Ein Haus voller Jungs
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Kapitel 1 – Ferienanfang
Ich wette ihr alle kennt das – die letzte Woche vor den Ferien, wenn keiner mehr Lust auf Unterricht hat und sogar die meisten Lehrer, abgesehen von ein paar komischen Ausnahmen, die bis zur letzten Sekunde arbeiten wollen, versuchen die Stunden mit irgendwas zu füllen.
So einen Tag habe ich erfolgreich durchgestanden. Wie ihr euch sicher vorstellen könnt, konnte ich es kaum erwarten, meinen Ranzen in die Ecke zu donnern und die Schule für die nächsten sechs Wochen zu vergessen.
Nach kurzer Schlüsselsuche schloss ich die Haustür auf – darauf, meinen Ranzen durch das Haus zu schmeißen, verzichtete ich dann doch – und ging leise in den Flur. Ein Blick durch die Zimmer verriet mir, dass mein Bruder Sammy wohl schon eine Weile wieder hier war, jedenfalls saß er an seinem PC und erforschte gerade eine Höhle in Minecraft.
Er hatte mich noch nicht bemerkt, und das brachte mich auf eine Idee. Ich zog vorsichtig mein Handy hervor, suchte schnell den passenden Sound und drehte die Lautstärke auf. Dann schlich ich mich vorsichtig hinter ihn. Einen Knopfdruck später ertönte ein lautes Zischen. Sammy wirbelte die Kamera herum, um den grünen Übeltäter zu finden, nur um festzustellen, dass es keinen gab. Sekundenbruchteile später fiel der Groschen, er pausierte das Spiel und drehte den Kopf zu mir.
„Luka!“
Ich brach in lautes Gelächter aus.
„Sorry Kleiner, aber das musste sein!“
„Jetzt ist man nicht mal mehr Zuhause vor Möchtegern-Creepern sicher!“
„Kaum Zuhause und direkt am PC… tz tz tz.“
„Machst du doch auch.“
„Trotzdem.“
„Nichts trotzdem!“
„Doch, nennt sich großer-Bruder-Bonus.“
„Blöde Ausrede,“ meckerte Sammy, dann wurde er still.
„Andererseits kann man dich ja demnächst auch zu nicht mehr ganz so Kleinen zählen. Wie fühlt man sich mit Grundschulabschluss?“
„Gut.“
„Du erzählst ja wieder so lebhaft, ich könnte fast meinen, ich wäre dabei gewesen.“
Sammy seufzte.
„Ganz viele von meinen Freunden gehen aufs Gymnasium oder die Realschule. Und sie verstehen nicht, wieso ich auf die Gesamtschule soll, ich hab die Gymnasiumsempfehlung ja auch.“
„Aber du weißt es doch.“
„Klar.“
„Hör mal, ich hab den Spaß da ein Jahr mitgemacht, und das Jahr war schrecklich. Papa will nicht, dass es dir auch so geht.“
Ich wuselte Sammy durchs Haar.
„Außerdem gehen wir dann endlich wieder auf die gleiche Schule.“
„Stimmt schon. Ich werde da nur kaum jemanden kennen. Also, außer dir.“
Sammy stand auf und nun wurde mir klar, dass er die ganze Zeit nur in T-Shirt und Boxershorts dagesessen hatte. Zwischen ihm und der Stuhllehne war eine Windel angelehnt gewesen, die nun auf der Sitzfläche lag. Ich nahm sie in die Hand, Sammy nickte mir zu und legte sich auf sein Bett. Seine Hand wanderte kurz unter sein Kopfkissen, wo er einen Schnuller hervorholte und sich in den Mund steckte.
Verratet es ihm nicht, aber diesem verträumten Blick von ihm kann ich einfach nichts abschlagen. Ich faltete die Windel auf und schob sie unter Sammy’s Po, bevor ich ihm seine Boxershorts wegnahm. Nach ein paar kurzen Korrekturen verschloß ich die Windel – saubermachen fiel dieses Mal noch flach – und kuschelte mich mit meinem Bruder zusammen.
Ihr fragt euch jetzt sicher, was das war. Ohne jetzt schon zu weit ausholen zu wollen, Sammy und ich haben schon einiges durch. Das ist zwar alles Jahre her, aber in dem Alter, in dem wir waren, passiert viel wichtiges, und deshalb sind die seelischen Wunden aus dieser Zeit immer noch nicht völlig verheilt. Sammy hat zwar noch das Glück, sich an vieles davon nicht mehr bewusst erinnern zu können, aber der Körper vergisst nie. Zum einen sind wir uns deshalb sehr nah, zum anderen haben wir beide dadurch eine kleine Macke. Auch wenn wir sie, rein körperlich betrachtet, nicht brauchen, geben uns Windeln und alles, was dazu gehört, Sicherheit. Deshalb sind sie ein fester Bestandteil unseres Lebens, und das werden sie vielleicht immer sein. Aber wenn man es als etwas normales behandelt, wird es das irgendwann auch.
Wir blieben mehrere Minuten so, bis sich Sammy aus meinem Arm löste. Er deutete auf seinen PC, wo immer noch Minecraft pausiert war. Ich nickte, marschierte ein paar Meter weiter in mein Zimmer und startete meinen PC, damit wir gemeinsam spielen konnten.
* * *
„Jungs!“ ertönte eine Stimme aus dem Hausflur.
„Papa!“ rief Sammy und flitzte durch den Flur, wohlgemerkt immer noch nur in T-Shirt und Windel. Ich loggte mich schnell aus und ging hinterher, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Sammy unserem Vater in die Arme lief.
„Hey, vorsichtig! Ich bin nicht mehr so jung wie ihr.“
„Gruppenumarmung!“ rief ich und schlang meine Arme um beide.
„Das ist sehr effektiv,“ lachte Papa und drückte uns fest. „Man könnte fast meinen, ihr hättet was ausgefressen.“
„Nö, wir haben dich nur so gern!“ kicherte Sammy.
„Schleimer!“ flüsterte ich, aber auch mit einem breiten Grinsen auf meinem Gesicht.
„Lasst mich erst mal meine Sachen ablegen, ihr könnt ja schon mal eure Zeugnisse holen.“
Widerwillig lösten wir uns und holten die beiden Giftblätter, auch wenn sie eigentlich keine waren, aus den Zimmern. Als wir wieder kamen, hatte sich Papa gerade aufs Sofa gesetzt. Stolz präsentierten wir ihm die Zeugnisse, er nahm sie in die Hand und sah sie sich kurz an.
„Ich bin stolz auf euch, Jungs. Auf euch beide,“ sagte er und legte die beiden Blätter auf den Tisch. Dann griff er hinter sich und zog ein kleines Geschenk hervor.
„Das ist für euch beide, aber es ist etwas zu klein, als dass ihr es zusammen aufmachen könntet.“
„Ich mach das!“ rief Sammy.
„Soll ich schon mal den Staubsauger holen?“ fragte ich, wohl wissend, dass mein Bruder wie ein Reißwolf war, wenn es um Geschenke ging. Also, die Geschenke überlebten die Prozedur schon, aber das Papier nicht.
Mein Bruder streckte mir frech die Zunge raus und löste jetzt extra langsaaam die Tesastreifen, um das Geschenk nach allen Regeln der Kunst zu öffnen. Ich ahnte, was er vorhatte, also zeigte ich mich extra geduldig, statt mich provozieren zu lassen. Als das Papier den Blick freigab, erkannte ich schnell, dass es sich auf eine Blu-Ray Hülle handelte, auf deren Cover eine Gruppe von Leuten abgebildet war – besonders auffällig war natürlich das Gesicht von Robert Downey Jr.
„Wer hat Lust auf einen Infinity War – Endgame Marathon heute Abend?“ fragte Papa. Natürlich hätte er sich die Frage auch sparen können. Wir hatten den Film zwar direkt im Kino gesehen, aber das war ja kein Grund, nein zu sagen. Wir hatten noch nie so ein lebhaftes Publikum im Kino erlebt, nicht mal bei den neuen Star Wars Filmen. Jedenfalls nickten wir beide.
„Dachte ich mir.“
„Mit oder ohne Ant-Man und Captain Marvel dazwischen?“ fragte ich schelmisch. Das konnte man natürlich so machen, aber dann müssten wir entweder jetzt sofort starten oder würden bis was, nachts um drei noch vor dem Fernsehen sitzen?
„Übertreib nicht, sonst schlaft entweder ihr ein und ich muss euch ins Bett tragen, oder ich schlafe ein und ihr müsst mich ins Bett tragen.“
„Also ersteres fänden wir glaube ich beide nicht schlimm. Und glaubst du nicht, dass zwei große starke Jungs wie wir dich tragen können?“
„Ich würde mein Bett gerne lebend erreichen, danke.“
„Tzzz… schlimm wie wenig Papa uns zutraut, oder Sammy?“
„Ach was. Jetzt ist Zeit zu kuscheln!“ rief Sammy.
„Hm…“ sagte Papa gespielt. „Irgendwas anderes machen oder mit meinen beiden Lieblingssöhnen kuscheln? Schwere Entscheidung…“
Bevor Papa am Ende doch noch die offensichtlich falsche Wahl treffen konnte, schlangen Sammy und ich unsere Arme um ihn.
„Wir lassen dich einfach nicht aufstehen!“ sagten wir gleichzeitig. Sammy kletterte auf Papas Schoß, ich kuschelte mich von der Seite an die beiden.
„Scheint als hätte ich keine Wahl,“ lachte Papa und ergab sich seinem Schicksal.
* * *
Ein paar weitere Stunden im Blockland, gefolgt vom Abendessen und mehreren Stunden MCU-Action später flimmerten die Credits über den Fernseher.
„Wisst ihr noch, als alle im Kino auf die After-Credits Szene gewartet haben und am Ende gar keine kam?“ fragte Papa.
„Klar,“ kicherte Sammy. Ich nickte, die Reaktion war in der Tat klasse gewesen.
„Zugegeben, ich hatte eigentlich sogar damit gerechnet, dass keine kommt,“ meinte Papa, „aber falls doch wollte ich sie natürlich nicht verpassen. Dabei musste ich eigentlich ziemlich dringend aufs Klo.“
„Hättest auch gewickelt gehen müssen,“ gluckste Sammy. Er war natürlich gewickelt gewesen, aber bei einem dreistündigen Film, noch dazu einem wie diesen, wollte man natürlich keine Pinkelpausen machen, und auch nicht auf Getränke verzichten, also hatte ich auch eine getragen. Papa klappste Sammy auf den Windelpo, welchen er ihm zufällig gerade entgegenstreckte.
„Frechdachs.“
Papas Blick wanderte zur Uhr. Es war bereits 23 Uhr, was für Sammy bedeutete, dass er eigentlich schon längst im Bett zu sein hatte. Bei mir war Papa weniger streng, insbesondere in den Ferien, aber Sammy’s plötzliches Gähnen machte klar, dass es definitiv Zeit war. Und ihr kennt dass sicher, Gähnen ist ansteckend. Papa nahm uns beide an die Hand und führte uns in den Raum, den wir meist „das Zimmer“ nennen.
Es gibt ein Zimmer in diesem Haus, in dass niemand außer uns rein darf. Wie bereits erwähnt haben Sammy und ich eine kleine Macke, und vor Jahren hatte Papa entschieden, ein drittes Zimmer für uns herzurichten, nur, dass es anders als in anderen Familien kein Spielzimmer oder so war, sondern ein Kinderzimmer, mitsamt Wickeltisch, Kinderbett und allem anderen, was man für zwei kleine Jungs brauchen würde. Papa war sich zunächst unsicher gewesen, ob das eine gute Idee war, aber er war zu dem Schluss gekommen, dass uns beiden diese Zeit damals verwehrt wurde, und er würde sie uns zurückgeben, egal was irgendwer sonst davon hielt. Und ich kann sagen, es hat funktioniert. Es hatte Sammy und mir viel Sicherheit gegeben, dass es diesen Raum für uns gab, in dem wir uns völlig fallen lassen konnten in dem Wissen, dass Papa uns auffangen würde. Gerade Sammy war über die Jahre im Alltag deutlich ausgeglichener geworden. Ich sicher auch, aber seine eigene Entwicklung kann man ja oft nicht so gut einschätzen.
Zuerst kam Sammy dran, denn er hatte seine Windel den ganzen Tag getragen, und dementsprechend sah sie auch aus. Ich dagegen hatte die kurze Pause zwischen den beiden Filmen für eine Pinkelpause nutzen müssen. Papa hob Sammy auf den Wickeltisch und begann die Wickelprozedur. Ich kam dazu und suchte schon mal eine neue Windel für meinen Bruder heraus – er hatte es besonders gerne, wenn süße Motive drauf waren, deshalb hatten wir eine ziemliche Sammlung. Nachdem Sammy verpackt war, wurde ihm noch ein Body angezogen – für richtige Strampler war es um diese Jahreszeit natürlich deutlich zu warm – bevor er die Wickelfläche räumte. Papa sah mich kurz fragend an, ich nickte ihm zu und er hob mich auf den Tisch – bei mir mit etwas mehr Anstrengung, schließlich war ich ein gutes Stück größer und schwerer als mein Brüderchen, aber Papa ließ es sich trotz allem nicht nehmen, auch mich bei solchen Dingen hochzuheben, solange er das noch konnte. Nun war Sammy an der Reihe, eine Windel für mich auszusuchen – ich legte zwar bei weitem nicht so viel Wert darauf, was für Motive darauf waren, aber Sammy hatte Spaß daran, deshalb trug ich meistens jede Windel, die er für mich aussuchte. Wobei mir das einmal zum Verhängnis wurde, als bei einer unserer Bestellungen ein paar pinke Windeln als Pröbchen beigelegt wurden – ratet mal, was Sammy an dem Abend für mich ausgesucht hatte. Papa hat den Spaß natürlich direkt mitgemacht, und da ich meist als zweites gewickelt werde, konnte ich mich nicht direkt rächen. Dafür habe ich dann am nächsten Abend auch so eine Windel für Sammy ausgesucht, und fairerweise hat Papa auch den Spaß mitgemacht – Sammy trug das aber mit Fassung, manchmal frage ich mich sogar, ob es ihm gefallen hat. Seitdem liegen die übrigen Windeln dieser Art in einem der vielen Fächer des Wickeltischs.
Am Ende suchte Sammy aber eine nicht-pinke Windel für mich aus – eine weise Entscheidung von seiner Seite aus. Dann wurde auch mir ein Body angezogen – dieser war ein Geschenk von Sammy gewesen, denn auf ihm war „Bester großer Bruder der Welt“ aufgedruckt. Das erfüllte mich jedes Mal mit Stolz, und ich hatte vor, Sammy bald ein passendes Gegenstück zu schenken. Papa half mir vom Wickeltisch und griff nach zwei Schnullerketten, auf deren Perlen unsere Kosenamen standen – Sammy für meinen Bruder, Luki für mich.
„Hab dich lieb, Papa,“ flüsterte ich.
„Ich dich auch,“ ergänzte Sammy. Das sollten auch unsere letzten Worte für den Tag sein, denn danach landeten die Schnuller in unseren Mündern.
„Ich hab euch auch lieb,“ flüsterte Papa, küsste uns auf die Wangen und führte uns zum Kinderbett. Ich kletterte zuerst hinein, dann kam Sammy, der sich prompt an mich kuschelte. Ich schlang meine Arme um ihn, Papa deckte uns zu und schaltete das Babyfon an – das war früher eingeführt worden, damit wir Papa bei Bedarf, gerade nach einem Albtraum, sofort rufen können, und war seitdem so geblieben. Sammy bestand bis heute darauf, aber auch meins wurde angeschaltet, wenn ich mich mal Abends nicht gut fühlte.
„Schlaft gut,“ flüsterte Papa ein letztes Mal, dann machte er die Tür des Kinderbetts zu (keine Sorge, wir waren nicht eingesperrt) und löschte das Licht. Über uns erleuchtete ein mit Leuchtfarbe aufgemalter Sternenhimmel die Zimmerdecke – das hatten wir mal vor ein paar Jahren selber gemalt. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Sammy neben mir eingeschlafen war, und kurz darauf folgte auch ich ihm ins Land der Träume.
Autor: Löwenjunge (eingesandt via E-Mail)
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Eine schöner und interessanter Anfang. Ich bin gespannt, wo es hingeht.
Ich finde die Geschichten anderer generell besser als „das Eigene“ und könnte mir durchaus vorstellen, dass du sie doch irgendwann fortsetzt, wie es mit den Jungs als Erwachsene weitergeht und wo eigentlich die Mutter abgeblieben ist!
Hallo,
auch mir gefällt der Beginn sehr gut, besonders weil noch so viele Fragen offen sind – was hat in der „Vergangenheit“ die
„Macken“ der Kinder ausgelöst und welche Rolle spielte die Mutter dabei ?
Das interessiert mich auch deshalb besonders, weil ich und meine x-Jahre jüngere Schwester auch „Macken“ aus der Kindheit haben, die bis ihr, wegen der schlechteren Erinnerung auch weniger ausgeprägt sind !
Ich würde mich deshalb über weitere Teile der Geschichte freuen, die auch die Vergangenheit weiter beleuchten !
Viele Grüße an Alle und eine „trockene Nacht“ wünscht euch allen,
Windelspiel ????