Jona (61)
Windelgeschichten.org präsentiert: Jona (61)
Kapitel 61: Genugtuung
„Guten Morgen Jona. Konntest du dich von gestern wenigstens halbwegs erholen?“ fragte mich Helen als sie mich in der Küche traf.
„Ich glaube schon. Glaubst du das ist heute der letzte Verhandlungstag oder kommen da noch mehr?“ entgegnete ich ein wenig unruhig.
„Ich weiß es nicht. Ich glaube, aber das wird heute weitaus angenehmer als gestern.“ erklärte Helen, während ich mir einen Kaffee nahm und mich an den Tisch setzte.
„Wie kommst du drauf?“ fragte ich neugierig.
„Die Verteidigerin hat sich gestern richtig schön auf dich eingeschossen und immer wieder die gleichen Argumente gebracht. Ich nenne das Verzweiflungstaktik. Ich würde es an ihrer Stelle genauso machen, aber sie geht zu aggressiv vor. Der Staatsanwalt war absolut entspannt. Du hast ja gemerkt, dass er kaum Fragen gestellt hat und das aus gutem Grund. Die einzige Möglichkeit, wie die Verteidigerin meinen lieben Ex aus der Sache raus bekommt ist ein Freispruch im Zweifel für den Angeklagten.“ erklärte Helen.
„Findest du nicht, dass wir ein bisschen wenig dafür tun um das zu verhindern?“ warf ich ein.
„Naja man hätte vielleicht an der ein oder anderen Stelle ein wenig mehr gegen halten können, aber ich vermute mal, dass der eigentliche Ausgang sich heute entscheidet.“ antwortete Helen.
„Und warum gerade heute?“ wollte ich ungeduldig wissen.
„Die Verteidigerin hat einen elementaren Fehler begannen. Sie hat beantragt Dr. Berger zu vernehmen und weißt du was viel schöner ist? Er wird nach Natalies Mutter aussagen.“ antwortete mir Helen.
„Ich verstehe nicht wie das helfen soll.“ merkte ich an. Ich konnte mir wirklich keinen Reim daraus machen warum das hilfreich war. Nein tatsächlich durfte Dr. Berger mein Inneres vor Gericht nach außen kehren und dem Gericht erklären wie verkorkst ich nach den ganzen Erlebnisse war.
„Ich nehme an, dass Natalies Mutter wie ein Kartenhaus zusammen fällt, wenn sie durch die Aussage von Dr. Berger erfährt wie es dir ergangen ist. Wenn das passiert und sie das Alibi zurück zieht, dann wars das mit im Zweifel für meinen Ex.“ erklärte Helen.
„Du bist dir ziemlich sicher, dass das klappen wird. Wie kommst du darauf?“ fragte ich nervös. Helen konnte sich auch irren und es würde nicht so kommen. Was wäre der schlimmste Fall der eintreten könnte?
„Nennen wir es einfach mal mütterlichen Instinkt, der mich das glauben lässt. Sie hat sich gestern nicht umsonst nicht im Gerichtssaal gezeigt. Heute wird sie auftauchen und es wird auch gefragt warum sie gestern nicht dort war.“ antwortete Helen.
„Aber sie könnte doch auch gar nichts sagen.“ warf ich ein.
„Könnte sie, aber spätestens nach Dr. Bergers Bericht wird von ihrer Seite etwas kommen. Keine Mutter, die ihr Kind verloren hat ist so abgebrüht, dass sie dann nicht aufspringt und etwas sagt. Mein Exmann kann durchaus Menschen manipulieren, aber jede Manipulation kommt irgendwann an einen Punkt, an dem sie nicht mehr funktioniert.“ fuhr Helen fort.
„Und diese Taktik hast du dir mal eben gestern überlegt oder wie?“ bohrte ich ein wenig erstaunt nach.
„Naja da ist schon ein bisschen Improvisation drin, aber die brauchst du halt auch, wenn du nicht weißt was die Verteidigung plant. Ich bin froh, dass du da so fleißig mitgespielt hast, auch wenn Sarahs Vernehmung mir gar nicht passte.“ entgegnete sie mir mit einem gereizten Unterton, für den ich mich glücklicherweise nicht verantwortlich fühlen musste.
„Hat man gemerkt, ich glaube du hast nicht mal so wütend ausgesehen als ich mich absolut unterirdisch daneben bekommen habe.“ stellte ich fest.
„Glaub mir die Unterstellung mit der Zeugenbeeinflussung, die hat mich sowas von in Rage gebracht, eine Frechheit.“ konkretisierte Helen meine Feststellung.
„Ähm…ich weiß nicht ob das hilft, aber Sarah hat mir von dieser Sache erzählt, also schon vor Monaten.“ gestand ich.
„Wann genau?“ fragte Helen plötzlich nach einem Moment des Schweigens.
„Ähm an dem Tag als ich den Abschiedsbrief gelesen habe. Bei diesem langen Gespräch das ich mit ihr geführt habe. Sie hat mir die Ereignisse ihres Koma sehr grob erläutert und mir berichtet was für Ereignisse wirklich dahinter stecken.“ antwortete ich. Helen nickte und nahm die Aussage zur Kenntnis. Ich wusste nicht ob das Nicken ein gutes oder schlechtes Zeichen war.
———————————————————————————————————————————————————
Dieses Mal sollte ich Sarah wecken. Wir hatten noch genug Zeit bis wieder los mussten, also konnten wir uns auch noch ein bisschen Zeit lassen. Ich kam wieder in unser Kellerdomizil und tatsächlich war Sarah noch am Schlafen. Ich schob langsam die Verriegelung des Gitterbetts auf und stieg wieder in das Gitterbett hinein. Ich war mir unsicher wie ich Sarah genau wecken sollte und entschied mich dann für eine ausnahmsweise sehr gemeine Art und fing an sie zu kitzeln. Schlagartig riss Sarah die Augen auf und fing wild an herum zu strampeln. Ich hielt kurz inne, da ich nicht wusste, ob ich weiter machen sollte oder nicht.
„Du brauchst nicht aufhören, das hat Spaß gemacht.“ meinte Sarah plötzlich.
„Ernsthaft?“ fragte ich verblüfft.
„Klar. Ich bin zwar kitzlig, aber was soll schlimmstenfalls passieren?“ entgegnete sie mir.
„Ich weiß nicht.“ antwortete ich gekünstelt und fing wieder an sie zu kitzeln. Ich stoppte erst nach gut einer Minute. Sarah schnaubte und brauchte einen Moment um wieder zu Atem zu kommen.
„Puh. Jetzt bin ich wach. Guten Morgen übrigens.“ sagte sie schließlich noch etwas außer Atem und gab mir einen Kuss.
„Ich hoffe das war nicht so wild.“ warf ich ein.
„Es war schon wild, aber hat mich wach gemacht und Spaß hat es auch gemacht. Der Rest des Tages wird eher weniger spaßig hab ich so das Gefühl.“ kommentierte sie meinen Einwurf.
„Abwarten. Deine Mutter hat einen Plan und das wird schon funktionieren.“ versuchte ich sie zu beruhigen.
„Dann will ich mal hoffen, dass der Plan aufgeht.“ entgegnete sie unsicher.
„Wird schon. So und jetzt husch husch auf zum Frühstück, sonst musst du hungrig los.“ forderte ich sie auf.
——————————————————————————————————————————————-
Es war inzwischen schon nach 14:00 und der Richter ließ immer noch auf sich warten. Die Verteidigern unterhielt sich noch mit Sarahs Vater und sah ähnlich wie gestern sehr zuversichtlich aus. Na, wenn die sich nicht täuschte. Ich war echt gespannt was Natalies Mutter von sich geben würde. Ich lehnte meinen Kopf ein wenig nach rechts zu Helen.
„Sag mal ist das in Ordnung, wenn du heute einfach mal mehr übernimmst? Nach gestern habe ich irgendwie keine Lust bei jeder Frage mit der Furie dahinten aneinander zu geraten.“ fragte ich und deutete zur Verdeutlichung au die Verteidigerin.
„Dafür bin ich da. Ich wollte dich gestern nicht bevormunden oder ähnliches, deshalb hab ich mich zurück gehalten. Ich kümmere mich schon um die Furie wie du sie nennst.“ meinte Helen gelassen. Wenigstens würde ich heute nicht mehr im Kreuzverhör sitzen und alle möglichen Anschuldigungen hören müssen. Ich hörte wie sich die Türe öffnete und wieder der Richter mit seinen Begleitern den Saal betrat. Keine Minute später eröffnete er auch schon wieder die Verhandlung:
„Guten Tag. Wir setzen die gestern unterbrochene Verhandlung gegen den Angeklagten Karl Kraus wegen Mordes fort. Die Zeugin Silvia Kraus bitte.“ Das ging jetzt aber schnell dachte ich mir. Ohne lange Erklärungen, Anträge und ähnliches. Wäre das mal gestern so gewesen. Die große Türe zum Saal öffnete ich und ich sah seit langem nochmals Natalies Mutter. Sie blieb kurz wie angewurzelt stehen als sie mich gesehen hatte. Ich hatte einen Moment das Gefühl, dass sie so aussah als ob sie einen Geist oder eine böse Erinnerung gesehen hatte. Möglicherweise war es ihr schlechtes Gewissen was sie plagte und sie gerade nicht zur Ruhe kommen ließ. Nach diesem kurzen Innehalten, ging sie jedoch zielstrebig weiter und kam in der Mitte des Saals an und setzte sich.
„Frau Kraus, sie heißen Silvia mit Vornamen, sind 45, Hausfrau, verheiratet und leben mit ihrem Mann zusammen. Soweit richtig?“ fragte der Richter. Natalies Mutter nickte zustimmend. „Frau Kraus ich werde sie jetzt als Zeugin vernehmen. Sie sind die Ehefrau des Angeklagten, damit haben sie ein Zeugnisverweigerungsrecht und müssen nicht aussagen. Wenn sie aussagen, dann bitte wahrheitsgemäß. Sie müssen außerdem nicht sich selbst oder andere nahe Angehörige belasten. Wollen sie aussagen?“ fragte er. Ich sah wie sie kurz zu ihrem Mann sah und dann wieder zum Richter.
„Ich glaube nicht.“ gab sie kurz zurück.
„Das ist ihr gutes Recht, aber eine Frage müssen sie sich dennoch gefallen lassen. Sie waren gestern bereits geladen und waren nicht anwesend sondern sind während sie eigentlich hier ihre Aussage machen sollten in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen. Wie kam es dazu?“ fragte der Richter.
„Also…ich…ich war mir nicht sicher ob ich den Herd zu Hause angelassen habe. Meine Kinder waren in der Schule und bevor das Haus abbrennt, wollte ich schnell nachsehen und war wegen der Aussage wohl abgelenkt und habe an dieser Kreuzung nicht aufgepasst.“ antwortete sie.
„Ja so ein Hausbrand ist eine schlimme Sache. Ein Zufall, dass es gerade heute auch um einen solchen geht. Da sie nichts sagen wollen, nehmen sie hinten Platz.“ entgegnete der Richter. War das eine bewusste Anspielung um noch etwas aus Natalies Mutter herauszukitzeln?
„Gut dann hören wir uns den letzten Zeugen an, der auf Wunsch der Verteidigung geladen wurde. Dr. Hans Berger bitte.“ sagte der Richter nachdem sich Natalies Mutter neben Sarah gesetzt hatte. Die Türe öffnete sich erneut und Dr. Berger kam herein. Anders als sonst bewegte er sich ziemlich schnell zur Mitte des Gerichtssaals und setzte sich.
„Also Dr. Berger. Sie wurden gestern sehr kurzfristig von der Geschäftsstelle geladen, ich bitte daher zunächst um ihre Personalien.“ begrüßte ihn der Richter.
„Gerne. Mein Name ist Hans Berger, ich bin 55 und bin selbstständiger Psychologe im hiesigen Gerichtsbezirk.“ stellte er sich vor.
„Mit dem Angeklagten sind sie weder verwandt noch verschwägert?“ fragte der Richter.
„Nein.“ antwortete Dr. Berger kurz.
„Der Nebenkläger befindet sich laut meinem Kenntnisstand bei ihnen in Behandlung. Die Verteidigung hat gestern bereits die Möglichkeit dargestellt, dass nicht der Angeklagte, sondern der Nebenkläger möglicherweise das Feuer gelegt haben könnte, bei dem seine Eltern umgekommen sind. Der Nebenkläger sowie Frau Kraus haben sich bereits gestern in ihrer Abwesenheit dazu bereiterklärt sie von der ärztlichen Schweigepflicht zu befreien. Da sie auf Wunsch der Verteidigung geladen wurden, bitte Frau Verteidigerin ihr Zeuge.“ fasste der Richter grob die Geschehnisse von gestern zusammen.
„Danke Herr Vorsitzender. Dr. Berger würden sie uns bitte erklären warum der Nebenkläger genau bei ihnen in Behandlung ist.“ forderte die Verteidigerin ihn auf.
„Nun, vereinfacht gesagt liegen bei Jona schwere Depressionen vor.“ antwortete Dr. Berger.
„Wie äußern sich diese Depressionen?“ fragte die Verteidigerin weiter.
„Dafür müsste ich ein wenig ausholen. Jona ist etwa seit September bei mir in Behandlung. Die ersten Termine hat sein Bruder noch vereinbart. Die Depressionen haben sich zwischen dem Tod seiner Eltern und dem seiner ehemaligen Freundin und unserem ersten Termin hauptsächlich dadurch bemerkbar gemacht, dass Jona zum einen selbstverletzendes Verhalten wie etwa Schnitte an den Armen vollzogen hat, außerdem war er in sich komplett verschlossen und es war gerade zu ein Kampf mit ihm überhaupt zu arbeiten.“ erklärte Dr. Berger.
„Diese Verschlossenheit. Woher rührte die?“ bohrte die Verteidigerin nach.
„Schwierig zu sagen. Depressionen wirken sich bei jedem Menschen anders aus. Jona hatte innerlich mit seinem Leben abgeschlossen und wollte demnach auch nicht mehr am Leben teilhaben, daher hat er sich einfach so gut es ging abgeschottet und niemanden an sich herangelassen.“ schilderte Dr. Berger seine Ansicht.
„Ist es möglich, dass diese Abschottung auch aufgrund von Schuldgefühlen gemacht wurde?“ fragte die Anwältin weiter.
„Möglich ist das durchaus, aber in Jonas Fall eigentlich ausgeschlossen. Er war anfangs schon auf einem guten Weg gegen die Depressionen, aber dann passierte das mit seinem Bruder.“ antwortete Dr. Berger.
„Können sie dem Gericht einmal schildern wie genau der Nebenkläger in die, sagen wir einmal Obhut von Frau Kraus gekommen ist?“ unterbrach der Richter die Befragung der Verteidigerin. Ich merkte, dass der Richter immer wieder mit dem Blick zwischen Dr. Berger und jemand anderem hin und her wanderte. Ich versuchte seinem Blick zu folgen. Tatsächlich er beobachtete die Reaktion von Natalies Mutter. Sie wirkte schon ein wenig blasser als gerade eben. Anscheinend passierte genau das was Helen vermutet hatte. Sie würde auf kurz oder lang einknicken.
„Das ist eine etwas kompliziertere Geschichte. Ich bin selbst schon länger ein guter Freund der Familie Kraus beziehungsweise von Frau Kraus. Ihre Tochter Sarah hatte vor etwa einem halben Jahr einen Verkehrsunfall und lag daraufhin im Koma. Frau Kraus hat mich darum gebeten ihre Tochter einmal sagen wir mal ein wenig zu untersuchen um festzustellen ob bleibende Schäden durch das Koma verursacht wurden. An einem Tag ist meiner Sprechstundenhilfe etwas blödes passiert und sie hat die Termine von Sarah und Jona zusammengelegt. Ich glaube die beiden sind nach dem Termin, den Sarah Jona überlassen hat, zusammen aus der Praxis. So ist zwischen den beiden zumindest eine gewisse Art von Freundschaft zu Stande gekommen.“ berichtet Dr. Berger.
„Ich verstehe nicht warum das jetzt wichtig ist?“ unterbrach die Verteidigerin seinen Bericht.
„Frau Anwältin das ganze passierte zu einem Zeitpunkt als Jonas Bruder noch lebte, also genau zu dem Zeitpunkt an dem Jona sich noch vollkommen von der Welt abgeschottet hat. Die Tochter ihres Mandanten hat warum auch immer einen sehr positiven Aspekt zu seiner anfänglichen Entwicklung beigetragen.“ erwiderte Dr. Berger ihr.
„Gut die Tochter des Angeklagten hat also zur positiven Entwicklung beigetragen. Wie kam es jetzt dazu, dass der Nebenkläger bei Frau Kraus eingezogen ist?“ fragte der Richter nochmals.
„Entschuldigung ich musste diese Vorgeschichte dazu erzählen sonst verstehen sie den Zusammenhang schlechter. Also die beiden, also Sarah und Jona, haben sich würde ich einmal sagen ziemlich gut verstanden, also von Anfang an meine ich. An Jonas achtzehntem Geburtstag hat Sarah sich selbst zu ihm nach Hause eingeladen und an dem Tag passierte auch das mit seinem Bruder. Sarah hat Jona an dem Tag im Badezimmer gefunden nachdem er sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Trotz des Schocks, den sie erlitten hat, hat sie geistesgegenwärtig reagiert und das ist der Grund warum Jona überhaupt noch lebt. Frau Kraus hat mich natürlich nach diesem doch sehr schockierenden Erlebnis darum gebeten nochmals mit Sarah zu sprechen, ich denke jeder kann sich denken warum. In diesem Gespräch hat Sarah klar zum Ausdruck gebracht, dass sie Jona irgendwie helfen möchte und mich gelöchert was es für Möglichkeiten gibt. Eigentlich war ich der festen Überzeugung, dass Jona erst mal in eine Klinik oder eine Wohngruppe sollte also zumindest wenn er überlebt.“ antwortete Dr. Berger. Ich schaute hin und wieder einmal zu Natalies Mutter herüber. Die Farbe war immer noch nicht in ihr Gesicht zurückgekehrt. Gut weißer werden konnte sie kaum noch, aber ich hatte das Gefühl, dass sich mit jedem bisschen was Dr. Berger erzählte irgendetwas mit ihr passierte.
„Der Nebenkläger ist dann aber entgegen ihrer Überzeugung nicht in eine Klinik oder eine Wohngruppe gekommen, wieso nicht?“ fragte der Richter.
„Nun es dauerte eine Weile, aber dann wachte er tatsächlich auf und wurde von mir vor die Wahl gestellt. Frau Kraus hat den ganzen rechtlichen Teil geklärt und die Möglichkeit gefunden, dass man ihn auch unter Betreuung stellen könnte und sie hat sich auch dazu bereit erklärt das zu übernehmen. Jona hatte also die Wahl zwischen Klinik, Wohngruppe und der Betreuung von Frau Kraus natürlich einschließlich einer entsprechenden Fortsetzung seiner Therapie versteht sich. Er hat die dritte Alternative gewählt und wenn ich das sagen darf, war diese Entscheidung bestimmt nicht schlecht.“ erläuterte Dr. Berger.
„Inwiefern nicht schlecht?“ fragte Helen plötzlich.
„Nun es ist so, dass ich seit dem Einzug bei Frau Kraus eine stetige Verbesserung feststelle. Ich würde sogar soweit gehen, dass ich behaupte, dass Jona inzwischen ziemlich stabil ist und man sich über suizidale Gedanken keinerlei Gedanken mehr machen muss.“ beantwortete Dr. Berger die Frage.
„Haben sie aus den Gesprächen mit dem Nebenkläger irgendwie heraushören können oder interpretieren können, dass er Schuld an dem Feuer haben könnte, das seine Familie getötet hat?“ fragte die Verteidigerin plötzlich.
„Also anfangs gingen wir alle noch von einem Unfall aus. Ich würde sagen in gewisser Weise hat Jona sich bestimmt schuldig gefühlt, aber eher aufgrund der Tatsache, dass er glaubte seine Anwesenheit zu Hause hätte seine Eltern retten können. Das es sich anscheinend um Brandstiftung handelt, wurde erst später klar.“ entgegnete er.
„Als dieser Brief hier auftauchte.“ warf der Richter ein und hielt den Brief hoch.
„Genau. Diesen Brief hat Jona in meiner Praxis gelesen. An dem Tag an dem er ihn erhalten hat, ist er vorher nicht dazu gekommen ihn zu lesen. Im Nachhinein bin ich ziemlich froh, dass er den Brief in meiner Praxis gelesen hat. Es war ein ziemlicher Schock für ihn.“ berichtete Dr. Berger.
„Sie haben den Brief ebenfalls gelesen und daraufhin die Polizei verständigt richtig?“ merkte Helen an.
„Ja, ich hielt das in dem Moment für das einzig sinnvolle. Damals war uns noch nicht klar, dass es sich bei dem Stiefvater von Jonas Freundin Natalie und bei Sarahs Vater um ein und die selbe Person handelt.“ meinte Dr. Berger.
„Halten sie als Experte den Brief für glaubwürdig Dr. Berger?“ fragte der Richter.
„Das ist natürlich immer schwierig zu sagen, wenn man den Schreiber nicht persönlich kennt, aber ich wage zu bezweifeln, dass eine Siebzehnjährige in der Lage ist sich diese grausamen Tatsachen auszudenken, deshalb halte ich den Brief für authentisch.“ antwortete Dr. Berger.
„Dr. Berger, ist es nicht möglich, dass die Stieftochter meines Mandanten ihren Exfreund, mit dem es sowieso nicht mehr so gut lief, mit diesem Brief sagen wollte, dass sie weiß was er getan hat, aber ihn wegen der immer noch vorhandenen Gefühle für ihn einfach nicht anzeigen konnte und dass sie sich wegen dieser extremen Gefühlslage in die der Nebenkläger sie gebracht hat schlussendlich selbst umgebracht hat. Ist das möglich?“ fragte die Verteidigerin energisch.
„NEIN IST ES NICHT VERDAMMT!“ war plötzlich ein lauter Schrei zu ertönen. Ich hatte das Gefühl alle, aber auch wirklich alle blickten in die Richtung des Schreis. Ich merkte ein leichtes Lächeln, das sich auf meinen Lippen bildete. Helens Taktik, war tatsächlich aufgegangen, zumindest dahin gehend, dass Natalies Mutter durch den Bericht von Dr. Berger inzwischen derart mürbe war, dass sie es nicht mehr aushielt still dazusitzen und sich die an den Haaren herbei gezogenen Anschuldigungen der Verteidigerin weiter anzuhören.
„Sei still verdammt.“ pampte sie Sarahs Vater von der Seite an. Es war zwar kaum zu hören gewesen, aber der Richter hatte es definitiv gehört.
„Frau Kraus, möchten sie uns vielleicht doch noch etwas sagen?“ fragte er vorsichtig.
„Möchte sie ganz bestimmt nicht Herr Richter!“ fauchte Sarahs Vater den Richter an.
„Herr Kraus, ich kann die Vernehmung ihrer Frau auch gerne in ihrer Abwesenheit vornehmen, wenn ihrer Frau das lieber ist. Frau Kraus wir alle sehen wie sie mit dem Bericht von Dr. Berger immer mehr gelitten haben, wenn sie irgendetwas wissen, dann sollten sie uns das sagen.“ fuhr er ruhig fort. Inzwischen liefen Tränen ihr Gesicht herunter, aber sie nickte eifrig.
„Gut. Danke Dr. Berger, sie nehmen am besten hinten Platz. Frau Kraus bitte kommen sie nochmals nach vorne.“ bat er Natalies Mutter. Ich hatte das Gefühl sie würde sich regelrecht das kurze Stück zwischen ihrem Platz und dem anderen Stuhl abkämpfen.
„Also Frau Kraus. Sie haben ihrem Mann für die Tatzeit ja ein Alibi gegeben. Möchten sie hierzu etwas sagen?“ fragte er Richter sie nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte.
„Er hat mir gesagt er wars nicht. Ich hab ihm geglaubt. Ich weiß nicht ob er in der Nacht zu Hause war oder nicht. Ich habe tief und fest geschlafen.“ gestand sie immer noch weinend. Irgendwie hatte ich Mitleid mit ihr.
„Der Abschiedsbrief, den kennen sie ja bereits, der stammt eindeutig von ihrer Tochter. Glauben sie die Anschuldigungen ihrer Tochter sind wahr?“ fragte er vorsichtig.
„Ich…ich…weiß es nicht. Natalie…sie…war so verschlossen bevor sie das getan hat. Ich dachte es läge an Jona und an dem was seinen Eltern passiert ist. Sie ist mit meinem zweiten Mann nie gut ausgekommen, aber irgendwo ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie in ihrem Brief lügt und gleichzeitig wollte ich auch nicht wahrhaben, dass er das alles gemacht hat.“ erklärte sie unter Tränen.
„Mensch Silvia ich hab nichts gemacht.“ warf Sarahs Vater ein.
„Herr Richter, ich weiß nicht ob er die Wahrheit sagt, aber eines sage ich ihnen definitiv Jona kann das nicht gewesen sein und Natalie hat das bestimmt nicht ohne Grund geschrieben.“ versicherte Natalies Mutter.
„Danke. Weitere Fragen an die Zeugin?“ fragte der Richter. Alle verneinten. „Dann nehmen sie bitte wieder hinten Platz.“ forderte er sie auf.
„Weitere Anträge?“ fragte der Richter als sich Natalies Mutter gesetzt hatte. Wieder verneinten alle.
„Dann schließen wir die Verhandlung, Herr Staatsanwalt bitte.“ fuhr er fort.
„Ich denke in diesen doch zwei sehr wilden Verhandlungstagen ist sehr eindeutig klar geworden, dass der Angeklagte zurecht auf der Anklagebank sitzt. Es ist inzwischen definitiv klar, dass das Elternhaus des Nebenklägers in Brand gesteckt wurde. Der Nebenkläger war es nicht, auch wenn die Verteidigung mit allen möglichen Motiven und unglaubwürdigen Zeugenaussagen versucht den Nebenkläger als möglichen Täter ins Spiel zu bringen so hinkt dieser Versuch doch mehr als eindeutig, nicht zuletzt aufgrund der Aussage von Dr. Berger sowie der Ehefrau des Angeklagten. Der Abschiedsbrief der Stieftochter des Angeklagten belastet ganz eindeutig den Angeklagten mit der Tat und ist absolut glaubhaft und schlüssig. Der Angeklagte ist damit wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Ich beantrage zusätzlich die besondere schwere der Schuld festzustellen.“ schloss der Staatsanwalt seinen Antrag.
„Danke Herr Staatsanwalt. Möchte die Nebenklage etwas ergänzen?“ fragte er an mich und Helen gerichtet. Ich schaute Helen kurz an, sie nickte mir zu.
„Ich will einfach nur, dass der Richtige für das bestraft wird.“ entgegnete ich kurz.
„Gut. Frau Verteidigerin.“ forderte er die Verteidigerin auf zu sprechen.
„Danke Herr Vorsitzender. So klar wie die Staatsanwaltschaft das hier darstellt, ist alles überhaupt nicht. Wenn wir uns mal anschauen wen wir hier alles sitzen haben zum einen die Exfrau meines Mandanten als Vertreterin der Nebenklage, die Tochter des Angeklagten und den Nebenkläger, der ein durchaus plausibles Motiv für die Tat hat. Da kommen begründete Zweifel auf, dass hier, so wie der Nebenkläger es gerade eben gesagt hat der richtige auf der Anklagebank sitzt. Die Ehefrau meines Mandanten weiß nicht ob er zur Tatzeit zu Hause war, wir wissen auch nicht ob der Nebenkläger zum Tatzeitpunkt eben nicht zu Hause war, denn die Aussage des Freundes konnte er gestern nicht mehr sicher bestätigen und die Glaubwürdigkeit der Aussage wage ich sowieso zu bezweifeln. Was bleibt an belastenden Argumenten? Richtig der Abschiedsbrief, den die Stieftochter meines Mandanten geschrieben hat, von dem die Mutter aber auch nicht sagen kann ob das was die Tochter dort schildert tatsächlich passiert ist. Ich finde das sind ziemlich viele villeichts und wenns, daher beantragen wir Freispruch.“ trug die Verteidigerin vor.
„Herr Kraus, sie haben das letzte Wort.“ sagte der Richter.
„Ich hab alles gesagt.“ entgegnete er und schaute mich ganz kurz finster an. Blanker Hass war in diesem Blick zu erkennen.
„Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück.“ sagte der Richter und verließ mit seinen Mitankömmlingen den Raum.
Es dauerte eine ganze Weile bis alle wieder in den Gerichtssaal kamen. Es war absolut gar nicht einzuschätzen wie sie entscheiden würden. Ja Helens Taktik war aufgegangen, aber es war nicht sehr informativ gewesen, ich hoffte dennoch es würde auf eine Verurteilung hinauslaufen. Nach etwa einer Stunde öffnete sich wieder die Türe und der Richter betrat wieder den Raum. Wieder einmal mussten wir aufstehen.
„Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil. Der Angeklagte ist schuldig des zweifachen Mordes und des versuchten Mordes und wird daher zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem wird die besondere schwere der Schuld festgestellt, damit kann der Angeklagte nicht nach 15 Jahren vorzeitig aus der Haft erlassen werden. Bitte setzen sie sich.“ verlas der Richter das Urteil.
„Herr Kraus das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass sie die Tat begannen haben. Auch wenn ihre Verteidigerin durchaus schlüssige Argumente gebracht hat, die auch für den Nebenkläger als Täter sprechen könnten, geht die Theorie spätestens ab dem Punkt an dem der Nebenkläger versucht seinem Leben ein Ende zu setzen obwohl er die komplette Erbschaft seiner Eltern zur Verfügung hat nicht mehr auf. Wenn es dem Nebenkläger tatsächlich um das Geld gegangen wäre, dann hätte er sich nach dem Tod seines Bruders mit dem Geld ein schönes Leben gemacht, das ist aber nicht der Fall. Außerdem belastet der Abschiedsbrief ihrer Stieftochter ganz eindeutig sie. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass in dem Brief irgendeine versteckte Botschaft enthalten ist, die den Nebenkläger belasten soll. Da der Nebenkläger damit vollkommen als Täter ausscheidet, bleiben damit nur noch sie als Täter übrig. Gegen das Urteil gibt es das Rechtsmittel der Berufung oder Revision, einzulegen binnen einer Woche, ihre Verteidigerin wird sie dazu beraten. Die Verhandlung ist geschlossen.“ sagte er. Ich schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Es war vorbei, es war endlich vorbei.
Autor: Timo (eingesandt via E-Mail)
Diese Geschichte darf nicht kopiert werden.
Suche
Weitere Teile dieser Geschichte
- Jona (70)
- Jona (69)
- Jona (68)
- Jona (67)
- Jona (66)
- Jona (65)
- Jona (64)
- Jona (63)
- Jona (62)
- Jona (61)
- Jona (60)
- Jona (59)
- Jona (58)
- Jona (57)
- Jona (56)
- Jona (55)
- Jona (54)
- Jona (53)
- Jona (52)
- Jona (51)
- Jona (50)
- Jona (49)
- Jona (48)
- Jona (47)
- Jona (46)
- Jona (45)
- Jona (44)
- Jona (43)
- Jona (42)
- Jona (41)
- Jona (40)
- Jona (39)
- Jona (38)
- Jona (37)
- Jona (36)
- Jona (35)
- Jona (34)
- Jona (33)
- Jona (32)
- Jona (31)
- Jona (30)
- Jona (29)
- Jona (28)
- Jona (27)
- Jona (26)
- Jona (25)
- Jona (24)
- Jona (23)
- Jona (22)
- Jona (21)
- Jona (20)
- Jona (19)
- Jona (18)
- Jona (17)
- Jona (16)
- Jona (15)
- Jona (14)
- Jona (13)
- Jona (12)
- Jona (11)
- Jona (10)
- Jona (9)
- Jona (8)
- Jona (7)
- Jona (6)
- Jona (5)
- Jona (4)
- Jona (3)
- Jona (2)
- Jona
Archiv
Neueste Beiträge
Neueste Kommentare
- Joerg Zach bei Besuch bei der Tante
- nappybaby bei Florians Schatten (2)
- Tobi bei Florians Schatten (4)
- Michael Two bei Zwischen gestern und Morgen (21)
- Michael Two bei Florians Schatten (4)
- Joerg Zach bei Niko (4)
- Phil bei Florians Schatten (4)
- Jojo bei Florians Schatten (4)
Ist ein harte harter Weg gewesen bis hierhin. Nun kann ich nur noch hoffen, das Jona für Sich auch zur Ruhe kommen kann nach all dem Stress. Bin schon auf den nächsten Teil gespannt.
Das wird er schon. Die turbulenten Ereignisse sind ja jetzt vorbei. Es kommt, wenn man so will „nur“ noch milder Ausklang, denn wir bewegen uns schon in den letzten 10 Kapiteln der Geschichte, aber ich will noch nicht zu viel verraten.
Wow. Das war eine Schlammschlacht die Verhandlung!