Jona (13)
Windelgeschichten.org präsentiert: Jona (13) – Teil 12
Kapitel 13: Der seltsame Fall der Sarah Kraus
Sarah hielt mich immer noch im Arm. Ich kam langsam zur Ruhe. Sie bemerkte, dass ich langsam weniger weinte und drückte mich langsam wieder von sich weg. Es war kein unhöfliches Wegstoßen oder dergleichen, sondern nur ein sanftes Drücken. Sie schaute mir genau in die Augen, als ich wieder normal neben ihr saß.
„Wieder besser?“ fragte sie freundlich. Ich nickte nur.
„Darf ich zu der Sache mit den Windeln noch was sagen oder lieber nicht?“ fragte Sarah weiter. Ich war mir nicht sicher ob ich zu dem Thema noch viel hören wollte. Es würde vermutlich wieder in einem Heulkrampf oder ähnlichem enden. Sie schaute mir immer noch direkt in die Augen. Ich war wie hypnotisiert, fast wie Mogli im Dschungelbuch, der gerade einen tiefen Blick in Kaas Augen geworden hatte und jetzt willenlos durch den Dschungel stampfte. Ich stampfte natürlich nicht durch den Dschungel oder die Küche, sondern nickte eben nur wie benommen mit meinem Kopf und signalisierte Sarah, dass sie weitersprechen konnte.
„Das ist natürlich blöd, aber überleg doch mal ständig ein nasses Bett ist doch bestimmt noch blöder oder? Außerdem finde ich das gar nicht schlimm, wenn man deswegen Windeln tragen muss oder sollte, gibt doch echt schlimmere Dinge, die einem passieren können und deswegen bist du doch noch lange kein Baby.“ sagte sie ruhig.
„Viel schlimmer ist eigentlich, dass ich das Gefühl habe keine Wahl zu haben. Deine Mutter hat wohl schon alles gekauft. Hast du das nicht mitbekommen?“ fragte ich erstaunt.
„Hmmm…glaub ich hab geschlafen als wir einkaufen waren, die Zeit hat sie wohl genutzt. Aber da interpretierst du zu viel rein. Ich glaube sie macht sich einfach Sorgen und wird dir bestimmt keine Windeln aufzwingen. So ist sie einfach nicht drauf. Sie wird dich eher weiter bequatschen, dass es sinnvoll wäre bis du irgendwann von selbst nachgibst.“ erklärte mir Sarah. Schon seltsam, dass sie wirklich nichts mitbekommen haben sollte. Aber wenn sie etwas gewusst hätte, dann hätte Helen sie nicht aus der Küche werfen müssen als wir miteinander gesprochen haben. Das bekräftigte die Ansicht, dass sie wirklich nichts davon gewusst hatte.
„Ganz ehrlich freiwillig bekommt sie mich niemals dazu.“ sagte ich trotzig. Ich kam mir gerade tatsächlich vor wie ein kleines Kind, dass keine Lust auf Windeln hatte. Ziemlich paradox.
„Ich finde du übertreibst ein bisschen, da ist doch nichts bei.“ entgegnete mir Sarah mit einem vorwurfsvollen Unterton.
„Du würdest so ein Ding auch nicht freiwillig anziehen!“ warf ich ihr an den Kopf.
„Wenn ich es tun würde, würdest du es dann auch probieren? Wäre doch dann gar nicht so schlimm oder?“ fragte sie mit einem Lächeln. Hatte sie mich das gerade wirklich gefragt?
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Ich wartete im Wohnzimmer auf Sarah. Sie war zu Helen gegangen und hatte sie gefragt wo die Windeln für mich wären. Die waren noch im Auto. Helen hatte sie bewusst im Kofferraum gelassen damit Sarah die nicht sehen konnte. Nachdem Sarah nun von dem Gespräch wusste, hatte sie sich gleich bereit erklärt die Windeln aus dem Auto zu holen und in mein Zimmer zu bringen. Ganz tolle Vorstellung. Ich hatte nicht mal Lust mir anzusehen was Helen da gekauft hatte, würde ich noch früh genug sehen müssen. Ich war immer noch etwas perplex von Sarahs Plan und vermutete, dass sie mich einfach nur beruhigen wollte. Sie würde sich bestimmt keine der Windeln anziehen und sich mir in Windeln präsentieren. Das konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Was wenn sie es doch durchzog? Wie sollte ich reagieren? War das dann wirklich nicht so schlimm wie ich es mir dachte?
Irgendwie machten mich das Warten und die Gedanken, die mir in den Kopf schossen, ziemlich nervös. Ich wusste nicht genau wie lange ich schon wartete, aber es kam mir gefühlt wie Stunden vor. Ich hörte endlich erlösende schnelle Schritte, die sich dem Wohnzimmer nährten.
Sarah öffnete die Türe, die ich die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte. Sie hatte immer noch die gleichen Sachen an wie gerade eben. Einen Unterschied bemerkte ich nicht. Also hatte sie es doch nicht wie versprochen durchgezogen, wäre ja auch zu schön gewesen. Meine Laune sank merklich, das blieb Sarah auch nicht verborgen, wie ich feststellen musste.
„Warum schaust du denn so geknickt?“ frage sie und setzte sich auf den Sessel gegenüber von mir. Konnte sie sich doch eigentlich denken oder. Macht mir erst Hoffnungen, dass alles nicht dramatisch wäre und erzählt mir einen vom Pferd und hält dann nicht ihr Wort.
„Ich weiß nicht, ich habe den Eindruck, dass du mich gerade eben irgendwie verarscht hast.“ antwortete ich enttäuscht.
Sarah legte den Kopf nach rechts und schaute mich fragend an als ob sie nicht verstehen würde was ich von ihr wollte.
„Ach komm jetzt schau doch nicht so ratlos, du weißt genau was ich meine. Du hast doch gesagt du ziehst dir son Teil an und zeigst mir, dass es gar nicht so schlimm ist. Scheint wohl doch schlimm zu sein oder denn sonst hättest du wohl eine an.“ warf ich ihr enttäuscht und wütend an den Kopf. Ob ich in dem Moment unnötig gemein war oder nicht interessierte mich gerade nicht. Ich kam mir das erste Mal von Sarah hintergangen vor. Viel schlimmer war dann nur ihre Reaktion. Sie fing schallend an zu lachen. Verhöhnte sie mich gerade mit ihrem Lachen? Machte sie sich über mich lustig? Sie hatte doch versprochen, dass sie nicht über mich lachen würde und jetzt das. Ich war zutiefst enttäuscht. Mir war wieder nach Weinen zu Mute. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Armen und weinte wieder los.
Sarahs Lachen war verstummt. Na war wohl doch nicht zu toll jemandem zum Weinen zu bringen oder? Ich schaute nicht was sie machte, aber ich hörte, dass sie aufgestanden war und bemerkte auch, dass sie direkt vor mir stehen musste. Wollte sie mir jetzt heuchlerisch Bestand leisten oder wie? Ihre Finger berührten meine Hand. Ich zog sie weg. Ich wollte nicht von ihr berührt werden, nicht jetzt, am liebsten nie wieder. Sie ließ nicht locker. Ich schaute immer noch nicht was sie machte, aber anscheinend versuchte sie weiterhin meine Hand zu fassen zu bekommen.
„Lass das!“ sagte ich trotzig in meinen Arm in den ich immer noch mein Gesicht vergrub.
„Hey pass auf ich hab dich nicht belogen. Wirklich nicht. Gib mir deine Hand, dann beweise ich es dir.“ forderte Sarah mich auf. Sollte ich ihr noch eine Chance geben? Hatte ich ihre Reaktion komplett falsch gedeutet und ihr Unrecht getan? Sie wirkte ziemlich überzeugend. Ich ließ meine Hand ruhig liegen und wartete was passieren würde. Ich spürte wieder ihre Finger an meiner Hand. Sie glitten vorsichtig über meinen Arm und packten mich oberhalb der Verbände sanft und zogen meinen Arm und meine Hand von mir weg. Ich wusste nicht was sie damit machte. Ich spürte Stoff an der Außenseite meiner Hand, meine Finger glitten über Plastik. Es war weiches Plastik, ich konnte das nicht zuordnen und drückte ein wenig darauf herum. Es war irgendetwas dickes und weiches. Mein Arm wurde immer noch von Sarah in Position gehalten. Ich fühlte nach links und rechts ob ich dort etwas anderes ertasten konnte. Ich fühlte Haut. Es war glatte Haut. Moment mal war das ein Bein? Der Stoff an der Außenseite meiner Hand war auch noch zu spüren. Hatte Sarah meinen Arm in ihre Hose gesteckt? Erschrocken zog ich den Arm zurück. Sie gab ihn ohne Gegenwehr frei. Ich hatte den Arm vor meinem Gesicht inzwischen weggezogen und starrte verwirrt auf sie. Sie richtete gerade ihre Hose. Ich konnte noch weißes Plastik sehen, das über ihrer Hose herausschaute.
„Was zum?“ fragte ich verwirrt.
„Na glaubst du mir das jetzt?“ entgegnete sie mit einem frechen Grinsen.
„Warum steckst du meinen Arm in deine Hose? Spinnst du?“ fragte ich entsetzt. Also normalerweise wäre ich bestimmt nicht abgeneigt gewesen, wenn mir ein hübsches Mädchen zu etwas anbieten würde, aber einfach so von jetzt auf gleich, das war irgendwie unpassend, vor allem wenn ich wie ein Häufchen Elend vor ihr sitze.
„Mir war danach. War doch lustig. Ich hätte zu gerne dein Gesicht gesehen. War das Beweis genug, dass ich eine Windel trage?“ entgegnete sie nochmals.
„Warum zeigst du mir das nicht einfach? Wäre doch viel einfacher gewesen.“ merkte ich an.
„Aber auch viel langweiliger.“ antwortete sie und kam noch einen Schritt näher auf mich zu. Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie machte sie mir ein wenig Angst in dem Moment und ich rutschte ein bisschen zurück. Ich spürte das Rückenteil des Sofas in meinem Rücken. Weiter wegrutschen ging nicht. Sarah setzte sich einfach ungefragt auf meinen Schoß und kam mit dem Gesicht näher an meines heran. Was zum Geier hatte sie vor? Sie wollte doch nicht etwa? Nein das ging nicht, zumindest noch nicht.
„Halt!“ reif ich verzweifelt und merkte wie sich ihr Gesicht wieder entfernte und sie von mir aufstand. Ich atmete einmal erleichtert auf. Sarah hatte sich wieder auf den Sessel gesetzt und schaute mich ein wenig enttäuscht an. Ich konnte mir irgendwie denken was gerade in ihr vorging. Mir wurde in diesem Moment auch einiges klar. Der Grund warum ich zurück gekommen war. Das war sie. Sie und kein anderer Grund, aber etwas in mir sträubte sich dagegen mich ihr hinzugeben. Der dunkle Rest tief in mir, der jetzt wieder nach oben drang, den ich die letzten Tage immer mehr verdrängt hatte. Natalie.
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Wir schauten uns eine geraume Weile schweigend an. Keiner von uns wollte etwas sagen, weil er vermutlich dachte alles was man sagen könnte wäre das Falsche und würde alles noch schlimmer machen. Ich ließ mir alle möglichen Antwortmöglichkeiten durch den Kopf gehen. Keine war mir wirklich recht, einige fand ich ungerechtfertigterweise sogar verletzend und das sollte ich in diesem Moment nicht sein. Das hatte Sarah, trotz ihres unpassenden Verhaltens nicht verdient. Wenn ich nicht in meinem jetzigen Zustand gewesen wäre, dann hätte sie damit vermutlich sogar vollen Erfolg gehabt. Wenn Natalie und die schmerzhaften Erinnerungen nicht gewesen wären und der ganze andere Scheiß, verdammt nochmal, dann hätte ich mir ihr nochmal neu angefangen, aber ich fühlte mich dazu einfach nicht bereit und konnte es nicht einfach von jetzt auf gleich. Ich genoss ihre Nähe definitiv, fühlte mich sogar richtig wohl und merkte, dass mir ihre Gegenwart irgendetwas gab. Ohne diesen Schockmoment wäre ich vermutlich lange nicht darauf gekommen, dass dort irgendwelche tiefer gehenden Gefühle im Spiel waren. Hatte ich die bewusst weit weit weg gesperrt, weil ich sie einfach nicht zulassen konnte oder wollte? Ich konnte das doch jetzt nicht einfach so im Raum stehen lassen. Da waren von ihrer Seite auch mehr Gefühle im Spiel, da war ich mir sicher. Sie hatte doch nicht umsonst dafür gesorgt, dass ich hier unterkomme. Also nicht, dass ich ihr jetzt Eigennutzen oder etwas dergleichen unterstellen wollte. Es war mehr als selbstlos, aber langsam aber sicher verstand ich ihre Beweggründe für diese vielleicht nicht ganz selbstlose Tat. Auch dass sie nach mir geschaut hatte konnte kein Zufall, genauso wenig wie die Tatsache, dass ich schon nach unserem ersten Gespräch dachte sie wäre der einzige Mensch der mich versteht. Es ergab alles Sinn. Auch der Kampf Natalie gegen Sarah in meinen Träumen ergab nun Sinn. Wollte mein Herz mir mitteilen endlich Abschied von Natalie zu nehmen und mich jemand Neuem hinzugeben? Verteufelte ich deshalb in meinen Träumen Natalie? Einen anderen Grund konnte es doch nicht geben. Aber trotzdem konnte ich es nicht tun. Es ging einfach nicht, selbst wenn ich es gewollt hätte.
„Sarah?“ fragte ich nach einer Weile unsicher. Sie schaute irgendwo im Raum herum und schien mich nicht zu beachten. Wurde ich jetzt mit Ignoranz gestraft oder war das keine bewusste Handlung?
„Sarah?“ fragte ich nochmals dieses Mal lauter las vorher. Jetzt drehte sie den Kopf zu mir und ich wusste, dass sie mir zuhörte. Scheiße was sollte ich jetzt sagen? Verdammt Jona, warum musstest du das jetzt tun?
„Bitte entschuldige meine Reaktion. Ich kann das noch nicht, auch wenn ich dir gegenüber nicht abgeneigt bin.“ sagte ich unsicher. Ich wusste nicht ob es das Passende war, aber das beschrieb zumindest an nährend das was in mir vorging.
„Wegen Natalie?“ fragte Sarah mich und schaute mich immer noch mit traurigen Augen an. Ich nickte nur.
„Schon gut. Ich war vermutlich zu offensiv. Tut mir leid. Das war nicht richtig.“ entschuldigte sie sich bei mir.
„Schon gut. Ich muss dir außerdem noch danken.“ entgegnete ich.
„Wieso das denn?“ fragte sie verwundert.
„Ach wegen dieser Windelsache. Scheint ja wirklich nicht so schlimm zu sein, wenn du die ganze Zeit darin hier rum sitzen kannst.“ merkte ich an um das Thema in eine andere Richtung zu lenken und die Stimmung irgendwie zu lockern. Ob es wirken würde wusste ich nicht, hoffte es aber. Irgendwie wünschte ich mir gerade, dass schon Montag wäre und ich das Problem mit Dr. Berger besprechen könnte, das sich gerade in meinen Gedanken manifestiert hatte. Gut viel hielt ich von ihm immer noch nicht, aber wenn mir einer mit dieser inneren Blockade oder was auch immer es war helfen konnte, dann wohl er und selbst wenn er nicht direkt helfen konnte, dann konnte er mir er mir bestimmt irgendeinen halbwegs guten Ratschlag geben um damit besser oder überhaupt umgehen zu können. Auf Dauer würde das sonst vermutlich zum Problem. Probleme hatte ich genug und mir diese Chance, die mir geboten wurde zu verscherzen, war aufgrund der drohenden Drogenglückseeligkeit, auf die ich nicht scharf war, keine Option.
„Ja hab ich doch gesagt. Du hast dich da einfach in was rein gesteigert, genau so wie ich es mit dem Malen oder beim Spielen mache.“ entgegnete sie mir. Anscheinend funktionierte mein Plan die Situation zu entspannen. Sarah wirkte nicht mehr schockiert über mich und meine Reaktion. Meine Anspannung löste sich auch langsam aber sicher.
„Ähm darf ich die auch nochmal sehen oder ist das eher unpassend das zu fragen?“ fragte ich zögerlich. Ich wollte jetzt nicht den nächsten Eklat auslösen oder einen Streit vom Zaun brechen. Darauf hatte ich in der Situation überhaupt keine Lust. Ich merkte an ihrer Reaktion, dass sie irgendetwas daran zu stören schien. War ich mit der Frage einen Schritt zu weit gegangen oder war etwas anderes nicht in Ordnung?
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Ich lag mit ziemlich vielen Fragen in meinem Kopf im Bett. An Schlafen war nicht wirklich zu denken. Der Tag war einfach zu ereignisreich gewesen. Sarahs Antworten, Reaktionen und Taten verursachten bei mir immer noch mehr Fragen als Antworten. Dieses Mädchen brachte mich noch um den Schlaf, genauso wie mich Natalie um den Schlaf brachte, nur eben anderes. Nachbohren bei Sarah brachte nichts. Sie blockte das mehr oder weniger konsequent ab. Dr. Berger hatte mich ja bereits vorgewarnt. Ich konnte das Nachbohren natürlich nicht sein lassen. Sarah hatte nicht unfreundlich oder so auf meine Rückfragen reagiert, sondern einfach mit einem „Noch nicht.“ oder „Später.“ geantwortet. War das eine Hinhaltetaktik? Was brachte ihr das? War es verletzter Stolz, weil ich sie so harsch abblitzen ließ? Nein das konnte ich mit ziemlicher Sicherheit ausschließen. Ich war der Ansicht, dass ich ihr doch ziemlich deutlich klar gemacht hatte, dass ich einfach nicht bereit dafür war, aber dem nicht abgeneigt wäre. Helen hatte sie abends tatsächlich ins Bett gebracht. Es war der erste Abend an dem ich bewusst darauf achtete. Es wirkte fast so als ob Sarah das ganze Spiel mit dem ins Bett bringen gefallen würde. Ich hatte es mir vor dem Fernseher bequem gemacht, während Helen mit Sarah beschäftigt war, denn wirklich müde war ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Es war um neun gewesen und sie war tatsächlich eine gute Stunde bei Sarah. Ich konnte mir einfach nicht erklären warum sich eine Sechzehnjährige von ihrer Mutter ins Bett bringen ließ. Gestern hatte ich das noch auf meine Schmerzmittel geschoben, aber heute die Bestätigung zu bekommen, warf noch mehr Fragen auf. Ich konnte langsam aber sicher auch mit ziemlicher Sicherheit ausschließen, dass ich in einem wundersamen Traum wach geworden war, der einfach immer weiterlief. Es war augenscheinlich die Realität und die wurde langsam immer rätselhafter und surrealer. Die Babyfläschchen, das Spielen, das ins Bettbringen und dann die Sache mit der Windel all das waren ziemlich seltsame Vorkommnisse. In manchen Momenten hatte ich das Gefühl, dass Sarah keine sechzehn war sondern eben irgendwo im Alter zwischen drei und fünf lebte. Auf Knopfdruck war sie dann aber wieder die Alte, so wie ich sie kennengelernt hatte. Wie vor gut zwei Wochen beim Malen. Da war sie auch wieder die Alte als ich zurück aus der Behandlung gekommen war. Was stimmte mit diesem Mädchen nicht? Ihr Verhalten störte mich nicht. Es war einfach nur nicht nachvollziehbar. Manchmal war es sogar irgendwo knuffig, wenn sie komisch sprach oder sich kindisch verhielt, aber diese mir nicht nachvollziehbare Komponente an ihr trieb mich gefühlt in den Wahnsinn, weil ich es einfach nicht verstand. Ich hätte es ja gerne verstanden, aber dazu brauchte ich Informationen, Informationen, die ich einfach nicht bekam, zumindest aktuell nicht.
Immer noch gedankenverloren drehte ich mich im Bett hin und her. Ich hatte mich tatsächlich dazu überreden lassen das mit der Windel zu versuchen. Sarah war irgendwie überzeugender als Helen muss ich gestehen. Sarah hatte mir noch gesagt, dass es total bequem wäre, naja es war eher ungewohnt als bequem, vor allem in diese Scheißteile reinzukommen war irgendwie ne halbe Wissenschaft. Gut wirklich unbequem war es nicht, da stimmte ich ihr zu, einfach nur ungewohnt. Sarah störte das Gefühl anscheinend nicht. Warum konnte ich mir nicht erklären. Hatte sie etwa ähnliche Probleme und wollte mir das auf diese Art und Weise mitteilen? Nein das hätte sie einfacher machen können und dann hätte sie nicht die Packung von mir anbrechen müssen, dann hätte sie doch eine von ihren genommen. Was steckte dann dahinter? Ich fischte im dunklen nach meinem Bären und zog ihn fest an mich.
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Den Sonntag über fühlte ich mich wie gerädert. Ich wusste nicht wann ich eingeschlafen war und verbrachte die meiste Zeit im Bett um mich zu erholen. Helen und Sarah ließen mich glücklicherweise die meiste Zeit in Ruhe. Wenn es nicht gerade Essen gab oder ich meine super tollen Schmerzmittel nehmen musste, konnte ich mich von der sehr kurzen Nacht erholen. Natürlich ließen mir die Fragen aus der Nacht auch am Tag keine Ruhe. Mit Sarah redete ich tatsächlich wenig, nicht weil ich es nicht gewollt hätte, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass es aktuell etwas brachte. Eine Sache war an dem Sonntag tatsächlich erfreulich. Mein Bett war trocken geblieben, im Gegensatz zu der Windel. Doof gelaufen, aber zugegeben angenehmer als das nasse Bett. Vorsorglich trug ich während ich im Bett lag weiterhin eine Windel. Vermutlich hätte das Bett sonst doch etwas abbekommen. Meine Begeisterung hielt sich zwar in Grenzen, aber in dem Fall heiligte der Zweck die Mittel. Selbst nach dem Abendessen fühlte ich mich immer noch platt, auch wenn ich den ganzen Tag mehr oder weniger geschlafen hatte. Auch die Nacht von Sonntag auf Montag kam mir Montagmorgen irgendwie zu kurz vor, aber da ich halbwegs fit war, durfte ich mich wieder auf den Weg in die Schule machen. Meine Begeisterung darüber hielt sich in Grenzen. Helen hatte mir empfohlen mir ein langes Oberteil anzuziehen. Sarah hatte meine Mitschüler schon vorgewarnt, dass ich krank gewesen war, aber genauere Umstände hatte sie glücklicherweise verschwiegen. Notfalls würde ich es auf die Belastung schieben, die Chris Tod mit sich gebracht hatte. So falsch war das nicht. Was die Schulleitung wusste, konnte ich nicht sagen, war aber auch ziemlich egal.
Ich trotte also mit Sarah zur Schule. Unterwegs stieß Sandra zu uns. Sarah hatte ihr anscheinend erzählt, dass ich jetzt bei ihr wohne. Wirklich begeistert darüber war sie natürlich nicht. Wenn die blöde Zicke mal alle Hintergründe, die ich ihr natürlich nicht brühwarm unter die Nase reiben wollte, kennen würde hätte sie vielleicht anders reagiert, aber ganz ehrlich ich hatte kein Interesse an einer Freundschaft mit ihr, auch wenn ich mir durchaus vorstellen konnte, dass sie eigentlich in Ordnung sein musste, sonst würde sich Sarah nicht mit ihr abgeben. Der Tag war wieder zäh wie Kaugummi. Gut den meisten Kram kannte ich schon, hatte ich ein Jahr früher schon mal durchgearbeitet, da war mein Leben noch in Ordnung. Irgendwie kam mir die Frage in den Sinn ob Natalies Leben vor einem Jahr auch noch in Ordnung gewesen war. Die Antwort darauf würde ich wohl niemals erhalten. Der Schultag ging ohne weitere Ereignisse zu Ende. Gut Rob hatte mich wieder zugetextet, aber das störte mich heute dann doch weniger, vor allem, da ich in Gedanken weder in der Schule noch bei Rob war. Ich wollte einfach erst mal nur raus aus der Schule, den Arzttermin überstehen und dann den Termin mit Dr. Berger und dann abwarten was sich ergeben würde.
Helen wartete bereits im Auto am Rand des Schulgeländes. Sarah und ich stiegen schnell ein, da sich ein Pulk von Menschen und Fahrzeugen bildete und wir es ein wenig eilig hatten. Helen fuhr aber nicht direkt los, sondern drehte sich zu mir um. Ich hatte mich auf die Rückbank gesetzt und Sarah den Platz vorne gelassen. Sie schaute besorgt, besorgter als sonst.
„Jona heute war ein Brief für dich in der Post. Von einer gewissen Natalie.“ sagte sie mir. Ich dachte ich hätte mich verhört. Natalie konnte mir keinen Brief mehr schreiben, das war schlichtweg unmöglich. Sie war tot, wie konnte ich dann jetzt mehrere Monate später einen Brief von ihr kriegen. Das war unmöglich, Tote schreiben keine Briefe.
„Das ist unmöglich.“ entgegnete ich Helen. Sie wusste doch bestimmt wer Natalie war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Dr. Berger ihr nichts erzählt hatte und wenn er es nicht getan hatte, dann Sarah bestimmt. Die schaltete sich auch gleich ein.
„Mama lass das. Natalie kann ihm nicht schreiben.“ merkte sie an.
„Moment mal.“ sagte Helen und kramte in der Autotüre herum. „Hier. Steht doch ganz klar hier.“ sagte sie und reichte mir den verschlossenen Briefumschlag. Ich betrachtete ihn eine ganze Weile schweigend. Es war tatsächlich Natalies Handschrift, die erkannte ich wieder. Adressiert an die Adresse meiner Pflegefamilie, mit einem Poststempel vom Tag ihres Todes. War der Brief so lange unterwegs gewesen oder hatte ihn meine Pflegefamilie einfach liegen gelassen? Nein das konnte eigentlich nicht sein. Ich war noch einige Wochen später dort untergebracht, den Brief hätte ich bestimmt erhalten. Die Adresse war durchgestrichen und der Brief neu frankiert wurden. Es stand nun Helens Adresse darauf. Wieso kam der Brief erst jetzt an? Das konnte doch nicht sein. War es ihr Abschiedsbrief an mich? Würde ich durch diesen Brief endlich verstehen was passiert war und warum? Sollte ich ihn sofort öffnen und lesen oder sollte ich warten? Ich wusste es nicht so genau. Das Auto hatte sich inzwischen in Bewegung gesetzt und ich grübelte immer noch wann ich den Brief lesen sollte.
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Der Termin beim Hausarzt verlief ohne große Probleme. Leider durften wir eine geraume Weile warten. Ich war so doof gewesen und hatte den Brief von Natalie im Auto gelassen, sonst hätte ich ihn lesen können. Ja ich hätte zum Auto gehen können und ihn holen können, aber irgendetwas hielt mich davon ab. Eine innere Stimme dir mir nahezu befahl ihn nicht jetzt zu lesen. Irgendwann, eigentlich sehr viel später als geplant, waren wir beim Hausarzt fertig und Helen fuhr mich zur Praxis von Dr. Berger. Sarah saß immer noch mit im Auto. Die beiden hatten mich gefragt ob es in Ordnung wäre, wenn sie schon mal nach Hause fahren würden und ich zu Fuß nachkommen würde. Meine Ortskenntnis war zwar nicht die beste, aber zurückfinden würde ich bestimmt so viel war klar. Den Brief von Natalie hatte ich dieses Mal eingesteckt. Vielleicht wäre der Rückweg ein geeigneter Zeitpunkt um den Brief zu lesen, also sagte ich zu. Da ich spät dran war eilte ich in die Praxis von Dr. Berger. Die Sprechstundenhilfe wollte gerade schon zum Höhrer greifen, als ich die Praxis betrat und schickte mich direkt weiter in Dr. Bergers Behandlungszimmer.
„Jona, du bist spät.“ begrüßte mich Dr. Berger.
„Sorry. Der Termin beim Hausarzt hat länger gedauert.“ sagte ich etwas außer Atem.
„War irgendwas nicht in Ordnung?“ fragte mich Dr. Berger.
„Alles in Ordnung. Ich musste nur warten mehr nicht.“ erklärte ich und setzte mich auf den freien Sessel.
„Ah verstehe und wie war das Wochenende mit Helen und Sarah?“ fragte er weiter. Ich merkte schon, dass jetzt wieder viele Fragen auf mich einprasseln würden. Er wäre bestimmt überrascht wenn ich dieses Mal kooperativer mitarbeiten würde als sonst.
„Eigentlich gut, aber ich habe ein Problem mit Sarah.“ antwortete ich. Er hob seine Augenbraue und wunderte sich wirklich, dass von mir mal ein Problem angesprochen wurde.
„Das klingt nicht gut. Möchtest du mir erzählen was passiert ist?“ fragte er mich. Ich schilderte ihm die Problematik, die sich am Samstag zwischen uns ergeben hatte, während er aufmerksam zu hörte und sich Notizen machte. Zu guter letzt fügte ich dann eher versehentlich als absichtlich an, dass ich einen Brief von Natalie bekommen hatte.
„Hast du den Brief schon gelesen?“ fragte er mich. Ich holte ihn aus der Tasche und zeigte den verschlossenen Briefumschlag und schüttelte den Kopf. „Wenn du möchtest, dann nimm dir die Zeit und lese ihn gerne jetzt.“ schlug er mir vor. Ich war mir unsicher ob ich das wirklich tun sollte oder ob ich nicht lieber doch warten sollte. Die Stimme in meinem Kopf, die mich bislang davon abgehalten hatte ihn zu lesen, schwieg gerade. Vielleicht war das ein Zeichen oder etwas in der Art. Mit zittrigen Händen öffnete ich den Umschlag und holte die handgeschriebenen Zettel hervor und las den Brief.
Autor: Timo (eingesandt via E-Mail)
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Bringst du mir bitte bei, wie man so unglaublich realistisch schreibt?
Die Kapitel sind wirklich sehr gut gelungen, nicht zu kurz, nicht zu lang.
Bis zum Ende hin grandios!
Man merkt gar nicht, dass man eine Geschichte liest, die hobbymäßig geschrieben wurde.
Toll, dass du wieder die Feder gezückt hast, aber ich versteh es immer noch nicht, gibt’s da ein Geheimnis?
Ehrlich, ich übertreibe bestimmt nicht, wenn ich sage, einer der besten Geschichten, die es hier gibt!
Hallo,
auch ich lese hier nicht jede Geschichte, aber deine ist wirklich gut, inhaltlich strukturiert, ohne störend schlechte Orthographie und dazu mit einem bisher inhaltlich neuen Begebenheit, die Du uns mit Deinem angenehmen Stil näher bringst !
Mach bitte weiter…