When 2 become 1 (3)
Windelgeschichten.org präsentiert: When 2 become 1 (3)
Dann klingelte am 25. November mein Telefon. Und mein Leben war um eine Herausforderung reicher. Die Stimme am anderen Ende der Leitung teilte mir mit, dass meine Mutter nicht mehr am Leben war. Ums Leben gekommen bei einem verheerenden Feuer, das den großen Bio-Bauernhof in Schleswig-Holstein, auf dem sie mit ihrem Mann und meinem Halbbruder Nicolaus lebte, zerstört hatte. Einen Tag, nachdem die nagelneue Biogas-Anlage des Hofes in Betrieb genommen wurde. Vier Stunden später saß ich im Flieger und stand keine 24 Stunden später vor den Trümmern dessen, was mal das neue Leben meiner Mutter gewesen war. Ein noch immer dampfendes Trümmerfeld aus Gebäuderesten, Stallungen und vebrannter Erde. Unter einem verkohlten, pechschwarzen Balken lächelte mich ein halbverkokelter Stoff-Marienkäfer an. Er hieß Dieter. Den hatte ich Nic zum dritten Geburtstag geschenkt. Es schnürte mir die Kehle zu. Ich hob Dieter auf, wischte ihm so gut es ging den Dreck und die Asche aus dem Pelz und steckte ihn ein. Als letzte Erinnerung.
Laut Augenzeugenberichten muss es eine gewaltige Explosion gewesen sein. Ausgangspunkt: Die Biogas-Anlage. Pfusch am Bau. Technisch eigentlich ausgeschlossen. Und doch passiert. Für mich gab es zu diesem Zeitpunkt nicht viel zu tun. Ich fühlte mich einfach nur leer. Erinnerte mich an die letzten Skype-Gespräche mit Nic. Mit meiner Mutter. Alles weg. Ich hatte immer die Freiheit gesucht. Und hatte jetzt meine Wurzeln verloren. Das tat weh. Um mich selbst zu schützen, schaltete ich in den Profi-Betriebsmodus. Der Nachlass musste geklärt, Beerdigungen organisiert werden. Die Beerdigungen waren eine reine Formsache. Beim Thema Nachlass wurde aus dem Drama aber ganz schnell ein Fall für KidsPlus. Denn: Nic, mein Bruder, war gar nicht ums Leben gekommen. Er lag mit schwersten Verletzungen in einer Spezialklinik in Hamburg und kämpfte dort seit ein paar Tagen um sein Leben. Warum mir das niemand gesagt hatte, verstehe ich bis heute nicht. Aber wahrscheinlich liegt darin der Ursprung meiner kompletten Abneigung gegen deutsche Behörden.
Ich charterte mir einen Hubschrauber und war 90 Minuten später bei Nic am Krankenbett. Der Anblick war ein Schock. Von dem kleinen, strohblonden Bauernhof-Bengel war nicht mehr viel übrig geblieben. Überall Schläuche, Monitore, Apparate. Die Brandgase hatten seine Lunge veräzt, als das Wohnhaus zusammenstürzte, wurde er unter Tonnen von Schutt begraben. Seine Hüfte war mehrfach gebrochen, er hatte innere Verletzungen und litt außerdem an einer Hirnblutung. Außerdem waren sich die Ärzte sicher, dass auch seine Wirbelsäule etwas abbekommen hatte. Der Professor, der ihn behandelte, war der erste Mensch, dem ich so etwas wie Vertrauen entgegen brachte. Weil er sehr schnell erkannte, wer ich war und was Nic mir bedeutete. Er schätzte Nics Überlebenschancen auf maximal 15%. Und dann würden wahrscheinlich Verletzungen zurückbleiben, unter denen er sein Leben lang leiden würde. Nichts, was ich in meiner Stiftungsarbeit nicht schon gehört hatte. Und doch eine komplett andere Sache. Diesmal ging es um Nic. Um das letzte, was von meiner Familie übrig geblieben war.
Ich blieb vier Wochen in Deutschland und verbrachte praktisch Tag und Nacht bei Nic. Der lag unverändert im Koma, begann aber nach drei Wochen langsam auf manuelle Stimulationen zu reagieren. Was in seinem Fall aber eine gute Nachricht war. Nicht aber für das zuständige Jugendamt. Das hatte Nic in Obhut genommen. Aus irgendwelchen Gründen zählte ich nicht als direkter Angehöriger. Zu Beginn schien das kein großes Problem zu sein. Doch je länger Nic im Koma lag, desto schwieriger wurde der Umgang mit dem Jugendamt. Die für ihn verantwortliche Dame, Franziska Endermann, war offensichtlich kein großer Fan des behandelnden Professors und zweifelte seine Einschätzung an, dass Nic auf dem langsamen Weg der Besserung sei. Sie gab gleich zwei Gutachten in Auftrag die nachweisen sollten, dass Nic nicht mehr aus dem Koma erwachen würde. Sie bekam ihre Gutachten. Und sie bekam die gewünschten Ergebnisse. Bereits eine Woche später wurde Nic in ein Pflegeheim verlegt um dort “optimal betreut” zu werden. Nic war in den Augen des Jugendamts austherapiert und war es nicht mehr wert, weiter in seine Genesung zu investieren. Die Unterbringung im Pflegeheim war für den Staat die günstigste Lösung. Ich verlor die Fassung. Beschimpfte sie aufs Übelste und hätte mich um ein Haar dazu hinreißen lassen, sie tätlich anzugreifen. Der Professor, Nic und mein einziger Verbündeter, fiel mir in den Arm und verhinderte Schlimmeres. Ich bekam in der Folge Besuchsverbot bei Nic. Unbefristet. Und startete ab diesem Moment meinen Kreuzzug gegen Franziska Endermann und das Jugendamt. Vor meinem Rückflug nach Kanada organisierte ich gemeinsam mit dem Professor allerdings ein System, das mich trotz Besuchsverbots permanent über Nics Gesundheitszustand auf dem Laufenden hielt. Es gelang uns sogar einen Weg zu finden, ihm regelmäßig Sprachnachrichten von mir zukommen zu lassen.
Bereits vier Wochen später, Steven hatte gerade vom zuständigen Amtsgericht nach zähen Verhandlungen feststellen lassen, dass ich als Halbbruder theoretisch berechtigt wäre, das Sorgerecht für Nic zu beantragen, kam die erste wirklich gute Nachricht aus dem Pflegeheim: Nic war aus dem Koma erwacht. Es es deutete viele darauf hin, dass er zumindest ohne bleibende Hirnschäden davongekommen sein könnte. Fortan hatte ich zumindest wieder einen direkteren Zugriff auf Informationen, da Nic zur weiteren Behandlung wieder zurück in die Spezialklinik des Professors gebracht wurde. Besuche waren dennoch ausgeschlossen. Das Besuchsverbot wurde weiter nicht aufgehoben. Das war für mich aber zu diesem Zeitpunkt auch kein Problem. Denn Steven und ich machten uns gerade mit einer Spezial-Kanzlei aus Detroit daran, Nic aus Deutschland heraus nach Kanada zu holen. Zu mir. In Sicherheit. Es sollte weitere sechs Monate dauern, bis ein Grundsatz-Urteil des europäischen Gerichtshofs uns in die Karten spielte und wir endlich die ersten Prozesse gewannen. Ungefähr zur gleichen Zeit konnte Nic die Klinik verlassen. Auf Krücken. Ohne Rollstuhl. Seele und Körper voller Narben. Nach zwei Monaten in zwei verschiedenen Reha-Kliniken wurde es als “nicht behandelbar” entlassen und kam zunächst in eine Wohngruppe für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche. Er sprach nicht. Konnte nach wie vor nur auf Krücken gehen. War aggressiv gegen sich selbst und andere. Litt unter Angsstörungen und Panik-Attacken. Die Lösung seiner Betreuer: Sie setzten ihn unter Drogen. Ein Kombination aus Psychopharmaka, Beruhigungsmitteln und Ritalin stellte ihn ruhig. Machte ihn für seine Umwelt handelbar. Erträglich. Der letzte Gesundheitsbericht, der mir zugespielt wurde, brauch mir das Herz. Nic hatte von seiner Mutter einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn geerbt und war bereits im ersten Schuljahr vor allem dadurch aufgefallen, dass ihn Ungerechtigkeit auf die Palme brachte. Er war aber auch wissbegierig, freiheitsliebend und eigentlich fast ausschließlich draußen zu finden. Auf dem Hof seiner Eltern. Zwischen Tieren. Landmaschinen und der Weite Schleswig-Holsteins. Der Nic im Gesundheitsbericht war nur dann zu beruhigen, wenn man ihn mit Medikamenten vollpumpte. Dann war Ruhe. Einen Monat später sprach mir ein Gericht letztinstanzlich das volle Sorgerecht für Nic zu. Revision ausgeschlossen. Wir hatten gewonnen! Weitere vier Wochen und unzählige Diskussionen mit dem Jugendamt später, startete die Boeing 787 in Frankfurt nach Edmonton.
Autor: Der Beobachter (eingesandt via E-Mail)
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Echt Tolle Geschichte, um erlich zu sein die beste Geschichte die ich hier je gelesen habe. Weiter so 🙂
lg. Hocki
Sehr schön geschriebene Geschichte ich hoffe du schreibst bald weiter
mir gefallen so Geschichten eh viel besser als diese „schnellen“ wo es nach den ersten drei Sätzen direkt um Windeln und deren Benutzung geht
TOP MACH WEITER SO !!!!!!!!!
Weiter so, tolle Geschichte hoffe auf baldigste Fortsetzung.
Mhm… finde es einerseits gut, dass es nicht sofort um Windeln und etc. geht, andererseits ist das jetzt schon der dritte Teil und es ist immer noch nicht wirklich irgendwas in der Richtung passiert… was die Motivation weiterzulesen ehrlich gesagt null vorantreibt – schlieĂźlich ist das hier ein Windelblog und kein ‚einzelne, kurze Sätze, statt ein paar Satzzeichen-Blog‘ (aka Zitat: ‚Auf KrĂĽcken. Ohne Rollstuhl. Seele und Körper voller Narben.‘ oder ‚Zu mir. In Sicherheit.‘ – nur aus diesem Teil).
Ist als konstruktive Kritik gemeint – schreib bitte bisschen zĂĽgiger und mehr zum eigentlichen Thema =)
Ich finde den schreibstiel klasse und im gegensatz zu Xander garnicht schlimm das es schon das dritte Kapitel ist, es sind kurze Kapitel die direkt hintereinander folgten, sowas ist mir lieber als jemand der grosse Kapitel schreibt aber nur einmal im Monat eine Geschichte hat und das was bisher geschrieben wurde ist eine wichtige Einleitung zu dem was noch kommen kann, mir gefällt der Schreibstiel und es wird eine mehr 5 Kapitelgeschichte werden wenn du nicht abbrichst, also warte ich gespannt wann du Zeit zum weiterschreiben hast