegern und stoppte kurz darauf vor dem großen Wasserspender. Mit gierigen Fingern umklammerte er den Pappbecher, welchen er mit dem angenehm kühlen Wasser füllte, worauf eine riesige Luftblase im Tank des Wasserspenders emporstieg und ein lustiges Geräusch machte. Die Erfrischung tat wirklich gut, sodass der Achtjährige noch zwei weitere Becher voll Wasser leerte und ihn dann im bereitstehenden Mülleimer entsorgte. Ohne genau hinzusehen wollte er gerade zurück zu Mama und Jonathan laufen, da stieß er plötzlich mit einem silberglänzendem Materialwagen zusammen und konnte sich gerade noch so auf den Beinen halten.
„Vorsicht Kleiner!“, rief die Krankenschwester, die den Wagen manövrierte.
„Ich bin nicht klein!“, maulte Noah und brauchte einen Moment, bis er wieder bei sich war. Konnte diese blöde Kuh nicht besser aufpassen?
„Hier muss man immer aufmerksam sein und Acht geben.“, belehrte ihn die Krankenschwester, die einige Sachen aufsammelte, die bei der Kollision zwischen dem Wagen und dem lebhaften Grundschüler auf den Boden gefallen waren. Etwas fiel Noah direkt ins Auge. Es war eine rote Plastikverpackung mit der Aufschrift Pampers. Sie sah jedoch ganz anders aus als die, die Mama immer kaufte. Seine Pampers für die Nacht hatten eine türkise Verpackung und auch ein anderes Kind aufgedruckt. Geistesgegenwärtig entdeckte Noah den Gentleman in sich und griff nach der Packung, um so zu tun, als würde er der unachtsamen Ziege helfen.
„Das ist aber nett, junger Mann.“, lächelte die Frau entzückt, während Noah den Augenblick nutze, um die Pamperspackung genauer in Augenschein zu nehmen.
Die Krankenschwester streckte ihre Hand aus, doch Noah gab hr die Packung nicht direkt: „Junger Mann?“, bat sie ihn höflich, „Reichst du mir bitte die Hochziehwindeln?“, worauf Noah kirschrot im Gesicht wurde und die Plastikverpackung schnell an die Frau weitergab.
„H-Hochziehwindeln?“, fragte er skeptisch.
„Ja genau. Die sind für die älteren Kinder wie dich, die noch Windeln benötigen. Da muss man die nämlich nich wie ein Baby wickeln, sondern die können die Windel wie eine normale Unterhose anziehen.“, bekam Noah zu wissen.
„Ähhh, okay. Ich…ich muss jetzt aber zurück zu meiner Mama.“, verabschiedete sich der Grundschüler peinlich berührt und tapste den Gang entlang, wo seine Mutter und Jonathan gerade in den Röntgenraum hereingebeten wurden. Das er noch auf die Toilette wollte, hatte er angesichts des Beinahe-Zusammenstoßes und der roten Pamperspackung mit den ominösen Hochziehwindeln völlig vergessen.
Heike verzog eine Miene: „Wo bleibst du denn?! Wir warten auf dich, Noah!“
Etwas unsanft beförderte sie ihren Sohn in den Raum, wo Jonathan gerade eine dicke Bleischürze angelegt wurde.
„Fahren wir bald nach Hause?“, quengelte Noah.
„Bald, mein Schatz. Es dauert bestimmt nicht mehr lange.“, versuchte Heike ihren gelangweilten Sohn zu beschwichtigen. Hätte sie ihm doch nur ein Micky-Maus-Heft oder irgendetwas anderes zur Beschäftigung mitgenommen, dachte sie nun.
Nachdem die Röntgenbilder von Jonathans Arm fertig waren und sie noch einmal von Dr. Hoffmann begutachtet wurden, konnten die Drei endlich die Heimreise antreten. Die Aufnahme des Knochens hatte ergeben, dass kein Bruch vorlag und es sich bei Jonathans Verletzung tatsächlich um eine recht harmlose Prellung handelte. Der Arzt riet Heike, dass sie ihrem Sohn ein leichtes Schmerzmittel geben und den Arm heute kühlen sollte. Die Nachsorge konnte der Hausarzt übernehmen, wenn es nicht noch überraschenderweise schlimmer wurde. Der Zwölfjährige war heilfroh, dass er bei seinem Sportunfall noch einmal Glück gehabt hatte. Nicht auszudenken was das für ein bescheuerter Sommer geworden wäre, wenn er sich noch vor den Ferien den Arm gebrochen hätte! Und zuhause konnte er endlich seine Fußballklamotten und die nasse Unterhose ausziehen. So langsam bildete er sich sogar ein, dass man es riechen konnte, dass er eingepinkelt hatte. Er wollte einfach nur noch unter die Dusche und sich danach mit einer Tüte Chips vor dem Fernseher breit machen!
Seinem kleinen Bruder ging es langsam gar nicht mehr so gut:
Noahs Harndrang wurde nun langsam unerträglich! Warum hatte er nicht auf Mama gehört und war im Krankenhaus nicht auf die Toilette gegangen? Als er und die beiden anderen mit dem Fahrstuhl zurück ins Erdgeschoss fuhren, kniff der Achtjährige die Beine zusammen, da er es nun fast nicht mehr halten konnte. Durch die verspiegelte Wand der Fahrstuhlkabine konnte Heike natürlich sehen, dass sie vor der Heimfahrt noch dringend eine Toilettenpause einlegen mussten.
„Du hast eben mehr als einen Becher Wasser getrunken, oder?“, sah sie Noah mit tadelndem Blick an. Auch für sie war das ein anstrengender Ausflug gewesen und sie war froh, dass es für ihre Familie nun wieder nach Hause ging.
Noah war fiel zu sehr damit beschäftigt, sich nicht in die Hose zu machen. Daher versuchte er gar nicht erst zu widersprechen, sondern nickte nur schüchtern. Die Anzeige über der Tür zeigte in roten Lettern EG für Erdgeschoss an.
„Na dann hopp hopp! Ab aufs Klo, Noah!“, wies Heike ihren Sohn an, „Die Toiletten sind dort hinten beim Ausgang.“
Mit schnellen Schritten schlängelte sich Noah durch die vielen Menschen auf dem Flur. Seine Augen begannen zu tränen, da er fast sicher war, dass er es nicht mehr rechtzeitig zu den Toiletten schaffen würde. Um wenigsten ein bisschen besser mit dem Druck auf seiner Blase umzugehen, drückte er seine Hand in den Schritt. Als er es fast geschafft hatte und die Tür mit dem Piktogramm schon sehen konnte, merkte er, dass seine Hand langsam warm wurde. Sein Pipi floss einfach aus ihm heraus! Panik stieg in ihm auf. Mit einem lauten Knall stoß er die Toilettentür auf und stellte sich vor eines der Pissoirs. Erleichtert entleerte er den Rest seiner Blasenfüllung in das weiße Porzellanbecken. Nachdem er fertig war betrachtete er den Urinfleck auf seiner Hose. Kreisrund und etwa so groß wie ein Fußball erstreckte sich die dunkle Verfärbung über seine Oberschenkel. Da musste er es wohl mit einer seiner Ausreden versuchen, um einer Standpauke von Mama zu entgehen. Selbstbewusst stolzierte er hinaus auf den Flur, wo Mama und Jonathan auf ihn warteten.
„Der…der Wasserhahn ist kaputt. Das spritzt da so komisch raus und ist voll auf meiner Hose gelandet!“, versuchte Noah den Fleck zu erklären.
„Aha. Der Wasserhahn.“, schaute Heike skeptisch, „Und du bist ganz sicher, dass das kein Pipi ist?“
Der Grundschüler wurde rot. Seine Taktik war nicht aufgegangen. War die Ausrede so schlecht, dass Mama sie ihm nicht glaubte? Er schaute seiner Mutter ins Gesicht und bemerkte, dass sie für heute mit ihrer Geduld am Ende war.
„Ich…ich hab es nicht rechtzeitig zum Klo geschafft. Aber die Hose ist nur ein bisschen nass geworden.“, versuchte Noah das ganze etwas zu beschönigen.
Heike hätte Noah am liebsten hier jetzt eine saftige Predigt gehalten, aber sie entschied sich in Anbetracht der Uhrzeit dagegen. Es war nun wirklich Zeit nach Hause zu fahren. Genervt dachte an die nächste Ladung Wäsche, die aufgrund der Pipi-Unfälle ihrer Söhne auf sie wartete. Was war nur los? Musste sie den kleinen nun etwa auch tagsüber wieder wickeln? So häufig hatte er zuletzt in seiner Kindergartenzeit in die Hose gemacht.
Zuhause angekommen ging Jonathan direkt die Treppe hoch ins Badezimmer. Die lang ersehnte warme Dusche wartete auf ihn. Da musste nur noch schnell ein Handtuch her, damit er sich hinterher abtrocknen konnte. Also öffnete der Zwölfjährige den Badschrank und stutzte, als er neben dem Stapel mit weichen Handtüchern noch etwas seltsames sah. Ein kleines, weißes Paket, etwas größer wie eine Faust. Verwundert griff Jonathan danach und zog es aus dem Schrank. Die Oberfläche war mit einer Plastikfolie überzogen und fühlte sich sehr weich an. Bei genauerer Betrachtung sah er genau, worum es sich bei diesem Ding handelte: Eine Windel!
Aber keine von denen, die Noah immer trug. Es musste eine von den ganz alten gewesen sein, die er als Baby getragen hatte. Aber was machte die Windel hier im Schrank? Da konnte nur der Zwerg hinter stecken! Mit einem Grinsen im Gesicht schlich sich Jonathan in das chaotische Zimmer seines Bruders, wo dieser schon wieder mit seiner Ritterburg spielte und den Zwölfjährigen kaum bemerkte. Mit voller Wucht warf Jonathan die zusammengerollte Windel gegen Noahs Kopf, worauf dieser einen unglaublichen Schrecken bekam.
„Was ist das hier?“, fragte der große Bruder und sah, wie Noah kreidebleich wurde.
Autor: Spargeltarzan (eingesandt via E-Mail)
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Spannend!
De beiden Jungs werden sicher noch viel erleben 😀
Ich mag die Geschichte und freue mich immer auf einen neuen Teil. Bin gespannt wo die Geschichte noch hinwill. Noah wird wohl früher oder später wieder von seiner Mutter gewickelt werden, allerdings wirkt es momentan noch ein wenig out of character von ihr. Da sie das eigentlich nicht will. Ihm würde es sicherlich gefallen. Bei Jonathan dürfte der Weg zur Windel noch schwieriger werden
Vielen Dank für dein Lob!
Also Heike wird sich bald etwas überlegen müssen, wenn das mit den beiden Jungs so weiter geht 😀
Wirklich ein Super Cliffhanger. Bin gespannt auf das nächste Kapitel. 😀
Tja, da hat Noah mal wieder nicht aufgepasst und muss das irgendwie seinem Bruder erklären. Ich bin schon fleißig beim siebten Kapitel 😀
Schöne Geschichte, bitte mehr davon
Nette Geschichte mal sehen wie es weiter geht