Schicksalhafter Ferienbeginn (15)
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Kapitel 36: Gedanken im Nebel
Die Musik war inzwischen verstummt. Sie hatte den Akku der Kopfhörer wohl doch nicht ausreichend geladen. Sarah lag immer noch mit den Händen unter ihrem Kopf auf ihrem Bett und hatte die Augen geschlossen. Sie wollte weiter den deprimierenden Song hören, einfach rauf und runter, in Dauerschleife. Sie nahm die Kopfhörer vom Kopf und legte sie neben ihr Handy auf ihren Nachttisch und griff im nächsten Moment nach ihrem Handy. Mit einem Auto schaute sie auf das Display. Es blieb schwarz. „Ach was soll denn der Scheiß.“ rief sie gefrustet in den Raum. „Warum verreckt mir jetzt jegliche Elektronik? Ist doch alles gerade scheiße genug!“. Sie drehte sich auf die rechte Seite und suchte im dunklen nach ihrem Handyladekabel. Aber es wollte und wollte ihr einfach nicht in die Hände kommen. „Ach komm schon du Mistvieh, ich will doch einfach nur Musik hören.“. Frustriert drehte sie sich wieder auf den Rücken. Wenn das Handy nicht wollte und die Kopfhörer ebenfalls nicht wollten, dann halt eben der Computer. Sie richtete sich auf und ging die wenigen Schritte zu ihrem Schreibtisch. Ihr Computer war anscheinend im Ruhemodus. Hatte sie den unnötigen Modus nicht deaktiviert? Ach das war bestimmt das letzte Update, das den wieder aktiviert hat. Sie drückte die Leertaste. Keine Reaktion. Sie drückte den Powerknopf, ebenfalls keine Reaktion. „Was zum Geier?“ fragte sie sich. Sie die langsam einsetzende Dunkelheit machten es schwierig etwas zu erkennen, also tastete sie ob das Stromkabel richtig im Laptop steckte. Alles schien ordnungsgemäß verkabelt zu sein. Warum tat keins ihrer Geräte seinen Dienst. Sie ging zu ihrer Zimmertüre und schaltete das Licht ein. Das Licht an der Zimmerdecke tat seinen Dienst. Sarah schaute in den nun hellen Raum. Es war wieder ihr altes Zimmer mit dem Puppenhaus und allem anderen. Ihr Handy, ihr Computer und alles andere waren auf magische Weise verschwunden. Sie warf sich erschöpft gegen die Zimmertüre und ließ sich langsam daran heruntergleiten. Erstaunlich schnell erreichte sie den Boden, schneller als gedacht. Sie schaute auf ihre Beine. Sie bemerkte schnell, dass sie anscheinend wieder ihr jüngeres Ich verkörperte, als sie die kurzen Beine bemerkte. Ihre Gedanken kreisten wild umher. Sie war sich unsicher ob sie wissen wollte was ihr Unterbewusstsein für sie bereit hielt oder ob sie einfach nur aufwachen wollte. Sie schloss die Augen und wartete was zuerst passieren würde.
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Das Essen mit Sandras Eltern war außer den allgemeinen Fragen, die sich an Kathi richteten recht ereignislos geblieben. Anscheinend, so hatte Kathi das Gefühl, versuchten alle das Thema Sandra und sie zu umschiffen. Auch wenn es keine Probleme verursachte, war es Sabine und Jochen irgendwie unangenehm oder einfach Neuland, deshalb mieden sie es wahrscheinlich. Kathi schaute sich ein wenig im Raum um und suchte eine Uhr. Über der Türe, die zur Küche führte, fand sie schließlich eine Uhr. 20:15 wurde dort angezeigt, all zu viel Zeit hatte sie ja nicht mehr mit Sandra.
„Ach Kathi.“ hörte Kathi plötzlich Sabine sagen und wurde damit jäh aus ihren Gedanken gerissen.
„Ja, Sabine? Ist was?“ fragte sie zurück.
„Deine Tante hat vorhin angerufen und mich darum gebeten dich zurückzubringen. Bis 21:00 soll ich dich wieder abgeliefert haben.“ erklärte sie.
„Ähm…ist es denn in Ordnung, wenn wir noch ein bisschen nach oben gehen?“ fragte Sandra unsicher.
„Macht ihr nur. Ich hoffe es hat euch geschmeckt?“ fragte Sabine weiter.
„Klar sicher.“ gab Kathi freudig zurück.
„Ja war echt super.“ ergänzte Sandra. „Dann mal auf Kathi.“ drängte Sandra Kathi.
„Denkt daran, dass ihr nicht viel Zeit habt.“ rief Sabine den beiden nach bevor sie im oberen Stockwerk verschwanden.
Kurze Zeit später saßen die beiden auf dem Bett und Sandra lehnte ihren Kopf an Kathis Schulter.
„Du Sandra?“ fragte Kathi plötzlich.
„Ja?“ entgegnete Sandra.
„Glaubst du deine Eltern haben wirklich keine Probleme damit, dass wir zusammen sind?“ fragte sie.
„Wie kommst du jetzt darauf?“ bohrte Sandra nach.
„Naja. Mich wundert irgendwie, dass das nicht wirklich zur Sprache gekommen ist. Die scheinen das Thema bewusst zu meiden oder meine ich das nur?“ erklärte Kathi.
„Ach du machst dir da jetzt zu viele Gedanken. Vielleicht ist es nur der sagen wir mal erste Schock. Das gibt sich noch. Hast du dich etwa unwohl gefühlt oder so was?“ Sie hob den Kopf von Schulter und schaute ihr tief in die Augen.
„Ne das nicht, aber es kam mir einfach nur so in den Sinn.“ wiegelte Kathi ab. „Lass uns noch ein bisschen im Bett rumliegen, bevor ich weg muss.“ schlug Kathi schließlich vor.
Ein Vorschlag der Sandra gefiel. Kathi wollte sich gerade hinlegen, da kam Sandra eine Idee. Sie hob ihre Arme und beförderte Kathis Oberkörper mit einer geschwinden Bewegung auf das Bett und ließ dann ihre Lippen auf den Lippen ihrer Freundin landen.
„So in etwa?“ frage sie lachend.
Mit einer solchen Spontanität hätte Kathi nicht gerechnet. Sie fing ebenfalls an zu lachen. Beide lagen sich noch eine Weile in den Armen, bis schließlich ein Klopfen an der Türe zu hören war.
„Mädels, es ist 20:45. Ich bringe Kathi jetzt nach Hause.“ rief Sandras Mutter am anderen Ende der Türe.
„Ach verdammt.“ seufzte Kathi. „Willst du nicht mitfahren?“ fragte sie plötzlich.
„Klar, warum bin ich nicht auf die Idee gekommen.“ antwortete Sandra. „Mal schauen was meine Mutter dazu sagt.“
Beide erhoben sich von Sandras Bett und verließen Sandras Zimmer in Richtung Wohnzimmer.
Unten angekommen wartete auch schon Sandras Mutter auf die beiden.
„Ähm, Mama. Kann ich mitkommen?“ fragte Sandra.
„Eigentlich wollte ich noch ein bisschen mit Helen quatschen. Das passt mir irgendwie gar nicht. Morgen ist Schule.“ ermahnte sie ihre Mutter.
„Och Mama. Als ob die letzten Schuletage jetzt noch so viel ausmachen würden. Theoretisch könnte ich auch zu Hause bleiben. Ändert sowieso nichts mehr an den Noten und über die kannst du dich jetzt echt nicht beschweren.“ entgegnete Sandra trotzig.
„Das sind ja mal ganz neue Töne von dir. Da scheint dir, aber jemand ganz gehörig den Kopf zu verdrehen?“ gab ihre Mutter zurück.
Kathi schaute zu Sandra, die augenblicklich rot wurde wie ein Tomate. Sandra war nicht klar was sie jetzt sagen sollte. Sie konnte ja schlecht sagen, dass es nicht so war.
„Ja und genau deshalb will ich mitkommen.“ brachte Sandra kleinlaut hervor.
Sabine seufzte und schüttelte den Kopf. „Sei froh, dass bald sowieso Ferien sind und man sich wirklich nicht über deine Noten beklagen kann und jetzt hopp ins Auto mit euch.“ sagte sie während sie schon im Begriff war in Richtung Haustüre zu gehen. Die beiden Mädchen folgten ihr mit etwas Abstand.
Wenig später hatten die drei im Auto Platz genommen und Sabine startete den Motor.
„Sag mal Mama, warum willst du denn noch mit Helen quatschen?“ fragte Sandra neugierig.
„Hmmmm…Sarahs Vater hat sich wohl wie der letzte Idiot aufgeführt, mehr weiß ich auch nicht.“ entgegnete ihre Mutter.
„Na super, dann will ich echt nicht wissen wie Sarah drauf ist, wenn Helen schon meint bei uns deswegen anzurufen.“ warf Sandra in den Raum.
„Ob und wie es Sarah geht, kann ich dir nicht sagen, da kann dir Helen bestimmt mehr sagen.“ ergänzte ihre Mutter.
„Mein Onkel scheint noch nie wirklich einfach gewesen zu sein, das hat meine Mutter oft genug erwähnt.“ schaltete sich Kathi ein.
„Ja einfach war er nie das stimmt, aber ich glaube jetzt hat er es übertrieben, zumindest wenn du mich fragst Kathi.“ erklärte Sabine.
„Warum was hat er denn getan?“ fragte Kathi neugierig.
„Ach…das fragst du besser deine Tante oder Sarah. So da wären wir auch schon Casa de Kraus, alle aussteigen bitte.“ sagte Sabine, während sie das Auto in der Einfahrt von Sarahs Wohnhaus parkte.
Die drei verließen das Auto und gingen zur Türe und klingelten. Wenige Augenblicke später öffnete Sarahs Mutter die Türe. „Hallo zusammen. Zu dritt?“ fragte sie verwundert.
„Naja die beiden kriegste anscheinend kaum noch getrennt und ich wollte einfach noch was mit dir quatschen oder soll ich mit Sandra wieder fahren?“ erläuterte Sabine
„Ach nein passt schon. Kommt rein. Mädels, ihr geht doch bestimmt nach oben oder?“ fragte sie die beiden beim Eintreten.
„Das war der Plan.“ erwiderte Kathi.
„Dann tut mir einen Gefallen. Sei etwas leiser. Ich war vorhin oben und Sarah scheint tief und fest zu schlafen. Ich gehe davon aus, sie erholt sich von heute Abend.“
Beide nickten zustimmend und verschwanden geschwind im Gästezimmer.
„So schlimm?“ fragte Sabine, die immer noch im Flur vor der offenen Haustüre stand.
„Kann man wohl sagen.“ gab Helen zurück während sie die Türe schloss. „Lass uns das in der Küche bereden.“
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Sarah hatte die Augen immer noch geschlossen. Sie hoffe jeden Moment aufzuwachen. Plötzlich ertönte ein Geräusch. Sie erkannte es sofort. Es war ihr Handy. Sie öffnete die Augen. Ihr Zimmer war wieder normal. Sie selbst jedoch nicht wie sie feststellen musste. „Ernsthaft?“ fragte sie in den Raum hinein. Sie richtete sich auf und ging vorsichtig in die Richtung ihres Schreibtisches. Sie war auf alles gefasst, beziehungsweise traute sich selbst alles zu. Aber was sollte sie sich selbst schon antun? Als ob sie sich selbst ernsthaft schaden wollte. Ihr ging dieses Versteckspiel nur so langsam auf den Geist. Sie puzzelte in der Realität fleißig Teile zusammen, aber irgendwie wollte sich ihr Unterbewusstsein mit dem Ergebnis nicht zufrieden geben. Oder wollte sie sich einfach nicht damit zufrieden geben? Ihr Handy gab erneut einen Laut von sich. Sie griff sich das Handy, das sie zuvor auf den Tisch gelegt hatte als sie die Verkabelung des Laptops geprüft hatte. Zwei Nachrichten waren darauf zu finden. Ohne Nummer…war ja klar als ob es so einfach wäre, dachte sie sich. Sie entsperrte das Handy und schaute sich die Nachrichten an.
Tut mir echt Leid, aber das mit dem Aufwachen wird gerade nicht funktionieren.
Und die zweite:
Bevor du jetzt ewig und drei Tage in deinem Zimmer versauerst, komm einfach mal in die Küche, dann reden wir.
Na toll ich selbst hindere mich am Aufwachen. Was für ein Scheiß. Sie überlegte was wohl passieren würde, wenn sie nicht in die Küche gehen würde? Würde die Küche zu ihr kommen, so wie der Berg zum Propheten kommt, wenn der Prophet nicht zum Berg kommt. Würde es irgendetwas an ihrer Situation ändern? Vermutlich nicht. Früher oder später, so viel war ihr klar, würde sie sowieso wissen wollen was sie selbst sich bei dem Ganzen denkt. Ein nächster Gedanke schoss ihr in den Kopf. Wer erwartete sie überhaupt in der Küche? Sie selbst oder irgendjemand anderes? Sie wurde vom Klingeln ihres Handys aus den Gedanken gerissen. Ein Anruf ohne Nummer erschien auf dem Display. Rangehen oder lieber doch nicht? Das Handy klingelte weiter. Jetzt sogar lauter als vorher. Das nächste Klingeln wurde noch lauter. Das Zeichen war mehr als eindeutig. Sie sollte den Hörer abnehmen. So leicht wollte sie sich sich selbst nicht geschlagen geben. Sie legte das Handy beiseite und warf sich auf ihr Bett und hielt sich die Ohren mit ihrem Kissen zu um das lauter werdende Gerät zu ertragen. Plötzlich verstummte das Gerät und in ihrem Zimmer herrschte wieder Stille. Sarah wartete noch einen Moment bevor sie wieder unter dem Kissen hervor kam, da sie befürchtete das Gerät würde wieder einmal lauthals losgehen sobald ihre Ohren nicht mehr geschützt wären. Mehrere Minuten passierte nichts. Sarah atmete erleichtert auf. Sie nahm das Kissen von ihrem Kopf und das Licht schien über ihr auf ihr Bett, das sich in die Bank in der Küche gewandelt hatte. „Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg eben zum Propheten.“ hörte sie eine Stimme sagen. Langsam richtete sie sich auf.
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Die beiden Frauen hatten sich inzwischen in die Küche begeben. Sabine saß bereits auf der Bank, an dem Platz den Sarah sonst für sich einnahm. Während Sarahs Mutter eine Kanne Tee ansetzte.
„So der zieht jetzt noch was durch und dann können wir noch einen guten Tee trinken.“ sagte Helen. „Bevor ich jetzt meinen Scheiß bei dir ablade. Wie geht’s euch? Bei Jochen alles gut oder wie immer Probleme mit den Kopfschmerzen?“ fragte sie Sabine.
„Ach jedes Jahr die gleiche Scheiße mit den warmen Tagen. Naja glücklicherweise kann er sich notfalls auf seine Partner verlassen. Irgendwie bin ich froh, dass er sich nicht mit Karl zusammen getan hat als er ihn vor Jahren einmal gefragt hat. Das wäre vermutlich nicht lange gut gegangen.“ erzählte Sabine. „Sag mal ne ganz andere Frage. Ist dir an den beiden irgendwas aufgefallen?“ fragte sie weiter.
„Sicher. Man wenn man die beiden ne Weile beobachtet, kann man sich seinen Teil eigentlich denken.“ entgegnete sie ihrer Freundin
„Dir ist das aufgefallen? Wie das?“ fragte Sabine verblüfft.
„Naja ich habe die beiden heute morgen beim Frühstück hier sitzen gehabt und über gestern Abend ausgefragt. Den Rest konnte ich mir nach dem Gespräch zusammenreimen und habe auch noch eine Bestätigung von Sarah bekommen. Anscheinend hat es zwischen den beiden gestern Abend ein wenig gefunkt.“ erklärte Helen
„Das kannst du laut sagen. Hat mich mehr als überrascht, das kann ich dir sagen.“ antwortete Sabine.
„Stört dich was daran?“ fragte Helen erstaunt.
„Ach um Gottes Willen wo denkst du hin. Ich habe die beiden einfach in einem ungünstigen Moment schlafend Arm in Arm vorgefunden und wollte das einfach geklärt haben. Jochen sieht das alles als unproblematisch an.“ erzählte sie weiter. „Was war jetzt mit deinem Ex?“
„Ach der…der hat wirklich den Vogel abgeschossen sage ich dir. Der meinte Sarah wäre schwer erziehbar und wollte sie glatt mal auf ein Internat für Schwererziehbare stecken, da er davon ausgeht, dass sie sowieso nicht mehr lange auf der Schule ist.“ berichtete Helen.
„Wie kommt der denn auf das schmale Brett? Sarah hat zwar schon die ein oder andere Auszeit von der Schule erhalten, aber wirklich was passiert ist doch noch nie.“ entgegnete Sabine
„Das ist alles recht kompliziert und Genaueres kann ich dir nicht sagen, da es vermutlich recht grenzwertig ist. Aber ich sag mal so viel. Sarah hat das Grenzwertige beendet.“ versuchte Helen die Situation zu klären.
„Ok das klingt fast so als ob da dein Ex die Finger mit im Spiel hatte bei diesem Grenzwertigen was auch immer.“ setzte Sabine.
„Ne gar nicht. Das war damals Sarahs Idee. Wir drei haben das halt irgendwie gedeichselt, frag mich nicht wie, ist aber jetzt auch egal. Ich hoffe einfach nur, dass das von Sarah keine Kurzschlussreaktion war und das am Ende alles gut ausgeht.“ erklärte Helen weiter.
„Ach das wird schon. Was macht eigentlich der Tee?“ fragte Sabine.
„Moment ich schau mal nach.“ sagte Helen und ging zur Anrichte um nach dem Tee zu sehen.
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Die Türe fiel leise ins Schloss und die beiden hatte wieder ihre Ruhe. Kathi und Sandra hatten sich auf Zehenspitzen durch das Treppenhaus und den Flur bewegt um Sarah nicht zu wecken. Anscheinend war ihnen dies auch gelungen.
„Was glaubst werden die beiden bereden?“ fragte Sandra Kathi unsicher.
„Die werden bestimmt nur über meinen Onkel herziehen. Machst du dir irgendwelche Sorgen wegen uns?“ wollte Kathi wissen.
„Ich weiß nicht. Ich habe keine Ahnung was deine Tante von der Sache hält oder ob sie überhaupt irgendwas weiß. Wie willst du das eigentlich deiner Mutter erklären, wenn du wieder zu Hause bist? Hast du dir da schon mal Gedanken drüber gemacht? Oder willste ihr das etwa via WhatsApp senden während sie im Ausland rumhängt?“ fragte Sandra weiter.
„Hmmm…ganz ehrlich darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Mal schauen wenn sie wieder zurück ist. Wird eh noch bis zum Ende der Ferien dauern, bis dahin habe ich also genug Zeit um mir darüber Gedanken zu machen und kann die Zeit mit dir einfach noch was genießen.“ entgegnete Kathi.
„Glaubst du nicht, dass sie sich vorher mal meldet und dich fragt ob irgendwas passiert ist?“ hakte Sandra nach.
„Ne eigentlich meldet sie sich kaum, wenn sie unterwegs ist. Sie hat meist non stop zu tun. Erst irgendwelche Besprechungen und dann meistens abends noch irgendwelche Geschäftsessen. Ich war vor ein paar Jahren mal mit auf so einer Reise. Wir haben das sozusagen als eine Art erweiterter Urlaub gesehen. Wäre mein Vater nicht mit dabei gewesen, hätte ich mich vermutlich zu Tode gelangweilt, denn meine Mutter war so gut wie nie zu erreichen.“ erklärte Kathi.
„Da kommt mir gleich die nächste Frage in den Sinn. Was ist eigentlich mit deinem Vater? Von dem hast du gerade das erste Mal gesprochen. Musst du ihm das nicht auch noch irgendwann beibringen?“ fragte Sandra
Kathi atmete tief ein. Sie versuchte alles rund um ihren Vater nach Möglichkeit zu vermeiden. Sie ärgerte sich gerade selbst darüber, dass sie bei Sandra noch nicht reinen Tisch gemacht hatte. Sarah hatte es Sandra gegenüber anscheinend auch nicht erwähnt, sonst hätte sie nicht diese Frage gestellt.
„Kathi alles in Ordnung?“ fragte Sandra besorgt, die immer noch auf eine Antwort wartete.
„Ja, schon gut. Unschönes Thema. Ich verdränge das eigentlich immer wenn es geht.“ erklärte sie Sandra.
„Habt ihr Stress oder sowas?“ bohrte Sandra nach.
„Können wir uns erst mal setzen? Dann erzähle ich dir was mit ihm ist.“ sagte Kathi knapp und setzte sich auf einen der beiden Stühle die im Gästezimmer standen. Sandra tat es ihr gleich und setzte sich auf den zweiten Stuhl. Beide schwiegen eine geraume Weile. Sandra wollte schon etwas sagen als Kathi wieder das Wort ergriff.
„Mein Vater hatte vor 2 Jahren einen tödlichen Autounfall.“ gab sie kurz als Antwort.
„Oh. Das wusste ich nicht. Entschuldige die doofe Frage.“ erwiderte Sandra sichtlich geknickt.
„Konntest du ja nicht wissen. Alles gut.“ gab Kathi zurück.
„Ja trotzdem blöd, dass ich gefragt habe. Über was sollen wir stattdessen sprechen?“ fragte Sandra um das unliebsame Thema loszuwerden.
„Mir ist gerade nicht groß nach Reden. Lass und einfach ein bisschen im Bett kuscheln oder so, da ist mir gerade mehr nach.“
Die beiden lagen eine gefühlte Ewigkeit auf dem Bett, als ihre gemeinsame Idylle urplötzlich von einem leisen Klopfen unterbrochen wurde. Kathi sprang auf und eilte leise zur Türe und öffnete sie. „Hey, Sabine möchte nach Hause. Kommt ihr beiden runter?“ fragte ihre Tante leise.
„Klar. Gib uns 5 Minuten ja?“ gab Kathi als Antwort und erhielt ein Nicken als Antwort während ihre Tante wieder in Richtung Küche ging.
„Wir haben noch 5 Minuten.“ sagte Kathi freudig, als sie sich wieder zu Sandra ins Bett gesellte.
„Was willst du denn in den 5 Minuten anstellen?“ fragte Sandra neugierig.
„Was hältst du von einem langen Kuss?“ fragte sie grinsend, während sie sich bereits auf Sandra stürzte. Sandra ließ Kathi gewähren und wenig später lag Kathi schon auf ihr und hatte wieder ihre Lippen auf ihre gelegt. Eine wohlige Wärme umgab sie, wie jedes Mal, wenn Kathi sie geküsst hatte. Sie genoss das Gefühl und ließ sich treiben. Wenige Augenblicke später merkte sie jedoch wie sich Kathis Lippen von ihren lösten.
„Was ist los, warum hörst du auf?“ fragte Sandra verwundert.
„Ähm…die 5 Minuten sind um. Leider.“ gab Kathi zurück.
„Echt Kam mir jetzt nicht so lange vor.“ entgegnete Sandra.
„Kannste mal sehen. Ich glaube wir sollten jetzt langsam mal runter, sonst dürfen wir uns gleich noch irgendwas anhören.“ sagte Kathi und half Sandra auf, nachdem sie aufgestanden war.
Beide verließen kurz darauf das Zimmer in Richtung Erdgeschoss.
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„Was zum…?“ fragte Sarah noch immer sichtlich verwirrt. „Ich habe keine Lust auf irgendwelche Diskussionen der etwas anderen Art!“ warf sie sich selbst wütend entgegen. Ihr sechzehnjähriges Ebenbild saß schweigend und rauchend auf der anderen Seite des Tisches und rührte sich nicht.
Sarah setzte sich hin und griff nach der Schachtel Zigaretten. Immer noch keine Reaktion ihres Gegenübers. Sie zündete sich eine der Zigaretten an. „Willst du nicht auch mal was sagen?“ fragte sie patzig ihr anderes Ich, während sie hin und wieder an ihrer Zigarette zog.
„Was willst du hören?“ fragte die Sechzehnjährige abgeschlagen. Sarah betrachtete ihr Ebenbild genauer. Anscheinend hatte sie geweint. Spuren von Tränen waren im Gesicht noch zu sehen. Irgendwie fühlte sie sich schlecht, wenn sie sich so sah.
„Was ist denn bei dir nicht in Ordnung?“ fragte die jüngere Sarah schließlich.
„Kannst du dir doch denken oder?“ gab die Ältere zurück.
„Der Scheiß von Papa heute?“ fragte Sarah sich selbst.
Ihr sechzehnjähriges Ebenbild nickte. Sarah wurde die Rollenverteilung in ihren Träumen inzwischen klarer. Anscheinend war ihr sechzehnjähriges Ich eher der emotionale Teil von ihr oder repräsentierte diesen und das neunjährige Ich war neben dem rebellischen auch der Teil, der möglichst wenig Emotionen zu ließ und durch eine ablehnende Haltung eine Art Panzer aufbaute. Wie sich in ihren Träumen dann manifestierte wer sie schlussendlich war, konnte sie immer noch mit Sicherheit sagen, die Wechsel waren zu zufällig um Sinn zu ergeben und wirklich aussagekräftig waren ihrer Erkenntnisse bislang auch nicht gewesen. Was bezweckte ihr Unterbewusstsein als damit.
„Jetzt erst mal Kopf hoch. Dann zeigste dem Idioten halt, dass du es besser kannst als er denkt.“ antwortete Sarah der Älteren und war zu gleich über die Antwort erstaunt. Machte sie sich gerade etwa selber Mut, es ihrem Vater zu zeigen? „Und jetzt erkläre mir doch bitte mal den ständigen Rollenwechsel, der hier stattfindet, der ergibt für mich überhaupt keinen Sinn.“ forderte die jüngere Sarah die Ältere auf.
„Wenn das so einfach wäre. Das musst du schon selbst drauf kommen.“ kam als kurze Antwort.
„Das klingt gerade so als ob ich heiteres Puzzlespielen mit meinen Gedanken spielen darf. Was soll mir das bringen?“ fragte sie weiter.
„Selbsterkenntnis? Selbstfindung? Inneren Frieden?“ sagte die Ältere.
„Als ob.“ sagte die Neunjährige patzig.
„Findest du nicht? Du hast doch schon ein bisschen was herausgefunden, das du irgendwo in deinem Innersten verschlossen hast. Also warum sollten dir oder besser uns diese Träume nicht helfen?“ fragte die Sechzehnjährige
„Du meinst das mit dem Bettnässen? Ja gut ok, das habe ich vielleicht wirklich verdrängt, aber ist doch auch gar nicht so wichtig. Das ist doch absolut irrelevant in der aktuellen Situation.“ entgegnete sie der Älteren
„Findest du? Du überlegst hin und her ob du Windeln magst und kommst immer noch nicht auf einen grünen Zweig. Was wäre so schlimm daran, wenn es so wäre?“ fragte die Sechzehnjährige
„Ähm…keine Ahnung…es kommt mir manchmal komisch vor, wenn ich darüber nachdenke. Ich könnte vermutlich nicht mal genau sagen warum ich das ausprobiert habe.“ gab die Neunjährige zurück.
„Machst du deswegen so einen großen Bogen um das Thema? Weil du nicht nachvollziehen kannst warum es dir gefallen könnte? Macht es dir Angst oder so?“ fragte die Ältere weiter.
„Naja ich komme mir schon ein wenig seltsam vor. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich die letzten Jahre nicht ich selbst war oder so was. Aber das jetzt auf die Sache mit den Windeln zu schieben, finde ich ein bisschen weit hergeholt oder findest du nicht?“ antwortete sie der Sechzehnjährigen.
„Wie ich schon sagte Selbstfindung. Du führst einen inneren Kampf. Wir beide sind nur ein Mittel deines Unterbewusstseins um den Zwiespalt in deinem Inneren zu symbolisieren.“ erklärte die Ältere.
„Das habe ich mir schon fast gedacht. Auf den Kopf gefallen bin ich nicht, das solltest du am besten wissen. Aber warum ist dieses Gespräch konstruktiver als die letzten Träume? Das ergibt doch keinen Sinn.“ erwiderte die Jüngere.
„Weil du in deinen Erkenntnissen über dich selbst voran kommst.“ antwortete die Ältere.
Sarah schaute eine Weile schweigend auf ihr Ebenbild. Es rührte sich wieder nicht. Wurde es blasser? Nein das konnte nicht sein oder? Doch es wurde blasser. Plötzlich hatte sie ein lautes Piepsen im Ohr, ähnlich unangenehm wie der Traumanruf zuvor.
Kapitel 37: Eine ganz normale Woche beginnt
Die Sonne war schon vor einer Weile aufgegangen. Die Vögel zwitscherten fröhlich vor sich hin. Nur in einem Haus am Rande der Stadt wurde jemand unsanft von seinem Wecker aus dem Schlaf gerissen. Eine Hand griff blind nach einem Handy. Das Gesicht tief im Kissen vergraben. Endlich schaffte sie es das Handy zu ergreifen. Sarah hob ihren Kopf ein wenig von ihrem Kissen und schaute mit verschlafenen Augen auf ihr Handy. Sie hatte ihren Wecker letzte Woche nicht für alle Wochentage ausgeschaltet. Jetzt hatte ihr Wecker, der ihr sonst einen treuen Dienst erwies, ihr alles andere als einen Gefallen getan. Warum hatte sie ihren Wecker nicht ausgeschaltet? Jetzt war es 6:30. Seltsamerweise war sie vergleichsweise erholt. Der Traum letzte Nacht schien sie nicht so sehr mitzunehmen wie die Träume davor. Möglicherweise lichtete sich so langsam der innere Nebel. Wenn sie jetzt schon wach war, konnte sie auch aufstehen und sich einen Kaffee genehmigen. Nachher würde sie sich noch mit Svenja treffen, endlich mal etwas alltägliches im Vergleich zu dem normalen Wahnsinn der letzten Tage und vor allem Nächte. Sarah dachte kurz nach. Wenn Svenja heute weniger Stunden hat, dann gilt das gleiche ja auch für Sandra. Sie könnte Kathi ja einfach mit zur Schule nehmen und sie könnte Sandra überraschen. Wäre doch auch mal was nettes, wenn die beiden sich so schnell wiedersehen würden. Aber um 6:30 muss ich sie jetzt auch nicht wecken. Da passt auch 8:00 oder 9:00. Bis Schulschluss wäre immer noch genug Zeit für Kathi zum Frühstücken und dergleichen. Außerdem würde ich ein wenig Zeit alleine auch nicht schaden. Sarah schnappte sich ihren Laptop und ging in die Küche um Kaffee zu kochen.
Kurze Zeit später saß sie bereits auf ihrem gewohnten Platz auf der Bank, den die auch in ihrem Traum eingenommen hatte. „Einfach gerade nicht dran denken.“ sagte sie sich während sie hin und wieder an ihrer Tasse nippte und an ihrer Zigarette zog. Sie hatte inzwischen den Laptop aufgeklappt und angeschaltet. Vor ihren Augen tauchte ihr Browser auf. Sarah wusste nicht so ganz was sie suchen sollte und ob sie überhaupt fündig werden würde. Vielleicht sollte sie nach so tollen Sachen wie Kathis Body schauen oder doch lieber mehr über alles erfahren. Sarah zündete sich eine weitere Zigarette an und hole sich einen zweiten Kaffee. Nachdem sie geraucht hatte gab sie das erst beste bei Google ein und wartete auf das Ergebnis. Die ersten Ergebnisse waren natürlich wie so oft gutefrage, sie konnte die Seite wegen der Schwachsinnsantworten auf den Tod nicht auf stehen und scrollte weiter. Kurze Zeit später fand sie eine Art Austauschforum zu Windeln und allem anderen, was Kathi so erzählt hatte. Es war ihr zwar nicht möglich alles zu lesen, aber sie überflog die Bereiche die sie einsehen konnte und überlegte ob sie sich registrieren sollte oder nicht.
Einige Themen wirkten doch recht absonderlich, wenn nicht sogar abstoßend, aber neben der Abscheu, die die Themen bei ihr auslösten, weckten sie zugleich auch ihr Interesse. Sie wusste zwar immer noch nicht wohin das Interesse führen sollte, aber entschied sich schlussendlich doch für eine Registrierung. „Wer lässt sich denn sowas blödes einfallen?“ fragte sie sich als sie die Sicherheitsfrage der Registrierung las: Wie heißt die weiße saugfähige Unterwäsche, die die Leute im Forum gerne tragen? Was sollte das anderes sein als eine Windel? Was für eine dämliche Frage, aber es wird schon seinen Grund haben warum man danach fragt. Wer nicht mal wusste was damit gemeint ist, sollte wohl besser nicht dieses Forum aufsuchen. Kurze Zeit später erhielt sie auch eine Bestätigung und schloss die Registrierung ab. Nun hatte sie Zugriff auf das gesamte Forum und merkte, dass es doch größer war als zuvor angenommen, es beinhaltete sogar einen Chat, den Sarah derzeit aber noch meiden wollte. Sie klickte noch ein wenig durchs Forum und suchte im Forum nach Verkaufsseiten, wo sollte sie schon besser fündig werden als hier.
Einige Zeit später hatte sie ein paar Seiten gefunden und klickte sich nun fleißig durch mehrere Shopseiten und schaute sich an was es alles geb. Sie fand unter anderem auch besagten Body, den Kathi ihr leihweise überlassen hatte. Bei den Preise schluckte sie zum Teil aber auch. Kathi hatte bestimmt noch mehr Dinge als nur ein oder zwei Bodys und vermutlich auch weitaus mehr Windel zu Hause. Bei den Preisen müsste es sich dabei um ein halbes Vermögen handeln, zumindest wenn man in den finanziellen Maßstäben einer Schülerin ohne großes Nebeneinkommen handelte. Sarah schaute in ihren Onlinebanking Account. Der Saldo war zwar entsprechend hoch, aber das lag auch nur daran, weil sie ihr Geld nach Möglichkeit zusammenhielt. Außer ein bisschen was zu Trinken fürs Wochenende und Zigaretten, ging eigentlich wenig Geld für irgendetwas anderes drauf. Gut Schminke vielleicht noch und Klamotten, aber da musste es auch kein Markenzeug sein.
Sie zündete sich noch eine Zigarette an und trank noch einen Kaffee, während sie sich weiter durch die Shops klickte. Als sie auf die Uhr schaute merkte sie, dass ihre Internetshoppingtour länger gedauert hatte als gedacht. Es war inzwischen 9:00. Sie sollte Kathi wecken und sie fragen ob sie mitkommen wollte. Kurze Zeit später schlich sie möglichst leise ins Gästezimmer. Sarah schloss leise die Türe und ging in Richtung Bett. Kathi schien tatsächlich noch seelenruhig zu schlafen. Sarah sah wie sich die Bettdecke in gelegentlichen Abständen auf und ab bewegte, wenn Kathi atmete. Ihr Kopf hatte Kathi anscheinend unter einem zweiten Kissen vergraben, sodass Sarah ihr Gesicht nicht sehen konnte. Sie hob vorsichtig das Kissen und staunte bei dem Anblick der sich ihr bot. Kathi hatte einen großen rosa farbenen Schnuller im Mund. Anscheinend gehörte der zu dem Body mit dem Prinzessinnenmuster, denn in der Mitte war ebenfalls das Prinzessinenbild aufgedruckt. Sarah starrte gefühlt eine Ewigkeit auf Kathi und wollte sich einfach von dem Bild lösen. Langsam öffnete Kathi ein Auge. Ihr Blick fiel direkt auf Sarah. Mit einem Mal fuhr sie vor Schreck hoch und verlor den Schnuller aus dem Mund.
„Was machst du denn hier?“ fragte sie erschrocken.
„Schuldigung ich…ich wollte dich nur wecken…mehr nicht.“ erklärte Sarah, starrte aber weiterhin auf den Schnuller, der auf der Bettkante lag.
„Musst du mich so erschrecken? Hallo hörst du mir überhaupt zu?“ fragte Kathi weiterhin aufgebracht.
„Ähm…ich…“ Sarah wusste nicht was sie antworten sollte, sie hatte Kathi tatsächlich nicht zugehört. Sie löste ihren Blick und schaute Kathi direkt an.
„Kannst du das nochmal wiederholen?“ setzte sie an.
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Anders als normalerweise saß Sandra gelangweilt im Unterricht und hing mit ihren Gedanken ganz und gar bei Kathi. Sie schaute deprimiert aus dem Fenster. Sarah hatte es irgendwo schon gut. Sie konnte die ganze Zeit zu Hause rumhängen und das auch noch mit Kathi. Irgendwo schon unfair, wenn man bedenkt, dass sie ähnliche Leistungen erbrachte. Sie seufzte. Sie hatte Kathi zwar heute morgen schon eine Nachricht geschickt, aber leider bis zur Pause noch keine Antwort erhalten. Verdammte Langschläfer, dachte sie sich. Sie wurde plötzlich jäh aus ihren Gedanken gerissen.
„Sandra.“ sagte Frau Schröder, die alte Geschichtslehrerin, von allen nur die Inkarnation der Inquisition genannt, ernst. Ihren Namen trug sie zum einen, weil sie extrem streng war, gut irgendwo auch gerecht, aber wen interessierte das schon, und zum anderen weil sie vermutlich selbst bei der Inquisition gewesen war und Hexen verbrannt hat.
„Ähm, ja.“ antwortete Sandra unsicher.
„Langweile ich dich mit der russischen Revolution so sehr?“ fragte sie weiter.
„Nein, wo denken sie hin Frau Schröder. Sie langweilen mich doch nicht. Wie kommen sie darauf?“ fragte Sandra, die immer nervöser wurde.
„Naja vielleicht weil ich dich jetzt schon zum dritten Mal aufgerufen habe damit du mir sagen kannst warum Katharina die Große eine Besonderheit in der russischen Geschichte darstellt. Also ich höre. 1…“ fing Frau Schröder an zu zählen.
Scheiße dachte sich Sandra. Jetzt war sie richtig in Schwierigkeiten. Wenn die alte Schröder anfing zu zählen und bei 5 keine Antwort hatte, dann setzte sie einen vor die Tür und das machte sie bewusst nur mit den Schülern, die entweder ihren Unterricht störten oder mit jenen, die anscheinend kein Interesse für diesen zeigten. Ihr Anzählen war die perfekte Methode diese Schüler vor allen vorzuführen. Sandra hatte das oft genug erlebt, wenn sich mal wieder irgendwelche pubertierenden Kerle nicht benehmen konnten. Erst wurden sie vor die Türe gesetzt, zu Beginn der nächsten Stunde ließ die alte bewusst die zuvor raus geschickten Schüler nochmal die letzte Stunde zusammenfassen, natürlich nicht ohne sich es nehmen zu lassen bei bestimmten Sachverhalten nochmals im Detail nachzufragen. Naja sie hätten die Möglichkeit gehabt zu antworten, denn bekamen sie gnädigerweise immer noch ihr Geschichtsbuch als Lektüre mit und konnte sich so auf die Fragestunde mit der alten Schröder vorbereiten. Wenn es mal einer der Ausgefragten schaffte wirklich die Fragen zu beantworten, wäre sie vermutlich erstaunt gewesen und hätte sogar die schlechte Note der Vorstunde fallen gelassen oder sie zumindest mit der Leistung aus der Ausfragestunde negiert, nur leider war Sandra bislang niemand bekannt der das jemals ohne Weiteres geschafft hatte.
„2…“
Ach verdammt…dachte sich Sandra. Jetzt auch noch eine Frage zu Katharina der Großen. Kathis eigentlicher Name ist Katharina…ach verdammt Hirn komm schon. Was weißt du über Katharina die Große? Sie hatte rehbraune Augen? Nein verdammt das stimmt bestimmt auch nicht. Verdammter Mist.
„3…“
Panik breitete sich aus. Das Bild von Katharina der Großen wollte ihr einfach nicht in den Sinn kommen, sondern wurde immer wieder durch Bilder von Kathi gestört. So jetzt noch einmal logisch ran gehen. Kathraina die Große war eine deutsch Prinzessin. Sie hat Russland vergrößert und für Wohlstand gesorgt. Passt das? Ich glaube das passt.
„4…“
„Ähm…“ setzte Sandra unsicher an.
„Ja, ich höre.“ kam von der alten Schröder
Sandra wollte gerade die Antwort sagen als ihr ein anderer Gedanke kam.
Sie setzte erneut unsicher an: „Ähm…ich muss passen Frau Schröder.“
„Zu schade, aber auch. Dann darfst du mit deinem Geschichtsbuch vor der Türe Platz nehmen.“ sie deutete auf die Türe und wartete darauf, dass Sandra die Klasse verließ.
Sandra nahm sich das Geschichtsbuch und ging durch die Sitzreihen und fühlte sich wie auf dem Weg zum Schafott. Die Blicke ihrer Mitschüler, die sie trafen, zeigten Verwunderung. Verwunderung darüber, dass Sandra die Antwort anscheinend nicht wusste. Sie schritt langsam weiter in Richtung Türe und erhaschte noch einen Blick auf die Uhr, die ihr sagte, dass sie noch 15 Minuten auf dem Flur verbringen musste ehe die Stunde vorüber war.
„Ach Sandra. Nach der Stunde kommst du bitte zu mir.“ hörte sie noch von der alten Schröder bevor sie die Türe schloss.
Na toll dachte sich Sandra während sie sich auf den Stuhl setze, den die Alte vor Beginn jeder Stunde auf dem Flur platzierte. Na dann wollen wir mal lesen. Ist ja nicht so als ob ich den Kram nicht wüsste. Warum habe ich die verdammte Frage nicht einfach beantwortet. Was wollte ich damit bezwecken? Ihr kamen Zweifel ob es sinnvoll gewesen war sich einfach vor die Türe setzen zu lassen. Sie schluckte bei dem Gedanken gleich in die Höhle des Löwen zu müssen. Normalerweise wurde niemand von der alten Schröder nach dem Rauswurf in den Klassenraum zurückgerufen und erst Recht musste niemand nochmals bei ihr antanzen. Was zum Geier mache ich hier eigentlich. Warum, warum, warum? Ihre Gedanken wurden von dem Klingeln der Schulglocke unterbrochen.
Na super. Langsam öffnete sich die Türe der Klasse und ihre Mitschüler schritten sichtlich gut gelaunt in die Pause. Von dem ein oder anderen erhaschte sie einen etwas bemitleidenswerten Blick, der ihre Hoffnung auf einen guten Ausgang der Sache auf einen minimalen Wert herabsenkten.
Sandra schlich leise zurück an ihren Platz und setzte sich. Die alte Schröder saß lauernde wie eine garstige Katze, die einen jeden Moment anfallen konnte am Lehrerpult und folgte Sandra mit ihrem Blick.
„So Sandra.“ setzte sie an und Sandra schluckte.
„J…aa…“ antwortete Sandra sichtlich nervös.
„Du hast dir aber einen guten Zeitpunkt ausgesucht um eine meiner Fragen nicht zu beantworten.“ erklärte sie weiter.
„Wieso das?“ fragte Sandra verblüfft.
„Nun ja heute ist meine letzte Unterrichtsstunde bei euch. Am Ende der Woche gehe ich in den Ruhestand.“ entgegnete die Alte weiter.
„Wie jetzt? Das heißt keine Zusammenfassung? Gar nichts?“ fragte Sandra weiter
„Genau das. Aber ich wollte mich nochmals vergewissern, dass du nicht nur untätig herum gesessen hast während du draußen saßt. Also nochmals die Frage von eben und dieses Mal bitte die passende Antwort.“ hakte die Alte nach.
Sandra kramte nochmals ihre Antwort von vorhin aus ihren Gedanken hervor.
„Ähm…also…Kathrina die Große, geboren als Sophie von Anhalt-Zerbst, war eine deutsche Prinzessin. Sie heiratete in jungen Jahren den russischen Thronfolger Peter, den sie später mit Hilfe einiger Generäle ermorden ließ um selbst den Thron zu besteigen. Sie reformierte den russischen Staat und vergrößerte diesen, daher wird sie die Große genannt und ist besonders wichtig für die Geschichte Russlands.“ trug Sandra alles vor was ihr in den Sinn kam.
„So und jetzt verrätst du mir noch warum du mir nicht die Antwort gegeben hast als ich vorhin danach gefragt habe.“ fuhr die Alte fort.
„Ich…ich habe letzte Nacht einfach schlecht geschlafen und war unaufmerksam…ich musste das einfach noch mal in Ruhe sammeln.“ versuchte Sandra sich raus zu reden.
Die Alte lächelte. Das war vermutlich das einzige Mal, dass Sandra dieses Lächeln überhaupt wahrgenommen hatte. Die Alte sagte nichts mehr und verließ wortlos den Raum. Sandra atmete auf und ging in die Pause. Sie wollte jetzt nur noch frische Luft.
Sandra wurde durch ein Tippen an ihrer Schulter aus den Gedanken gerissen. Sie stand schon eine geraume Weile mit dem Rücken an eine Litfasssäule gelehnt, die auf dem Pausenhof herumstand und auf der eine große Uhr befestigt war. Sie öffnete die Augen und sah Svenja. Eigentlich hatte sie nicht so viel mit ihr zu tun. Sarah unternahm zwischendurch mal was mit ihr und ein zwei Mal waren sie auch zu dritt unterwegs gewesen, aber wirklich viel Kontakt hatte sie mit Svenja nicht. Es wunderte sie, dass sie nun plötzlich auf sie zukam und anscheinend ein Gespräch suchte.
„Sag mal warum ist Sarah eigentlich seit Tagen nicht mehr hier gewesen?“ fragte Svenja
„Naja die wurde doch vom neuen Direktor für den Rest der Zeit vor den Ferien suspendiert. Hat sie dir das nicht erzählt?“ erklärte Sandra
„Ne, sie will sich nur mit mit treffen, hat aber nichts Genaueres gesagt. Wirkte irgend wie ein wenig so als ob sie irgendwie neben sich steht wenn du mich fragst. Ähnlich wie du gerade bei der alten Schröder.“ kam als Antwort zurück.
„Ach du ich habe nur schlecht geschlafen und habe verträumt aus dem Fenster geschaut. Was kann ich denn dafür, wenn die alte Schröder dann genau mich dran nimmt?“ wiegelte Sandra.
„Ach die sucht sich immer irgendwen raus. Mich hat sie auch schon dran gekriegt. Ist toll wenn man mit seinem Buch im Flur schmusen gehen darf. Die Stunde danach ist dein schlimmster Alptraum.“ erklärte Svenja.
„Ich war doch schon oft genug dabei. Ich weiß wie sie drauf ist. Aber mir fällt gerade ein, dass ich mich gar nicht mehr daran erinnere als du raus geflogen bist.“ erwiderte Sandra erstaunt.
„Ich glaube das war vor Ostern. Warst du da nicht mal zwei Wochen oder so krank?“ fragte Svenja.
„Stimmt ich war vor Ostern mal krank. Hast du eigentlich den Fragenkatalog überstanden, den sie von sich gegeben hat?“ fragte Sandra neugierig.
„Du meinst den Fragenkatalog, den sonst keiner übersteht?“ fragte Svenja lachend
„Warum lachst du denn? Was die alte mit dir macht ist doch nicht lustig.“ ermahnte Sandra Svenja ernst.
„Ach Sandra. Wenn du einmal einen Blick in das Buch geworfen hast, dann fällt dir ganz schnell auf, dass die Fragen von der alten Schröder aus dem Buch stammen. Mir war tatsächlich so langweilig, dass ich in das Buch reingeschaut habe, vermutlich das erste und einzige Mal, und mir ist aufgefallen, dass da so viele verdammt schwierige Fragen drin stehen und habe die einfach mal beantwortet uns siehe da 1:1 die Fragen der alten Schröder. Die Alte hat ein fach keine Lust, dass ihr Unterricht gestört wird und wer draußen sitzt, macht halt noch weniger. Die alte Schröder führt denjenigen beim nächsten Mal nur noch mal vor damit sie sieht ob er was getan hat oder nicht und ob er was gelernt hat. Die Alte ist eigentlich gar nicht so hart wie sie uns immer weiß machen will. Weißt du was mich wundert?“ schloss Svenja ihre Erklärung.
„Ich könnte schwören, dass du irgendwann mal was über Katharina die Große gesagt hast. In deutsch vielleicht als es um irgendeine historische Einordnung von irgendeinem Text ging? Ich wundere mich wie du das alles vergessen konntest, was du damals alles erzählt hast. Du bist doch normalerweise jemand mit einem Gedächtnis wie ein Schwamm.“ schlussfolgerte Svenja.
„Ähm….“ Sandras Antwort wurde vom Läuten der Schulglocke unterbrochen.
„Ach ist ja auch egal, lass mal rein gehen.“ sagte Svenja und bewegte sich Richtung Eingang.
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„Also nochmal g a n z l a n g s a m. Warum musst du mich so erschrecken und wo zum Gier bist du schon wieder mit deinen Gedanken?“ fragte Kathi nochmals mit mehr Nachdruck.
„Ich wollte dich nur wecken, ehrlich.“ verteidigte sich Sarah
„Klar und deshalb starrst du mich wie blöd an oder wie? Komm schon irgendwas hattest du doch vor?“ entgegnete sie Sarah.
„Ne wirklich nicht…ich…“ Sarah stockte.
„Du?“ hakte Kathi nach.
„Ich war nur so faziniert von deinem Schnuller.“ sagte Sarah und deutete auf den Schnuller der auf dem Bett lag.
„Habe ich dir den noch nicht gezeigt gehabt? Ich könnte schwören, dass ich dir den vor ein paar Tagen mit den Bodys gezeigt habe.“ antwortete Kathi.
Sarah schüttelte den Kopf.
„Aber ich habe dir doch bestimmt erzählt, dass es sowas gibt bzw. das hättest du dir denken können?“ fragte Kathi.
Sarah wurde rot. „Ja schon, aber ich konnte ja nicht wissen, dass es so coole davon gibt.“ sagte sie.
Kathi hatte sich inzwischen im Schneidersitz auf dem Bett niedergelassen und schaute Sarah an, die immer noch ein wenig perplex vor dem Bett stand. Sarah bewegte sich einen Schritt auf das Bett zu und griff nach dem Schnuller und betrachtete ihn näher. Nach ausgiebiger Betrachtung fragte sie schließlich Kathi: Ähm…du…Kathi, darf ich den Mal ausprobieren?“
„Warum nicht. Ich glaube ich bin nicht giftig, aber pass auf, dass du nachher nicht auch noch auf Mädchen stehst.“ entgegnete sie ihr grinsend und streckte ihr die Zunge heraus.
„Ich bin 16 und nicht 10 Kathi, son Quatsch glaub ich schon lange nicht mehr.“ gab Sarah beleidigt zurück.
„Schon klar, das war die Rache fürs erschrecken.“ erwiderte sie gehässig.
„Na danke.“ sagte Sarah knapp und steckte sich unsicher den Schnuller in den Mund. Es war ein interessantes Gefühl, das sie verspürte während sie daran saugte. Sie hatte einen Moment das Gefühl, dass sich ein Teil ihrer Probleme für einen Moment aus ihrem Leben verabschiedeten. Sie schloss die Augen und saugte ein wenig stärker. Irgendwie, sie wusste nicht warum, schien das ihr Trost zu spenden oder irgendwas in der Art. Sie hörte Kathi kichern, hörte auf zu saugen und öffnete die Augen. Kathi saß mit einem breiten Grinsen auf dem Bett und hatte Sarahs Trance beobachtet.
„Interessant.“ sagte sie. „Sehr interessant.“
„Wa dem?“ fragte Sarah und bemerkte erst jetzt, dass sie immer noch den Schnuller im Mund hatte. Sie wurde erneut rot und entfernte ihn schnell aus ihrem Mund und legte ihn sachte, so als könne er jeden Moment zerbrechen, wenn sie etwas falsch machen würde, wieder auf das Bett.
„Was denn?“ setzte sie erneut an.
„Erkläre ich dir gleich beim Frühstück. Wie spät ist es eigentlich?“ fragte Kathi.
„Wir haben jetzt 9:30. Ich wollte eigentlich wissen ob du gleich mitkommst?“ fragte sie
„Wohin denn?“ fragte Kathi.
„Ich treffe mich mit einer Freundin aus der Schule naja und ich dachte du könntest Sandra vielleicht überraschen wenn dir danach ist. Um 12:00 müssen wir an der Schule sein und jetzt du mich bitte nicht dumm sterben und erklärst mir was so interessant ist.“ erwiderte Sarah.
Autor: Timo (eingesandt via E-Mail)
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