When 2 become 1 (2)
Windelgeschichten.org präsentiert: When 2 become 1 (2)
Als sich das Cadillac in Bewegung setzte, ließ der Druck schlagartig nach. Ich verstaute das Fernglas in seinem schwarzen Hartplastik-Koffer, platzierte eine Kaffeetasse unter der in die Wand integrierten Kaffeemaschine und wählte auf dem Bedienfeld die Option für den stärkstmöglichen Espresso. 15 Minuten. Ungefähr. Steven würde mir eine kurze Nachricht schicken, wenn die Endermann und Nic sich von der Zollabfertigung auf den Weg zur Lounge machen würden. Dann blieben mir noch ungefähr fünf Minuten. Ich setzte mich in einen dieser Designersessel, die jedem Raum großartig zu Gesicht stehen, aber eine Qual für jeden Rücken sind. Das furchtbare Teil bot aber den perfekten Überblick ins Gebäude. Ich hatte von dort aus schlicht im Blick, wer sich in meine Richtung bewegte. Von Interesse waren dabei natürlich vor allem Steven, Frau Endermann und Nic. Mein kleinen Bruder. Halbbruder, um genau zu sein. Er war endlich in Kanada. Hatte endlich die Chance, alles hinter sich zu lassen. Neu anzufangen.
12 Monate. Ziemlich genau ein Jahr hatte es gedauert, so weit zu kommen. Kampf, Spießrutenlauf, hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen. Das hatte kraft gekostet. Viel Kraft. Vom Geld ganz zu schweigen. Und schon waren sie wieder da. Nics Augen. Und mit ihnen das Bewusstsein, dass sich dieser Kampf gelohnt hatte. Der kleine Mann, mein Bruder hatte es verdient, hier in Kanada beschützt und frei aufzuwachsen. In Deutschland war das auch kein Problem gewesen, Bis zu jenem 24. November vor 13 Monaten, der erst Nics Leben auf den Kopf gestellt hatte, und dann meines. Viel verbunden hatte uns bis dato wenig. Wir waren Halbbrüder, unser Kontakt beschränkte sich auf ein, zwei Treffen in Deutschland und ein paar sporadische Skype-Telefonate. Uns trennten viel mehr als nur die vielen tausend Kilometer zwischen Schleswig-Holstein und Kanada. Ich entstammte einem Lebensabschnitt meiner Mutter, der sie zu dem gemacht hatte, für was sie bis zum Schluss stand: eine starke, liebevolle und extrem emanzipierte Frau die das Pech hatte, bereits mit 15 Jahren Mutter zu werden. Oder das Glück. Je nachdem, wie man das sehen wollte.
Sie lebte damals noch in Süddeutschland als Tochter eines Lehrer-Ehepaars. Sehr behütet. Sehr tolerant. Die ungeplante Schwangerschaft der Tochter war in der spießigen Kleinbürger-Gemeinde, in der meine Mutter lebte, ein Problem. Nicht aber in der Familie. Kaum war ich auf der Welt, ging Mama wieder zur Schule. Ich war bei den (auch noch ziemlich jungen Großeltern) bestens aufgehoben. Im Zweifel wurde ich gleich von zwei engagierten Frauen gegen alle Kleinbürger-Abartigkeiten verteidigt. Von meinem rhetorisch mit allen Wassern gewaschenen Großvater ganz zu schweigen. Happy End? Jein. So viel Rückhalt hat nicht nur positive Effekte. Mir wurde die süddeutsche Realität sehr schnell zu “klein”. Zu eng. Unmittelbar nach dem Abitur verabschiedete ich mich in Richtung Studium nach Hamburg. Psychologie. Das stand für mich seit Beginn des Gymnasiums fest. Warum? Weil ich Menschen liebte. Und Menschen “lesen” konnte. Schon immer. Als Kind findet man nichts daran, wenn da plötzlich die Persönlichkeit des Mathelehrers wie ein offenes Buch vor einem liegt. Man bedient sich draus. Nutzt die Informationen zu seinem Vorteil. Oder setzt sie ein, um den Pädagogen zur Weißglut zu bringen. Beides beherrschte ich kurz nach der Pubertät perfekt. Es waren die Augen. Mit zunehmendem Alter reichten mir bereits wenige Sekunden Blickkontakt um mein Gegenüber in der Tasche zu haben. Die “Informationen”, die ich dabei sammelte, deckten sich gefühlt zu 85% mit der Realität.
Die Flucht ins “große” Hamburg, das war nach dem ersten Semester klar, war lediglich der Auftakt zu einer deutlich weiteren Reise, die schließlich hier in Kanada endete. Das Studium war eine Qual. Das theoretische Wissen, das ich anhäufte, deckte sich nicht mit dem, was ich in den Menschen “sah”. Mir wurde schnell klar, dass ich niemals würde ernsthaft als Psychologe arbeiten können. Aber ich war auch das Kind meiner Mutter. Was man anfängt, bringt man auch zu Ende. Und zwar so schnell wie möglich. Nach neun Semestern hatte ich mein Diplom in der Tasche und die selbigen gepackt. One-Way-Ticket nach Kanada. Raus. In die Freiheit.
Ich hatte mir parallel zum Studium einen Job als Skilehrer in den Whistler Mountains besorgt. Das hatte zwar überhaupt nichts mit meinem Studium zu tun, war aber die schnellste Möglichkeit, irgendwo anders Fuß zu fassen. Skifahren konnte ich ganz gut und hatte mir während des Studiums in den Semesterferien sogar die entsprechenden international gültigen Zertifikate besorgt. Kurz: Es war fast schon zu einfach. Als langfristiges Ziel wollte ich in Kanada vielleicht einen Skiladen aufmachen. Oder ein kleines Café. Aus beiden Ideen wurde zum Glück nichts. Denn bereits in meiner zweiten Woche als Skilehrer “sagten” mir die Augen eines Skischülers, worauf er wirklich Lust hätte: Auf einen individuellen Skikurs. Zu einem Zeitpunkt, der in seinen Kalender passte. Intensives Training. Zum richtigen Zeitpunkt. Quasi ein Skilehrer auf Abruf. Preis pro Stunde: irrelevant. Der Mann war neu im Management einer ortsansässigen IT-Firma und musste 14 Tage später mit dem gesamten Vorstand zu einem gemeinsamen Ski-Wochenende antreten. Konnte aber gar nicht Skifahren. In der Hauptsaison waren aber alle Einzelkurse ausgebucht und so blieb ihm nur der Weg über die klassischen Skikurse. Für ihn eine echte Qual. Die Sache war schnell gelöst. Ich kündigte noch am selben Tag in der Skischule und war die nächsten 14 Tage immer dann zur Stelle, wenn mein Schützling Zeit hatte, Ski zu fahren. Der Rest war dann ein Selbstläufer. Der IT-Mann war begeistert, erzählte im Freundeskreis und der Firma von dem neuen Service und bereits eine Woche später war mein Terminplan ein Schlachtfeld.
Vier Wochen später hatte ich bereits 25 angestellte Skilehrer, die unseren VIP-Kunden rund um die Uhr zur Verfügung standen. Wir hatten zusätzlich Deals mit drei großen Hotels, die für besondere Kunden Zugriff auf unseren Service hatten. Zur Not organisierten wir sogar Helicopter-Shuttle-Flügel vom Büro auf die Piste. Es war der helle Wahnsinn. “SnowPlus” hieß meine Firma, deren Führung ich keine 12 Monate nach der Gründung in die Hände eines jungen Betriebswirts legte. Der verfeinerte das Geschäftsmodell, erhöhte die Preise und kam nochmal 12 Monate später mit dem Angebot eines internationalen Touristikkonzerns auf mich zu, der meine Firma kaufen wollte. Um jeden Preis. Seitdem bin ich Privatiers. In Zahlen ausgedrückte habe ich genug Geld für sechs Leben zur Verfügung. Mindestens. Das ist ein Witz, verglichen mit dem, was die wirklich reichen Menschen weltweit so zur Verfügung haben. Luxus interessiert mich aber gar nicht. Dafür aber Unabhängigkeit. Und die genoss ich in vollen Zügen.
Simon, ein gewiefter Steuerrechtler, kümmert sich um steuerliche Angelegenheiten. Frank, der ehemalige Geschäftsführer von SnowPlus verwaltet (und erweitert) mein Vermögen und Steven, mein Anwalt, kümmert sich um meine Stiftung “KidsPlus”, die ich parallel zum SnowPlus-Exit gegründet hatte. Die kümmerte sich um benachteiligte Kinder und Jugendliche. Hoffnungslose Fälle, die uns von Partner-Organisationen auf der ganzen Welt zugetragen werden. Kriegswaisen, Vergewaltigungsopfer, Kindersklaven. Steven und ich sammelten die grausamsten und krassesten Fälle ein und versuchten, diesen Kindern eine neue Chance zu geben. Dezent im Hintergrund. Keines unserer Kinder wusste, dass da jemand die schützende Hand über ihnen ausgebreitet hatte. Wir halfen mit Geld. Mit medizinischer Behandlung. Mit Beratung. Kurz: mit allem, was nötig war und schafften es in Rekordzeit, uns ein sehr aktives globales Netzwerk an Experten aufzubauen.
Autor: Der Beobachter (eingesandt via E-Mail)
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