When 2 become 1 (4)
Windelgeschichten.org präsentiert: When 2 become 1 (4)
Als das Handy auf der Sessellehne vibrierte und mich aus meinen Gedanken holte, wischte ich mir die Tränen aus den Augen. Ich war fix und fertig. Die fast 14 Monate hatten Kraft gekostet. Zu viel Kraft. Vor dem Endermann-Biest würde ich aber ganz sicher keine Schwäche zeigen. Niemals! “T minus 3 Minuten”, stand in der Nachricht von Steven. Sie waren also bereits durch den Zoll. Ich stand auf, fingerte nervös meine Klamotten in Form und stürzte den letzten Rest Espresso runter. Kalt. Gut so. Ich hasste kalten Kaffee. Und ein bisschen schlechte Laune stand mir mit Blick auf die Begegnung mit Frau Endermann ganz gut, fand ich.
Ich öffnete die getönte Glastür und plötzlich standen sie alle im Raum: Steven. Die Endermann. Und Nic. Wahrscheinlich hätte ich in diesem Moment etwas sagen sollen. Zu ihr. Zumindest hatte ich den Eindruck, dass sie das erwartet hatte. Das interessierte mich aber nicht im Geringsten. Meine Aufmerksamkeit, meine Augen, mein Herz waren bei Nic. 15 Sekunden, mehr brauchte ich nicht. Und er ließ es zu. Obwohl er ganz offensichtlich vor der Abreise reichlich Medikamente bekommen hatte. Um ihn ruhig zu stellen. Ihn gefügig zu machen. Er sah mich. Und ließ einen winzigen Funken Hoffnung zu. Sichtbar war das nur für mich. Nur für Brüder. Nach außen sind stand da weiterhin lediglich ein abwesend ins Nichts starrender Achtjähriger, in ausgelatschten Muppet-Show-Turnschuhen die irgendwann mal mit einer Blinke-Sohle ausgestattet waren, einer etwas zu kurzen, hellroten, leicht fleckigen Jogginghose sowie eine schmucklosen Jeansjacke. Gebrauchte Klamotten. Mehr war er ihnen nicht wert gewesen. Er fror. Das ließ ihn noch elender aussehen. Die Haare raspelkurz. Die Augen eingefallen. Er sah mager aus. Aber: Ich hatte die Hoffnung gesehen! Und nur darauf kam es an. lch hatte aber noch etwas gesehen: Erschöpfung. Grenzenlose Erschöpfung. Nic war am Ende seiner Kräfte. Ich gab ihm noch zehn Minuten, dann würde er uns hier zusammenklappen. Wir hatten reichlich medizinisches Fachpersonal im Hintergrund auf Standby, das war also nicht das Problem. Aber ein kollabiertes Kind würde Franziska Endermann nicht übergeben. Das durfte sie gar nicht. Ich musste also schleunigst zurück zu unserem Plan. Ein letzter intensiver Blick zu Nic. Halte durch!
Dann riss ich mich von ihm los, zimmerte mir mein Business-Man-Lächeln ins Gesicht und schaffte es endlich, die Endermann-Hexe zu begrüßen. Formvollendet. Und doch legte ich alles an Verachtung in Worte, Gesten, Blicke und Körperhaltung, was mir zur Verfügung stand. Und nur um das klar zu stellen: Sie machte das genauso. Steven hatte sich neben mir postiert. Sehr eng neben mir. In Reichweite meines rechten Armes. Meines Schlagarmes. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Aber er war Anwalt. Überließ nie etwas dem Zufall. Seine Präsenz brachte das letzte Stück Klarheit, das ich brauchte, um den unzählige Male geübten Ablauf abzurufen. Die Übergabe war im Vorfeld detailliert geplant worden. Das hatten sämtliche Gerichte, egal ob in Deutschland oder Kanada so verlangt. Und dennoch hatte Steven es geschafft, die eine oder andere Überraschung für Frau Endermann einzubauen. Die Übergabe in diesem geschützten Raum war der erste Streich. Eine Lapalie verglichen mit dem, was gleich kommen würde. Aber immer schön der Reihe nach. Steven führte uns zu einer Sitzgruppe. Zwei Doppelsitzer, jeweils paarweise gruppiert. Steven und ich links, Endermann und Nic rechts. Wir nahmen Platz. Sie auch. Aber Nic nicht. So sehr sie an seinem Arm zerrte, er blieb stehen. Er beeindruckte mich. Auch wenn ich noch nicht verstand, warum er sich nicht setzen wollte. “Dann bleib halt stehen!”, fauchte Nics “Betreuerin” ihn nach kurzem Gezerre an, nur um uns dann unmittelbar danach Vorhaltungen zu machen, warum sie nicht über den veränderten Ablauf der Übergabe informiert worden sein. Unverschämtheit, Meldung an ihren Vorgesetzten, usw. Ich hörte gar nicht zu. Stevens Part. Er parierte ihr Gekeife und verwies auf unzählige Paragraphen, Urteile und Vorgaben. Mit so etwas war Franziska Endermann zu beeindrucken. Beamten-Kuh. “Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir dann jetzt das vereinbarte Protokoll zu Ende bringen könnten”, gab sie schließlich klein bei. “Der Flug war lang und ich würde mit Nicolaus gerne so schnell wie möglich in unser Hotel fahren. Wie sie wissen braucht er intensive Betreuung. Außerdem ist es Zeit für seine Medikamente. Schließlich soll er morgen zur Übergabe ausgeschlafen sein!” Bei den Worten “Betreuung” und “Medikamente” sah ich aus den Augenwinkeln, wie sichs Nics ganzer Körper verkrampfte. Durchhalten! Nur noch ein paar Minuten, Nic.
Theoretisch hatte Franziska Endermann Recht mir ihrer Ansage. genau so war das geplant. Praktisch hatten aber weder Steven noch ich vor, Nic auch nur eine Minute länger als nötig in den Fängen dieser Hexe zu lassen. Wir hatten zwar einen Plan. Aber wir bewegten uns rechtlich auf dünnem Eis. Auf sehr dünnem Eis. Aber Steven zog es durch. “Verehrte Frau Endermann, ich kann verstehen, dass Ihnen das Wohl von Nicolaus sehr am Herzen liegt!”, eröffnete er seinen kurzen Vortrag. Er konnte echt lügen, ohne sich auch nur eine Winzigkeit anmerken zu lassen. “Allerdings hat sich im Ablauf der Übergabe leider eine weitere Abweichung ergeben, die uns ebenfalls sehr kurzfristig vom zuständigen Familiengericht hier in Edmonton mitgeteilt wurde!”. Das war der heikle Teil. Natürlich war uns da gar nichts mitgeteilt worden. Wir hatten es genau so vorgeschlagen. Um Zeit zu gewinnen. Es würde allerdings eine ganze Weile dauern, bis Frau Endermann das rausbekommen würde. Und dann säße sie wahrscheinlich bereits längst wieder an ihrem Schreibtisch. Steven ließ sich aber nicht beirren und teilte Franziska Endermann in feinstem Juristen-Sprech mit, dass das Familiengericht in Edmonton verfügt habe, dass vor der offiziellen Übergabe eine abschließende medizinische Beurteilung von Nics Gesundheitszustand zu erfolgen habe. Die vorliegenden Unterlagen seien leider bereits 12 Wochen alt. Die kanadische Gesundheitsbehörde benötige aber bei “Neubürgern” zwingend aktuellere Daten. Das wusste auch Frau Endermann. Und in der Tat gab es diese aktuelleren Daten. Sie waren aber leider aufgrund eines sehr ärgerlichen Fehlers in der Poststelle der Behörde versehentlich vernichtet worden. Das Gericht hatte also verfügt, dass Nic zunächst in die Obhut von Steven kommen sollte, der die nötigen Unterlagen binnen 24 Stunden zusammentragen sollte. Hieß im Klartext: Steven würde mit Nic direkt am nächsten Morgen in eine Privatklinik fahren, wo alle nötigen Untersuchungen vorgenommen werden würden. Wer Steven nicht kannte konnte an diesem Punkt tatsächlich glauben, dass er diese kurzfristigen Unannehmlichkeiten tatsächlich bedauerte. In der Tat war aber natürlich das Gegenteil der Fall. Dieser “ärgerliche Fehler” war teuer gewesen. Und wie es der Zufall so wollte, gehörte die Privatklinik, in die Nic gebracht werden sollte, zum Verbund meiner KidsPlus-Stiftung. Wie gesagt, das alles so hinzudeichseln hatte ein halbes Vermögen gekostet. Allerdings war das Gesicht, das Franziska Endermann jetzt machte, jeden Dollar wert. 2:0 für mich, du Hexe!
Autor: Der Beobachter (eingesandt via E-Mail)
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Gute Geschichte! Nur ein paar Rechtschreibfehler, aber die interessieren niemanden! Also von mir 5 Sterne, hab mich nur oben vertippt!
PS: Wo sind die Windeln?