When 2 become 1 (5)
Windelgeschichten.org präsentiert: When 2 become 1 (5)
Fassungslos starrte die Endermann den ganzen Stapel Unterlagen an, den ihr Steven in die Hand drückte. Jetzt stand sie kurz vor einem Ausraster. Leider fing sie sich erstaunlich schnell. “Ich muss das natürlich überprüfen!”, zischte sie zu Steven, warf mir dabei aber eine Blick zu, der einem Angst machen konnte. Sie wusste ganz genau, was hier gespielt wurde. Musste aber zunächste klein beigeben. Die kanadischen Papiere waren eindeutig. Aber: Sie konnte die Sache hinauszögern. Und genau das tat sie jetzt. “Ich werde gegen dieses Vorgehen offiziell Protest einlegen!”, verkündete sich nach einer kurzen Nachdenk-Pause etwas zu großspurig an. “Aber im Sinne des Wohlergehens von Nicolaus…”, heuchlerischer Blick zu Nic, der zunehmend bleicher wurde, “… stimme ich der Sache unter Vorbehalt zu. Allerdings muss ich darauf bestehen, Ihnen detaillierte Informationen zum Umgang und zur Betreuung von Nicolaus auf den Weg zu geben! Er ist labil, neigt zur Aggressivität und stellt im Zweifel eine Gefahr für sich selbst und sein Umfeld dar!” Zack, das hatte gesessen. Steven stimmte zu. Musste zustimmen. Und ich wusste, was kommen würde: Ein Vortrag von Franziska Endermann. Ein Monolog, nur gehalten um Nic zu demütigen und ihn vor uns bloß zu stellen. Ich schaffte es gerade noch, ihm ein kurzes Lächeln zuzuwerfen. Halte durch. Es ist gleich vorbei!
Tatsächlich zog sich der Vortrag in die Länge. Franziska Endermann hörte sich ganz eindeutig gerne selbst reden. Und sie hatte überhaupt keine Probleme, ein achtjähriges Kind zu demütigen und dessen Intimsphäre auf einem Silbertablet zu sezieren. “Nicolaus hat es in den letzten drei Monaten leider nicht geschafft, sich in den Alltag sämtlicher Wohngruppen zu integrieren, in denen wir versucht haben, ihn unterzubringen. Er reagiert grundsätzlich ablehnen auf Regeln und beantwortet alle Versuche, Regeln durchzusetzen, mit überbordender Aggressivität. Er wirft mit Gegenständen und nimmt dabei in Kauf, sich selbst oder andere zu verletzen. Wir empfehlen Ihnen deshalb dringend, sämtliche spitzen, bzw. kantigen Gegenstände aus den Räumen zu entfernen, in denen sich Nicolaus alleine aufhält. Auf keinen Fall sollte Nicolas Zugang zu Seilen, Gürteln oder Ringen haben. Da Nicolaus außerhalb geschlossener Räume die Tendenz hat, wegzulaufen, empfehlen wir Ihnen ebenfalls, ihn zunächst lediglich innerhalb von geschlossenen Räumen zu betreuen. Um die Gefahr für Nicolaus und seine Betreuer zu reduzieren, wurde Nicolaus mit Medikamenten eingestellt. Damit konnten wir eine deutliche Verbesserung seiner Verhaltens erreichen! Allerdings führen bereits kleinste Nachlässigkeiten bei der Medikation zu massiven Problemen. Aufgrund seiner angegriffenen Lunge ist von sportlichen Aktivitäten abzuraten. Arbeitsaufträge ignoriert Nicolaus völlig. Im ungeleiteten Spiel neigt Nicolaus zu Absencen und ist dann nur sehr schwer wieder in den Tagesablauf zu integrieren. Sämtliche Versuche, ihn an Wissenvermittlung, bzw, Schulstoff heranzuführen, sind gescheitert. Es liegen zwei psychologische Gutachten vor die zum Schluss kommen, dass die Schädel-Hirnverletzungen, die Nicolaus erlitten hat, doch schwerwiegender waren, als ursprünglich diagnostiziert. Wir gehen davon aus, dass er nie am normalen Unterricht wird teilnehmen können! Zudem zeigt Nicolaus eindeutige Retardierungs-Symptome. Er spricht nicht. Wenn überhaupt, versucht er sich lautierend zu verständigen. In Gruppen mit Gleichaltrigen verstärken sich diese Symptome. Wir müssen deshalb darauf bestehen, Nicolaus in einer möglichst reizarmen Umgebung zu betreuen. Körperlich hat sich Nicolaus laut den betreuenden Kinderärzten gut erholt. Koordinativ befindet er sich auf dem Niveau eines fünfjährigen Kindes. Seine geistige Reife, bzw. sein Entwicklungsstand entspricht allerdings laut unseren Psychologen einem Kleinkind. Wir haben deshalb auch alle Versuche aufgegeben, Nicolaus an ein normales Sauberkeitsverhalten heranzuführen. Er braucht intensive Unterstützung bei der Körperpflege. Zudem zeigt er keinerlei Interesse, seine Ausscheidungen zu kontrollieren, obwohl er dazu laut unseren Ärzten in der Lage wäre. Nicolaus wurde deshalb seit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus als “vollständig inkontinent” eingestuft und wird seitdem rund um die Uhr mit den entsprechenden Hilfsmitteln versorgt. Da er auf pflegerische Maßnahmen ebenfalls mit Aggressionen reagiert, wird er bislang unter anderem beim Windelwechsel fixiert!” Dann war Ruhe. Allerdings nur kurz. “Nicolaus wurde zuletzt vor dem Abflug mit Inkontinenzprodukten versorgt. Sollten Sie mit den pflegerischen Handgriffen bei aggressiven Patienten nicht vertraut sein, kann ich Nicolaus gerne noch schnell wickeln!?”
Ich konnte aus den Augenwinkeln sehen, dass auch Steven langsam an seine Grenzen kam. Er kochte vor Wut. Nicht über das, was wir gehört hatten. Das stand so alles mehr oder weniger in den Unterlagen, die wir bekommen hatten. Sondern darüber, dass sie das vor Nic haarklein erzählen musste. Sie hatte ihn öffentlich gedemütigt. Ein aggressiver dummer Junge mit der Intelligenz eines Bio-Jogurts, dessen Intelligenz nicht einmal mehr ausreichte, um auf die Toilette zu gehen. Ich spürte, wie ich Gefahr lief, die Fassung zu verlieren. Spürte, dass ich diese Frau schlicht in Stücke reißen wollte. Was mich davon abhielt? Nic. Oder besser: eine winzige Gefühlsregung. Es war ein Flackern in seinen Augen. So schwach, dass ich nur darauf aufmerksam wurde, weil ich gerade an Endermann vorbei zu ihm sah. Er hatte mittlerweile die Augen offen. Weit aufgerissen. Unter normalen Umständen wäre er längst in Tränen ausgebrochen. Aber da waren keine Tränen. Da war nur Schmerz. Der ihn jetzt wie eine Lawine überrollte. Er stand unmittelbar vor dem Kollaps. Also: Jetzt oder nie.
Ich nahm Franziska Endermann die Papiere ab, die sie mir entgegen streckte, quittierte den Empfang und reichte die Durchschläge an Steven weiter. Er spürte, dass es jetzt sehr, sehr schnell gehen musste. Außerdem hatte auch er gesehen, dass Nic inzwischen Schweißperlen auf der Stirn standen. Ich gab ihm keine fünf Minuten mehr. “Frau Endermann, herzlichen Dank für das ausführliche Briefing. Ich denke, damit sollten wir keine Probleme haben, Nicolaus in den nächsten 24 Stunden im Griff zu behalten!” Er hatte praktisch auf Knopfdruck seine Rolle gewechselt und war jetzt der aalglatte, eiskalte Familienanwalt, dem das Schicksal seines Mandanten piepegal war. Niemals wollte ich diesem Mann im Gerichtssaal als Gegner begegnen. Niemals. Er war immer zu 100% glaubwürdig. Egal welche Rolle er spielte. Und auch Franziska Endermann ging ihm ins Netz. “Ich mache nur meinen Job”, versuchte sie seine geheuchelte Zuneigung zu kanalisieren. Vergeblich. Er hatte sein Netz aufgespannt und sie war hineinmarschiert. Noch 20 Minuten mit ihm in einem Raum, und sie würde ihm ein russisches Atomkraftwerk abkaufen. Inklusive der abgebrannten Brennstäbe. Ihr Glück, dass das hier ein Sprint war, und kein Marathon. Er musste sie nur in einen bereits vor der Tür wartenden Geländewagen lotsen, der sie in ein verkehrstechnisch wirklich mies gelegenes Hotel bringen würde. Luftlinie nur fünf Kilometer von unserer Unterkunft entfernt. Aber mit dem Auto eine halbe Weltreise. Von öffentlichen Verkehrsmitteln ganz zu schweigen. “Sie sind sicher müde, nach der langen Reise”, säuselte Steven weiter. “Darf ich Ihnen vorschlagen, sie mit einem unserer Fahrer in ein Hotel bringen zu lassen, das wir uns erlaubt haben für sie zu buchen? Wir hatten Glück und konnten eines der Kingsize-Zimmer mit Whirlpool und Blick auf die Bucht für sie reservieren! Nicolaus ist bei uns in den besten Händen. Ich werde mich persönlich um ihn kümmern. Und morgen Abend bringen wir die Übergabe dann offiziell zu Ende!” Ein Blinder mit Krückstock konnte sehen, dass sie mit sich kämpfte. Wahrscheinlich war es ihr Plan gewesen, Nic noch eine Weile leiden zu sehen. Allerdings spielte uns der Jetlag in die Karten. Sie war sichtlich erschöpft und konnte der Verlockung eines ausgiebigen Bades in einem Whirlpool einfach nicht widerstehen. “Einverstanden!”, gab sie sich einen Ruck und stand plötzlich kerzengerade vor mir. “Ich verlasse mich darauf, dass sie meine Anweisung genauestens befolgen!?” Ich nickte. Steven nickte. Und schon war sie auf dem Weg zum Ausgang. Steven öffnete die Tür und drückte dem bereitstehenden Fahrer das Gepäck in die Hand. “Zum Bayview-Hotel, wie besprochen!” Ein kurzes Nicken. Dann war sie raus und dackelte hinter Steven her. Der Spuk war vorbei.
Praktisch zeitgleich verließen Nic die Kräfte. Ein kurzes Zittern. Dann schloss er die Augen und sank in sich zusammen. Kein Laut. Nichts. Nur das Geräusch eines in sich zusammenfallenden Kinder-Körpers. Mit einem Satz war ich bei ihm. Hob ihn auf. Wie leicht er war. Und wie kalt. Er musste erbärmlich gefroren haben. Ich riss eine Decke hinterm Sofa hervor und wickelte ihn damit provisorisch ein. Er wirkte so zerbrechlich. Das schlimmste aber war der Geruch, der von ihm ausging. Eine Mischung aus alten Socken, Angstschweiß, kaltem Urin und Kloake. Die nächsten Stunden würden hart für uns alle werden. Aber: Nic war bei mir. In Sicherheit. Und die Endermann-Hexe war erstmal für 24 Stunden weg vom Fenster. Unser Plan war aufgegangen. Jetzt musste wir nur noch so schnell wie möglich in die Klinik und uns um Nic kümmern.
Wie aufs Stichwort öffnete sich eine hinter einer Ecke verborgene Tür und der Professor trat in den Raum, den ich bereits aus Deutschland kannte. Eine Überraschung war das nicht. Ich hatte ich unmittelbar nach meiner Abreise aus Deutschland für meine Stiftung abgeworben. Seitdem arbeitete er für KidsPlus und kümmerte sich um die medizinische anspruchsvollsten Fälle. “Hallo Professor!”, nickte ich ihm dankbar zu und fuhr dann fort: “Er atmet und sein Puls ist schwach, aber regelmäßig!”. Der Professor nickte, fühlte an Nics Hals ebenfalls nach seinem Puls, kontrollierte seine Atmung und gab dann grünes Licht für den Transport: “Er ist dehydriert und hat ganz sicher während der drei Flüge nichts gegessen und nur sehr, sehr wenig getrunken. In Kombination mit seinem Allgemeinzustand keine gute Idee. Aber zunächst ist er einfach nur erschöpft und es besteht keine unmittelbare Gefahr! Kommst du gleich mit?” Ich nickte. Und musste wie immer, wenn ich es mit Professor Gerhard Eissler zu tun hatte, innerlich grinsen. Er war ein hochdekorierter Mediziner und hatte sich dennoch entschieden, für die Stiftung eines neureichen kanadischen Bübchens zu arbeiten. Irgendwie war da zwischen uns bereits nach unserer ersten Begegnung ein Draht gewesen, der uns schließlich hier zusammengeführt hatte. Professor Eissler hatte mir längst das Du angeboten. Ich sprach ihn dennoch nie mit seinem Vornamen an. Das passte einfach nicht. Er war schlicht Professor Eissler, der jetzt Nic und mich in ein großes Kinderkrankenhaus begleitete, in dem meine Stiftung eine eigene Abteilung finanzierte, die sich auf die Behandlung von Kindern mit schwersten Verletzungen und Traumata spezialisiert hatte. Auf Nic traf zum Glück nur noch Letzteres zu. Körperlich war er, soweit wir das aus den Berichten seiner deutschen Ärzte entnehmen konnten, einigermaßen auf dem Damm.
Bevor ich mit Nic und Professor Eissler in den privaten Aufzug stieg, der uns direkt in die Tiefgarage bringen sollte, galt es noch mit Steven die nächsten Schritte zu besprechen. Der war gerade zurück und hatte Franziska Endermann auf den Weg gebracht. “Wie geht’s Nic?” war das erste, was er herausbrachte, als er bei mir ankam. Die Antwort entsprach ungefähr dem, was Professor Eissler mir gesagt hatte. Sichtlich beruhigt, verließen die feinen Signale der Anspannung Stevens Gesicht. Mit einer Zärtlichkeit, die man einem Hünen wie ihm niemals zugetraut hatte, legte er seine riesige Pranke auf Nics Rücken. “Es ist gut, dass die beiden Brüder jetzt vereint sind!” Er hatte es auf den Punkt gebracht. Zwei Brüder. Eine Familie. Das war das Ziel, dem wir in den letzten Monaten alles untergeordnet hatten. Dieser kurze Moment des Innehaltens war jetzt wichtig. Für uns alle. Als Steven seine Hand von Nics Rücken löste, war er fast wieder nur noch der Anwalt, mit dem ich diese gesamte Aktion geplant hatte. Aber eben nur fast. “Wir sehen uns heute Abend in der Klinik?” Ich nickte. “Gut. Dort ist alles vorbereitet. Endermann wird morgen Abend gegen 17 Uhr dort eintreffen. Fast eine Stunde später, als vorgesehen. Der Verkehr, du verstehst!” Wieder ein Nicken. “Sie wird also nur knapp eine Stunde haben, um alles durchzuziehen. Sie muss ja bereits um 19:20 Uhr im Flieger sitzen. Das wird knapp genug!” Das Finale unseres Plans. Kaum mehr als 24 Stunden entfernt. Es fühlte sich länger an. Viel länger. “Gute Fahrt, Josh! Ich muss jetzt erstmal duschen. Den Endermann-Dreck abwaschen. Und dann Familie tanken!” Er griff zu seinem Mantel und zeigte plötzlich die Seite von sich selbst, die nur enge Freunde kannten. Und seine Familie. Unter seinem undurchdringlichen Anwalts-Panzer verbarg sich ein gefühlvoller und liebevoller Familienvater, der es auf sechs Kinder brachte. Fünf Jungs, ein Mädchen. Nach Emma, seiner Tochter, waren die Jungs gekommen. In zwei “Paketen”: Zwillinge und Drillinge. Ich war der Patenonkel der Drillinge. Bevor ich ihn gehen ließ, zog ich ihn noch kurz zu mir heran. “Kannst du heute Abend den Privatermittler mitbringen, der hin und wieder für uns arbeitet?” Stirnzunzeln. Steven war überrascht und formulierte mit seinen Augen nur eine einzige Frage: “Warum?”. In der Hoffnung, dass Nic so wenig davon mitbekommen würde, wie möglich flüsterte ich ihm zu: “Ich will alles über Franziska Endermann wissen, was er auftreiben kann. Irgend etwas mit ihr stimmt nicht. Ich habe Angst in ihren Augen gesehen. Panische Angst. Das passt nicht zu dem, was sie Nic angetan hat. Es muss einen Grund dafür geben, warum sie fast ein Jahr lang versucht hatte, ihn in einem Pflegeheim wegzusperren. Warum, verstehst du Steven! Ich will wissen, warum!” Er nickte. Es war Zustimmung und Bestätigung eines Arbeitsauftrags gleichzeitig.
Autor: Der Beobachter (eingesandt via E-Mail)
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Oh man ich kanns kaum erwarten wie es weiter geht, mein Daumen hoch hast du
dem kann ich nur zustimmen. ich bin ebenfalls gespannt auf die fortsetzung^^
Finde die Geschichte supper.
Aber wo ist Teil 4? nach Teil 3 seh ich nur Teil 5. Wäre schön wenn ich Teil 4 auch lesen könnte