Die Verwandlung (16)
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Day 20 – Saturday is Fun-day!
Was bisher geschah:
Wir schreiben den Sommer des Jahres 2019. Sonnencreme, Freibad und Hitze. So konnte man den Beginn der Sommerferien des zwölfjährigen Finns wohl prägnant zusammenfassen. Aber das war nicht das, was während dieser Ferien alles im Leben des sonst so coolen und selbstständigen Noch-Sechstklässlers verändern würde. Finn, der sein ganzes Leben schon eine Zuneigung zu Windeln besaß, hatte es geschafft, wieder in den Genuss der weißen Knisterdinger zu kommen: Angefangen hatte es wie in einer klischeehaften Windelgeschichte – Finn hatte nachts wieder angefangen ins Bett zu machen. Seine Eltern hatten im irgendwann Pullup-Bettnässerhöschen besorgt und Finn wähnte sich schon am Ziel seiner Träume. Seit einer Woche machte er nun auch Tagsüber öfters in die Hose, hatte zuletzt auf vorsichtiges bitten seiner Mutter sogar bei einem Tagesausflug einen seiner Pullups als sogenanntes Notfallhöschen angezogen. Als wäre all das nicht schon Umstellung genug, findet Finn inmitten der besonders ereignislosen Sommerferien des Jahres 2019 noch zwei neue Freunde: Das fünfjährige Windelkind Paul, welches auf seine Art irgendwie genau das ist, was Finn eigentlich schon immer sein wollte. Und den zehnjährigen Yannik, mit dem er eigentlich schon seit zwei Jahren in dieselbe Klasse gehen, den dort alle nur „Spielkind“ nennen und von dem er jetzt erst bemerkt, wie viel Spaß das spielen mit ihm macht!
Wäre Finns Leben eine Bühne, dann schlossen sich im Sommer 2019 wohl grade die Vorhänge, um das Ende des ersten Aktes, seiner Kindheit, zu besiegeln. Der zweite Part stand in den Startlöchern, alle machten sich bereit: Finns Teenager-Zeit. Doch der Hauptdarsteller des ersten Aktes hatte es sich anders überlegt: Hier war noch gar nichts vorbei!
Das erste, was am nächsten Morgen zu Finns Ohren drang, war das penetrante Krähen eines Hahnes. Immerzu krächtzte das Federtier, als versuchte es einzufordern das nun, wo es selbst aufgewacht war, gefälligst auch alle anderen wach zu werden hatten. Müde blinzelte der Zwölfjährige mit den Augen und sah sich hektisch und orientierungslos um. Hochbett, zwei kleine Fenster, ein großer Holzbalken. Sein Bett schaukelte! Noch vom Schlaf benommen schreckte er hoch und saß mit einem Male aufrecht in der Hängematte, in welcher er die Nacht verbracht hatte.
„Moafn“, wurde er von einem erstaunlich munteren Yannik begrüßt, welcher seinen Kopf auf die Brüstung des Hochbettes gelegt hatte und beruhigt-lächelnd an seinem Schnuller nuckelte.
Durch die Zimmerfenster strahlte trotz der frühen Stunde bereits eine außerordentlich kräftige Morgensonne während Finn sich langsam wieder daran erinnerte, wo er grade war. Erleichtert, nicht in einem umkippenden Bett an einem fremden Ort zu sein sondern einfach in Yanniks Hängematte zu liegen, lehnte er sich mit dem Oberkörper wieder müde in selbige zurück und gab, ohne groß nachzudenken, seinem Harndrang nach. Erst als der Zwölfjährige bereits damit begonnen hatte seine Windel zu fluten, realisierte er, wie ultradringend er eigentlich musste. Wie ein Stein hatte er nach dem gestrigen Tage in seiner außergewöhnlichen Schlafstätte genächtigt und wusste gar nicht mehr, ob er in der Nacht überhaupt einmal aufgewacht war um in seine Pampers zu pinkeln. War ihm grade auch egal, denn seine Blase war an diesem Morgen offenbar kurz vorm Platzen gewesen, auch wenn die Windel sich davor schon alles andere als trocken angefühlt hatte. Finn drückte die Beine etwas auseinander, schloss erleichtert die Augen und pullerte völlig unbeherrscht in seine saugfähige Unterwäsche während er langsam aufwachte. Zeitgleich sprang Yannik, im völligen Kontrast dazu und voller Tatendrang, seine Hochbettleiter herunter und flitzte an seinem Freund vorbei zum großen Legohaufen in der Mitte des Zimmers als hätte er nur darauf gewartet, von Finn endlich signalisiert zu bekommen, dass dieser aufgewacht wäre. Kaum hatte der Zwölfjährige fertig eingepullert, stieg auch er aus seinem Nachtquartier und hockte sich neben seinen neuen besten Freund auf den kuscheligen Teppich während in seiner wundervoll heiß-nassen Windel das frische Pipi herumschwappte und noch darauf wartete, vom Superabsorber aufgesaugt zu werden. Finn genierte sich vor Yannik überhaupt nicht mehr wegen seiner erkennbar nassen Pampers und auch Yannik hatte keine Notwendigkeit verspürt, seinen Schnuller an diesem Morgen aus dem Mund zu nehmen, sondern nuckelte fröhlich weiter an dem dunkelblauen Beruhigungssauger.
„Wtf!“, hatte Finn vielleicht etwas zu laut gerufen, gestern Abend um kurz vor Mitternacht im bis auf den Mondschein stockdusteren Kinderzimmer. Selbst die Straßenlaternen im kleinen Dorf waren bereits erloschen und so sahen die beiden Jungen eigentlich nur schemenhafte Umrisse voneinander. Zum Erkennen von Yanniks Schnulli aber war die Beleuchtung mehr als ausreichend gewesen. Das Hochbett knarzte, als Yannik aufgeregt zu seinem besten Freund, dem er grade sein intimstes Geheimnis verraten hatte, herunterblickte.
„Wow, das ist …“, setzte Finn an. Wissend, dass dieser Zehnjährige, den er erst vor ein paar Wochen kennengelernt hatte und bei dem er so sehr er selbst sein konnte wie bei sonst niemandem, nun dringend eine Antwort von ihm brauchte. Allerdings war Finn grade sprachlos: „Das ist jetzt unerwartet“, gab er zu.
Finns Gehirn ratterte verwirrt und legte instinktiv die bewährten moralischen Maßstäbe zugrunde, die der Sechstklässler in seinem Leben zu benutzen gelernt hatte: Was würde seine Klasse dazu sagen? Oh Gott. Yannik, das kleine, unreife Spielkind brauchte zum Schlafen noch einen Schnulli. Wie peinlich ist das bitte? Finn schüttelte energisch seinen Kopf, um diesen Gedanken loszuwerden. Total unfair und obendrein mehr als ungerechtfertigt für jemanden, der grade in einer nassen Pampers saß und der neidisch auf ein Kindergartenkind war.
„Ich find das voll cool!“, rief er nun, wieder etwas zu laut für eine Unterhaltung zwischen zwei Jungen, die eigentlich vorgaben, längst zu schlafen.
„Waff?“, nuschelte Yannik erstaunt durch seinen Schnulli. Eine solch positive Reaktion hatte er nicht grade erwartet.
Was? Ja, das fragte sich Finn grade auch. Hatte er das grade echt so gesagt? „Jaa, ich finds voll cool, dass du noch nen Schnuller hast! Weil …“, Finn rang nach Worten, die das ausdrückten, was er grade fühlte und gestikulierte unbeholfen mit den Händen: „Weil … naja, andere würden bestimmt sagen, Schnuller sind was für Babys. Genau wie, ähm, äh, Pampers. Und deswegen ist das peinlich. Aber warum? Babys essen doch auch Brot. Ist Brot deswegen peinlich? Müssen wir deswegen Steine essen, weil die hart und deswegen etwas für echte harte Jungs sind? Das ist doch dumm! Warum soll etwas, was früher voll cool war, plötzlich einfach nur noch peinlich und dumm sein? Alle anderen tun ja so, als hätten sie sowas nie gemacht.“
„Wow“, staunte Yannik nun flüsternd.
„Weißt du, ich finds einfach cool, dass du auch noch so eine, naja, Kindergartensache machst. Ich bin immer der einzige, der noch in die Hose macht, oder der noch Windeln zum schlafen braucht. Immer der Kleine zu sein“, Finn schluckte während sich in seinen Augen Tränen bildeten: „Es ist cool, mit jemandem befreundet zu sein, der in der selben Lage ist.“
Die beiden Sechstklässler redeten in dieser Nacht noch lange miteinander. Yannik erzählte, dass er ohne Schnulli kaum einschlafen konnte und Finn beichtete irgendwann, dass er schon im Kindergarten lieber Windeln getragen hätte als aufs Klo zu gehen. Irgendwann hatte er Yannik alles bis auf die Tatsache, dass er sich seine Windeln nur durch Fake-Bettnässen erschwindelt hatte, erzählt. Yannik verstand, dass Finn seine Windeln scheinbar ähnlich wichtig waren, wie ihm seine Schnullis und als die beiden Kinder schließlich einschliefen teilten sie sich die Gewissheit, von ihrem Gegenüber vollstens verstanden zu werden und nichts mehr verstecken zu müssen.
„Na kommt Jungs, los geht’s!“, klatschte Lena einige Stunden später animierend in die Hände und rief die beiden Kinder hinunter in den Flur: „Yanni, so langsam hattest du deinen Schnulli aber lange genug für heute!“, fügte sie lachend hinzu, als der Zehnjährige mit den schulterlangen Locken die Treppe herabgerannt kam und dabei immer noch an dem nachtblauen Schnuller saugte. Finn sprang kichernd die letzten beiden Treppenstufen herunter und riss seinen Freund beinahe zu Boden, bevor dieser die Gelegenheit hatte, etwas auf die Aufforderung seiner Mutter zu entgegen. Es war bereits Elf Uhr und Lena standen zwei außerordentlich gut gelaunte, aufgedrehte Jungen gegenüber, die sich sichtlich auf den heutigen Tag freuten. Ihre Schlafanzüge hatten sie bereits gegen die spieltaugliche, wenn auch nicht mehr ganz saubere Kleidung von gestern getauscht und Finn hatte endlich seine Nachtwindel, mit der er eben noch unbekümmert am Frühstückstisch gesessen hatte, ausgezogen. Grade mit dem dadurch entstandenen Kontrast zu Finn wirkte der Anblick ihres Sohnes für Lena so ungewohnt. Zwar sah sie Yannik jeden Morgen und jeden Abend mit Nuckel und Schlafanzug ins Bett gehen, doch bis weit in den Vormittag hinein hatte der Zehnjährige das Ding wirklich lange nicht mehr benutzt. Unbeirrt hockte sich Yannik vor die Schuhbank und wirkte wie ein zu groß geratenes Kindergartenkind, als er in seine Sandalen schlüpfte und währenddessen mit großen Augen flehend zu seiner Mutter hochblickte: „Och bitte Mama, nur noch bis wir da sind!“, quängelte er nuschelnd durch seinem Schnulli. Lena verdrehte gutmütig die Augen und sah, wie Finn währenddessen mal wieder vom einen Bein aufs anderen tänzelte und eine Hand zwischen seine Beine drückte: „Finn, willst du vielleicht nochmal schnell auf Toilette flitzen, bevor wir losfahren?“, fragte sie möglichst beiläufig.
Das Kind schüttelte verlegen, aber vor allem ertappt, mit dem Kopf.
„Sicher?“, fragte Lena noch einmal nach, während in der Hosentasche das Handy vibrierte und sie auf ihre Uhr herablinste. Sie mussten eigentlich schon längst unterwegs sein!
„Nö“, meckerte Finn ein wenig zu vorlaut.
„Na gut“, resignierte Lena abgelenkt. Würde sich der Junge eben wieder in seine Windel machen, damit schien er ja ohnehin kein sonderliches Problem zu haben.
„Los gehts!“, sagte sie kurz darauf umso entschlossener, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass in dem Rucksack in ihrer Hand wirklich alles dabei war, steckte eine Hand in die rechte Tasche ihrer schwarzen Kunstlederjacke und … griff ins Leere!
„Schaaatz, wo ist denn eigentlich der Autoschlüssel?“, rief sie in den dunklen Flur hinein und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe.
„Mamaaaaa, wir gehen schonmal zum Auto!“, hörte sie im selben Moment Yannik rufen, während die beiden Chaoten durch die Haustüre nach draußen stürmten und den Familienkater verdutzt im Flur zurückließen. Ihr Handy vibrierte immernoch. „Bruck, guten Morgen!“, antwortete sie, ohne auf dem Display nach der Nummer geschaut zu haben.
„Oh Mann, Reinhold! Sorry, ich hab noch die Rasselbande hier“, erklärte sie sich, während sie über die knarzenden Holzdielen durch den Mittelflügel in die Scheune hinüberlief und geduldig zuhörte, welche Probleme sich am gestrigen Abend im Kundensystem wieder ergeben hatten: „In einer Stunde bin ich nur für euch da“, sprach sie beruhigend in ihr Telefon und drehte es anschließend zur Seite um ihrem Kollegen nicht ins Ohr zu brüllen während sie zu ihrem Mann hinüberrief: „Ludwig, weißt du wo die Schlüssel vom Volkswagen sind?“
Ungleich weniger gestresst waren derweil Yannik und Finn, die im schattigen Innenhof des kleinen Anwesens vor der verschlossenen Schiebetür des Hochdachkombis warteten und sich mit Vorschlägen, was sie heute alles machen können würden, gegenseitig überboten: „Boah vielleicht haben die da auch eine Teppichrutsche, ich kenne eine, die ist locker fünfzig Meter hoch oder so, ehrlich!“, schwärmte der Zehnjährige mit leuchtenden Augen während Finn ein wenig abwesend in seinen Gedanken schwelgte und die Wärme der Vormittagssonne genoss.
Als Yanniks Eltern vor einer halben Stunde beim Frühstücken realisiert hatten, das sie beide angenommen hatten, der jeweils andere könnte sich heute um die beiden Jungen kümmern, hatte Lena nicht lange gebraucht um ein äußerst cooles, pragmatisch-spektakuläres Beschäftigungsprogramm für die beiden Kinder zu finden. Während Ludwig den ganzen Tag damit beschäftigt sein würde, sich zusammen mit Kunden und Spezialisten um die neueste Sonderanfertigung in seinem Schreiner-Studio zu kümmern, würde sie zusammen mit dem restlichen Team im Büro in der nächsten Großstadt sein.
Natürlich waren die beiden Jungen, obwohl man das ihnen grade gewiss nicht ansah, alt genug um sich einen Tag lang alleine auf dem Hof zu beschäftigen. Aber Lena war auf eine viel coolere Idee gekommen: Das Samtlinger Spieleparadies, eine Art riesiger Abenteuerspielplatz mit Kettcar-Bahn, großen Klettergerüsten und selbst der von Yannik so erhofften Teppichrutsche. Betrieben von einer Bauernfamilie war die ganze Anlage aus einem Maislabyrinth hervorgegangen, welches immer noch jedes Jahr aufs neue gesäht und vorbereitet wurde, aber längst schon eine Attraktion unter vielen anderen geworden war. Besagtes Spieleland hatte sich durch die Großformat-Werbetafel neben der Autobahn auf dem Weg zu Lenas Büro in deren Gedächtnis gebrannt und war die perfekte Lösung für das Logistikproblem von Yanniks Mutter.
Auch die beiden Jungen waren direkt begeistert: Klar, das Maisspaßland Grundhausen war nach exakt dem gleichen Prinzip aufgebaut und sowohl Finn als auch Yannik wohlbekannt, aber bedeutete eben doch eine Fahrt dreißig Autominuten lang in die für Lena falsche Richtung. Yannik war zudem mehr als angetan von der Aussicht, mal einen neuen Abenteuerspielplatz kennen zu lernen, nach bewährtem Prinzip, aber eben ohne dass er schon jeden Winkel auswendig konnte.
Am meisten jedoch hatte sich Finn von dieser Idee begeistern lassen. Das war perfekt! Nicht nur, dass er auch das Maisspaßland eigentlich schon immer richtig cool gefunden hatte, vor allem hatte Finn einen ganz entscheidenden Vorteil für ihn entdeckt: Dieses Spieleparadies-Ding schien, zumindest dem Plan, den Lena den beiden Jungen noch am Frühstückstisch auf ihrem Smartphone gezeigt hatte, eigentlich ziemlich genau das gleiche zu sein, wie das Maislabyrinth bei ihnen um die Ecke, nur ein bisschen kleiner. Eigentlich gab es also für niemanden aus Grundhausen einen Grund, eine Stunde mit dem Auto dorthin zu fahren. Was dementsprechend die Wahrscheinlichkeit, dass er dort einen seiner Klassenkameraden oder Freunde treffen würde, gegen Null laufen ließ. Und das hieß für Finn, er konnte den ganzen Tag lang Spaß haben, ohne sich darüber sorgen zu müssen, dass ihn jemand bei seinem Grundschulkind-Doppelleben ertappte!
Während Yannik den beiden weiter voller Elan ausmalte, welche Attraktionen es womöglich bei besagtem Spieleparadies zu meistern gab, drängte sich für Finn mal wieder dessen Harndrang ins Bewusstsein. Die Augen des kleinen Sechstklässlers wurden wässrig, er ging ein wenig in die Hocke und seufzte kaum merklich.
„Finn, strullerst du jetzt echt?“, rief Yannik empört und Finn war überrascht, wie anders diese Worte nun für ihn klangen, wo sein Freund sie durch seinen Schnuller nuschelte. Es wirkte für Finn ein wenig wie von Kindergartenkind zu Kindergartenkind, nichts, weswegen man sich schämen müsste. Der schnullinuckelnde Yannik wusste, dass sich das Windelkind Finn grade in die Hose machte, weiter nichts. In Finns Windel wurde es schlagartig warm und nass, und das einzige, was er als Antwort hervorbringen konnte, während er sich volle Kanne einpullerte, war ein gepresstes „Mmmh“
Yannik blickte kichernd auf seinen zwei Jahre älteren Freund herab: „Jetzt hättest du echt aufs Klo gehen können als Mama dich gefragt hat!“
Finn schüttelte mit dem Kopf aber blieb seinem gespannten Freund eine weitere Antwort schuldig, bis er sich schließlich nach vollendeter Tat zufrieden wieder aufrichtete. Wortlos lupfte Finn sein Bagger-Tshirt etwas nach oben und Yannik verstand sofort. Aus Finns Cargoshorts lugte nicht etwa der dezente Saum eines seiner Notfallhöschen hervor, sondern die unverkennbaren Bündchen einer Pampers, wie sein Klassenkamerad sie auch in der Nacht schon getragen hatte. Sein Freund hatte gar nicht vor, heute aufs Klo zu gehen, genau so wenig wie gestern Abend! Der hatte sich eine von den Pampers, die eigentlich nur für Nachts waren, angezogen und würde einfach mit Absicht reinmachen, wenn er musste!
Eine gute Stunde später waren die beiden Jungen durch das eiserne Drehkreuz am Eingang geschlüpft und schmierten sich gewissenhaft mit der Sonnencreme aus Yanniks Rucksack ein. Finn schloss seine Augen und neigte seinen Kopf Richtung Sonne. Kurz kam sich der Zwölfjährige vor, als wäre er mal wieder im Freibad. Ein helles Grundrauschen gefüllt durch Kindergeschrei, das Quietschen des Drehkreuzes und nicht zuletzt das Gefühl der Sonnencreme auf seiner Haut die den Sechstklässler frappierend an seine Windelcreme erinnerte. Fühlte sich fast genauso an, roch allerdings definitiv anders. Lena winkte den beiden Jungen von der anderen Zaunseite zu und war froh, dass doch noch alles geklappt hatte. Am Eingang angekommen hatte Lena eben noch das Klassenfoto der 6b auf ihrem Smartphone raussuchen müssen, um der Mitarbeiterin glaubhaft zu machen, dass Finn und Yannik mindestens zehn Jahre alt waren und entsprechend auch ohne Erwachsenenbegleitung aufs Gelände durften. Ihre Schülerausweise hatten Yannik und Finn natürlich nicht mitgenommen, wieso sollten sie auch? Am Ende war es dem Erfindungsgeist und der Überredungskunst der jungen Frau zu verdanken gewesen, dass ausgerechnet das Klassenfoto der Beiden als sprichwörtliches Beweismittel zugelassen worden war und ihnen schlussendlich den Zutritt zum Spieleland ermöglicht hatte.
Aufgeregt rannten die beiden Jungen zu den Schließfächern, entledigten sich des lästigen Rucksackes und standen plötzlich unschlüssig auf dem Rasen.
„Und, womit sollen wir anfangen?“, fragte Yannik leise und steckte verlegen die Hände in seine Hosentaschen.
„Wetten du kriegst mich nicht?“, rief Finn gewitzt, stupste seinen Freund noch kurz auf die Schulter und rannte spontan los, ohne sich Gedanken über irgendwas zu machen. Er rannte auf den Wackelberg, ein großer mit Luft gefüllter Hügel, welcher unentwegt herumwaberte und kaum aufrechten Ganges zu bezwingen war. Finn kam sich vor wie in einem Actionfilm, als er den Hügel bäuchlings herunterrutschte, sich am Fuße des Berges in einem halben Purzelbaum imposant wieder aufrichtete, einfach weiterrannte und schließlich in Sichtweise des riesigen Klettergerüstes von seinem Freund spektakulär zu Boden gerissen wurde.
„Haaaa!“, rief Yannik siegesgewiss, während die beiden über den Rasen rollten und schließlich nebeneinander liegen blieben. Nur einen kurzen Moment ließen sie sich als Verschnaufpause, bevor sich Yannik als erster wieder aufrappelte: „So, jetzt bist du dran!“, rief er herausfordernd, nur um im nächsten Augenblick in einer der schwarzen Röhren des Klettergerüstes zu verschwinden.
Der große, futuristisch anmutende Stahl-Holzturm, der sich im Zentrum des Freizeitpark-Geländes aufbaute, war in etwa so, wie Finn den Rutschturm im Waldpark von früher in seiner Erinnerung behalten hatte. Über mehrere Etagen baute sich ein undurchschaubares Geflecht aus Röhren, Rutschen, Kletternetzen und Gängen auf, immer wieder verknüpft durch kleine Türme. Finn blieb natürlich keine Gelegenheit, das Konstrukt ausgiebig zu bestaunen. Er hatte ein Spiel zu gewinnen! Eilig kletterte in die Röhre, durch die Yannik eben bereits verschwunden war, landete daraufhin an einer Weggabelung und hatte ziemliches Glück, das er Yannik in genau diesem Moment in einigen Metern Entfernung durch eine Plexiglasröhre krabbeln sah! Die war ja viel weiter oben! Wie war der denn so schnell da hochgekommen? Geschickt und schnell balancierte Finn über den Holzsteg auf der rechten Seite des Röhrenausgangs, erklomm ein Netz und stand nun genau vor dem Eingang der Röhre. Nur von Yannik fehlte plötzlich jede Spur!
„Mist!“, ärgerte sich Finn lautstark, blickte hektisch umher und musste feststellen, dass ihm von seinem Freund plötzlich jede Spur fehlte: „Hey, du!“, sprach er einen blondhaarigen Jungen mit Bürstenhaarschnitt an, der grade ebenfalls die Glasröhre betrat: „Hast du hier grade einen anderen Jungen gesehen, der durch die Röhre geflüchtet ist?“
„Öhm“, antwortete der Junge überrumpelt: „Glaub schon?“
„Wo ist der lang?“, fragte Finn aufgeregt.
„Ähhhh, durch die Röhre!“, antwortete Finns Zeuge und schien zu verstehen, worum es grade ging: „Ich glaub er ist danach links! Soll ich dir helfen? Wir können uns aufteilen!“
„Ja, mega!“, antwortete Finn euphorisiert und duckte sich in die Röhre hinein. Unterwegs klärten sie alles weitere. Finn gab eine äußerst grobe Beschreibung von Yannik ab, die sich auf die Einzelheiten beschränkte, dass Yannik so groß wie er war, ein hellblaues Tshirt trug und lange blonde Haare hatte. Finns Ermittlungshelfer stellte sich ihm währenddessen als Joel vor.
Es vergingen einige Minuten, bis Finn und Joel wieder eine Spur von Yannik fanden. Sie entdeckten den Zehnjährigen schließlich auf der Aussichtsplattform ganz oben im Turmkomplex. Finn schlich sich von der Seite an und erschreckte seinen Freund gehörig, als er plötzlich laut „Hab dich!“ rief und Yannik festhielt. Mittlerweile waren noch ein paar weitere Kinder auf die augenscheinlich spannende Verfolgungsjagd, die die drei Jungen im Turm veranstaltet hatten, aufmerksam geworden, sodass sich schnell eine kleine Gruppe bildete, die gemeinsam das Klettergerüst unsicher machte.
Es dauerte nicht lange, bis Yannik und Finn schließlich beide zu Gejagten wurden und sich, nachdem sie knapp der Fängerin entkommen waren, clever in einer der düsteren Metallröhren versteckten.
„Ich glaub, die Luft ist rein!“, konstatierte Yannik, als er nach kurzer Zeit bereits neugierig und ungeduldig aus dem oberen Ende der Röhre herauslugte. Als von seinem Freund keine Reaktion kam, drehte er sich wieder um und erkannte sofort, was Finn grade mal wieder tat: „Du hasts gut, ich muss auch echt mal ultradringend strullern!“, gab er zu.
Finn grinste schelmisch, hockte noch einige Sekunden regungslos da und klopfte sich anschließend zufrieden auf die deutlicher gewordene Windelbeule zwischen seinen Beinen: „Brauchst du wohl auch Pampis?“, kicherte er.
„Heeey!“, fühlte sich der Zehnjährige veräppelt und knuffte seinen Freund: „Ich bin hier nicht der, der noch in die Hose macht!“
„Blödmann“, gluckste Finn ironisch, hielt dann aber kurz inne und zögerte. Der Zwölfjährige blickte kurz hinter Yannik in den Röhrenausgang um sich zu vergewissern, dass dort wirklich niemand stand, der die beiden belauschen könnte und senkte seine Stimme.
„Du, Yannik? Wollen wir so tun, als … als wäre … Wenn uns jemand fragt, wie alt wir sind …“, flüsterte Finn aufgeregt: „Kannst du dann sagen, dass ich Acht bin? Wollen wir so tun, als wäre ich Acht?“
Yannik musste lachen: „Was?“. Prustete er: „Eben hast du dich noch beschwert, dass uns die Verkäuferin nicht geglaubt hat, dass wir mindestens Zehn sind!“
„Jaaa“, musste der Junge zugeben, verdrehte verschmitzt die Augen und konnte ein verstohlenes Grinsen nicht vollständig unterdrücken: „Wobei das irgendwie auch cool war. Das wäre doch voll lustig, oder?“
Yannik blickte in Finns aufgeregt hin und herspringende Pupillen und lies sich von der Euphorie seines Freundes anstecken: „Ok, du bist Acht! Macht Sinn, denn wenn du sagst, dass du zwölf bist, glaubt dir das ja wieder eh keiner!“, scherzte er: „Hmmmm, dann bist du also ein Achtjähriger. Also gehst du in die dritte Klasse oder so! Wenn uns jemand fragt, woher wir uns kennen, sagen wir dann trotzdem, dass wir uns aus der Schule kennen?“
„Ähhh, keine Ahnung?“, antwortete Finn verwirrt und fragte sich, ob Yannik sich nicht ein wenig in Details verlor.
„Oder woher sonst? Bist du mein kleiner Bruder oder so und ich muss auf dich aufpassen?“, feixte Yannik, verschränkte spielerisch die Arme und beschwerte sich ironisch-bockig: „Manno, jetzt muss ich wieder auf dich kleinen Hosenscheißer aufpassen!“
„Heeeey!“, rief Finn empört-beleidigt und knuffte piekste seinem Freund in die Hüfte. Der musste daraufhin lauthals Lachen, aber drückte plötzlich hektisch eine Hand zwischen seine Beine: „Lass!“, rief er alarmiert.
„Wer ist nun der Hosenscheißer?“, neckte Finn seinen Freund spitzfindig aber hörte trotzdem sofort auf, Yannik zu kitzeln. Das wäre nun wirklich unfair.
Zügig sprang Yannik an seinem Freund vorbei zum Röhrenausgang, die linke Hand dabei ständig in seinen Schritt gedrückt. Als er bereits vor dem Ausgang aufgestanden war, hockte er sich noch einmal kurz hin und flüsterte hektisch zu Finn. „Ok! Wir gehen zusammen in die dritte Klasse. Aber ich bin schon Neun und du erst Acht!“
Dabei war Yannik doch erst vor einem halben Jahr zehn geworden, fiel Finn auf, als er rekapitulierte, was sein Spielkamerad soeben gesagt hatte. Welchen Sinn macht es denn, so zu tun als wäre man ein halbes Jahr jünger? Yannik hatte das Spiel ja gar nicht richtig verstanden!, ärgerte sich Finn, aber hatte gar keine Gelegenheit mehr, den blonden Wirbelwind darauf hinzuweisen. Der war längst in Richtung der Toiletten losgerannt. Finn konzentrierte sich ganz auf das Gefühl der sich frisch ausbreitenden Wärme in seiner Windelfront, seufzte gelassen und lies seinen Kopf entspannt auf seine Hände, die er grade an der Kante des Rohres abgestüzt hatte, absinken. Für einen kurzen Moment schloss er die Augen und dachte gar nicht mehr daran, dass er sich eigentlich grade Versteckte. Das war alles so supercool! Der Zwölfjährige drückte die frisch warmgewordene Pampers mit seinen Oberschenkeln zusammen und spürte ganz genau, wie sich die Windel dabei von innen wieder nasser wurde. Bevor er noch tiefer in die wohlige Gedankensphäre sinken konnte, die um seine Windeln kreiste, das mittlerweile so präsent gewordene Gefühl, ein kleines Kind zu sein umkreiste, das sich vor niemandem verstellen musste; riss ihn plötzlich Lisa aus den Gedanken: „Fiiiin, Yannik? Wo seid ihr? Ihr habt gewonnen!“
„Yeah!“, flüsterte Finn zu sich selbst, sprang aus seinem Versteck und grinste über beide Ohren. Die Kinder befanden gemeinsam, dass Finn, nachdem ja Yannik kurz eine Pause eingelegt hatte, die Runde gewonnen hatte, und so war er nun endlich wieder selbst an der Reihe! Der vorgebliche Achtjährige vertiefte sich so sehr in sein Spiel, dass er gar nicht mehr über die Abmachung mit seinem Alter und all die anderen Sachen nachdachte. Selbst seine Windel vergaß Finn die nächsten Stunden fast komplett. Sie war immer da, wenn er sie brauchte, aber ansonsten dachte er keinen einzigen Moment dran.
Autor: giaci9 (eingesandt via E-Mail)
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jaaa endlich eine Fortsetzung! Daanke.
„Unbeirrt hockte sich Yannik vor die Schuhbank und wirkte wie ein zu groß geratenes Kindergartenkind, als er in seine Sandalen schlüpfte und währenddessen mit großen Augen flehend zu seiner Mutter hochblickte: „Och bitte Mama, nur noch bis wir da sind!“, quängelte er nuschelnd durch seinem Schnulli. “
Soviel Unbeschwertheit macht einfach gute Laune 🙂
Finn zieht das mit dem nicht aufs Klo gehen wirklich gut durch, auch wenn seine Blase vielleicht etwas drunter leiden könnte. Hat Yannik es eigentlich noch zum Pullern auf die Toilette geschafft?
Wie immer ein genialer Teil. Du schreibst echt die Creme de la (Windel-?)Creme der Windelgeschichten.
Sehr schön, deine Geschichten sind sehr spannend.
Sehr schön !
Die Folge ist wieder Spannend
Schöne Geschichte
Schade, dass es nicht schafft, so einen tollen Schreibstil zu haben.
Wirklich toll gemacht!
Hallo Giaco, das war gut geschrieben, hat Spaß beim Lesen gemacht und war an keiner Stelle langweilig !
Schreibe bitte weiter? !!
Unbedingt weiter schreiben die Geschichte ist perfekt!!!
5 Sterne
suche die verwandlung 15 ist sie gelöscht ????????????????
http://Geschichten/die-verwandlung-14-2/