Jona (2)
Windelgeschichten.org präsentiert: Jona (2) – Teil 1
Kapitel 2: Um Schlaf beraubt
Chris saß schon am Tisch. Auf dem Tisch befanden sich zwei Pizzen. Heute hatte er es wirklich gut gemeint. Der hatte uns extra große bestellt. Ich zog den freien Stuhl unter dem Tisch vor und setzte mich. Chris schob mir die Pizza zu und klappte den Deckel nach oben. Eine Schinkenpizza lachte mich förmlich an. Trotz meiner doch nicht wirklich überragenden Laune konnte ich es mir nicht verkneifen ein wenig zu schmunzeln. Chris wusste es, bestimmt wusste er es, auch wenn ich mein Gesicht hinter dem Deckel versteckt hatte. Ich klappte den Deckel wieder zu, Hunger hatte ich gerade nicht.
„Komm schon probier ein Stück. Ist aus dem besten Laden der Stadt.“ versuchte Chris mich zu überreden. Ich schnaufte. Ich fand es auf der einen Seite toll wie er sich um mich kümmerte, aber er nervte auch gleichzeitig damit. Jona dies Jona das. Klar er meinte es vermutlich nur gut, aber bei mir kam es einfach anders an.
„Gibst du Ruhe, wenn ich probiert habe?“ fragte ich ihn.
„Klar.“ antwortete er mir während er beinahe ein ganzes Stück seiner Pizza verschlang.
Ich klappte den Deckel wieder nach oben und nahm mir ein Stück der Pizza heraus. Ich biss einen kleinen Bissen der Pizza ab und probierte ob sie wirklich so gut war wie Chris behauptet. Schlecht war sie nicht, das muss ich ungelogen zu geben, aber ich hatte bessere gegessen. Ich nahm einen weiteren Bissen und noch einen und mein Pizzastück war verschwunden.
„Und? War doch gut oder?“ fragte Chris, der schon mit dem nächsten Stück am kämpfen war.
„Ganz nett, nicht überragend, aber in Ordnung.“ entgegnete ich und lehnte mich gegen die Lehne des Stuhls.
„Und wie war dein Termin bei Dr. Berger?“ fragte Chris. Klar irgendwann musste die Frage mal kommen. Mir war nicht so ganz klar was er jetzt für eine Antwort erwartete. Sollte der Seelenklempner jetzt durch Handauflegen meine Probleme gelöst haben und die Welt wäre wieder in Ordnung? Wenn es eine Möglichkeit gäbe all das schlechte aus mir heraus zu reißen oder zu brennen, ich hätte es sofort gemacht, nur leider gab es diese Möglichkeit nun mal nicht.
„Anstrengend.“ antwortete ich knapp und hoffte er würde es dabei belassen.
„Das glaube ich dir. Ich wünschte ich könnte irgendwas tun damit du dich besser fühlst. Ganz ehrlich ich habe ein total schlechtes Gewissen, dass ich nicht alles Mögliche versuche um dir zu helfen.“ erklärte Chris.
„Du machst das gut, ganz ehrlich, aber es ist einfach zu viel passiert.“ entgegnete ich ihm und fuhr mir wieder mit den Fingern über den Arm. Natürlich beobachtete Chris mich. Seit dem Vorfall hatte ich das Gefühl, dass er mehr auf mich geachtet hatte. Ich wusste nicht ob mir das gefallen sollte oder nicht.
„Trotzdem. Mama und Papa kann ich definitiv nicht ersetzen und sie fehlen mir auch, sehr sogar.“ sagte er ein wenig niedergeschlagen.
„Wäre ich bloß an dem Tag zu Hause gewesen.“ murmelte ich vor mich hin.
„Hätte das etwas geändert? Glaubst du das wirklich?“ fragte Chris mich.
„Keine Ahnung. Möglich oder ich müsste jetzt nicht ohne sie klar kommen. Kannst du dir eigentlich im entferntesten vorstellen wie ich mich in meinem Inneren fühle?“ warf ich ihm an den Kopf. Ich wusste nicht mal warum. Er hatte nichts falsch gemacht und trotzdem fuhr ich ihn grundlos an.
„Jona. So darfst du nicht denken. Gib dir nicht die Schuld daran, dass du irgendwas nicht richtig gemacht hast und über alles andere denkst du erst Recht nicht nach.“ antwortete er mir ruhig. Immer diese Ruhe und Gelassenheit, die mir entgegen gebracht wurde. Ich hätte vermutlich alles tun können und sagen können und jeder hätte mir die Gelassenheit entgegen gebracht, wenn er erfahren hätte was mir in den letzten Monaten widerfahren war.
„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“ merkte ich an.
„Ich würde sagen du fühlst dich so als ob dich etwas von innen langsam auffressen will. Kommt das in etwa hin?“ antwortete Chris. Ja das kam so ziemlich hin, aber wie schwer sollte es schon sein das zu raten. Eine immer größer werdende Leere, die alles langsam aufzehrte, eine Leere, die von nichts und niemandem ausgefüllt werden konnte.
„So in etwa.“ gab ich abgeschlagen zurück.
„Ich fühle mich auch nicht viel besser. Das hat auch in mir ein tiefes Loch gerissen. Das es dich doppelt hart getroffen hat, ist einfach mehr als unfair.“ erklärte mir Chris. Na was kam als nächstes? Wollte er als nächstes das Gespräch auf Natalie lenken oder würde er sich das sparen? Abwarten.
„Ich will dich nicht auch noch verlieren. Das würde ich definitiv nicht verkraften.“ gestand er mir traurig und ich glaube sogar in seinen Augen bildeten sich Tränen, aber es floss kein Wasser aus seinen Augen. Was sollte ich darauf antworten? Ich konnte mir einfach nicht vorstellen jemals im Leben nochmal sowas wie Glück zu haben oder zu finden.
„Ich versuche nichts dummes anzustellen.“ versprach ich ihm, aber eigentlich meinte ich es nicht wirklich ernst. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er es genau wusste. Vielleicht wartete er jeden Tag aufs neue, dass es passieren würde.
„Danke.“ entgegnete er kurz und widmete sich seinem nächsten Stück Pizza. Ich schaute nochmal in die Schachtel. Mein Magen schob jetzt doch irgendwie Randale, auch wenn mir mein Kopf sagte, dass ich nichts essen wollte. Ich nahm noch ein Stück aus der Schachtel und begann es zu essen. Ein flüchtiger Blick auf Chris verriet mir, dass es ihn freute, dass ich noch ein Stück aß. Wie einfach man ihm eine Freude machen konnte.
Aus dem zweiten Stück wurde tatsächlich auch noch ein drittes, dann war ich aber wirklich bedient. Den Rest konnte ich morgen noch essen oder übermorgen, wenn ich morgen nichts runter bekommen würde. Ich schaute auf unsere Uhr in der Küche. Es war tatsächlich schon fast acht. Wie lange hatte ich gelegen? Ich wusste es nicht, aber es war auch nicht wichtig. Ich stand auf.
„Willst du schon wieder in dein Zimmer?“ fragte Chris mich, vermutlich konnte er sich die Antwort sowieso denken, aber fragen kostet nichts oder wie sagte man so schön. Ich nickte.
„Wir müssen uns nächste Woche unbedingt mal um neue Möbel für dich kümmern. Du kannst dir gerne schon welche aussuchen wenn du möchtest.“ schlug er mir vor. Neue Möbel waren irgendwie gerade nicht das was mich interessierte. Wenn ich mir keine aussuchen würde, dann würde Chris das bestimmt übernehmen. Wenn er sie aussuchen würde, könnte auch nichts schlimmeres dabei rauskommen als ich aktuell schon hatte. Das sollte kein Vorwurf sein, wie gesagt Chris hatte sehr spontan die Möbel organisiert, dafür taugten sie schon was. Er hätte es sich auch einfach machen können und mich bei der Familie, in die mich das Jugendamt gesteckt hatte, versauern lassen können. Ich wusste nicht ob ich sagen sollte zum Glück oder leider und fuhr mir wieder über den Arm. Auf Chris Anmerkung zu den Möbeln sagte ich nichts mehr und ging wieder zurück in mein Zimmer. Viel konnte ich in meinem Zimmer sowieso nicht machen außer schlafen. Früher, also vor allem, war ich ein begeisterter Gamer gewesen, die Zeiten lagen, wenn ich jetzt drüber nachdachte weit in der Vergangenheit. Selbst wenn ich mich aktuell dazu hätte aufraffen können auf irgendwelche Bits und Bytes zu ballern, dann würde es mir das fehlende Equipment einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen. Chris hatte sich zwar schon um Ersatz bemüht, aber der ließ auf sich warten. Ich hätte natürlich ein Buch lesen können. Meine waren weg und der Geschmack von Chris, nun ja, traf meinen nicht im geringsten um es mal vereinfacht auszudrücken.
Mit Chris im Wohnzimmer vorm Fernseher sitzen war auch keine Option. Er würde wieder irgendein Gespräch anfangen wollen auf das ich keine Lust hatte. Also blieb mir noch schlafen. Schlaf war das einzige, das mir bislang einen Moment Frieden gebracht hatte. Einen kleinen Moment Normalität in meiner täglichen Abwärtsspirale. Wenn ich so drüber nachdenke hätte ich eher erwartet, dass mich alles in meinen Träumen verfolgen würde, aber dem war anscheinend nicht so, aber ich erinnerte mich sowieso nicht an das was ich träumte. Wenn ich in letzter Zeit geträumt hatte bestimmt von irgendwelchen besseren Tagen, da war ich mir sicher. Vielleicht hielt mich das irgendwie noch am Leben?
Ich roch Rauch, frischen Rauch. Es brannte. Etwa hier? Erschrocken öffnete ich die Augen.
Es waren keine Flammen zu sehen. Aber der Geruch von Rauch wurde stärker. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich sprang aus meinem Bett und eilte zur Türe und riss sie auf. Ich wollte gerade aus meinem Zimmer eilen und schauen wo es brannte als sich wie aus dem Nichts eine Feuerwand dort bildete wo meine Türe war. Ich erschrak und wich soweit es ging zurück und stieß beim Rückwärtsgehen gegen meinen Schreibtisch. Ich war durch die Flammen in meinem Zimmer gefangen. Das Feuer breitete sich seltsamerweise nicht aus und die Gegenstände, die von ihm berührt wurden, fingen kein Feuer. Es war nicht mal heiß. Das war mehr als seltsam.
Nach dem Schockmoment, der mich im ersten Moment zurückweichen ließ, ging ich wieder näher an das Feuer heran. Ich spürte keine Hitze in seiner Nähe. Ich streifte mit der Hand schnell durch die Flammen so wie man das bei Kerzen manchmal machte und dabei keine Verbrennungen davon trägt. Meine Hand war vollkommen unversehrt. Ein zweiter Versuch, dieses Mal hielt ich meine Hand voll in die Flammen und erwartete schon den Schmerz, aber nichts passierte. Ich zog die Hand wieder zurück. Sie war nicht mal schwarz. Ein Feuer, das nichts verbrennt, das ergab keinerlei Sinn.
„Das Feuer wird dir nichts tun.“ sagte eine Stimme hinter mir. Die Stimme ging mir durch Mark und Bein. Das konnte nicht sein, das war unmöglich. Natalie? Das war unmöglich! Es war ihre Stimme. Aber das war unmöglich oder noch nicht? Vielleicht starb ich gerade und sie holte mich ab und würde mich in die Ewigkeit mit ihr führen. Ich drehte mich langsam um. Hinter mir, dort am Schreibtisch wo ich vor einem Moment noch gestanden hatte, stand Natalie.
„Natalie.“ sagte ich weinend. Sie zu sehen schmerzte, auch wenn ich mich eigentlich freuen sollte. Sie sagte nichts. Gar nichts. Ich hatte das Gefühl sie schaut durch mich hindurch mitten ins Feuer. Sie begann sich zu bewegen. Immer näher in langsamen Schritten auf mich zu.
„Natalie sag doch was!“ flehte ich schon fast. Sie war schon fast bei mir angekommen. Ich griff in ihre Richtung und wollte ihren Arm greifen. Meine Hand glitt durch sie hindurch und griff ins Leere. Natalie setzte ihren Weg ungehindert oder unbeirrt fort und reagierte auf keine meiner Reaktionen. Es fand keinerlei Interaktion zwischen uns statt. Sie kam näher zur Türe und ihr Fuß berührte schon fast das Feuer. Ich wusste nicht was sie damit bezweckte. Sie stand nun im Türrahmen, mitten im Feuer und drehte sich zu mir um. Die Flammen um spielten sie, mehr und mehr. Sie schaute mich böse grinsend an. Ihre Augen waren schwarz, war mir das bislang noch nicht aufgefallen? Ich wich nochmal zurück dieses Mal aus Angst vor dem, was sich da als Natalie ausgab. Das Feuer flammte hell auf, so hell, dass ich dachte jetzt würde alles anfangen zu brennen. Ich legte mich auf den Boden und vergrub mein Gesicht in meinem Arm. Ich wusste nicht ob es jetzt zu Ende geht oder nicht.
Autor: Timo (eingesandt via E-Mail)
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Wow, schreib bloß weiter.
Das ist doch echt ein klasse Werk!
@Mahlzeit: Vielen Dank. Teil 3 kommt zeitnah keine Sorge. Ich wage zu behaupten, dass der auch sehr interessant wird, aber mehr möchte ich nicht verraten.