Die neue Mitschülerin (49)
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Kapitel 49: Starke Nachbeben
Der Schultag verlief ereignislos, wirklich auf die Inhalte konnte Anna sich allerdings nicht konzentrieren. Dass sie vor dem Wochenende bereits abwesend war und einiges verpasst hatte, machte es allerdings auch nicht gerade leichter, dem Schulstoff zu folgen. Ein Vorteil in der Oberstufe war definitiv, dass die wenigsten Lehrer einen zum Mitmachen in Unterrichtsgesprächen aufforderten, wenn man sich nicht meldete. So versuchte Anna, sich auf das zweifelsfrei anstehende Gespräch mit ihren Eltern mental vorzubereiten, was ihr aber nicht recht gelang. Immer, wenn sie glaubte, einen konstruktiven Gedankenfaden gegriffen zu haben, entschied sich ihr Gehirn doch dazu, einen Wortbeitrag der Lehrkraft oder eines Mitschülers aufzunehmen und zu versuchen, zu verarbeiten. So hatte sie am Ende der sechsten Stunde weder schulisch noch privat nennenswerte Fortschritte erzielt. Da Chris in der Mittagspause an einer AG teilnahm, verbrachte Anna ihre Pause mit Tamara, Pia und Noemi. Das bevorstehende Gespräch mit ihren Eltern war natürlich das dominierende Gesprächsthema, das begann, als Noemi, die von dem ganzen Trubel tatsächlich noch nichts mitbekommen hatte, nachfragte, ob bei Anna alles in Ordnung sei; sie mache einen abwesenden und unglücklichen Eindruck. Anna nahm diese Gelegenheit an, das gefühlt hundertste Mal die Geschehnisse der letzten Tage zusammenzufassen. Zwar war sie langsam müde, dies immer wieder zu tun, auf der anderen Seite würde es sicher nicht schaden, von Tamara und vor allem auch Noemi Anregungen zu kriegen, hielt sie doch letztere für die empathischste ihrer Freundinnen.
„Wow…deine Eltern haben dir Briefe unterschlagen und nie mit dir darüber geredet?“, fragte Noemi ungläubig. Anna nickte nur zögerlich. „Und was habt ihr gestern Abend gesprochen? Also, ich meine, du hast dich ja gestern Abend, als du wieder zu Hause warst, mit deinen Eltern unterhalten, oder?“, fuhr Noemi fort. Diesmal schüttelte Anna den Kopf.
„Anna!“, brachte Noemi leise, aber dennoch entrüstet hervor, „Du musst doch mit deinen Eltern darüber reden.“
Bisher hatte Anna nicht erwähnt, dass sie genau dies relativ bald vor hatte. Doch anstatt aufzuklären, entschied sie sich, so zu tun, als gehe sie auf Konfrontation. Einfach, weil sie interessierte, wie Noemi ihre Auffassung begründete: „Und warum muss ich das tun?“
Noemi blickte aufgrund des leicht genervt klingenden Tonfalls überrascht drein und brauchte einen Moment, um ihren Faden wieder zu finden. Offensichtlich hatte sie mit der Reaktion nicht gerechnet. Sie wich auf der Sitzbank ein Stückchen zurück, ehe es ihr gelang sich zu sammeln. „Warum du das tun musst? Also das sind doch immer noch deine Eltern, die dich sechzehn Jahre lang aufgezogen und geliebt haben, die dir das zum Leben gegeben haben, was du brauchtest.“, erklärte Noemi mit zögerlicher Stimme.
„Die Sache ist“, begann Anna und machte dabei eine beschwichtigende Geste, „das weiß ich. Aber auf der anderen Seite haben sie mich faktisch mein ganzes Leben lang belogen. Oder zumindest einen wichtigen Teil verschwiegen.“
„Hm…“, machte Tamara, die mit Noemi Blicke austauschte, „du weißt also im Moment nicht, was dein Herz und was dein Kopf jeweils wollen?“
„Ehm…ich denke, so könnte man das ausdrücken.“, erwiderte Anna. Ihr Verdutzen darüber, dass jemand so passende Worte fand, um ihre Gefühlslage zu beschreiben, bekam sie nur kaum aus der Stimme.
„Hast du mit deinen Eltern eigentlich irgendwas schon beredet? Also ich meine nicht ein hoffentlich klärendes Gespräch, sondern überhaupt irgendetwas, nach die ganze Sache, naja, aufgeflogen ist?“, fragte Noemi weiter. Anna schüttelte nur den Kopf und ließ Noemi für den Moment ratlos zurück. Doch glücklicherweise hatte Tamara einen Lösungsvorschlag parat: „Dann rede heute Abend mit ihnen. So weit du es aushältst. Denn deine Eltern haben ja auch eine halbe Woche Zeit gehabt, um darüber nachzudenken. Und so wie ich sie kennengelernt habe, glaube ich, dass sie auch Lösungen suchen, wie ihr als Familie wieder zusammenrücken könnt.“
„Ja ich weiß“, jammerte Anna fast, „ich weiß, dass ihr Recht habt. Aber ich wünschte, es wäre so einfach.“
„Wenn du ein Gespräch immer nur vor dir herschiebst, wird die ganze Sache auch nicht besser. Irgendwann musst du dich stellen“, warf Pia ein, die das ganze Gespräch über eher desinteressiert wirkte, aber dennoch das Fazit sprach. An diesem Punkt weiter zu diskutieren, erschien für keins der vier Mädchen gewinnbringend. Nicht gänzlich unzufrieden, aber auch mit dem Gefühl, in der Sache nicht nennenswert weitergekommen zu sein, gingen sie zum Nachmittagsunterricht. Noemi verabschiedete sich, die anderen drei blieben zusammen, da sie tatsächlich im gleichen Kurs waren.
Auch in dieser Stunde konnte Anna sich nicht wirklich konzentrieren und bekam nur Bruchstücke vom Unterricht mit. Das tat sie scheinbar mit solcher Ausstrahlung, dass Herr Grundmann, ihr Lehrer, sie in der Arbeitsphase ansprach, ob alles in Ordnung sei. Sie mache einen abwesenden Eindruck und so kenne er sie gar nicht. „Alles gut, danke“, antwortete Anna nur. Nachdem die neunzig Minuten endlich vorbei waren, gingen die Mädchen Richtung Ausgang. Anna blickte dabei auf ihr Handy und entdeckte eine Nachricht von Chris: „Hey, wir dürfen jetzt schon nach Hause gehen. Frau Berger muss wohl irgendwie dringend ihre Tochter aus der Kita holen. Nehme dann jetzt schon mal den Bus…“ – mit genauerem Blick stellte Anna fest, dass die Nachricht bereits vor 40 Minuten verschickt worden war. Etwas geknickt, nicht mit ihrem Freund gemeinsam den Bus nach Kleifelden nehmen zu können, folgte sie der zweitbesten Wahl für Gesellschaft: Tamara und Pia. Diese schlugen vor, noch nicht nach Hause zu gehen, sondern zunächst noch in den Stadtpark, wo am Wochenende – im Vergleich mit Großstädten arg verspätet – ein kleiner Weihnachtsmarkt eröffnet hatte. Da alle drei keine Hausaufgaben für Dienstag mehr zu erledigen hatten, oder, in Annas Fall, diesen aktuell nicht die angemessene Bedeutung beimaß, waren sie sich schnell einige, auf einen Glühwein zu den wenigen Buden zu gehen. Vorher gingen sie im Kreis, zu deren Mitte zwei Buden mit Getränken, ein Grillstand sowie drei Verkaufsstände von Weihnachtsschmuck, Handgeschnitztem und Gewürzen und verschiedenen Teesorten gerichtet waren. Doch lediglich die Teeauswahl hielt zumindest Tamara und Anna für mehr als wenige Sekunden in ihrem Bann. Beide Mädchen konnten schließlich nicht widerstehen, einen Teil ihres Taschengeldes für eine Lebkuchen-Orange-Ingwer-Teemischung auszugeben, während Pia sich bereits daran machte, für die drei einen Glühwein zu besorgen. Gerade stellte sie die Becher auf einem Stehtisch ab, als Anna und Tamara sie entdeckten und sich ebenfalls um den Tisch stellten. Pia zündete sich eine Zigarette an und bat Anna ebenfalls eine an, ehe sie der Höflichkeit halber fragte, ob sich ihre Freundinnen etwas gekauft hätten. In der nächsten Stunde ergab sich noch die Gelegenheit, dass auch Tamara und Anna jeweils eine Runde Glühwein zahlen konnten, ehe die Mädchen leicht angeheitert den Heimweg antraten. Anna spürte, dass sie sich durch die Kombination aus Alkohol und Nikotin bereiter, mutiger fühlte, das letztlich unausweichliche Gespräch mit ihren Eltern zu suchen. Als hätte sie eine telepathische Verbindung zu ihrem Freund aufgebaut, fragte dieser sie in diesem Moment, ob sie zu Hause sei und ob er zu ihr kommen solle. Diese Nachricht war der letzte Tropfen Entschlossenheit, den Anna brauchte. Pia und Tamara waren regelrecht schockiert, als Anna sich mit breiter Brust „bis Morgen“ verabschiedete und ankündigte, das Gespräch mit ihren Eltern suchen zu wollen. „Berichte dann, wie es gelaufen ist!“, wurde sie noch von den beiden anderen aufgefordert.
Wie es der Zufall will, trafen Anna und Chris auf dem Weg zum Hause Schneefeld aufeinander, umarmten sich zur Begrüßung und küssten sich. „Du schmeckst nach Glühwein und Zigaretten“, stellt Chris leicht mürrisch fest, was Anna bei ihrer genau dadurch gesteigerten Laune mit „Ja Überraschung. Ich war ja auf dem Weihnachtsmarkt, habe ich dir doch geschrieben“ kommentierte. Mit dem Glühwein hatte Chris keine Probleme, aber dass sie für seinen Geschmack vor allem in den letzten Tagen zu viel geraucht hatte, müsste er früher oder später ansprechen, konstatierte er, auch wenn er gewissermaßen nachvollziehen konnte, warum seine Freundin aktuell die ein oder andere Zigarette mehr von Pia annahm. Allerdings gab es erstmal wichtigere Gespräche.
Wie üblich begrüßte Nala die beiden freudig, als sie die Haustür öffneten. „Nicht jetzt“, stieß Anna ihre Hündin etwas unsanft bei Seite und schritt schnell die Treppe nach oben. So war es an Chris, Nala zu kraulen und zu versuchen, irgendwie weiter ins Haus vorzudringen. Allerdings kam in Gestalt von Monika bereits das nächste potenzielle Hindernis bei dieser Mission in den Flur.
„Habe ich doch richtig gehört, dass jemand gekommen ist. Hallo Chris.“, begrüßte sie den Freund ihrer Tochter, „ich nehme an, du hast keinen Schlüssel und Anna ist auch irgendwo?“
„Hallo Monika. Ja, Anna ist zügig nach oben gerannt. Sie kommt wohl vom Weihnachtsmarkt und da sie offenbar nicht nur einen Glühwein getrunken hat, vermute ich mal, dass sie dringend wo hin musste“, erwiderte Chris. Nur Sekunden, nachdem er ausgeredet hatte, bestätigte die Toilettenspülung, die von oben zu hören war, seine Vermutung.
„Okay. Kommt ihr dann gleich ins Wohnzimmer?“, fragte Monika.
„Denke schon“, antwortete Chris, während er nun wieder allein im Flur war und sich wieder Nala widmete. Kurze Zeit später kam Anna die Treppe herunter und musste nun ihrerseits der Hündin die Aufmerksamkeit schenken.
„Wollen wir?“, erkundigte sich Chris und deutete mit der Hand in Richtung der Tür, die zur Küche und zum Wohnzimmer führten. Anna nickte.
Alle Beteiligten waren überrascht, dass Anna ihre Mutter nicht mit Worten begrüßte, sondern nur auf sie zuging, sie umarmte und sie an sich drückte. Nicht weniger überfordert war Monika, als Anna unüberhörbar anfing, zu schluchzen. Fast schon hilfesuchend blickte sie zu Chris, der aber auch nur die Schultern zuckte. Etwa zwei Minuten dauerte es, bis Mutter und Tochter sich wieder voneinander lösten und Anna sich mit ihrem Pullover die Tränen aus dem Gesicht wischte. Schnell machten sich leichte Schwierigkeiten bemerkbar, das Gleichgewicht zu halten, sodass sie sich mit einer Hand am Tisch abstützen musste, um sich schließlich unfallfrei hinsetzen zu können.
„Holst du mir eine Cola aus dem Kühlschrank, Mama?“, fragte sie, nachdem sie sich wieder gesammelt hatte. Erstaunt über die Selbstverständlichkeit der Anrede brauchte Monika einen Moment, ehe sie „Ja“ antwortete und das gewünschte Getränk aus dem Kühlschrank holte – in zweifacher Ausfertigung, nachdem sie Chris wortlos fragte, ob sie ihm auch eine Cola anbieten könne und dieser nickte. Er saß bereits am Tisch, als Annas Mutter mit den Getränken in der Hand dazu kam und sich ebenfalls setzte.
Schweigen, das irgendwo auf der Skala zwischen betreten und peinlich zu verorten war, folgte; niemand schien so richtig zu wissen, wie er oder sie das Gespräch beginnen könnte. Schließlich war es Monika: „Anna…ich bin über deine Begrüßung doch überrascht. Also, nicht falsch verstehen, ich freue mich sehr, ich habe nur nicht damit gerechnet.“
„Ich…naja…ich“, begann Anna, die sich ein wenig beruhigt hatte, nun wieder zu schluchzen, „ich…ich habe am Wochenende real…realisiert, was ihr in den letzten sechzehn Jahren für mich gemacht habt.“
„Das freut mich zu hören. Wirklich“, lächelte Monika zufrieden ob dieser Wertschätzung, „und ich muss mich bei dir entschuldigen. Anna, wie bereits gesagt, wir dachten, das beste ist es, deine leibliche Mutter deine leibliche Mutter sein zu lassen. Zu glauben, wir könnten diesen Teil deiner Vergangenheit einfach nicht beachten…ihn einfach ignorieren und so tun, als hätte es ihn nie gegeben…das war falsch von uns. Ich weiß nicht, ob du uns verstehen kannst, aber ich hoffe, dass du uns irgendwann verzeihen kannst. Magst du mir fürs Erste vielleicht vom Wochenende erzählen?“
Das Gedankenkarussell in Annas Kopf begann sich zu drehen. Eine Weile brauchte sie, um zu realisieren, dass sie richtig gehört hatte – ihre Mutter hatte sich aufrichtig entschuldigt. Auch wenn die Ereignisse immer noch schwer zu verdauen waren. Und sich das Unterschlagen der Briefe noch immer wie Verrat anfühlte. Ihre Mutter hatte sich entschuldigt. Als sie gerade zur Antwort ansetzen sollte, spürte sei einen Kloß im Hals, der dafür sorgte, dass nur ein leises, unverständliches Krächzen aus ihr hervorkam. Sie griff zur Cola und während sie einen Schluck trank, legte Chris seine Hand auf ihre andere Hand, die auf dem Tisch lag. Er kommentierte und schlug vor: „Das hört sich doch nach einem guten Vorschlag von deiner Mutter an. Magst du dich vielleicht kurz sammeln und vielleicht sogar warten, bis dein Vater da ist? Also“, fuhr er nun an Monika gerichtet weiter, „ich denke, er kommt doch gleich sicherlich, oder?“
„Sollte er, ja“, antwortete diese knapp, während Anna nickte, „ok, dann sammel dich kurz, Schatz. Dann kann ich mich weiter ums Essen kümmern.
Kurze Zeit später kam Rudolf nach Hause. Das Klicken der Schlüssel gepaart mit der zur Haustür stürmenden Hündin ließen hieran keine Zweifel. Mit Nala im Schlepptau betrat er die Küche und hatte offenbar nicht mit der sich ihm bietenden Szenerie gerechnet.
„Hab ich was verpasst?“, fragte er deshalb, ehe er, ähnlich wie seine Frau zuvor, von einer Anna, die sich in seine Arme warf, im doppelten Sinne überrumpelt.
„Offensichtlich“, kommentierte er schließlich, als er sich, befreit von seiner Tochter, setzen konnte, „also, ich freue mich über die Begrüßung. Erwartet habe ich sie nicht.“
„Das durfte ich auch bereits feststellen“, erklärte seine Frau und fuhr fort: „Ich hatte Anna zuletzt gefragt, ob sie vom Wochenende erzählen wolle. Chris meinte, es sei besser, auf dich zu warten.“ Mit diesen Worten blickte sie Anna erwartungsvoll an und gab sich dabei offenbar vergebens Mühe, dies zu verbergen.
„Also…es war verdammt viel…in verdammt kurzer Zeit…“, begann Anna zögerlich.
„Das glaube ich sofort“, zeigte Rudolf sein Verständnis, „nimm dir die Zeit, die du brauchst.“
„Nun ja…also meine leibliche Mutter ist…naja, ich kann ein wenig verstehen, warum ihr nicht wolltet, dass ich Kontakt zu ihr habe. Aber ich finde sie total cool. Sie hat mir von ihrer düsteren Vergangenheit erzählt, aber auch, dass sie ihr Leben in den Griff bekommen hat und geregelt hat.“, begann Anna ihre Eindrücke vom Wochenende zu erzählen.
„Das ist schön zu hören. Magst du das ein wenig ausführlicher erzählen?“, hakte Rudolf nach.
„Nein. Weil ich schon gar nicht weiß, ob sie damit einverstanden wäre. In Kurzform: Das, was ihr mir vor dem Wochenende erzählt habt, hat sie im Wesentlichen so bestätigt. Und halt noch ein paar Details ergänzt.“, antwortete Anna. Bereit, die doch sehr persönlichen Informationen an Dritte weiterzugeben, war sie definitiv nicht.
„Hast du dann auch eingesehen, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben?“, fragte Rudolf.
Diese Äußerung brachte Anna auf die Palme: „Was soll das denn schon wieder heißen? Da steckt doch wieder Herablassung drin in deinen Worten! Ob die Entscheidung richtig war, mich zu adoptieren, weil meine Mutter nicht hätte für mich sorgen können!? Vermutlich, aber das Gegenteil kann man ja auch schlecht überprüfen, oder? Oder meinst du die Briefe zu unterschlagen? Definitiv nein.“ Rudolf setzte gerade an, Anna zu ermahnen, wurde aber von Monika gebremst, die ihre Hand auf die ihres Mannes legte und ihn damit zu beruhigen versuchte. Tatsächlich sprang sie ihrer Tochter bei: „Rudolf, Schatz, manchmal kannst du dir wirklich Mühe geben, empathischer zu sein.“
„Ist ja schon gut, entschuldige bitte“, entgegnete dieser kleinlaut, als er merkte, dass er im Zweifel allein gegen drei wäre. Er fuhr fort: „Anna, ich bin dir ohnehin noch eine weitere Entschuldigung schuldig. Das Unterschlagen der Briefe war falsch von uns. Zumindest so lange. Wir hätten das Gespräch mit dir schon früher suchen sollen und schauen, was du möchtest. In diesem Punkt haben wir denke ich lange übersehen, dass du eigentlich schon immer sehr reif für dein Alter warst.“
„Danke Papa“, antwortete Anna mit leichtem Nuscheln – und ergänzte mit tränenunterdrückte Stimme: „Das bedeutet mir viel.“
„Hast du dir eigentlich Gedanken gemacht, wie…naja, wie es weiter gehen soll?“, fragte Maria nach einem Moment des Schweigens an Anna gerichtet, nicht sicher, ob sie die passenden Worte gefunden hatte und ob es diese überhaupt gab in dieser Situation.
„Naja…viel Auswahl hätte ich ja ohnehin nicht, oder?“, antwortete diese mit einem Hauch von Zynismus in der Stimme.
„Also, ich glaube, was deine Mutter meint“, brachte Chris sich nun auch ein, „ist nicht, wo dein Leben weiter geht, sondern wie es hier weiter geht. Und vielleicht, wie du den Kontakt zu Sonja regeln kannst.“
„Das ergibt deutlich mehr Sinn als mein erster Gedanke“, antwortete seine Freundin, „sorry, ich bin immer noch ganz durcheinander. Gefühlt durchlaufe ich spätestens alle paar Minuten die Phasen der Trauer.“
„Das ist doch ganz verständlich, Schatz“, beschwichtigte Maria Anna, „Ich auf jeden Fall wünsche mir, dass sich das Verhältnis, das wir bisher hatten, möglichst wiederherstellt. Auch wenn mir klar ist, dass das vielleicht nicht zu einhundert Prozent möglich sein wird. Aber natürlich darfst – und sollst – du hier weiter wohnen bleiben und wir geben uns die beste Mühe, die Eltern für dich zu sein, die du wünschst. Und wenn das mal nicht geht, dann sind wir die Eltern, die du brauchst.“
Eine Antwort darauf brachte Anna nicht zustande. Es klang einleuchtend, und wenn sie in ihr Innerstes hörte, entsprach dies durchaus auch ihren Wünschen. Ob es vielleicht einfach Zeit brauchte, die entstandenen Wunden heilen zu lassen?
„Wir möchten dir ein Angebot unterbreiten“, begann Rudolf, „deine Mutter und ich haben am Wochenende natürlich auch viel miteinander geredet und diskutiert. Wie ich eben schon sagte, bist du alt und reif genug, in dieser Hinsicht deine eigenen Entscheidungen zu treffen. Wenn du Kontakt zu deiner leiblichen Mutter möchtest, dann werden wir dir das nicht verbieten. Wenn du dir nicht sicher bist, nimm dir die Zeit, die du brauchst. Wenn wir dir mir Rat beiseite stehen können, dann tun wir das.“ – Bei diesen Worten stand Anna auf und umarmte wie schon zur Begrüßung ihre Eltern nacheinander und gab sich dabei keine nennenswerte Mühe, ihre Tränen zu unterdrücken. „Danke“, hauchte sie jeweils.
„Eine Frage habe ich…“, ergriff Anna mit schüchterner Stimme die Gesprächsinitiative.
„Was denn?“, fragten Monika und Rudolf zeitgleich und lächelten dabei.
„Darf ich meine leibliche Mutter an Weihnachten zu uns einladen? Sie hat keine eigene Familie und wäre sonst an den Feiertagen alleine.“, fragte Anna zur Überraschung der anderen drei.
Autor: Theseus (eingesandt via E-Mail)
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