Zwischen Gestern und Morgen (20)
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Unser kleines Abenteuer geht weiter.
Nach etwa einer Stunde kam Thomas zu uns ins Wohnzimmer, und da hatten wir gemeinsam bereits das erste kleine Auto fertiggestellt. Benjamin spielte begeistert mit dem kleinen Fahrzeug, ließ es über den Tisch sausen und gab ihm dabei kleine Motorengeräusche. Es machte ihm sichtlich Spaß, und ich konnte das Leuchten in seinen Augen sehen.
Ich nahm mir währenddessen den LKW vor und hatte schon begonnen, die ersten Teile zu sortieren. Als Thomas uns beobachtete, konnte ich sehen, dass auch er Freude daran hatte, uns so vertieft in das Projekt zu sehen. Schließlich setzte er sich zu uns und griff ebenfalls nach ein paar Lego steinen, sichtlich bereit, mitzuhelfen.
„Na, das sieht ja schon nach einem richtig guten Start aus,“ meinte er lächelnd, und Benjamin nickte eifrig. Es war schön zu sehen, wie sich unsere kleine Gemeinschaft an diesem einfachen, aber wunderbaren Moment erfreute.
Jetzt baute auch Benjamin wieder eifrig mit. Er ließ sich die passenden Steine von Thomas anreichen und setzte sie dann, konzentriert auf die Anleitung, Stück für Stück zusammen. Es war wunderbar zu sehen, wie vertieft die beiden waren – jeder auf seine Weise voll bei der Sache.
Ich lehnte mich ein wenig zurück und genoss einfach den Anblick. Thomas war so geduldig und schien genauso viel Freude daran zu haben wie Benni. Er hatte mir ja schon erzählt, dass er für seine Zwillinge plant, bald mit dem „richtigen“ Lego zu beginnen. Bestimmt nicht ganz ohne Eigennutz, dachte ich schmunzelnd. Wahrscheinlich freute er sich insgeheim genauso sehr auf das Bauen wie die Kinder.
Benni war so konzentriert und stolz bei jedem Teil, das er zusammen setzte. Die beiden waren ein richtig gutes Team, und ich fühlte mich in diesem Moment einfach nur glücklich, diese Szene beobachten zu dürfen.
Während ich die beiden beobachtete, fiel mir auf, wie Benni mitten im Bauen plötzlich kurz innehielt. Thomas hielt ihm gerade einen Baustein hin, doch Benni schien nicht darauf zu achten. Sein Blick und das leichte Schütteln verrieten mir, dass er sich wahrscheinlich gerade in die Hose gemacht hatte. Und dann – als wäre nichts gewesen – griff er wieder zum Baustein und baute einfach weiter.
Ich musste schmunzeln. Es schien, als würde Benni langsam akzeptieren, dass das für ihn etwas völlig Normales ist, etwas, worüber er sich nicht schämen muss. Er begann zu verstehen, dass er nicht der Erwachsene aus seinen Erinnerungen ist, der sich über solche Dinge Gedanken macht. Er durfte jetzt einfach das Kind sein, das die Welt unbeschwert entdeckte.
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So viel Lego zum Bauen! Vielleicht schaffen wir heute noch den ganzen LKW, wenn wir uns richtig beeilen. Ganz kurz spürte ich ein leichtes Ziehen, und dann lief es einfach in die Windel. Erst wurde es feucht, dann spürte ich, wie es schnell aufgesogen wurde und schließlich schön warm war. Ein tolles Gefühl, irgendwie beruhigend.
Während ich das genoss, sah ich den Baustein, den mir Thomas reichte, und nahm ihn, als wäre nichts gewesen. Kurz kam mir der Gedanke, dass hoffentlich niemand bemerkt hatte, dass ich gerade in die Hose gemacht hatte. Aber dann fragte ich mich: Warum mache ich mir überhaupt Gedanken darüber? Alexej hat mir doch erklärt, dass ich nichts dafür kann, und Mama hat mir oft gesagt, dass es völlig in Ordnung ist. Eigentlich müsste ich mich gar nicht schämen – es scheint so als dürfe ich sogar mein großes Geschäft in die Windel machen, wenn ich möchte.
Es schien ja auch, als wäre es für alle um mich herum das Normalste der Welt. Niemand störte sich daran oder behandelte mich deswegen anders. Ich konnte nicht genau sagen, warum ich mich manchmal dafür schämte – es fühlte sich fast an wie ein Gedanke, der irgendwoher anerzogen war. Dabei hatte ich doch keine echten Erinnerungen an solche Gefühle.
Langsam wurde ich beim Bauen etwas unkonzentriert und steckte die Bausteine falsch zusammen. Thomas bemerkte es, streichelte mir sanft über den Rücken und warf einen Blick zu Mama. „Ich glaube, Benjamin braucht eine kleine Pause vom Bauen,“ meinte er lächelnd. „Das ist ja auch noch nicht ganz deine Altersklasse, aber du hast das schon richtig toll gemacht.“ Dabei sah er mich aufmunternd an.
Ich schaute zu Mama und sagte leise: „Ich möchte noch nicht aufhören… ich möchte auch nicht ins Bett.“
Mama lächelte beruhigend. „Wir müssen auch noch nicht gleich ins Bett, mein Schatz. Du kannst ja noch ein bisschen mit dem Auto spielen, das du schon fertig gebaut hast. Dann essen wir Abendbrot, und danach lesen wir noch eine Geschichte im Bett, okay?“
Das klang eigentlich sehr gut, wenn ich ehrlich war. Mama wusste einfach, wie sie mich überzeugen konnte. Also schnappte ich mir den kleinen blauen Flitzer und ließ ihn über den Teppich vor der Couch sausen. Es fühlte sich toll an, einfach zu spielen und den Abend entspannt ausklingen zu lassen.
Irgendwann kam Mama zu mir und hockte sich neben mich, während ich gerade damit beschäftigt war, die Bausteine an meinem kleinen Auto wieder festzumachen – ein paar davon waren beim Spielen abgefallen.
„Was hältst du davon, wenn wir jetzt zusammen den Tisch decken?“ fragte sie sanft.
Eigentlich wollte ich viel lieber noch ein bisschen mit dem Auto spielen. Ich sah sie an und fragte vorsichtig und ein bisschen unsicher: „Könnten die anderen nicht den Tisch decken? Dann könnten wir noch ein bisschen zusammen spielen… vielleicht das Auto hin- und herfahren? Zu zweit macht das bestimmt noch mehr Spaß.“
Mama lächelte, und ich spürte, dass sie meine Idee in Betracht zog. Ich hoffte so sehr, dass sie zustimmen würde – mit ihr zu spielen, war einfach das Schönste.
Mama sah zu Thomas und meinte mit einem kleinen Lächeln: „Ich glaube, du musst dich doch um den Tisch kümmern. Der kleine Rennfahrer hier möchte noch etwas mit seiner Mama fahren – und wie könnte ich da Nein sagen?“
In diesem Moment sprang ich auf und umarmte Mama fest. Das war einfach toll! Ich hatte es tatsächlich geschafft, Mama umzustimmen. Ich wusste nicht genau, worüber ich mich mehr freute – darüber, dass sie meinen Vorschlag angenommen hatte, oder darüber, dass wir jetzt gemeinsam spielen würden. Es fühlte sich einfach richtig schön an, dass sie sich die Zeit für mich nahm.
Mama setzte sich mit mir auf den Boden, und wir schoben das kleine Auto abwechselnd hin und her. Ich konnte kaum aufhören zu lächeln.
Nach viel zu kurzer Zeit kam Thomas wieder ins Wohnzimmer und rief: „Wir können dann essen.“ Auch wenn ich gerne noch weitergespielt hätte, wollte ich mein Glück nicht überstrapazieren, also stand ich mit Mama auf und ging in Richtung Esszimmer. Bevor wir dort ankamen, schob Mama mich lächelnd ins Badezimmer auf der gleichen Etage. „Hände waschen vor dem Essen,“ sagte sie sanft und zwinkerte mir zu.
Nachdem ich meine Hände gewaschen hatte, gingen wir zum Tisch, wo bereits alles vorbereitet war. Es gab Brot und in Scheiben geschnittene Gurken, die ich richtig lecker fand – am Ende habe ich mehr Gurke als Brot gegessen! Außerdem gab es heute Apfelsaft mit Wasser. Mama erklärte mir, dass ich den Saft nicht pur trinken sollte, weil er viel Zucker enthält. Trotzdem schmeckte er mir auch mit Wasser verdünnt richtig gut, und ich trank gleich zwei Becher. Es war ein einfaches, aber sehr leckeres Abendessen, und ich fühlte mich rundum zufrieden.
Nach dem Essen räumten wir gemeinsam den Tisch ab. Mama meinte, dass wir wenigstens beim Abräumen helfen sollten, da wir den Tisch nicht gedeckt hatten. Aber da wirklich alle mit anpackten, einschließlich unserer Personenschützer, war das schnell erledigt. Mario lachte und sagte: „Viele Hände, schnelles Ende.“ Das fand ich irgendwie lustig, und ich musste kichern.
Danach nahm mich Mama an die Hand und wir gingen nach oben ins Badezimmer. Sie befreite mich von der Windel, half mir aus den Sachen und duschte mich dann vorsichtig ab, damit die Schiene an meinem Arm nicht zu viel Wasser abbekam. Es fühlte sich gut an, frisch und sauber zu sein.
„Wie lange muss ich die Schiene noch tragen?“ fragte ich Mama.
Sie antwortete: „Mindestens vier Wochen, Schatz. Aber wir müssen so bald wie möglich mit Physiotherapie anfangen, damit du deine Schulter später wieder ganz normal belasten kannst.“ Dabei wirkte sie nachdenklich, als ob sie schon Pläne schmiedete, wie sie mich bestmöglich unterstützen könnte.
Nach dem Duschen und Zähneputzen legte Mama mir eine frische Windel an. Diesmal war es keine von den Pampers, sondern eine weiße Windel mit blauen Streifen. Aus meinen Erinnerungen wusste ich, dass es eine Tena sein musste, wahrscheinlich in der Größe XS. „Sind das andere Windeln als sonst?“ fragte ich neugierig.
Mama lächelte und nickte. „Ja, mein Schatz, das sind medizinische Windeln. Im Vergleich zu dem, was wir im Krankenhaus bekommen haben, ist das hier ein Markenprodukt und einfach besser geeignet für die Nacht. Tagsüber nehmen wir weiterhin die Pampers, die sind einfach bequemer und besser für dich, damit du beim Spielen und Herumtoben nicht so eingeschränkt bist. Außerdem sieht man dann nicht so schnell, dass du eine Windel trägst. Aber für die Nacht denke ich, dass diese hier besser ist.“
Ich merkte sofort den Unterschied – die Tena war deutlich dicker als die Pampers und fühlte sich mit dem zusätzlichen Material zwischen meinen Beinen ungewohnt an. Aber wenn Mama sagte, dass es besser für die Nacht ist, vertraute ich darauf, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Im Bett kuschelten wir uns gemütlich in die Decke, und Mama schlug das Buch auf, das wir heute Abend lesen wollten. Es war eine Geschichte über eine Maus und ein komisches Tier, das ich noch nie zuvor gesehen hatte – den Grüffelo. Ich war gespannt und freute mich, dass Mama mir ein neues Buch zum Lesen ausgesucht hatte.
„Magst du ein paar Zeilen vorlesen, Benni?“ fragte Mama leise.
Ich nickte und begann langsam: „Die Maus spazierte im Wald umher. Der Fuchs sah sie kommen und freute sich sehr: ‚Wohin, kleine Maus? Komm, sei mein Gast, wir feiern ein Fest und haben einen Schmaus.‘“
Mama lächelte stolz, und ich fühlte mich ganz groß, dass ich es geschafft hatte, ihr vorzulesen. Dann übernahm sie und erzählte weiter von der Maus und dem großen, schrecklichen Grüffelo mit seinen komischen Zähnen und Krallen. Ihre Stimme wurde immer sanfter, und ich kuschelte mich noch enger an sie.
Noch bevor die Geschichte richtig zu Ende war, fielen mir die Augen zu, und ich glitt langsam in den Schlaf.
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Ich glaube, das war der erste Tag, an dem wir einfach nur das gemacht haben, was wir wollten, ohne dass uns irgendjemand zu irgendetwas gedrängt oder uns vorgeschrieben hat, was wir tun sollen. Am liebsten hätte ich mich einfach an meinen kleinen Schatz gekuschelt und wäre mit ihm zusammen eingeschlafen. Aber ich musste noch einmal mit Gustav sprechen, und eine Dusche würde mir auch gut tun. Zum Glück hatte ich jetzt das Babyphone mit Kamera, das ich vorhin schon platziert hatte, und konnte so immer ein Auge auf Benni haben.
Also schnappte ich mir das Elternteil des Babyphones und ging nach unten ins Arbeitszimmer. Dort traf ich auf Heike und Mario; die anderen beiden schienen bereits zu schlafen.
„Guten Abend, ihr beiden,“ begrüßte ich sie leise. „Gibt es schon etwas Neues von Frau Grünwald?“
Heike sah mich mitfühlend an und schüttelte den Kopf. „Nein, leider noch nicht. Das wird bestimmt noch ein paar Tage dauern. So eine groß angelegte Aktion, dazu auch noch im Ausland – das bringt eine Menge Bürokratie und Organisation mit sich. Aber alle Beteiligten geben ihr Bestes, damit schnell gehandelt werden kann.“
Ich nickte. „Ich hatte auch nicht wirklich damit gerechnet, dass schon etwas passiert, aber gehofft hatte ich es doch.“
Dann kam mir ein weiterer Gedanke. „Benjamin muss in den nächsten Tagen anfangen, seinen Arm mit einem Physiotherapeuten zu trainieren. Damit er später keine Einschränkungen hat – er hat schon genug anderen Ballast, den er mit sich herumträgt.“
Heike nickte verständnisvoll. „Wir werden sehen, wie wir das am besten organisieren. Es ist wichtig, dass er die richtige Unterstützung bekommt.“
Dankbar lächelte ich sie an und wusste, dass ich mich auf das Team verlassen konnte.
Nachdem ich alles erledigt hatte, ging ich ins Badezimmer, um mich für die Nacht fertig zu machen. Als ich schließlich zurück ins Schlafzimmer kam, sah ich, dass Benjamin wieder seinen Daumen im Mund hatte. Da fiel mir ein, dass ich ihm den Nuckel gar nicht gegeben hatte.
Vorsichtig tauschte ich seinen Daumen gegen den Nuckel, und sofort begann er im Schlaf sanft daran zu saugen. Ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus – zu sehen, wie sehr er diese Geborgenheit noch brauchte, berührte mich tief. Ich legte mich behutsam neben ihn und zog ihn schützend in meine Arme. Er kuschelte sich im Schlaf an mich, und ich wusste, dass er hier, in diesem Moment, ganz sicher war.
Er hatte wieder eine unruhige Nacht; es waren wohl viele Eindrücke, die er im Schlaf verarbeiten musste. Ich bemerkte, dass seine Windel stark beansprucht wurde, doch sie hielt alles gut – es war definitiv die richtige Entscheidung gewesen, nachts auf die größere Windel umzusteigen. Mehrmals in der Nacht musste ich ihn sanft trösten und wieder in den Schlaf begleiten. Jedes Mal, wenn er sich unruhig im Traum hin und her wälzte, fühlte ich mit ihm und hoffte, dass er bald zur Ruhe käme. Und jedes Mal, wenn er sich schließlich wieder entspannte, war ich erleichtert, ihm ein wenig Geborgenheit geben zu können.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich etwas gerädert, doch als ich auf Benni hinab blickte, der so ruhig in meinen Armen schlief, war all das schnell vergessen. Ihn nach dieser unruhigen Nacht so friedlich an seinem Nuni saugen zu sehen, zauberte mir dennoch ein Lächeln ins Gesicht. In diesem Moment wurde mir wieder bewusst, dass ich für ihn alles aushalten würde.
Sanft strich ich ihm über die Wange, bis er langsam die Augen öffnete. „Guten Morgen, mein kleiner Schatz,“ flüsterte ich leise. Sein Lächeln, als er mich ansah, ließ auch die letzte Erschöpfung verfliegen – mehr Motivation konnte es für mich nicht geben.
Behutsam machte ich ihn als Erstes frisch. Die Windel war ziemlich voll, aber sie hatte gut gehalten und schien noch nicht an ihre Grenzen gekommen zu sein. Zufrieden mit meiner Entscheidung, ihm nachts die größere Windel zu geben, begann ich, ihn für den Tag fertig zu machen, während er sich langsam an das Wach werden gewöhnte.
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Mama streichelte mir sanft über die Wangen – das kitzelte ein bisschen, und als ich die Augen öffnete und ihr Gesicht sah, musste ich sofort vor Freude lächeln. Sie machte mich ganz behutsam frisch. Die Windel fühlte sich gar nicht so voll an, aber als Mama sie zusammenvrollte, konnte ich sehen, dass sie ganz schön aufgequollen war. Diese neue Windel schien ähnlich gut wie die Pampers zu sein, nur größer.
Nach dem Anziehen nahm Mama mich auf den Arm und brachte mich in die Küche. Thomas und die anderen saßen schon am Tisch und aßen. Thomas begrüßte uns mit einem Lächeln: „Na, ihr Schlafmützen?“
Mama antwortete mit einem liebevollen Blick auf mich: „Ja, wir hatten eine schwere Nacht,“ und streichelte mir dabei sanft über den Kopf.
Thomas nickte verstehend. „Okay, dann ist das natürlich was anderes.“
Am Tisch gab es ein leckeres Schokoladen brötchen und einen warmen Kakao, den ich schnell verputzte. Gustav wandte sich dann an Mama: „Du hast gestern bei Heike das Thema Physiotherapie für Benjamin angesprochen. Wir haben jemanden gefunden und kontaktiert. Wir werden die Praxis heute Nachmittag aufsuchen.“
Mama lächelte zufrieden. „Das geht ja richtig schnell bei euch. Super, das ist wirklich wichtig für Benjamin.“
Nach dem Frühstück und dem morgendlichen Zähneputzen, das Mama heute für mich übernahm, damit meine frischen Sachen nicht gleich schmutzig wurden, durfte ich wieder mit dem Lego spielen. Draußen regnete es ziemlich heftig, und während ich so aus dem Fenster sah, fragte ich mich, wie es wohl wäre, im Regen zu stehen und den Regen auf der Haut zu spüren.
Ich drehte mich zu Mama und fragte: „Können wir auch mal bei Regen raus? Ich möchte gerne spüren, wie sich das anfühlt.“
Mama sah mich überrascht an. „Du möchtest in den Regen und nass werden?“ Ich nickte eifrig. Mama schaute nachdenklich aus dem Fenster und sagte dann: „Ich verstehe, dass du auch diese Erfahrung machen möchtest. Aber dafür brauchen wir richtige Regenkleidung oder müssen es im Sommer machen, wenn es trotzdem schön warm ist. Ich möchte nicht, dass du krank wirst.“
Ich verstand, was sie meinte, und nickte. Aber die Idee, irgendwann mal im Regen zu stehen, ließ mich trotzdem lächeln.
Thomas half mir wieder beim Bauen, und endlich war der LKW komplett fertig. Wir mussten sogar ein paar Steine zurückbauen, weil ich zwei falsch gesetzt hatte, und es erst gegen Ende aufgefallen war. Aber Thomas fand einen Weg, das zu korrigieren, ohne dass wir alles auseinandernehmen mussten. Jetzt war der Anhänger dran, aber bevor wir richtig loslegen konnten, kam Mama ins Zimmer.
„Na, ihr beiden Baumeister,“ sagte sie lächelnd, „die Zeit rennt. Wir machen jetzt erstmal Mittag und dann einen kleinen Mittagsschlaf – wir wollen nachher noch zur Physiotherapie.“
Ein bisschen enttäuscht, dass ich schon wieder aufhören musste, folgte ich Mama in die Küche. Diesmal waren wir allein, und Mama stellte mich vor die Wahl: entweder ein Stück von der Lasagne, die Thomas vorgestern Abend gemacht hatte, oder etwas von der Pizza von gestern. Ich entschied mich für die Lasagne von Thomas.
„Warum essen die anderen nicht mit, Mama?“ fragte ich neugierig.
„Weil die bestimmt später essen,“ antwortete Mama sanft. „Ich möchte aber, dass du noch einen Moment schlafen kannst, bevor wir losfahren.“
Ich nickte, und Mamas liebevolle Art ließ die Enttäuschung schnell verschwinden.
Nach dem Essen ging es direkt ins Schlafzimmer, wo Mama einen kleinen Rucksack aus dem Schrank holte. Er war ein bisschen größer als der, den sie in Passau gekauft hatte. Sie legte einige Sachen für mich bereit: Windeln, einen Nuckel und Feuchttücher, bevor sie alles ordentlich im Rucksack verstaute. Obenauf packte sie noch zwei Einmal-Wickelunterlagen. „Da haben wir schon mal alles vorbereitet,“ zwinkerte sie mir zu, bevor sie mir eine frische Windel anzog.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die alte Windel schon so voll war. Manchmal merkte ich es, wenn ich pullerte, aber manchmal bekam ich es gar nicht mit – es war fast so, als würde es unterbewusst passieren.
Mama legte sich dann wieder neben mich, gab mir meinen Nuckel und zog mich sanft an sich. Die Geborgenheit ließ mich schnell wieder einschlafen, und ich fühlte mich rundum sicher und geliebt.
Es klopfte an der Tür, und ich sah, dass es Heike war. Mama wachte in dem Moment auch gerade auf – sie war wohl mit mir eingeschlafen. „Wir müssen in 20 Minuten los,“ sagte Heike leise und schloss die Tür wieder.
Mama sah für einen Moment überrascht aus, fast ein bisschen erschrocken. Ich glaube, sie hatte gar nicht geplant, mit mir einzuschlafen. Ich musste schmunzeln, denn es war schön zu wissen, dass sie sich genauso wohl fühlte wie ich, wenn wir einfach zusammen Ruhe fanden.
Mama lächelte mich an und gab mir einen Kuss auf die Stirn. „Da bin ich wohl mit dir eingeschlafen, du kleines Kuschelmonster,“ sagte sie liebevoll.
Sie stand auf und kontrollierte vorsichtig meine Windel. „Eigentlich ist die noch nicht fällig, aber da wir jetzt loswollen, machen wir lieber eine frische dran, okay?“
Ich nickte – wenn Mama das sagte, dann war es bestimmt besser so. Ich war ohnehin etwas nervös, weil ich nicht genau wusste, was mich beim Physiotherapeuten erwarten würde.
Mama machte mich wieder liebevoll frisch und half mir anschließend beim Anziehen. Ihre ruhige Art nahm mir etwas die Anspannung, und ich wusste, dass ich ihr vertrauen konnte, ganz egal, was der Tag bringen würde.
Nachdem Mama noch kurz im Badezimmer gewesen war, gingen wir gemeinsam die Treppe hinunter. Sie trug den Rucksack auf der Schulter, bereit für alles, was wir unterwegs brauchen könnten. Unten stiegen wir diesmal in den schwarzen BMW ein, der beim letzten Mal hinter uns gefahren war. Mario saß heute am Steuer, und Heike war auf dem Beifahrersitz.
Im Vergleich zu Heike fuhr Mario eher ruhig. Er schwamm einfach im Verkehr mit und schien es nicht eilig zu haben. Ich glaube, Mama gefiel das – sie wirkte entspannt und schien die ruhige Fahrt zu genießen.
„Wo ist der Physiotherapeut?“ fragte Mama schließlich.
Heike drehte sich zu uns um und antwortete: „Die Praxis ist nicht weit, nur etwa 30 Minuten von hier. Wir haben einen Termin vereinbart, und es ist alles organisiert.“ Mama nickte zufrieden und lächelte mir beruhigend zu.
Wir fuhren erst durch eine kleine Ortschaft, und für einen kurzen Moment konnte ich einen See sehen, der hinter den Häusern glitzerte. „Ist das der Bodensee?“ fragte ich Mama neugierig.
„Das weiß ich nicht genau, aber es könnte er sein,“ antwortete sie zögernd. Doch bevor ich weiterfragen konnte, mischte sich Mario von vorne ein. „Ja, das ist der Bodensee,“ bestätigte er freundlich.
„Können wir uns den mal ansehen?“ fragte ich hoffnungsvoll.
Heike drehte sich zu uns um und schüttelte bedauernd den Kopf. „Leider können wir das im Moment nicht. Erst wenn sich die Lage beruhigt hat und wir sicher sind, dass ihr außer Gefahr seid.“
Eine kleine Enttäuschung breitete sich in mir aus, und ein trauriges „Schade“ entwich mir, als ich meinen Blick wieder zum Fenster wandte.
„Mama?“ fragte ich leise, während ich weiter aus dem Fenster sah. „Ich möchte gern mal an so einen See. Und ich möchte gern mal mit einem Schiff fahren.“
Mama lächelte und strich mir sanft über die Hand. „Sobald wir wissen, dass uns nichts mehr passieren kann, machen wir das, okay? Versprochen.“
Ich nickte und lächelte zurück. Die Vorstellung, irgendwann in Ruhe am See zu sein und vielleicht sogar auf einem Schiff zu fahren, machte mich glücklich.
Danach fuhren wir ein kurzes Stück auf der Autobahn, und obwohl Mario hier etwas schneller fuhr als zuvor, blieb er immer noch recht zurückhaltend. Bald darauf bogen wir auf eine kleinere Straße ab, die uns durch einen dichten Wald führte. Neugierig schaute ich aus dem Fenster und versuchte, zwischen den Bäumen etwas zu entdecken. Vielleicht könnte ich ja ein Tier sehen, dachte ich – doch leider blieb der Wald still und geheimnisvoll.
Trotzdem gefiel mir die Fahrt sehr. Ich stellte fest, dass man viel mehr von der Umgebung wahrnehmen konnte, wenn man nicht so schnell unterwegs war. Der Wald schien sich endlos zu erstrecken, und es fühlte sich irgendwie besonders an, so mitten zwischen den hohen Bäumen hindurch zufahren.
Als wir vor dem großen Gebäude anhielten, konnte ich lesen, dass „Ärztehaus“ darauf stand. Das klang für mich ein bisschen wichtig und ernst. Mario öffnete Mama die Tür, und sie kam herum, um mich ab zu schnallen. Zu dritt gingen wir hinein, während Heike am Auto blieb.
Im Eingangsbereich war alles ein bisschen kahl und ruhig, und es roch leicht nach Desinfektionsmittel. Ich musste ein wenig schmunzeln – irgendwie rochen alle Arztpraxen gleich. Mama hielt meine Hand fest, und wir liefen über einen breiten Flur. Die Wände waren weiß, und an manchen Stellen hingen bunte Schilder, die zu verschiedenen Praxen führten. Es gab einen Aufzug, und Mama drückte den Knopf mit der „3“ darauf.
Als die Türen sich öffneten, kamen wir in einem ähnlichen Flur wie unten an, aber hier schien alles etwas freundlicher. Die Wände waren in einem warmen Gelb gestrichen, und an den Seiten standen ein paar Stühle, auf denen Menschen warteten. Mama führte mich zu einer Tür, auf der „Physiotherapie“ stand.
Drinnen war es ruhig, und es gab einen kleinen Empfangstresen. Eine ältere Dame mit grauen Haaren und einer freundlichen Brille saß dahinter und lächelte uns an. Sie sah zu mir herunter und zwinkerte freundlich, dann sprach sie mit Mama, während ich mir die Praxis anschaute. Es gab große bunte Bälle und einige Geräte, die aussahen wie kleine Spielgeräte, aber auch ein paar Maschinen, die ich nicht kannte.
„Das sieht hier schon ganz schön spannend aus,“ dachte ich und fühlte mich ein bisschen neugierig auf das, was als Nächstes kommen würde.
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„Hallo, wir haben einen Termin für Benjamin wegen seiner Schulter,“ sagte ich freundlich zur Frau am Tresen.
Die Arzthelferin schaute uns fragend an und fragte: „Und wie ist Ihr Name?“
Für einen Moment überlegte ich, wie ich darauf reagieren sollte, und mein Blick wanderte zu Mario. Er verstand sofort und trat an den Tresen.
„Entschuldigung, ich bin Herr Hirt, und mein Kollege Herr Engel hat vorhin mit Frau Dr. Müller gesprochen,“ erklärte er ruhig. „Wir haben eine Vorgangsnummer und sind im Auftrag des BKA hier. Aus Sicherheitsgründen können wir die Namen unseres Patienten nicht nennen, und die Abrechnung läuft über diese Adresse.“ Dabei reichte er der Schwester eine Visitenkarte und ein Dokument.
Die Arzthelferin zögerte kurz, las sich das Dokument durch und nahm dann das Telefon. „Frau Doktor, könnten Sie bitte kurz zum Empfang kommen? Ja, okay, bis gleich.“
Kurz darauf kam eine junge Frau in weißer Hose und einem weißen Polohemd aus einem der Räume und lächelte uns freundlich an. Sie wandte sich kurz an die Arzthelferin. „Das hatte ich ganz vergessen. Ich wollte dir noch Bescheid geben, dass heute ein neuer Patient zu uns kommt,“ sagte sie mit einem freundlichen Blick zu mir. „Und das auch noch unter besonderen Umständen.“ Dann deutete sie uns an, ihr ins Behandlungszimmer zu folgen. „Entschuldigt die Umstände,“ fügte sie hinzu. „Meine Kollegin hat gerade erst Dienstbeginn gehabt, und ich konnte sie noch nicht informieren.“
Dann kniete sie sich zu Benjamin hinunter und sprach ihn direkt an. „Und du bist der kleine Bruchpilot mit der ausgerenkten Schulter?“ Benjamin war ein wenig schüchtern und griff nach meiner Hand. Ich übernahm das Reden für ihn.
„Ja, es gab einen Zwischenfall, bei dem er sich die Schulter ausgerenkt hat,“ erklärte ich. „Er trägt jetzt seit vier Tagen diese Schiene und die Schlaufe. Ich bin Kinderkrankenschwester und weiß, dass er jetzt langsam mit einer Bewegungstherapie anfangen muss, damit er keine Einschränkungen davonträgt.“
Dr. Müller musterte Benjamin freundlich. „Und wie alt ist er denn?“
„Benjamin wird nächsten Monat fünf Jahre,“ antwortete ich, woraufhin sie überrascht die Augenbrauen hob.
„Hui, da bist du aber ganz schön groß für dein Alter,“ stellte sie fest. „Hat er sonst irgendwelche Einschränkungen?“
„Ja, er ist für sein Alter ungewöhnlich groß, und die Entwicklung seines Körpers kommt nicht ganz hinterher. Seine Blase ist zum Beispiel viel zu klein, sodass er seinen Urin nicht lange halten kann. Deswegen trägt er noch eine Windel. Aber ansonsten ist er mein kleiner Sonnenschein, und geistig ist er seinem Alter weit voraus.“
Die Ärztin lächelte verständnisvoll. „Das mit der Windel ist nicht schlimm; ich habe einige Patienten, denen es nicht anders geht.“ Dann wandte sie sich wieder an Benjamin. „Und was kannst du schon alles, wenn deine Mama sagt, dass du so clever bist? Kannst du schon ein bisschen zählen?“
Ich konnte sehen, wie er stolz wurde. „Ich kann alle Zahlen und lesen und rechnen,“ antwortete er.
Die Ärztin schaute ihn erstaunt an. „Na, dann sag mir mal: Was ist 10 + 12?“
Benjamin antwortete sofort, stolz: „22. Und das mal 4 ist 88, da fehlen nur noch 12 bis zur Hundert.“
Die Ärztin musste lachen. „Okay, ich glaube dir, dass du rechnen kannst. Deine Mama hat nicht zu viel versprochen.“
„Dann lass uns mal nach deiner Schulter schauen,“ sagte die Ärztin freundlich zu Benjamin und begann vorsichtig, seine Schulter zu untersuchen. „Wir können heute noch nicht viel machen,“ erklärte sie sanft. „Es ist gut, dass Sie so vorsichtig sind,“ wandte sie sich an mich, „aber man sollte der Schulter etwa zwei Wochen Ruhe gönnen, bevor wir mit einer intensiveren Therapie beginnen.“
Während sie Benjamins Schulter behutsam abtastete, schaute sie mich fragend an. „Hatte er eine Operation an der Schulter?“
„Ja,“ antwortete ich, „aber nicht wegen der Schulterluxation. Man hat etwas entfernt.“
„Okay,“ nickte sie verstehend. „Dann werden wir besonders vorsichtig sein und die Behandlung entsprechend anpassen.“
„Hast du Schmerzen, wenn ich hier drücke?“ fragte die Ärztin sanft und wandte sich an Benjamin.
Er schüttelte den Kopf. „Nein, tut nicht weh.“
„Das ist sehr gut,“ meinte die Ärztin mit einem Lächeln. „Scheint, als würde alles gut verheilen bei dir.“ Dann wandte sie sich wieder an mich. „Halten Sie die Schulter noch die nächsten zehn Tage ruhig. Vielleicht können wir dann schon die Schiene abnehmen,“ sagte sie aufmunternd.
Ein leises Schuldgefühl stieg in mir auf – ich war wohl etwas voreilig gewesen, was die Physiotherapie anging. Aber ich wollte doch nur das Beste für Benjamin, dass seine Schulter gut heilt und er später keine Einschränkungen hat. Vielleicht war ich einfach zu besorgt.
Die Ärztin schien meine Gedanken zu spüren und lächelte beruhigend. „Es ist ganz normal, dass man alles tun will, damit das eigene Kind gut versorgt ist,“ meinte sie sanft. Ihre Worte halfen mir, die Sorge ein wenig loszulassen und zu verstehen, dass es okay ist, wenn die Heilung etwas Zeit braucht.
„Holt euch vorne bitte einen Termin in zehn Tagen,“ sagte die Ärztin freundlich. „Dann schauen wir mal, wie es dann aussieht.“
Ich nickte dankbar und nahm Benjamins Hand, um uns am Empfang für den nächsten Termin anzumelden. Es tat gut zu wissen, dass wir den Fortschritt bald überprüfen konnten und alles in geordneten Bahnen lief.
Als wir wieder im Auto saßen, bemerkte Heike: „Das ging aber schnell, oder?“
Mama seufzte leicht betroffen und antwortete: „Ja, ich war wohl etwas voreilig. Er soll die Schulter noch mindestens zehn Tage schonen, bevor wir mit der Therapie anfangen. Ich wollte doch nur das Beste für ihn.“
Heike lächelte verständnisvoll und sagte: „Das kann ich gut verstehen. Ich würde es auch nicht anders machen, wenn ich Kinder hätte.“
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Mit einem sanften Nicken begann Mario, das Auto zu starten, und wir fuhren los. Ich spürte, dass Mama sich immer noch ein wenig sorgte, aber ich war froh, dass alle um mich herum so gut auf mich aufpassten.
Als wir wieder durch den Wald fuhren und alles ruhig schien, drehte sich Heike plötzlich nach hinten und blickte aufmerksam durch die Heckscheibe. „Sag mal, folgt uns dieses Fahrzeug?“ fragte sie mit einer Mischung aus Sorge und Entschlossenheit, die an Mario gerichtet war.
Mario schaute in den Rückspiegel, und für einen Moment schien er ruhig zu bleiben. Doch dann veränderte sich seine Miene, und ohne ein weiteres Wort beschleunigte er plötzlich stark. Das Fahrzeug hinter uns hielt jedoch Schritt. Marios sonst entspannte Fahrweise war wie ausgewechselt – er konzentrierte sich, seine Hände fest am Lenkrad, und wir spürten, wie das Auto in rasantem Tempo durch den Wald raste.
„Das sind zwei Fahrzeuge!“ rief sie, ihre Stimme angespannt.
Ohne zu zögern griff Heike zum Funkgerät und gab einen Notruf durch: „Hier ist Einheit Engel, wir werden verfolgt, zwei Fahrzeuge, nähern uns gefährlich. Benötigen sofortige Unterstützung!“
Mario konzentrierte sich völlig auf die Straße und wich gekonnt Bäumen und anderen Fahrzeugen aus. Die Verfolgung spitzte sich zu, und der schwarze SUV setzte zum Überholen an, immer dichter an unserer Seite. Heike drückte sich gegen die Tür, um einen besseren Blick zu bekommen, als der SUV plötzlich aggressiv zur Seite zog und versuchte, uns von der Straße abzudrängen.
Mario kämpfte am Steuer, doch der Druck des SUVs wurde zu stark. Schließlich verlor das Auto den Halt, und wir wurden mit einem lauten Krachen an den Rand der Straße und in die Böschung gedrängt.
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Für einen Moment herrschte völlige Stille. Der Schock des Aufpralls hing in der Luft, und alles fühlte sich wie in Zeitlupe an. Ein dünner Qualm stieg aus dem Motorraum auf, und der Geruch von verbranntem Gummi und Öl drang in die Kabine. Vor uns hatte sich der Baum in die Motorhaube gebohrt, als wäre er der unerbittliche Punkt, an dem die Flucht abrupt enden musste.
Mario saß reglos, tief in den ausgelösten Airbag gesunken, seine Hände noch fest um das Lenkrad geklammert, als hätte er bis zur letzten Sekunde die Kontrolle behalten wollen. Heike richtete sich langsam auf, und ich konnte sehen, dass eine kleine Platzwunde an ihrer Stirn zu bluten begann. Der Airbag hatte sie zurückgehalten, aber der Aufprall hatte trotzdem Spuren hinterlassen. Sie drückte sich eine Hand an den Kopf, versuchte die Orientierung zurückzugewinnen.
Ich selbst spürte einen stechenden Schmerz in der Brust, dort, wo der Gurt sich bei dem heftigen Bremsen in meine Haut gedrückt hatte. Mein Atem ging flach, und ich versuchte, das pochende Gefühl in meinem Kopf zu ignorieren.
Doch dann fiel mein Blick auf Benjamin. Er saß reglos in seinem Sitz, sein Kopf leicht zur Seite geneigt, die Augen geschlossen. Ein Schauer durchfuhr mich, und mein Herz setzte für einen Moment aus. Panik stieg in mir auf, als ich seinen leblosen kleinen Körper dort hängen sah, festgehalten nur vom Gurt, der wie eine schützende, aber zugleich erschreckend stramme Linie über seine Brust verlief.
„Benni!“ Meine Stimme war erstickt vor Angst. Ich streckte zitternd die Hand nach ihm aus, fast schon in dem Glauben, dass das sanfte Berühren alles in Ordnung bringen könnte.
Heike handelte blitzschnell. Mit dem Griff ihrer Pistole schlug sie das Seitenfenster ein, Glas splitterte, und sie kletterte mit erstaunlicher Ruhe aus dem Fahrzeug. Dann riss sie an Benjamins Tür, die sich erst nach mehreren Versuchen mit einem lauten Knacken öffnete.
In der Zwischenzeit hatte ich mich vom Gurt befreit und mich zu Benjamin hinüber gebeugt. Mein Herz raste, doch ein tiefer Atemzug von ihm beruhigte mich ein wenig. Vorsichtig schnallte ich ihn ab und stellte sicher, dass er keine sichtbaren Verletzungen hatte. Er atmete, war aber noch immer bewusstlos.
Mit größter Sorgfalt hob ich ihn aus seinem Sitz, kletterte an ihm vorbei und nahm ihn behutsam auf den Arm, als plötzlich mehrere laute Schüsse die Luft zerrissen. Reflexartig duckte ich mich und hielt Benjamin fest, während ich mich neben dem Fahrzeug Schutz suchte.
Heike hatte ihre Waffe gezogen und schoss gezielt in Richtung des Waldrands, wo sich eine Gestalt in dunkler Kleidung zwischen den Bäumen duckte. Die Bedrohung war nicht vorbei, und mein Herz raste, als ich realisierte, wie nah wir der Gefahr waren.
Heike hielt ihren Blick fest auf den Waldrand gerichtet, die Waffe in der Hand, bereit für das, was als Nächstes kam. „Ihr müsst hier weg,“ sagte sie drängend und ohne den Blick abzuwenden. „Das sind zu viele. Ich versuche, sie im Schach zu halten. Lauf so schnell du mit ihm kannst, versteckt euch oder versucht, eine Ortschaft zu erreichen. Es sollte nicht lange dauern, bis Hilfe eintrifft. Ich habe einen Notruf gesendet.“
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, doch ich wusste, dass sie recht hatte. Jeder Augenblick zählte, und Benjamins Sicherheit hing jetzt von jedem Schritt ab. Ich zog ihn enger an mich, warf einen letzten, dankbaren Blick auf Heike und nickte entschlossen. Dann, ohne zurück zusehen, begann ich zu laufen, so schnell ich konnte, das Herz bis zum Hals schlagend und den festen Entschluss, uns beide in Sicherheit zu bringen.
Das Knallen der Schüsse hinter uns war erschreckend und ließ mich jedes Mal zusammenzucken. Jeder Schuss hallte durch den Wald und trieb mich weiter an, auch wenn die Geräusche mit jedem Schritt leiser wurden. Der Boden war unwegsam, Äste und Wurzeln ragten über den Pfad und machten es schwer, das Gleichgewicht zu halten, doch ich rannte so schnell ich konnte.
Meine Brust schmerzte noch immer vom Aufprall, und meine Lunge brannte vor Anstrengung. Aber Benjamin atmete, und das war das Einzige, was in diesem Moment zählte. Die Angst, die ich spürte, war überwältigend – sie galt nicht mir, sondern Benjamin. Der Gedanke, dass ihm etwas zustoßen könnte, ließ mich nicht los.
Also biss ich die Zähne zusammen, konzentrierte mich auf jeden Schritt und lief weiter, mein Herz voller Entschlossenheit, ihn in Sicherheit zu bringen.
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„Mama?“ fragte ich erschöpft, während ein stechender Schmerz in meiner Brust pochte. „Meine Brust tut weh.“
Mama hielt mitten im Laufen an und hob mich vorsichtig so, dass sie mir ins Gesicht sehen konnte. Tränen standen ihr in den Augen, doch zugleich sah ich auch Erleichterung darin.
„Benni, es wird alles gut, mein Schatz,“ sagte sie sanft, doch ich konnte die Sorge in ihrer Stimme hören.
„Was machen wir hier? Warum laufen wir durch den Wald? Und warum tut mein Bauch weh?“ fragte ich verwirrt.
Ihre Erleichterung verwandelte sich in Besorgnis. „Wo tut es genau weh? Ist es sehr schlimm?“ fragte sie behutsam.
Ich schüttelte den Kopf und zeigte auf meine Brust. Mama schob vorsichtig meinen Pullover hoch und sah die roten Striemen, die der Gurt hinterlassen hatte. Ich konnte sehen, wie sie sich innerlich anspannte, aber sie zwang sich zu einem beruhigenden Lächeln, als sie mich wieder sanft an sich zog.
„Das ist bestimmt von dem Gurt aus deinem Kindersitz,“ sagte Mama leise und angespannt, während sie vorsichtig meinen Pullover wieder herunterzog. Dann sah sie sich um, und ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Wir müssen ganz leise sein, mein Schatz. Sie haben uns wieder gefunden. Wir müssen uns verstecken.“
Ein Schauer lief mir über den Rücken. „Ist es wieder der Mann in Schwarz?“ fragte ich ängstlich und drückte mich enger an Mama.
Sie nickte langsam, versuchte aber, beruhigend auf mich einzuwirken. „Aber ich bin bei dir, Benni. Wir schaffen das, wenn wir ruhig und leise bleiben.“
Fortsetzung folgt….
Autor: michaneo (eingesandt via E-Mail)
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