Jona (58)
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Kapitel 58: Auge um Auge
Die Nervosität in mir nahm sichtlich zu. Helen hatte mich zusammen mit Dr. Berger auf die Verhandlung so gut es ging vorbereitet, aber ich war mir sicher, dass man sich auf so etwas nicht vorbereiten konnte. Ich glaube am meisten Glück, naja wenn man das denn so nennen konnte, hatte Sarah. Sie durfte sich das ganze Spiel als Zuschauerin ansehen. Sie war sich erst unsicher gewesen ob sie das tun sollte, denn das war für sie das erste Mal seit Jahren, dass sie ihren Vater sehen würde und eigentlich war sie nicht traurig darüber, dass sie ihn all die Jahre nicht gesehen hatte. Sie wollte sich möglichst unauffällig in einer Ecke des Gerichtssaal hinsetzen um ihm nicht aufzufallen. Ich hoffte, dass sie tatsächlich nicht auffallen würde. Helen hatte die letzten Tag über mehrere Stunden die Anklageschrift und die entsprechenden Akten studiert und mit mir abgesprochen was ich wie und wann zu tun hatte. Das häufige Durchkauen hatte mich an manchen Tagen wirklich mürbe gemacht. Es war wirklich nicht schön alle Berichte zu lesen und zu studieren. Mehr als einmal musste ich aufhören zu lesen und eine Pause machen. Das ein oder andere Mal hatte ich morgens das Gefühl die Nacht vorher kein Auge zugemacht zu haben. Ich glaubte sogar manches verfolgte mich noch in meinen Träumen obwohl ich glücklicherweise am Morgen keine Erinnerung daran hatte. Ich wusste nicht was ich genau für Gefühle hatte nachdem ich mit der Akte durch war. Ich würde es irgendwo als eine Mischung aus Trauer, Wut, Frustration und Verzweiflung beschreiben. Alleine diese Sinnlosigkeit, die hinter dieser Tat steckte und die daraus resultierenden Folgen, war einfach nicht nachzuvollziehen. Wenn nicht bereits in Therapie wäre, hätte ich definitiv nachdem ich mit der Akte fertig war eine begonnen. Ich hoffte wirklich, dass diese Verhandlung einen Schlussstrich unter dieses Kapitel setzen würde und mir dadurch die Möglichkeit gegeben würde einfach ein halbwegs normales Leben zu führen ohne Gefahr laufen zu müssen, dass mich meine Vergangenheit irgendwann einholen würde. Helen rechnete aufgrund ihrer Erfahrung nicht mit einer langen Verhandlung. Trotz fehlenden Geständnisses sprach eigentlich alles gegen Sarahs Vater.
Ich verzichtete auf ein wirkliches Frühstück und begnügte mich mit Kaffee. Für die Verhandlung hatte Helen der Schule, besser gesagt dem Rektor eine Mail geschrieben mit der Bitte, dass bei Rückfragen eine Erkrankung vorgeschoben wurde. Gut, unsere Freunde wusste was Sache, der Rest musste es nicht wissen. Die Verhandlung würde mittags beginnen, aber ich war trotzdem schon früh morgens wach oder besser anwesend.
„Und du schaffst das heute?“ fragte Helen vorsichtig vom anderen Ende des Tischs.
„Ganz ehrlich? Keine Ahnung.“ antworte ich mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend.
„Du weißt, dass ich das auch für dich machen kann.“ wandte Helen nein. Ein sehr verlockendes Angebot. Sie würde sowieso die ganze Zeit anwesend sein, aber ich wollte das für mich selbst von Anfang bis Ende durchziehen, zumindest wenn ich es überhaupt ertragen konnte.
„Nein, ich glaube ich muss da irgendwie durch. Ich glaube wirklich, dass ich das für meinen inneren Frieden brauche.“ antwortete ich.
„Ich will nur nicht, dass du wegen der Verhandlung irgendwas…“ fing sie an, aber ich unterbrach sie.
„Irgendwas dummes mache. Schon klar. Ich glaube über den Punkt bin ich hinaus findest du nicht? Dr. Berger hat dir doch seine Einschätzung gegeben.“ maulte ich rum.
„Ich weiß, aber auch er kann sich irren.“ entgegnete Helen.
„Glaube ich aber nicht. Ich glaube wir haben eine Sache noch gar nicht besprochen.“ kommentierte ich ihre Aussage.
„Was haben wir vergessen?“ fragte sie mich verwundert.
„Ähm ich stehe doch unter Betreuung oder wie man das auch immer nennt. Hat das irgendwelche Auswirkungen auf die Verhandlung?“ fragte ich ein wenig besorgt.
„Sollte eigentlich niemanden stören oder interessieren. Sollte das trotzdem zur Sprache kommen, dann werde ich dazu schon etwas sagen. Von meiner Seite aus hast du für die Verhandlung jegliche Handlungsfreiheit. Tu mir nur den Gefallen, dass du nicht wüst irgendwen beschimpfst oder ähnliches, das wirft kein gutes Licht auf dich.“ entgegnete mir Helen.
„Ich versuche mich zu beherrschen.“ sagte ich leise.
„Gut. Ich würde sagen du trinkst in Ruhe deinen Kaffee und ich versuche mal Sarah zu wecken. Ist sie in ihrem Zimmer oder im Keller?“ fragte Helen.
„Im Keller. War ihr wegen der Aufregung lieber.“ antwortete ich. Helen nickte und machte sich auf den Weg in den Keller.
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Das Gericht war tatsächlich nicht bei uns in der Stadt, sondern in der Nachbarstadt. Das heiß noch gut eine halbe Stunde Fahrt bis zum Gericht. Die Fahrt war sehr schweigsam. Mir war nicht nach reden, sondern ich bereitete mich innerlich schon mal auf die Verhandlung vor. Ich glaube sogar Sarah war nicht wirklich zum Reden aufgelegt. Sie schaute teilnahmslos aus dem Fenster. Sie hatte sich richtig schick gemacht, aber das Outfit kannte ich tatsächlich schon. Es erinnerte mich an ein anderes unschönes Erlebnis, nämlich an Chris Beerdigung. Ich hoffte das würde mich nicht so mitnehmen wie die Beerdigung. Immerhin war die Geschichte mit der Beerdigung irgendwo vorbei gewesen, die Sache mit meinen Eltern war durch den Brief von Natalie und den Zusammenhang mit Sarah eine neverending Story, zumindest bis jetzt. Ich entschied mich es Sarah gleich zu tun und schaute ebenfalls aus dem Fenster. Irgendwann schloss ich die Augen, aber ich schlief nicht. Irgendwann hielt das Auto an. Einen Augenblick später spürte ich eine sanfte Bewegung an meiner Hand, die auf der Rückbank des Autos lag. Ich öffnete langsam die Augen und schaute auf meine Hand. Sarah hatte ihre Hand auf meine gelegt. Ich folgte ihrer Hand bis ich bei ihrem Gesicht angekommen war. Ein freundliches Lächeln traf meinen Blick, fast so als ob sie mir sagen wollte, dass ich das schaffen würde.
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„Also du gehst hier rein und suchst dir einen Platz ganz hinten. Du sagst keinen Mucks, egal was gesagt wird verstanden?“ ermahnte Helen Sarah als wir vor der Türe zum Gerichtssaal standen. Sarah nickte ein wenig eingeschüchtert. Helen verstand in der Beziehung wohl keinen Spaß, aber das war irgendwie nachvollziehbar, denn sie wenn Sarah mit Zwischenrufen auffallen würde, dann würde das schlussendlich auf sie zurückfallen und das hätte ich an Helens Stelle auch nicht gewollt.
Sarah kam nochmal zu mir bevor sie den Gerichtssaal betrat und drückte mich fest an sich und gab mir einen Kuss. „Du schaffst das, ganz sicher. Schlimmstenfalls schaust du einfach zu mir rüber dann geht’s dir bestimmt etwas besser.“ verabschiedete sie sich. Ich wusste nicht was ich darauf antworten sollte, also sagte ich gar nichts. Sarah nahm es mir nicht übel, sondern machte sich auf den Weg in den Gerichtssaal.
„Ok wir werden jetzt zum Staatsanwalt gehen. Wir sind gut in der Zeit.“ sagte Helen, nachdem Sarah im Gerichtssaal verschwunden war.
„Sag mal kennst du den Staatsanwalt eigentlich gut?“ fragte ich sie während sie mich durch die Gänge führte in denen ich mich vermutlich hoffnungslos verlaufen hätte, weil gefühlt alle Gänge gleich aussahen.
„Von früher aus dem Studium. Er hat als Student mal einen Kurs geleitet und natürlich haben wir schon den ein oder anderen Prozess in dem wir beide miteinander geführt haben. Mal hat er gewonnen, mal ich.“ antwortete mir Helen.
„Findest du das nicht ein bisschen komisch jetzt mit ihm zusammen zu arbeiten?“ fragte ich unsicher.
„Eigentlich nicht. Weißt du er macht nur seinen Job. Er vertritt die Strafverfolgung, aber natürlich kann der sich wie jeder andere Mensch auch mal irren und da kommen dann eben Leute wie ich ins Spiel, die in dem Prozess die Angeklagten vertreten.“ entgegnete Helen.
„Wenn du auch mal verloren hast, dann hast du auch Verbrecher vertreten? Also so Leute wie deinen Ex?“ bohrte ich nach. Helen drehte sich um und legte ihre Arme auf meine Schultern.
„Jona es ist ganz einfach, jeder hat das Recht auf einen fairen Prozess und auf einen Verteidiger. Außerdem gilt der Grundsatz, dass bis zur Feststellung der Schuld jeder Angeklagte als unschuldig gilt.“ sagte Helen ernst.
„Das heißt auch dein Ex gilt auch als unschuldig oder wie?“ erwiderte ich entsetzt.
„Ja, das ist die sogenannte Unschuldsvermutung. Vermutung können widerlegt werden, deshalb finden Gerichtsverhandlungen statt. Du machst dir zu viele Gedanken darüber, dass irgendetwas schief gehen könnte. Vertrau dem Staatsanwalt und wenn du das nicht kannst oder möchtest, dann vertraust du mir, das solltest du hinbekommen. So da drüben ist das Büro des Staatsanwalts. Du kannst dir jetzt ein letztes Mal überlegen ob du wirklich die ganze Zeit dabei sein willst.“ antwortete Helen. Ich überlegte nochmals kurz ob ich das wirklich wollte, eigentlich nicht, aber das war wie die Beerdigung von Chris, die wollte ich auch nicht miterleben. Hatte es mir schlussendlich geschadet? Eigentlich nicht, außer diese gefühlten Messerstiche im Herzen und der Trauer hatte es mir nicht geschadet. Aber war das zu vergleichen? Ich wusste es nicht, aber eigentlich gab es nur die Möglichkeit es durchzuziehen. Ich nahm Helens Hände und ließ sie langsam mit zittrigen und verschwitzten Hände langsam von meiner Schulter gleiten.
„Welches Büro ist es?“ fragte ich möglichst selbstsicher. Helen lächelte mich an, sie hatte verstanden was ich ihr sagen wollte und führte mich zu dem Büro.
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Helen wies mich an aufzustehen. Inzwischen hatte sie eine schwarze Kutte an, die ziemlich lächerlich aussah. Der Anwalt von Sarahs Vater und der Staatsanwalt waren ebenfalls so gekleidet. War wohl so üblich, hätte sie mir auch sagen können. Viel hatten wir mit dem Staatsanwalt nicht besprochen wobei eigentlich schon, aber da war so viel fachlicher Kram drin, dass mir gefühlt nach einer Minute schon wieder der Kopf rauchte. Einiges hatte Helen mir schon erklärt, da hatte ich es besser verstanden. Vielleicht hatte Helen das gleiche auch mit einfacheren Worten mitgeteilt. Die Türe rechts von uns hinter dem bislang leeren Tisch, nein Pult passte glaubte ich besser, öffnete sich und weitere ebenfalls in schwarz gekleidete Personen betraten den Raum und setzen sich an ihre Plätze. Die Person in der Mitte setzte sich zu letzt und fing kurz darauf anzusprechen.
„Wir verhandeln heute in der Sache Kraus wegen Mordes. Herr Kraus nehmen sie bitte in der Mitte Platz.“ wies er Sarahs Vater an, der sich von seinem bisherigen Platz erhob und sich in die Mitte setze. Er schien mich keines Blickes zu würdigen, aber ich verfolgte jeden seiner Schritte und mit jedem Schritt, den er tat hatte ich das Gefühl mein Herz würde lauter schlagen.
„Herr Kraus sie sind 50, verheiratet, derzeit arbeitslos, wohnhaft im hiesigen Gerichtsbezirk, aber aktuell in Untersuchungshaft in der hiesigen Justizvollzugsanstalt. Soweit richtig?“ fuhr die Person in der Mitte fort.
„Richtig, Herr Richter.“ bestätigte er sie Angaben. Die Stimme ging mir gefühlt durch Mark und Bein, ich hatte sie nie gemocht.
„Herr Staatsanwalt die Anklage bitte.“ sagte der Richter und schaute in unsere Richtung, woraufhin der Staatsanwalt anfing seine Anklageschrift vorzulesen. Sarahs Vater schien wenig beeindruckt zu wirken. Ich hörte dem Staatsanwalt auch nur halb zu, ich hatte das mehr oder weniger schon gelesen und erinnerte mich immer mal wieder wenn ich besser hinhörte an die entsprechende Passage. Der Staatsanwalt schloss mit einer Vielzahl an Paragraphen von denen ich nicht glaubte, dass er die alle auswendig kannte.
„Danke Herr Staatsanwalt.“ sagte der Richter. „Als Nebenklägerin habe ich Jonathan Winter, den Sohn der getöteten zugelassen. Er wird zusätzlich durch Frau Kraus vertraten. Die Namensgleichheit ist ein Zufall oder?“ fragte der Richter. Er war wohl neu oder kannte Helen nicht.
„Herr Vorsitzender, wir hatten glaube ich noch nicht das Vergnügen mit einander zu tun zu haben. Nein das ist kein Zufall, der Angeklagte und ich waren einmal verheiratet, das ist aber über 10 Jahre her. Das sollte aber auch in der Prozessakte vermerkt sein.“ erklärte Helen dem Richter. Der Richter blätterte daraufhin in der Akte und suchte nach einem entsprechenden Eintrag.
„Ahja. Tatsächlich. Bestehen von Seiten der Verteidigung Bedenken, dass Frau Kraus die Nebenklage vertritt?“ fragte der Richter in Richtung des Anwalts gegenüber.
„Keine Bedenken, Herr Vorsitzender.“ gab ihm der Anwalt zu verstehen.
„Gut. Herr Kraus sie werden Frau Schmitz vertreten. Die Anklageschrift haben sie gehört, möchten sie sich hierzu äußern?“ fragte er Sarahs Vater.
„Natürlich, diese Vorwürfe, die der feine Herr Staatsanwalt hier vorträgt, sind an den Haaren herbeigezogen.“ schäumte Sarahs Vater fast schon vor Wut. Klar ich wäre an seiner Stelle vermutlich auch in die Offensive gegangen oder hätte mich verkrochen. Ich merkte aber auch direkt bei mir eine Reaktion. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und ich merkte wie es innerlich in mir zu brodeln begann. Ich musste mich zusammenreißen, ich konnte nicht jetzt am Beginn der Verhandlung schon vor Wut platzen. Ich überflog mit meinen Augen das Publikum und konnte tatsächlich Sarah erspähen. Unsere Blicke trafen sich nur kurz, aber es reichte um meine innere Wut ein wenig zu zügeln.
„Dann möchten Sie uns bestimmt erklären, wie ihre Schuhabdrücke in den Garten der Familie Winter kommen?“ fragte der Richter weiter.
„Herr Vorsitzender, dafür gibt es eine einfache Erklärung. Mein Mandant war an dem besagten Abend dort, weil seine Stieftochter von zu Hause abgehauen ist. Mein Mandant vermutete, dass seine Stieftochter sich im Elternhaus des Nebenklägers befindet. Er hat geklingelt und niemand hat aufgemacht, also ist er ums Haus gegangen um zu schauen ob er seine Stieftochter im Haus sehen kann.“ erklärte die Verteidigerin von Sarahs Vater.
„Genau so war es.“ bekräftigte Sarahs Vater die Aussage. Die Behauptung alleine war schon eine Frechheit, Natalies Brief sagte etwas vollkommen anderes aus. Ich merkte wieder diese Wut in mir aufflammen.
„Die Frau meines Mandanten kann das auch bestätigen.“ setzte die Anwältin nach. Klar er hatte sie bestimmt eingeschüchtert oder sonst irgendwas.
„Danke Frau Verteidigerin, ich werde die Ehefrau des Angeklagten später dazu befragen. Mir liegt jedoch ein Abschiedsbrief der Stieftochter ihres Mandanten vor, der ihren Mandanten stark belastet.“ erklärte der Richter und hielt den Brief nach oben. „Diesen Brief hat die Stieftochter ihres Mandanten dem Nebenkläger geschickt und zwar an dem Tag an dem sie sich umgebracht hat.“ setzte er nach.
„Das Kind war depressiv und wollte sich nicht helfen lassen. Sie sollte eine Therapie beginnen, aber wir haben das anscheinend unterschätzt. Sie konnte wohl die Realität nicht mehr von ihrem Wahn unterscheiden.“ versuchte er besonders mitfühlend darzulegen. Er hatte damit definitiv einen Punkt überschritten, mit irgendetwas zu unterstellen war das eine, ich konnte mich noch wehren, aber Natalie jetzt rückwirkend als wahnsinnig zu bezeichnen, war zu viel. Ich konnte mich einfach nicht mehr beherrschen, nein ich wollte mich einfach nicht mehr beherrschen, sondern schlug mit meinen Fäusten auf den Tisch was natürlich die Aufmerksamkeit von allen auf mich lenkte.
„Das ist eine derartige Frechheit solche Behauptungen aufzustellen! Natalie war alles aber nicht wahnsinnig!“ schrie ich ihn an.
„Herr Winter, ich kann ihre Wut nachvollziehen, aber zügeln sie sich!“ wurde ich vom Richter harsch zurecht gewiesen.
„Ganz ruhig Jona, du schaffst das, lass dich nicht aus der Fassung bringen.“ flüsterte mir Helen zu.
„Das ist auch der Grund warum ich gegen die Beziehung zwischen meiner Stieftochter und dem Nebenkläger war.“ fing Sarahs Vater wieder an. „Der Nebenkläger ist unberechenbar.“ erklärte er weiter. Na klar jetzt war ich der Unberechenbare, klar, aber nur weil er mich dazu gemacht hatte. Ich schnaubte um mich zu beruhigen.
„Wir gehen zudem davon aus, dass nicht mein Mandant, sondern der Nebenkläger mit dem Brand zu tun hat.“ warf die Anwältin ein.
„Frau Verteidigerin der Nebenkläger hat ein Alibi für den mutmaßlichen Tatzeitpunkt.“ wandte der Richter ein.
„Richtig von seinem ehemaligen Freund Tim, der aber alles andere als glaubwürdig ist und das werden wir noch beweisen.“ entgegnete die Verteidigerin.
„Das könne Sie gerne bei der Befragung des Freundes anbringen. Weitere Fragen an den Angeklagten?“ fragte der Richter in die Runde. Ich wollte eigentlich etwas fragen, aber Helen legte ihre Hand auf meinen Arme und brachte mich aus dem Konzept.
„Fragen an ihn bringen gerade nichts, die haben sich auf eine bestimmte Taktik eingeschossen. Die versuchen einen Freispruch zu erreichen in dem sie mögliche weitere Täter ins Spiel bringen und mit dir haben sie ein wunderbares Bauernopfer. Aber die werden damit schon keinen Erfolg haben, vertrau mir einfach und hinterfrage nicht was ich gleich mache.“ flüsterte sie mir zu.
„Frau Kraus, gibt es ein Problem?“ fragte der Richter.
„Nein Herr Vorsitzender, wir haben uns nur abgestimmt, dass wir keine weiteren Fragen haben.“ erklärte Helen.
„Gut, dann möchte ich jetzt den Nebenkläger vernehmen.“ fuhr er fort und ich konnte noch beobachten wie sich Sarahs Vater neben seine Verteidigerin setzte und ich in die Mitte des Raumes durfte.
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Natürlich kam erst mal meine ganzen Personalien und eine Belerhung darüber, dass ich mich und keine Angehörigen belasten müsste und wenn ich etwas sage, dann müsse es die Wahrheit sein. bevor die eigentliche Befragung anfing. Irgendwie kam ich mir ein bisschen wie auf dem Präsentierteller vor. Immerhin schien der Richter trotz seiner forschen Art bei meinem Ausraster keine vorgenommenen Schlüsse daraus zu ziehen.
„Also Herr Winter…“ find der Richter an, aber es kam mir ziemlich komisch vor so angesprochen zu werden.
„Ähm…sagen sie Jonathan oder Jona, bitte.“ unterbrach ich ihn leise.
„Wie sie wünschen Jonathan.“ fuhr er fort. War zwar nicht weniger seltsam als vorher, aber wenigstens etwas angenehmer. „Die Verteidigung hat ja bereits geäußert, dass sie möglicherweise…“ fuhr er fort, aber ich unterbrach ihn gereizt: „Schwachsinn, völliger Schwachsinn.“
„Wissen was ich noch weniger leiden kann als Zwischenrufe? Unterbrechungen, lassen sie mich also ausreden.“ fuhr er mich wieder einmal harsch an.
„Herr Vorsitzender, ich bitte um ein wenig Nachsicht. Wir sind ebenso wie der Staatsanwalt von der Schuld des Angeklagten überzeugt und es nicht gerade einfach für jemandem in diesem Alter gelassen in so einer Situation umzugehen.“ schaltete sich Helen ein.
„Sie meinen wohl eher jemanden der nicht ganz bei Sinnen ist oder Frau Kollegin?“ fragte die Verteidigerin.
„Der Nebenkläger wirkt für mich jetzt nicht gerade wie von Sinnen Frau Verteidigerin, sparen sie sich also solche Kommentare.“ wies der Richter sie zurecht.
„Herr Vorsitzender ich unterbreche ihr Befragung nur ungern, aber im Sinne meines Mandant würde ich gerne jetzt schon einige Fragen stellen.“ fuhr sie fort.
„Bitte sehr.“ kam der Richter ihrem Anliegen nach.
„Vielen Dank. Also Jonathan sie behaupten, dass meine Theorie Schwachsinn ist. Ich rate jetzt einfach mal, sie behaupten als nächstes kein Motiv zu haben und ich behaupte das hatten sie doch. Herr Vorsitzender die Eltern des Nebenklägers waren vermögend und der Nebenkläger wusste das auch. Das bietet meiner Ansicht nach ein ziemlich gutes Motiv. Das Erbe hätte er sich zwar mit seinem Bruder teilen müssen, aber der ist bei einem tragischen Zwischenfall ebenfalls vor kurzem ums Leben gekommen. Das kam dem Nebenkläger natürlich doppelt gelegen. Die Stieftochter meines Mandanten konnte sich natürlich denken was der Nebenkläger getan hat und hat es nicht mehr ausgehalten und wählte den Freitod.“ trug die Anwältin ihre Theorie vor. Ich war fassungslos, wie man sich so einen Schwachsinn zusammenreimen konnte, gut möglich, dass meine Eltern vermögend waren, aber ich machte mir aus Geld nichts, außerdem war ich gar nicht zu Hause wie hätte ich das tun sollen.
„Der Abschiedsbrief der Stieftochter ihres Mandanten belastet eindeutig ihren Mandanten und der Nebenkläger hat ein Abili.“ warf der Richter ein.
„Ist doch logisch, dass der Abschiedsbrief jemand anderen belastet. Mein Mandant und seine Stieftochter haben sich nicht immer gut verstanden, den Nebenkläger hat sie geliebt, war mit ihm zusammen, aber ist schlussendlich an der Erkenntnis was er getan hat zerbrochen und konnte es dennoch nicht übers Herz bringen mit ihrem Freund abzurechnen, sondern hat die Schuld auf jemand anderen, nämlich meinen Mandanten geschoben.“ argumentierte die Anwältin.
„Und das Alibi Frau Verteidigerin?“ wiederholte sich der Richter.
„Dieser Freund ist schwer drogenabhängig, vermutlich hat der Nebenkläger im irgendwelche Drogen beschafft und dafür ein falsches Alibi erhalten.“ erklärte die Verteidigerin.
„Ich finde die gute Frau Verteidigerin würde wohl besser als Märchenerzählerin taugen.“ warf ich wütend ein. „Klar sie macht ihren Job und versucht den Kopf dieses Mörders aus der Schlinge zu ziehen. Ich würde mich an ihrer Stelle schämen solche wilden Theorien überhaupt in Betracht zu ziehen. Wissen sie eigentlich was das alles für Folgen hatte was ihr Mandant getan hat? Ist ihnen das auch nur im geringsten klar?“ entgegnete ich wütend.
„Ich kann ihren Frust darüber nachvollziehen, wie sie sagen die Verteidigerin macht ihren Job. Also bitte erzählen sie uns was sie an dem Tag gemacht haben.“ forderte mich der Richter auf.
„Also ich glaube das war ein ganz normaler Tag, ich glaube ein Freitag muss das gewesen sein. Ich war vormittags in der Schule, bin dann nach Hause, war am Abend bei meinem Kumpel Tim auf ein Bier verabredet. Aus einem wurden ein paar mehr und dann kam ich nach Hause und da stand schon alles in Flammen oder besser gesagt es wurde gerade gelöscht. Das Bild hat sich im wahrsten Sinne des Wortes in meinem Kopf fest gebrannt. Was danach passiert ist weiß ich nicht mehr so genau. Ich stand neben mir. Dann wenige Wochen später passierte das mit Natalie, das hat mir den Rest gegeben.“ erklärte ich grob den Verlauf wie ich ihn in Erinnerung. Es schmerzte mir diese Bilder wieder ins Gedächtnis zu rufen, ich hatte sie in den hintersten Winkel meines Gedächtnisses verbannt, aus gutem Grund.
„Jona würdest du bitte schildern was dann weiter passiert ist?“ meldete sich Helen plötzlich zu Wort. Ich war ein wenig erstaunt, dass sie mich das fragte, sie wusste doch genau was danach passiert war. Ich erinnerte mich an das was sie mir gerade eben gesagt hatte und atmete einmal tief durch.
Autor: Timo (eingesandt via E-Mail)
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Ist schon eine ganz schön harte Sache, so in einem Prozess als Nebenkläger anzutreten und plötzlich in den Fokus als Beschuldigter zu rutschen. Ich hoffe Jona übersteht diese Tage vor Gericht! Freu mich auf den nächsten Teil.