Jona (25)
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Kapitel 25: Einsetzende Heilung
Ok es sah wirklich gut aus, also nicht perfekt so als ob nie was passiert gewesen wäre, aber schon ziemlich gut verheilt. Tiefe Schnitte waren nicht mehr vorhanden, da hatte wohl die Arbeit im Krankenhaus auch zu bei getragen, aber ich wusste auch gar nicht wie tief ich geschnitten hatte, aber ich wollte es auch gar nicht wissen, das war für mich so weit weg wie seit langem nicht mehr. Es waren definitiv noch Krusten in Form eines Striches erkennbar und jeder, der halbwegs bei klarem Verstand war konnte durchaus schlussfolgern was dort passiert war, aber auf absehbare Zeit würden die noch verbliebenen Wunden auch verheilen. Ich meine mich daran erinnern zu können, dass die Wundheilung eigentlich besser stattfand, wenn nicht alles bandagiert wird, das stärkte meine Hoffnung die Verbände heute vielleicht wirklich los zu werden. Ich hatte keine Lust mehr auf die Verbände. Ich hatte sie zwar die letzten Tage durchaus ignorieren können, aber jetzt wo sie wieder weg waren, war mir wieder bewusst, dass es ohne die ganze Scheiße einfach angenehmer war.
„Müssen denn da nochmal Verbände drauf?“ fragte ich zaghaft. Ich rechnete einfach mit dem schlimmsten Ergebnis, also damit, dass meine Frage mit einem Ja abgeschmettert wird. Das würde immerhin keine neue Frustration zur Folge haben, vor allem was sollte mich nach der letzten Woche noch großartig frustrieren können oder anders gesagt konnte mich nach dem was ich alles erlebt hatte überhaupt so eine banale Kleinigkeit wie diese Verbände frustrieren?
„Hmmm.“ kam als nachdenkliche Antwort von Dr. Müller. War das ein gutes Zeichen oder ein schlechtes Zeichen? Es schien zumindest nicht ganz ausgeschlossen zu sein, dass ich die Dinger doch los werden würde. „Ich glaube es dürfte auch ohne die Verbände funktionieren, aber nur, wenn du vorsichtig bist. Das heißt keinerlei übermäßige Belastung, also nichts schweres Heben, keine ruckartigen Bewegungen und keinen Sport. Für den Sportunterricht macht dir die Sprechstundenhilfe eine Information für die Schule fertig. Wenn irgendetwas aufreißt oder sich entzündet, kommst du bitte umgehend hierher damit ich mir das anschauen kann.“ machte Dr. Müller mir nach seiner kurzen Denkpause klar. Ich nickte nur zustimmend und freute mich darauf, dass ich die lästigen Dinger nun doch früher als erwartet los war.
„Müssen wir sonst noch auf irgendetwas achten?“ fragte Helen zur Sicherheit nochmals nach. Das was Dr. Müller aufgezählt hatte, reicht doch an sich schon, was sollte sonst noch zu beachten sein?
„Ansonsten ist nicht zu beachten. Es kann sein, dass die Wunden beim Duschen ein wenig brennen, das ist aber normal, da brauchen Sie sich keine Gedanken machen.“ beantwortete Dr. Müller Helens Frage.
„Können wir noch irgendwas machen um die Heilung zu fördern oder zu beschleunigen?“ fragte Helen direkt im Anschluss auf die Antwort.
„Hmmm. Vermutlich nicht viel. Klar Wund- und Heilsalbe kann helfen, aber ich würde die Wunde jetzt einfach die nächsten Tage ohne irgendwelche Hilfsmittel lassen. Ich denke wenn bis Ende der Woche nichts passiert ist, dann machen wir den nächsten Termin einfach in zwei Wochen, das dürfte dann der letzte sein, wenn die Heilung so weiter verläuft.“ erklärte Dr. Müller.
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Es war mal wieder verdammt knapp pünktlich zu dem Termin bei Dr. Berger zu erscheinen. Helen hatte mich einfach nur vor der Praxistüre absetzt und war mit Sarah nach Hause gefahren. Sarahs Bild hatte ich noch nicht gesehen, dafür war einfach keine Zeit gewesen. Vielleicht würde ich es auch niemals zu sehen kriegen, aber das würde sich zeigen. Bislang hatte ich ihre Kunstwerke oder das was man als Kunstwerk bezeichnen könnte von ihr bekommen, die einzige Ausnahme war das Bild, das wir bei Dr. Berger liegen gelassen hatten. Der Brief, das war jetzt genau eine Woche her, eine Woche geprägt von jede Menge Aufs und Abs, vermutlich aber mehr Abs. Würde das irgendwann aufhören? Wenn ja wann und wie? So radikal wie ich es beim letzten Mal geplant hatte und fast vollendet hätte? Ich strich mir während des Gedankens leicht über die Kruste an meinem Unterarm. Nein, nicht noch einmal, das war nicht die Lösung, bestimmt nicht, sonst hätte ich es beim letzten Mal definitiv beendet und ich war mir sicher, dass ich es geschafft hätte, aber tief in meinem Inneren doch nicht wollte. Das Nahtoderlebnis mit Natalie, Chris, meinen Eltern und Sarah gab mir eine gewisse Gewissheit, dass es so war. Ich hätte einfach den anderen Weg wählen können und es wäre vorbei gewesen, da war ich mir inzwischen sicher, aber genau das hatte ich nicht getan, weil ich es nicht wollte, auch wenn mir der Grund noch nicht vollends klar war. Sarah alleine als diesen Grund anzusehen war mir einfach zu wenig, nicht, dass sie nicht einen großen Anteil daran hatte, den hatte sie bestimmt, aber sie war nicht der alleinige ausschlaggebende Grund, da musste noch irgendetwas anderes sein, etwas, das sich mir einfach noch nicht erschließen wollte.
Tatsächlich musste ich auch bei Dr. Berger einen Moment warten. Anscheinend dauerte der Termin vor mir ein wenig länger. Dieses Mal kam auch nicht Dr. Berger zu mir ins Wartezimmer um mich abzuholen, sondern ließ seine Sprechstundenhilfe zu mir kommen. Ich betrat wie gewohnt das Behandlungszimmer. Die Papierberge waren tatsächlich kleiner geworden. Es war irgendwie schon eine blöde Angewohnheit geworden zuerst einen Blick auf den Schreibtisch zu werfen, wenn ich das Behandlungszimmer betrat. Ich konnte mir gut vorstellen, dass Dr. Berger am Samstag nach unserem spontanen Gespräch oder am Sonntag noch mit den Akten gekämpft hatte und das wenn ich den Stapel von Freitag bedachte sogar halbwegs erfolgreich. Dr. Berger war nicht im Behandlungszimmer. Möglicherweise war er gerade kurz auf der Toilette oder sonst wo. Ich setzte mich auf meinen üblichen Platz und wartete. Dr. Berger tauchte auch nach mehreren Minuten nicht auf. Ziemlich seltsam. Ich hatte es bislang noch nie erlebt, dass er derart unpünktlich zu einem unserer Termine gekommen war. Sollte ich jetzt weiter warten? Wie lange würde ich warten müssen? Was könnte ich mit der verbleibenden Zeit anfangen? Mir kam sofort in den Sinn nach meiner Akte zu suchen und sich Dr. Bergers Notizen anzusehen. Die Notizen hätten mich brennend interessiert, aber ich glaubte kaum, dass ich die Akte schnell auf dem Schreibtisch finden würde und die Gefahr, dass Dr. Berger jederzeit doch herein kommen könnte, war einfach zu groß. Sarahs Akte hätte mich auch brennend interessiert, aber die Schränke nach ihrer Akte zu durchsuchen hielt ich für noch riskanter. Ich stand auf und ging zu dem Fenster neben Dr. Bergers Schreibtisch und schaute aus dem Fenster. Durch das Fenster hatte man tatsächlich einen guten Ausblick auf Teile des Marktplatzes, auf dem ich mit Sarah mehrmals in dem Cafe gesessen hatte. Es waren wieder viele Menschen unterwegs. Noch waren die Tage halbwegs angenehm und viele gingen gerne vor die Türe. Ich mochte das Wetter um diese Jahreszeit lieber als das elendig heiße Wetter im Sommer oder das biestig kalte im Winter. Frühlingswetter war auch noch in Ordnung, aber irgendwie nicht so toll wie das beginnende Herbstwetter. Keine Ahnung was ich am Herbstwetter besser fand als am Frühlingswetter, aber das wollte ich jetzt nicht auch noch hinterfragen. Ich erschreckte mich als sich die Türe hinter mir öffnete. Ich drehte mich um und sah wie vermutet Dr. Berger, der gerade sein Behandlungszimmer betreten hatte.
„Hallo Dr. Berger.“ begrüßte ich ihn ausnahmsweise zuerst.
„Hallo Jona, ich bitte um Entschuldigung es gab einen kleinen Zwischenfall um den ich mich kümmern musste. Sollen wir anfangen?“ fragte er mich und deutete auf den Sessel auf dem ich gerade noch gesessen hatte. Ich nickte und setze mich wieder auf den Sessel.
„Ich hoffe ich habe sie am Samstag nicht zu sehr vom Papierkram abgehalten?“ fragte ich ihn bevor er mir eine Frage stellen konnte.
„Papier ist geduldig Jona. Der Schreibtisch sieht zwar chaotisch aus, aber das ist nur der erste Blick. Ich komme mit den Aktenbergen ganz gut zurecht. Ich weiß wo jede Akten liegt, die ich brauche. Von Zeit zu Zeit räume ich sie aber beiseite um sie nicht bis zur Decke zu stapeln. Aber wir sind ja nicht hier um über meine Aktenberge zu reden.“ antwortete er mir.
„Ja ich weiß, aber als ich die Berge gesehen habe, dachte ich, dass sie wegen mir nicht fertig geworden sind.“ erklärte ich ihm.
„Und selbst wenn es so wäre, dann wäre der Samstag trotzdem kein verlorener Tag gewesen, weil unser Termin am Samstag meiner Ansicht nach sehr erfolgreich war.“ erwiderte er mir.
„Habe ich schon von Helen gehört, aber ich habe mich am Samstag tatsächlich auch anders gefühlt als ich hier weg bin. Schwierig das zu beschreiben. Ich würde fast sagen besser, aber das wäre glaube ich zu optimistisch, aber auf jeden Fall nicht schlechter als sonst.“ schilderte ich meine Empfindung von Samstag.
„Das freut mich Jona. Hast du eine Ahnung woran das liegen könnte?“ fragte ich Dr. Berger.
„Keine Ahnung. Mir war am Samstag einfach irgendwie nach Reden zu Mute und ich habe geredet, vielleicht hat das geholfen.“ versuchte ich ihm eine für mich passende Antwort zu formulieren.
„Ich glaube eher, dass es daran liegt, dass du dich auf die Therapie einlässt und dir helfen lassen willst. Denk bitte einmal an unsere erste Sitzung zurück. Du hast von dir aus keinen Ton, der nicht notwendig war heraus gebracht. Inzwischen hat sich etwas geändert und das wird nicht nur die Tatsache sein, dass Sarah in dein Leben getreten ist oder?“ erwiderte er. Er war echt gut wie ich feststellen musste, denn genau daran hatte ich vorhin auch noch gedacht. Am liebsten hätte ich ja mit etwas geantwortet wie raus aus meinem Kopf, aber ich glaube bei Seelenklempnern war das eher normal, dass sie in den Köpfen ihrer Patienten rum wühlten, auch wenn mir die Vorstellung an sich nicht behagte, nahm ich das jetzt einmal so hin.
„Darf ich offen sprechen Doktor?“ fragte ich ihn.
„Nichts lieber als das.“ antwortete er.
„Ich weiß nicht was sich außer Sarah geändert hat. Ich bin mir sicher ich war an dem Punkt an dem ich mich vom Leben verabschiedet hatte und ich bin auch überzeugt, dass ich es eigentlich beendet hätte, aber irgendetwas hat mich davon abgehalten. Wissen sie ich war an diesem Ort an dem man alle seine Lieben wiedersieht. Also diese Vorstellung, die man wohl hat wenn man stirbt, wenn man das so glauben kann, was die Leute so erzählen. Aber ich habe kein Licht oder so gesehen.“ begann ich von meinem vermeintlichen Nahtoderlebnis zu berichten.
„Was hast du denn genau gesehen?“ fragte er mich weiter.
„Zwei Wege, einen schwarzen und einen weißen. Alle sind den schwarzen Weg entlang gegangen. Ich wollte auch schon los, aber Sarah hat mich aufgehalten.“ erzählte ich weiter.
„Warum hat sie dich aufgehalten?“ fragte mich Dr. Berger.
„Sie meinte ich könnte so nicht gehen. Ich hatte die Verletzungen an den Armen.“ fuhr ich fort und unterbewusst zog ich die Ärmel meines Pullovers nach oben. Dort waren die verheilenden Verletzungen nun auch für Dr. Berger sichtbar. „Sie hat meine Wunden durch Handauflegen verheilen lassen und hat mir meinen Bären in die Hand gedrückt. Dann ist sie den weißen Weg entlang gegangen und hat mich zurück gelassen.“ schloss ich meine Erzählung.
„Hmmm. Und dann bist du dort zurückgeblieben?“ fragte mich Dr. Berger.
„Nein ich bin dann Sarah gefolgt. Ich weiß nicht warum, vielleicht war es die Neugier was sie dort gemacht hat oder irgendetwas anderes was mich dazu verleitet hat, ich kann es wirklich nicht sagen, aber irgendwie bin ich froh, dass es so gekommen ist. Ich weiß das klingt jetzt auch wie eine Wunderheilung, aber glauben sie mir ich bin von dem Punkt bei Chris Tod weit, sehr weit entfernt. Ich würde fast sogar sagen, dass das keine Option mehr ist.“ schilderte ich ihm den Rest der Erlebnisse.
„Jona, Depressionen und traumatische Erlebnisse sind eine heimtückische Angelegenheit. Im einen Augenblick glaubst du alles ist bestens und im nächsten Augenblick ist alles schon wieder furchtbar und du willst nicht mehr weiter machen und es einfach beenden. Ich wäre daher mit der Einschätzung deines Zustands vorsichtig, auch wenn ich dir insoweit recht gebe, dass die Entwicklung insgesamt positiv verläuft, aber du hast noch einen ganzen Berg an Problemen zu bewältigen bevor wir von einer stabilen Lage reden können.“ erklärte mir Dr. Berger.
„Ich glaube wenn es einfach wäre, dann würde ich nicht drei Mal die Woche herkommen dürfen oder?“ entgegnete ich ihm.
„Vollkommen richtig. Deine Arme scheinen aber gut zu verheilen. Wurden die Verbände abgenommen oder hast du sie einfach so abgenommen?“ fragte er mich weiter.
„Ich hatte vorhin noch einen Termin beim Hausarzt deswegen. Die konnten tatsächlich weg. So langsam haben die Verbände echt genervt.“ antwortete ich und zog den Pullover wieder über meine Unterarme.
„Freut mich zu hören. Lass uns doch nochmal ein paar Themen von Samstag ein wenig vertiefen bevor unsere Zeit um ist.“ merkte Dr. Berger an.
„Wir haben am Samstag sehr viel über Natalie gesprochen oder besser gesagt über meine Träume mit ihr. Sie meinten ich soll sie gehen lassen. Wie soll ich das machen? Ich kann ihr ja kaum sagen, dass ich sie gehen lasse und nicht mehr liebe. Ich liebe sie immer noch.“ erwiderte ich ihm.
„Ich glaube du liebst die Erinnerung an eure gemeinsame Zeit. Natalie selbst lebt nicht mehr und wird jegliche Liebe deinerseits nicht erwidern. Die Erinnerung an sie zu bewahren ist richtig und wichtig, Da eure Beziehung sehr abrupt geendet ist, ohne jede Vorwarnung und ohne richtigen Abschied und vor allem weil du dir die Schuld an alldem gegeben hast, ist in deinem Innern ein wildes Gefühlschaos entstanden, dass durch Sarahs Auftauchen und den Emotionen zu ihr nur noch mehr in Wallung gekommen ist.“ fing Dr. Berger an zu erklären.
„So weit waren wir doch schon am Samstag, aber wie löse ich dieses Problem?“ unterbrach ich Dr. Berger.
„Es gibt bestimmt viele Wege, aber leider kein Wundermittel. Sobald du bereit bist sie gehen zu lassen, wirst du es merken und es tun, ganz automatisch. Du darfst nur das gehen lassen nicht mit Vergessen gleich setzen, denn Vergessen sollst und willst du sie auch nicht. Ich denke diese Angst davor sie zu vergessen ist die Angst, die dich davon abhält sie aus deinem Herz ziehen zu lassen.“ antwortete Dr. Berger. Ich überlegte ob er mit dieser Theorie richten liegen konnte. War es wirklich die Angst sie zu vergessen, die mich dazu verleitete sich weiter an Natalie zu klammern? Wie sollte ich diese Angst überwinden, wie sollte ich sie jemals überwinden? Ich hatte wieder einmal das Gefühl, dass sich mehr Fragen als Antworten aus dem Termin ergeben hatten.
Autor: Timo (eingesandt via E-Mail)
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