Florians Schatten (4)
Windelgeschichten.org präsentiert: Florians Schatten (4)
Ein besonderer Dank geht an nice.smile, der sich den Text auch diesmal noch einmal angeschaut und mir geholfen hat, einige Details realistischer zu gestalten. Trotzdem bleibt es eine Fantasiegeschichte, die keinen Anspruch auf absolute Realität erhebt.
Und jetzt geht’s weiter!
Gemeinsam gingen wir die Treppe hinunter, und je näher wir dem Wohnzimmer kamen, desto nervöser wurde ich. Meine Hände begannen leicht zu zittern, und ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Kurz vor der Tür blieb Diana stehen, stellte die Kiste mit den Autos ab und nahm noch einmal meine Hand. Sie hockte sich vor mich, sodass ich ihr in die Augen sehen konnte.
„Florian,“ sagte sie sanft, „du musst dir keine Sorgen machen. Hier wollen alle nur dein Bestes. Ich bin auch mit dabei, und wenn du dich unwohl fühlst, kommst du einfach zu mir, und ich bringe dich wieder nach oben in dein Zimmer. Und denk daran: Du musst keine Fragen beantworten, die du nicht möchtest, okay?“
Ich nickte, obwohl ich noch immer unsicher war. Ihre Hand fühlte sich warm und fest an, was mir ein wenig Halt gab.
„Und wenn die beiden später wieder weg sind, kannst du mir oder Frau Peters sagen, was du denkst und wie du dich fühlst,“ fügte sie hinzu.
Erneut nickte ich, diesmal etwas sicherer, und mit Dianas beruhigenden Worten im Kopf atmete ich tief durch, bereit, den Raum zu betreten.
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Wir wurden freundlich von Frau Peters und einer älteren Dame namens Frau Bachstedt begrüßt – ich schätzte sie auf mindestens 60 Jahre. Sie führte uns ins gemütliche Wohnzimmer, wo Herr Bachstedt uns freundlich Kaffee brachte, bevor er sich diskret zurückzog. Frau Peters, die scheinbar kurz vor uns eingetroffen war, wandte sich an Frau Bachstedt und sagte: „Diana, was kannst du uns von den letzten 24 Stunden mit Florian berichten?“
Ich warf einen kurzen Blick zu Markus und dachte still: Florian… ein schöner Name. Schon dieser Gedanke löste etwas in mir aus.
Frau Bachstedt lächelte warm und begann zu berichten. „Florian macht einen sehr vorsichtigen Eindruck und scheint ständig darauf bedacht zu sein, niemanden zu verärgern. Er hat heute ein wenig mit Nathanael gespielt,“ fügte sie hinzu und sah uns an. „Nathanael ist unser Pflegesohn. Florian kommt mit anderen Kindern gut zurecht, soweit man das nach so kurzer Zeit sagen kann.“
Sie machte eine kleine Pause, und ich konnte spüren, dass sie genau abwog, wie sie ihre Eindrücke formulierte. „Trotzdem wirkt er nicht wie ein 8-jähriger Zweitklässler. Sein Verhalten erinnert eher an ein Vorschulkind. Florian ist außerdem stark untergewichtig und trinkt deutlich zu wenig. Seine Erziehung scheint bisher leider einiges vermissen gelassen zu haben.“
Dann hielt sie kurz inne und ergänzte nachdenklich: „Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass wir für Florian bisher nur Kleidung in seiner Größe haben, die eher für Kindergartenkinder gemacht ist. Das macht es umso offensichtlicher, dass er sich körperlich und vielleicht auch emotional noch nicht auf dem Stand seiner Altersgenossen befindet.“
Sie legte die Hände ineinander, bevor sie weitersprach: „Was seine schulischen Leistungen angeht, kann ich leider noch keine Beurteilung abgeben. Florian wirkt sehr unsicher, aber das kann natürlich an der neuen Umgebung liegen. Der erste Eindruck kann durchaus täuschen, und ich hoffe sehr, dass wir mit der Zeit ein klareres Bild bekommen.“ Ihr Tonfall war sanft, aber auch nachdenklich, während sie uns eindringlich ansah.
Frau Bachstedt blickte uns an, und ihre Augen zeigten die Sorge, die sie um das Kind empfand. „Er scheint nie Zuneigung oder Nähe erfahren zu haben. Das wird Zeit brauchen, bis er lernt, Nähe und Vertrauen zuzulassen. Ich glaube, er hat vor Männern eine gewisse Scheu. Mein Mann Manfred hat ihm keinerlei Anlass dazu gegeben, aber Florian wirkt dennoch vorsichtig in seiner Gegenwart. Es kann gut sein, dass er schlechte Erfahrungen gemacht hat. Außerdem habe ich bemerkt, dass er auf unangekündigte Berührungen sehr ängstlich oder schreckhaft reagiert, fast so, als erwarte er etwas Negatives. Das zeigt, wie tief solche Erlebnisse in ihm verwurzelt sein müssen.“
Sie machte eine kurze Pause und sah mit leicht warnendem Blick zu Markus. „Daher ist es wichtig, in seiner Nähe sehr behutsam und ruhig zu sein. Keine hektischen Bewegungen, keine unbedachten Gesten – er könnte das leicht missverstehen.“ Ihr Tonfall war sanft, aber dennoch eindringlich, um die Bedeutung ihrer Worte zu unterstreichen.
Während sie sprach, fühlte ich, wie sich mein Herz immer enger zusammenzog. Die Vorstellung, dass ein so junges Kind bisher so viel Angst und Kälte erlebt hatte, ließ einen tiefen Schmerz in mir aufsteigen. Ich sah zu Markus, und in seinem Blick erkannte ich denselben Entschluss: Wenn wir diesem Jungen helfen konnten, würde es uns ganz sicher ein Anliegen sein, ihm zu zeigen, wie ein echtes Zuhause sein kann.
„Es gäbe sicherlich noch mehr zu erzählen, und ihr werdet sicher später noch einige Fragen haben,“ sagte Frau Bachstedt und sah dabei sowohl Frau Peters als auch uns an. „Ich würde ihn jetzt einfach dazu holen, wenn das für alle in Ordnung ist.“
Frau Peters nickte zustimmend. „Ja, das ist eine gute Idee. Sie sollten sich kennenlernen.“
Mit einem letzten, bestätigenden Blick zu uns verließ Frau Bachstedt das Wohnzimmer. Ich spürte, wie mein Herz ein wenig schneller schlug, und warf einen kurzen, aufgeregten Blick zu Markus. Die Vorstellung, dass wir Florian gleich sehen und sprechen würden, ließ in mir eine Mischung aus Vorfreude und Sorge aufsteigen. Wie würde er wohl reagieren? Würde er uns offen begegnen oder eher verschlossen?
Wir warteten gespannt und versuchten, uns zu entspannen, doch ich konnte die Nervosität kaum unterdrücken. Schließlich würden wir vielleicht ein Kind kennenlernen, das uns – hoffentlich – bald als sein neues Zuhause sehen könnte.
Frau Peters nutzte die Zeit, um uns über die aktuelle Situation zu informieren. „Ich hatte heute Mittag ein Gespräch mit den Eltern von Florian. Leider zeigten sie wenig bis gar kein Verständnis für unsere Intervention und haben angekündigt, rechtliche Schritte einzuleiten, um ihn zurück zu bekommen.“
Ein Anflug von Sorge durchzog mich bei ihren Worten. Die Vorstellung, dass Florian nach kurzer Zeit bei uns wieder zurück müsste und wir ihm in dieser kurzen Zeit kaum helfen könnten, belastete mich. Ich sah zu Markus, der ebenfalls nachdenklich wirkte.
Frau Peters bemerkte unsere Reaktion und fuhr beruhigend fort: „Das kommt häufiger vor, und es ist natürlich ihr Recht, Einspruch zu erheben. Aber bisher haben wir in solchen Fällen stets den Rückhalt vom Familiengericht bekommen, und im Fall von Florian ist die Beweislast erdrückend. Sie sollten sich darüber also erstmal keine Sorgen machen.“
Ich atmete ein wenig auf, als sie das sagte. „Danke, das ist beruhigend zu hören,“ sagte ich leise.
„Ich wollte nur, dass Sie wissen, dass wir nun auch Kontakt zu seinen Eltern haben,“ erklärte Frau Peters weiter, „auch wenn es bis jetzt schwierig ist, normale Gespräche zu führen. Aber auch das ist bei dieser Art von Sorgerechtsentzug leider nicht ungewöhnlich.“
Frau Peters lächelte leicht und sprach weiter: „Ich habe auch mit dem Familiengericht im Hinblick auf Sie beide gesprochen. Sollte alles passen und sich gut entwickeln, würden wir einen Termin für Anfang nächster Woche ansetzen. So hätten Sie noch etwas Zeit, sich vorzubereiten und die nötigen Besorgungen zu machen.“
Ich sah Markus kurz an und nickte. Es war gut, dass wir etwas Zeit hatten, um alles vorzubereiten.
„Für die Erstattung von Kleidung und allem, was er braucht,“ fuhr Frau Peters fort, „bekommen Sie vom Jugendamt eine pauschale Summe von 1100 Euro. Ich weiß, dass das für eine komplette Ausstattung oft knapp bemessen ist, aber Sie haben bei unserem Erstgespräch ja bereits gesagt, dass Sie keine finanziellen Interessen haben und auch bereit wären, aus Ihrem Privatvermögen zu unterstützen. Es ist traurig, dass für Pflegekinder nicht mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, aber leider kann ich daran nichts ändern.“
Ihre Ehrlichkeit und Offenheit schätzte ich sehr. „Das verstehen wir, Frau Peters,“ sagte ich ruhig. „Und wir sind natürlich bereit, alles Nötige für Florian selbst zu besorgen. Unser Ziel ist es schließlich, ihm ein echtes Zuhause zu bieten.“
Frau Peters nickte dankbar und lächelte.Ich blickte zu Markus und dann zurück zu Frau Peters. „Gibt es eine Empfehlung, was man alles für die Ausstattung in diesem Alter braucht?“ fragte ich etwas verlegen. „Unser Sohn ist ja schon eine Weile aus diesem Alter heraus, und damals haben wir alles nach und nach besorgt, wenn es gerade nötig war.“
Frau Peters lächelte verständnisvoll. „Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Es gibt durchaus Empfehlungen, was eine Grundausstattung umfasst. Aber aus Erfahrung würde ich Ihnen vorschlagen, später mit Frau Bachstedt zu sprechen. Sie ist mittlerweile eine echte Expertin auf diesem Gebiet und kann Ihnen sicherlich wertvolle Tipps geben.“
Ich nickte dankbar. „Das klingt gut, Frau Peters, vielen Dank.“
„Gibt es noch andere Verwandte von Florian, die möglicherweise einen Anspruch auf Fürsorge erheben könnten?“ fragte ich vorsichtig.
Frau Peters lächelte beruhigend. „Das kann ich im Moment noch nicht genau sagen,“ antwortete sie sanft, „aber auch da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. In der Regel treten Verwandte in solch schweren Fällen wie bei Florian schon an uns heran, bevor wir eingreifen müssen. Wenn jetzt doch jemand auftauchen sollte, würde man natürlich fragen müssen, warum so spät reagiert wird. Es ist leider nur allzu offensichtlich, dass Florian bisher nicht die Fürsorge erhalten hat, die er braucht.“
Ihre Worte gaben mir ein wenig Sicherheit. Die Sorge, dass Florian möglicherweise von jemandem zurückgefordert werden könnte, war ein schweres Gefühl, aber ihre Erklärung ließ mich ein wenig aufatmen.
Ich hörte, wie sich jemand vor der Tür aufhielt und leise sprach. Mein Herzschlag beschleunigte sich, und die Aufregung in mir stieg. Kurz darauf trat Frau Bachstedt ins Zimmer, und an ihrer Hand hielt sie einen kleinen Jungen, der schüchtern hinter ihr Schutz suchte.
Er war wirklich kleiner, als ich es mir vorgestellt hatte, und wirkte zerbrechlich. Man konnte sofort sehen, dass er unterernährt war – sein Gesicht war schmal und seine Schultern schienen fast in der Kleidung zu verschwinden. Sein dunkelblondes Haar fiel ihm über die Ohren und sah sauber aus, doch es war klar, dass ihm ein richtiger Haarschnitt fehlte.
Ich konnte nicht anders, als ihn sofort in mein Herz zu schließen. Da stand dieser kleine Junge, unsicher und verloren, und ich verspürte den starken Wunsch, für ihn da zu sein und ihm ein Zuhause zu geben.
Florian hob kurz den Blick und schaute Markus und mich vorsichtig und verlegen an, nur um dann schnell wieder weg zusehen. Er schien sehr unsicher, genau wie Frau Bachstedt es beschrieben hatte. In diesem Moment spürte ich, dass wir ihm behutsam begegnen mussten, um sein Vertrauen zu gewinnen.
Vorsichtig stand ich auf, ging ein paar Schritte näher und hockte mich dann mit ausreichend Abstand hin, sodass Florian sich nicht bedrängt fühlte. Mit ruhiger Stimme stellte ich mich vor: „Hallo Florian, das ist Markus und ich bin Annette. Du kannst mich aber auch gerne Anni nennen, wenn du magst. Es freut uns sehr, dich kennenzulernen.“
Er warf uns einen kurzen, scheuen Blick zu, bevor er wieder wegschaute. Seine Zurückhaltung und Schüchternheit waren deutlich zu spüren, und ich war froh, dass wir ihm alle Zeit geben konnten, die er brauchte.
Frau Bachstedt kniete sich ebenfalls hin und sprach sanft zu ihm: „Florian, ich hole jetzt die Kiste mit den Autos rein. Dann kannst du vielleicht ein bisschen hier im Wohnzimmer spielen, okay?“
Er nickte leicht, und Frau Bachstedt stellte die Kiste in einer Ecke des Wohnzimmers ab, sodass Florian genügend Abstand zu uns hatte. Er kniete sich neben die Kiste und begann vorsichtig, die Autos heraus zunehmen und anzuordnen. Dabei bemerkte ich erstaunt, dass es fast so aussah, als würde er eine Windel tragen – eine Beobachtung, die mich zusätzlich berührte und mich noch nachdenklicher machte.
Ich sah zu Markus und spürte, dass auch er bereits Mitgefühl für Florian empfand. Uns war klar: Wir würden ihm behutsam helfen, in seinem eigenen Tempo, und ihm die Sicherheit geben, die er dringend brauchte.
Ich beobachtete, wie Florian die Autos zu kleinen Gruppen an verschiedenen Stellen aufreihte, sorgfältig und in tiefem Spiel versunken. Unsicher fragte ich mich, ob es sinnvoll wäre, mich zu ihm zu setzen, um ihm meine Nähe anzubieten.
Frau Bachstedt schien meine Gedanken zu erraten und sagte sanft zu mir: „Lassen Sie ihm erstmal ein paar Minuten Zeit. Ich weiß, dass es am Anfang schwer ist, aber ich habe gelernt, dass die Kinder von alleine kommen, wenn sie so weit sind.“
Ihre Worte beruhigten mich, und ich nickte dankbar. Es war schwer, die Geduld aufzubringen und ihm einfach Raum zu geben, doch ich verstand, dass es für Florian wichtig war, diesen ersten Schritt selbst zu machen.
Frau Peters ergriff leise das Wort und richtete ihren Blick auf Frau Bachstedt. „Hat Florian eine Windel an, oder täuscht das?“ fragte sie vorsichtig.
Frau Bachstedt sah zu ihr und nickte. „Ja, er hatte einige Unfälle, und ich habe es ihm angeboten, damit er etwas weniger Druck verspürt. Florian hat mir erzählt, dass er bisher kaum mehr als 300 ml am Tag getrunken hat und selbst dann Schwierigkeiten hatte, es zu halten. Ich denke, dass er diesbezüglich zeitnah untersucht werden sollte. Ich vermute, dass er absichtlich so wenig trinkt, um tagsüber die Kontrolle über seine Blase behalten zu können. Er scheint darauf bedacht zu sein, nächtliche Unfälle zu begrenzen, macht aber nach wie vor ins Bett.“
Frau Peters nickte verständnisvoll, während Frau Bachstedt fortfuhr. „Er macht sich sehr fertig, weil ihm diese Unfälle passieren. Man sieht, dass es ihm unangenehm ist und er sich deshalb zusätzlich belastet fühlt. Eigentlich wollte ich ihm Pyjama-Windelhöschen anbieten, die ihm mehr wie normale Unterwäsche vorkommen könnten, aber wir hatten keine in passender Größe im Haus. Mein Mann hat inzwischen welche besorgt, doch im Moment trägt er eine Kleinkindwindel, die ihm leider noch etwas zu groß ist. Es ist keine ideale Lösung, aber sie hilft ihm zumindest, etwas entspannter zu bleiben.“
Ihre Worte ließen mich spüren, wie verletzlich Florian sich wohl in dieser Situation fühlen musste. Ich konnte mir vorstellen, wie bedrückend das für ihn sein musste – und verspürte den tiefen Wunsch, ihm eine Umgebung zu bieten, in der er sich ohne Scham entfalten konnte.
Frau Bachstedt nahm ein Glas vom Tisch und füllte es mit Wasser und einem kleinen Schuss Kirschsaft. Dann hockte sie sich zu Florian und hielt ihm das Glas hin. Er griff nur zögerlich danach und nahm zunächst nur einen kleinen Schluck. Erst als sie ihn ermutigte, das Glas ganz zu trinken, tat er es schließlich.
Als sie zurückkam, wandte sie sich wieder an uns. „Das ist jetzt das dritte Glas Flüssigkeit, das er heute zu sich genommen hat. Er trinkt nicht von selbst; man muss ihn jedes Mal dazu ermutigen. Florian hat mir erzählt, dass er Zuhause oft dazu angehalten wurde, nicht so viel zu trinken. Das sitzt tief in ihm und wird seine Zeit brauchen, bis er sich daran gewöhnt, dass er hier jederzeit trinken darf und soll.“
Ihre Worte ließen mich spüren, wie tief die Vernachlässigung in ihm verwurzelt war. Es machte mich traurig, dass er sogar bei etwas so Grundlegendem wie dem Trinken ein Gefühl von Angst und Zurückhaltung verspürte. In Gedanken nahm ich mir vor, ihm geduldig zu helfen, sich bei uns sicher zu fühlen – Stück für Stück.
Ich beobachtete Florian aus der Ferne, wie er sich vorsichtig mit den Autos in der Ecke des Wohnzimmers beschäftigte. Er saß da, fast so, als wolle er unsichtbar bleiben – seine Bewegungen waren leise und bedächtig, als ob er befürchtete, Lärm zu machen und damit jemanden zu stören. Jedes Auto stellte er vorsichtig an seinen Platz, so als müsse er sich für jedes kleine Geräusch entschuldigen.
Während ich ihn so ansah, fiel mir auf, dass der Rand seiner Windel leicht aus der Hose herausragte. Instinktiv verspürte ich das Bedürfnis, hinüberzugehen, ihm das Hemd ordentlich in die Hose zu stecken und ihm so ein wenig Geborgenheit zu geben. Ein warmes Gefühl überkam mich, und für einen Moment erinnerte mich Florian an unseren Sohn Sebastian, wie er mit drei Jahren auf genau dieselbe Art im Wohnzimmer gespielt hatte. Ich konnte ihn förmlich vor mir sehen, wie er konzentriert und mit Ernsthaftigkeit in seine kleine Welt aus Spielzeug Autos eintauchte, nur unterbrochen von einem gelegentlichen Blick, um sich zu vergewissern, dass ich in der Nähe war.
Auch Florian war jetzt so in seine kleine Fantasiewelt versunken, obwohl er immer wieder schüchtern und unsicher zu uns herüber lugte. Ich spürte eine Welle von Zuneigung für ihn – diesen kleinen Jungen, der so viel Unsicherheit in sich trug und offenbar so wenig Schutz und Geborgenheit erfahren hatte. Der Wunsch, ihn einfach in die Arme zu schließen und ihm zu zeigen, dass er hier sicher war, wuchs in mir. Es war, als wäre er auf eine Art bereits Teil unserer Familie, und mein Herz sagte mir, dass wir ihm genau das geben konnten: einen sicheren Ort, an dem er einfach Kind sein durfte.
Während ich Florian so still und vorsichtig spielen sah, wurden meine Augen feucht vor Zuneigung. Dieser kleine, verletzliche Junge, der so vorsichtig mit den Autos spielte, hatte bereits in kürzester Zeit einen Platz in meinem Herzen gefunden. Frau Bachstedt, die meinen Blick bemerkte, griff sanft nach der Taschentuchbox auf dem Tisch und reichte mir mit einem verständnisvollen Lächeln ein Taschentuch. Dankbar nahm ich es und wischte mir unauffällig die Tränen aus den Augenwinkeln.
„Ich kenne diesen Blick nur zu gut von mir selbst,“ sagte Frau Bachstedt leise und mit einer Spur Wehmut in ihrer Stimme. „Glauben Sie mir, ich würde ihn selbst gerne bei mir aufnehmen, aber ich gehe auf die 70 zu. Wir haben im Moment, zwei Teenies und sie sind die letzten Kinder, die wir auf ihrem Weg zum Erwachsenen werden begleiten können.“
Ihre Worte verrieten eine tiefe Verbundenheit und auch einen Hauch von Abschiedsschmerz. Man konnte sehen, dass sie selbst mit ihren Gefühlen kämpfte, während sie Florian ansah, der so still und versunken in der Ecke des Raumes saß. Ihre Stimme bebte leicht, als sie sprach, und ihre Augen glänzten in diesem Moment ebenso wie meine.
Es war deutlich, dass Frau Bachstedt viele Jahre lang für Kinder wie Florian da gewesen war und für sie ein Zuhause geboten hatte, das Geborgenheit und Liebe versprach. Der Gedanke, dass ihre Reise als Pflegemutter bald enden würde, musste schwer für sie sein. Ihr Herz sprach die gleiche Sprache wie meines, und ich konnte förmlich spüren, wie viel Liebe sie diesen Kindern geschenkt hatte. Wir warfen uns einen kurzen, wortlosen Blick zu, und ich wusste: Wir waren beide bereit, für Florian da zu sein, und ich fühlte mich mehr denn je dazu bestimmt, ihm diese Zuneigung und Geborgenheit zu geben.
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Ich betrat das Zimmer an Dianas Hand und sah mich vorsichtig um. Sofort erkannte ich Frau Peters. Sie lächelte mich freundlich an, was mir ein wenig half, mich nicht ganz so verloren zu fühlen. Aber dann sah ich die beiden anderen Personen, und mein Blick blieb an der Frau hängen. Sie war jünger als meine Mama, das konnte ich erkennen. Sie hatte eine schlanke Figur und dunkle Haare, die ihr wie eine Haube um den Kopf lagen. Die Haare waren glatt und hörten genau auf Höhe ihres Kinns auf – das sah irgendwie ordentlich aus, fast wie bei einer Puppe.
Neben ihr saß ein Mann. Er sah freundlich aus, aber bei ihm konnte ich nicht so leicht erkennen, wie alt er war. Irgendwie schien er in einem ähnlichen Alter wie die Frau zu sein, aber ich war mir nicht sicher. Ich wusste nur, dass ich mich immer bei Männern etwas unwohler fühlte, auch wenn er nicht so wirkte, als würde er etwas Böses wollen. Sie beide lächelten mich an, aber dennoch wurde ich unsicher.
Instinktiv zog ich mich ein Stück zurück und versteckte mich hinter Diana. Ihre Hand fühlte sich warm und sicher an, und ich hielt mich fest, als könnte sie mich vor allem schützen, was gleich passieren würde. Diana drückte sanft meine Hand. Aber ich war mir nicht sicher was ich jetzt machen sollte. Ich fühlte mich einfach zu nervös, um mich aus meinem Versteck hervor zu wagen.
Die Frau stand auf und kam ein kleines Stück auf mich zu. Doch statt näher zu kommen, hockte sie sich vor die Couch, sodass sie auf meiner Höhe war. Sie sah mich an, ihre Augen wirkten freundlich und warm, und ihre Stimme klang ruhig, als sie sagte: „Hallo Florian.“ Dann deutete sie auf den Mann neben ihr. „Das ist Markus, und ich bin Annette. Du kannst mich aber auch Anni nennen, wenn du möchtest.“
Sie lächelte leicht und setzte sich danach wieder zurück auf die Couch. Ich war erleichtert, dass sie mir nicht zu nah gekommen war. Ich hatte mich schon darauf vorbereitet, wegbzurücken oder mich noch enger hinter Diana zu verstecken. Aber sie ließ mir Raum, und das fühlte sich besser an.
Während ich hinter Diana stehen blieb, gingen mir die Gedanken durch den Kopf. Gestern, als ich mit Frau Peters hier angekommen war, war alles so schnell gegangen. Ich hatte kaum Zeit gehabt, darüber nachzudenken, was eigentlich passiert. Aber jetzt, wo ich diese neuen Menschen vor mir hatte, wurde mir klar: Ich mag es nicht, neue Erwachsene kennenzulernen. Bei Kindern war das irgendwie anders, aber bei Erwachsenen fühlte ich mich immer unsicher. Ich wusste nie, was sie von mir erwarten oder wie sie reagieren würden, wenn ich etwas falsch machte.
Ich hielt mich weiter an Dianas Hand fest und war froh, dass sie mich nicht losließ.
Diana hockte sich vor mich hin, ihre Augen sahen wie immer freundlich aus, und sie sprach sanft zu mir: „Florian, ich hole jetzt die Kiste mit den Autos für dich herein, ja?“ Ich nickte kaum merklich, froh, dass sie mich nicht drängte, etwas zu sagen oder zu tun.
Kurz darauf kam sie mit der Kiste zurück und stellte sie in einer Ecke vor mir ab, nicht weit von der Couch, aber weit genug weg von den beiden Erwachsenen. Ich fühlte mich erleichtert. Ich musste nicht mit ihnen sprechen oder irgendwas tun, das mir unangenehm war. Stattdessen konnte ich einfach hier sitzen und die Autos anschauen. Das war besser.
Ich kniete mich vor die Kiste und begann, die Autos vorsichtig heraus zu nehmen. Jedes Auto betrachtete ich kurz, bevor ich es in eine Gruppe ein ordnete. Die Polizeiautos stellte ich wieder vor die Kiste – sie sollten ihre Wache hier haben, wie oben in meinem Zimmer. Die Rettungswagen und die Feuerwehr stellte ich nebeneinander an die Wand. Ich stellte mir vor, dass sie gemeinsam auf Einsätze warten würden.
Es waren nicht alle Autos aus dem Zimmer hier, aber genug, um eine kleine Autostadt zu bauen. Ich sortierte weiter: Taxis kamen neben die Polizeiwache, und die Lastwagen parkte ich an der anderen Seite, so als wären sie auf einer großen Baustelle. Die Rennwagen legte ich in eine Ecke, in der ich mir vorstellte, dass sie ein Rennen fahren könnten.
Mit jeder Bewegung wurde ich ruhiger. Es war fast, als könnte ich durch die Autos alles um mich herum vergessen. Die Erwachsenen auf der Couch waren zwar da, aber ich tat so, als wären sie nicht da. Ich war in meiner Welt, in der alles so war, wie ich es wollte. Hier gab es keine Fehler, keine Erwartungen. Nur die Autos und mich.
Langsam begann ich, meine Stadt zu bauen. In meinem Kopf sah ich kleine Straßen, auf denen die Autos fahren konnten. Ein Taxi würde eine Person abholen, der Krankenwagen musste zum Einsatz fahren, und die Feuerwehr stand bereit für den nächsten Alarm. Es war beruhigend, diese Ordnung zu schaffen, und ich konzentrierte mich so sehr darauf, dass ich alles andere um mich herum für einen Moment vergessen konnte.
Die Erwachsenen begannen, sich zu unterhalten. Ihre Stimmen waren ruhig, und ich hörte zwar, dass sie sprachen, aber den Inhalt konnte und wollte ich auch gar nicht verstehen. Es war einfacher, mich auf meine kleine Autostadt zu konzentrieren, die ich gerade baute.
Ab und zu hob ich kurz den Kopf und warf einen schnellen Blick zu Annette und Markus. Sie schauten mich manchmal an, lächelten, aber sprachen nicht direkt mit mir. Ich war froh darüber und spielte dann weiter. Meine Stadt nahm langsam Gestalt an, und ich überlegte mir, was für Einsätze die Feuerwehr und die Polizei wohl als Nächstes haben würden.
Nach einer Weile kam Diana mit einem Glas roten Saft zu mir. Sie kniete sich hin und reichte ihm mir. „Hier, Florian, ein bisschen Saft für dich,“ sagte sie mit einem Lächeln.
Ich nahm das Glas und nippte vorsichtig daran, nur einen kleinen Schluck. Ich wollte nicht so viel trinken, damit ich nicht so schnell auf die Toilette musste. Aber Diana ermutigte mich sanft: „Trink ruhig das ganze Glas, Florian. Es kann nichts passieren. Wenn du musst, gehst du einfach auf die Toilette. Und selbst wenn du es nicht rechtzeitig schaffst, ist das nicht schlimm. Dafür hast du die Windel an.“
Ihre Worte beruhigten mich ein wenig, auch wenn ich es immer noch seltsam fand, in einer Windel zu sein. Schließlich ließ ich mich von ihrem Lächeln und ihrer ruhigen Stimme überzeugen und trank das Glas leer. Es schmeckte wirklich gut, süß und ein bisschen fruchtig.
„Sehr schön, Florian,“ lobte Diana mich, als ich das Glas abstellte. „Das war toll.“
Ich blinzelte überrascht. Noch nie hatte mich jemand gelobt, weil ich etwas getrunken hatte. Es fühlte sich seltsam an – aber auch irgendwie gut. In diesem Moment dachte ich, dass ich vielleicht doch irgendwann aufhören könnte, mir Sorgen zu machen, wenn ich etwas trinken sollte. Der Saft schmeckte so gut, dass ich fast schon hoffte, bald noch ein Glas zu bekommen.
Ich begann, die Autos mit Schwung über den Boden fahren zu lassen. Die Bahn, die Nathanael gebaut hatte, war zwar besser geeignet, aber auch ohne sie machte es richtig Spaß. Ich wollte herausfinden, welches Auto am weitesten rollen konnte. Jedes Auto bekam einen kräftigen Schubs, und ich verfolgte gespannt, wie weit es kam.
Eines der roten Rennwagen erwies sich als besonders schnell. Mit einem beeindruckenden Tempo rollte es über den Boden, vorbei an meiner kleinen Autostadt und bis zum Teppich vor der Couch, wo Annette und Markus saßen. Ich hielt kurz inne, unsicher, ob ich das Auto jetzt holen sollte oder ob es vielleicht unhöflich war, es bis dorthin rollen zu lassen.
Annette lächelte mich an, bückte sich und rollte das Auto sanft zu mir zurück. „Hier, bitte schön,“ sagte sie freundlich. Ich war erleichtert – so musste ich nicht so nah zu den Erwachsenen gehen. Ihr Lächeln schien zu sagen, dass es okay war, und ich nahm das Auto wieder an mich.
Ermutigt von ihrem Verhalten, schob ich das Auto wieder mit Schwung los. Diesmal rollte es nicht ganz so weit, aber das machte nichts. Es ging mir um den Spaß und darum, noch mehr Autos auszuprobieren. Ich schob das nächste Auto an, dann das nächste. Jedes Mal beobachtete ich, wie sie über den Boden rasten, und stellte mir vor, dass sie Rennen fuhren. Annette und die anderen unterhielten sich leise weiter, und ich war froh, dass sie mich nicht bedrängten. Es fühlte sich gut an, dass ich einfach spielen durfte, ohne dass jemand etwas von mir wollte.
Ich nahm den blauen Flitzer aus meiner kleinen Rennstrecke und betrachtete ihn kurz. Er sah schnell aus, mit seinen glänzenden, sportlichen Linien und den breiten Reifen. Ich wollte wissen, ob er es genauso weit schaffen würde wie der rote Rennwagen. Mit einem kräftigen Schubs ließ ich ihn los.
Der Flitzer schoss los, sauste über den glatten Boden und näherte sich dem Teppich vor der Couch. Doch anstatt sanft zu stoppen wie der rote Wagen zuvor, prallte er leicht gegen die Teppichkante und überschlug sich. Ich hielt kurz inne und beobachtete, wie er mit den Rädern nach oben auf dem Teppich liegen blieb.
Annette, die das Ganze offenbar mit einem Auge verfolgt hatte, kommentierte das mit einem Lächeln: „Oh, der hatte wohl eine wilde Fahrt!“ Sie beugte sich vor, hob das Auto behutsam auf und rollte es zurück zu mir. „Hier, der Blaue braucht wohl eine kleine Pause, bevor er wieder loslegt,“ sagte sie freundlich, und ihr Lächeln wirkte warm und aufmunternd.
Ich nahm das Auto wieder an mich und stellte es neben die anderen. Irgendwie fand ich es nett, dass Annette so mitspielte, ohne sich wirklich einzumischen. Es fühlte sich nicht aufdringlich an, sondern so, als würde sie mein Spiel respektieren. Ich beschloss, den blauen Flitzer gleich nochmal fahren zu lassen – diesmal würde ich darauf achten, dass er sich nicht wieder überschlug.
Anna-Lena schaute kurz ins Zimmer, lehnte sich an den Türrahmen und lächelte mir zu. Ihr Lächeln war freundlich, aber ich wusste nicht, was ich darauf tun sollte, also schaute ich schnell wieder auf meine Autos. „Mama, wann gibt es Essen?“ fragte sie dann und wandte sich an Diana.
Diana antwortete ruhig: „Papa ist unterwegs, er wollte Döner mitbringen.“ Sie richtete ihren Blick in die Runde zu den Erwachsenen. „Die anderen möchten vielleicht auch etwas mitessen?“
Ich sah, wie Annette und Markus sich kurz ansahen, als ob sie sich stumm absprechen würden. Dann lächelte Annette Diana zu und sagte: „Wenn es Ihnen keine Umstände macht, sehr gerne.“
„Nein, überhaupt nicht,“ antwortete Diana. Sie stand auf und ging in meine Richtung. Ich beobachtete, wie sie sich neben mich hockte und mir sanft in die Augen schaute. „Wie sieht es bei dir aus, Florian? Möchtest du auch einen Döner oder einen Dönerteller?“
Ich blickte unsicher zu Boden und murmelte: „Ich weiß nicht.“ In Gedanken hatte ich schon entschieden, dass ich auf keinen Fall wollte, dass sie wegen mir etwas extra kaufen. Außerdem hatte ich noch nie Döner gegessen und wusste gar nicht, ob ich das mögen würde.
Diana schien meine Unsicherheit sofort zu bemerken und runzelte leicht die Stirn. „Weißt du überhaupt, was ein Dönerteller ist?“ fragte sie sanft. Als ich zögernd den Kopf schüttelte, lächelte sie. „Ein Dönerteller ist einfach Fleisch mit Salat und manchmal Pommes, ohne das Brot drumherum. Das kannst du mit einer Gabel essen.“
Ich sah sie weiterhin unsicher an, meine Antwort blieb jedoch dieselbe. Diana nickte verständnisvoll und fügte hinzu: „Wenn du lieber etwas anderes möchtest, ist das gar kein Problem. Ich könnte dir auch ein Brot mit Wurst oder etwas anderes machen, wenn dir das lieber wäre.“
Trotzdem entschied sie sich schließlich: „Weißt du was? Ich bestelle dir einfach einen Dönerteller mit. Du kannst ja mal probieren, ob es dir schmeckt. Wenn du ihn nicht magst, ist das überhaupt nicht schlimm. Der hält sich auch im Kühlschrank, und wir finden bestimmt jemanden, der ihn dann isst.“
Ihre freundliche und entspannte Art ließ mich ein wenig weniger angespannt fühlen, auch wenn ich immer noch nicht sicher war, ob ich den Dönerteller überhaupt probieren wollte.
Ich zögerte kurz, bevor ich vorsichtig nickte. Sie lächelte und legte kurz ihre Hand auf meine Schulter. „Das ist eine gute Entscheidung, Florian. Du kannst es ja probieren, und wenn nicht, ist das auch völlig in Ordnung.“
Ihr Lächeln und ihre ruhige Art machten es etwas leichter für mich, aber tief in mir fühlte ich immer noch die Unsicherheit. Was, wenn ich es nicht mochte? Was, wenn alle es sehen würden?
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Anna-Lena das Wohnzimmer wieder verlassen hatte. Als ich aufschaute, war die Tür leer, und die Geräusche aus der Küche waren wieder leiser geworden. Ein kurzer Moment der Enttäuschung überkam mich – es wäre schön gewesen, wenn Nathanael wieder mitgespielt hätte. Vorhin, als wir die Bahn gebaut und die Autos haben fahren lassen, hatte ich so viel Spaß wie schon lange nicht mehr. Es war anders, wenn man nicht allein spielte.
Ich schob die Gedanken beiseite und konzentrierte mich wieder auf meine kleine Autostadt. In der Ecke hatte ich die Feuerwehr und den Rettungsdienst platziert, während die Polizei ihre Einsatzzentrale etwas weiter hinten in der Ecke hatte. „Ein Feuer ist an der Couch ausgebrochen,“ murmelte ich leise zu mir selbst und begann, die Fahrzeuge in Bewegung zu setzen.
Die Feuerwehr fuhr als erstes los, die Sirenen imaginär heulend. Dahinter folgte der Krankenwagen, der vorsichtig um die Ecke bog, und die Polizei rückte ebenfalls an, um die Lage zu sichern. Ich schob die Fahrzeuge mit kleinen, vorsichtigen Bewegungen vorwärts, darauf bedacht, keinen Krach zu machen. Es war ein richtiges Großereignis in meiner Stadt.
„Löschen, retten, sichern!“ sagte ich kaum hörbar, als ich die Feuerwehr neben das imaginäre Feuer stellte. Der Krankenwagen parkte daneben, bereit, Verletzte zu versorgen, während die Polizei eine Absperrung aufbaute. Meine Finger bewegten die Autos mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und Freude, und für einen Moment war alles andere um mich herum vergessen. Es war meine eigene kleine Welt, und in dieser Welt lief alles so, wie ich es wollte.
Ich spielte gerade noch mit meinen Autos, als ich plötzlich spürte, dass ich dringend auf die Toilette musste. Panik stieg in mir auf, als ich merkte, dass schon ein kleiner Spritzer rausgekommen war. Ich sprang hastig auf, ließ die Autos stehen und stürmte aus dem Wohnzimmer, durch die Tür in Richtung Badezimmer neben der Küche. Aber noch bevor ich die Tür erreichte, spürte ich, wie es unaufhaltsam weiterlief.
Als ich im Badezimmer stand, blieb ich wie angewurzelt stehen. Es hörte einfach nicht auf. Die Wärme breitete sich in der Windel aus, und schließlich spürte ich sie sogar an meinem Hintern. Es war, als würde mein ganzer Körper vor Scham brennen. Mein Gesicht wurde heiß, und ich wusste, dass es jetzt knallrot sein musste. Ich tastete vorsichtig meine Hose ab – sie war trocken, zum Glück. Aber die Windel fühlte sich ganz anders an. Viel dicker und schwerer als vorher. Ich wollte am liebsten im Boden versinken.
Als ich mich umsah, bemerkte ich, dass Diana direkt hinter mir stand. Sie musste mir hinterhergelaufen sein, hatte alles mitbekommen. Ich konnte ihr Gesicht nicht ansehen, denn ich wusste, was jetzt kommen würde. Aber statt einer Standpauke oder einem genervten Tonfall hockte sie sich langsam zu mir hinunter. Ihre Augen waren sanft, und sie sprach ruhig: „Es ist nicht schlimm, Florian. Niemand wird mit dir schimpfen.“
Trotz ihrer Worte konnte ich die Tränen nicht zurückhalten. Sie liefen still meine Wangen herunter, und ein kleiner Schluchzer entwich mir. „Es tut mir leid,“ flüsterte ich, ohne sie anzusehen.
Diana legte behutsam eine Hand auf meine Schulter. „Florian, du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Dafür ist die Windel da, und es ist überhaupt nichts, wofür du dich schämen musst. Du machst nichts falsch, hörst du?“ Ihre Stimme war so warm und beruhigend, dass ich spürte, wie sich der Knoten in meiner Brust ein wenig löste.
Ich wollte ihr glauben, wirklich. Aber die Scham war zu groß, und ich konnte nur stumm nicken, während ich versuchte, die Tränen wegzuwischen. Sie reichte mir ein Taschentuch und lächelte leicht. „Komm, wir machen dich schnell frisch, und dann kannst du wieder zurück zu deinen Autos, okay?“
Ich nickte zögerlich. Es war seltsam, dass sie so ruhig blieb und mir keine Vorwürfe machte. Vielleicht meinte sie es wirklich ernst, dass es nicht schlimm war. Aber in mir fühlte es sich immer noch an wie ein großes Versagen.
Als wir auf dem Weg nach oben waren, mussten wir am Wohnzimmer vorbei. In der Tür stand Annette. Sie schaute mich mit einem besorgten, aber zugleich sanften und mitfühlenden Blick an. Ich wollte ihren Blick meiden, aber er fühlte sich irgendwie schwer an, als könnte sie direkt durch mich hindurchsehen.
Diana, die meine Hand hielt, blieb kurz stehen und sagte beiläufig zu Annette: „Keine Sorge, nur ein kleiner Pipi-Unfall, nichts Schlimmes.“ Ihre Stimme war ruhig, fast so, als wäre das gar nichts Besonderes.
Annette nickte verständnisvoll und lächelte mich leicht an. „Das kann schon mal passieren,“ sagte sie sanft, ihre Stimme war so ruhig wie ein warmer Sommerwind.
Aber anstatt mich zu beruhigen, machte mich ihre Freundlichkeit nur noch unruhiger. Die haben ja gut reden, dachte ich mir. Die stecken ja nicht in meiner Haut. Die wissen nicht, wie es ist, ständig aufpassen zu müssen, nicht zu viel zu trinken, weil man sonst keine Chance hat, es rechtzeitig zur Toilette zu schaffen. Meine Gedanken rasten weiter: Die wissen nicht, wie es ist, bei jedem kleinsten Anzeichen sofort loszurennen, egal, wo man ist oder was man gerade macht. Und wenn man nur einen Moment nicht daran denkt, passiert dann sowas.
Ich fühlte, wie sich eine Wut in mir aufbaute – nicht auf Diana oder Annette, sondern auf mich selbst. Warum bin ich so unzulänglich? Warum kann ich nicht einfach normal sein wie andere Kinder? Der Kloß in meinem Hals wurde größer, und ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht wieder in Tränen auszubrechen.
Diana drückte sanft meine Hand, ohne etwas zu sagen, und führte mich weiter die Treppe hinauf. Annette trat zurück, und ich hörte noch, wie sie leise hinter uns sagte: „Alles wird gut, Florian.“ Aber in mir fühlte es sich nicht so an. Es fühlte sich an, als würde ich nie in diese Welt passen, in der alle anderen so selbstverständlich mit solchen Dingen umgehen konnten, während ich selbst nicht mal das hin bekam.
Im Zimmer angekommen deutete Diana mit einem sanften Lächeln aufs Bett. „Los, wir machen dich schnell frisch, damit der kleine Rennfahrer bald wieder fahren kann,“ sagte sie aufmunternd.
Bevor ich mich setzen konnte, fragte sie mich freundlich: „Möchtest du vorher nochmal schnell auf die Toilette gehen? Dann bist du danach ganz entspannt.“ Ich schüttelte nur müde den Kopf, unfähig, mehr als ein kurzes „Nein“ zu murmeln.
Ich setzte mich langsam aufs Bett und legte mich dann auf den Rücken. Der weiche Stoff der Matratze fühlte sich beruhigend an, und ich spürte plötzlich einen Anflug von Erschöpfung. Meine Augenlider wurden schwer, und ich musste gähnen. Während ich dalag, dachte ich über das Geschehen nach – die Autos, der Unfall, die Erwachsenen, die immer so verständnisvoll taten. Es war alles so viel, und meine Gedanken wurden träge.
Plötzlich hörte ich Dianas Stimme, die fast schon spielerisch versuchte, meine Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. „Florian, willst du deine Hose nicht ausziehen?“ fragte sie sanft, ihr Blick lag auf mir. Ich fixierte ihren Blick für einen Moment, bevor ich langsam den Kopf schüttelte. Ich war zu müde, um es selbst zu tun, und sie schien das zu merken.
„Ich glaube, da ist jemand ziemlich geschafft für heute,“ sagte sie mitfühlend, während sie vorsichtig begann, meine Hose herunterzuziehen. „Ich helfe dir, das geht schneller.“
Ihre Bewegungen waren ruhig und bedacht, und während sie die nasse Windel öffnete und mich mit einem weichen Tuch sauber machte, sprach sie weiter: „Weißt du was, Florian? Wenn wir wieder unten sind, können wir uns ein Buch mit Annette ansehen. Oder vielleicht lesen wir etwas gemeinsam, was meinst du? Ich denke, mit den Autos kannst du morgen weiterspielen.“
Ich nickte langsam, aber nur, weil ich wusste, dass sie eine Antwort erwartete. In Wirklichkeit war ich mir nicht sicher, ob ich jetzt mit einem Buch oder irgendetwas anderem etwas anfangen konnte. Die Müdigkeit schlich sich immer tiefer in mich hinein, und ich sehnte mich danach, einfach nur zur Ruhe zu kommen.
Nachdem sie mir eine frische Windel angelegt und meine Hose wieder hochgezogen hatte, strich sie mir sanft über die Stirn. „Alles fertig. Jetzt gehen wir gemütlich runter, okay?“
Ich nickte wieder, langsam setzte ich mich auf und ließ mich von ihr nach unten begleiten. Trotz der Müdigkeit fühlte ich mich ein kleines bisschen sicherer, weil sie so ruhig und lieb mit mir umgegangen war.
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Als Frau Bachstedt das Zimmer mit Florian betrat, fiel mir sofort auf, wie müde und erschöpft er wirkte. Seine Schultern hingen herunter, und seine roten, leicht geschwollenen Augen verrieten, dass er geweint hatte. Mein Herz zog sich zusammen, als ich ihn so sah. Er wirkte so zerbrechlich, fast verloren, und ich konnte nicht anders, als Mitleid für diesen kleinen Jungen zu empfinden, der schon so viel durchgemacht haben musste.
Frau Bachstedt setzte sich neben mich auf die Couch und deutete mit einer einladenden Geste auf die freie Stelle zwischen uns. Dann griff sie in eine kleine Ablage neben der Couch und zog ein Kinderbuch hervor. Es war ein liebevoll illustriertes Buch mit einem bunten Einband, das nach einer warmen Geschichte aussah. Florian blieb jedoch in der Nähe der Tür stehen und schaute uns unsicher an. Sein Blick wanderte zwischen der Couch, dem Buch und dem Boden hin und her. Es war offensichtlich, dass er sich nicht traute, näher zu kommen.
„Komm her, Florian,“ sagte Frau Bachstedt mit sanfter Stimme. „Hier ist genug Platz für dich. Du musst nichts machen, nur zuhören, wenn du möchtest.“
Florian zögerte immer noch, trat jedoch vorsichtig ein paar Schritte näher. Es war, als würde er abwägen, ob er sich sicher fühlte oder nicht. Schließlich blieb er aber wieder stehen. Seine Unsicherheit war so greifbar, dass es mir schwer viel, nichts zu sagen oder zu tun.
Frau Bachstedt bemerkte seine Zurückhaltung und lächelte ihm zu. „Wie wäre es, wenn ich dir etwas vorlese?“ fragte sie freundlich. „Das ist eine wirklich schöne Geschichte, die ich früher auch Nathanael und Anna-Lena vorgelesen habe, als sie klein waren.“ Sie hielt das Buch leicht hoch, sodass er den Einband sehen konnte.
Doch Florian schüttelte zaghaft den Kopf, sein Blick war immer noch gesenkt.
„Okay,“ sagte Frau Bachstedt verständnisvoll. „Dann lese ich einfach mal ein bisschen vor. Wenn du doch Lust hast, kannst du dich ja dazu setzen, okay?“
Sie schlug das Buch auf und begann, leise vorzulesen. Ihre Stimme war warm und gleichmäßig, und es war fast, als würde sie die Worte lebendig machen.
„Weißt du, Florian,“ sagte sie nach ein paar Sätzen und warf ihm einen kurzen, freundlichen Blick zu, „dieses Buch hat Nathanael immer so gemocht. Besonders, als er hier neu war. Ich erinnere mich noch, wie er das erste Mal auf dem Schoß meines Mannes saß und so tat, als würde er gar nicht zuhören. Aber nach einer Weile hat er die Geschichte ganz heimlich mit gesprochen – obwohl er immer behauptet hat, sie gar nicht zu mögen!“ Sie lachte leise, und die Erinnerung schien auch sie zu erwärmen.
Florian schaute kurz zu ihr auf, bevor sein Blick wieder zu Boden glitt. Er bewegte sich ein kleines Stück näher zur Couch, blieb aber stehen. Frau Bachstedt bemerkte es nicht oder tat zumindest so, als hätte sie es nicht gesehen, und las einfach weiter, ohne Druck auszuüben. Ihre Worte flossen sanft durch den Raum, und obwohl Florian noch zögerlich war, wirkte es, als würde er sich langsam entspannen.
Ich beobachtete die Szene schweigend, mein Herz voller Bewunderung für Frau Bachstedts Geduld und Einfühlungsvermögen. Es war offensichtlich, dass sie genau wusste, wie sie mit Florian umgehen musste, um ihm das Gefühl von Sicherheit zu geben.
Frau Bachstedt las weiterhin mit ihrer sanften, warmen Stimme, und ich konnte sehen, wie Florian langsam etwas von seiner Anspannung verlor. Er stand zwar noch immer in sicherem Abstand zur Couch, doch seine kleinen Schritte nach vorne zeigten, dass er neugierig war. Er wollte hören, was in der Geschichte passierte, auch wenn er es nicht offen zeigte.
Mit der Zeit kam er näher, bis er schließlich direkt vor uns stand. Frau Bachstedt schaute kurz zu ihm auf, lächelte und deutete erneut auf den freien Platz zwischen uns. „Du kannst dich ruhig setzen, Florian. Niemand erwartet etwas von dir. Du kannst einfach zuhören.“
Nach einem Moment des Zögerns setzte er sich langsam hin. Er war sichtlich unsicher, ließ sich aber schließlich zwischen uns nieder, ohne uns anzusehen. Seine Schultern waren leicht angespannt, doch ich konnte spüren, wie viel Mut es ihn gekostet haben musste, diesen Schritt zu machen. Ich lächelte leise, um ihn nicht zu verunsichern, und ließ meinen Blick wieder auf das Buch gleiten.
Frau Bachstedt las weiter, ihre Stimme blieb gleichmäßig und beruhigend, und Florian schien sich mehr und mehr auf die Geschichte einzulassen. Nach einer Weile, als er sich ein wenig entspannter anfühlte, passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Frau Bachstedt reichte mir das Buch.
„Lesen Sie doch einfach weiter, Annette,“ sagte sie mit einem warmen Lächeln, bevor sie sich an Florian wandte und ihm mit einem Augenzwinkern zuflüsterte: „Ich muss mal schauen, wo Manfred bleibt. Aber ich bin gleich zurück, und Annette liest bestimmt ganz toll für uns weiter, oder?“
Ich war überrascht – fast schon überrumpelt – von ihrer Aufforderung, doch sie wusste offenbar genau, was sie tat. Ihr Blick vermittelte Vertrauen, und ich wollte nicht, dass Florian meine Unsicherheit spürte. Also nahm ich das Buch entgegen und räusperte mich leise, um meine Stimme zu sammeln.
„Okay, dann schauen wir mal, was als Nächstes passiert,“ sagte ich sanft und begann vorzulesen. Ich versuchte, die Geschichte mit so viel Gefühl wie möglich weiterzuführen, meine Stimme dabei ruhig und angenehm zu halten, damit Florian sich weiterhin wohl fühlte. Er schien den Wechsel gar nicht zu bemerken – seine Aufmerksamkeit war voll und ganz auf das Buch gerichtet.
Während ich las, reichte Frau Bachstedt Florian ein Glas mit Saft. Ohne ein Wort nahm er es entgegen und begann zu trinken, scheinbar so gebannt von der Geschichte, dass er es völlig beiläufig tat. Zu meiner Überraschung trank er das Glas in einem Zug komplett leer. Frau Bachstedt beobachtete ihn dabei mit einem zufriedenen Lächeln und nickte mir ermutigend zu, während ich weiterlas.
Einige Minuten blieb sie noch sitzen und schaute uns zu. Schließlich stand sie leise auf, um uns nicht zu stören, und verließ das Wohnzimmer. Ich bemerkte kaum, wann sie gegangen war, so ruhig und selbstverständlich bewegte sie sich, und Florian war weiterhin vollkommen in die Geschichte vertieft.
Nach ein paar Minuten bemerkte ich, wie er sich unbewusst etwas näher zu mir lehnte. Seine kleinen Schultern streiften meinen Arm, und ich konnte spüren, wie er langsam zur Ruhe kam. Nach weiteren zehn Minuten las ich gerade einen besonders schönen Abschnitt, als ich einen leichten Druck an meiner Seite bemerkte. Ich blickte vorsichtig hinunter und stellte fest, dass Florian neben mir eingeschlafen war. Sein Kopf ruhte leicht an meiner Schulter, und sein Atem war gleichmäßig und ruhig.
Ich hielt inne und betrachtete ihn für einen Moment. Sein Gesicht wirkte friedlich, und die Sorgen und Unsicherheiten, die ihn vorhin noch so klein und verletzlich hatten wirken lassen, schienen für einen Moment wie weggeblasen. Mein Herz wurde schwer vor Mitgefühl, aber auch warm vor Zuneigung. Ich konnte nicht anders, als den Moment zu genießen, während ich das Buch auf meinen Schoß legte und leise seinen Atem beobachtete. Es war, als hätte er zum ersten Mal seit Langem ein kleines Stückchen Geborgenheit gefunden – und ich versprach mir in diesem Augenblick, ihm so viel davon zu geben, wie ich nur konnte.
Als Frau Bachstedt das Zimmer wieder betrat, gefolgt von ihrem Mann Manfred, fiel ihr Blick sofort auf Florian, der schlafend an meiner Schulter lehnte. Sie lächelte sanft, fast wie eine stolze Großmutter, und flüsterte leise: „Ich habe sowas schon geahnt.“ Ihre Worte waren warm und mitfühlend, als hätte sie diesen Moment schon kommen sehen.
Sie trat vorsichtig näher, um Florian nicht zu wecken, und deutete auf eine Decke, die ordentlich über die Lehne des Sofas gelegt war. „Wir essen in der Küche,“ sagte sie leise, um die ruhige Atmosphäre nicht zu stören. „Sie können ihn ruhig zudecken, damit er es gemütlich hat. Wenn er aufwacht, kann er später dazu kommen. Dann kommen Sie am besten auch rüber.“
Ich nickte dankbar, während Frau Bachstedt und ihr Mann sich Richtung Küche zurück zogen. Im Raum blieb es still, nur das leise Gespräch zwischen Frau Peters und Markus war zu hören. Sie unterhielten sich leise in einer Ecke, standen jedoch schon auf, bereit, mitzugehen, als sie sahen, dass ich mich langsam bewegte.
Behutsam rutschte ich etwas zur Seite und ließ Florian vorsichtig von meiner Schulter auf ein Kissen gleiten, das ich ihm zurecht legte. Sein kleiner Körper entspannte sich noch mehr, und ich konnte hören, wie sein Atem tief und gleichmäßig ging. Es war ein berührender Moment, zu sehen, wie friedlich er wirkte, eingebettet in diese kurze Phase von Ruhe und Geborgenheit, die ihm wohl so lange gefehlt hatte.
Ich griff nach der weichen Decke, die Frau Bachstedt erwähnt hatte, und legte sie behutsam über ihn. Sie bedeckte seinen kleinen Körper bis zu den Schultern, und ich strich sie glatt, damit sie ihn vollständig wärmte. Einen Moment blieb ich einfach sitzen und betrachtete ihn. Er sah so friedlich aus, so verletzlich, dass mein Herz sich wieder ein wenig zusammenzog.
Frau Peters kam auf mich zu und legte sanft eine Hand auf meinen Arm. „Er scheint wirklich erschöpft zu sein,“ sagte sie mit einem kleinen Lächeln. Markus nickte, seine Stirn leicht gerunzelt vor Nachdenklichkeit.
„Das wird eine große Verantwortung,“ sagte er leise, mehr zu sich selbst als zu mir, aber in seinen Worten lag auch eine entschlossene Wärme.
„Ja, das wird es,“ flüsterte ich zurück, während ich ein letztes Mal sicher stellte, dass die Decke gut saß. Dann stand ich langsam auf und folgte den anderen Richtung Küche, wo das Abendessen auf uns wartete. Doch ein Teil von mir blieb bei Florian, der auf dem Sofa schlief – ein kleines Zeichen von Vertrauen, das mir bedeutete, dass wir vielleicht auf dem richtigen Weg waren, ihm ein neues Zuhause zu geben.
In der Küche war der Tisch bereits gedeckt, und alles stand sorgfältig bereit. Es war ein heimeliger Anblick – warmes Licht und ein Gefühl von Ruhe, das sich über den Raum legte. Wir setzten uns und begannen in Ruhe zu essen. Die Unterhaltung war minimal, jeder schien in Gedanken versunken zu sein, während das Klirren des Bestecks die einzige Hintergrund melodie bildete.
Nach einer Weile legte Frau Peters ihr Besteck beiseite und brach die Stille. „Auch wenn ich mir eigentlich schon sicher bin, wie Sie sich entscheiden, muss ich der Form halber trotzdem fragen.“
Ich hob den Blick und fühlte, wie mein Herz kurz schneller schlug. Für einen Moment sah ich zu Markus, der mir ein kleines, beruhigendes Nicken gab. Das gab mir den Mut, auszusprechen, was wir beide fühlten. „Ja,“ sagte ich, meine Stimme fest und bestimmt, obwohl mein Inneres von Aufregung erfüllt war. „Ja, wir wollen Florian ein Zuhause geben.“
Frau Peters lächelte erfreut und wandte sich an Frau Bachstedt. „Einwände?“
Frau Bachstedt schüttelte den Kopf und lächelte sanft. „Nein, keine. Ich denke, ihr passt ganz gut zusammen. Natürlich vorausgesetzt, dass Florian morgen nichts einzuwenden hat.“
Ein zu stimmendes Nicken ging durch die Runde, und für einen Moment fühlte ich eine Mischung aus Erleichterung und Nervosität. Es war ein großer Schritt, den wir hier machten, und ich wusste, dass die kommende Zeit Herausforderungen mit sich bringen würde. Aber ich war mir sicher, dass es richtig war.
Frau Peters sah mich an und sprach erneut, ihre Stimme freundlich und verbindlich. „Da wir nun offenbar öfter miteinander zu tun haben werden, würde ich Ihnen gerne das Du anbieten, wenn das für Sie in Ordnung ist.“
Überrascht von ihrem Vorschlag, aber auch erfreut, lächelte ich zurück. „Natürlich, gerne. Dann bin ich Annette.“
„Und ich bin Elke,“ antwortete sie und streckte mir die Hand über den Tisch entgegen. Wir schüttelten uns die Hände, ein symbolischer Beginn unserer Zusammenarbeit. Es fühlte sich gut an – wie ein kleiner, aber bedeutender Schritt in die richtige Richtung.
Markus sah mich mit einem warmen Lächeln an und legte kurz seine Hand auf meine. In diesem Moment wusste ich, dass wir als Familie zusammenhalten würden, egal was kam. Das leise Klirren des Bestecks setzte wieder ein, und die Atmosphäre in der Küche wurde erneut von einer angenehmen Ruhe durchzogen, die uns alle umhüllte.
Frau Bachstedt ergänzte mit einem warmen Lächeln und deutete auf ihren Mann, der gerade seinen Kaffee umrührte: „Und das hier ist Manfred, und ich bin Diana.“
Manfred hob kurz den Blick, nickte freundlich und sagte: „Freut mich, euch kennenzulernen. Wenn ihr Fragen habt oder Unterstützung braucht, könnt ihr euch jederzeit an uns wenden.“ Seine Stimme war ruhig, mit einer gewissen Tiefe, die Vertrauen ausstrahlte.
Diana fuhr fort: „Ja, das gilt wirklich. Wir haben über die Jahre einiges erlebt und wissen, wie schwer die ersten Wochen sein können – für euch und für Florian. Ihr könnt uns jederzeit kontaktieren, auch wenn es nur Kleinigkeiten sind.“
Ich fühlte mich von ihrer Offenheit und Unterstützung berührt. Es war beruhigend zu wissen, dass wir auf so viel Erfahrung und Hilfsbereitschaft zurückgreifen konnten, falls wir sie brauchten. „Vielen Dank,“ sagte ich, während ich kurz zu Markus schaute, der ebenfalls dankend nickte. „Das ist wirklich ein gutes Gefühl, dass wir uns bei euch melden können.“
Diana lächelte und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: „Und wenn ihr mal ein Wochenende ohne Kind braucht, gebt einfach Bescheid – wir haben Erfahrung mit Gast Kindern!“
Die Runde lachte leise, und ich merkte, wie sich die Anspannung in mir ein Stück weiter löste. Diana und Manfred hatten eine unglaublich herzliche Art, die Situation zu entkrampfen, ohne dabei den Ernst der Sache zu verlieren. Ich war dankbar, dass Florian hier so herzlich aufgenommen wurde – sie hatten ihm sicher viel von der Wärme gegeben, die er so dringend brauchte.
Während wir noch in der Küche saßen und uns leise unterhielten, erschien das junge Mädchen von vorhin in der Tür. Sie hatte ein freundliches Lächeln auf dem Gesicht und wirkte völlig entspannt, als sie sich neben Diana an den Tisch setzte. Ich beobachtete sie neugierig – sie musste Dianas Pflegetochter sein, aber ihren Namen wusste ich noch nicht.
Diana wandte sich an sie und fragte: „Wo ist dein Bruder, Leni?“
Da war er, der Name – Leni. Jetzt konnte ich die fröhliche Ausstrahlung des Mädchens mit einem Namen verbinden. Leni zögerte einen Moment, bevor sie antwortete: „Ich hab ihm Bescheid gesagt, aber er will nicht.“
Diana runzelte die Stirn, und ich sah, wie ihre Augen einen Hauch von Besorgnis zeigten. „Es gibt Döner, und Nathanael will nicht? Das passt doch überhaupt nicht zu ihm.“ Ihre Stimme klang verwundert, und ich spürte, wie eine leise Spannung den Raum erfüllte.
Leni zuckte mit den Schultern und sagte leise: „Ja, er liegt oben im Bett und hat seine Kopfhörer drin.“
Diana stand langsam auf, ihr Blick weiterhin besorgt. „Ich schau mal nach ihm,“ sagte sie und wandte sich in Richtung Tür. Bevor sie ging, legte sie eine Hand auf Lenis Schulter, fast wie um sie zu beruhigen. „Danke, dass du es mir gesagt hast.“
Als sie den Raum verließ, herrschte kurz Stille. Leni schaute auf ihre Hände, die sie ineinander verschränkt hatte, und schien nachzudenken. Ich war mir nicht sicher, ob sie sich ebenfalls Sorgen um Nathanael machte, aber es war deutlich, dass die Geschwister eine enge Beziehung hatten.
Ich überlegte, ob ich etwas sagen sollte, entschied mich aber, einfach abzuwarten. Es war beeindruckend zu sehen, wie Diana ihre Kinder kannte und sich um jeden Einzelnen so individuell kümmerte. Ich konnte nur hoffen, dass wir eines Tages eine ähnliche Verbindung zu Florian aufbauen könnten.
Manfred unterbrach die Stille und richtete sich leicht auf, sein Blick wanderte zu Leni. „Habt ihr euch gestritten?“ fragte er in ruhigem Ton.
Leni schüttelte sofort den Kopf. „Nein, überhaupt nicht. Er wollte vorhin nach Florian sehen und hat dann auch eine Weile mit ihm gespielt. Aber als Mama mit Florian runtergegangen ist, ist er ohne ein Wort in sein Zimmer verschwunden.“
Manfred nickte nachdenklich, als ob er sich schon seinen Teil gedacht hätte. „Nathanael steckt mitten in der Pubertät,“ erklärte er und ließ seinen Blick durch die Runde schweifen. „Da kann schon das kleinste Detail reichen, um das innere Gleichgewicht durcheinanderzubringen. Oft ist es nicht einmal etwas, das man direkt benennen könnte.“
Ich nickte Verständnisvoll und bemerkte, dass auch Markus leicht den Kopf neigte. Manfred hatte recht – die Pubertät war eine besondere Zeit, voller Aufruhr und Unsicherheiten. Für einen Moment drifteten meine Gedanken zurück, mehrere Jahre in die Vergangenheit, als unser Sohn Sebastian in die Pubertät kam. Es war eine herausfordernde, aber auch unglaublich spannende Zeit gewesen.
Ein Abend kam mir besonders in den Sinn – es war kurz nach Sebastians 16. Geburtstag. Er hatte uns seinen Freund Pierre vorgestellt, sein Coming-out. Ich erinnerte mich, wie nervös er war, wie er versuchte, seine innere Zerrissenheit zu verstecken. Aber ich kannte meinen Sohn gut genug, um zu merken, wie viel ihm dieser Moment bedeutete und wie groß seine Angst vor unserer Reaktion war.
Sowohl Markus als auch ich hatten Pierre herzlich in unserer Familie willkommen geheißen. Wir wollten Sebastian zeigen, dass er alles richtig gemacht hatte und dass er bei uns immer er selbst sein konnte, ohne Angst vor Ablehnung. Wir hatten es eigentlich schon lange geahnt, aber nie angesprochen. Es war wichtig, dass er den Zeitpunkt selbst wählte, dass er uns vertraute, wenn er bereit war, diesen Schritt zu gehen.
Wir hatten ihm immer gesagt, dass er mit uns über alles reden könne, und wir hatten es ihm vorgelebt. Es war einer der Momente, in denen ich besonders stolz auf unsere Familie war – dass wir ihm die Sicherheit und das Vertrauen geben konnten, er selbst zu sein.
Zurück in der Küche bemerkte ich, wie Manfreds Worte diese Erinnerung in mir wachgerufen hatten. Leni sah kurz zu ihrem Vater, dann zu uns, als wollte sie wissen, ob wir das alles nachvollziehen konnten.
„Die Pubertät ist eine verrückte Zeit,“ sagte ich leise, mehr zu mir selbst als zu den anderen. „Aber sie ist auch eine Chance, ein Kind auf eine ganz neue Weise kennenzulernen.“
Markus warf mir einen kurzen, warmen Blick zu, als würde er ebenfalls an die gleiche Zeit zurückdenken. Manfred nahm einen Schluck von seinem Kaffee und sagte mit einem kleinen Lächeln: „Und sie lehrt uns Eltern eine Menge Geduld.“ Alle lachten leise, und die Atmosphäre entspannte sich wieder ein wenig.
Nach etwa zehn Minuten kam Diana zurück in die Küche, begleitet von einem Jungen, der Lenis Alter zu haben schien. Das musste Nathanael sein – wenn die beiden richtige Geschwister waren, dann vermutlich Zwillinge. Er sah aus, als hätte er geweint, aber sein Gesichtsausdruck war jetzt ruhig, fast gelöst. Es wirkte, als wäre der Grund für seine Tränen bereits geklärt worden.
Er setzte sich an den Tisch, und Diana legte ihm liebevoll eine Hand auf die Schulter und strich ihm sanft über den Kopf. Es war eine Geste voller Zuneigung, die ihm vermutlich zeigen sollte, dass alles wieder gut war. Nathanael blickte kurz zu ihr auf und nickte leicht, als wolle er ihr bestätigen, dass es ihm wirklich besser ging.
Auch Leni schien entspannter, jetzt, da Nathanael in der Küche war. Sie beobachtete ihn, während er sich einen Döner aus der Tüte nahm, ihn sorgfältig auswickelte und sich mit dem Appetit eines typischen Teenagers, der mitten im Wachstum steckt, daran machte, ihn zu essen. Es war faszinierend, mit welcher Hingabe er die erste Hälfte verschlang, als würde er sich komplett auf das Essen konzentrieren.
Zwischendurch hob er den Blick, sah sich um und schien uns erst jetzt wirklich zu bemerken. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, ein Hauch von Verlegenheit huschte über seine Züge, als er registrierte, dass er nicht nur mit seiner Familie, sondern auch mit uns am Tisch saß.
Schließlich sprach er, seine Stimme leise, aber klar: „Wo ist Florian?“
Diana antwortete sanft, ohne ihre warme, fürsorgliche Art zu verlieren: „Er ist im Wohnzimmer und schläft. Es war heute ein langer und aufregender Tag für ihn.“
Sie fuhr fort, ihre Stimme voller Verständnis: „Er ist eben noch ein wenig jünger und hat vieles heute zum ersten Mal erlebt. Es hat ihn ziemlich geschafft.“
Nathanael nickte langsam und sah kurz auf seinen Döner, bevor er wieder hineinbiss. Vielleicht dachte er über die Worte seiner Pflegemutter nach, vielleicht versuchte er sich vorzustellen, wie es Florian gerade ging. Leni schenkte ihm einen aufmunternden Blick, und ich konnte spüren, wie viel Verständnis und Zusammenhalt in dieser Familie steckte.
Es war schön zu sehen, wie Diana und Manfred ihre Pflegekinder in einem solchen Maße unterstützten und ihnen das Gefühl gaben, hier wirklich zuhause zu sein. Es gab mir Hoffnung, dass auch Florian sich eines Tages so fühlen könnte – sicher, geborgen und Teil einer Familie, die ihn bedingungslos annahm.
Vielen Dank für euer Feedback! Es freut mich wirklich sehr, dass euch die Geschichte gefällt. Ich bin natürlich weiterhin offen für eure Rückmeldungen – sei es konstruktive Kritik oder positives Feedback.
Habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass Feedback für mich wie Schokolade für die Seele ist? Falls nicht: Jetzt wisst ihr’s! Also her damit, ich freu mich drauf!
Autor: michaneo (eingesandt via E-Mail)
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Immer weiter so mit der Wunderschön Geschichte. Ich freue mich schon auf den nächsten Teil
Immer weiter so Das ist eine sehr schöne Geschichte.
Ich weiß nicht, wo man positiven Kommentare abgeblieben sind. Aber trotzdem gibt noch mal einen ab.