Florians Schatten (9)
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Florian:
Beim Spielen mit den Autos war alles andere plötzlich nebensächlich. Ich saß auf dem Teppich in meinem Zimmer, die Autos vor mir aufgereiht, und schob sie langsam über den Boden. Die Geräusche, die ich dabei machte – das Brummen eines Motors oder das Quietschen von Reifen – hallten leise im Raum wieder. In diesem Moment war ich allein in meiner Welt, und das war genau das, was ich brauchte.
Ich stellte mir vor, wie eines der Autos an einer Rennstrecke stand, bereit für ein großes Rennen. Ein anderes Auto war das Feuerwehrfahrzeug, das die Strecke ab sicherte, falls etwas passierte. Es war fast so, als könnte ich die Szenen sehen, die ich mir im Kopf ausmalte. Ich verlor mich in den Geschichten, die ich mit den Autos erschuf.
Keiner schimpfte mit mir, keiner sagte, was ich tun sollte. Es war egal, ob ich etwas falsch machte oder nicht. Selbst die Tatsache, dass meine Windel mittlerweile nass war, spielte keine Rolle. Niemand wusste es, und niemand würde mich dafür anschreien.
Ich spürte die leichte Wärme, die mich daran erinnerte, aber ich schob den Gedanken einfach weg. Das Spiel war wichtiger. Hier, in meiner kleinen Fantasiewelt, war ich frei. Es war egal, was sonst passiert war oder passieren könnte. Hier war ich derjenige, der bestimmte, was geschah, und das gab mir ein Gefühl von Ruhe, das ich sonst nur selten fand.
Ich nahm ein weiteres Auto in die Hand, ein kleines rotes, und ließ es einen Unfall haben, den das Feuerwehrfahrzeug dann retten musste. Die Geschichte in meinem Kopf wurde größer, spannender, und ich war vollkommen darin versunken. Alles andere war weit weg, und für diesen Moment war das genau richtig.
Es klopfte an meiner Zimmertür, und als ich nicht reagierte, trat Diana vorsichtig ein. Ich sah kurz zu ihr hinüber und bemerkte, dass sie lächelte. Dieses Lächeln reichte mir, um zu wissen, dass sie nicht böse war. Das war gut, denn ich wollte einfach weiterspielen.
Sie setzte sich auf den Teppich neben mich und schaute mir dabei zu, wie ich mit meinen Autos spielte. Nach einem Moment fragte sie: „Trinkst du auch schön?“ Ihr Blick wanderte zur Trinkflasche, die noch auf meinem Nachttisch stand. Ich seufzte innerlich, stand auf und nahm einen kleinen Schluck, bevor ich sie wieder abstellte.
„Trink ruhig ein bisschen mehr, Florian,“ sagte Diana sanft. „Du trinkst viel zu wenig.“
Aber ich wollte nicht. Wenn ich mehr trank, musste ich die ganze Zeit pullern, und das war einfach lästig – vor allem beim Spielen. Ich schüttelte den Kopf, und sie fragte: „Schmeckt es dir nicht?“
„Doch,“ sagte ich leise, ohne sie anzusehen. „Es schmeckt gut.“
„Warum möchtest du dann nicht mehr trinken?“ fragte sie geduldig.
Ich zögerte und sah sie kurz an, bevor ich antwortete: „Weil ich dann ganz oft pullern muss.“
Sie musterte mich aufmerksam, fast als würde sie etwas in meinem Gesicht suchen. „Das stört dich beim Spielen, oder?“
Ich nickte leicht, aber das war nicht alles. Es störte nicht nur. Selbst wenn ich wollte, schaffte ich es nicht rechtzeitig auf die Toilette. Es kam einfach immer so schnell, und das machte alles noch schlimmer.
„Florian,“ begann sie ruhig, „bis wir beim Arzt waren und er uns sagen kann, warum das so ist, darfst du einfach in die Windel machen. Dafür ist sie da, und keiner schimpft mit dir.“
Ich sah sie überrascht an. Das fühlte sich… komisch an. Bisher hatte sie immer gesagt, dass es nicht schlimm sei, wenn ich in die Windel mache. Aber jetzt sagte sie, dass ich es einfach machen darf. Dass ich es gar nicht mehr versuchen muss, auf die Toilette zu gehen. Darf ich das wirklich?
„Darf ich das wirklich?“ fragte ich leise, fast flüsternd.
„Florian,“ sagte sie mit einem verständnisvollen Lächeln, „das sage ich dir doch die ganze Zeit. Es ist viel wichtiger, dass du ausreichend trinkst. Und wir haben alle gemerkt, wie schwer es für dich ist, mit der Toilette. Du darfst einfach in die Windel machen, okay?“
Ich nickte langsam. Es war seltsam, aber gleichzeitig war es auch irgendwie erleichternd, das zu hören.
Diana lächelte zufrieden. „Ich suche dir jetzt ein paar Sachen raus, die du dir bitte anziehst. Annette ist auch gleich da, und wir wollen etwas mit dir unternehmen. Ich möchte, dass du schön warm eingepackt bist.“
Sie stand auf und ging zum Schrank. Während sie ein paar Kleidungsstücke heraus suchte, fügte sie hinzu: „Zieh dir bitte eine neue Windel aus dem Badezimmer an, wenn du die Hose eh einmal ausziehst. Und wenn du möchtest, kannst du dann auch gleich nochmal auf die Toilette gehen.“
Ich nickte erneut und schaute kurz zu meinen Autos. Es war ein seltsames Gefühl, aber zumindest wusste ich, dass niemand böse mit mir war.
Ich ging ins Badezimmer und zog meine Hose aus. Kurz überlegte ich, wo ich sie hinlegen sollte. Mein Schlafanzug lag immer noch so auf dem Hocker, wie ich ihn heute früh hingelegt hatte. Also legte ich die Hose einfach darauf – es schien der beste Platz zu sein.
Dann schaute ich an mir herunter. Meine Windel war voller, als ich gedacht hatte, aber nicht so voll wie die heute früh. Das war irgendwie beruhigend. Ich öffnete den Schrank und nahm eine neue Windel heraus. Diesmal war wieder ein Elefant darauf, den ich irgendwie mochte.
Ich zog die alte Windel einfach herunter, ohne groß darüber nachzudenken, und schob die neue hoch. Auf die Toilette musste ich gefühlt nicht, und ehrlich gesagt wollte ich auch gar nicht. Diana hatte ja gesagt, dass ich einfach in die Windel machen darf. Das fühlte sich immer noch komisch an, aber auch ein bisschen erleichternd.
Die benutzte Windel entsorgte ich, ohne sie zusammenzurollen, im Eimer. Ich war mir nicht sicher, ob das so richtig war, aber es ging schnell, und ich wollte einfach zurück ins Zimmer. In Socken, Pulli und Windel lief ich zurück, ohne darüber nachzudenken, wie ich aussah.
Auf dem Bett lagen die Sachen, die Diana herausgesucht hatte: eine Jeanslatzhose und ein dicker Pullover mit einem Bären darauf. Der Pullover fühlte sich richtig weich an, fast wie das Fell von dem Hasen, den ich damals im Zoo gestreichelt hatte.
Ich zog meinen Pulli aus und legte ihn ordentlich aufs Bett. Dann schlüpfte ich in den dicken Pullover, der sich genauso warm und kuschelig anfühlte, wie ich es erwartet hatte. Die Latzhose war dagegen eine echte Herausforderung. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich die Hosenträger endlich befestigt hatte – sie wollten einfach nicht so, wie ich wollte. Und als ich es schließlich geschafft hatte, merkte ich, dass die Träger viel zu locker saßen, weil das Band viel zu lang war. Aber immerhin hatte ich sie irgendwie fest bekommen.
Angezogen fühlte ich mich warm und irgendwie bereit für den Tag. Da Diana noch nicht zurück war, setzte ich mich wieder auf den Teppich und griff nach meinen Autos. Ich versank erneut in meinem Spiel und vergaß die Zeit, während die Autos ihre Rennen und Abenteuer erlebten.
Nach einer Weile klopfte wieder leise an der Tür, und ich hörte Annettes Stimme: „Florian? Darf ich reinkommen?“
Ich zögerte einen Moment, bevor ich leise antwortete: „Ja.“
Die Tür öffnete sich langsam, und Annette trat ein. Ich schaute kurz zu ihr und fühlte mich unsicher. Sollte ich etwas sagen? Ich wusste nicht, was sie wollte, und mein Herz schlug ein bisschen schneller.
„Hallo, Florian,“ sagte sie freundlich. „Diana hat mir erzählt, dass du hier ein bisschen spielst, das sieht toll aus.“
Ich murmelte: „Das ist eine Rennstrecke. „Die fahren alle ins Ziel.“
Annette lächelte und setzte sich auf den Boden, aber sie blieb mit etwas Abstand zu mir sitzen. Ich fragte mich sofort, warum. Gestern hatte sie mich doch noch getragen. Mag sie mich nicht mehr? Hab ich etwas falsch gemacht? Das Gefühl nagte an mir, bis sie wieder zu sprechen begann.
„Das ist eine richtig lange Strecke,“ sagte sie, während sie die Autos betrachtete. „Hast du ein Lieblingsauto?“
Ihre Worte beruhigten mich etwas. Sie klang nicht böse oder genervt, sondern nett. Ich zögerte kurz, bevor ich mein rotes Auto hochhob und es ihr zeigte. „Das hier.“
„Das sieht schnell aus,“ meinte sie, und ihr Lächeln wirkte echt. „Ist das der Gewinner?“
Ich nickte langsam und stellte das Auto zurück in die Schlange. „Ja. Immer.“
Annette schien sich wirklich dafür zu interessieren, und das fühlte sich gut an. Es war, als ob es okay war, einfach hier zu sitzen und zu spielen, ohne dass jemand etwas von mir wollte.
„Diana hat mir gesagt, dass wir nachher einen kleinen Ausflug machen,“ sagte sie dann. „Sie hat mir erlaubt, mitzukommen. Ist das okay für dich?“
Die Worte machten mich nervös. Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Was, wenn ich etwas falsch machte? Was, wenn ich nicht wusste, wie ich mich benehmen sollte? Trotzdem nickte ich leicht. „Wohin?“ fragte ich leise.
„In den Zoo,“ antwortete sie. „Ich war schon lange nicht mehr dort. Aber ich weiß, dass es dort viele Tiere gibt. Vielleicht können wir zusammen die Elefanten besuchen. Oder hast du ein Lieblingstier, das du sehen möchtest?“
Ich dachte kurz nach. Der Zoo klang toll, aber auch irgendwie unwirklich, es war so lange her, das ich mit dem Kindergarten dort war. Nach einer Weile sagte ich leise: „Tiger.“
Annette lächelte. „Tiger sind beeindruckend. Vielleicht können wir einen sehen. Was meinst du?“
Ich nickte wieder, diesmal ein bisschen entschlossener. Ihre ruhige Stimme und ihr freundliches Lächeln beruhigten mich. Vielleicht war der Ausflug gar nicht so schlimm, wie ich zuerst gedacht hatte. „Okay,“ sagte ich schließlich.
Annette wirkte zufrieden, und ich spürte, wie die Anspannung in meinem Bauch langsam nachließ. Es war gut, dass sie hier war und mit mir sprach. Das machte alles ein bisschen einfacher.
„Wollen wir die Autos schnell zusammen aufräumen, damit wir runter können? Wir wollen gleich los,“ fragte Annette und schaute mich freundlich an.
Ich wollte erst etwas sagen, hielt dann aber den Mund. In meinem Kopf dachte ich: Das kann ich auch alleine. Aber bevor ich etwas machen konnte, kniete Annette sich schon zu mir und begann, die ersten Autos aufzunehmen. Sie sortierte sie vorsichtig, ohne zu drängen. Es war seltsam, aber irgendwie auch schön, dass sie mir einfach half, ohne zu fragen, ob ich es brauchte. Es fühlte sich… gut an. Nicht so, als würde sie mir etwas abnehmen, was ich hätte tun sollen, sondern eher wie ein gemeinsames Spiel.
Ich nahm ein Auto nach dem anderen und legte es sorgfältig in die Kiste. Jedes Auto betrachtete ich kurz, bevor ich es hineinlegte, um sicherzugehen, dass nichts kaputt war. Ich wollte nicht, dass auch nur eines beschädigt wurde. Diese Autos waren mir wichtig, obwohl sie nicht einmal meine eigenen waren. Diana hatte so viele davon. Ich war immer noch erstaunt darüber, wie groß die Sammlung war – so viele verschiedene Modelle, Farben und Formen. Manche waren klein und passten in meine Handfläche, andere hatten Türen, die sich öffnen ließen, oder Räder, die sich besonders leicht drehen konnten.
Eins nach dem anderen legte ich die Autos in die Kiste. Es musste alles ordentlich sein. Ich hasste es, wenn sie durcheinander lagen. Dann sah es so aus, als wären sie nichts wert, und das wollte ich nicht. „Machst du das immer so ordentlich?“ fragte Annette plötzlich und sah mich mit einem kleinen Lächeln an. Ich zuckte mit den Schultern. Es war mir ein bisschen peinlich, aber ich murmelte: „Ich will nicht, dass sie kaputtgehen.“
„Das ist gut,“ sagte sie sanft. „Das zeigt, dass dir die Sachen wichtig sind. Du passt gut auf.“
Ihre Worte brachten mich zum Nachdenken. Zuhause hatte ich nie so viele Spielsachen gehabt. Und die wenigen, die ich hatte, waren meistens kaputtgegangen, weil niemand darauf geachtet hatte – oder weil ich sie selbst ungeschickt behandelt hatte. Aber hier war es anders. Diese Autos waren nicht nur Spielzeug; sie fühlten sich irgendwie wertvoll an. Vielleicht, weil Diana sie so sorgsam aufbewahrt hatte. Oder vielleicht, weil niemand sie einfach liegen ließ oder kaputt machte.
Ich griff nach einem roten Auto mit goldenen Rädern und hielt es kurz in der Hand. Das war eines meiner Lieblingsautos. Es sah schnell aus, wie ein Rennwagen. Vorsichtig legte ich es oben auf die anderen, damit es nicht zerkratzt wurde. Annette beobachtete mich dabei, ohne etwas zu sagen. Sie half einfach weiter, ruhig und geduldig, und ich fühlte mich wohl in ihrer Nähe. Sie schien zu verstehen, wie wichtig mir das war, ohne dass ich es erklären musste.
Als wir die letzten Autos in die Kiste gelegt hatten, klappte Annette den Deckel vorsichtig zu. „Fertig,“ sagte sie mit einem kleinen Lächeln. „Das ging doch ganz schnell.“
Ich nickte. Es war nicht schwer gewesen, aber es war irgendwie anders, das mit ihr zusammen zu machen. Es fühlte sich nicht nach Arbeit an. Es war… schön. Ich schaute die Kiste an und war zufrieden. Alles war ordentlich verstaut.
„Bereit, runter zu gehen?“ fragte Annette und streckte mir ihre Hand entgegen. Doch bevor ich antworten konnte, lächelte sie und fügte hinzu: „Darf ich dir noch schnell die Hosenträger richtig einstellen? Sie sitzen ein bisschen locker.“
Ich nickte zögernd. Es fühlte sich seltsam an, dass sie mir half, aber irgendwie war es auch schön. Annette trat einen Schritt näher, griff behutsam nach den Trägern und stellte sie mit ein paar geschickten Handgriffen ein. „So, jetzt sollten sie besser sitzen,“ sagte sie und warf mir ein ermutigendes Lächeln zu.
Ich strich über die Träger, die jetzt viel besser hielten, und spürte, wie die Hose gleich viel bequemer saß. Es war ein merkwürdiges Gefühl, dass sie sich so um mich kümmerte, aber ich mochte es. In diesem Moment fühlte ich mich ein bisschen sicherer, als ob Annette einfach für mich da wäre, egal was passiert.
„Bereit?“ fragte sie erneut, und streckte mir ihre Hand entgegen. Warum war sie immer so nett zu mir? Meinte sie es wirklich ernst, oder würde sie irgendwann genauso enttäuscht von mir sein wie andere? Ich zögerte und kämpfte mit dem Drang, mich einfach umzudrehen und wegzulaufen. Doch dann wagte ich es und legte vorsichtig meine Hand in ihre. Ihre Hand fühlte sich warm an, fast so, als würde sie mich beschützen wollen.
Langsam gingen wir die Treppe hinunter, Schritt für Schritt. Meine andere Hand krallte sich in das Geländer, und ich versuchte, den Kloß in meinem Hals zu ignorieren. Was, wenn ich gleich wieder etwas falsch machte? Was, wenn Annette merken würde, dass ich nicht so gut bin, wie sie vielleicht denkt? Mein Magen zog sich zusammen, aber ich sagte nichts. Stattdessen warf ich ihr einen schnellen Blick zu. Sie lächelte, als wäre alles in Ordnung. Aber warum? Warum war sie so lieb zu mir?
Im Flur stand Diana an der Garderobe. Sie hatte ihre Jacke bereits angezogen, und neben ihr lehnte ein Rucksack an der Wand. Sie lächelte, als sie mich sah. „Super, ich wollte gerade hoch zu euch,“ sagte sie und reichte mir eine Jacke. „Probier die bitte mal an,“ fügte sie hinzu und legte einen Schal, eine Mütze und Handschuhe ordentlich auf die Ablage.
Ich nickte stumm und nahm die Jacke, obwohl mir dabei etwas mulmig wurde. Was, wenn sie zu groß oder zu klein war? Oder wenn ich sie nicht richtig anziehen würde? Ich wollte keinen Grund geben, mich seltsam oder unbeholfen zu finden. Vorsichtig zog ich sie über. Der Stoff fühlte sich weich an, und als ich sie ganz geschlossen hatte, merkte ich, wie warm sie war. Es war angenehm, aber trotzdem konnte ich das mulmige Gefühl nicht abschütteln.
Während Annette sich anzog, schielte ich zu ihr hinüber, um sicherzugehen, dass sie mich nicht beobachtete. Es war immer noch komisch für mich, dass sie so ruhig und geduldig blieb. Ich verstand nicht, warum sie so nett zu mir war. Vielleicht war das alles nur vorübergehend und irgendwann würde sie merken, dass ich es nicht wert bin.
Diana hatte die Schuhe bereitgestellt, die sie mir gestern gegeben hatte. Ich schlüpfte hinein und atmete erleichtert aus, als es diesmal besser klappte. Die Hose war heute nicht so dick, und ich musste nicht so kämpfen, um sie anzuziehen. Trotzdem war ich froh, dass niemand etwas dazu sagte. Als ich fertig war, nahm ich den Schal und legte ihn mir um den Hals. Er kratzte ein bisschen, aber ich sagte nichts. Ich wollte nicht schwierig sein.
Plötzlich war Annette wieder bei mir. Sie hatte die Mütze in der Hand und lächelte, als sie sich vor mich stellte. Ich wollte sie ihr abnehmen, um sie selbst aufzusetzen, doch bevor ich es schaffte, setzte sie mir die Mütze einfach auf. Ihre Hände waren so sanft, dass ich kurz den Atem anhielt. „So,“ sagte sie leise, „jetzt bist du gut eingepackt.“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Meine Finger umklammerten den Schal, während ich versuchte, das warme Gefühl in meiner Brust zu ignorieren. Was, wenn das alles nur eine Phase war? Was, wenn sie mich irgendwann nicht mehr so ansah? Aber für den Moment nickte ich nur und hoffte, dass sie nicht bemerkte, wie unsicher ich mich fühlte.
Diana wandte sich an uns. „Könnt ihr kurz hier warten? Ich fahre noch schnell das Auto aus der Garage.“
Annette schüttelte den Kopf. „Wir können doch auch unseres nehmen.“
Diana lächelte erfreut. „Super, dann können wir ja los.“
Zusammen gingen wir hinaus. Draußen stand ein großer roter Bus, dessen metallischer Lack in der Sonne glänzte, fast wie ein roter Rennwagen. Ich blieb kurz stehen und starrte ihn an. Er sah richtig cool aus. Als Annette auf ihren Schlüssel drückte, öffnete sich die Schiebetür automatisch. Meine Augen wurden groß. Das war wie im Fernsehen!
Doch dann blieben wir vor dem Auto stehen, und Annette schaute etwas unsicher. „Ich habe noch gar keinen Kindersitz“, sagte sie plötzlich. „Daran haben wir noch gar nicht gedacht.“
Diana runzelte kurz die Stirn, nickte dann aber. „Warte, wir haben ein paar in der Garage.“ Sie reichte Annette ihren Rucksack, den diese hinter den Sitz in der zweiten Reihe stellte, und verschwand dann durch die Tür neben der Garage. Nach einer kurzen Weile kam sie mit einem roten Kindersitz zurück.
„Hier,“ sagte sie und reichte ihn Annette, die ihn mit zwei roten Stangen im Auto befestigen wollte. Es sah kompliziert aus, und ich beobachtete sie nervös. Was, wenn der Sitz nicht passte? Nach ein paar Versuchen machte es endlich „Klick“. Annette rüttelte daran, um sicherzugehen, dass er fest war, und lächelte mich an. „So, der hält. Kommst du da hoch?“
Ich nickte, wollte es unbedingt alleine schaffen, doch der Sitz war höher, als ich erwartet hatte. Ich kletterte vorsichtig, aber meine Beine kamen nicht richtig hoch. Annette merkte das und half mir, indem sie mich unter die Arme fasste und in den Sitz hob. Das war mir ein bisschen peinlich, aber ich sagte nichts.
Ich sah mich in dem Sitz um. Bei der Frau vom Jugendamt hatte ich nur auf einer einfachen Sitz erhöhung gesessen. Da konnte ich mich sogar selbst anschnallen. Aber dieser Sitz war anders. Die Gurte hatten so viele Teile, und ich konnte nicht herausfinden, wie sie zusammengehörten. Ich versuchte es mehrmals, zog und drückte an den Schnallen, aber es wollte einfach nicht klappen.
Ich spürte, wie mir heiß wurde, und mein Blick wanderte nervös zu Annette. Würde sie jetzt genervt sein? Doch sie beugte sich zu mir und lächelte aufmunternd. „Komm, lass mich dir helfen,“ sagte sie ruhig, ohne jede Spur von Ungeduld.
Ihre Hände griffen die Gurte, und sie zeigte mir geduldig, wie ich sie richtig anlegen sollte. Auch sie brauchte ein paar Versuche, bis die Schnallen endlich ein rasteten. „So, jetzt sitzt du sicher,“ sagte sie mit einem zufriedenen Lächeln und zog die Gurte nochmal straff.
Dann bemerkte sie die Kopfstütze und stellte sie kurzerhand nach unten, damit sie besser zu meiner Größe passte. „Das sollte so bequemer sein,“ meinte sie und richtete die Kopfstütze mit ein paar geübten Handgriffen ein.
Ihre Stimme klang so warm, dass ich mich dabei ertappte, wie ich ihr ein schüchternes Lächeln schenkte. Es fühlte sich seltsam an, dass sich jemand so genau um mich kümmerte, aber auch irgendwie gut. Als sie fertig war, schaute sie mich an und zwinkerte: „Jetzt bist du startklar.“
Nachdem auch Annette und Diana vorne eingestiegen waren, rollten wir los. Der Motor brummte leise, und ich schaute aus dem Fenster. Wir hatten Zuhause nie ein Auto gehabt. Papa hatte einmal erzählt, dass er Autofahren könne, aber Mama hatte nur gelacht. „Ja, aber du darfst ja nicht mehr. Du musst erst deinen Führerschein wiederbekommen“, hatte sie gesagt. Papa hatte dann zurück gelacht und gesagt, dass sie ja nie einen gehabt hätte. Das hatte einen Streit ausgelöst, und ich hatte mich gefragt, warum ich überhaupt gefragt hatte, warum wir kein Auto hatten.
Später hatten sie mir erklärt, dass wir uns sowieso kein Auto leisten könnten. „Autos sind viel zu teuer“, hatte Mama gesagt und dabei die Stirn gerunzelt. „Und dann machst du so oft ins Bett. Weißt du, wie teuer es ist, ständig deine ganzen nassen Sachen zu waschen? Wir könnten uns nie ein Auto leisten, solange das so weitergeht.“ Papa hatte genickt und hinzugefügt: „Selbst wenn wir das Geld hätten, das lohnt sich bei uns gar nicht.“
Damals hatte ich nicht viel dazu gesagt, aber ihre Worte hatten sich tief in meinen Kopf eingebrannt. Ich war sicher, dass sie recht hatten. Es war meine Schuld. Wenn ich nicht so oft ins Bett machen würde, hätten wir vielleicht ein Auto haben können.
Jetzt, während ich in Annette und Dianas großem, glänzenden Auto saß, kam diese Angst wieder hoch. Was, wenn ich auch hier alles kaputt machte? Was, wenn Annette irgendwann ihr tolles Auto verkaufen musste, weil ich so teuer war? Was, wenn sie dann beschließen würde, dass ich zu meinen Eltern zurückgehen sollte, weil sie nicht mehr konnte? Ich schluckte schwer und schaute aus dem Fenster, um die Gedanken zu verdrängen, aber es half nichts.
Ich beschloss, ganz besonders vorsichtig zu sein, damit hier nichts schiefging. Vielleicht würde Annette dann nicht merken, wie anstrengend ich war. Vielleicht würde sie mich dann nicht wegschicken.
Kurz bevor wir um die erste Kurve fuhren, fragte Annette, ob wir alles dabei hätten. In dem Moment fiel mir auf, dass Pandi gar nicht mit dabei war. Reflexartig rief ich: „Pandi!“
Annette hielt sofort an, noch bevor ich richtig darüber nachdenken konnte. Ich bereute es augenblicklich, es ausgesprochen zu haben. Warum hatte ich nicht einfach den Mund gehalten? Es war doch meine Schuld, dass ich Pandi vergessen hatte. Ich wollte ihn doch so gerne mitnehmen, um ihm den Zoo zu zeigen. Aber jetzt hatte ich Annette aufgehalten. Sie würde bestimmt denken, dass ich nicht mal auf meine Sachen aufpassen konnte.
Annette drehte sich zu mir um und lächelte. „Du hast recht, wir haben deinen Kuschelpanda vergessen. Hast du ihn gerade Pandi genannt? Ist das sein Name?“
Ich nickte zaghaft, mein Gesicht wurde heiß.
„Ich freue mich, dass du ihm einen Namen gegeben hast,“ sagte sie warm. Dann schaltete sie den Rückwärtsgang ein und fuhr das kleine Stück zurück. Auf einem Bildschirm in der Mitte des Autos konnte man sehen, was hinter uns war. Das fand ich richtig cool, aber ich wagte es nicht, etwas zu sagen.
Vor dem Haus stieg Diana aus. Sie war nur kurz weg und kam dann mit Pandi zurück. Sanft drückte sie ihn mir in den Arm.
„Entschuldigung,“ murmelte ich leise, während ich den Blick senkte.
Diana kniete sich vor mich und schaute mich mit einem warmen Lächeln an. „Das ist doch nicht schlimm,“ sagte sie beruhigend. „Wir haben es doch rechtzeitig gemerkt.“ Ihre Worte fühlten sich wie ein kleines Pflaster für meine Schuldgefühle an.
Ich war hin- und hergerissen. Einerseits war ich erleichtert, Pandi doch noch mitnehmen zu können. Sein weiches Fell fühlte sich so vertraut und beruhigend an. Aber gleichzeitig war ich enttäuscht von mir selbst. Wie konnte ich nur so unaufmerksam sein? Pandi war ein Geschenk von Annette, und ich hatte ihn einfach vergessen. Vielleicht dachte sie jetzt, dass ich nicht auf meine Sachen aufpasse.
„Das klappt ja super mit dem Vorsichtig sein,“ dachte ich bitter und drückte Pandi fest an mich. Sein vertrautes Fell gab mir ein wenig Trost, auch wenn die Angst, Annette könnte mich doch irgendwann zurückschicken, immer noch in meinem Bauch rumorte.
Während der Fahrt spürte ich wieder diesen Druck im Bauch. Ich versuchte, ihn zu ignorieren, aber es wurde immer schlimmer. Schließlich gab ich einfach nach. Es wurde warm in der Windel, und ich konnte fühlen, wie sich die Wärme im Sitzen schnell ausbreitete. Es war ein seltsames Gefühl – einerseits war es peinlich, aber andererseits fühlte es sich irgendwie schön an, weil der Druck im Bauch endlich weg war. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, und schaute einfach aus dem Fenster.
Draußen war alles voller Schnee. Die Bäume waren weiß bedeckt, und die Sonne ließ alles glitzern wie in einem Märchen. Es sah so schön aus, dass ich für einen Moment alles andere vergaß. Der Schnee funkelte, und ich stellte mir vor, wie es wohl wäre, darin zu spielen – Schneebälle zu werfen oder einen Schneemann zu bauen.
„Gibt es ein Tier im Zoo, auf das du dich besonders freust?“ fragte Diana plötzlich von vorne. Ihre Stimme war fröhlich, und sie schaute mich kurz an. Ich musste nicht überlegen und sagte dann leise: „Einen Tiger.“
Ich hörte, wie Diana einen kurzen Atemzug nahm, bevor sie antwortete. „Oh, ich glaube, bei uns im Zoo gibt es keinen Tiger,“ sagte sie mit einer sanften, mitfühlenden Stimme. Sie klang fast ein bisschen traurig, als wollte sie mich nicht enttäuschen. „Aber es gibt Kängurus und Erdmännchen. Und ganz viele Vögel und ein Aquarium.“
Ich nickte langsam, versuchte nicht zu zeigen, dass ich ein bisschen enttäuscht war. Kein Tiger also. Aber Kängurus und Erdmännchen klangen auch spannend, besonders die Erdmännchen. Ich hatte mal Bilder von ihnen gesehen. Sie sahen lustig aus, wie sie immer aufrecht stehen und alles beobachten.
Ich drückte Pandi noch ein bisschen fester an mich und schaute weiter aus dem Fenster. Vielleicht war es gar nicht so schlimm, dass es keinen Tiger gab. Vielleicht würde der Zoo trotzdem richtig schön werden. Und ich wollte unbedingt Annette und Diana zeigen, dass ich mich freuen konnte.
Wir fuhren auf einen Parkplatz, und ich sah schon die großen Schilder, die den Eingang zum Zoo ankündigten. Das machte mich ein bisschen aufgeregt, aber auch nervös. Als Annette mich abschnallte, merkte ich, wie mein Herz schneller schlug. Sie lächelte mich an und hob mich aus dem Sitz. Bevor ich richtig reagieren konnte, hielt sie mich auf ihrem Arm, ihre eine Hand stützte meinen Rücken, während die andere unter meinem Hintern lag.
Ich spürte, wie die Wärme meiner nassen Windel gegen ihre Hand drückte. Sie musste es bestimmt gemerkt haben. Mein Gesicht wurde heiß, und ich wagte nicht, sie anzusehen. Aber Annette sagte nichts, sie hielt mich einfach ruhig fest.
Es fühlte sich so schön an, von ihr getragen zu werden. Ihre Nähe war beruhigend, fast so, als könnte nichts Schlimmes passieren, solange sie mich hielt. Für einen Moment schloss ich die Augen und lehnte mich leicht an sie. Doch dann ließ sie mich auf dem Parkplatz herunter.
Ich war fast ein bisschen enttäuscht, als meine Füße wieder den Boden berührten. Es war so schön gewesen, auf ihrem Arm zu sein, dass ich am liebsten noch länger geblieben wäre. Aber ich ließ mir nichts anmerken. Ich wollte nicht, dass sie denkt, ich wäre noch klein oder, dass ich sie extra festhalten wollte.
„Bereit?“ fragte Annette, während sie meinen Schal etwas zurechtrückte. Ich nickte und hielt dabei Pandi fest im Arm, als könnte er mich vor meinen eigenen Sorgen schützen. Mein Kopf war trotzdem voll davon. Hatte Annette gemerkt, dass meine Windel nass war?
Bestimmt. Aber sie sagte nichts, sie lächelte nur und nahm meine Hand. Ihre Hand fühlte sich warm und sicher an, und ich drückte sie ein kleines bisschen fester, fast so, als wollte ich mich an diesem Gefühl festhalten.
Diana lief auf der anderen Seite neben mir. Sie sah zu mir hinunter und lächelte auch. Es war ein beruhigendes Gefühl, dass sie beide bei mir waren. Der Schnee unter unseren Füßen knirschte leise, und ich hörte, wie ein Vogel irgendwo zwitscherte. Alles wirkte so friedlich, fast so, als wäre nichts auf der Welt falsch.
Mit Pandi fest an mich gedrückt und Annettes Hand in meiner fühlte ich mich ein bisschen mutiger, während wir uns dem Zoo eingang näherten.
Am Zoo eingang war es lebhaft. Hinter einer großen Scheibe saß eine Frau, die uns freundlich begrüßte, als wir näherkamen. Diana grüßte sie ebenfalls zurück und sagte: „Bitte für zwei Erwachsene und ein Kind.“
Die Frau stand kurz auf und schaute mich an. Sie lächelte, dann fragte sie: „Der kleine Mann ist ja bestimmt schon drei Jahre, oder?“
Ich senkte den Blick und drückte Pandi noch fester an mich. Warum mussten Leute immer so etwas sagen? Bevor ich etwas sagen konnte, antwortete Diana mit einem Lächeln: „ja, er ist schon sieben.“
Die Frau sah überrascht aus. „Oh, das hätte ich jetzt nicht gedacht!“
Ich spürte, wie meine Ohren heiß wurden, aber Diana ließ sich nichts anmerken. Sie nahm es einfach locker, bezahlte die 19 Euro und nahm die Eintrittskarte entgegen. „Hier ist die Karte. Viel Spaß im Zoo!“ sagte die Frau freundlich, während sie uns durch die Schranke ließ.
Während wir weitergingen, schweiften meine Gedanken ab. Es war nicht das erste Mal, dass jemand dachte, ich wäre viel jünger. Eigentlich war ich es gewohnt. In der Schule hielten mich sogar die Erstklässler oft für einen von ihnen. Selbst Paul, der zweit kleinste Junge in meiner Klasse, war größer als ich – und das nicht nur ein bisschen.
Wenn ich alleine von der Schule nach Hause gelaufen bin, haben mich oft Leute angesprochen. „Wo ist denn deine Mama?“, haben sie gefragt. Oder: „Hast du dich verlaufen? Sollen wir dich nach Hause bringen?“ Dann bin ich immer schnell weg gelaufen.
Einmal, als ich am Kindergarten auf meinem Schulweg vorbeilief, hielt mich eine Frau auf. „Na, kleiner Mann, bist du etwa ausgebüxt?“ fragte sie, und als ich sagte, dass ich in die zweite Klasse gehe, wollte sie mir trotz Schulranzen nicht glauben. Erst die Erzieherin aus dem Kindergarten kam heraus und hat sie überzeugt, dass ich kein Kind aus dem Kindergarten bin. Das war so peinlich!
Ich drückte Pandi fester an mich, während wir die ersten Schritte im Zoo machten. Zum Glück hatte Diana mich verteidigt. Sie hatte es einfach so gesagt, als wäre es überhaupt nicht seltsam, dass ich sieben bin.
Nach dem Eingang kam gleich ein großer, ein gezäunter Bereich. Mein Blick fiel sofort auf die Kängurus, die darin herum hüpften. Ich blieb stehen, drückte Pandi fest an mich und lief dann zum Zaun, bis ich direkt davor stand. Die Tiere standen manchmal nur da und schauten herum, dann hüpften sie plötzlich ein Stück weiter, ihre langen Beine und der Schwanz sahen dabei irgendwie lustig aus. Ich konnte meinen Blick nicht von ihnen abwenden. Es war, als hätte ich so etwas noch nie gesehen – und irgendwie fühlte es sich auch genau so an.
Die Sonne glitzerte auf dem Schnee, der auch im Gehege lag, und ich fragte mich, ob den Kängurus nicht kalt war. Ich schaute zu Annette, die hinter mir stand. „Ist es den Kängurus nicht zu kalt?“ fragte ich leise, fast flüsternd, weil ich mich nicht traute, laut zu reden.
Annette lächelte und ging ein paar Schritte näher. „Nein, ich glaube nicht,“ sagte sie. „Die haben ein warmes Fell, und wenn es ihnen zu kalt wird, können sie sich in ihren Stall zurückziehen.“ Sie zeigte auf ein kleines Holzhaus im Gehege, das ich vorher gar nicht bemerkt hatte.
Ich nickte und schaute wieder zu den Kängurus. Sie schienen gar nicht zu frieren. Eines beugte sich gerade nach vorne und schnupperte am Boden, ein anderes kratzte sich am Bauch. Es war so faszinierend, sie zu beobachten, dass ich fast vergaß, wo ich war.
Diana stand neben Annette und sagte: „Kängurus sind richtig spannende Tiere, oder? Wusstest du, dass sie ihre Babys in ihrem Beutel tragen?“
Ich schaute sie mit großen Augen an. „Echt?“ fragte ich, und sie nickte.
Ich stellte mir vor, wie es wäre, in einem Beutel getragen zu werden. Das klang irgendwie gemütlich, fast so wie auf Annettes Arm vorhin. Ich drückte Pandi noch ein bisschen fester an mich und lächelte schüchtern, während ich die Kängurus weiter beobachtete.
Als nächstes kamen wir zu einem großen Gatter. Oben dran hing ein Schild, aber ich konnte das Wort nicht richtig lesen. Es fing mit „Vol“ an, und der Rest war irgendwie zu schwierig. Ich kniff die Augen zusammen, aber es half nichts.
Hinter dem Gatter waren Vögel, die auf dem Boden herum hüpften, manchmal ein bisschen herum liefen und dann plötzlich wieder weg flogen. Ihre Federn waren rot und grau, und sie schimmerten im Sonnenlicht. Sie sahen so toll aus, dass ich eine Weile einfach nur dastand und sie beobachtete.
„Annette,“ fragte ich schließlich leise, „was sind das für Vögel?“
Annette trat näher an das Gatter heran, schaute auf das Schild und lächelte. „Das sind australische Papageien,“ sagte sie.
„Australische Papageien?“ wiederholte ich und schaute sie mit großen Augen an. Das klang so spannend. Ich hatte schon mal was von Australien gehört, aber Papageien hatte ich mir immer ganz anders vorgestellt – viel bunter. Diese hier waren irgendwie besonders.
„Die heißen auch Rosakakadus,“ fügte Annette hinzu und zeigte auf ein weiteres Schild. „Sie leben eigentlich in Australien, wo es wärmer ist, aber sie können sich auch an andere Gegenden gewöhnen.“
Ich nickte langsam und schaute wieder zu den Vögeln. Einer hob gerade den Kopf und spreizte seine Flügel, bevor er in die Luft flatterte und sich auf einen Ast setzte. Es war so faszinierend, wie leicht sie fliegen konnten.
„Die sind schön,“ sagte ich leise, fast mehr zu Pandi als zu Annette. Ich drückte ihn wieder an mich und konnte mir nicht vorstellen, wie es wäre, solche Vögel in freier Natur zu sehen. Es fühlte sich irgendwie besonders an, sie hier zu beobachten, auch wenn ich nicht genau sagen konnte, warum.
„Warum sind wir eigentlich hier?“ fragte ich plötzlich, während ich die australischen Papageien weiter ansah. Die Frage war mir einfach raus gerutscht, aber sie war die ganze Zeit in meinem Kopf gewesen. „Und warum haben wir Leni und Nathanael nicht mitgenommen?“
Diana lächelte und ging ein Stück näher zu mir. „Nathanael ist heute beim Fußball,“ erklärte sie geduldig. „Und Leni trifft sich mit einer Freundin. Die beiden machen ein Schulprojekt zusammen.“
Ich nickte langsam, aber irgendwie fühlte sich die Antwort nicht vollständig an. Diana schaute mich an, als hätte sie meine Gedanken erraten, und sagte dann mit einem sanften Lächeln: „Und außerdem soll es heute nur um dich gehen. Du sollst einfach einen schönen Tag haben.“
Ihre Worte trafen mich völlig unerwartet. Ein Ausflug – nur wegen mir? Ich blinzelte und schaute sie an, als hätte ich sie nicht richtig verstanden. „Nur wegen mir?“ flüsterte ich mehr zu mir selbst als zu ihr.
Diana nickte. „Ja, genau. Heute geht es nur um dich.“
Ich konnte das nicht begreifen. Warum sollten sie so etwas machen? Ich war es gewohnt, einfach mitzulaufen, wenn andere etwas vorhatten. Aber dass sich jemand extra Zeit nahm, nur damit ich einen schönen Tag hatte? Das fühlte sich seltsam an.
Ich schaute zu Annette, die lächelnd neben mir stand. Dann wieder zu Diana, die mir freundlich zu blinzelte. Mein Blick wanderte zurück zu den Vögeln. Ich nahm den Daumen in den Mund, um nicht von diesem ungewohnten Gefühl überwältigt zu werden.
Als nächstes kamen wir zu einem Gehege mit Waschbären. Ich entdeckte sie sofort, wie sie auf einem Baumstamm saßen und sich gegenseitig an stupsten. Sie sahen so putzig aus, dass ich einfach stehen bleiben musste. Einer von ihnen stand auf seinen Hinterbeinen und schaute sich um, fast so, als wollte er uns beobachten. Ein anderer kletterte langsam über den schneebedeckten Boden und schnupperte an einem Ast, der in der Ecke lag.
Ich stellte mir vor, wie weich ihr Fell wohl sein musste. Bestimmt wäre es total schön, so einen Waschbären zu streicheln. Ich streichelte Pandi und fragte mich, ob sie das auch mögen würden, oder ob sie vielleicht Angst vor mir hätten.
„Die sehen aus, als wäre ihnen kalt,“ sagte ich leise und schaute zu Annette. „Frieren die nicht im Schnee?“
„Florian,“ sagte Annette sanft, „du musst erst den Daumen aus dem Mund nehmen, bevor du etwas fragst.“
Ich merkte erst jetzt, dass das Sprechen mit dem Daumen im Mund tatsächlich komisch geklungen hatte. Schnell zog ich ihn heraus und fühlte, wie meine Wangen heiß wurden. Es war mir peinlich, aber Annette lächelte mich nur freundlich an, ohne mich auszulachen.
Etwas verlegen wiederholte ich meine Frage: „Frieren die nicht im Schnee?“
Annette ging einen Schritt näher an das Gehege heran und betrachtete die Tiere. „Nein, Waschbären haben ein ganz dickes Fell, das sie warm hält,“ erklärte sie und zeigte auf einen der Waschbären, der gerade seine Pfoten aneinander rieb. „Schau, sie bewegen sich auch viel, damit sie nicht frieren. Und wenn es ihnen zu kalt wird, können sie sich in ihre Höhlen zurückziehen.“
Ich nickte und beobachtete, wie einer der Waschbären sich auf den Baumstamm setzte und mit seinen kleinen Pfoten sein Gesicht rieb. Es sah aus, als würde er sich waschen – vielleicht hießen sie deshalb Waschbären? „Was machen sie, wenn es gar keinen Schnee gibt?“ fragte ich nach einer Weile.
Annette lächelte. „Dann suchen sie sich einfach andere Sachen, die sie brauchen. Im Sommer sammeln sie Futter oder spielen miteinander. Waschbären sind sehr anpassungsfähig.“
Ich beobachtete die Tiere weiter. Einer kletterte gerade auf einen Ast, der über dem Gehege hing, und schaukelte ein bisschen hin und her, bevor er wieder herunterkletterte. Es sah aus, als hätte er Spaß dabei.
„Die sind echt toll,“ murmelte ich und spürte, wie ich lächeln musste. Es war, als hätten die Waschbären keine Sorgen. Vielleicht konnte ich mir ein bisschen davon abschauen.
Während ich den Waschbären weiter zusah, stellte sich eine neue Frage in meinem Kopf, die ich einfach nicht für mich behalten konnte. „Warum weißt du so viel über die Tiere, Annette?“ fragte ich und schaute sie neugierig an.
Annette lächelte und beugte sich ein wenig zu mir herunter. „Ich mag Tiere,“ sagte sie ruhig. „Und wir haben einen Bauernhof. Als Kind wollte ich immer Tierärztin werden.“
Meine Augen wurden groß. Einen Bauernhof? Das klang so spannend, und dass sie mal Tierärztin werden wollte, machte sie in meinen Augen noch toller. Ich mochte Tiere auch. Die Idee, sich den ganzen Tag um Tiere zu kümmern, klang irgendwie schön.
„Warum bist du dann keine Tierärztin geworden?“ fragte ich und sah sie noch neugieriger an.
Annette schien kurz nachzudenken. Sie schaute auf die Waschbären und antwortete schließlich: „Weil das Leben manchmal anders verläuft, als man sich das als Kind vorstellt.“
Ihre Worte brachten mich zum Nachdenken. Ich ließ meinen Blick wieder zu den Waschbären wandern, die sich jetzt wieder gegenseitig stupsten. Dabei stellte ich mir zum ersten Mal die Frage, was ich eigentlich werden will, wenn ich groß bin.
Aber ich wusste es nicht. Ich hatte keine Ahnung. Es war ein komisches Gefühl, so darüber nachzudenken. Irgendwie machte es mir ein bisschen Angst.
Annette wirkte so sicher und so klug. Vielleicht wusste sie ja irgendwann, was ich mal werden könnte. Aber für den Moment ließ ich die Frage einfach in meinem Kopf und beobachtete weiter die Waschbären. Sie schienen sich keine Gedanken darüber zu machen, was sie später mal tun würden – sie waren einfach da, und das war irgendwie beruhigend.
Diana hockte sich neben mich und hielt mir einen Becher hin. „Hier, Florian, damit du auch genug trinkst,“ sagte sie mit einem freundlichen Lächeln. Ich schaute den Becher erst kurz an, dann nahm ich ihn vorsichtig entgegen. Der Tee war warm, und ich konnte sehen, wie ein kleiner Dampf aufstieg.
„Früchtetee,“ erklärte Diana, als ob sie meine Gedanken lesen konnte. Ich nahm einen vorsichtigen Schluck und war überrascht. Der Tee war genau richtig – nicht zu heiß, nicht zu kalt, und er schmeckte richtig gut. Ich trank einen weiteren Schluck, und bevor ich es richtig bemerkte, war der Becher leer.
„Super, Florian,“ lobte Diana und nahm mir den Becher ab. Ich spürte, wie ich ein bisschen rot wurde, aber es fühlte sich auch gut an, dass sie zufrieden mit mir war. Dann gingen wir weiter.
Nach ein paar Schritten standen wir wieder vor einem großen Käfig, ähnlich wie bei den Papageien vorhin. Aber diesmal waren darin keine bunten Vögel, sondern dunkle, große Vögel. Ihre Federn waren fast schwarz, mit einem tiefen Blau, das im Licht schimmerte. Ihre Augen waren groß, und sie schauten uns neugierig an, während sie auf den Ästen saßen.
Manche von ihnen knackten etwas mit ihren kräftigen Schnäbeln. Das Geräusch war laut und irgendwie beeindruckend. Einer der Vögel breitete plötzlich seine Flügel aus und ließ ein krächzendes Geräusch hören. Ich zuckte ein bisschen zusammen, weil es so unerwartet war.
„Annette,“ fragte ich und zeigte auf die Vögel, „was sind das für welche?“
Annette trat näher an den Käfig heran und las das Schild. „Das sind Hyazinth-Aras,“ erklärte sie. „Sie kommen aus Südamerika und gehören zu den größten Papageienarten.“
Ich schaute sie mit großen Augen an. „Südamerika? Ist das weit weg?“
Annette nickte. „Sehr weit. Da ist es viel wärmer als hier, aber Aras können auch hier überleben, wenn man gut auf sie aufpasst.“
Ich beobachtete die Vögel weiterhin fasziniert. Ihre kräftigen Schnäbel sahen so stark aus – fast so, als könnten sie alles mühelos zerbrechen. Und doch wirkten sie gleichzeitig ganz ruhig und friedlich, wie sie dort saßen und uns mit ihren großen Augen musterten.
„Die sind echt cool,“ murmelte ich leise. Dann hielt ich Pandi vor mich und flüsterte: „Schau mal, Pandi, das sind Aras.“ Behutsam drehte ich ihn so, dass er die Vögel sehen konnte, als ob er genauso neugierig wäre wie ich.
Während ich sie weiter ansah, stellte ich mir vor, wie es wohl wäre, solche großen Flügel zu haben. Einfach losfliegen zu können, hoch über die Bäume und den Schnee, weit weg in die Freiheit. Der Gedanke fühlte sich wunderschön an, fast wie ein kleiner Traum. Ich drückte Pandi noch etwas fester und wünschte mir, ich könnte dieses Gefühl für immer festhalten.
Beim nächsten Gehege blieb ich stehen und schaute erstaunt hinein. Dort waren Tiere, die aussahen wie Kühe, aber sie waren viel kleiner. Ihre dunklen Augen sahen mich neugierig an, und sie hatten große, geschwungene Hörner, die ein bisschen bedrohlich wirkten, aber gleichzeitig irgendwie beeindruckend. Ihre Beine waren kurz, und sie standen ruhig auf der schneebedeckten Wiese, während sie ab und zu mit ihren dicken Nasen im Schnee nach etwas suchten.
„Das sind Dahomey-Zwergrinder,“ sagte Annette plötzlich, ohne dass ich fragen musste. Sie trat neben mich und zeigte auf eine Infotafel. „Die sind viel kleiner als normale Rinder. Man kann sie aber trotzdem wie Kühe halten, weil sie Milch geben können. Sie sind sehr robust und brauchen nicht so viel Platz wie große Rinder.“
Ich schaute sie mit großen Augen an. „Die sind echt klein,“ murmelte ich und beobachtete, wie eines der Rinder seinen Kopf senkte, um an einem Busch zu knabbern, der aus dem Schnee herausragte.
Annette lächelte und fügte hinzu: „Auf unserem Bauernhof haben wir auch Kühe, aber die sind natürlich viel größer. Als ich klein war, habe ich immer beim Melken geholfen.“
Ich schaute sie überrascht an. „Echt? Hast du die Kühe selber gemolken?“
Annette nickte. „Ja, und das war gar nicht so leicht am Anfang. Aber ich habe es gelernt. Kühe sind wirklich tolle Tiere. Sie sind schlau und manchmal richtig neugierig.“
Ich betrachtete die kleinen Zwergrinder nochmal genauer. Eins von ihnen stupste ein anderes an, als wollte es spielen, und das zweite drehte sich einfach um und trottete weg. Sie sahen irgendwie lustig aus, fast wie große Spielzeugkühe.
„Die sind schön,“ sagte ich schließlich und ich konnte mir nicht vorstellen, wie es wohl wäre, jeden Tag auf einem Bauernhof mit Kühen zu sein. Aber Annette erzählte davon, als wäre es etwas ganz Besonderes.
Nach den kleinen Kühen kamen wir zu einem Käfig mit Vögeln, die grüne Federn hatten und rote Schnäbel. Sie waren nicht so groß wie die Aras, aber trotzdem sehr hübsch. Annette erzählte, dass sie Edelpapageien heißen und dass die Weibchen ganz andere Farben haben als die Männchen. Ich fand das spannend, weil ich dachte, alle Papageien sehen immer gleich bunt aus.
Dann gingen wir zu den Tieren mit den langen Schwänzen, die in der Sonne saßen. Annette sagte, sie heißen Kattas. Sie hüpften auf allen Vieren herum und setzten sich manchmal auf ihre Schwänze, was irgendwie lustig aussah. Diana meinte, dass Kattas es gerne warm haben, und ich konnte gut verstehen, warum.
Bei den nächsten Vögeln war es wieder bunt. Diese hatten gelb-orange Federn, und ihr Gefieder sah aus, als ob es von der Sonne angemalt worden wäre. Annette erklärte, dass sie Sonnen sittiche heißen. Sie waren so lebhaft und laut, dass ich lachen musste.
Auf einer großen Wiese gab es viele verschiedene Tiere. Einige hatten lange Hälse, andere waren gestreift, und manche trugen beeindruckend große Hörner. Annette erklärte: „Das hier ist die Afrikawiese.“ Sie erzählte, dass diese Tiere eigentlich in heißen Ländern leben. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie dort durch endlose Sandlandschaften laufen – es fiel mir schwer, das wirklich zu begreifen.
Die Erdmännchen fand ich richtig lustig. Sie standen auf ihren Hinterbeinen, als würden sie uns beobachten, und schauten in alle Richtungen. Sie bewegten sich so schnell, dass ich manchmal kaum folgen konnte. Es sah aus, als hätten sie eine ganz wichtige Aufgabe.
Die Schnee-Eule war wie aus einem Märchen. Ihr weißes Gefieder und die leuchtenden Augen waren so besonders, dass ich sie lange ansah. Annette erklärte, dass sie gut in kalten Gegenden leben kann, und das passte irgendwie zu ihr.
Das Streichel-Gehege war mein Highlight. Ich durfte die Tiere dort anfassen, und sie waren so weich und freundlich. Es fühlte sich schön an, sie zu streicheln, und ich wollte gar nicht mehr weg.
Danach sahen wir Vögel mit lustigen Federkronen, die Annette Kronenkraniche nannte. Sie sahen aus, als wären sie für eine Feier geschmückt, und ich fand sie toll.
Die Stachelschweine waren groß und ihre Stacheln sahen richtig gefährlich aus. Annette sagte, dass sie die Stacheln nutzen, um sich zu verteidigen, und ich war froh, dass sie hinter einem Zaun waren.
Dann kamen wir zu den Luchsen. Sie sahen aus wie große Katzen mit spitzen Ohren, aber sie waren sehr scheu. Einer versteckte sich gleich hinter einem Busch, und ich konnte ihn nur kurz sehen. Annette erzählte, dass Luchse gute Jäger sind und nachts unterwegs sind.
Nach den Luchsen sagte Diana: „Jetzt gehen wir erstmal ins Café, wärmen uns auf und essen etwas.“ Ich war froh, weil mir langsam die Füße kalt wurden.
Auf dem Weg zum Café drückte plötzlich etwas in meinem Bauch, und bevor ich irgendetwas machen konnte, lief es auch schon los. Es wurde sofort warm in meiner Windel, und ich blieb einfach stehen. Annette hatte meine eine Hand fest in ihrer, Pandi hielt ich an der anderen. Ich traute mich nicht, weiterzugehen. Die Wärme breitete sich immer mehr aus, und ich hatte solche Angst, dass die Windel auslaufen könnte und alle merken würden, dass ich gerade eingepullert habe.
Ich konnte es einfach nicht halten, egal wie sehr ich es versucht hatte. Es war ein komisches Gefühl – auf der einen Seite die Wärme, die irgendwie angenehm war, auf der anderen Seite die Scham und die Angst, dass es jemand sehen könnte.
Annette blieb auch stehen und sah zu mir herunter, aber ich traute mich nicht, sie anzusehen. Ich merkte es nur im Augenwinkel, als sie fragte: „Alles gut bei dir?“
Ich konnte nicht sofort antworten. Erst als ich fertig war und mich kurz schütteln musste, weil ein Schauer durch meinen Körper ging, wagte ich, unsicher zu ihr hoch zu schauen. Mein Gesicht fühlte sich heiß an, und ich wusste, dass ich rot geworden war.
„Ich hab eingepullert,“ murmelte ich ganz leise, fast so, dass sie es nicht hören konnte.
Annette lächelte nur und drückte meine Hand ein bisschen fester. „Der Tee musste bestimmt einfach raus,“ sagte sie, als wäre es das Normalste der Welt, dass ein Siebenjähriger in die Windel macht wie ein Kleinkind.
Ihr Lächeln machte es ein bisschen besser, aber ich fühlte mich trotzdem noch klein und irgendwie hilflos. Ich drückte Pandi fester an mich und ging langsam weiter, immer noch unsicher, ob die anderen etwas bemerkt hatten. Annette zog mich sanft mit sich, ohne etwas weiter dazu zu sagen, und das beruhigte mich irgendwie.
Dann kamen wir in ein kleines Gebäude, und sofort wurde es angenehm warm. Die Kälte, die draußen noch an meinen Händen und im Gesicht gekribbelt hatte, verschwand langsam, während wir unsere Jacken, Mützen, Schals und Handschuhe auszogen. Es fühlte sich gut an, endlich mal aufzutauen.
Nachdem wir alles abgelegt hatten, liefen wir zu einer Sitzgruppe. Annette schaute zu Diana und sagte: „Wäre es okay für dich, wenn ich und Florian kurz aufs Klo gehen?“
Diana sah zu mir herunter und fragte sanft: „Wenn es für Florian in Ordnung ist?“
Ich fühlte, wie mein Herz schneller schlug. Warum fragten sie mich das? Ich sah unschlüssig zwischen den beiden hin und her, nicht sicher, was ich jetzt sagen sollte. Was erwartete Diana von mir? Sollte ich etwas entscheiden? Ich wollte nichts Falsches sagen, aber ich wusste nicht, was die richtige Antwort war.
Als von mir keine Antwort kam, hockte sich Diana ein Stück zu mir herunter und fragte: „Soll ich lieber mit dir aufs Klo gehen?“ Ihre Stimme war ruhig und freundlich, aber in meinem Kopf machte das alles keinen Sinn. Wieso war es so wichtig, mit wem ich aufs Klo ging? Warum wollten sie, dass ich entscheide?
Ich wollte einfach nichts sagen. Am liebsten wäre ich jetzt unsichtbar gewesen, damit niemand etwas von mir erwartete. Ich hatte solche Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen und jemanden zu enttäuschen.
Ich drückte Pandi ganz fest an mich, fast so, als könnte er mir die Entscheidung abnehmen. Schließlich sah ich langsam zu beiden hoch, und sie lächelten mich an. Es war ein warmes Lächeln, das zeigte, dass sie mich nicht drängen wollten. Aber es half mir trotzdem nicht. Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte.
Ich stand da und hoffte, dass die Zeit einfach stehen bleiben würde, damit ich mich nicht entscheiden musste.
Eine Frau lief an uns vorbei, und Diana fragte sie freundlich, wo die Toiletten seien. „Gleich da vorne rechts, da müssten Sie es dann schon sehen,“ antwortete die Frau mit einem Lächeln und zeigte in die Richtung.
Diana drehte sich zu mir und fragte erneut: „Wäre es dir lieber, wenn wir beide mitkommen?“ Ihre Stimme war ruhig, aber ich war einfach überfordert. Alles fühlte sich zu viel an, und ich wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte.
Annette bemerkte das sofort. Sie hob mich ohne ein weiteres Wort hoch und sagte zu Diana: „Ich glaube, ihm ist das entscheiden gerade zu viel.“ Sie hielt mich fest, und ich lehnte mich auf ihre Schulter. Es fühlte sich sicher an, und ich machte die Augen zu, damit ich niemanden ansehen musste. In diesem Moment wollte ich nur noch bei ihr bleiben, weg von allen Fragen und Entscheidungen.
Annette streichelte mir sanft über den Rücken, während wir zu dritt in die Richtung gingen, die die Frau gezeigt hatte. Es war ein ungewohntes Gefühl, aber es war auch irgendwie schön. Ihre Hand bewegte sich langsam und beruhigend, als wollte sie mir sagen, dass alles in Ordnung war.
Als wir die Toiletten erreichten, betraten wir einen großen Raum mit einer Schiebetür. Annette setzte mich auf eine weiche, gepolsterte Liege ab und Stellte sich vor mich. „Möchtest du dir die Windel selber ausziehen?“ fragte sie leise.
Ich sah sie an, fühlte, wie meine Wangen heiß wurden, und schüttelte nur ganz leicht den Kopf. Eigentlich wollte ich einfach wieder zurück auf ihren Arm, aber ich traute mich nicht, das zu sagen.
„Okay, dann helfe ich dir“ sagte Annette sanft, löste meine Hosenträger und fügte hinzu: „Leg dich bitte hier hin.“
Ich schaute mich kurz im Raum um, dann tat ich, was sie sagte, und legte mich vorsichtig hin. Annette zog meine Hose herunter und riss die Seiten der Windel auf. Ich spürte die kalte Luft an meiner Haut, aber Annette war so ruhig und sanft, dass es nicht ganz so schlimm war.
Diana reichte ihr Feuchttücher und eine neue Windel. Annette wischte mich schnell und vorsichtig sauber. Es war seltsam, aber es ging so schnell, dass ich kaum Zeit hatte, mich unwohl zu fühlen. Dann legte sie mir die neue Windel an. Es war wieder eine mit Klebestreifen, und die saß so viel besser.
Als sie die Windel schloss, fühlte ich, wie sie mich sicher umschloss, fast wie eine Umarmung. Es war warm und bequem, und ich merkte, dass ich mich damit wieder besser fühlte.
„Fertig,“ sagte Annette lächelnd und zog mir die Hose wieder hoch. „Du bist jetzt wieder ganz trocken.“ Sie half mir, mich hinzusetzen, und ich spürte, wie die Sicherheit der neuen Windel mir ein kleines bisschen Mut zurück gab.
Annette hob mich vorsichtig von der Liege herunter, und wir gingen gemeinsam aus dem Raum. Ich war froh, dass ich wieder trocken war, aber ein kleines bisschen enttäuscht war ich schon, dass Annette mich nicht wieder auf den Arm genommen hatte. Es war so schön gewesen, dort oben sicher zu sein, aber ich sagte nichts.
Draußen vor dem Raum stand eine Frau mit einem kleinen Mädchen. Die Frau lächelte mich freundlich an, und ich schaute schnell weg. Sie gingen zusammen in den Raum, während wir weitergingen. Zurück bei der Sitzgruppe setzten wir uns, und Annette ließ mich neben sich am Fenster Platz nehmen. Als ich hinaus schaute, blieb mein Blick plötzlich hängen.
„Da sind Störche!“ rief ich überrascht, ohne es wirklich zu merken.
Annette und Diana schauten aus dem Fenster und lächelten. „Ja,“ sagte Diana, „einen schönen Ausblick hat man hier.“
Ich beobachtete die großen Vögel eine Weile, wie sie langsam durch den Schnee staksten. Ihre langen, dünnen Beine sahen so komisch aus, aber gleichzeitig fand ich sie faszinierend.
„Was möchtest du essen?“ fragte Diana und legte ein Faltblatt vor mich auf den Tisch. Es war bunt und voller Bilder von Eis, Waffeln und anderen Sachen. „Siehst du hier etwas, das dir schmeckt?“
Ich schaute mit großen Augen auf die Bilder. So etwas hatte ich noch nie gemacht. Wir waren früher nie im Zoo gewesen, außer einmal mit dem Kindergarten, und Eisbecher oder Waffeln bestellen – das gab es bei uns nicht. Mama und Papa hatten mit mir schon genug Arbeit, da war für sowas keine Zeit.
Meine Augen blieben an einem Bild hängen: ein Becher voller Eis und Erdbeeren, mit Sahne obendrauf. Der sah so toll aus, dass ich nicht wegschauen konnte. Daneben war einer mit Schokolade und Nüssen, und es gab noch viele andere, aber der mit Erdbeeren war der schönste.
Ich schaute zu Diana und fragte vorsichtig: „Darf ich den haben?“ Dabei zeigte ich mit dem Finger auf den Erdbeer becher.
Diana sah sich das Bild an und lächelte. „Der sieht aber lecker aus,“ sagte sie. „Möchtest du einen Erdbeer-Eisbecher?“
Ich nickte heftig, und mein Gesicht wurde ganz warm vor Freude. Ich konnte es kaum glauben, dass ich wirklich so etwas Tolles bekommen würde. Es fühlte sich fast wie ein Traum an, und ich drückte Pandi fest an mich, als ob er auch sehen könnte, was für einen besonderen Moment das war.
Nach einem Moment kam die Frau von vorhin, die uns den Weg erklärt hatte, an unseren Tisch. „Möchten Sie etwas bestellen?“ fragte sie freundlich.
Diana antwortete prompt: „Einmal den Erdbeerbecher und einen warmen Kakao, dazu eine Waffel mit Vanilleeis und einen Kaffee.“
Annette ergänzte: „Für mich bitte einen Früchtetee und eine Portion Pommes Frites.“
Die Frau nickte, lächelte und sagte: „Das dauert nur einen kleinen Moment.“ Dann verschwand sie wieder Richtung Küche.
Ich betrachtete weiterhin die Bilder der Speisen auf der Karte und fragte mich, ob ich mich richtig entschieden hatte. Was, wenn etwas anderes besser schmeckt? Der Gedanke ließ mich nicht los, aber bevor ich mich in meinen Gedanken verlieren konnte, setzte sich an den Tisch gegenüber eine Familie.
Da waren ein großer Junge und ein kleiner, der so groß war wie Paul. Der Mann sah ein wenig einschüchternd aus – er hatte einen großen Ring im Ohr, der wie ein riesiges Loch wirkte, und seine Arme waren mit vielen Bildern bedeckt. Die Frau neben ihm hatte ebenfalls zahlreiche Bilder auf den Armen und am Hals. Der kleinere Junge spielte mit zwei Autos auf dem Tisch, während der größere auf seinem Smartphone tippte. Das konnte ich von hier aus genau sehen. Ich beobachtete sie interessiert, während ich noch immer überlegte, ob ich die richtige Wahl getroffen hatte.
„Welche Tiere haben dir bis jetzt am besten gefallen?“ fragte mich Annette.
Ich überlegte kurz. Die Erdmännchen waren wirklich toll – so flink und neugierig. Aber die Hasen hatten so weiches Fell, und ich durfte sie sogar streicheln. Ich konnte mich nicht wirklich entscheiden und antwortete schließlich: „Die Hasen und die Erdmännchen.“
Annette lächelte. „Also ist es nicht schlimm, dass es hier keinen Tiger gibt?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ist nicht schlimm.“ Die Erdmännchen und Hasen waren ja auch ziemlich cool, dachte ich bei mir.
Die Frau kam wieder und schaffte es, ganz viele Teller auf einmal zu tragen – ohne Tablett! Beeindruckt sah ich zu, wie sie Annette ihre Pommes und den Tee hinstellte. Den Kaffee für Diana hatte sie auch schon dabei und stellte ihn sorgfältig ab.
Kurz darauf kam sie erneut und brachte mir meinen Eisbecher. Der war einfach riesig! Oben drauf steckte eine Waffel, dazu Schokoladensauce und ganz viele Erdbeeren. Es sah unglaublich lecker aus. Ich wollte direkt mit dem Löffel anfangen, aber ich kam nicht richtig heran – der Becher war größer als ich!
Annette und Diana lachten gleichzeitig los. „Oh, der ist ja riesig! Auf einem Teller wäre das bestimmt einfacher für dich,“ kommentierte Annette.
Annette stand auf und ging zu der Frau, die gerade an einer Tür lehnte. Ich sah, wie sie kurz miteinander sprachen, und dann nickte die Bedienung. Annette setzte sich wieder zu uns.
„Die Bedienung bringt uns gleich einen tiefen Teller. Dann kippen wir den Inhalt vom Becher da rein, und du kannst deinen tollen Eisbecher besser essen, okay?“ erklärte Annette mit einem freundlichen Lächeln.
Ich nickte erleichtert. Jetzt konnte ich es kaum erwarten, mit meinem Eis anzufangen!
Die Frau brachte den Teller und reichte ihn mit einem freundlichen Lächeln an Annette. „So, jetzt kann der junge Mann auch sein Eis genießen,“ sagte sie.
Annette nahm den Teller, kippte vorsichtig den Inhalt des großen Bechers darauf und stellte ihn vor mich hin. „Guten Appetit,“ sagte sie lächelnd.
Ich begann zu essen. Das Eis war wirklich lecker, und die Erdbeeren schmeckten frisch und süß. Aber nach der Hälfte konnte ich einfach nicht mehr – es war einfach zu viel. Außerdem war meine Zunge schon ganz kalt. Unsicher stocherte ich nur noch im Eis und der Sahne herum. Ich traute mich aber nicht, einfach aufzuhören. Was, wenn jemand schimpft, weil ich das nicht aufesse? Es hatte ja bestimmt viel Geld gekostet. Und wer weiß, ob ich jemals wieder so einen großen Eisbecher bekomme?
Diana schaute mich an und fragte: „Bist du satt, Florian?“
Ich sah kurz auf und nickte ganz vorsichtig. Sie lächelte verständnisvoll. „Das war ja auch eine Riesenportion. Nicht, dass dir nachher noch schlecht wird. Trink ruhig noch einen Schluck von deinem Kakao, der sollte mittlerweile abgekühlt sein.“
Dankbar schob ich den Teller ein Stück nach vorne und nahm einen Schluck von meinem Kakao. Er war noch warm, aber nicht mehr heiß – genau richtig. Es tat gut, und meine Zunge wurde davon wieder angenehm warm. Trotzdem konnte ich nicht viel trinken, mein Bauch war einfach so voll. Ich lehnte mich ein wenig zurück und fühlte mich irgendwie zufrieden, auch wenn ich den Eisbecher nicht ganz geschafft hatte.
Annette und Diana waren ebenfalls mit ihrem Essen fertig, und ich schaute wieder zu den Störchen hinaus, die draußen zwischen den Bäumen standen. Es war so beruhigend, ihnen zuzusehen, dass ich für einen Moment ganz vergaß, wo ich war.
Doch plötzlich hallte ein lautes Brüllen vom Nachbartisch durch den Raum. Ich zuckte zusammen, als der Mann anfing zu schimpfen.
„Alexander, es geht hier nicht immer nur um dich! Ich kann es nicht mehr hören, ständig diese egoistischen Forderungen!“ Seine Stimme war hart und schneidend.
Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Es klang genauso wie zu Hause, wenn Papa wütend wurde. Der Lärm schien plötzlich überall zu sein, und ich konnte nichts anderes mehr wahrnehmen.
Plötzlich knallte es laut. Es war ein Schlag, so heftig, dass das Klirren von Geschirr zu hören war. Mein ganzer Körper zuckte zusammen, und ich spürte, wie meine Windel nass wurde. Ohne nachzudenken, zog ich meine Beine auf den Stuhl, kauerte mich zusammen und presste mein Gesicht gegen meine Knie.
Alles um mich herum verschwamm. Ich hörte die Worte nicht mehr genau, nur noch lautes Reden und das Klirren des Geschirrs, das immer noch leicht wackelte. In meinem Kopf war ich wieder zu Hause. Der Lärm, das Schreien – es war, als wäre Papa direkt neben mir. Mein Atem ging flach und schnell, und ich konnte die Tränen nicht zurückhalten. Sie liefen heiß und schwer über mein Gesicht.
Ich zog mich noch weiter in die Ecke des Stuhls zurück und versuchte, mich unsichtbar zu machen. Mein Herz klopfte so laut, dass ich alles andere nur gedämpft hörte. Stimmen klangen wie durch eine Wand, und ich hatte nur einen Gedanken: Ich darf keinen Ärger machen, ich darf keinen Ärger machen.
Eine sanfte Hand legte sich auf meinen Rücken. Ich zuckte erst zusammen, dann merkte ich, dass es Annette war. Ihre Stimme klang gedämpft, aber warm und beruhigend: „Florian, alles ist gut. Du bist hier sicher.“
Ich konnte nicht antworten, konnte nicht aufhören zu zittern. Ich drückte mein Gesicht noch fester gegen meine Knie und hoffte, dass die Angst irgendwann nachlassen würde.
Annette zog mich vorsichtig zu sich heran und nahm mich auf den Schoß. Sie hielt mich fest, während ich weiter schluchzte, und stand schließlich mit mir auf. Ich spürte ihre beruhigende Nähe, aber die Angst in mir ließ nicht nach. Sie sagte etwas zu Diana, aber ich konnte die Worte nicht richtig verstehen. Dann ging sie mit mir zur Garderobe, wo sie mich vorsichtig wieder auf den Boden setzte.
Ich schluchzte immer noch, mein Gesicht brannte von den Tränen, und ich konnte die Angst nicht abschütteln. Tief in mir wartete ich immer noch darauf, riesigen Ärger zu bekommen, so wie früher.
Plötzlich lief der große Junge vom Nachbartisch an mir vorbei, und ich sah aus den Augenwinkeln den Mann mit den vielen Tattoos, wie er auf uns zukam. Mein Atem stockte, und Panik durchfuhr mich. Ohne nachzudenken, rannte ich zur Tür hinaus.
Ich hörte Annette noch etwas rufen, aber ich konnte nicht anhalten. Es ging einfach nicht. Die Angst trieb mich voran, und ich lief so schnell ich konnte, bis ich niemanden mehr um mich herum sah.
Keuchend blieb ich stehen und schaute mich hektisch um. Ich stand an einem Gehege, in dem zwei Esel gemütlich Heu fraßen. Sie wirkten völlig unbeeindruckt von meiner Flucht, als hätten sie gar nicht bemerkt, dass ich hier herangerannt war.
Ich sah mich in alle Richtungen um, mein Herz raste. Der Mann war mir nicht gefolgt, aber ich konnte mich nicht beruhigen. Immer wieder wanderte mein Blick nervös umher, um sicherzugehen, dass er nicht doch irgendwo auftauchte. Die Esel fraßen ruhig weiter, während ich zitternd dastand, unfähig, meine Angst abzuschütteln.
Zu Hause hatte ich mich immer versucht, in meinem Zimmer zu verstecken, in der Ecke hinter dem Schrank. Dort fühlte ich mich ein kleines bisschen sicherer, aber das half nur, wenn Mama und Papa sich gestritten haben. Dann haben sie mich meistens nicht beachtet.
Wenn ich aber wieder böse gewesen war und meine Bestrafung bekam, fanden sie mich immer, egal wie gut ich mich versteckte. Ich wusste, dass es nichts brachte, aber ich musste es trotzdem immer wieder versuchen. Es war das Einzige, was ich tun konnte, um mich wenigstens für einen Moment weniger ausgeliefert zu fühlen.
Plötzlich kam Annette zügig um die Ecke. Sie blieb direkt vor mir stehen und hockte sich hin. Ihre Augen waren rot, und es sah so aus, als hätte sie geweint.
„Florian, du kannst doch nicht einfach weglaufen!“ sagte sie, ihre Stimme klang angespannt, aber nicht laut.
Meine Tränen stiegen sofort wieder auf. Jetzt war Annette bestimmt böse auf mich, weil ich weggelaufen war. Ich schluchzte erneut, unfähig, etwas zu sagen.
Doch Annette nahm mich hoch und drückte mich ganz fest an sich. Ihre Umarmung war warm und schützend. „Es ist alles gut, Florian,“ sagte sie mit einer sanften, beruhigenden Stimme. „Ich weiß, dass du Angst hast. Aber du darfst nicht einfach weglaufen, mein Schatz. Schau mal, du hast keine Jacke an, und hier draußen holst du dir noch etwas weg.“
Ich nickte zitternd, obwohl ich nicht sicher war, ob ich das überhaupt richtig verstand. Annette hielt mich fest, und ich spürte, wie sie mit schnellen Schritten zurück zum Café ging. Ihr Griff war sicher, aber sanft, und ich klammerte mich an sie, noch immer schluchzend, aber ein kleines bisschen beruhigter, weil sie da war.
Diana kam uns aus einer anderen Richtung entgegen. Ihre Erleichterung war deutlich zu hören, als sie sagte: „Du hast ihn gefunden.“
Zusammen betraten wir wieder das Café. Annette trug mich bis zu unserem Tisch, wo sie mich vorsichtig wieder absetzte. Automatisch steckte ich meinen Daumen in den Mund und nuckelte daran. Es war beruhigend, fast so, als könnte ich damit alles um mich herum ausblenden. Das hatte ich zu Hause auch oft gemacht, wenn ich Ärger bekommen hatte oder traurig war.
Ich spürte Annette neben mir, doch ich achtete nicht wirklich darauf, bis sie sanft an meiner Hand zog. Ihre Stimme war ruhig und freundlich, als sie sagte: „Du darfst den Daumen gleich wieder haben, ich will dir nur schnell deine Jacke anziehen.“
Ich ließ den Daumen kurz los, während sie mir die Jacke überzog. Es fühlte sich warm und weich an, und als sie fertig war, schob ich meinen Daumen sofort wieder in den Mund. Annette lächelte mich an, streichelte mir kurz über den Kopf und sagte nichts weiter, was mir ein kleines bisschen Sicherheit gab.
Annette:
Nach unserem Besuch bei den Luchsen sagte Diana: „Jetzt gehen wir erstmal ins Café, wärmen uns auf und essen etwas.“ Ich war wirklich erleichtert über diesen Vorschlag, denn meine Füße wurden langsam kalt, und eine warme Tasse Tee klang verlockend.
Wir machten uns auf den Weg zum Café. Florian hielt meine Hand fest, während er in der anderen seinen Plüsch-Pandi trug. Er schien in Gedanken versunken zu sein, aber das war nicht ungewöhnlich. Plötzlich spürte ich, wie er langsamer wurde und schließlich stehen blieb. Seine kleine Hand drückte meine fester, und ich bemerkte, dass er den Blick gesenkt hielt.
„Alles in Ordnung, Florian?“ fragte ich sanft und beugte mich ein wenig zu ihm herunter. Er antwortete nicht sofort, sondern stand einfach nur da. Ich konnte sehen, dass etwas nicht stimmte, aber ich wusste nicht genau, was. Sein Gesicht war leicht gerötet, und er wirkte unsicher.
Nach einem Moment schaute er zu mir hoch und murmelte kaum hörbar: „Ich hab eingepullert.“
Mein Herz zog sich zusammen. Ich wollte, dass er weiß, dass es in Ordnung ist und er sich nicht schämen muss. Also lächelte ich ihn an und drückte seine Hand ein wenig fester. „Der Tee musste bestimmt einfach raus,“ sagte ich mit möglichst lockerer Stimme. Ich hoffte, ihm damit ein bisschen die Anspannung nehmen zu können.
Florian schien sich ein wenig zu entspannen, aber ich merkte, dass er immer noch unsicher war. Er drückte seinen Pandi fest an sich und ging langsam weiter. Ich entschied mich, nicht weiter darauf einzugehen und ihm einfach das Gefühl zu geben, dass alles in Ordnung ist.
Als wir das Café betraten, umfing uns eine angenehme Wärme. Wir zogen unsere Jacken, Mützen und Schals aus. Währenddessen überlegte ich, wie ich Florian helfen könnte, ohne ihn in Verlegenheit zu bringen. Sollte ich ihn fragen, ob wir seine Windel wechseln? Oder wäre das zu direkt?
Wir liefen zu einer gemütlichen Sitzgruppe am Fenster. Florian hielt seinen Pandi immer noch fest umklammert und wirkte ein wenig verloren. Ich schaute zu Diana und sagte leise: „Wäre es okay für dich, wenn ich mit Florian kurz aufs Klo gehe?“
Diana nickte verständnisvoll und wandte sich an Florian. „Ist das in Ordnung für dich, Florian?“
Er sah unschlüssig zwischen uns hin und her. Seine Augen wurden größer, und ich merkte, dass er sich überfordert fühlte. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, ihn direkt zu fragen.
Eine Bedingung lief an uns vorbei, und Diana nutzte die Gelegenheit. „Entschuldigen Sie, wo sind denn hier die Toiletten?“ fragte sie freundlich.
„Gleich da vorne rechts, da müssten Sie es dann schon sehen,“ antwortete die Frau mit einem Lächeln und zeigte in die Richtung.
Ich bemerkte, wie Florian sich noch mehr an seinen Pandi klammerte. Seine Schultern zogen sich hoch, und er schien sich in sich selbst zurückzuziehen. Meine Unsicherheit wuchs. Hatte ich etwas falsch gemacht? Ich wollte ihn nicht bedrängen, aber ich wusste auch, dass es wichtig war, dass er sich wohlfühlt.
Als er nicht antwortete, hockte sich Diana ein Stück zu ihm herunter und bot an: „Soll ich lieber mit dir aufs Klo gehen?“
Ich konnte sehen, wie Florian sich mehr und mehr zurückzog. Er klammerte sich fest an seinen Pandi und wirkte fast ein wenig verängstigt. Ich machte mir Sorgen, dass wir ihn unabsichtlich unter Druck setzten.
„Ich glaube, ihm ist das entscheiden gerade zu viel,“ sagte ich leise zu Diana. Ohne weiter nachzudenken, hob ich Florian sanft hoch. Er lehnte seinen Kopf an meine Schulter, und ich spürte, wie er sich ein wenig entspannte.
Ich hielt ihn fest und versuchte, ihm durch meine Nähe Sicherheit zu geben. In solchen Momenten wurde mir bewusst, wie zerbrechlich er war. Ich hatte Angst, etwas falsch zu machen, wollte aber gleichzeitig alles tun, um ihm zu helfen.
„Es ist alles gut,“ flüsterte ich und strich ihm beruhigend über den Rücken. Ich spürte eine tiefe Zuneigung zu diesem kleinen Jungen, der schon so viel durchgemacht hatte. Ich wollte für ihn da sein, ihm zeigen, dass er sich auf mich verlassen kann.
Als wir die Toiletten erreichten, betraten wir einen geräumigen Wickelraum mit einer Schiebetür. Ich merkte, wie angespannt Florian war, und wollte ihm so viel Komfort wie möglich bieten. Also setzte ich ihn vorsichtig auf eine gepolsterte Liege, die in der Ecke stand. Ich hockte mich vor ihn hin, sodass ich auf Augenhöhe mit ihm war.
„Florian, möchtest du dir die Windel selbst ausziehen?“ fragte ich leise und hoffte, ihm damit ein Gefühl von Kontrolle zu geben. Er sah mich an, und ich bemerkte, wie seine Wangen leicht erröteten. Langsam schüttelte er den Kopf. Ich konnte spüren, dass ihm die Situation unangenehm war, und wollte ihn nicht weiter verunsichern.
„Okay,“ sagte ich sanft und lächelte aufmunternd. „Dann helfe ich dir dabei.“ Vorsichtig löste ich seine Hosenträger und öffnete den Knopf seiner Hose. „Leg dich bitte hier hin,“ fügte ich hinzu und deutete auf die Liege.
Florian zögerte kurz, aber dann legte er sich hin. Ich zog seine Hose ein Stück herunter, gerade so weit, wie es nötig war. Mit ruhigen Bewegungen öffnete ich die Seiten der Windel. Ich achtete darauf, zügig und behutsam zu arbeiten, damit er sich nicht unwohl fühlte.
In diesem Moment reichte Diana mir Feuchttücher und eine frische Windel. Ich war ihr dankbar für ihre Unterstützung. „Danke,“ flüsterte ich ihr zu.
Während ich Florian vorsichtig sauber machte, bemerkte ich, wie still er war. Ich wünschte, ich könnte ihm die Scham nehmen, die er vielleicht empfand. „Du machst das ganz toll,“ sagte ich leise, in der Hoffnung, ihn ein wenig aufzumuntern.
Nachdem ich die neue Windel angelegt hatte, zog ich ihm die Hose wieder hoch und schloss die Hosenträger. „Fertig,“ verkündete ich mit einem Lächeln. „Jetzt bist du wieder trocken.“
Florian setzte sich langsam auf und ich half ihm, von der Liege herunterzukommen. Er wirkte ein wenig entspannter, aber ich konnte immer noch eine gewisse Zurückhaltung spüren. Ich fragte mich, ob ich etwas hätte anders machen sollen. War ich zu direkt gewesen? Hätte ich ihm mehr Zeit geben sollen?
Als wir den Raum verließen, begegneten wir einer Frau mit einem kleinen Mädchen. Die Frau lächelte Florian freundlich an, und er schaute schnell weg.
Als wir uns auf der Sitzgruppe niedergelassen hatten, bemerkte ich plötzlich, wie Florians Augen groß wurden und er mit überraschter Stimme sagte: „Da sind Störche!“ Seine Begeisterung war so echt und ungekünstelt, dass ich unwillkürlich lächeln musste.
Diana und ich folgten seinem Blick aus dem Fenster. Tatsächlich staksten draußen im Schnee einige Störche mit ihren langen, dünnen Beinen umher. „Ja,“ stimmte Diana zu, „einen schönen Ausblick hat man hier.“
Florian schien völlig fasziniert von den Vögeln. Er beobachtete sie eine Weile intensiv, als würde er versuchen, jedes Detail in sich aufzunehmen. Es war herzerwärmend zu sehen, wie sehr ihn dieser Anblick erfreute.
Nach einer Weile wandte Diana sich an ihn und legte ein buntes Faltblatt vor ihm auf den Tisch. „Was möchtest du essen?“ fragte sie freundlich. „Siehst du hier etwas, das dir schmeckt?“
Florian schaute mit großen Augen auf die Bilder. Seine Aufmerksamkeit war ganz von der Auswahl gefangen genommen. Ich konnte sehen, wie er die verschiedenen Optionen abwägte. Sein Gesichtsausdruck verriet eine Mischung aus Staunen und Konzentration.
Schließlich blieb sein Blick an einem Bild hängen: ein großer Eisbecher, gefüllt mit Erdbeeren und Sahne. Seine Augen leuchteten, und ich spürte, wie wichtig ihm diese Entscheidung war.
Vorsichtig schaute er zu Diana hinüber und fragte leise: „Darf ich den haben?“ Dabei zeigte er mit dem Finger auf den Erdbeer-Eisbecher.
Diana lächelte warmherzig. „Der sieht aber lecker aus,“ sagte sie. „Möchtest du einen Erdbeer-Eisbecher?“
Florian nickte heftig, und ich konnte sehen, wie seine Wangen vor Freude leicht erröteten. Er drückte seinen Pandi fest an sich, als wolle er seine Begeisterung teilen. Dieser Moment berührte mich tief. Es war, als ob er so etwas zum ersten Mal erlebte.
Ich fragte mich, ob er zuvor jemals die Gelegenheit gehabt hatte, sich einfach etwas auszusuchen und zu bestellen, was ihm wirklich Freude machte. Seine Reaktion ließ vermuten, dass dies für ihn etwas Besonderes war.
In meinem Inneren verspürte ich eine Mischung aus Freude und Verantwortung. Florian hatte bereits einen festen Platz in meinem Herzen gefunden, und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als ihm weiterhin solche glücklichen Momente zu ermöglichen. Gleichzeitig wollte ich alles richtig machen und ihm Sicherheit geben.
Während wir darauf warteten, dass die Bestellung aufgenommen wurde, beobachtete ich Florian dabei, wie er weiterhin die Störche betrachtete. Sein Gesicht strahlte eine kindliche Unschuld und Neugier aus, die mich immer wieder aufs Neue faszinierte.
Ich nahm mir vor, diesen Tag für ihn unvergesslich zu machen. Es war mir wichtig, dass er wusste, dass er jetzt in einer Umgebung war, in der er einfach Kind sein durfte – mit all der Freude und Unbeschwertheit, die dazu gehörte.
Kurz darauf, kam die Bedienung von vorhin, die uns den Weg erklärt hatte, an unseren Tisch. „Möchten Sie etwas bestellen?“ fragte sie freundlich.
Diana antwortete prompt: „Einmal den Erdbeerbecher und einen warmen Kakao, dazu eine Waffel mit Vanilleeis und einen Kaffee.“
Ich ergänzte: „Für mich bitte einen Früchtetee und eine Portion Pommes Frites.“
Die Frau nickte, lächelte und sagte: „Das dauert nur einen kleinen Moment.“ Dann verschwand sie Richtung Küche.
Während wir warteten, bemerkte ich, wie Florian weiterhin die Bilder der Speisen auf der Karte betrachtete. Sein Blick wanderte über die bunten Fotos, und ich fragte mich, ob er sich sicher war mit seiner Wahl oder ob er vielleicht etwas anderes probieren wollte. Ich überlegte kurz, ob ich ihn darauf ansprechen sollte, entschied mich aber dagegen, um ihn nicht zu verunsichern. Manchmal war es schwierig einzuschätzen, was in ihm vorging, da er oft so still war.
Plötzlich setzte sich an den Tisch gegenüber eine Familie. Ein Teenager und ein kleiner Junge, etwa Erste oder Zweite Klasse. Der Mann wirkte auf den ersten Blick ein wenig einschüchternd mit seinem großen Ohrring, der wie ein riesiges Loch aussah, und den vielen Tattoos auf seinen Armen. Auch die Frau an seiner Seite hatte zahlreiche Tätowierungen auf den Armen und am Hals. Der kleine Junge spielte mit zwei Autos auf dem Tisch, während der ältere auf seinem Smartphone tippte. Ich bemerkte, wie Florian die Familie interessiert beobachtete. Ich fragte mich, was er wohl dachte. War er neugierig? Verunsichert? Ich konnte es nicht genau sagen.
Um seine Aufmerksamkeit wieder auf etwas Positives zu lenken, fragte ich ihn: „Welche Tiere haben dir bis jetzt am besten gefallen?“
Er überlegte kurz und antwortete dann: „Die Hasen und die Erdmännchen.“
Ich lächelte. „Also ist es nicht schlimm, dass es hier keinen Tiger gibt?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, ist nicht schlimm.“
Es freute mich zu hören, dass er auch ohne sein Lieblingstier Spaß hatte. Ich versuchte ständig, mehr über seine Vorlieben und Gefühle herauszufinden, um besser auf ihn eingehen zu können. Manchmal fühlte ich mich unsicher, weil ich nicht wusste, ob ich alles richtig machte, aber ich wollte ihm unbedingt das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit geben.
Die Bedienung brachte unsere Bestellung in zwei Zügen. Florians Eisbecher war schon ziemlich Groß. Die vielen Erdbeeren sahen gut aus. Florians Augen leuchteten, als er den Becher betrachtete. Es war schön zu sehen, wie sehr er sich darüber freute.
Als er jedoch versuchte, mit dem Löffel an sein Eis zu gelangen, bemerkte ich, dass der Becher für ihn viel zu groß war. Er konnte kaum über den Rand schauen. Diana und ich mussten gleichzeitig schmunzeln.
„Oh, der ist ja riesig! Auf einem Teller wäre das bestimmt einfacher für dich,“ bemerkte ich lachend.
Ich stand auf und ging zu der Bedienung, die gerade an einer Tür lehnte. „Entschuldigen Sie, könnten wir bitte einen tiefen Teller bekommen? Der Eisbecher ist für unseren Kleinen ein wenig unhandlich.“
Sie nickte verständnisvoll. „Natürlich, ich bringe ihn gleich.“
Zurück am Tisch sagte ich zu Florian: „Die Bedienung bringt uns gleich einen tiefen Teller. Dann kippen wir den Inhalt vom Becher da rein, und du kannst deinen tollen Eisbecher besser essen, okay?“
Er nickte erleichtert, und ich war froh, dass wir eine Lösung gefunden hatten. Ich wollte ihm den Moment nicht verderben und hoffte, dass er sein Eis jetzt genießen konnte.
Die Frau brachte den Teller und reichte ihn mir mit einem freundlichen Lächeln. „So, jetzt kann der junge Mann auch sein Eis genießen.“
Ich nahm den Teller, kippte vorsichtig den Inhalt des großen Bechers darauf und stellte ihn vor Florian. „Guten Appetit,“ sagte ich lächelnd.
Während er anfing zu essen, beobachtete ich ihn unauffällig. Es war rührend zu sehen, wie glücklich er mit seinem Eis war. Ich nahm einen Schluck von meinem Tee und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Die Verantwortung für ihn erfüllte mich mit Freude, aber auch mit der Sorge, etwas falsch zu machen. Doch in diesem Moment, als ich sein strahlendes Gesicht sah, wusste ich, dass es die Mühe wert war. Ich war bereit, alles für ihn zu tun.
Florian begann eifrig zu essen, und es war schön zu sehen, wie sehr er es genoss. Doch nach einer Weile bemerkte ich, dass er langsamer wurde. Er stocherte nur noch im Eis herum und wirkte unsicher. Ich fragte mich, ob die Portion vielleicht zu groß für ihn war oder ob etwas nicht stimmte.
Diana schien es ebenfalls zu bemerken. „Bist du satt, Florian?“ fragte sie sanft.
Er sah kurz auf und nickte vorsichtig. „Das war ja auch eine riesige Portion,“ meinte sie verständnisvoll. „Nicht, dass dir nachher noch schlecht wird. Trink ruhig noch einen Schluck von deinem Kakao, der sollte mittlerweile abgekühlt sein.“
Florian schob den Teller ein Stück von sich weg und nahm einen Schluck von seinem Kakao. Er wirkte ein wenig erschöpft, aber auch zufrieden. Ich war erleichtert, dass alles in Ordnung schien.
Wir waren alle mit unserem Essen fertig, und ich lehnte mich zurück, um ebenfalls einen Moment zu entspannen. Florian schaute wieder aus dem Fenster zu den Störchen, die draußen zwischen den Bäumen standen. Es war ein friedlicher Anblick, und ich freute mich, dass er den Ausflug zu genießen schien.
Plötzlich wurde die ruhige Atmosphäre durch lautes Geschrei vom Nachbartisch unterbrochen. Ein Mann erhob seine Stimme: „Alexander, es geht hier nicht immer nur um dich! Ich kann es nicht mehr hören, ständig diese egoistischen Forderungen!“ Seine Stimme war hart und durchdringend.
Überrascht drehte ich mich um und sah zu der Familie hinüber. Der Mann wirkte wütend, der ältere Sohn starrte auf sein Smartphone, während der jüngere mit großen Augen zu seinem Vater aufschaute. Die Spannung am Tisch war förmlich greifbar.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Florian zusammenzuckte. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Er zog seine Beine auf den Stuhl, kauerte sich zusammen und verbarg sein Gesicht zwischen den Knien. Sorge durchfuhr mich.
,,Florian, alles ist gut. Du bist hier sicher.“ sagte ich leise und legte behutsam eine Hand auf seinen Rücken. Er reagierte nicht, schien völlig in sich gekehrt zu sein. Ich spürte, wie sein Körper leicht zitterte.
Diana warf mir einen besorgten Blick zu. „Das weckt traumatische Erinnerungen in ihm,“ flüsterte sie leise.
„Das kann gut sein,“ antwortete ich und versuchte, ruhig zu bleiben. Ich entschied, dass es das Beste wäre, ihn aus dieser Situation zu holen. Vorsichtig zog ich ihn zu mir heran und nahm ihn auf den Arm. Er ließ es zu, klammerte sich sogar an mich.
„Es ist alles gut, Florian,“ sagte ich beruhigend. „Du bist hier sicher.“ Ich stand auf und wandte mich an Diana. „Ich gehe kurz mit ihm nach draußen.“
Sie nickte verständnisvoll. „Ich bezahle inzwischen.“
Mit Florian auf dem Arm verließ ich den Gastraum und ging zur Garderobe. Dort setzte ich ihn behutsam ab. Sein Gesicht war tränenüberströmt, und mein Herz zog sich zusammen. „Florian, möchtest du kurz an die frische Luft?“ fragte ich sanft.
Bevor er antworten konnte, sah ich, wie sein Blick sich panisch verhärtete. Ich folgte seinem Blick und sah den Mann mit den vielen Tattoos, der aus dem Café auf uns zukam. Plötzlich rannte Florian ohne ein Wort zur Tür hinaus.
„Florian!“ rief ich ihm hinterher, aber er war bereits draußen. Meine Sorge wuchs, und ich stürmte hinterher. Draußen blieb ich kurz stehen und sah mich panisch um. Es war kalt, und er hatte keine Jacke an. „Florian!“ rief ich erneut, meine Stimme zitterte leicht. Doch ich konnte ihn nirgendwo sehen.
Mein Herz begann schneller zu schlagen, und Angst kroch in mir hoch. In diesem Moment stürmte Diana aus dem Café. „Er ist einfach losgerannt, als ich ihn runtergelassen habe,“ sagte ich verzweifelt.
Diana legte eine Hand auf meine Schulter. „Der Zoo ist nicht groß,“ sagte sie beruhigend. „Ich gehe zum Eingang, und du schaust dort hinten. Wir treffen uns gleich wieder hier. Wir finden ihn.“
Ich nickte, obwohl meine Augen feucht wurden und die Kälte mir zusetzte. Damit hatte ich einfach nicht gerechnet. Die Angst um Florian stieg in mir auf, und ich fühlte mich hilflos.
Ohne weiter zu zögern, lief ich in die Richtung, die Diana vorgeschlagen hatte. Mein Blick huschte hektisch von einer Seite zur anderen. „Florian!“ rief ich immer wieder, hoffend, dass er mich hören würde.
Nach einigen Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, entdeckte ich ihn schließlich bei einem Gehege, wo zwei Esel standen. Er stand dort allein, schaute sich um und wirkte völlig verängstigt. Mein Herz schlug bis zum Hals, und ich spürte, wie sich die Anspannung in mir löste. Meine Augen waren noch feucht, und ich merkte, dass ich wohl tatsächlich geweint hatte. Die Angst, ihn verloren zu haben, war überwältigend gewesen.
„Florian, du kannst doch nicht einfach weglaufen!“ sagte ich, bemüht, meine Stimme ruhig zu halten, obwohl sie vor Erleichterung und Sorge leicht bebte.
Er schaute zu mir auf, und ich bemerkte, wie Tränen über seine Wangen liefen. Sein Gesicht wirkte verängstigt, und ich hatte sofort das Gefühl, dass er dachte, ich sei böse auf ihn. Mein Herz zog sich zusammen bei dem Gedanken.
Ohne zu zögern trat ich näher, kniete mich vor ihm hin und nahm ihn behutsam in die Arme. Ich drückte ihn fest an mich und flüsterte: „Es ist alles gut, Florian. Ich weiß, dass du Angst hast. Aber du darfst nicht einfach weglaufen, mein Schatz. Schau mal, du hast keine Jacke an, und hier draußen holst du dir noch etwas weg.“
Ich spürte, wie er zitterte, und hielt ihn noch ein wenig fester. Seine kleine Gestalt in meinen Armen fühlte sich so verletzlich an, und gleichzeitig spürte ich eine tiefe Verbundenheit. In diesem Moment wurde mir klar, wie sehr er mir bereits ans Herz gewachsen war. Meine eigenen Unsicherheiten und Ängste, etwas falsch zu machen, traten in den Hintergrund. Wichtig war jetzt nur, für ihn da zu sein.
Ich stand auf, hob ihn dabei sanft hoch und hielt ihn sicher auf meinem Arm. Seine Arme legten sich um meinen Nacken, und ich konnte sein leises Schluchzen hören. Mit schnellen Schritten machte ich mich auf den Weg zurück zum Café, bedacht darauf, ihn nicht zu sehr durch zu rütteln.
Als wir uns dem Eingang näherten, kam Diana uns entgegen. Erleichterung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. „Du hast ihn gefunden!“
„Ja,“ antwortete ich, immer noch ein wenig atemlos. „Er war beim Esel gehege.“
Gemeinsam betraten wir wieder das Café. Die Wärme empfing uns, und ich spürte, wie meine eigenen kalten Hände langsam auftauten. Ich setzte Florian vorsichtig ab, doch er klammerte sich noch an mich. Ich bemerkte, dass er seinen Daumen in den Mund steckte und daran nuckelte. Ein Zeichen dafür, dass er Trost suchte. Ich entschied mich, ihn nicht darauf anzusprechen.
Sanft zog ich an seiner Hand. „Du darfst den Daumen gleich wieder haben, ich will dir nur die Jacke anziehen,“ sagte ich lächelnd. Er ließ es zu, und ich half ihm in seine Jacke, damit er nicht fror.
Währenddessen gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. Die Angst, ihn verloren zu haben, saß noch tief. Ich fragte mich, wie ich in Zukunft besser auf solche Situationen reagieren könnte. Es war mir so wichtig, ihm Sicherheit zu geben und für ihn da zu sein. Meine Unsicherheit, etwas falsch zu machen, war immer noch präsent, aber ich wusste, dass ich mein Bestes tun würde.
Fortsetzung folgt….
Autor: michaneo (eingesandt via E-Mail)
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Die Geschichte ist ganz gut aber der Übergang von Teil 8 auf Teil 9 ist nicht so gelungen
Was genau hat dich am Übergang gestört? Ich würde es gerne verstehen, um es beim nächsten Mal besser umsetzen zu können.
Für mich Persönlich ist es bei Teil 8 ein Cut und Teil 9 weiß man nicht ab wann es wieder los geht.
Es gibt auch kleine Fehler in dieser Geschichte aber darüber kann man hinwegsehen
Wie immer super auch wenn ich den anfang des teils nicht ganz Zusammenhängend gefunden habe… Leni ist irgendwie schon etwas plötzlich aus der Handlung verschwunden…. Aber gegen ende wieder eine super Story
Keine Sorge, Leni wird weiterhin in der Geschichte auftauchen, auch wenn es eher gelegentliche Gastauftritte sein werden. Da sie nicht mit zu Annette und Markus ziehen kann, wird sie dennoch regelmäßig präsent bleiben.
Wie immer eine sehr schöne Geschichte ich hoffe, dass du so weiter schreibst schönen Dank.
Danke! Ich gebe mein bestes.
Hey bitte bitte schreibe nicht nur bis zum Ende der Adoption mache danach weiter wie geht’s sein Freund wie reagiert die Klasse und die Lehrerin sein Freund sollte Dan auch mal übernachten bei ihm etc da steckt so viel Potential in deiner Geschichte bitte höre nicht auf zu schreiben eine der besten Geschichten in der letzten Zeit wen ein neuer Teil kommt strahle ich und mein Herz klopft
Die Geschichte wird definitiv weitergehen – ich habe schon einige Ideen für den zukünftigen Plot! Auch Paul wird noch eine wichtige Rolle spielen. Jeder Charakter, den ich einführe, wird seinen Beitrag zur Handlung leisten und auf seine Weise die Geschichte voranbringen.
Ich kann es kaum erwarten weiterzulesen!
Wieder eine Unglaublich emotionale Fortsetzung die Anette ist so Toll wie sie sich um ihn sorgt so schön freue mich auf den nächsten Teil. Danke
Danke!
Wie immer perfekt freue mich auf viele weitere Teile, weiter so.
Danke!
Die Geschichte ist wieder Weltklasse!!! Champions League Niveau!!! Sehr einfühlsam geschrieben. Tolle Beschreibung der Charaktere.
Danke!
Die innige Beschreibung der Gefühle zeigen hier das erlebte Glück 🍀🍀🍀 und die präsente Angst 😱 etwas falsch zu machen.
Dann noch die Polterei der anderen Familie bringt Florian total ins schwanken und sogenannt aus dem Ruder. Was ist für ihn noch sicher, wie immer die Flucht zu ergreifen. Das Trauma sitzt brutal in dieser Kinder Seele. Diana und Annette versuchen ihr Bestes.
Danke für die beeindruckende Schilderung.
Vielen Dank! Ja, die traumatischen Erfahrungen werden Florians Handeln noch lange, vielleicht sogar für immer, beeinflussen. Auch aus eigener Erfahrung – wenn auch nicht so extrem, wie in meinen Gedichten beschrieben – weiß ich, dass eine schwierige Kindheit und insbesondere Misshandlungen das ganze Leben prägen können, oft ohne dass man es bewusst wahrnimmt.
Der von mir beschriebene Idealfall, in dem rechtzeitig erkannt und gehandelt wird, kommt in der Realität wohl nur selten vor. Oft bleibt Misshandlung unbemerkt, und nicht einmal die Kinder selbst erkennen, dass etwas nicht stimmt, da es für sie „normal“ erscheint und sie die Schuld bei sich suchen. Und selbst wenn es bemerkt wird, geschieht das meist viel zu spät.
Ich schweife ab, aber es freut mich sehr zu hören, dass die inneren Konflikte glaubwürdig vermittelt werd
en.
Vielen Dank für die präsente Schilderung. Die eigenen Erlebnisse können dies einfühlsam darlegen.
Danke
Bin in der Geschichte immer gefesselt
Super
Die anderen geschichten sind auch gut
Danke!
Ich fand die Geschichte wieder Super toi toi toi.
Nur die ausführlichen Informationen über die Tiere waren mir persönlich ein wenig zu langweilig.
Aus 2 teile würde ich 3 machen.
Aber ingesammt gebe ich 4,8 Sterne von 5