Süßes oder Saures! Oder: „Das bleibt einfach unser kleines Geheimnis“
Windelgeschichten. präsentiert: Süßes oder Saures! Oder: „Das bleibt einfach unser kleines Geheimnis“
„Zieh den Schneeanzug an, Joni, es ist wirklich kalt geworden!“, „Och menno, dann sieht keiner meine Verkleidung“, der angesprochene 7 Jährige Junge mit mittellangen dunklen Haaren hatte ein Weißes Hemd, eine prunkvolle Rote samtene Weste und eine Schwarze Leggins an. Über seinen Schultern hing ein großer Schwarzer Mantel mit großem, hochgestelltem Kragen, seine Augenhöhlen waren dunkel geschminkt und unter seinem Mund hatte Mama ihm zwei spitze bluttropfende Zähne gemalt, so als stünden sie aus seinem Mund hervor. Joni fand, dass er unheimlich gruselig aussah. „Wir ziehen deinen Umhang einfach über den Anzug, dann siehst du immer noch so gruselig und zum fürchten aus“ sagte Mama lächelnd und löste vorsichtig den goldenen Knopf des Umhangs. Joni seufzte. „Wenigstens ist der Anzug rot… wie Blut“. Mama lachte „oh ja, Herr Vampir, das rote Outfit steht ihnen vortrefflich, bitte beißen sie mich nicht“ Bald hatte er unter dem schwarzen Vampirumhang einen warmen Schneeanzug, der ein wenig glitzerte, weil er in der Garderobe mit Mamas Glitzerjacke in Berührung gekommen war. Er schüttelte seinen Arm, um den Glitzer loszuwerden, doch irgendwie glitzerte er immer noch ein bisschen.
„Joni, kommst du?!“ Das blonde Mädchen mit den geflochtenen Zöpfen saß aufgeregt auf dem wackeligen Gartenzaun vor dem kleinen Reihenhaus und rief in Richtung geöffneter Haustür. Sie hatte einen überdimensionierten Spitzen schwarzen Hut auf, einen schwarzen Umhang über den Schultern und einen blinkenden Kunststoffstab in der einen, und einen großen Beutel in der anderen Hand. Ano war als pelziges zotteliges Monster verkleidet, Lara hatte sich mitsamt ihrer Jacke mit Bandagen zu einer Mumie einwickeln lassen und Fin, ihr kleiner Bruder hatte von seiner Mama ein altes weißes Laken mit Löchern als Augen über den Kopf geworfen bekommen. Er jagte gerade kichernd und mit lautem „Hu-huuuuu“ das Zottelmonster, so schnell ihn seine vierjährigen Beine trugen. Leicht war es nicht den Sechsjährigen zu schnappen. Die Mütter standen vorm Gartentor und unterhielten sich fröhlich. Sie ließen sich von der ausgelassenen Stimmung ihrer Kinder anstecken und so eine Tasse heißer Punsch wärmte ihnen Finger und Seele. Joni stolperte noch während dem Anziehen seiner neuen Winterstiefel über die Türschwelle hinaus in das Treiben vor dem Haus. „Geh bitte nochmal zum Klo nach dem ganzen Kinderpunsch!“ rief Mama ihm noch aus der Küche nach. „Mussnich‘!“ nuschelte Joni und schnappte sich seinen schwarzen Beutel.
„Endlich! Wir können los und die Nachbarn erschrecken!“ jubelte Luni, die Hexe. Sie und Joni kannten sich noch aus dem Kindergarten und gingen nun zusammen in die 1b „Eichhörnchen Klasse“. Sie hüpfte vom Zaun herunter, was diesen beträchtlich in Wanken brachte. Lautes Gebrüll kam von der Seite und ein blauhaariges Monster stürzte sich auf den Vampir, dicht gefolgt vom kleinen Gespenst. Joni kannte Ano ebenfalls aus der Kita, aber Ano würde erst im nächsten Sommer ein Schulkind werden. Lara war mit 9 Jahren die älteste, sie wohnte zusammen mit ihrem Bruder Fin direkt im Reihenhaus nebenan.
Joni grinste breit, er war aufgeregt und voller Vorfreude. Er hob furchterregend seine Hände und fletschte seine Vampirzähne. Da seine oberen Schneidezähne vor kurzem herausgefallen waren, sahen seine Eckzähne wirklich etwas vampirisch aus. Er zischte in seiner grauseligsten Stimme „Nimm dich in Acht, der schrecklichste Vampir der Stadt beißt dich gleich!“ – Ja, er war ganz und gar grauselig gruselig! Das Monster hob seine Tatzen und zeigte ebenfalls seine Zähne. Anos Gesicht war passend zu seinem Zottelkostüm komplett in Dunkelblau angemalt und seine Zähne leuchteten im spärlichen Licht der Straßenlaterne. Was für ein gruseliger Anblick.
Es war eine klare Nacht. Vom Tageslicht war fast nichts mehr am Himmel zu sehen und die ersten Sterne blinkten durch das Dunkelblau. Ein Wetterumschwung hatte die Regenwolken der letzten Tage durch einen eisigen Wind ersetzt und so die Temperaturen in den Nächten in den niedrigen einstelligen Bereich gedrückt. Der Herbst war im vollen Gang, das Laub der Bäume in den Vorgärten und in der Siedlung bedeckte Wege und Straßen und wurde hin wieder durch eine Windböe in tanzenden Kreisen in Rinnsteine und Hecken gewirbelt. Die Kälte würde die Kinder nicht davon abhalten süße Naschereien von den Nachbarn zu erbeuten. Joni war froh, dass er den warmen Anzug anhatte. Fin hatte unter dem Laken ebenfalls einen Schneeanzug angezogen, Luni hatte zusätzlich zu ihrer Winterjacke Handschuhe angezogen und auch die warme Mütze passte scheinbar unter ihren Hexenhut. Anos warmes Monsterfellkostüm sah so warm und kuschelig aus, dass er bestimmt nicht frieren musste.
Fröhlich machte sich die Gruppe auf, in die klare Helloween Nacht. Joni, Luni und Ano liefen vorneweg und riefen „Süßes oder Saures!“ so laut sie konnten. Sie wollten, dass die Leute sie auch wirklich gut hören konnten. Viele Nachbarn hatten Kürbisse mit schaurigen Gesichtern vor ihren Türen, und an manchen Häusern hingen sogar riesige Spinnweben.
Aus einem Fenster drang ein dumpfes Geheul, das klang, als ob ein echter Geist dahinter steckte. „Ooooh, das ist bestimmt ein Spukhaus!“, flüsterte Luni und rieb sich aufgeregt die Hände. „Nein, das ist bestimmt nur eine CD“, sagte Joni und tat so, als wäre er ganz mutig. Einen Vampir konnte nichts so schnell erschrecken!
Doch als sie an das Haus von Frau Vogt kamen, wurde es ein bisschen unheimlicher. Es leuchtete in grünem Licht und dichter Nebel kam über die Veranda gekrochen. Frau Vogt war eine ältere Dame, die allein wohnte, mit einer schwarzen Katze, die immer durch die Gärten der Siedlung streifte und sich gerne von den Kindern streicheln ließ. Sie schnurrte dann immer. Jetzt hatte sie sich wie ein echtes Hexenwesen auf die Veranda gesetzt und starrte die Kinder an, als wüsste sie genau, was sie dachten.
„Wie unheimlich!“, flüsterte Ano mit großen Augen. Er stand dicht neben Joni und regte sich nicht.
„Komm schon, Monster, wir sind keine Angsthasen!“ sagte Joni, obwohl ihm selbst das Herz ein bisschen schneller schlug. Sie gingen mutig die Veranda hinauf, und Frau Vogt begrüßte sie mit einem unheimlichen „Willkommen, kleine Geister und Vampire!“ und der Nebel der aus einem Topf auf ihrer Veranda quoll, waberte um ihre Füße. „Ich bin die Hexe, Alberta, und ich verzaubere euch heute Nacht! Hier, nehmt einen Schluck aus meinem besonderen Punsch!“ Joni war fasziniert, aber auch ein bisschen angespannt. Er wollte nicht, dass jemand merkte, dass er eigentlich doch ein kleines bisschen Angst hatte. Alle Kinder bekamen ein kleines Päckchen mit Saft. So eines, an dessen Seite ein kleiner Strohalm angebracht war, damit man ihn oben in die Markierung stecken konnte, und dann trinken konnte. Die Kinder freuten sich und Tranken ihren Zaubertrank. Es war wirklich nicht viel drin, aber es schmeckte gut. Gestärkt ging es nun weiter. Frau Vogt hatte sich noch mit den drei Mamas unterhalten, jetzt winkte sie ihnen noch nach und wünschte ein schönes Halloween
Die Straßen waren voller Kinder, die im Dunkeln herumliefen, von Haus zu Haus zogen und ihre Beutel mit Bonbons füllten. Joni war der mutigste Vampir von allen, da war er sich sicher. Schließlich lief er vorneweg und war der Erste, der jedes Mal „Süßes oder Saures!“ rief. „Wer so ein starker Vampir ist wie ich, den kann nichts erschrecken!“, redete er sich innerlich zu.
Die Kinder zogen weiter und klingelten an jeder Tür. Wenn die Tür aufging, riefen sie alle durcheinander: „Süßes oder Saures!“ Die Leute lachten und reichten ihnen Bonbons, Schokolade und saure Lollis, und die Kinder stopften alle tollen leckeren Süßigkeiten in ihre Beutel. Joni war ganz kribbelig in seinem Bauch vor Aufregung und Anspannung, und so merkte er gar nicht, wie dolle er eigentlich doch mal pieseln müsste und dass er Mamas Rat, zur Toilette zu gehen, vorhin doch besser hätte befolgen sollen.
Zuhause hatten nämlich die Kinder eine Helloween Party veranstaltet. Laras und Fins Mama hatte einen Zombie-Kuchen gebacken. Sie hatte einen Schokokuchen zu einem Männchen geschnitten und mit grüner Glasur übersogen. Dazu hatten sie alle Fledermäuse aus Lakritze, Mäuse aus Zuckerschaum und viele andere Dinge wie aufgespießte Weintrauben mit Käse und Kräcker. Jonis Mama hatte Karotten, und Gurken aufgeschnitten. Sie war der Meinung, die Kinder hätten schon genug Zucker, da müssten sie schließlich auch eine andere Auswahl haben. Aber das fand Joni gar nicht. Süßigkeiten waren doch auch ohne Gemüse eine tolle Auswahl für eine Gruselparty!
Zuerst war es noch hell draußen und die Kinder hatten Fledermäuse und Kürbisse gebastelt für die Fenster als Deko. Später ist Luni mit ihrer Mutter gekommen und sie hatten einen gewaltigen richtigen Kürbis dabei. Der Kürbis sollte eine richtige gruselige Fratze bekommen, fanden alle Kinder und so hatten sie sich ans Werk gemacht. Und weil heute Halloween war, durften alle Kinder grün gefärbten heißen Apfelsaft trinken oder Roten. Die Kinder sagten das grüne sei Hexensuppe und das Rote sei Blutbrühe. Ja, so konnte man wirklich eine gruselige Party feiern!
Aber das war jetzt schon eine Weile her und die grüne Hexensuppe und die Blutbrühe sammelten sich in der kleinen Blase des grausigen Vampirs, nur bemerkt hatte er das in der ganzen Aufregung noch nicht.
Und dann war da dieses Haus mit der Vogelscheuche, die wie aus dem Nichts ihre Arme auf die Gruppe senkte und ein tiefes, kehliges „Buh!“ von sich gab. Joni spürte, wie sein Herz für einen Moment stehen blieb, und ihm wurde heiß und kalt zugleich. Die Kinder schrien erschrocken auf. Die Vogelscheuche lachte jetzt und nahm den Hut ab. „Na, euch habe ich einen Schrecken eingejagt, was?“ Als die anderen laut lachten, merkte er, dass es im Schneeanzug warm und nass wurde. Er pullerte sich wirklich vor Schreck in die Hose! Er schaffte es mit Mühe, wieder einzuhalten. Zwar war es nicht viel Pipi gewsen, aber nass war es nun eindeutig. Er stand zwischen den anderen und versuchte gequält, mitzulachen. Dabei klopfte sein Herz wie wild. Verflixt! Das durfte niemand merken, er war der grausige Vampir, der vor nichts Angst hatte!
Während alle anderen weiterzogen, blieb Joni einen Moment stehen. Er überkreuzte nervös die Beine und sah an sich hinunter. Nichts zu sehen! Puh, Glück gehabt!
Der Vogelscheuchenmann beugte sich aus seiner Pforte. „Alles in Ordnung, Junge? Ich habe mir nur ein Scherz erlaubt und wollte dich nicht verängstigen“
„isokay,“ brachte Joni hervor. Er stand noch immer wie versteinert. „Hier, kriegst noch ein Bonschi“ sagte der Mann und reichte ihm ein in Goldfolie verpacktes Bonbon. „Ich hoffe es geht wieder?“
Die anderen waren stehengeblieben und riefen: „Komm schon, Joni, wir wollen weiter!“ Er rief „Ja, klar, ich komme!“ Er drehte sich zu der Vogelscheuche um. „Schon gut, danke.“ Er ging ein paar Schritte und fühlte verstohlen mit der Hand außen nach. Auch nichts.
Er trabte den anderen hinterher. „Macht nichts“, flüsterte er sich zu. „Ein gruseliger Vampir lässt sich nicht von Kleinigkeiten aufhalten.“ Er zog den Beutel fest an sich, grinste, und hoffte, dass es einfach niemand merken würde.
Er dachte, dass wäre keine große Sache, dieser schelmische Joni. Aber er bemerkte nicht, dass da noch viel mehr Pipi aus ihm heraus wollte, und nun, wo es sich nass anfühlte, vielen die kleinen Tropfen, die jetzt die ganze Zeit hinterher kamen, nicht weiter auf.
Später waren sich die Mütter einig, dass es unbedingt noch ein Foto von der Kindertruppe geben müsse. Die Kinder stellten sich nebeneinander hin und posierten für das coolste Halloween Foto. „Jetzt alle rufen! Halloweeeeeeeeeeen!“ Lunis Mutter hatte das Handy gezückt und tippte mehrfach auf den weißen Kreis auf dem Touch Display. Was für ein schönes Foto! Ein zotteliges Monster mit aufgerissenem Mund hatte die eine Tatze zu einem Peace-Zeichen geformt die andere Tatze hatte es um die Schultern eines Vampirs gelegt. Der Vampir um roten Schneeanzug und langem schwarzen Mantel grinste breit und offenbarte seine Vampirzähne. Er hatte seine Arme wiederum um die Schultern einer Hexe gelegt, die schief grinste und einen leuchtenden Zauberstab in Richtung Kamera rekte. Daneben stand eine Mumie, die über und über in Bandagen gewickelt war. Einige hatten sich bereits gelöst und hingen von ihren nach vorn gestreckten Armen herab, die Lippen theatralisch zu einem „Buh“ geformt. Und dann war da noch ein kleiner Geist der etwas unscharf war, weil er anstatt still zu stehen, vor allen anderen im Dunkel aufgeregt hin und her hüpfte.
Auf dem Foto sah man nicht, dass der rote Schneeanzug von innen nass geworden war. Und man sah auch nicht, dass der Vampir unbemerkt immer mal wieder eingepullert hatte.
Die Mütter hatten beschlossen noch durch den Park zu gehen und dann nach Hause zu schlendern. Sie merkten ihren Schützlingen an, dass sie langsam müde wurden, und ihre Naschitüten waren auch prall gefüllt. Joni, Luni, Ano, Lara und Fin liefen etwas langsamer als zuvor, doch sie kicherten und tauschten fröhlich ihre besten Süßigkeiten aus.
„Ich habe die allergrößte Schokolade in der ganzen Straße bekommen!“ prahlte Ano und hielt eine große Schokoladentafel in die Höhe, die er stolz zur Schau stellte. „Ach was“, winkte Luni ab, „ich habe saure Schlangen, die leuchten im Dunkeln, siehst du?“ Sie hielt die Schlangen hoch und behauptete, dass sie bestimmt magische Kräfte hätten, wenn man sie mitten in der Nacht aß. Die Kinder versuchten, im Schein der Straßenlaterne etwas von der angepriesenen Leuchtkraft zu erkennen. „Ich werde meine Bonbons heute Nacht heimlich essen“, flüsterte Fin verschwörerisch zu Joni. „Aber ich muss das leise machen, sonst wird Lara mich bestimmt verraten.“ Lara verdrehte die Augen und lachte.
Die drei Erwachsenen, die hinter ihnen hergingen mussten schmunzelten. „Na, ich glaube, nächstes Jahr brauchen wir auch noch größere Taschen für die Kinder“, meinte eine der Mütter und schaute auf die überquellenden Beutel, die die Kinder fast nicht mehr tragen konnten. „Oder gleich einen Bollerwagen, um alle Naschis nach Hause zu bringen?“ schlugen sie scherzhaft vor.
In diesem Moment blieb Luni plötzlich stehen und starrte in die Dunkelheit. „Habt ihr das gehört?“ flüsterte sie dramatisch und zeigte mit aufgerissenen Augen auf einen Busch am Straßenrand. Die anderen Kinder hielten erschrocken inne und schauten in dieselbe Richtung. Doch dann ertönte ein lautes Miauen aus dem Gebüsch, und die Katze, die dort versteckt war, sprang erschrocken heraus und rannte in die nächste Einfahrt und verschwand.
Die Kinder lachten erleichtert, und Luni flüsterte: „Oh, eine Geisterkatze! Ich glaube, sie will uns bis nach Hause folgen und unser Naschi klauen!“ Die Vorstellung einer Geisterkatze, die als heimlicher Begleiter mit ihnen ging, brachte alle zum Kichern. „Wisst ihr noch, wie die Vogelscheuche sich plötzlich bewegt hat?“ rief Ano begeistert und schwenkte seinen Beutel. „Ich dachte schon, mein Herz bleibt stehen!“ Lara ergänzte stichelnd: „Joni, dich hat die Vogelscheuche ja am meisten erschreckt, dein Gesicht war echt unbezahlbar! Ich habe kurz gedacht du heulst gleich los.“ Das sagte sie mit einem Lachen und meinte es bestimmt nicht böse. Der Angesprochene war aber in diesem Moment unheimlich froh, dass es so dunkel war, und dass man sein knallrotes Gesicht nicht sehen konnte. „Ach, da war ich überhaupt nicht erschrocken“, behauptete Joni schnell. Seine Wangen glühten. Insgeheim wusste er: seine Oberschenkel waren innen nass – bis zu den Knien!
Sie erreichten den nahegelegenen Park. Die Parkanlage hatte keine Straßenbeleuchtung und der Weg schien wenige Meter vor ihnen von der Dunkelheit verschluckt zu werden. Die Mutter von Lara und Fin kramte nach ihrer Taschenlampe, doch als sie sie einschalten wollte, fiel sie auf den Boden und die Batterien kullerten über den Schotterweg. Aufgeregt hoben die Kinder die Batterien wieder auf, und Ano schlug vor, ob es nicht viel aufregender und schöner wäre, einfach so durch die Nacht zu spazieren und keine Taschenlampe anzuknipsen. Er war ja ein Monster, er hatte gut reden!
Aber die anderen stimmten zu, nur Fin wollte nicht. Joni nahm gab ihm seine Hand und versprach auf ihn aufzupassen. Fin war sichtlich erfreut, dass einer der großen Kinder ihm zur Hilfe kam. Und Joni war stolz ihm zu helfen. Schließlich fürchtet sich ein Vampir vor nichts!
Doch in der Anspannung tröpfelte seine randvolle Blase in seinen Anzug. Er bemerkte es und auch das Drücken der Blase drang in sein Bewusstsein. Er schob das Gefühl beiseite, und nahm sich vor besser aufzupassen, bis er zuhause war und pullern gehen konnte.
Neben der Parkanlage grenzte ein Spielplatz an, auf dem sie andere Kinder kreischen und rufen hörten. „Wie wäre es, wenn wir die anderen mal im Dunkeln erschrecken?“ Lara hatte sich leicht heruntergebeugt und flüsterte verschwörerisch zu den jüngeren Gruppenmitgliedern. „Yea cool!“ flüsterten Joni und Ano. Luni zögerte aber wollte nicht zurückbleiben und Fin blieb einfach an Jonis Hand und freute sich, bei den großen dabei zu sein.
Überhaupt war Fin sehr stolz mit machen zu dürfen. Eigentlich müsste er schon lange im Bett sein und extra für diesen Abend hatte Mama ihm nach viel Quengeln erlaubt, bei den Großen mitzumachen und um die Häuser zu ziehen. Damit er später einfach ins Bett gebracht werden konnte, hatte er schon sein Schlafanzug an. Und natürlich seine Nachtwindel. Die brauch er noch, denn wenn er schläft, dann merkt er nicht wenn er pullern muss. Aber denkt euch nur wie praktisch es ist, nach so viel Punsch und Saft eine Windel anzuhaben! Er ist schon lange nicht mehr trocken, aber sein Anzug hat im Gegensatz zu Jonis Nichts abbekommen. Aber davon hatte er natürlich keinen blassen Schimmer.
Während die Mütter auf die Naschitüten der Kinder aufpassten, erkundeten diese den stockfinsteren Spielplatz. Es stellte sich heraus, dass die anderen Kinder auf dem Spielplatz andere Klassenmitglieder der 1b „Eichhörnchen Klasse“ waren. Alex, Ylvi, Jonte, Arik und Hailey spielten verstecken. Da machten sie alle gemeinsame Sache.
Im Versteck bemerkte Joni erst recht wie sehr er dringend pieseln muss. Aber er kann das Versteck doch nicht verlassen! Nicht jetzt! Dass er vorhin immer mal wieder in den Anzug getröpfelt hat, hat er gar nicht bemerkt. Wie denn auch bei der Aufregung? Wenn doch eh schon ein nasses Gefühl da ist im Anzug, wie hätte er denn feststellen können, dass da heimlich noch was dazu gekommen ist?
Mit großer Anstrengung krümmte er sich hinter dem Gebüsch und versuchte verzweifelt, einen „richtigen“ Pipiunfall zu verhindern.
„Hab dich!“ brüllte Alex. Joni stand auf und kam aus dem Gebüsch hervor, jetzt wo er nicht mehr so geheimnisvoll in einem Versteck saß, war es gar nicht mehr so dringend, und nachdem alle gefunden sind, war Hailey Sucherin.
Joni hüpfte auf und ab und war überhaupt ganz zappelig. Ein gruseliger Vampir, der nicht mehr stillstehen konnte. Fin lief ihm hinterher und wollte zu ihm ins Versteck. Allein fürchtete er sich.
Neben einem Baum war ein gutes Gebüsch zum Verstecken. Groß genug für beide Kinder.
Als sie im Versteck angekommen waren, meldete sich Jonis Blase wieder. Er kniff ganz fest zu und krallte seine Hand in die Rinde des Baumstamms, bestimmt würde er es wieder schaffen einzuhalten! „Das halte ich noch durch und bald gehen wir alle nach Hause, dann kann ich endlich pullern“.
Hektisch wechselte er vom Hocken ins Ducken und zurück. „Ach das dauert aber alles lange“ es fühlte sich für ihn an wie eine Ewigkeit.
Fin saß ganz ruhig neben im auf dem Boden und beobachtete Joni. Der kleine gähnte. Kein Wunder, dass er müde war!
Paul stürmte hinter ihnen ins Versteck. „Cool, hier ist noch Platz!“ er klang erleichtert und hockte sich neben Fin. „Joni, setz dich hin, sonst sieht sie uns doch!“ flüsterte Paul eindringlich. Joni hockte sich hin und konnte gar nicht mehr so richtig darauf konzentrieren, was um ihn herum passierte. Wann würden sie endlich gefunden werden, damit er endlich wieder aus dem Versteck raus könnte? Er wackelte nervös mit den Beinen und sein Oberkörper wippte vor und zurück, vor zurück. Paul schaute ihn misstrauisch von der Seite an. Joni spürte, wie wieder ein paar Tropfen in seine Unterhose rannen. Er wusste, dass er beobachtet wurde, doch er musste einfach seine Hand zu Hilfe nehmen. Er wippte auf den Knien auf und ab und griff sich hilflos und unverhohlen in den Schritt.
Der kleine Fin saß einfach nur da und schaute ausdruckslos den wühlenden und raschelnden Joni an. Er war wirklich müde. Warum benahm sich der große Junge, der sich als gruseliger Vampir verkleidet hatte, und vorhin eine so große Klappe hatte, so merkwürdig? Er verstand nicht, dass der Vampir drauf und dran war, den Kampf mit seiner Blase zu verlieren.
Er gähnte erneut. Und pieselte in seine nicht mehr trockene Nachtwindel. Es war ja eh schon Nacht und er würde normalerweise jetzt schlafen, also war es ja wohl erlaubt in die Pampi zu pullern!
Der arme Joni konnte einfach nicht mehr. Der Druck war nahezu unbeherrschbar. Wieder entwichen ihm Tropfen. Aber nein, er würde nachher zuhause aufs Klo gehen! Er rubbelte hektisch über seine Oberschenkel und biss sich auf die Lippe, dass sie fast in echt blutig gewesen wäre.
Paul drehte sich erneut zu Joni um und zischte eindringlich „Psssssst, sei still, sie kommt!!!“
Er legte seine Hände auf Jonis‘ und hinderte ihn so daran, zu zappeln. Er sollte doch nicht ihr gemeinsames Versteck verraten!
Joni hielt so gut er konnte still und spannte all seine Muskeln an. Er ballte seine Hände zu Fäusten, er hielt die Luft an, sein Gesicht brannte, seine Ohren rauschten. Aber es ging einfach nicht mehr. Ein Schauer durchfuhr ihn, dass es ihn schüttelte. Und dann geschah es!
Paul wunderte sich, warum Joni so komisch zuckte und so seltsam schaute. Hatte er ihm wehgetan? Das hatte er nicht gewollt. Er ließ Jonis Hände los, doch der rührte sich nicht.
Die Kinder waren mucksmäuschen still im Versteck, man hörte den Wind durch die Äste streifen, das lose Laub über den Boden rascheln und ein eigenartiges leises Zischen. In der Ferne lachten die Mütter, während sie vor dem Spielplatz auf der Bank saßen und sich etwas erzählten. Vor dem Gebüsch raschelte es plötzlich und sie hörten Schritte und Hayley rief durch die kahlen Äste „Hab euch, kommt raus!“
Paul sprang auf und grinste. „Verdammt, ich dachte du siehst uns nicht!“
Fin erhob sich seufzend und ging wortlos zu seiner Mama. Er wollte nach Hause ins Bett!
Paul lief Hayley hinterher, um beim Suchen der anderen zu helfen.
Joni erwachte aus seiner Starre. Er hatte es wirklich getan! Erst war es nur ein kleines Rinnsal gewesen und dann war es mehr und mehr, bis er schließlich volle Lotte in seinen Schneeoverall gestrullt hatte. Komplette Ladung. Volles Rohr. Wasser marsch.
Es fühlte sich total seltsam an. Er saß auf seinen Knien, zwischen seinen Füßen, in einer Pfütze. Aber der Boden um ihn herum war trocken. Er holte ein paarmal tief Luft und streckte seine Füße nach vorn aus. Erschöpft ließ er sich nach hinten sinken und dann lag er wie ein Seestern in seinem See in seinem Anzug. Er war froh dass es endlich raus war und er fühlte sich schlecht, dass er sein Kostüm und seinen Anzug geflutet hatte. Er! Der grauseligste Vampir der Siedlung!
Langsam setzte er sich hin. die Pfütze war beim Liegen zu seinem Rücken gewandert und jetzt lief sie wieder nach unten. Langsam rollte er sich seitlich auf alle Viere und jetzt wurde es auch am Bauch warm und nass und auf den Oberschenkeln und an den Knien, und schließlich tropfe es über seine nagelneuen blauen Affenzahn Winterstiefel. Er krabbelte langsam aus dem Gebüsch heraus. Wie in Zeitlupe stand Joni auf. Es fühlte sich seltsam, aber nicht schlecht an. Und das krasseste war: der Anzug war von Außen trocken! Welch ein Glück! Im Dunkeln sah keiner, dass er eine Spur von Pipitropfen im trockenen Sand hinterließ, als er zu seinen Freunden ging.
Die anderen Kinder liefen johlend über den Spielplatz, sie hatten sie sich dazu entschieden, doch lieber Fangen statt Verstecken zu spielen. Alex und Luni kamen angerannt und zusammen liefen sie auf die große Parkwiese neben dem Spielplatz. In der Dunkelheit war die Umgebung gerade genug schemenhaft zu erkennen, um nirgends gegenzulaufen, und es machte den Kindern viel Spaß. Alle waren super aufgedreht durch das ganze Naschi und die Atmosphäre und natürlich durch die späte Stunde.
Joni hatte sich an das nasse Gefühl gewöhnt und seine Stimmung war weitestgehend wieder hergestellt. Er lachte ausgelassen mit und schaffte es, als Fänger immer wieder schnell ein anderes Kind zu ticken.
Auch der schönste Abend hat ein Ende und so riefen die Erwachsenen alsbald zum Aufbruch. Fin war inzwischen auf dem Arm seiner Mutter eingeschlafen und wurde daher getragen. Lara hatte sich beim Fangen die Bandagen entfernt, sie waren einfach zu unpraktisch beim Rennen! Ano schwitze sichtlich in seinem Kostüm und hatte die mit Ohren und Hörnern versehene Kapuze vom Kopf gezogen und Lunis Hexenhut zierte jetzt nicht mehr ihren Kopf, sondern den ihrer Mama.
Ano und seine Mutter waren die ersten die die Gruppe verließen, denn ihr Haus war dem Park am nächsten.
Wenig später waren es Luni und ihre Mutter die in eine andere Richtung gingen.
Doch Joni ging mit Lara und ihrer Mutter und dem schlafenden Fin, denn ihre Häuser waren ja direkt nebeneinander.
Als die Tür aufging, stand ein müder und gut gelaunter Joni auf der Schwelle. Mama hatte derweil das Chaos der Party aufgeräumt und alles zum Schlafen bereit gemacht. Sie war auch sichtlich müde aber froh, dass ihr Sohn einen so schönen Abend mit den anderen verbracht hatte.
Er war vollkommen erschöpft, seine Beine fühlten sich schwer an, und die Augen waren ganz klein. Seine randvolle Naschitüte ließ er auf den Boden plumpsen, und selbst ließ er sich auf die kleine Bank der Garderobe fallen und blieb einfach sitzen. Irgendwie hatte er keine Lust sich auszuziehen, denn er wusste ja was ihn dann erwartete.
Jonis Mama bemerkte sofort, dass er etwas auf dem Herzen hatte. Sie beugte sich zu ihm hinunter und schaute ihn liebevoll an. „Na, mein kleiner Vampir, alles in Ordnung?“ fragte sie sanft und strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Schminke auf seinem Gesicht war fast gänzlich verwischt.
Er nickte kurz, doch sie sah ihn genauer an und zog ihn vorsichtig zu sich. „Komm, wir schlüpfen mal aus dem Schneeanzug“. Sie begann damit, ihm vorsichtig den Reißverschluss herunterzuziehen. Doch schon nach den ersten paar Zentimetern bemerkte sie es. „Oh, Joni… du bist ja ganz nass.“
Joni wurde rot und er senkte den Blick. „Ähm… ja… das war, ähm… ich konnte einfach nicht…mehr…“ stammelte er leise, ohne wirklich zu wissen, was er sagen sollte. Es war doch nicht seine Schuld gewesen, oder?
Doch Mama schaute ihn nur mit einem sanften Lächeln an, und in ihren Augen lag nichts als Liebe und Verständnis. „Ach, Joni“, sagte sie leise und zog ihn fest in ihre Arme. „Weißt du, Halloween ist so aufregend, dass so ein kleiner Unfall einfach mal passieren kann. Du warst heute wirklich tapfer!“
Jonis Herz wurde leichter, und die Sorgen in seinem Gesicht verschwanden ein wenig. Es war, als hätte Mama ein kleines Wunder vollbracht, indem sie seine Angst und Scham einfach weggelächelt hatte.
Plötzlich fühlte er sich sogar ein wenig stolz darauf, so viele Abenteuer erlebt zu haben, dass ihn nicht einmal ein solches Missgeschick aufhalten konnte.
Mama half ihm, aus dem restlichen Schneeanzug zu schlüpfen und sagte: „Weißt du, das mit dem Vampirsein ist doch ganz schön anstrengend, oder? Vielleicht ist es auch ein bisschen der Fluch, den die Hexe auf die mutigsten Kinder gelegt hat. Da kann so etwas eben passieren.“ Sie zwinkerte ihm zu.
Jonis Augen wurden groß, und ein kleines Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. „Ja, das muss der Fluch gewesen sein! Vom Hexentrank bei Frau Vogt“ sagte er leise.
Mama wusste zwar nicht was er damit meinte, aber sie legte ihm den Arm um die Schultern und flüsterte: „Weißt du was? Das bleibt einfach unser kleines Geheimnis, okay? Es ist ja schließlich deine erste große Vampirnacht.“
Joni nickte erleichtert und sah seine Mama bewundernd an. Sie verstand einfach alles.
Und als sie ihm schließlich trockene, gemütliche Schlafsachen angezogen hatte, beim Zähneputzen geholfen hatte und ihn mit einer Kuscheldecke ins Bett brachte, wusste er:
Dies war wirklich die beste Halloween-Nacht seines Lebens.
Autor: acfilix (eingesandt via E-Mail)
Diese Geschichte darf nicht kopiert werden.
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Finde diese Geschichte mit Herzblut und viel Liebe geschrieben. Danke