Ein Haus voller Jungs (13)
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Kapitel 13 – Trio, Teil 2
* * *
Sammy stürzte förmlich durch den Flur, um Rusty zu folgen, und stieß dabei fast mit einem verwirrten Jona zusammen.
„Sammy, was ist pa…“
„Ich mach das schon, kümmer du dich im Luka, bevor er noch einen Nervenzusammenbruch kriegt. Ist Rusty draußen?“
„Ja, er ist grade zur Tür raus. Aber was ist denn überhaupt passiert?“
„Gleich, kümmer dich erst um Luka, okay?“
Jona setzte zu einer weiteren Frage an, entschied sich dann aber dagegen.
„Na gut, Großer. Viel Erfolg bei was auch immer du vor hast.“
Mit diesen Worten machte sich Jona auf den Weg ins Zimmer, während Sammy durch die Haustür aufs Grundstück trat.
„Rusty?“ rief er, erhielt aber zunächst keine Antwort. Eine kurze Suche später fand er den Gesuchten aber in der Hollywoodschaukel sitzend.
„Hey… kann ich mich zu dir setzen?“
„Macht das einen Unterschied?“ knurrte Rusty. „Sonst sind dir Grenzen doch auch egal.“
„Wenn du Nein sagst, lasse ich dich in Ruhe, versprochen.“
„Gut zu wissen. Dann komm her.“
Sammy setze sich mit etwas Abstand neben Rusty, der sich bisher weigerte, ihn direkt anzusehen.
„Es tut mir leid,“ flüsterte Sammy. „Das ist mein Problem. Luka reißt alles an sich, ich kann mich nicht zurückhalten. Dabei will ich eigentlich nur, dass sich alle mögen.“
„Ich bin auch nicht besser,“ erwiderte Rusty. „Ich hab vorhin die Windel geklaut. Und das beste ist, ein Teil von mir kann immer noch nicht anders, als dich und Luka als perverse Freaks zu sehen. Auf der anderen Seite…“
Rusty verstummte.
„Ja?“
„Naja, ich hab ja keine Geschwister, aber vom Alter her bin ich ja genau zwischen euch. Und irgendwo bin ich schon… neugierig?… wie es wäre, dein großer und Lukas kleiner Bruder zu sein. Ergibt das Sinn?“
„Ja, klar.“
„Aber auf der anderen Seite weiß ich gar nicht, was das heißt, großer Bruder von jemandem zu sein. Oder der Kleine.“
„Dann finde es mit uns raus.“
„Sowas in der Art hat Luka auch schon gesagt. Also, dass er auf mich aufpassen will, so wie auf dich. Aber ich will ihn dir nicht streitig machen.“
„Ich kann Papa mit Luka teilen, also kann ich auch Luka mit dir teilen,“ kicherte Sammy. „Ist 90:10 ok für dich?“
„Blödi,“ antwortete Rusty, aber jetzt konnte auch er sich kein Lächeln mehr verkneifen.
„Das ist nicht das erste Mal, oder?“ fragte Sammy.
„Was?“
„Die Windel. Das ist nicht deine erste, oder?“
„Nein,“ gab Rusty seufzend zu. „Ich war neugierig und hab Luka gefragt und dann führte eins zum anderen. Er hatte mir zwei gezeigt, mich gewickelt und dann die zweite bei mir im Zimmer vergessen. Die hatte ich dann im Musical an und die ist dann auf der Fähre ausgelaufen.“
„Deshalb die Jacke!“ rief Sammy.
„Genau. Aber das war Adrenalin pur. Und seitdem denke ich immer wieder daran, heimlich zu tragen. Aber das geht natürlich nicht, wenn es alle wissen, deshalb habe ich Luka auch gebeten, alles für sich zu behalten. Offenbar hat er das auch.“
„Klar ist auf meinen Bruder verlass. Sonst hätte ich ihn ja schlecht erzogen.“
Rusty zog eine Augenbraue hoch.
„Du? Luka erzogen?“
„Klar! Wusstest du nicht, dass die kleinen Brüder die Großen erziehen?“
„Du veralberst mich.“
„Vielleicht…“
Sammy überlegte kurz, bevor er zu einer weiteren Antwort ansetzte.
„Interessieren dich nur die Windeln? Oder der Rest auch?“
„Ich weiß es nicht. Irgendwie ja, aber mein Kopf schreit mich förmlich an, dass ich widerstehen soll.“
„Hör nicht auf deinen Kopf, hör auf deinen Bauch.“
„Das kann ich nicht einfach so.“
„Dann bringe ich es dir bei.“
„Du sagst das so einfach.“
„Ist es auch. Probier es aus, und dann sei ehrlich. Dann weißt du auf jeden Fall mehr als vorher.“
„Ich habe ja nichts eigenes.“
„Wir haben aber genug. Manche unserer Sachen passen dir bestimmt, und unbenutzte Schnuller haben wir auch, wenn dich das interessiert. Wenn du es willst, geht es auch.“
Rusty sah Sammy eine Weile an – es war offensichtlich, wie gespalten er innerlich war, aber Sammy wusste es besser, als noch weiter nachzuhaken.
„Komm,“ sagte Rusty. „Lass uns erst mal essen gehen, falls es noch nicht kalt geworden ist. Wir können dann ja drinnen weiterreden.“
* * *
Es waren nur etwa 20 Minuten gewesen, aber diese Zeit fühlte sich an, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Das Essen hatte Papa erst Mal warmgestellt, nachdem er mich aus dem Zimmer geholt und von mir grob erfahren hatte, was passiert war. Nun warteten Papa, Thomas und ich am Esstisch darauf, dass Sammy und Rusty wiederkamen. Tatsächlich kamen sie plötzlich leise durch die Tür und setzten sich zögerlich an den Tisch.
„Krieg ich jetzt Ärger?“ fragte Rusty beschämt.
„Warum?“ fragte Thomas.
„Weil…“ setzte Rusty an, aber sein Vater unterbrach ihn.
„Rusty, ich bin sehr stolz auf dich. Ich weiß dass es schwer für dich ist, aber du hast dir offenbar noch viel mehr Mühe gegeben, als ich je von dir hätte verlangen können.“
„Warum hilft es mir dann nicht?!“ rief unser semi-Stiefbruder mit zitternder Stimme. Waren das Tränen in seinen Augen?
„Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich denken soll!“ führte er aus. „Ich weiß nicht mal, ob ich lieber bei Mama oder bei dir wohnen will. Und was das angeht…“
Rusty stand auf und zog an seiner Hose, wodurch die Windel nun definitiv erkennbar war.
„…ich weiß nicht, ob mich das wirklich interessiert oder ob ich nur neugierig bin. Und wenn es mich wirklich interessiert, weiß ich immer noch nicht…“
Rusty verstummte einen Moment und holte einige Male Luft.
„…dann weiß ich immer noch nicht, ob ich wollen würde, dass du mich wickelst, Papa.“
Rusty war nun offensichtlich kurz davor, in Tränen auszubrechen, was seinem Vater natürlich nicht entging. Thomas streckte die Arme aus und Rusty ließ sich in seinen Schoß fallen, wo er leise zu schluchzen begann. Thomas streichelte sanft Rustys Rücken und Kopf und wartete geduldig, dass sein Sohn sich etwas beruhigte.
„Rusty…“ flüsterte er. „Das ist wirklich nicht wenig, was du für dich klären musst. Aber das Gute ist, dass du Zeit dafür hast. Du musst nichts davon sofort rausfinden. Und mir ist es wichtiger, dich als offenen und toleranten jungen Mann großzuziehen als einen, der krampfhaft normal sein möchte. Was die Wohnsituation angeht, sind wir flexibel, nur die Schule ist erst mal fest. Und wenn du dich nicht entscheiden kannst, spricht auch nichts dagegen, dass du zwei Kinderzimmer hast, sobald ich eine Wohnung finde, wo wir ein eigenes Zimmer für dich einrichten können.“
„Wenn ich dazu auch was sagen darf…“ schaltete sich Papa ein. „Wenig im Leben passt in saubere Schubladen. Dein Papa hat, während er glücklich mit deiner Mama verheiratet war, perfekt in die normale „Hetero-Mann-mit-Kind“-Schublade gepasst. Jetzt passt das nicht mehr – aber wenn wir eine Schublade verlassen, müssen wir nicht direkt in die nächste springen. Das war für mich nie sinnvoll, das war für Luka nicht sinnvoll, das war für Sammy nicht sinnvoll, und ich glaube für dich ist es das auch nicht.“
Rusty nickte schweigend.
„Ich hole mal das Essen,“ erklärte Papa und verschwand kurz in der Küche. Zwei Minuten später stand unser Abendessen, dem die halbe Stunde warmhalten offenbar nicht zu sehr geschadet hatte, auf dem Tisch.
„Kann… kann ich auf deinem Schoß bleiben?“ hörte ich Rusty flüstern. Thomas flüsterte etwas und die beiden setzten sich etwas anders hin, damit beide an ihre Teller kamen. Nach ein paar eher ungeschickten Versuchen, parallel zu essen, flüsterte Thomas Rusty noch etwas zu. Rusty antwortete mit einem Nicken und kurz darauf begann Thomas, abwechselnd selbst zu essen und Rusty zu füttern. Sammy hielt sich glücklicherweise zurück, etwas dazu zu sagen, aber ich hätte es ihm nicht übel nehmen können, denn es war schon ein schöner Anblick. Trotzdem durfte ich mich nicht zu sehr ablenken lassen, denn was Thomas mit Rusty machte, machte Papa mit mir, nur dass ich nicht auf seinem Schoß saß.
„Auf die Gefahr hin, dass das ne richtig blöde Idee ist, aber ich finde es gerade so schön,“ begann Sammy. „Wenn Rusty möchte, können wir auch zu dritt im Zimmer schlafen. Platz ist genug, wir drei passen ja auch zusammen rein,“ führte er aus und wies dabei auf mich und Papa. Unrecht hatte er damit nicht, das Gitterbett war bewusst so bemessen worden, dass wir zu dritt darin kuscheln konnten, auch als Sammy und ich größer wurden.
„Und mein Angebot vorhin war auch ernst gemeint, Rusty. Ich kann dich für den Abend komplett neu einkleiden und dann können wir vielleicht noch einen Film schauen, bevor wir ins Bett gehen?“
Er sah zu Papa, der das Ganze natürlich absegnen musste.
„Wenn ihr beide das wollt, spricht nichts dagegen, dass ihr hier übernachtet,“ stimmte Papa zu. Rusty sah unsicher zu Thomas.
„Papa?“ flüsterte er.
„Du entscheidest, Russ,“ flüsterte Thomas zurück.
„Vertraust du mir?“ fragte Sammy. Rusty nickte.
„Dann denk nicht groß nach.“
Sammy streckte seine Hand aus. Rusty überlegte noch einen Moment, dann sprang er vorsichtig vom Schoß seines Vaters und nahm sie.
„Du wirst es nicht bereuen,“ versprach Sammy und führte unseren semi-Stiefbruder ins Zimmer.
„Sammy schlägt ja oft mal über die Stränge, aber ich glaube, er weiß, was er tut,“ stellte Papa fest. „Wir können ja schon mal einen passenden Film aussuchen.“
* * *
„Ich hoffe, ich hab dich grade nicht zu sehr bedrängt,“ sagte Sammy, als er mit Rusty im Schlepptau das Zimmer betrat. „Ich bin dir nicht böse, wenn du doch nicht willst.“
„Schon okay,“ flüsterte Rusty und räusperte sich. „Ich mache das jetzt. Wenn ich es nicht mag, habe ich eine Sache weniger zu klären.“
„Und wenn du es magst, dann schauen wir zusammen weiter, abgemacht?“
„Abgemacht.“
„Klasse. Also am liebsten würde ich ja einen schönen Strampler mit Füßen raussuchen, aber das ist mehr was für die kälteren Jahreszeiten. Kann ich dann aber nur wärmstens empfehlen – wortwörtlich.“
„Du bist der Boss,“ sagte Rusty. „Tu mir nur einen Gefallen und zieh mir nichts pinkes an, ja?“
„Keine Panik, das ist nur so ein Insider zwischen Luka und mir,“ beruhigte Sammy den neuen Windeljungen. „Du kannst aber schon mal deine Sachen ausziehen. Mhm, was passt zu dir…“
Sammy ließ seinen Blick einmal durch alle Schränke schweifen.
„Ich glaube ich habs,“ rief er und drehte sich zu Rusty, der ihn jetzt etwas verzweifelt ansah. Er hatte Sammys Aufforderung bereits Folge geleistet, womit nun der Zustand seiner Windel deutlich wurde.
„Ich… also…“
„Das gehört dazu,“ beruhigte Sammy ihn erneut. „Komm auf den Wickeltisch.“
„Aber… ich hab auch groß…“
„Überlass das mir.“
Zögerlich folgte Rusty auch dieser Anweisung. Sammy öffnete die Windel und begann gleich mit der Säuberung – was große Geschäfte anging, war er zwar nicht so geübt, aber stören ließ er sich von sowas nicht. Er überlegte kurz, ob er Rusty auch bei der Gelegenheit eincremen sollte, entschied sich aber erst Mal dagegen. Dann suchte Sammy das Paket für die Nacht aus.
„Ich pack eine Einlage rein,“ erklärte Sammy. „Dann hält die definitiv bis morgen früh, zumindest solange du nicht groß reinmachst.“
„Ich glaub heute muss ich das nicht mehr,“ flüsterte Rusty.
„Okay, und solange du nicht trinkst wie ein Kamel und pinkelst wie ein Pferd, wirst du dieses Paket auch nicht geflutet kriegen,“ erklärte Sammy, während er besagtes Paket verschloss. Auf sein Zeichen kletterte Rusty wieder vom Wickeltisch.
„Also einmal hätten wir diesen Body hier,“ führte Sammy aus und zog einen orange-rot gestreiften Body aus dem Schrank. Ein paar Handgriffe und etwas Unterstützung von Rusty später war er auch schon angezogen.
„Und für den Abend würde ich sagen ziehen wir noch die hier drüber,“ erklärte Sammy weiter und holte eine kurze blaue Latzhose dazu. Keine zwei Minuten später war Rustys neues Outfit fast komplett.
„Siehst toll aus. Bist fast fertig.“
Sammy zog eine Schublade heraus, aber Rusty konnte zunächst nicht sehen, was er tat. Dann kam Sammy mit einer Kette zurück, an der ein orangener Schnuller baumelte. Rusty unterdrückte einen Fluchtreflex, aber Sammy clippte die Kette nur oben an die Latzhose und steckte den Rest samt Schnuller in die Brusttasche.
„Der ist nur, wenn du willst. Komm kurz zum Spiegel.“
Rusty folgte schweigend. Sammy trat zur Seite und gab den Blick auf den Spiegel frei. Das Bild, dass sich nun ergab, seltsam zu nennen, wäre für Rusty wohl eine Untertreibung – er sah zwar sich, aber so völlig anders als sonst. Nicht nur wegen der ungewöhnlichen Kleidung, er sah aus – und fühlte sich – wie ein kleiner Junge. Ein Teil von ihm wäre am liebsten sofort in den nächsten Sandkasten gesprungen.
„Was meinst du? Bist du so vorzeigbar?“
Rusty nickte.
„Dann schauen wir doch mal, was die drei für einen Film ausgesucht haben.“
* * *
Eine knappe Viertelstunde kam mein Bruder mit einem neu eingekleideten Rusty im Schlepptau wieder. Wir drei hatten uns bereits darauf geeinigt, Rustys neues Outfit auf keinen Fall zu kommentieren, aber Thomas winkte seinen Sohn bereits zu sich. Und wenn ihr mich fragt, hatte mein Bruder gerade bewiesen, dass er Guido Maria Kretschmer Konkurrenz machen könnte.
„Und, was schauen wir?“ fragte Sammy.
„Wir dachten, Guardians of the Galaxy passt heute ganz gut,“ erklärte Papa. Sammy nickte und pflanzte sich prompt in die Mitte der Couch. Rusty und Thomas kuschelten sich auf der einen Seite zusammen, Papa und ich auf der anderen. Knabberzeug hatten wir natürlich auch noch besorgt.
Zwei Stunden später liefen auch schon die Credits.
„Mir wird grade was klar,“ sagte Sammy.
„Was denn?“ fragte Papa.
„Man sagt ja, Freunde sind die Familie, die man sich aussucht. Aber eigentlich stimmt das nicht, nicht ganz.“
„Wie meinst du das?“
„Man kann sich seine Familie aussuchen. Also, natürlich nicht mit wem man verwandt ist, aber ob man was mit ihnen zu tun haben will, entscheidet man selbst.“
„Ganz so einfach würde ich es nicht sehen, aber du hast auch nicht ganz Unrecht,“ gab Thomas zu. „Viele Leute haben Verwandtschaft, die sie nur deswegen tolerieren.“
„Eben, aber das muss man nicht.“
„Naja, in vielen Familien wird es aber kompliziert, wenn sich die Leute untereinander streiten,“ gab Papa zu bedenken.
„Aber auf einer großen Feier kann man sich ja auch aus dem Weg gehen,“ fügte ich hinzu.
„Im schlimmsten Fall gehen sich dann alle aus dem Weg,“ schloss Papa.
„Aber wäre das nicht vielleicht besser so? Dem, ich sag mal, rassistischen Onkel mal die Meinung geigen und dann vielleicht ihn und alle, die seiner Meinung sind, nie wieder sehen zu müssen, anstatt jedes Mal dabeizusitzen und es sich anhören zu müssen?“ erklärte ich.
„Vielleicht,“ sagte Thomas. „Nicht unbedingt einfacher, aber vielleicht langfristig besser. Ich glaube, das ist grundsätzlich schon eine gesunde Einstellung, die ihr habt.“
„Ich weiß nur eins,“ verkündete mein Brüderchen. „Ich weiß, wen ich in meiner Familie haben will. Vier davon sind hier im Raum, und mit nur einem von ihnen bin ich blutsverwandt.“
„Aww, ich hab dich auch lieb, Bruderherz.“
„Aber jetzt wird es Zeit, dass ihr drei in die Falle kommt,“ erklärte Papa. Dagegen hatten wir tatsächlich gar nichts einzuwenden, der Abend war doch wesentlich ereignisreicher gewesen, als wir noch vor ein paar Stunden vermutet hätten. Eine Zahnputzpolonaise später trafen wir uns im Zimmer wieder, wo es noch zu klären galt, wie wir uns am geschicktesten hinlegen.
„Ich würde ja sagen, Rusty nach außen – dann kannst du, wenn es dir irgendwie zuviel wird, am leichtesten raus,“ schlug ich vor. Rusty nickte.
„Ich zieh noch schnell die Latzhose aus, das wird sonst glaube ich zu warm.“
„Dann geh ich zur Wandseite,“ rief Sammy und nahm den Teil des Bettes prompt für sich in Beschlag. Papa gab ihm schon mal seinen Gute-Nacht-Kuss, dann war ich dran, bevor ich es mir neben Sammy bequem machte. Sammy nahm sich direkt ein Kissen und kuschelte sich in meine Armbeuge. Rusty folgte und schien etwas unschlüssig, wie er sich hinlegen sollte. Ich nahm ein weiteres Kissen und legte es ähnlich wie auf der anderen Seite.
„Auf die Gefahr hin, dass mir bis morgen beide Arme abgefallen sind, komm ruhig zu mir.“
Rusty legte sich schweigend dazu, und so kam es, dass ich zwischen meinen beiden Brüdern lag – einem leiblichen und einer, der offiziell noch nicht mal mein Stiefbruder war, aber für mich nicht weniger dazu gehörte.
„Gute Nacht mein Großer,“ flüsterte Thomas Rusty zu und gab ihm noch einen Kuss auf die Wange.
„Ich denke, die Cam lassen wir heute Nacht aus, oder?“ fragte Papa.
„Sonst ist sie an, oder?“ fragte Rusty.
„Fast immer.“
„Dann mach sie ruhig an.“
„Bist du dir sicher?“
Rusty nickte.
„Wenn es für die zwei dazugehört, dann will ich es auch erleben.“
„Danke, Rusty,“ flüsterte Sammy.
„Dann gute Nacht, ihr drei,“ flüsterte Papa, ging mit Thomas zur Tür und löschte das Licht. Sammy steckte mir noch meinen Schnuller in den Mund und tat für sich das Gleiche. Einige Minuten später bekam ich noch mit, wie Rusty ebenfalls den Schnuller, der jetzt offen mit der Kette am Body befestigt war, in den Mund steckte. Kurz darauf waren wir drei unter dem aufgemalten Sternenhimmel eingeschlafen.
* * *
„Du kannst jetzt über eine App auf die Kamera zugreifen, oder?“ fragte Thomas. Jona nickte.
„Ich schau eigentlich nur rein, bevor ich selber schlafen gehe, das Babyfon bei Sammys Bett ist viel relevanter. Aber wir können ja mal reinschauen.“
Jona rief die App auf und kurz darauf füllte ein Live-Feed von der Kamera das Display.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich Rusty nochmal so sehen darf,“ kommentierte Thomas sichtlich gerührt. „Er wirkt so friedlich und geborgen wie schon lange nicht mehr.“
„Er beweist gerade riesigen Mut. Er hat es mir ja bisher nicht leicht gemacht, sicher auch nicht ganz unabsichtlich, aber er ist ein toller Junge.“
„Toller, als ich verdient habe,“ seufzte Thomas.
„Sag das nicht.“
„Aber was soll ich denn sagen? Jona, ich…“
Thomas sammelte sich einen Moment.
„Jona, die letzten Jahre… als ich die Stelle in der neuen Einrichtung angetreten habe, hatte ich so viel Tatendrang. Ich wollte etwas großes miterschaffen. Als die ersten Probleme auftraten, arbeitete ich umso mehr, in der Hoffnung, dass es bald besser werden würde.“
Er pausierte für einen Moment.
„Mein größter Fehler. Ich war nicht für Rusty da, als es an der neuen Schule Probleme gab und er mich brauchte. Ich war für seine Mutter nicht da, als sie mich brauchte. Und irgendwann konnte ich auch für die Kinder nicht mehr so da sein, wie ich es wollte. Es war nicht der einzige Grund für die Trennung, auch wenn ich das so gerne sagen würde, aber als es so weit war… da wurde mir erst klar, wie sehr ich auf ganzer Linie versagt hatte. Als Vater, als Ehemann und im Beruf.“
Thomas sah auf.
„Und dann kamst du.“
„Das beruht auf Gegenseitigkeit,“ flüsterte Jona und nahm Thomas‘ Hände. „Du gibst mir mehr zurück, als du ahnst. Du bist nicht Simon, aber das ist auch gut so. Ich dachte, ich könnte nie wieder jemanden so lieben, aber ich hatte auch Angst – dass jemand neues nicht mit Luka und Sammy klar kommt. Oder mit ihren Eigenheiten. Jemand anderes würde mir vielleicht vorwerfen, sie auf meine eigene Weise zu missbrauchen. Hättest du nicht diesen beruflichen Hintergrund, hätte ich es dir vielleicht nie verraten und ich hätte es nie weiter kommen lassen können.“
Thomas lächelte.
„So nah wie vorhin waren Rusty und ich uns schon so lange nicht mehr. Ich habe das Gefühl, so wie es jetzt ist, wird es schon alles gut werden. Das hatte ich schon so lange nicht mehr.“
Jona beugte sich vor und gab seinem Freund einen Kuss.
„Ich bin auch gespannt, was noch kommt. Aber was es auch ist, wir kriegen das hin.“
Autor: Löwenjunge (eingesandt via E-Mail)
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