Die Fußball-Jungs (9)
Dieser Eintrag ist Teil 9 von 9 der Serie Die Fußball-Jungs
Windelgeschichten.org präsentiert: Die Fußball-Jungs (9)
Am Lise-Meitner-Gymnasium hatte es gerade zur großen Pause geklingelt, als Jonathan von seiner Mutter auf dem Parkplatz der Schule abgesetzt wurde. Der Siebtklässler konnte aufgrund seines geprellten Arms nicht an den ersten beiden Stunden Sportunterricht teilnehmen und war daher zur Nachuntersuchung beim Kinderarzt gewesen. Jedoch ging es bei dem Termin nicht nur um seinen verletzten Arm, sondern auch darum, dass er in der letzten Zeit wieder nachts ins Bett machte. Zwar hatte Dr. Vogel versucht dem Zwölfjährigen Mut zu machen, aber trotzdem fühlte er sich verraten. Hätte Mama nicht einfach mit ihm darüber sprechen können, bevor sie das Ganze an die große Glocke hing? Er war doch kein kleines Kind mehr!
Mit seinem unverletzten Arm zog Jonathan genervt die schwere Eingangstür der Schule auf, wo auf dem Flur eine Gruppe Fünftklässler Fangen spielte und ein paar Oberstufenschüler zusammen standen und sich unterhielten. Für die Schüler der 7c stand jetzt eine Doppelstunde Erdkunde auf dem Plan. Montags waren sie dafür sogar im Erdkunderaum, der viele große Karten, einen Fernsehwagen und viele Atlanten bereitstellte. Der Raum lag im Erdgeschoss der Schule und hatte den Vorteil, dass man von dort aus schnell in der Mensa war und nicht lange in der Schlange anstehen musste. Jonathan hatte allerdings keinen Appetit und begab sich daher direkt seinen Mitschülern, die vor dem geschlossenen Erdkunderaum warteten.
„Da bist du ja, du Langschläfer!“, begrüßte Simon seinen besten Freund mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
„Hä? Wieso Langschläfer?“, fragte Jonathan verwundert und stellte seinen Rucksack ab.
„Du konntest doch locker bis eben pennen, während wir bei Herrn Meyer an dieser beschissenen Reckstange turnen mussten. Nach dem Foul am Samstag darfst du ja bestimmt erst mal keinen Sport machen.“
„Pfff, als ob!“, maulte Jonathan, „Meine Mutter war mit mir beim Arzt. Ihr müsst beim Fußball erst einmal ohne mich auskommen. Mindestens zwei Wochen.“
Simon schaute seinen Freund mitleidig an. Das war echt mies! Nicht nur, dass Jonathan vorerst beim Fußballtraining fehlen würde, auch wusste er, dass sein Kumpel ein wahnsinnig guter Torschütze war! Ohne ihn würde es ihm und den anderen Spielern vom SV Fichtenwald schwer fallen, mit Drei Punkten vom Platz zu gehen.
„Oh fuck! Ist dein Arm gebrochen?“
„Nö, nur geprellt. Tut aber trotzdem schweinemäßig weh!“, maulte Jonathan und setzte sich auf die Bank, „Sag mal…hast du zuhause doll Stress bekommen, wegen der Sache Freitagnacht?“
Simons Miene verdunkelte sich. Die beiden Freunde hatten sich am Freitag nachts hinausgeschlichen und waren in die alte, verlassene Schuhfabrik am Rande der Kleinstadt eingestiegen. Leider verlief die Aktion nicht wie geplant, da Jonathans achtjähriger Bruder Noah die beiden belauscht hatte und die Verfolgung aufgenommen hatte. Das Ende vom Lied war, dass der Wachmann alle drei Jungs ertappte und die Polizei rief. Und als wäre das alles noch nicht schlimm genug für den Zwölfjährigen hatte er sich auch noch vor Angst in die Hose gemacht wie ein Kleinkind. Seitdem machte er auch wieder nachts ins Bett, als ob dieser verhängnisvolle Abend eine Art Fluch auf ihn gelegt hatte. Mit großen Augen schaute Jonathan seinen Kumpel an.
„Also mein Vater ist am nächsten Tag richtig ausgerastet. Ich darf bis zu den Sommerferien nicht an den Computer und das Taschengeld ist auch gestrichen. Richtig mies.“
Jonathan nickte verständnisvoll. Auch er hatte von seiner Mutter eine Standpauke gehalten bekommen, die auch gleich seine Playstation für zwei Wochen einkassiert hatte.
Nachdem sich Simon für den Rest der großen Pause seinem Käsebrot widmete, ertönte die Klingel und kurz darauf wurde der Erdkunderaum von der Lehrerin aufgeschlossen. Simon und Jonathan nahmen ihre Plätze ein und es folgten Anderthalb Stunden Unterricht über die Polarregion, inklusive eines langatmigen Vortrags über den Permafrostboden und warum die Häuser darauf auf Stelzen gebaut werden. Immer wieder schaute Jonathan auf die Uhr an der Wand, aber der Zeiger schien still zu stehen. Er hatte absolut keinen Bock mehr auf den Monolog seiner Lehrerin und war froh, als Simon ihm vorsichtig auf die Schulter tippte.
„Bist du am Wochenende eigentlich hier, oder bei deinem Vater?“, flüsterte Simon in sein Ohr, „Weil…wenn das Wetter so gut bleibt, dann wollten Jasper und Milan zum See fahren. Wäre bestimmt richtig cool.“
„Boah, geile Idee! Aber warte mal…fuck! Am Wochenende bin ich bei meinem Vater in Wiesenblick.“, fluchte Jonathan.
Er war es gewohnt, dass er oft an den Wochenendaktivitäten seiner Freunde nicht teilnehmen konnte, da er im 30 Kilometer entfernten Dorf bei seinem Vater Frank war. Die Entfernung war einfach zu groß, um sich trotzdem mit den anderen Jungs zu treffen. Manchmal hatte er Glück und ein Auswärtsspiel stand in der Nähe des kleinen Kuhkaffs an, sodass er wenigstens mit seiner Mannschaft Zeit verbringen konnte.
Anders als sein kleiner Bruder war er nicht gerne in Wiesenblick. Einerseits war es dort furchtbar langweilig, da das Dorf lediglich um die 1.200 Einwohner zählte und andererseits war das Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Jonathan und Frank seit der Scheidung schwierig. Zwar versuchte Frank immer wieder durch großzügige Geschenke die Liebe seiner Söhne zu gewinnen, aber wenn es um Probleme, Sorgen oder Gefühle ging, dann war er seiner Vaterrolle kaum gewachsen! Noah konnte er mit den vielen Spielsachen vielleicht beeindrucken und seine Gunst gewinnen, aber Jonathan hatte das schon lange durchschaut! Schließlich war Mama diejenige, die wirklich immer für ihn da war, während sein Vater seit der Scheidung nur jedes zweite Wochenende Zeit für ihn und seinen kleinen Bruder hatte. Und selbst in diesen kurzen Zeitabschnitten brauchte sich Frank um nichts zu kümmern, da Oma ja da war, das Essen kochte, Einkaufen ging, Noah tröstete, wenn er sich wehgetan hatte oder ihm seine Nachtpampers anzog. Eben alles, was zuhause Mama ohne helfende Hand übernahm.
Als er über das anstehende Wochenende nachdachte zog sich kurzerhand Jonathans Magen zusammen und ihm wurde schlagartig heiß. Was würde sein Vater wohl sagen, wenn er dort auch wieder nachts ins Bett machen würde? Verdammt, das wäre eine Katastrophe!
„Schade, vielleicht ja wann anders.“, entgegnete Simon und spielte gelangweilt mit seinem Geodreieck herum.
Zuhause im Elsterweg hatte der achtjährige Noah den halben Vormittag in seinem Zimmer gespielt. Da er sich gleich zum Beginn der ersten Schulstunde in die Hose gemacht hatte und daher von seiner Mutter abgeholt werden musste, hatte er viel Zeit für die Spielsachen in seinem Kinderzimmer. Und das, obwohl er zuerst Schulaufgaben machen musste. Allerdings hatte der Junge mit den langen, blonden Locken nicht aus Versehen eingenässt. Zwar passierte das auch noch ziemlich oft und in der letzten Zeit noch häufiger, aber an diesem Montagmorgen hatte er den Pipi-Unfall mit voller Absicht herbeigeführt! Gerade versuchte seine Lehrerin Frau Schneider nämlich herauszufinden, wer letzte Woche den Fußballsticker von Thomas Müller von Maxi geklaut hatte. Da er selbst der Übeltäter war, hatte er keine andere Möglichkeit gesehen, als sich in die Hose zu pinkeln und so nach Hause geschickt zu werden. In soweit hatte der Plan des Achtjährigen funktioniert: Er war heil aus der Situation herausgekommen. Nur war er deswegen noch nicht aus dem Schneider. Seine Lehrerin hatte bei ihm zuhause angerufen und seine Mutter dazu befragt, die nun in seinem Kinderzimmer stand und wissen wollte, ob er etwas damit zu tun hatte.
„Iiiich?!“, versuchte der Grundschüler unschuldig zu wirken, „Das war ich nicht, Mama. Ganz ehrlich!“
In Wahrheit klebte der Aufkleber von Thomas Müller zusammen mit allen anderen Spielern der deutschen Nationalmannschaft in Noahs Stickeralbum. Endlich hatte er die deutsche Elf komplett und hatte die These seines Bruders entkräftet, dass er es nicht schaffen würde. Aber was nutzte ihm das jetzt? Angeben konnte er nun nicht mehr damit, ohne das es auffliegen würde!
„Zeig mir mal deine Aufkleber, bitte.“, entgegnete Heike skeptisch. Sie wusste genau, dass Noah es manchmal faustdick hinter den Ohren hatte, wobei ihr das Ganze doch etwas seltsam vorkam. Schließlich hatten Noah und Maxi nicht das beste Verhältnis zueinander. Die beiden kannten sich seit dem Kindergarten und spielten seit Jahren in der gleichen Juniorenmannschaft des SV Fichtenwald. Aber Freunde waren sie nie gewesen. Maxi konnte oft gemein sein und liebte es, andere Kinder zu ärgern. Gerade der achtjährige Noah war sehr empfänglich für seine Sticheleien und hatte ohnehin eine kurze Zündschnur. Vielleicht hatte Maxi deshalb ihren Sohn beschuldigt, ohne einen Beweis zu haben.
Noah rappelte sich auf und trottete langsam zum Schreibtisch, wo das Heft mit den Fußballstickern aufgeschlagen lag. Es hatte schon etliche Eselsohren und sah etwas ramponiert aus, da der Besitzer nicht gerade feinfühlig damit umging. Zögerlich griff Noah danach, während sein Herz raste. Gleich würde seine Mama wissen, dass er geklaut hatte. Dann wäre er in ihren Augen nicht nur ein Einbrecher, der in verlassene Fabriken einstieg, sondern auch ein Dieb! Würde er dann ins Gefängnis müssen, oder ins Kinderheim? Adrenalin flutete seinen Körper und unbemerkt,landete ein kleiner Schwall Pipi in seiner Unterhose. Der Achtjährige schluckte und reichte das Heft seiner Mutter, ohne sie anzusehen. Heike nahm es entgegen und blätterte darin. Ziellos suchte sie nach einem Sticker mit dem Namen Thomas Müller. Wie der Fußballer aussah wusste sie nicht. Noahs innere Anspannung wuchs immer weiter. Doch bevor sie überhaupt auf der richtigen Seite angekommen war, wurde sie von der Türklingel abgehalten.
„Ich geh kurz an die Tür.“, drückte Heike ihrem Sohn das Stickeralbum in die Hand und ging die Treppe hinunter, um die Haustür zu öffnen. Auf der Fußmatte stand Lukas, der Klassenkamerad von Noah mit den kastanienbraunen Haaren und der dicken Brille.
„Hallo Lukas, Möchtest du zu Noah?“, fragte die zweifache Mutter den Freund ihres Sohnes.
„Hallo Heike, kann Noah mit zum Bolzplatz?“
Der etwas schmächtige Junge hatte bereits einen Fußball unter dem Arm und ein großes Tetra-Pack Eistee in der Hand. Die Jungs aus der Kleinstadt trafen sich oft unter der Woche auf dem kleinen Bolzplatz.
„Noaaah? Lukas ist daaa!“, rief Heike nach oben und der Junge mit den blonden Locken kam die Treppe herunter geflitzt. Als er seinen Freund an der Haustür sah, wurde Heike durch das Klingeln ihres Handys überrascht. Das Display zeigte an, dass es sich um die Mutter ihres Ex-Mannes, die Oma der beiden Jungs handelte. Eilig holte sie das Mobiltelefon hervor und wendete sich noch einmal ihrem Sohn zu: „Zum Abendessen bist du aber wieder zuhause.“
Der ganze Trubel ließ die zweifache Mutter völlig vergessen, dass sie ja Noahs Sammelheft kontrollieren wollte.
Der Achtjährige nickte und schlüpfte in seine Schuhe. Die ausgetretenen Kangaroos mit Klettverschlüssen waren seiner Meinung nach viel besser als die blöden Sportschuhe mit Schnürsenkeln, die viele seiner Klassenkameraden zum Fußballspielen trugen. Er musste sich keine Sorgen machen über offene Schnürbänder zu stolpern und konnte sich voll auf den Ball konzentrieren. Als er in der Hocke die Klettverschlüsse seiner Schuhe zuzog, merkte er, dass seine Unterhose wieder einmal feucht war. Aber nach einem prüfenden Blick konnte der Grundschüler sicher sein, dass nur ein sehr kleiner Fleck auf seiner Hose zu sehen war, den er leicht mit dem T-Shirt verdecken konnte.
Auf dem kleinen Bolzplatz warteten schon eine Gruppe Grundschüler, die endlich mit dem Kicken anfangen wollten. Da Lukas derjenige war, der den Ball dabei hatte, mussten sie auf ihn warten und jagten sich gegenseitig über die Rasenfläche. Der Platz wurde im letzten Sommer von der Stadt mit neuen Toren ausgestattet und hatte an der Seite nun sogar Sitzbänke, wo Lukas seinen Eistee abstellte, bevor er die anderen Jungs auf sich aufmerksam machte:
„Okay Leute, wir spielen Vier gegen Vier. Der letzte Mann ist automatisch Torwart.“
Die Mannschaften waren schnell zusammengefunden. Noah und Lukas spielten zusammen mit zwei anderen Jungs gegen die anderen Vier. In der gegnerischen Mannschaft erblickte Noah auch seinen Klassenkameraden Maxi, der ihn skeptisch anschaute.
„Pass auf, nicht das du dir wieder in die Hose pisst!“, stichelte er gegen den Achtjährigen und streifte seine Torwarthandschuhe über. Als Torhüter der E-Jugend des SV Fichtenwald war sein Platz auf dem Spielfeld klar.
„Halt die Klappe, Maxi!“, zischte Noah genervt und machte sich bereit für den Anstoß.
Das Fußballspiel ging los und Lukas rannte los in Richtig des gegnerischen Tors. Noah blieb etwas auf Abstand, da die drei Feldspieler der anderen Mannschaft allesamt dem braunhaarigen Jungen hinterherliefen und er so eine gute Position für ein Passspiel von Lukas hatte. Sein Mitspieler erkannte die Chance und drosch den Ball zu Noah, der kurzerhand in den Sprint überging und von der rechten Seite einen gefährlichen Torschuss wagte! Jedoch konnte Maxi als erfahrener Keeper den Ball gekonnt mit seinen Fäusten abwehren und ließ sich ausgiebig von seinen Teamkameraden dafür feiern.
Nun war die andere Mannschaft an der Reihe und spielte den Ball durch schnelle Pässe geschickt über das Spielfeld. Noah versuchte sich den Angreifern in den Weg zu stellen, jedoch dribbelte der Spieler des gegnerischen Teams ihn aus, sodass Lukas als letzter Mann die Rolle des Torwarts übernehmen musste. Der Junge mit der dicken Brille breitete seine Arme aus und erwischte den Ball nur mit den Fingerspitzen, bevor er im Netz des Tors landete.
„Eins zu Null!“, rief der Torschütze begeistert und Lukas stampfte wütend auf den Boden. In der Mitte des Spielfeldes machte sich Noah für den Anstoß seiner Mannschaft bereit. Die Zeit verging wie im Flug. Nach und nach wurden noch mehrere Tore auf beiden Seiten erzielt, sodass es bald Drei zu Drei stand und die Kinder eine Pause einlegten. Schwer atmend trafen sich die Jungs am Rand des Bolzplatzes, wo Lukas gleich nach seinem Eistee griff und einen kräftigen Schluck aus dem Tetra-Pack nahm.
„Kann ich was von deinem Eistee abhaben? Hab nichts mit.“, fragte Noah seinen Teampartner und schaute ihm neidisch beim Trinken zu. Zuhause gab es immer nur Apfelsaft oder Schorle und nicht so etwas cooles wie Eistee oder Cola. Mama würde ihm nie erlauben so etwas zu trinken! Schließlich war er auch ohne Koffein ein kleiner Wirbelwind voller Energie.
„Klaro, hier nimm.“, nickte Lukas und reichte den Eistee weiter. Gierig trank der blonde Lockenkopf und war dabei so hektisch, dass er sein T-Shirt mit dem zuckerhaltigen Getränk bekleckerte.
„Ich geh kurz strullern.“, rief Lukas und flitzte zum Rand des Spielfeldes, wo alle Jungs immer zum Pinkeln hingingen.
„Geh lieber auch, Noah.“, schmunzelte Maxi hämisch, „Nicht, dass du schon wieder in die Hose machst!“
Noah wurde rot vor Wut: “Halt die Schnauze!“
Maxi war so ein Arschloch! Nur weil er ein Jahr älter und einen Kopf größer war als die anderen Kinder, führte er sich immer wie ein kleiner König auf. Aber er hatte Recht. Noah musste tatsächlich wieder dringend pullern. Also stellte er sich zu Lukas und strullerte ins Gebüsch. Jedoch war der Achtjährige etwas ungeschickt dabei und pinkelte versehentlich ein bisschen auf seine Hose.
„Ha! Du hast schon wieder eingepisst, Noah!“, rief Maxi amüsiert, als Lukas und Noah zurück zu den Anderen Jungs kamen.
„Hab ich gar nicht, du Idiot!“, schnaufte Noah und versuchte den Pipi-Fleck auf seiner Hose mit seinen Händen zu verbergen. Jetzt war er sogar rechtzeitig Pinkeln gegangen und hatte trotzdem einen verräterischen Fleck auf der Hose. So ein Mist!
„Doch, klar. Deine Hose ist voll nass.“, deutete der Torwart auf den Pipi-Fleck.
„Hä? Voll gar nicht, du Idiot! Das…das ist nur Eistee!“, log Noah. Er wollte weiterkicken und sich nicht mit diesem Blödmann streiten.
„Ist doch egal jetzt. Lasst uns weitermachen.“, versuchte Lukas zu schlichten.
Maxi machte einen großen Schritt auf Noah zu, sodass die beiden kaum noch eine Armlänge trennte. Das Funkeln in seinen Augen machte klar, dass er stinksauer war! Er hatte schon am Wochenende den Verdacht gehabt, dass Noah ihm den Fußballsticker geklaut hatte. Aber nachdem sich sein Klassenkamerad heute Morgen in die Hose gemacht hatte, als Frau Schneider die Sache klären wollte, war er sich sicher. Noah, dieser vorlaute Möchtegern-Teufelskicker, hatte ihn beklaut!
Jetzt schaute er seinem Verdächtigen tief in die Augen und setzte ein teuflisches Grinsen auf: Weißt du eigentlich, was ich mit demjenigen mache, der mir meinen Thomas Müller geklaut hat?“, bedrohlich baute sich Maxi vor dem Achtjährigen auf, „Den prügel ich windelweich! So doll, dass er nie wieder auch nur daran denkt einen Fußball in die Hand zu nehmen!“
Noah schluckte. Am liebsten wäre er einfach davongerannt. Maxi wusste es. Er hatte die ganze Sache durchschaut. Sein Blick wurde finster und Noah lief ein Schauer über den Rücken. Zu seinem Glück packte einer von Maxis Mitspielern seine Schulter und erinnerte den wütenden Torwart daran, dass sie weiterspielen wollten. So fielen über den Nachmittag noch viele Tore bis sich die kleine Gruppe Nachwuchsfußballer auflöste und alle den Heimweg zum Abendessen antraten.
Nach dem schmackhaften Abendessen hatte der Grundschüler in Windeseile sein Fußball-Sammelalbum in den Tiefen seiner großen Schreibtischschublade versteckt, bevor er sich auf die Couch im Wohnzimmer zurückzog. Er war froh, dass Mama die Sticker-Geschichte und das Telefonat mit seiner Lehrerin heute Vormittag nicht noch einmal zur Sprache gebracht hatte. Völlig ausgepowert und satt vom leckeren Nudelauflauf schaute er seine Lieblingscartoons und kam so auf andere Gedanken. Allerdings ging der Abend für den Achtjährigen viel zu schnell vorbei, da Mama bei der Schlafenszeit ihrer Söhne kein Pardon kannte.
„Noah, gehst du bitte noch einmal auf die Toilette, bevor ich dich wickel? Gleich ist Bettzeit.“, versuchte Heike wie jeden Abend ihren Sohn noch einmal aufs Klo zu schicken, während dieser wie gebannt auf den Fernseher starrte. Auf Super RTL kämpfte Kim Possible gegen ihren Erzrivalen in dessen Schurkenfestung und der Achtjährige hatte kaum registriert, dass seine Mama bereits mit einer Pampers, Penaten-Creme und seinem Schlafanzug neben den Sofa stand, auf dem er es sich bequem gemacht hatte.
„Ich muss nicht pullern, Mama!“, nörgelte der Junge mit den blonden Locken, ohne seinen Blick vom Bildschirm abzuwenden.
„Du hast nach dem Fußball heute so viel Apfelsaft getrunken, Noah. Da musst du garantiert nochmal auf die Toilette.“
„Aber es ist gerade so spannend, Mama!“, versuchte Noah noch etwas Fernsehzeit herauszuschlagen. Warum musste er immer genau dann aufs Klo, wenn gerade die aufregendste Stelle in der Fernsehserie kam? Würde Mama ihn einfach direkt nach dem Abendessen wickeln, könnte er völlig ungestört die Schlussminuten gucken und würde nichts verpassen. Zwar kam Noah oft genug um den abendlichen Toilettengang herum, aber häufig verpasste er wichtige Szenen seiner Lieblingsserien dadurch.
„Da wird jetzt nicht diskutiert. Wenn du dich beeilst, kannst du ja noch den Schluss sehen.“, beharrte Heike auf ihrem Standpunkt.
Genervt stand der Grundschüler vom Sofa auf und lief die Treppe hinauf ins Badezimmer. Er hatte absolut keine Lust jetzt aufs Klo zu gehen, obwohl er einen gewissen Druck verspürte. Aber es war doch eh egal, wenn doch sowieso alles von der Pampers aufgesaugt wurde. Warum wollte Mama dann unbedingt, dass er vor dem Schlafengehen nochmal pullern ging? In seinen Augen war das völlig unnötig. Lustlos hob er den Klodeckel hoch und schaute die Toilette skeptisch an. Warum mussten die Erwachsenen immer die Bestimmer sein? Noah wartete einen Moment ab, bevor er die Spülung betätigte und ohne den von Mama eingeforderten Toilettengang das Badezimmer verließ.
Im Wohnzimmer hatte Heike bereits die Windel aufgefaltet und wartete, dass Noah mit dem Toilettengang fertig war. Kurze Zeit später kam er die Treppe hinunter geflitzt und schmiss sich zu seiner Mutter auf die Couch.
„Nicht so hastig.“, lachte die zweifache Mama und zog ihrem Sohn die Hose aus.
„Och Noah, du hast ja schon wieder einen nasse Unterhose gehabt.“, stellte Heike fest, als sie den gelben Fleck auf der weißen Unterhose ihres Sohnes sah. Aber Noah war schon wieder völlig auf den Fernseher fixiert und nahm seine Mutter kaum war.
Behutsam hob Heike die Beine ihres Sohnes an und legte die Pampers darunter. Wie jeden Abend wurde Noah eingecremt, bevor die Klebestreifen fest an der Vorderseite der Babywindel befestigt wurden.
„Jetzt aber schnell noch Zähne putzen und ab ins Bett. Ich komme gleich zum Gute-Nacht-Sagen, Schatz.“, forderte Heike ihren Sohn auf, während sie ihm seine kurze NASA-Schlafanzughose anzog.
Müde schlurfte der Achtjährige die Holztreppe hinauf ins Badezimmer, wo er in Windeseile seiner Zahnhygiene nachkam. Wenn auch nicht für die vom Zahnarzt empfohlene Länge von mindestens Drei Minuten. Noah war einfach zu kaputt vom heutigen Tag! Das Kicken auf dem Bolzplatz mit den Jungs hatte nicht nur aufgeschürfte Knie, sondern auch einen völlig erschöpften Grundschüler zur Folge. So war es kaum verwunderlich, dass Noah dem Druck seiner Blase kaum noch standhalten konnte und sein warmer Urin langsam die frisch angelegte Babywindel flutete.
Eigentlich war der heutige Tag ja echt toll gewesen: Durch die nasse Hose zum Beginn der ersten Stunde hatte er quasi Schulfrei gehabt und konnte dadurch viel länger als sonst spielen und am Nachmittag hatte er unglaublich viel Spaß auf dem Fußballplatz. Aber die Sticheleien von Maxi und seine Andeutungen, dass er von Noahs Stickerdiebstal wusste, machten ihm Sorgen. Warum hatte er den Aufkleber bloß schon in seinem Album eingeklebt, anstatt ihn einfach zurück in Maxis Brotdose zu legen? Jetzt konnte er seinen Fehler nicht wieder rückgängig machen. Schließlich konnte man den Sticker nicht einfach mit einer Schere aus dem Album schneiden und ihn wieder irgendwo anders einkleben. Es war wirklich zum Haareraufen! Mama würde ihm vermutlich Fernsehverbot für den Rest des Jahres geben, wenn die Wahrheit ans Licht kommen würde und Maxi würde ihn auch noch verdreschen!
Noah betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Er hatte keine Antwort auf die Frage, wie er heil aus der Situation kommen würde. Und die Frage quälte ihn weiter. Nachdem Mama ihm den üblichen Gute-Nacht-Kuss und er in seinem gemütlichen Bett lag, kreisten die Gedanken weiter durch seinen Kopf. Er fand einfach keine Ruhe, obwohl er so müde von den aufregenden Geschehnissen des Tages war. Egal in welcher Position er im Bett lag, alles fühlte sich komisch an. Nicht einmal Tommy, sein über alles geliebter Plüschhund, beruhigte ihn genug, um endlich einzuschlafen. Nach über einer Stunde voller Grübeln und Überlegen faste er einen Entschluss: Wenn er sich schon nicht Mama anvertrauen konnte, dann musste er eben seinen großen Bruder um Rat fragen! Der war zwar immer ziemlich fies zu ihm, aber in schlimmen Situationen war er doch für ihn da. Zum Beispiel am Freitag in der alten Schuhfabrik, als Noah tierische Angst hatte, als der Wachmann das Gebäude betrat. Da hatte Jonathan ihn beschützt und ihm Mut gemacht. Bestimmt konnte er ihm auch mit dem geklauten Fußballsticker helfen.
Mit wackeligen Beinen stieg Noah aus seinem kuscheligen Bett und tapste mit Tommy im Arm hinüber und öffnete vorsichtig die Zimmertür seines großen Bruders. Es war stockdunkel und der Grundschüler konnte nur die Silhouette im Bett liegend erkennen.
„J-jonathan? Bist du noch wach?“, flüsterte er in den finsteren Raum.
„Was willst du?“, gähnte der Zwölfjährige, der schon kurz davor gewesen war einzuschlafen.
„Ich…ich kann nicht einschlafen.“, murmelte Noah und schloss die Zimmertür. Vorsichtig ging er näher zum Bett seines Bruders und hoffte, dass dieser ihn nicht sofort wieder im hohen Bogen hinauswerfen würde.
„Dann zähl Schafe oder so.“, grummelte Jonathan und drehte sich zur Wand, „Da kann ich auch nichts dran ändern.“
Einen Augenblick war Noah wie erstarrt. Jetzt musste er entweder seinem Bruder die ganze Geschichte erzählen und ihn um Hilfe bitten, oder die Fliege machen und wieder in sein Bett gehen! Der Achtjährige merkte, wie sich ein dicker Klos in seinem Hals bildete und ihm unwohl wurde. Würde Jonathan ihm Helfen? Oder würde er alles Mama sagen und ihn ans Messer liefern? Noah ballte seine kleinen Fäuste und nahm seinen ganzen Mut zusammen: „Ich…ich hab total Mist gebaut!“, winselte er kleinlaut, „Maxi macht mich fertig, wenn er das raus bekommt.“
Tränen liefen über seine Wangen und Jonathan knipste die Nachttischlampe an. Das Licht offenbarte einen furchtbar verängstigten und unglücklichen Noah, der seinen Kuschelhund an sich klammerte und gar nicht so frech und wild wie sonst wirkte.
„Hey, was ist denn los? Maxi? Der Torwart aus deiner Mannschaft?“, fragte der große Bruder etwas verwirrt und richtete sich in seinem Bett auf. Auffordernd klopfte er auf seine Matratze und machte etwas Platz für den weinenden Grundschüler. Noah setzte sich und blickte mit seinen feuchten Augen auf seinen Kuschelhund, der ihn schon sein ganzes Leben begleitet hatte.
„Ja, genau. Er will mich verprügeln!“, sprudelte Noah los, „Und deswegen muss ich irgendwie an einen Thomas Müller kommen, weil sonst merkt er, dass ich…“
Verwirrt unterbrach Jonathan seinen aufgebrachten kleinen Bruder: „Halt Stopp! Ich versteh nur Bahnhof! Was ist mit Thomas Müller?“
„Ich hab Maxi den Sticker von Thomas Müller geklaut. Und wenn er das rausbekommt, dann macht er mich fertig!“, schluchzte der Grundschüler und klammerte seinen Plüschhund noch fester an sich.
„Dann gib ihm den halt zurück und sag, dass es dir Leid tut. Ist doch halb so wild.“, gähnte Jonathan und wollte sich schon wieder hinlegen.
„Neiiin, dass geht nicht!“, entgegnete Noah, „Den hab ich schon in mein Stickeralbum geklebt.“
Jonathan rollte mit den Augen. Was hatte er auch anderes von seinem Bruder erwartet? War doch klar, dass der Nervzwerg ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken so etwas blödes tut. Aber jetzt, wo er weinend auf seiner Bettkante saß, tat ihm sein Bruder Leid. Er hatte scheinbar wirklich tierische Angst, dass Maxi ihm eine Tracht Prügel verpassen würde. Und auch wenn Jonathan oft genug selber kleine oder größere Streitereien mit Noah hatte, schmerzte ihn die Vorstellung, dass Maxi seinem kleinen Bruder wehtun würde.
„Fuck…okay…dann brauchen wir einen Plan, wie wir an einen anderen Thomas Müller herankommen!“
Autor: Spargeltarzan | Eingesandt via Formular
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