Zweite Chance (1) – Kapitel 4
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Kapitel 4 – Eine Telefonodyssee
Wir sitzen am Esstisch, Giacomos linke Hand hat mittlerweile seinen Pullup losgelassen und wird nun zum Umblättern von Magazinseiten verwendet. Das Magazin, die c’t von Ende Februar mit der Leitüberschrift „Techniktrends 2014“, wie geschaffen, um einen Zeitreisenden in die aktuelle Technikwelt einzuführen. Die Zeitschrift liegt schräg zwischen meinem und Giacomos Essensplatz, so dass wir beide lesen können. Von Zeit zu Zeit blättert Giacomo um, nicht ohne mich vorher zu fragen, ob ich mit der Seite schon fertig bin. Meine Mutter steht noch an der Küchenzeile gegenüber des kleinen Küchentisches, welcher bisher immer für zwei Personen gereicht hat, künftig aber vielleicht für drei Personen reichen muss. Nun aber ist der Salat auch für ihren Geschmack oft genug gewendet, geölt und gewürzt, weshalb auch sie sich nun an den Tisch setzt, gegenüber von Giacomo auf ihren Platz, den ihr so schnell niemand wegnehmen wird. Meine Mutter wurde nicht geklont, zum Glück, denn das würde ich auch nicht überleben.
„Na, Giacomo, erzähl doch mal, was hat es nun mit dir auf sich?“ meine Mutter blickt fragend in Giacomos Richtung.
„Naja, ich weiß nicht …“ Giacomo stockt, und fängt an, sich zu überlegen, was er sagen soll. „Das habe ich schon Giacomo erzählt, also teilweise. Ich bin von der Schule nach Hause gekommen, und du hast mir Nudeln Bolognese gemacht, wie jeden Montag. Nach dem Essen hast du dich ins Bett gelegt, und ich bin in mein Zimmer gegangen.“ Er zieht die Augenbraunen zusammen. „ Mein Zimmer sah aber ganz anders aus, total unaufgeräumt, an der rechten Wand hingen extrem viele Poster, zwei große Lautsprecher, also wirklich große, standen auf dem Boden, naja, eben das Zimmer was er …“, er zeigt auf mich: „jetzt hat. Und dann kam Giacomo auch schon rein in sein Zimmer, und hat mich gefragt, wer ich bin.“
Ich habe wirklich keine Ahnung, wie Giacomo in mein Zimmer gekommen sein mag. Vielleicht hat mein Chaos in Verbindung mit der ganzen Elektronik ein stark elektromagnetisches Wurmloch ausgelöst, was dann die Zeitreise ausgelöst hat? Meine Mutter hingegen scheint sich über die Ursache recht wenig Gedanken zu machen, sie scheint das Geschehene auch nicht anzuzweifeln, dafür scheint sie aber über die Folgen nachzudenken.
„Und du weißt nichts von deiner … Zeitreise? Weißt du, ob du hier bleiben wirst?“ Fragt meine Mutter besorgt. Um ehrlich zu sein, mich besorgt dieses Thema nicht weniger. Giacomo ist hier gelandet, aber wird er hier bleiben? Ich hoffe es wirklich, aber werde ich je sicher sein können, dass Giacomo am nächsten Morgen überhaupt noch da ist? Was, wenn ich dann in sein Zimmer gehe, und es ist leer, ohne Spur von dem kleinen? Halt, Moment mal. Giacomo hat ja gar kein Zimmer, beziehungsweise mein Zimmer ist ja sein Zimmer. Ob das so bleiben kann? Ich höre meinen Namen, ich glaube, meine Mutter fragt mich etwas.
„Giacomo? Hallo? Bist du noch da? Oder bist du grade dabei, in die Vergangenheit zu reisen?“ fragt mich meine Mutter, und ich weiß nicht, ob ich die letzte Frage dabei nun ernst nehmen soll.
„Hö?“ Ich schrecke aus meinen Gedanken auf. „Worum gehts?“
„Wir haben uns Gedanken gemacht, wie es nun weiter gehen soll. Wir müssen ja erstmal davon ausgehen, dass Giacomo hier bleibt, wir wissen es ja nicht besser. Und da waren wir am überlegen, dass Giacomo ja ein Zimmer braucht, und Kleidung. Er braucht einen Reisepass, da wir ihn ja im Urlaub nicht hier lassen können, und er muss ja nach den Osterferien wieder zu …“ Nun ist der kleine Giacomo wieder mit dem unterbrechen an der Reihe.
„Osterferien? Es waren doch grade erst Sommerferien!“ ruft er verwirrt aus.
„Es ist April!“ Dieser Satz lässt sich niemandem einwandfrei zuordnen, er kam gleichzeitig von mir und meiner Mutter.
„Was? Dann hab ich ja den ersten April verpasst! Aber im Ernst, es ist Ostern? Dann habe ich ja fast das ganze sechste Schuljahr verpasst!“ Giacomo wirkt verwundert. „Aber ich werde doch wieder zur Schule gehen nach den Ferien, oder? Ich meine keine Schule wäre auch cool, aber irgendwie doch auch langweilig. Und mit Giacomo auf eine Schule zu gehen, wäre doch vielleicht sogar ganz witzig.“
„Hast du gerade witzig und Schule in einem Satz gesagt?“, frage ich ihn grinsend.
„Giacomo! Solche Scherze macht man nicht!“ Ich bekomme das Bedürfnis zu antworten, dass es sich bei meiner letzten Äußerung nicht um einen Scherz gehandelt hat, meine Mutter ist mit dem Thema aber schon weiter: „Ja, wir müssen als unbedingt jemanden über deine kleine Zeitreise informieren, wen auch immer. Am besten gleich.“ Mir wird mulmig zumute.
„Ja, aber was wenn die dann Giacomo mitnehmen, und ihn in seine Zeit zurückschicken, oder noch schlimmer, Experimente an ihm durchführen?“ ich beginne selbst, zu realisieren, wie egoistisch diese Ansicht eigentlich ist. Eine Zeitreise ist nicht unbedingt etwas, das man jeden Tag macht, nein, man macht eigentlich nie Zeitreisen. Bei Fringe sind zwei Universen durch Zeitreisen, oder vielleicht besser gesagt Multiversenreisen kaputt gegangen. Giacomo könnte ja auch körperlichen Schaden an dieser Zeitreise genommen haben. „Ok, ja, stimmt, du hast Recht. Aber an wen wenden wir uns? Wohl kaum an die örtliche Polizei, oder etwa doch? Das Innenministerium? Oder vielleicht doch das Gesundheitsministerium? Oder das Verkehrsministerium? Immerhin hat er sich ja bewegt.“ Mein Rätseln um behördliche Zuständigkeit geht weiter, meine Mutter will dieses aber mit einem Vorschlag beenden.
„Oder du rufst beim Forschungszentrum an, wo du dein Praktikum gemacht hast! Die nehmen das vielleicht eher ernst!“
„Ja klar! Ich rufe bei der Zentralabteilung Technologie an und frage die, was sie zum Thema Zeitreisen wissen, ob sie vielleicht eventuell mal einen Auftrag von der Quantenphysik-Abteilung bekommen haben, eine Zeitmaschine zu bauen, oder ob sie da zufällig jemanden kennen! Naja, vielleicht …“ Vielleicht ist diese Idee gar nicht so dumm. Zur Not können sie mich ja mit dem CERN verbinden, die sollten sich damit ja eigentlich auskennen. „Aber zuerst versuche ich es mal bei der Bundesrepublik, immerhin braucht er ja Papiere und sowas, und Ministerien kommen da vielleicht leichter ran, als die Helmholtz-Gesellschaft.“
„Ja, aber vielleicht stecken die dich auch in die Klapse! Achja, krieg ich einen Orangensaft?“ Mit diesen Worten schaltet sich Giacomo wieder ins Gespräch ein. Ich lehne mich mit dem Stuhl leicht zurück, strecke meinen linken Arm zur Küchentheke hin aus, greife eine Orangensaftflasche und stelle sie Giacomo auf unsere Zeitschrift. Ich kann mir aber nicht verkneifen, auf seine Bemerkung zu antworten.
„Tja, dann kommst du aber besser mit in die Klapse!“ Das Gespräch meiner Mutter geht weiter.
„Ja, aber dann machst du das direkt nach dem Essen! Und Giacomo, du bekommst ein eigenes Zimmer. Am besten direkt dein altes, das haben wir ja zum Büro umgebaut, als Giacomo, also Nummer 1, das große Zimmer bekam, viele Sachen …“ Ein Leuchten tritt auf Giacomos Augen auf, und das obwohl es grade nicht um Windeln geht.
„Krieg ich dann auch mein Hochbett wieder? Und das Lego? Krieg ich einen Computer? Und mein Handy, was ist damit?“ Ja, Sachen geschenkt bekommen ist immer etwas Schönes.
„Ja, dein Hochbett haben wir noch, das bekommst du auf jeden Fall. Das Lego gibt dir Giacomo bestimm …“ Moment, halt! Zeit für eine Unterbrechung!
„Mein Lego? Nur wenn ich trotzdem jederzeit damit spielen darf!“ Werfe ich ins Gespräch ein, und erzeuge dabei eine angenehme Heiterkeit bei allen Beteiligten. Heiterkeit kann nach Zeitreisen auf jeden Fall nicht schaden.
„Ja, wo war ich? Ja, das Lego könnt ihr euch ja bestimmt brüderlich teilen, einen Computer, naja, benutz doch erstmal den im Wohnzimmer, der ist ja auch aufgerüstet worden von Giacomo irgendwie, und ein Handy, ja, da sollte sich etwas machen lassen.“ Sie zwinkert Giacomo zu.
„Aufgerüstet? Cool! Was hat der denn jetzt?“ Ich hole Luft.
„AMD Athlon Dualcore, zweimal zweikommairgendwas Gigahertz, drei Gigabyte Arbeitsspeicher, NVidia-Chipsatzgrafik und seit neuestem auch Windows 7! Also der Nachfolger von Windows Vista, welcher allerdings im Gegensatz zu Vista bei allen gut ankam.“
„Das ist ja cool! Wieso habt ihr da jetzt so einen schnellen PC?“ Giacomo wirkt, als könnte man wunderbar über Computer reden mit ihm.
„Naja, schnell ist etwas anderes, immerhin Leben wir im Jahr 2014. Hast du mal meinen PC gesehen?“ Beim beenden meines Satzes sehe ich, wie Giacomo den Inhalt seines dritten Orangensaftglases seinen Rachen runterstürzen lässt. „Schmeckt‘s?“
„Ja, mega! Der ist ja viel cooler als der Apfelsaft!“ Nach Beenden des Satzes wischt sich Giacomo seinen Mund mit dem Ärmel ab, was meine Mutter aber glücklicherweise übersieht.
Ich bin schon länger fertig mit dem Essen, unter normalen Umständen wäre ich wohl schon vor fünfzehn Minuten zurück in mein Zimmer gegangen, aber mit Giacomo ist wohl wirklich eine interessante Form der Abendunterhaltung möglich. Der ist auch schon fertig mit dem Essen, seine linke Hand ist wieder auf dem Pullup geparkt. „Fehrnsehabend? Biitte!“ schlägt er meiner Mutter und mir vor. Vom Fernsehen habe ich mich vor langer Zeit losgesagt, das Internet hat da zweifelsohne sehr viel mehr auf Vorrat. Ein Fernsehabend mit Giacomo könnte aber bestimmt interessant werden, immerhin hat er ja einen recht guten Geschmack. „Von mir aus gerne! Aber ich rufe vorher doch mal besser jemanden wegen deiner … Zeitreise an.“
Ich verlasse meinen neuen Sitzplatz am Küchentisch, nehme ich meinen Teller, lasse ihn auf der Arbeitsfläche liegen, schnappe auf dem Weg in mein Zimmer das Telefon und setze mich wieder an meinen Schreibtisch.
Internetbrowser. Google. Wo versuche ich es zuerst? Das Innenministerium hat immer so einen faden Beigeschmack von Geheimdiensten, aber ob das Gesundheitsministerium für so etwas zuständig ist?“ Ich entscheide mich doch, es zuerst beim Gesundheitsministerium zu versuchen. Auf der Homepage springt mir direkt Hermann Gröhe ins Gesicht, ob ich es nicht doch beim Innenministerium versuchen soll? Ich hangele mich zur Kontaktseite weiter. Unter der Rufnummer 115 scheint niemand erreichbar zu sein, das Bürgertelefon differenziert nach Anliegen, scheint aber keine Stelle für „Zeitreisen“ oder „Paranormales“ zu haben. Enttäuscht verlasse ich Hermann Gröhe wieder, und versuche es mit de Maizière. Angekommen beim „Kontaktformular Bürgerservice“ blicke ich zuerst auf die vertraute Bonner Vorwahl, danach auf die Öffnungszeiten. Bis acht Uhr abends. Na, da muss ich mich aber wohl ranhalten.
Ich bin ganz schön aufgeregt als ich die Anruftaste drücke. Ob ich mich nicht besser auf das Gespräch vorbereiten sollte? Ich sollte es vielleicht vermeiden, meinen Anruf mit „Guten Tag, ich habe mich vermehrt“, zu beginnen.
„Guten Tag, Bürgerservice des Bundesministerium des Inneren, Lanz am Apparat?“ tönt es aus dem Telefon.
„I…I…Äh, bei mir ist ein Zeitreisender angekommen.“ Das Telefon piept, der Bürgerservice hat aufgelegt. Hm. Wahlwiederholung. Da müssen wir jetzt durch.
„Guten Tag, Bürgerservice des Bundesministerium des Inneren, Lanz am Apparat?“ Vielleicht handelt es sich dabei ja um eine Bandansage.
„Ja, guten Tag. Sie sind mit Giacomo Müller verbunden. Wir hatten eben schon gesprochen. Es mag geklungen haben, als handele es sich dabei um einen Scherz, aber bei mir ist ein Zeitreisender angekommen, wirklich.“ Ich entschließe mich dazu, erstmal eine Antwort abzuwarten.
„Ich fürchte, da sind sie einem Scherz aufgesessen.“ Kommt daraufhin als zurück.
„Nein, ich bin mir bei dieser Sache recht sicher. Immerhin handelt es sich bei dem Zeitreisendem um mich, und ich bilde mir ein, mich erkennen zu können. Und ich habe mich nun ans Innenministerium gewandt, weil mir wirklich nichts Besseres einfiel. Können sie mir helfen, oder mich weiterleiten?“
„Puh. Also … ich … ich glaube, ich leite sie da mal weiter.“ Jetzt wird es nun spannend, wohin ich weitergeleitet werde, zur örtlichen geschlossenen Psychiatrie, oder zu jemandem der mir glaubt.
Wie sich herausstellte, wurde ich zum Bildungs- und Forschungsministerium verbunden, was mich dann weiter zur Helmholtz-Gesellschaft schickte, welches meiner Geschichte verständlicherweise ebenfalls nicht wirklich glaubte, sich aber bereit erklärte, das Ganze zu überprüfen, wenn wir morgen beim Forschungszentrum Jülich vorbeischauen würden. Nach einer knappen Stunde lege ich zum letzten Mal auf, und habe nun wenigstens eine Stelle, an die ich mich wenden kann. Vermutlich warten dann morgen schon Herren mit weißen Zwangsjacken am Einlass. Für noch wahrscheinlicher halte ich es allerdings, dass morgen niemand auf uns warten wird, vorsorglich habe ich mir den Namen meines Ansprechpartners geben lassen. Aber das ist ja auch unerhört, jetzt müssen wir da doch morgen wirklich eine halbstündige Autofahrt in Kauf nehmen? Die sollten ja wohl zu uns kommen! Aber wenigstens wird Giacomo, also der Kleine, auf der Fahrt dorthin nicht auf Toilette müssen.
Da ich nun vorerst fertig mit meiner Telefonodyssee bin, fasse ich den Entschluss, mich ins Wohnzimmer zu gesellen, wenn auch mit Smartphone bewaffnet um Internetentzug vorzubeugen.
Im Wohnzimmer reitet Harry Potter auf einem Besen über den kleinen Flachbildschirm, und das völlig ohne Synchronstimme von Coldmirror, etwas gänzlich Ungewohntes für mich. Giacomo kniet grad vor den Wohnzimmerschränken und verstellt die Klangeinstellungen am Verstärker. Grinsend stelle ich fest, dass sein Pullup hinten aus der Hose herausschaut, was meine Mutter hingegen aber nicht zu registrieren scheint, vielleicht ist sie aber auch schon eingeschlafen.
„Welcher Teil?“ frage ich in den Raum, von vor dem Fernseher kommt: „Äh, der Gefangene von Askaban, den kenne ich noch nicht.“
Hm, Askaban. Mit knapp Zwölf hatte ich vom fünften Teil, besser gesagt von Voldemort anschließend ziemliche Albträume. Ob ich Giacomo an manchen Stellen die Augen zuhalten sollte? Ich setze mich auf das kleinere Sofa auf der linken Seite, das größere rechts ist gänzlich von meiner Mutter belegt. Nachdem Giacomo sich mit dem Klang der beiden KEF-Regallautsprecher irgendwann zufrieden gegeben hat, kehrt auch er auf das Sofa zurück.
„Ey, mein Platz!“ ruft er grinsend, und wirft sich danach auf den Vorderteil des Sofas, nicht ohne mit seinem Oberkörper gegen meine Schienbeine zu knallen. Ich gebe leichte Laute des Schmerzes von mir, was Giacomo mit einem „Pssst!“ quittiert. Ich gebe mich meinem Schicksal als Rückenlehne für mein jüngeres Ich geschlagen, und verfolge mit einem Auge den Film. Mit dem anderen empfange und versende ich Nachrichten. Unser DoP hat sich neue Sony-Akkus gekauft, mit LED-Ladestandsanzeige. Ich stelle fest, dass es im Internet grade auch nichts Wichtiges gibt, und lege mein Handy auf den Couchtisch, direkt neben die von Giacomo komplett geleerte Orangensaftflasche. Passend dazu zeigen mir die rote Kugel auf dem Bildschirm und das gehauchte „Vooox“ aus den Lautsprechern, das nun eine Werbepause anfängt.
„Immer diese Werbung! Können wir umschalten?“ Meine Mutter scheint doch nicht eingeschlafen zu sein. „Ich geh mal auf Toilette“, führt sie ihre Ausführungen fort.
„Nein, warte. Wegen morgen …“ meine Mutter bleibt an der Wohnzimmertüre stehen: „ Ich habe mit verschiedenen Stellen gesprochen, wir sollen morgen zum Forschungszentrum fahren. Könntest du Thomas fragen, ob er uns fahren könnte? Mit der Bahn wäre das ja nicht so ganz toll, noch dazu weil Giacomo kein Fahrrad hat …“ Wir selbst haben seit dem Tod meines Vaters kein Auto mehr, der Freund meiner Mutter hat aber eines und für Giacomo wäre es morgen bestimmt bequemer als eine längere Bahnfahrt.
„Ja, bestimmt, wobei ich noch überlegen muss, wie ich ihm DAS erkläre“, sie nickt mit dem Kopf in unsere Richtung: „Aber dann können wir danach für Giacomo auch direkt Klamotten, Schulsachen und so etwas kaufen, das braucht er ja al …“ Aufgepasst, ein Giacomo-Unterbrecher folgt!
„Krieg ich dann auch mein neues Zimmer? Weil i…“ Meine Mutter kämpft gegen die Unterbrechung mit einer Gegenunterbrechung an. Gibt es eigentlich eine Organisation zur Unterbrechungsbekämpfung in Konversationen? Wenn ja, dann sollte sie sich schon mal auf einen Noteinsatz gefasst machen.
„Achja, das hab ich ja völlig vergessen! Giacomo und Giacomo, holt besser mal das Gästebett hoch, Giacomo muss ja irgendwo schlafen heute. Am besten gleich, sonst vergesst ihr das noch!“ Das nenne ich eine gekonnte Ablenkung.
Bevor ich Protest leisten kann, springt Giacomo auf, rennt in den Flur, nimmt den Kellerschlüssel vom Schlüsselbrett und begibt sich in den Hausflur des Sechsfamillienhauses, woraufhin ich mich wohl oder übel entschließe, ihm zu folgen. Als ich in unserem Keller ankomme, steht Giacomo schon vor der Matratze, mir den Rücken zugewandt, und wirkt wie angewurzelt.
„Was ist lo … Ah.“ Ich kann es mir denken, der leckere Orangensaft scheint wieder aus Giacomo herauszuwollen. Unschlüssig stehe ich nun am Kellereingang und mustere den Röhrenbildschirm auf dem Regal neben der Türe. Dann erlöst sich Giacomo aus seiner Starre und reißt mit einem Ruck die Plastikplane vom Gästebett herunter.
„Du hast dir in die Windel gepinkelt, oder?“ frage ich ihn beiläufig, als Antwort erhalte ich ein zufriedenes „Jap!“
„Du wirst immer besser! Kein schlechter Fortschritt für ihr zweites Mal, Rekrut!“ gebe ich ihm daraufhin als Rückmeldung. Als Reaktion darauf salutiert Giacomo, und antwortet daraufhin: „Kein Wunder, das war ja auch das dritte und nicht das zweite Mal! Die ist ja noch viel weicher jetzt! Und total dick, das find ich toll! Und man spüüürt sie richtig!“ Zur Demonstration drückt er seine Beine einmal schnell zusammen.
Ich stelle fest, seine Windel ist wirklich dick geworden, in seinem Schritt kann man bei genauerem Hinsehen recht leicht eine Ausbeulung durch die scheinbar recht stark aufgequollene Drynites erkennen, aber noch scheint alles trocken zu sein.
„Giacomo, dreh dich mal um“, sage ich, und schaue danach auf seinen Hintern. Keinerlei Nässestreifen erkennbar, ich behaupte mal, bei mir wäre das jetzt nicht so. „Ja, Glück gehabt, du bist noch nicht ausgelaufen.“ Giacomo schaut mich verwirrt an. „Ausgelaufen? Ich bin keine Flasche!“ „Dooch, genau das bist du!“ Gekonnt nehme ich diese Witzvorlage an: „Aber nein, im ernst. Windeln können nicht unendlich saugen und schwerer werden, irgendwann sind die … voll. Deshalb muss man sich ja auch wickeln“, fange ich an, zu erklären.
„Ja, aber ich hab doch auch erst dreimal reingepieselt!“ antwortet Giacomo daraufhin entschlossen.
„Naja, dreimal sind aber auch nicht grade wenig, erst recht für die Pullups, die halten nicht so viel aus wie richtige Windeln. Fass da mal dran, du wirst merken, dass der schon ganz schön schwer ist wegen dem ganzen Pi …“ Giacomo steckt sich seine eine Hand vorne in den Schritt, und die andere hinten, um anschließend den Pullup gegen seinen Körper zu drücken. „Hm, stimmt, der ist schon ganz schön schwer. Aber nur dreimal? Das ist doch doof, ich will richtige Windeln!“, fügt er dem noch entschlossen hinzu.
„Jaja, ist ja guuut! Ich suche morgen welche in deiner Größe!“ verspreche ich ihm, womit er sich dann auch zufrieden gibt, und den Weg frei fürs Betthochtragen macht. Als wir oben ankommen, kann man schon ein „Expediamus!“ hören. Giacomo lässt das Bett fallen: „Verdammt! Den Film hab ich ja total vergessen!“, und rennt in Richtung Wohnzimmer. Ich trage das Gästebett alleine in mein Zimmer, stelle es vor die Posterwand, und hole noch schnell die Bettwäsche aus dem Keller nach. Wer hätte gedacht, dass ich selbst mal Übernachtungsgast bei mir wäre?
Als ich wieder im Wohnzimmer ankomme, fängt schon fast wieder die nächste Werbepause an, in welcher dann meine Mutter das Gespräch anfängt.
„Sag mal, Giacomo …“ Sie bekommt direkt zwei fragende „Jaa?“ aus unserer Richtung.
„Oh Gott, so dreh ich hier noch durch. Ok, du heißt ab jetzt erst einmal Giaci, und du“, sie schaut zu mir: „weiterhin Giacomo. Also, Giaci, ich war vorhin ja im Bad, wieso liegt da deine Unterhose, also ich nehme mal an, dass es deine ist, auf dem Fußboden? Und was hast du dann an?“
„Oooooh!“ kommt dazu nur aus meinem Mund, was Giacomo, welcher nun wieder kerzengrade neben mir sitzt, durch ein „Ähm, Äääääh, Nunja …“ ergänzt.
Autor: giaci9 (eingesandt via E-Mail)
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Teilweise nehmen die Protagonisten die Geschehnisse noch überraschend schnell und gut auf Aber man gewöhnt sich daran. Die Geschichte nimmt jetzt wohl eine interessante Wendung.
Mal schaun was passiert.