Ein Haus voller Jungs (11)
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Kapitel 11 – Keine Verantwortung
* * *
Nachdem Papa mich aus der Windel befreit und grob sauber gemacht hatte, nahm ich in der Wanne Platz. Kurz danach kam auch Papa dazu und setzte sich gegenüber. Ich sollte dazu wohl sagen, dass wir eine von diesen quadratischen Badewannen hatten – zuletzt war ich hier zwar nur mit Sammy drin gewesen, aber wir passten problemlos auch zu dritt hinein. Wenn wir uns nicht zu breit machen würden, sicher auch zu viert – aber ich glaube, wenn Papa und Thomas zusammen baden würden, würden Sammy und ich nur stören. Und ich konnte mir irgendwie nicht vorstellen, dass Rusty zusammen mit drei bis vier anderen Leuten baden wollen würde.
Natürlich ist es in unseren Kulturkreisen ziemlich unüblich, dass Eltern und Kinder zusammen baden, sobald das Kind alt genug ist, dass es gefahrlos allein baden oder duschen kann. Aber wie ihr bis jetzt gemerkt haben müsstet, ist an diesem Haushalt nichts üblich. Selbst, wenn ich nicht gerade in einer Ausgleichsphase wäre, lassen wir uns doch nicht von unseren Geburtsdaten vorschreiben, was wir zusammen tun und lassen können. Zumal da andere Kulturen doch etwas fortschrittlicher sind. Japan zum Beispiel – das stand schon ein paar Mal als Urlaubsziel zur Debatte. Vielleicht ja nächstes Jahr mit Thomas und Rusty? Wobei ich mir nicht vorstellen konnte, dass sich Rusty in einem japanischen Onsen wohl fühlen würde.
Papa holte noch unser Badespielzeug dazu – nach etwas Ermutigung seinerseits spielte ich begeistert Küstenwache. Eine gute halbe Stunde später war ich wieder trocken und frisch gewickelt – darüber kam noch ein Body, mehr würde bei den Temperaturen nicht nötig sein, und es reichte, um meinen Schnuller dranclippen zu können. In den kälteren Jahreszeiten würde Papa mich in einen Matrosenanzug oder einen langen Strampler stecken, vielleicht sogar mit Fäustlingen, aber dafür war es definitiv zu warm.
Vielleicht fragt ihr euch jetzt, wie oft wir das machen. Papa besteht für mich normalerweise auf mindestens vier Ausgleichsphasen im Jahr, eine in allen vier Ferienzeiten, wobei die Phasen in den kürzeren Ferien etwas kürzer sind als in den Sommerferien. Aber wenn wir Bedarf sehen, weil irgendwas passiert ist, nutzen wir auch normale Wochenenden dafür. Sammy ist da ein wenig anders – er ist eigentlich immer in der Ausgleichsphase, mal mehr und mal weniger. Die einzige Regel war, dass es nicht die Schule oder seine Freunde beeinträchtigen darf – nicht dass Sammy wollte, dass seine Freunde davon erfahren, nicht mal bei Benny wollte er es riskieren.
„Magst du was malen?“ fragte Papa. Ich nickte und ließ mich auf dem Spielteppich des Zimmers nieder – Papa brachte mir Stifte, eine Unterlage und verschiedene Blätter zum Ausmalen. Ein Hoch auf Google Bilder, mit den Sachen, die man da findet, kriegt man so ziemlich jedes Kind zumindest zum Ausmalen. Während Papa die Babycam anmachte, fiel mir ein Minecraft-Bild mit fünf verschiedenen Minecraft-Steves ins Auge – etwas später hatte ich es sorgfältig ausgemalt und lief damit ins Arbeitszimmer.
„Papa, schau mal!“
„Ui!“ rief Papa und sah sich mein Kunstwerk genauer an. „Sind das Sammy und Rusty?“ fragte er. Ich hatte die beiden offenbar gut getroffen.
„Ja, und da bist du, Thomas und ich!“
Papa lächelte mich an – soweit es mich betraf, gehörten die zwei schon zur Familie.
„Darf ich das den zweien gleich mal schicken?“
Ich nickte stolz.
„Schoß.“
Papa kam meinem Wunsch gerne nach – ich würde heute wohl selbst nicht am Computer spielen, aber Papa zuschauen reichte völlig. Auch wenn es schon eine Kunst war, etwas zu sehen, wenn ich auf seinem Schoß saß. Wenn ich ihm zu schwer würde, konnte ich mich immer noch auf einen Stuhl neben ihn setzen.
Gegen halb zwei machte Papa dann aber auch Pause, denn er hatte entschieden, dass es Zeit für meinen Mittagsschlaf war. Er ging vor mir in die Hocke und breitete seine Arme auf.
„Papa, ich bin doch zu schwer!“
„Noch nicht ganz Luki. Komm her und genieß es, solange ich dich noch tragen kann.“
Zögerlich tat ich wie geheißen, aber Papa schaffte es tatsächlich, mich hochzuheben und trug mich vorsichtig ins Zimmer, wo er mich ins Bett legte.
„Du musst noch was trinken,“ sagte er und verschwand kurz in die Küche, dann kam er mit einem Fläschchen wieder. Ich hob den Kopf, sodass er sich hinsetzen und ich meinen Kopf an seine Beine lehnen konnte, dann gab er mir das Fläschchen. Nachdem ich etwa zur Hälfte fertig damit war, gab ich es Papa zurück und er stellte es in die Ecke zwischen Bettgestellt und Matratze. Dann stand er vorsichtig auf, legte mir Akela in den Arm und steckte mir den Schnuller in den Mund.
„Schlaf gut, mein großer Kleiner,“ flüsterte er und küsste mich auf die Wange. Ich drückte Akela an mich und schloss die Augen, geschützt vom Tor meiner Gitterbettburg.
Der restliche Tag verlief ziemlich ereignislos. Zumindest, bis der Abend kam. Wir hatten schon gegessen – also, eigentlich hatte Papa mich gefüttert – und danach hatte Papa mich in den Laufstall gesetzt, damit ich noch etwas Fernsehen konnte. Also war ich gerade dabei, eine Digimon-Folge zu schauen, als es plötzlich an der Tür klingelte. Wer würde denn um die Zeit noch vorbeikommen? Hatte Sammy sich mit Benny gestrittet und war deshalb früher heimgebracht worden?
Papa öffnete die Tür und kam kurz darauf mit Thomas und Rusty im Schlepptau zurück. Sofort wurde mir heiß im Gesicht – wir hatten während der Ausgleichsphasen aus offensichtlichen Gründen nie Besuch. Natürlich kannten die beiden unser Geheimnis schon, aber war das wirklich so gut?
„Hallo Luka!“ rief mir Thomas zu. Ich winkte ihm zu, aber selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich gerade nicht antworten können.
„Wir stören nicht lang, versprochen,“ ergänzte er noch, dann folgte er Papa, vermutlich in dessen Arbeitszimmer. Rusty blieb zurück und schien zunächst nicht zu wissen, was er mit sich anfangen soll. Gleichzeitig war ich mir nicht sicher, ob ich ihn herbitten sollte.
Die Frage wurde mir aber abgenommen, denn plötzlich kam Rusty auf mich zu und kletterte in den Laufstall.
„Hey Luka,“ sagte er.
„Hey,“ flüsterte ich. Was sollte ich denn machen? Ich saß hier, immer noch in meinem Outfit von nach dem Bad, nur mit ein paar zusätzlichen Flecken, und jetzt saß da auf einmal mein eigentlich jüngerer quasi-Stiefbruder.
Wir schwiegen uns eine kurze Zeit an, dann fand Rusty als erstes einen Weg, die Stille zu durchbrechen.
„Das ist Tamers, oder?“ fragte er.
„Hm?“
„Die Digimon Staffel.“
„Achso. Ja. Ich bin wohl einer der wenigen, die Tamers statt Adventure bevorzugen. Aber Guilmon ist halt einfach viel cooler als Agumon.“
„Joar, ich weiß auch nicht so ganz was alle an Agumon so toll finden. Also, außer dass er ein Dino ist.“
Die Stille kehrte wieder ein, aber dieses Mal war sie nur kurz Gast.
„Wen würdest du als Partner haben wollen?“ fragte Rusty.
„Gute Frage. Da gibts so viel Auswahl.“
„Also ich finde Guilmon oder Veemon wären schon cool.“
„Oh ja. Adventure 02 war etwas komisch, aber Veemon war schon die richtige Mischung aus niedlich und cool. Aber sonst… Gabumon und Gomamon hatten schon war. Gaomon auch.“
„Gaomon?“
„Aus Data Squad.“
„Achso, die hatte ich nicht mehr groß gesehen.“
„Ja, die waren halt auch vom Ton wieder etwas anders. Und Frontier hatte ja keine Partnerdigimon. Renamon war aber noch cool. Wusstest du, dass „er“ in allen anderen Synchros ne Frau ist?“
„Echt jetzt?“
„Ja, die deutsche Synchro ist die einzige Ausnahme. Ich meine, es passt trotzdem, aber wenn man es weiß, ist es schon irgendwie komisch. Das ist übrigens auch der Grund, warum der gelbe Power Ranger keinen Rock trägt.“
„Hm?“
„In Japan ist sie ein Mann.“
„Ich hab Power Rangers nicht mal richtig gesehen. Woher weißt du sowas?“
„Sagen wir, ich verbringe viel zu viel Zeit auf TVTropes.“
„Was ist das?“
„Etwas, wovon du auf jeden Fall weg bleiben solltest, sonst macht es das Gleiche mit dir.“
„Ist das brüderlicher Rat?“ fragte Rusty schelmisch.
„Willst du, dass es einer ist?“ antwortete ich.
Rusty musterte mich.
„Ist das eure normale Feriengestaltung?“
Ich war mir nicht sicher, ob das eine Frage oder ein Vorwurf oder etwas völlig anderes sein sollte, aber ich nahm es mal als ersteres.
„Nein,“ beruhigte ich ihn. „Papa fand nur, dass ich mich in letzter Zeit zu sehr… verausgabt habe.“
„Aber doch nicht meinetwegen, oder?“
Rusty wirkte plötzlich sehr verlegen, fast schon schuldbewusst. Das war etwas, was er sich vielleicht nicht unbedingt von Sammy abschauen sollte.
„Dass du und dein Papa jetzt zu unserem Leben gehören ändert natürlich einiges. Aber das hier“ – ich wies kurz auf mein Outfit – „machen wir normalerweise einmal in allen Ferienzeiten. Und wenn Bedarf besteht.“
„Und dann fühlst du dich besser?“
„Wenn ich einmal drin bin… ja.“
„Das ist gut…“
Irgendwas ging in Rusty vor, soviel merkte ich. Plötzlich hob er die Hand und hob den Teil meines Bodys hoch, der meine Windel bedeckte. Es dauerte einen Moment, bis wir beide das registriert hatten. Rusty zog sich schnell wieder zurück, aber bevor ich etwas sagen konnte, hatte er noch einmal vorgegriffen und mir meinen Schnuller in den Mund gesteckt.
„Jona muss dich wohl bald wickeln,“ flüsterte er.
„Rusty, kommst du?“ rief Thomas plötzlich aus – offenbar waren Papa und er fertig mit dem, was sie besprechen wollten.
„Ja, Moment.“
Mit diesen Worten stand Rusty auf und kletterte wieder aus dem Laufstall.
„Gute Nacht, Luka.“
Ich winkte ihm zu, dann wandte er sich zu seinem Vater. Papa geleitete die beiden noch hinaus, dann kam er zu mir.
„Alles in Ordnung?“
Ich nickte.
„Das war nicht geplant gewesen. Die zwei waren in der Gegend und dann hat Thomas gefragt ob er mal kurz vorbeikommen kann. Ich hätte dich vielleicht vorwarnen sollen, aber ich habe mir gedacht, wenn die beiden in Zukunft öfter herkommen, dann müssen sie auch damit zurechtkommen, dass du mal in so einer Phase bist. Oder Sammy so rumläuft.“
Ich nahm den Schnuller wieder aus dem Mund.
„Aber ich hätte doch…“
„Nein, Luka. Wir haben sonst keinen Besuch in solchen Phasen, aber die beiden wissen, was Sache ist. Wenn sie vorbeikommen, ist das kein Grund, dich wieder aus diesem Headspace zu holen. Ich bin froh, wenn du da einmal drin bist. Und eins muss auch in Zukunft klar sein.“
„Was denn?“
„In diesen vier Wänden müssen weder du noch Sammy sich verstecken. Es gibt angebrachte Rücksichtnahme, aber wer uns regelmäßig besucht weiß, womit er rechnen muss. Das handhaben wir außerhalb der Windelsachen auch nicht anders.“
Da hatte Papa nicht unrecht. Benny hatte über uns zum Beispiel seine ersten FKK-Erfahrungen gemacht, weil wir ihn da mitgenommen hatten. Wenn es im Sommer heiß war, hatten er und Sammy dann in Ermangelung von Badesachen auch schon ein paar Mal nackt gespielt. Natürlich war das auch für ihn erst komisch gewesen, aber Benny war zu dem Zeitpunkt noch deutlich jünger gewesen als Rusty es jetzt war – also bevor man anfängt, sich für alles zu schämen. Für ihn war das alles inzwischen gar kein Thema mehr. Irgendwie ironisch, dass er nach all den Jahren trotzdem noch nichts vom Zimmer wusste – aber keiner von uns war bereit, die Freundschaft zu Benny und seiner Familie aufs Spiel zu setzen. Mal abgesehen von den Gerüchten, die dann entstehen könnten, wäre dieser Verlust für Sammy vernichtend.
Thomas zu verlieren für Papa aber vielleicht auch.
„Versaus dir aber nicht deswegen mit Thomas, Papa,“ flüsterte ich.
„Luka, du sollst nicht Verantwortung für mich übernehmen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die Ausgleichsphasen erreichen sollen.“
„Nicht nur deinetwegen,“ erklärte ich. „Ich mag ihn doch auch. Und ich glaube Sammy auch.“
Papa sah gerührt zu Boden.
„Oh Luka,“ flüsterte er, dann kletterte er zu mir in den Laufstall und nahm mich in den Arm.
„Mach dir um Thomas mal keine Sorgen. So einen offenen Menschen habe ich seit Simon nicht mehr kennengelernt. Euch zwei natürlich nicht mitgezählt. Und wir glauben, dass Rusty sich daran gewöhnen wird, dass ihr zwei eben sehr besondere Jungs seid. Wenn er es nicht schon hat.“
Ich nickte und kuschelte mich an Papa. Keine Verantwortung, das sagte sich so leicht. Aber auch wenn Papa recht hatte, dass ich zu viel Verantwortung an mich riss – er tat das auch. Papa hatte in den letzten acht Jahren so oft unsere Bedürfnisse über seine gestellt, und er hatte niemanden, der sich so um ihn kümmerte wie er es für uns tat. Es war so schrecklich ungerecht.
Und deshalb könnte ich mir nicht verzeihen, wenn er Thomas meinetwegen verlieren würde.
„Na komm, mein großer Kleiner,“ flüsterte er. „Du kriegst eine frische Windel und dann geht es ab ins Bett.“
Autor: Löwenjunge (eingesandt via E-Mail)
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