Die Fußball-Jungs (7)
Dieser Eintrag ist Teil 7 von 8 der Serie Die Fußball-Jungs
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Die Fußball-Jungs – Kapitel 7
Nach dem turbulenten Samstag im örtlichen Krankenhaus kehrte langsam Ruhe ins Haus der dreiköpfigen Familie im Elsterweg ein. Nachdem Jonathan beim Fußballspiel gefoult wurde und auf den Arm gefallen war, hatte sich die Familie im Krankenhaus von Fichtenwald eingefunden, wo untersucht werden musste, ob der Arm gebrochen war. Glücklicherweise handelte es sich nur um eine Prellung, die zwar schmerzhaft war, aber von selbst gut verheilen konnte. Überglücklich, dass die bevorstehenden Sommerferien nicht von einem Knochenbruch verdorben wurden, hätte er fast vergessen, dass er seit dem Fußballspiel am Nachmittag in einer nasskalten Unterhose steckte. In der Halbzeitpause hatte er den Fleck bemerkt und noch gehofft, dass er einfach von alleine trocknet. Aber als einer der gegnerischen Spieler ihn gefoult hatte, konnte er in dem Moment seine Blase nicht unter Kontrolle halte und hatte nochmal einen ganzen Schwall Urin in die Hose gemacht!
Zwar hatte Mama sich vor seinem kleinen Bruder verplappert, sodass Noah davon erfahren hatte, aber der Nervzwerg hatte den Wasserspender auf dem Flur der Klinik so ausgiebig benutzt, dass er es nicht mehr rechtzeitig zur Toilette geschafft hatte und somit auch mit nasser Hose zurück gekommen war. Und natürlich hatte Mama sich sofort als sie nach Hause kamen darum gekümmert und Noah frische Kleidung angezogen. Als ob der Knirps das nicht selber konnte! Aber dem Kleinen wurde natürlich alles hinterhergetragen! Als Jonathan in seinem Alter war, hätte Mama ihn nicht so bemuttert. Er hätte damals garantiert zu hören bekommen, dass er kein Baby mehr war und doch bitte ein gutes Vorbild für seinen kleinen Bruder abgeben sollte. Einfach nur unfair!
Wenigstens hatte der kleine Dreikäsehoch nicht das Bad in Anspruch genommen, sondern war nach dem Klamotten-wechsel in sein Zimmer gegangen. So konnte Jonathan wenigstens in Ruhe duschen. Als er sich aus dem Badezimmerschrank ein Handtuch nehmen wollte, fiel sein Blick jedoch auf eine zusammengerollte Babywindel. Doch es war keine von den Dinger, die Noah nachts angezogen bekam, das war ja da Merkwürdige. Das Ding war außen aus Plastik wie eine Einkaufstüte! Hatte Mama diese Windel irgendwo gefunden? Aber sie hätte sie niemals so in den Badezimmerschrank gestopft. Hatte sich Noah etwa heimlich eine Pampers genommen? Warum? Irgendwas war hier faul, dachte der Zwölfjährige und hatte seinen Bruder sogleich unsanft konfrontiert, indem er ihm die Windel ohne Vorwarnung gegen den Kopf geworfen hatte. Nun blickte ihn sein kleiner Bruder mit blassem Gesicht an und und suchte scheinbar nach einer Antwort.
„Ähh…ähh…weiß nicht.“, stammelte der Achtjährige.
„Wo hast du die her?“, bohrte sein Bruder weiter, „Oder muss ich Mama fragen?“
In Noahs Gesicht spiegelten sich Angst und Scham. Mama war ohnehin schon schlecht gelaunt, da er schon wieder in die Hose gemacht hatte. Wenn sie jetzt auch noch erfahren würde, dass er in den Sachen hinter dem verbotenen Vorhang gewühlt hatte, dann gäbe es garantiert Fernsehverbot für ihn. Und das obwohl sie heute Morgen erst seinen Nintendo DS einkassiert hatte!
„Nein! Das ist…ich wollte nur…“, fieberhaft versuchte der Achtjährige eine glaubhafte Ausrede zu finden, „Ich hab die beim Spielen gefunden und…und da wollte ich gucken, ob die meinen Kuscheltieren passen.“
Jonathan lachte herzhaft: „Junge, wie alt bist du? Drei? Das ist doch voll babymäßig!“
„Ey, halt die Klappe!“, maulte Noah und blickte seinen Bruder mit zusammengekniffenen Augen an.
„Boah, du bist so ein Spielkind.“, feixte Jonathan und ging mit einem Grinsen im Gesicht zurück ins Bad.
Beschämt sammelte Noah die zusammengerollte Babywindel vom Boden auf und stopfte sie hektisch in eine der Schreibtischschubladen. Am frühen Nachmittag hatte ihm diese Windel ein so tolles Gefühl gegeben, als er sie heimlich angezogen hatte und in seine Playmobil-Welt abgetaucht war. Und jetzt wäre er fast in erste Schwierigkeiten deswegen geraten! Zum Glück gab sich Jonathan mit der Kuscheltier-Ausrede zufrieden und stellte keine weiteren Fragen. Schließlich war das für den Zwölfjährigen nichts abwegiges: Noah hatte schon im Kindergarten gerne seinen Plüschhund mit einer Pampers gewickelt und hatte großen Spaß dabei, ihn wie ein kleines Baby zu behandeln. Das war zwar schon viele Jahre her, aber der Grundschüler war immer noch genau so verspielt wie damals und hatte eine blühende Fantasie.
Bis zum Abendessen gingen die beiden Brüder getrennte Wege. Am Esstisch hielt Jonathan zum Glück die Klappe und erwähnte die gefundene Babywindel nicht. Nach dem gemeinsamen Abendessen studierte Heike das abgedruckte Fernsehprogramm in der Samstagsausgabe der Zeitung. Im ZDF sollte wie jeden Samstag ein Krimi gezeigt werden, auf Super RTL lief Ice Age und auf Arte konnte das anspruchsvollere Publikum einen alten französischen Liebesfilm sehen. Das war Heike natürlich hundertmal lieber, als einen weiteren Kinderfilm zu gucken, den Noah eh schon kannte.
„Jungs, wollt ihr heute Abend Fernsehen gucken, oder was habt ihr geplant?, fragte Heike ihre Söhne, als diese ihre Teller brav in die Spülmaschine räumten.
„Was kommt denn nachher?“, fragte Noah interessiert und nahm den letzten Schluck aus seinem Glas Apfelsaft.
„Ice Age kommt auf Super RTL. Aber da kommt auch so ein schöner Liebesfilm in schwarz-weiß. Den würde ich mir gerne ansehen.“
„Bäh, so richtig mit knutschen?“, Noah kicherte und streckte seine amüsiert Zunge raus.
„Ja, genau. Also nichts für Kinder.“, Heike wandte sich ihrem älteren Sohn zu, „Und du Jonathan? Guckst du bei dir im Zimmer?“
Eigentlich hätte er es nach so einem Tag verdient, das Abendprogramm am großen Fernseher im Wohnzimmer zu bestimmen. Schließlich tat sein Arm immer noch weh und der Nachmittag im Krankenhaus war sicher nicht das, was sich ein Zwölfjähriger unter einem gelungenem Samstag vorstellte.
„Ich guck mir Star Wars auf DVD an. Im Fernsehen läuft ja heute nur Mist. Kann ich mir die Chipstüte aus der Küche nehmen?“
Noah wurde hellhörig. Als kleine Naschkatze der Familie war keine Tüte Gummibärchen vor ihm sicher! Daher versuchte Heike gerade bei ihrem Jüngsten auf einen maßvollen Zuckerkonsum zu achten.
„Chips? Ich will auch!“, krähte der Achtjährige mit großen Augen.
Sein großer Bruder stöhnte genervt auf: „Die sind scharf, also schmecken die dir eh nicht.“
„Doch, tun sie wohl!“, protestierte Noah. Es war unfair, dass Jonathan Chips essen durfte und ihm nicht einmal etwas abgeben musste!
„Junge, das sind keine Pombären! Die sind nichts für kleine Jungs.“, grinste Jonathan und sah amüsiert zu, wie Noah vor Wut rot anlief und auffordert zu Mama herüberblickte.
Doch zu Jonathans Überraschung pflichtete sie ihm bei: „Noah, die sind wirklich etwas zu scharf für dich. Da würde dir nur der Mund weh tun.“
Noah stampfte wütend mit dem Fuß: „Das ist gemein!“
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht kramte Jonathan die schwarze Chipstüte mit der aufgedruckten roten Chilischote aus dem Küchenschrank und sah, wie sich sein kleiner Bruder angesäuert nach oben in sein Kinderzimmer verkrümelte. Noah hasste es, wenn er etwas nicht durfte, weil er noch zu klein war. Ihm war gar nicht bewusst, welche Vorteile das für ihn hatte. Im Gegensatz zu Jonathan musste er weder den Rasen mähen, noch den Müll raus bringen. Auch war Mama mit ihm oft nachsichtiger als mit seinem großen Bruder. Aber im Moment fühlte sich der Grundschüler einfach ungerecht behandelt.
Frustriert tapste Noah zum Regal mit den Hörspielkassetten und überlegte, welches Abenteuer der Teufelskicker er als nächstes hören sollte. Nach kurzem Grübeln griff er nach einer der grünen Hüllen und wechselte die Kassette aus. Als einen Augenblick später das vertraute Intro der Hörspielreihe über die fiktive Fußballmannschaft SV Blau-Gelb ertönte, wurde die Laune des Achtjährigen langsam besser und er widmete sich wieder seiner Ritterburg. Mittlerweile hatte sich auch der Krankenwagen von Playmobil mit dem leuchtenden Blaulicht in die spielerische Szenerie eingefunden und die kleinen Rettungssanitäter kamen den verletzten Rittern zur Hilfe. Nach und nach transportierte Noah die Patienten mit dem Krankenwagen ab. Einige jedoch ließ er jedoch auch von den Polizeifiguren abführen und ins Gefängnis bringen. Der Grundschüler war voll in seinem Element und versank vollkommen in seiner gemütlichen Kinderzimmerwelt. Nur das laute Knacken des Kassettenrekorders erinnerte ihn daran, die Kassette umzudrehen oder zu tauschen. Die Zeit verging wie im Flug. Der kuschelige Teppichboden, auf dem ohnehin dutzende Kuscheltiere, Micky-Maus-Hefte und andere Spielsachen herumlagen, war nun ein wahres Playmobil-Schlachtfeld geworden! Man musste höllisch aufpassen, dass man nicht auf eines der kleinen Plastikteile trat. Aber den Achtjährigen störte das nicht im geringsten! Er hatte es gern so. Wer brauchte schon Ordnung im Kinderzimmer?
Kurz vor halb Zehn öffnete Heike vorsichtig die Tür und fand ihren Sohn bäuchlings auf dem Teppich, mitten in einer polizeilichen Verfolgungsjagd.
„Noah, wie sieht es denn hier aus?“, schlug die zweifache Mutter die Hände über dem Kopf zusammen, „Hier kann man ja nirgendwo mehr hintreten.“
Der Bewohner des Chaoszimmers blickte auf und setzte eine unschuldige Miene auf. War jetzt wirklich schon Schlafenszeit? Mama hatte jedenfalls schon seine Pampers und die Penaten-Creme in der Hand.
„Mach mal bitte ein bisschen Platz hier, damit ich dich wickeln kann, Schatz.“, deutete Heike auf die vielen Spielsachen auf dem Boden und faltete die Windel auf.
„Du kannst mich doch auf dem Bett wickeln.“, nörgelte Noah. Er konnte doch jetzt nicht das spannende Polizei-Ritterburg-Abenteuer einfach zur Seite räumen! Aber Heike ließ nicht mit sich rede: „Nein, Noah.Ich kann hier kaum einen Schritt machen, ohne irgendwo drauf zu treten!“
Seufzend befolgte der blonde Lockenkopf die Bitte seiner Mutter und machte Platz auf dem Boden. Auch wenn das Kinderzimmer dadurch nicht weniger chaotisch aussah, immerhin konnte sich der Achtjährige jetzt auf den Teppich legen und sich die Jeans von den Beinen strampeln.
„Popo hoch.“, wies Heike ihren Sohn an und platzierte die Pampers unter ihm und cremte ihn ein.
Noahs drehte seinen Kopf und blickte zu seiner Ritterburg. Gerne hätte er heute noch länger damit gespielt, aber plötzlich merkte er, wie müde er eigentlich schon war. Er hielt sich die Hand vor den Mund und gähnte, als Mama gerade die Klebestreifen der Windel verschloss.
„Da muss aber jemand ins Bett.“, lachte Heike und holte einen frischen Schlafanzug mit dem Emblem der NASA aus dem Kleiderschrank, „Aber vorher gehst du noch Zähne putzen.“
Noah schlüpfte in seinen kurzen Schlafanzug und nickte stumm. Zum Glück hatte Mama ihn nicht noch einmal aufs Klo geschickt. Er merkte zwar, dass er eigentlich vor dem Schlafengehen noch einmal pullern gehen sollte, aber er wollte, dass die Windel am Morgen so richtig schön nass und aufgequollen war. Müde trabte er ins Badezimmer und griff nach seiner Zahnbürste, die auf der Ablage über dem Waschbecken stand. Die Windel an seinem Po raschelte und gab ihm wieder dieses super tolle Gefühl, das er auch heute Nachmittag hatte, als er sich heimlich die alte Windel mit der seltsamen Plastikoberfläche angezogen hatte. Ein Gefühl von Sicherheit. So als hätte er eine Rüstung angezogen, die ihn vor allem Schlimmen und Bösen beschützt!
Heike wartete im Flur zwischen Bad und Kinderzimmer darauf, dass Noah mit dem Zähneputzen fertig war. Ihre Gedanken kreisten um den alten Liebesfilm, den sie auf Arte gesehen hatte. Nach der Scheidung vom Vater der Jungs hatte sie nie einen neuen Partner kennengelernt. Das war allein zeitlich kaum möglich, wenn sie arbeiten und sich um die Kinder kümmern musste. Und wenn Frank, ihr Ex-Mann und der Papa von Jonathan und Noah, am Wochenende die Kinder zu Besuch hatte, dann waren da trotzdem noch so viele andere Sachen zu erledigen. Für eine neue Partnerschaft war in ihrem Leben gerade einfach kein Platz.
Nach einigen Minuten tapste der frisch gewickelte Grundschüler aus dem Badezimmer und wurde von Heike ins Bett gebracht. Sie konnte an seinem Gesicht erkennen, dass er hundemüde war.
„Gute Nacht, Mama. Hab dich lieb.“, hauchte Noah und kuschelte seinen Plüschhund an sich.
„Ich dich auch, Noah. Schlaf gut und träum was schönes.“, antwortete seine Mama und gab ihrem Sohn einen Gute-Nacht-Kuss. Heike schloss kurz ihre Augen. Als Alleinerziehende von zwei manchmal schwierigen Jungs hatte sie es nicht immer leicht, doch solche Momente machten alles wieder wett.
Im Zimmer nebenan hatte Jonathan es sich gemütlich gemacht. Seine Finger waren klebrig vom Fett der Kartoffelchips, auf dem Fernseher lief Star Wars Episode III und der Siebtklässler trug seine gemütliche Jogginghose und nicht mehr seine vollgepinkelten Fußballklamotten. Was war das bitte für ein seltsamer Tag gewesen? Erst die Standpauke von Mama, wegen dem nächtlichen Ausflug in die verlassene Fabrik, das Fußballspiel mit der blöden Verletzung und nassen Shorts und zur Krönung des Ganzen auch noch Noah, der sich heimlich Windeln für seine Kuscheltiere klaut. Jonathan konnte die dumpfe Stimme seiner Mutter aus dem Nebenzimmer hören. Vermutlich machte sie den Zwerg gerade fertig fürs Bett. Damals, als er selbst noch Grundschüler war und Noah ein frisch gebackenes Kindergartenkind, hatte sie für ihn nicht so viel Zeit gehabt. Papa war da schon ausgezogen und hatte sich in einer Einliegerwohnung auf dem Bauernhof seiner Eltern einquartiert. Für die beiden Brüder war es nicht einfach zu verstehen, dass Mama und Papa sich nicht mehr lieb hatte und sie von nun an ohne ihren Vater im Haus leben mussten. Natürlich hatte Jonathan mitbekommen, dass sich seine Eltern ständig stritten und Papa nur wenig zuhause war. Als selbstständiger Versicherungsmakler hatte er immer viel zu tun und musste seit eh und je viele Kundentermine wahrnehmen. Du bist ja nie da! Das hatte Mama ihm immer vorgeworfen, wenn er erst in den späten Abendstunden durch die Eingangstür trat. Eines Tages verkündeten die beiden, dass sie sich trennen würden und Papa auszog. Noah konnte das noch gar nicht richtig verstehen, doch Jonathan bekam wirklich Schwierigkeiten durch die Trennung. Er mochte kaum essen, zog sich in sein Zimmer zurück und weinte oft. Wenn Mama und Papa sich nicht mehr lieb hatte, hieß das etwa, dass sie ihn auch nicht mehr lieb hatten? Würde Papa jetzt ganz weit wegziehen und völlig aus seinem Leben verschwinden? Das waren die Fragen, die den kleinen Jonathan damals solchen Kummer bereiteten.
Heute kam er mit der Situation gut klar. Er hatte sich an den Rhythmus gewöhnt, dass er seinen Vater nur jedes zweite Wochenende sah. Auch wenn er über die Jahre einen gewissen Groll gegen seinen Vater hegte, da er im Nachhinein erfahren hatte, dass Papa eine Affäre mit seiner Sekretärin gehabt hatte und die Ehe seiner Eltern nicht nur wegen der vielen Arbeit auseinandergegangen war! Erwachsene konnten so bescheuert sein!
Auf dem Bildschirm rief Kanzler Palpetine gerade das erste galaktische Imperium aus, als Heike anklopfte und ihren Kopf durch die Tür steckte.
„Na Großer, was macht dein Arm?“, fragte sie mit ruhiger Stimme.
„Tut noch weh, aber die Schmerztablette wirkt.“, antwortete Jonathan und pausierte die DVD.
Heike nickte und schaute auf die leere Flasche Apfelschorle neben dem Bett ihres Sohne: „Geh aber bitte nochmal aufs Klo vor dem Schlafengehen, ja?“
„Boah Mama, ich bin doch kein kleines Kind mehr!“, protestierte Jonathan und rollte demonstrativ mit den Augen.
„Nicht das du wieder ins Bett machst, Großer.“
Jonathan schnaufte genervt und fluchte innerlich: „Jajaja, ist ja gut.“
„Dann schlaf gut und sei im Bad nachher bitte leise. Ich hab Noah gerade ins Bett gebracht.“
Der Zwölfjährige nickte: “Gute Nacht, Mama. Bis morgen.“
Um kurz nach 22 Uhr ging auch in Jonathans Zimmer das Licht aus und die nächtliche Ruhe kehrte nach den vielen Aufregungen des Tages in das Haus im Elsterweg ein. Den von Mama geforderten Gang zur Toilette viel aus, da er einfach zu erschöpft vom aufregenden Tag war. Die sternenklare Nacht hatte für den Siebtklässler wieder eine unangenehme Überraschung, als er am nächsten Morgen von seiner Mutter für das gemeinsame Sonntagsfrühstück geweckt wurde. Sein Bett, das Heike am vorherigen Morgen erst frisch bezogen hatte, war wieder einmal nass geworden!
Als der Zwölfjährige die Bettdecke wegzog, sah Heike den Urinfleck auf dem Bettlaken. Was war nur los mit dem Jungen? Im Gegensatz zu seinem Bruder hatte Jonathan doch so gut wie nie Probleme mit der Blase gehabt und war doch ohnehin schon viel zu alt, um wieder nachts einzunässen! Wie viele Ladungen nasser Bettwäsche sollte sie denn noch waschen? Was würde ihr Ex-Mann dazu sagen und vor allem: War mit ihrem Sohn gesundheitlich alles in Ordnung? Dutzende Fragen kreisten um den Kopf der besorgten Mutter.
„Ist schon okay, Großer. Ich kümmer mich drum.“, seufzte Heike und sah, wie sich ihr Sohn ins Badezimmer verkrümelte. Wie schon am vorherigen Morgen zog sie das nasse Bettzeug ab und lüftete das Zimmer. Irgendetwas stimmte nicht mit Jonathan! Lag es an der beginnenden Pubertät, dem Schulstress oder gab es für sein Bettnässen einen medizinischen Hintergrund? Heike fasste einen Entschluss, der ihrem Sohn vermutlich überhaupt nicht gefiel: Sie würde morgen mit ihm zum Kinderarzt gehen und zwar nicht nur für die Nachsorge von Jonathans geprelltem Arm, sondern auch wegen seines Problems mit dem Bettnässen! Laut dem Stundenplan, der in der Küche hing, hatte Jonathan Montags in den ersten beiden Stunden Sport. Da konnte er mit dem geprellten Arm sowieso nicht mitmachen und würde nur am Rand der Turnhalle sitzen. Da konnte sie genau so gut mit ihm zum Arzt fahren. Schließlich wollte sie der Sache auf den Grund gehen und Jonathan im Rahmen ihrer Möglichkeiten helfen. Noah hatte bei den regelmäßigen Untersuchungsterminen verschiedene Sachen, wie zum Beispiel den Sonne-Wolken-Kalender oder ein Pipi-Tagebuch als Hilfsmittel bekommen, was für ihn aber nicht wirklich funktionierte. Der Kleine war einfach zu quirlig für so etwas und hatte schon nach wenigen Tagen das Interesse verloren. Vielleicht konnte Jonathan damit mehr anfangen. Er war ja immerhin vier Jahre älter und immer schon um einiges reifer gewesen. Mit dem Gedanken im Hinterkopf ging Heike hinunter in die Küche, wo sich auch Jonathan nach einer ausgiebigen Dusche an den Frühstückstisch setzte, wo Noah noch im Schlafanzug und der nassen Nachtwindel saß und auf seinem Nutella-Brot herumkaute.
Im Gegensatz zu den beiden vorhergegangenen Tagen verlief der Sonntag ruhig für die dreiköpfige Familie. Heike konnte sich eine kleine Auszeit auf der Liege im Garten nehmen und ein gutes Buch genießen. Am Küchentisch saß Noah an den Mathehausaufgaben, die er natürlich wieder auf den letzten Drücker erledigen musste. Sein großer Bruder dagegen hatte einen entspannten Nachmittag vor dem Fernseher im Wohnzimmer. Mit dem geprellten Arm konnte er eh nichts anderes machen, als sich durch das Fernsehprogramm zu zappen. Am Abend sagte seine Mutter ihm beiläufig, dass sie ihn die ersten beiden Stunden Sport morgen abmelden würde, da sein Arm noch einmal kontrolliert werden musste.
„Geil, kann ich dann länger schlafen?“, strahlte Jonathan und sah seine Mutter erwartungsvoll an.
„Die Praxis von Dr. Vogel macht um Acht Uhr auf. Viel später als sonst kannst du also nicht aufstehen. Aber wir fahren ja mit dem Auto. Das geht schnell. Eine halbe Stunde länger als sonst kann ich dich schlafen lassen, Großer.“
Jonathan grinste und malte sich schon aus, wie sein kleiner Bruder früh aufstehen und zur Schule gehen musste, während er länger schlafen konnte und chauffiert wurde. Mit einem guten Gefühl legte er sich in sein frisch bezogenes Bett und schlummerte schnell ein.
Das helle Flutlicht ließ das vernebelte Stadion aufleuchten, die Fans auf den Tribünen feuerten ihre Mannschaften lautstark an und Jonathan befand sich in der Startaufstellung in diesem entscheidenden Spiel um die diesjährige Weltmeisterschaft in Südafrika. Das große Finale in Johannesburg vor über 80.000 Zuschauern! Leichtfüßig dribbelte der blonde Junge den Ball durch die viel größeren Gegenspieler hindurch, passte den Ball zu Bastian Schweinsteiger, seinem Mannschaftskollegen im weißen Trikot der Nationalmannschaft, der den Ball gekonnt annahm und weiter in Richtung Tor lief. Jonathan lief hinterher, überholte den Mittelfeldspieler, der ihm zunickte und ihm den Ball in den Lauf zurückpasste. Das war der entscheidende Moment! Mit aller Kraft schoss der Zwölfjährige den Ball ins Netz, ohne das der gegnerische Torwart auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte!
Die Menge tobte. Die anderen Spieler der Nationalmannschaft liefen jubelnd auf ihn zu und riefen seinen Namen. Mit einem Lächeln im Gesicht ließ sich Jonathan auf den Rasen im Johannesburger Stadion fallen und schnaufte erleichtert. Der Rasen war nass und fühlte sich warm an. Kurz darauf merkte er, dass sein Trikot und seine Shorts feucht wurden. Scheinbar hatte es kurz vor dem Spiel geregnet.
„Jonathan? Aufstehen, Großer, es ist schon fast Sieben Uhr!“, versuchte Heike ihren Sohn zum Aufwachen zu bewegen.
„Mamaaa, lass mich!“, maulte der Siebtklässler in sein Kopfkissen hinein. Er brauchte einen Moment, bis er realisierte, was er da gerade geträumt hatte. Der nasse Rasen auf dem Fußballfeld und die feucht gewordenen Sportklamotten? Das war kein Traum! Mit entsetztem Blick stellte Jonathan fest, dass er schon wieder ins Bett gemacht hatte. Das Bettlaken und sein Schlafanzug zierten ein deutlicher Fleck und auch der strenge Geruch von Urin lag in der Luft.
„Mama, ich…ich glaube…ich hab…“, stotterte Jonathan verschlafen und zog seine Bettdecke zur Seite, sodass seine Mutter sein nächtliches Malheur sehen konnte.
Heike seufzte: „Geh schnell unter die Dusche. Ich mach dir schnell Toast zum Frühstück.“
Niedergeschlagen verzog sich Jonathan ins Bad, während sich Heike um das Frühstück kümmerte und noch einmal Noahs Scout-Schulranzen kontrollierte. Der Grundschüler war ein wahrer Meister darin, sein Arbeitsheft für Mathe oder die Federtasche zu vergessen. Da musste Mama lieber noch einmal schauen, ob er wirklich alles für den Schultag eingepackt hatte.
Nachdem Noah auf dem Weg zur Schule war und Jonathan fertig geduscht und gefrühstückt hatte, stiegen der Siebtklässler und seine Mutter in den VW Golf und fuhren zur nahe gelegenen Arztpraxis. Der kleine Parkplatz war auch schon zu solch früher Stunde völlig überfüllt, sodass Heike nur mit Mühe und Not noch eine Parklücke entdeckte und gekonnt rückwärts einparkte.
Mit gemischten Gefühlen betrat die zweifache Mutter die Praxis und suchte in ihrer Handtasche nach dem Portmonee, um die Krankenkassenkarte ihres Sohne hervorzuholen. Sie hatte Jonathan ja noch nichts davon erzählt, dass sie mit dem Kinderarzt nicht nur über seinen verletzten Arm, sondern auch über das neuerliche Bettnässen sprechen wollte. Hätte sie ihn vorher eingeweiht, wäre er sicher nicht mitgekommen und es hätte einen fürchterlichen Streit gegeben. Der Tresen im Eingangsbereich wurde frei und Heike ging einen Schritt darauf zu.
Jonathan hatte die Hände in den Taschen und blickte sich gelangweilt um. Viel lieber wäre er jetzt mit seinen Klassenkameraden in der Sporthalle, wobei er sich dort genauso gelangweilt hätte. Mit seinem geprelltem Arm durfte er ja keinen Sport machen. Die Eingangstür wurde geöffnet und eine Frau in Heikes Alter betrat den Flur. Der Zwölfjährige erkannte sie sofort: Es war die Mutter seines Mitschülers Marlon, mit dem er in der fünften und sechsten Jahrgangsstufe in einer Klasse war. Jedoch hatte er letztes Jahr nach den Ferien Französisch statt Latein gewählt und war nun in der 7a. Einige male hatten sie sich damals verabredet, aber sich seit dem letzten Jahr aus den Augen verloren. Die Frau lächelte nett und stellte sich direkt hinter Jonathan und seine Mutter, die gerade der Sprechstundenhilfe erklärte, warum sie da waren: „Also mein Sohn hatte am Wochenende einen Unfall beim Fußball. Da müsste die Prellung noch einmal kontrolliert werden. Und er macht neuerdings nachts ins Bett. Das müssten wir auch einmal mit Dr. Vogel besprechen.“
Jonathan fühlte sich, als hätte ihn der Blitz getroffen! Ihm wurde schlagartig heiß und sein Gesicht wurde rot vor Wut.
„Man Mamaaa!“, schrie der Zwölfjährige erschüttert, „Das ist sooo peinlich!“ Oh Gott, hatte Mama das gerade wirklich laut gesagt? Vor der Sprechstundenhilfe und vor Marlons Mutter? Jonathan blickte seine Mama mit weit aufgerissenen Augen an. Das war doch sein Geheimnis! Niemand durfte davon erfahren.
Autor: Spargeltarzan | Eingesandt via Mail
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Schöne Fortsetzung 😊
Vielen Dank 🙂
Bin darauf gespannt wie es weiter geht, mit den 2 Jungs, und ob Jonathan jetzt immer Windeln tragen muss.
Es geht bald weiter. Der Kinderarzt kann der Familie sicher weiterhelfen 🙂
Mir gefällt die Geschichte wirklich gut. Das Erzähltempo ist genau richtig, die Charaktere sind gut gezeichnet, verhalten sich schlüssig und die Entwicklungsperspektive ist spannend. Dass es mit Jona und Noah zwei paralelle Storylines gibt, ist sehr gut gewählt finde ich und dass die beiden Kinder so unterschiedlich sind ist das Salz in der Suppe! 😀 Ich muss sagen, dass ich definitiv mehr Sympathie für Noah als für Jonathan hege! Jona wirkt für sein Alter schon reif und jugendlich, beinahe erwachsen. Was total realistisch ist für ein Trennungskind wie ihn. An Noahs Stelle würde ich sicherlich auch die Rolle des Nesthäkchen auskosten … 😀 Wobei er manchmal wirklich unerzogen ist, zum Beispiel als er die Sticker geklaut hat.
Auch wenn ich schon ein bisschen weiß wie es weitergeht (ich hoffe, das durfte ich verraten 🤫), bin ich trotzdem super gespannt und freue mich schon jetzt aufs nächste Kapitel! 😀
Dankeschön, freut mich sehr, dass dir die Charaktere gefallen. Noah ist ja mehr das sorglose Spielkind, dass von seinem großen Bruder dafür oft aufgezogen wird. Ich wage mal zu behaupten, dass da auch ein Fünkchen Neid mit im Spiel ist. Immerhin wurde Jonathan in dem Alter nicht so sehr bemuttert. Wobei der Kleine ja auch gerne seine Grenzen austestet 😀