Zwischen gestern und Morgen (22)
Windelgeschichten.org präsentiert: Zwischen gestern und Morgen (22)
„Wir wissen noch nicht genau, wie sie euch wieder aufgespürt haben,“ sagte Frau Grünwald mit ernster Stimme und sah mich und Benjamin dabei aufmerksam an. „Aber wir müssen auf Nummer sicher gehen. Das Bundeswehrkrankenhaus ist eine der sichersten Einrichtungen, in der wir euch momentan unterbringen können.“
Ich nickte langsam, versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, während ich Benjamins kleine Hand festhielt. Ein Knoten bildete sich in meinem Magen bei dem Gedanken, dass wir immer noch verfolgt werden. Die Sorge um Benjamin ließ mich kaum noch zur Ruhe kommen, doch Frau Grünwalds Entschlossenheit und die Wahl eines sicheren Ortes gaben mir zumindest das Gefühl, dass wir für den Moment gut geschützt sein würden.
„Wann geht es los?“ fragte ich Frau Grünwald und spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte.
„Sobald wir das Okay von der behandelnden Ärztin haben,“ antwortete sie ruhig. „Sobald sie bestätigt, dass Sie transportfähig sind, starten wir die Verlegung.“
Ich nickte, meine Gedanken rasend. Einerseits wollte ich endlich in Sicherheit sein, andererseits wusste ich, dass jeder weitere Schritt bedeutete, dass wir immer noch auf der Flucht waren.
„Glauben Sie, dass wir wirklich sicher sind, wenn Sie Neurodyne Solutions offensiv angehen?“ fragte ich mit einem mulmigen Gefühl in der Stimme.
Frau Grünwald sah mich fest an und nickte. „Sobald ihnen klar wird, dass wir offiziell ermitteln und – im besten Fall – auch Beweismittel sicherstellen können, gibt es keinen Grund mehr, Benjamin etwas anzutun. Dann wäre er nur noch einer von vielen Beweisen.“ Sie hielt kurz inne, ihre Stimme klang bestimmt. „So ist zumindest der Plan.“
Ich spürte, wie sich ein kleines bisschen Hoffnung in mir regte. Wenn dieser Plan wirklich aufging, wenn sie genügend Beweise sammeln konnten, dann würden wir vielleicht endlich zur Ruhe kommen. Ich hoffte inständig, dass Frau Grünwald recht hatte.
„Was passiert dann?“ fragte ich vorsichtig.
Frau Grünwald lächelte schwach. „Dann könnt ihr zurück nach Passau oder Grafenau und erstmal ein wenig Normalität genießen. Sollte alles nach Plan laufen, wird es vermutlich mindestens ein halbes Jahr dauern, bis es zu einem Gerichtsverfahren kommt.“ Sie machte eine kurze Pause und sah mich fest an. „Ich möchte erreichen, dass wir Herrn Petrow als Kronzeugen nutzen. Damit könnten wir Benjamin vielleicht eine Aussage ersparen. Er hat genug unter diesem Unternehmen gelitten.“
Ich nickte, während die Hoffnung in mir wuchs. Die Aussicht auf Normalität, auf ein Leben ohne ständige Angst und Verfolgung, fühlte sich an wie ein Lichtstreifen am Horizont. Benjamin drückte meine Hand, und ich wusste, dass wir gemeinsam diesen Weg gehen würden – in der Hoffnung, dass der Albtraum bald wirklich ein Ende hat.
Frau Grünwald trat zu uns und lächelte aufmunternd. „Wir sehen uns bald wieder,“ sagte sie mit einem warmen Blick. „Alles wird nach Plan verlaufen, und ich halte Sie auf dem Laufenden.“
Ich nickte und spürte, wie mir die Erleichterung und zugleich ein wenig Nervosität in den Magen schlug. Frau Grünwald hatte so viel für uns getan, und ich war ihr unendlich dankbar. „Danke für alles,“ murmelte ich leise.
Auch Thomas kam, um sich zu verabschieden. Er würde uns nicht ins Bundeswehrkrankenhaus begleiten, sondern zurück zu seiner Familie fahren und dort alles für unsere Rückkehr vorbereiten. „Pass auf dich auf,“ sagte er leise und drückte meine Hand. „Ich werde alles tun, damit es euch gut geht, wenn ihr zurückkommt.“
Ich sah ihn mit gemischten Gefühlen an. „Danke, Thomas,“ sagte ich, und obwohl mir der Abschied schwerfiel, spürte ich, dass wir bald ein wenig Ruhe und Normalität finden würden – dank Thomas’ Unterstützung und aller, die an unserer Seite standen.
Die Verlegung begann mit einer Krankenschwester, die unseren Rucksack nahm und nach Wechselsachen für ihn suchte. Sie zog ein weiches, graues Jogging-Set hervor, das ich vorsorglich eingepackt hatte. Sie reichte Benjamin die Hose, und er zog sie tapfer selbst an, obwohl er noch etwas unsicher dabei wirkte. Als sie ihm jedoch den grauen Pullover mit dem Dino darauf reichte, fiel es ihm schwer, ihn über die verletzte Schulter zu ziehen. Geduldig half die Schwester ihm, und ich beobachtete, wie Benjamin sich sichtlich bemühte, alles mit möglichst wenig Hilfe zu schaffen.
Dann war es endlich Zeit für die Fahrt. Die Sanitäter halfen Benjamin und mir in den geräumigen, grauen Kleinbus, der für den Transport bereitstand. Zwei Begleitfahrzeuge eskortierten uns, eins vorne und eins hinten. Der Anblick der getönten Scheiben und das Gefühl von Sicherheitsmaßnahmen gaben mir ein wenig Ruhe, aber sie erinnerten mich auch daran, dass wir immer noch auf der Flucht waren.
Benjamin lehnte sich während der Fahrt an meine Seite und beobachtete die vorbeiziehende Landschaft durch das Fenster. Doch nach etwa einer halben Stunde bemerkte ich, dass er zunehmend unruhiger wurde. Sein Blick war betreten, und schließlich stiegen ihm Tränen in die Augen.
„Mama…,“ flüsterte er leise, als er beschämt nach unten schaute. Ich folgte seinem Blick und bemerkte die feuchte Stelle an seiner Hose – seine Windel war ausgelaufen. Ich spürte, wie sich sein kleiner Körper anspannte, und die Scham in seinen Augen brach mir fast das Herz.
„Oh, mein Schatz,“ sagte ich sanft und nahm seine Hand. „Das ist überhaupt nicht schlimm. So etwas kann passieren.“
Ich sah zu der Personenschützerin vor uns, die das Geschehen bemerkt hatte und sogleich verstand. „Wir halten kurz an, kein Problem,“ sagte sie beruhigend und gab dem Fahrer Bescheid, während ich Benjamins Tränen sanft von seinen Wangen wischte.
Als wir zum Stehen kamen, schob die Personenschützerin ein paar der Sitze beiseite, um Platz zu schaffen. „Ich übernehme das,“ sagte sie mit einem beruhigenden Lächeln. Sie zog behutsam die feuchte Kleidung aus und holte eine frische Windel aus unserem Rucksack. „Keine Sorge, Benni,“ fügte sie hinzu, während sie ihm mit erstaunlicher Geschicklichkeit die Windel im Stehen anzog.
Etwas erstaunt fragte ich sie: „Haben Sie da Erfahrung? Sie sind wirklich routiniert.“
Sie lächelte freundlich. „Ja, ich habe einen kleinen Bruder. Er ist autistisch und trägt dauerhaft Windeln. Ich helfe ihm oft dabei, und mangels Wechselmöglichkeiten für größere Kinder habe ich gelernt, es im Stehen zu machen. Zumindest, wenn es nur das kleine Geschäft ist.“
Ihre ruhige, einfühlsame Art ließ Benjamin schnell wieder entspannen, und ich sah, wie seine Verlegenheit allmählich verschwand. Als er frisch gewickelt und beruhigt in seiner trockenen Kleidung vor mir stand, lächelte ich ihm aufmunternd zu und nahm seine Hand in meine. Die restliche Fahrt verlief ruhig, und ich konnte mich ein wenig entspannen, in der Hoffnung, dass wir diesem Albtraum Schritt für Schritt entkommen würden.
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Als wir in dem riesigen Krankenhaus ankamen, war ich sofort beeindruckt. Überall liefen Menschen in Soldatenuniformen herum, was das Ganze spannend und ein bisschen abenteuerlich wirken ließ. Wir mussten gar nicht warten; man führte uns direkt in unser Zimmer, und ich fühlte mich wie ein besonderer Gast.
Das Zimmer war wirklich schön. Die Wände hatten einen warmen, grünen Farbton, der irgendwie beruhigend war. Es gab zwei Betten, und die Bettdecken sahen kuschelig aus, als würden sie darauf warten, dass wir uns hineinkuscheln. Doch das Beste war der Blick aus dem Fenster: Von dort aus konnte man einen kleinen Park und einige andere Gebäude sehen. Ich drückte mein Gesicht an die Scheibe und entdeckte einen riesigen Hubschrauber draußen. Der sah so aus, als könnte er jeden Moment abheben! Ich stellte mir vor, wie er in die Luft steigen würde.
Ein Stück weiter sah ich, wie ein Soldat mit einem Kind aus einem der Gebäude heraus kam. Es war irgendwie beruhigend zu sehen, dass hier auch Kinder waren und dass die Leute in Uniform genauso freundlich zu ihnen waren wie alle anderen.
Plötzlich klopfte es an der Tür, und eine Frau in Uniform trat ein. Sie lächelte warm und stellte sich vor: „Guten Tag, ich bin Hauptmann Müller. Willkommen. Ich bin hier, um sicherzustellen, dass es euch gut geht.“ Sie blickte dabei besonders Mama und mir freundlich zu. „Ich weiß über eure besondere Situation Bescheid, und ihr könnt euch jederzeit an mich wenden, wenn ihr Hilfe braucht.“
Kurz darauf kam Gustav ins Zimmer und trug drei Taschen bei sich. Er stellte sie neben die Betten und lächelte. „Hier ist euer Bestand an Kleidung und Benjamins Lego aus dem Haus,“ erklärte er. „Damit ihr nicht schon wieder von vorne anfangen müsst.“
Ich sah zu den Taschen, und ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus. Allein der Gedanke, dass mein geliebtes Lego bei uns war, machte diesen fremden Ort ein wenig mehr zu Hause.
Frau Hauptmann Müller warf einen Blick zu Mama und lächelte. „Wir haben hier auf dem Gelände auch einen Kindergarten,“ meinte sie freundlich. „Er könnte ihn besuchen, wenn ihr wollt – sofern er nicht schon zu alt dafür ist.“ Dabei musterte sie mich abschätzend, als wollte sie erraten, ob ich da noch hineinpassen würde.
Ich spürte Mamas Hand sanft auf meiner Schulter, und ein kleines, leicht verlegenes Lächeln stahl sich auf mein Gesicht.
„Benjamin wird nächsten Monat fünf,“ erklärte Mama vorsichtig, „aber ob er hier in den Kindergarten gehen kann, da bin ich mir noch nicht so sicher. Zum einen mache ich mir Sorgen um seine Sicherheit. Und zum anderen gibt es bei ihm einige Besonderheiten, die ich vorher erst mit jemandem von der Kindereinrichtung abklären müsste.“
Frau Hauptmann Müller lächelte verständnisvoll. „Sicherheit ist hier auf dem Gelände auf jeden Fall gegeben,“ versicherte sie. „Der Kindergarten gehört zum Bundeswehrgelände, und nur Personen der Bundeswehr oder solche, die ein Kind hier untergebracht haben, haben Zutritt. In diesem Gebäudekomplex gibt es keinen freien Zugang. Ihr könnt euch hier sicher fühlen.“
Sie hielt kurz inne und bot dann an: „Wenn ihr möchtet, könnten wir später einen kleinen Besuch im Kindergarten arrangieren. Dann können Sie alles Nötige für Benjamin besprechen. Soweit ich weiß, seid ihr mindestens eine Woche hier, vielleicht auch länger. Ich denke, es könnte Ihrer Genesung guttun, wenn Sie auch etwas Zeit für sich haben.“ Dabei blickte sie Mama freundlich und verständnisvoll an.
Mama lächelte unschlüssig. „Ich lasse Benjamin nur sehr ungern aus den Augen. Er hatte eine schwere Zeit und kaum Kontakt zu anderen Kindern. Er bräuchte auf jeden Fall eine sanfte Eingewöhnung, bevor ich ihn beruhigt irgendwo alleine lassen könnte.“
Ich spürte bei ihren Worten eine Welle der Beruhigung in mir aufsteigen. Der Gedanke, dass Mama mich nicht einfach so alleine lassen wollte, tat gut und gab mir Sicherheit. Ich wollte nie wieder ohne sie sein.
„Möchtest du nachher mal mit mir in den Kindergarten gehen?“ fragte Mama sanft und sah mich abwartend an.
Ich biss mir auf die Lippe und fühlte mich mehr als unsicher. Eigentlich wollte ich viel lieber bei Mama bleiben. Der Gedanke, irgendwo ohne sie zu sein, machte mich nervös. Ich sah sie an und schüttelte vorsichtig den Kopf.
„Und wenn ich dir verspreche, dass ich die ganze Zeit bei dir bleibe?“ fragte Mama sanft und lächelte mich ermutigend an. „Ich möchte einfach, dass du auch mal mit anderen Kindern spielen kannst.“
Ich sah sie an und überlegte. Der Gedanke, dass Mama bei mir bleiben würde, beruhigte mich etwas, aber die Vorstellung, fremde Kinder zu treffen, war immer noch etwas einschüchternd. Trotzdem spürte ich, dass sie es sich wirklich wünschte, und nach einer kleinen Pause nickte ich vorsichtig. „Okay… aber nur, wenn du die ganze Zeit bei mir bleibst,“ murmelte ich leise.
Gustav trat zu uns und verabschiedete sich. „Es tut mir wirklich leid, dass so viel schief gelaufen ist,“ sagte er mit ernster Stimme. „Ich hoffe, dass ihr beide bald wieder ein normales Leben genießen könnt.“
Dann hockte er sich vor mich, schaute mir direkt in die Augen und legte mir die Hand auf die Schulter. „Pass gut auf deine Mama auf, okay? Sie ist sehr stolz auf dich.“
Mama lächelte und erwiderte: „Gustav, mach dir keine Gedanken mehr über den Angriff. Wir haben es alle überstanden.“ Ihre Stimme war ruhig und versöhnlich. „Richte Heike und Mario bitte unsere besten Genesungswünsche aus. Und danke für alles.“
Gustav nickte und lächelte leicht. „Ihr seid hier erst einmal sicher,“ versicherte er uns. „Solltet ihr jedoch aus dem Krankenhaus entlassen werden, bevor die Lage wieder völlig sicher ist, dann sehen wir uns auf jeden Fall wieder.“
Sein Abschied fühlte sich beruhigend und ein wenig hoffnungsvoll an.
Frau Hauptmann Müller verabschiedete sich gemeinsam mit Gustav und lächelte uns noch einmal zu. „Ich komme in etwa einer Stunde wieder,“ sagte sie, „dann können wir uns den Kindergarten mal gemeinsam ansehen.“
Mama warf einen Blick auf die Uhr und fragte: „Hat der Kindergarten dann überhaupt noch offen?“
Frau Müller nickte. „Wir haben hier eine 24-Stunden-Betreuung für die Eltern, die nachts arbeiten,“ erklärte sie lächelnd. „Mein eigener Sohn ist ebenfalls im Kindergarten untergebracht.“ Mit einem letzten freundlichen Blick verließ sie das Zimmer.
Kurz nachdem Gustav das Zimmer verlassen hatte, kamen ein Mann im weißen Kittel und eine Krankenschwester herein. Beide sahen freundlich aus und stellten sich mit einem Lächeln vor. „Dr. Munz,“ sagte der Mann, und die Schwester ergänzte: „Schwester Schulz.“
Dr. Munz sah Mama und mich an und meinte: „So, nun zu unseren zwei Neuzugänge. Ich möchte mir gerne Ihren Arm ansehen,“ sagte er zu Mama, dann wandte er sich zu mir und fügte hinzu, „und deinen Bauch schauen wir uns auch gleich mal an, okay?“
Ich nickte vorsichtig, und sein freundliches Lächeln ließ mich ein wenig entspannen.
Die Schwester öffnete vorsichtig den Verband an Mamas Arm, aber ich konnte einfach nicht hinsehen. Die Erinnerungen an gestern, als ich so viel Angst um sie hatte, kamen plötzlich wieder hoch, und ich schaute schnell weg.
Dr. Munz sprach beruhigend. „Das sieht soweit gut aus,“ sagte er und nickte leicht. „Wir werden den Verband jetzt einmal täglich wechseln, und Sie sollten den Arm gut schonen.“
Dann kam er zu mir. Ich legte mich auf das Bett und schob meinen Pullover vorsichtig hoch, so gut es ging. Dr. Munz untersuchte meinen Bauch und sprach ruhig weiter: „Auch du musst schön auf dich aufpassen. Laut deiner Krankenakte hast du in letzter Zeit eine Menge mitgemacht.“ Sein Blick war freundlich, und das gab mir ein wenig Mut. „Aber dein Bauch sieht soweit gut aus,“ fügte er hinzu. „Das wird jetzt jeden Tag besser, wirst sehen.“
Zum Schluss deutete er kurz auf den Bund meiner Windel und lächelte leicht. „Falls ihr Hilfe beim Wechseln benötigt, sagt einfach Bescheid. Man wird euch gerne helfen.“
Nachdem auch die beiden das Zimmer verlassen hatten, war ich das erste Mal seit heute Morgen wieder allein mit Mama. Sie setzte sich zu mir und sah mich sanft an. „Wie geht es dir, Benjamin?“ fragte sie leise.
Ich saß auf meinem Bett und erwiderte ihren Blick. „Mir geht es gut,“ murmelte ich, „aber ich hatte gestern ganz große Angst.“ Die Erinnerungen brachten all die Gefühle zurück, die ich versucht hatte, zu unterdrücken. „Ich will, dass das alles endlich aufhört. Ich möchte einfach mit bei dir zu Hause sein, ohne Sorgen.“ Während ich sprach, trieb mir die Anspannung Tränen in die Augen, und sie liefen mir über die Wangen.
Mama lächelte mich liebevoll an, nahm meine Hand und sagte: „Das möchte ich auch, nichts lieber als das. Und wenn wir zurückgehen, dann ist das nicht mehr nur mein Zuhause – es wird unser Zuhause sein.“ Ihre Stimme klang warm und beruhigend. „Dann möchte ich dir die ganze Welt zeigen, und du sollst deine restliche Familie kennenlernen. Ich möchte so viel mit dir unternehmen.“
Sie wischte mir sanft die Tränen von den Wangen. „Was die Sorgen angeht, die werden vielleicht nie ganz verschwinden. Aber wenn wir das alles überstanden haben, dann wissen wir, dass wir zusammen alles schaffen können.“
In diesem Moment spürte ich, dass wir beide denselben Wunsch teilten, und dass Mama alles tun würde, um diesen Wunsch für uns beide wahr werden zu lassen.
„Hast du Erinnerungen an den großen Benjamin und den Kindergarten?“ fragte Mama sanft und sah mich abwartend an.
Ich schüttelte vorsichtig den Kopf. Irgendwie fühlte es sich seltsam an, über etwas nachzudenken, das ich gar nicht wirklich kannte.
„Was stellst du dir denn unter einem Kindergarten vor?“ fragte sie.
Ich zögerte und murmelte dann: „Ich weiß nicht so richtig. Viele Kinder und Erzieher, die mir sagen, was ich machen muss, und… dass es dort ganz laut ist.“
Mama nickte und lächelte nachdenklich. „Hm… eigentlich soll ein Kindergarten ein Ort sein, an dem sich Kinder wohlfühlen,“ erklärte sie. „Es gibt viel Spielzeug und andere Kinder, mit denen du spielen kannst. Außerdem lernt man im Kindergarten viele Dinge auf spielerische Art. Und es sollte dort keinen Zwang geben, dass du irgendetwas machen musst.“
„Und was ist, wenn mich die anderen Kinder wegen der Windel ärgern?“ fragte ich leise, die Angst vor der Reaktion der anderen nagte ein wenig an mir.
Mama lächelte verständnisvoll und sagte ruhig: „Benjamin, du bist vier Jahre alt, da ist es gar nicht so ungewöhnlich, dass Kinder noch Windeln tragen. Normalerweise werden Kinder zwischen zwei und drei Jahren sauber, auch wenn es in den letzten Jahren bei manchen etwas später passiert. Aber es gibt immer Kinder, die ein bisschen länger brauchen.“ Sie legte sanft eine Hand auf meine Schulter. „Bei dir kommt außerdem noch dazu, dass dein Körper einfach nicht die Voraussetzungen hat, um ohne Windel zurechtzukommen. Das werde ich den Erzieherinnen auch erklären, okay?“
Ich nickte langsam, während Mama weiter sprach. „Und außerdem habe ich dir doch versprochen, dass ich die ganze Zeit bei dir bleibe. Ich möchte dich nicht dort abgeben, damit ich etwas anderes machen kann, sondern damit du etwas Neues kennenlernen und ein bisschen Ablenkung haben kannst.“
Ihre Worte ließen mich etwas entspannter werden. Vielleicht war ein Kindergarten doch nicht ganz so angsteinflößend, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Danach half ich Mama, unsere Sachen aus den Taschen in den Schrank zu räumen. Während wir die Kleidung zusammen legten, kam mir eine Frage in den Sinn. „Mama, wann können wir weiter an dem Lego bauen?“ fragte ich hoffnungsvoll. Einige Teile hatten sich beim Transport gelöst, und ich wollte es unbedingt wieder in Ordnung bringen.
Mama lächelte liebevoll und strich mir über den Kopf. „Das können wir bestimmt morgen machen,“ sagte sie sanft. „Heute ruhen wir uns ein bisschen aus und schauen uns den Kindergarten an, okay?“
Kurz darauf kam Frau Hauptmann Müller zurück und lächelte uns an. „Seid ihr startklar?“
Mama warf einen kurzen Blick auf die Uhr und fragte: „Wie lange denken Sie, werden wir dort sein?“
„Das kommt ganz auf euch an,“ antwortete Frau Müller ruhig. „Wir haben jetzt 16 Uhr. Ich denke, wenn ihr bis zum Abendessen im Kindergarten bleiben wollt, sollte das kein Problem sein.“
Bei dem Wort „Essen“ fiel mir plötzlich auf, dass wir heute noch gar nichts gegessen hatten. Mein Magen knurrte, und ich sah zu Mama. „Mama, ich hab Hunger.“
Mama streichelte mir sanft über den Kopf und nickte. „Das glaube ich dir, Schatz. Wir haben heute wirklich noch nichts gegessen.“
Frau Hauptmann Müller sah uns entsetzt an. „Warum sagt ihr denn nichts? Ich sorge dafür, dass ihr auch im Kindergarten zu Abend essen könnt.“ Sie warf einen kurzen Blick zu Mama und nickte fest entschlossen.
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Als Frau Hauptmann Müller uns aus dem Zimmer führte, nahm ich Benjamins Hand in meine. Gemeinsam gingen wir den Flur entlang, vorbei an anderen Krankenzimmern und medizinischen Geräten, bevor wir die Treppe zwei Etagen nach unten stiegen. Der Weg war belebt – wir begegneten zahlreichen Menschen in Uniform, die konzentriert und in Eile wirkten, genauso wie Menschen in Zivilkleidung, die oft mit Klemmbrettern oder in Gespräche vertieft unterwegs waren.
Benjamin hielt meine Hand fest, doch ich bemerkte, wie seine Augen neugierig umherwanderten, all die Eindrücke aufsaugend. Es war eine neue und etwas ungewöhnliche Umgebung für ihn, aber sein Blick zeigte auch ein bisschen Neugier und Abenteuerlust.
Als wir das Gebäude verließen und durch einen kleinen Park gingen, stockte Benjamin plötzlich. Dort stand ein echter Bundeswehr-Hubschrauber, der als Denkmal aufgestellt war. Er blieb wie angewurzelt stehen und sah das große Fluggerät mit großen Augen an, völlig fasziniert. Ich konnte sehen, wie ihn der Gedanke, dass so ein mächtiges Gerät in die Lüfte steigen könnte, unglaublich beeindruckte.
„Wow, Mama, schau mal! Ein richtiger Hubschrauber!“ rief er begeistert.
Ich lächelte und gab ihm einen Moment, um das imposante Denkmal zu bestaunen. Schließlich setzte Frau Hauptmann Müller den Weg fort und wir folgten ihr, bis wir vor einem weiteren Gebäude standen. Ein bunter Spielplatz mit Schaukeln, Klettergerüsten und Sandkasten begrüßte uns – es war der Kindergarten. Die Einrichtung sah liebevoll gestaltet aus und versprach eine einladende Atmosphäre für die Kinder.
Ich sah, wie Benjamins Augen leuchteten, als er den Spielplatz betrachtete. Es fühlte sich gut an, dass er zumindest für den Moment die Sorgen ein wenig vergessen konnte.
Als wir das Gebäude betraten, lief ein kleiner blonder Junge freudestrahlend auf Frau Hauptmann Müller zu und rief laut „Mama!“, bevor er sich in ihre Arme warf. Ich konnte sehen, wie sehr sie sich freute, ihn zu umarmen. Eine junge Erzieherin kam hinter ihm her und rief: „Emil, wo willst du denn so schnell hin?“ Dann bemerkte sie Frau Hauptmann Müller und lächelte. „Ah, Frau Hauptmann Müller? Schon Feierabend?“
Frau Hauptmann Müller richtete sich auf und lächelte, ihren Sohn Emil noch im Arm. „Fast,“ antwortete sie, „aber ich habe hier ein Gastkind und seine Mama, die für einige Tage bei uns sind. Das ist Frau Hofmeister und ihr Sohn Benjamin.“
Die Erzieherin wandte sich freundlich an Benjamin. „Hallo, Benjamin! Wie alt bist du denn?“
Ich spürte, wie Benjamin sich ein wenig unsicher fühlte und sich schüchtern hinter mir versteckte. Sanft hockte ich mich hin, legte meinen gesunden Arm um seine Schultern und antwortete mit einem beruhigenden Lächeln für ihn: „Benjamin ist vier und wird nächsten Monat fünf Jahre alt.“
„Du bist aber schon groß,“ meinte die Erzieherin lächelnd. „Da kannst du ja wunderbar mit Emil in einer Gruppe spielen.“ Sie stellte sich als Antje vor und zeigte auf eine Bank mit vielen kleinen Schuhen darauf. „Folgt mir einfach – und zieht bitte eure Schuhe hier aus.“
Ich sah Benjamin kurz an, und er nickte zögernd. Während wir unsere Schuhe auszogen, spürte ich, wie er sich ein klein wenig entspannte.
„Hier ist unser Restaurant,“ erklärte Antje und zeigte auf einen großen, freundlich gestalteten Raum. Die Tische und Stühle waren passend für Kinder gestaltet, mit farbenfrohen Stühlen in verschiedenen Größen und zwei größeren Tischen für Erzieher oder Eltern. Das Licht fiel warm durch die großen Fenster, und an den Wänden hingen bunte Bilder und kleine Kunstwerke der Kinder. Es war ein einladender Raum, der den Kindern sicher viel Freude bereitete.
Wir gingen weiter den Flur entlang, und Antje zeigte auf einen weiteren Raum. „Hier sind unsere ganz Kleinen,“ sagte sie und deutete auf eine große Spielfläche, die mit weichen Gummimatten ausgelegt war. Überall waren farbenfrohe Spielzeuge für die Kleinsten, und die Matten schienen perfekt für Krabbelkinder zu sein. Man konnte weiche Bauklötze, Stofftiere und Schaukeln erkennen – eine richtige kleine Welt für die jüngeren Kinder.
„Gleich gegenüber ist der Wickelraum,“ fügte Antje hinzu und lächelte. „Aber den brauchen wir ja bei Benjamin nicht mehr.“
Bevor sie weitersprechen konnte, unterbrach ich sie sanft. „Das ist so nicht ganz richtig,“ erklärte ich ruhig. „Benjamin hat es bisher etwas schwerer gehabt und ist noch rund um die Uhr auf Windeln angewiesen.“ Um ihn zu beruhigen, strich ich ihm sanft durchs Haar.
Antje blieb kurz stehen und musterte Benjamin noch einmal freundlich. „Okay, das ist überhaupt kein Problem,“ sagte sie, ohne eine Spur von Verunsicherung. „Dann werfen wir am besten einen kurzen Blick in den Wickelraum.“
Der Wickelraum war groß und einladend eingerichtet. Ein langer Wickeltisch mit Schubladen darunter bot viel Platz, und an den Wänden hingen farbenfrohe Bilder. Es gab alles, was man brauchte: Feuchttücher, frische Handtücher und eine breite Auswahl an Windeln. „Um Windeln müssen sich die Eltern bei uns normalerweise nicht kümmern,“ erklärte Antje, „die stellt das Krankenhaus. Aber ich müsste wissen, welche Größe Benjamin trägt.“
„Tagsüber nehmen wir die größte Größe von Pampers, die 8,“ antwortete ich, „und für die Nacht bekommt er eine saugstärkere in der Größe XS. Aber über Nacht soll er nicht hier bleiben.“
Antje nickte verständnisvoll. „Die Größe 8 haben wir zwar momentan nicht hier, aber bis morgen sollte das kein Problem sein.“
„Mama, warum ist in der Gruppe mit den ganz Kleinen keiner?“ fragte Benjamin leise, seine Augen neugierig auf die leeren Matten und Spielsachen gerichtet.
Antje antwortete für mich: „Die ganz Kleinen bleiben normalerweise nicht über Nacht. Ab ihrem vierten Geburtstag gibt es die Möglichkeit, dass die Kinder mal länger bleiben, wenn es nötig ist. Aber heute sind die Kleinen schon alle zu Hause.“ Sie lächelte und fügte hinzu: „In der großen Gruppe sind aber noch einige Kinder, mit denen du spielen kannst. Lass uns doch mal schauen.“
Zu meiner Überraschung reichte sie Benjamin die Hand, und er, wenn auch zögerlich, griff danach. Es schien, als mochte er sie – was mich erleichterte. Die große Gruppe befand sich in einem hellen, geräumigen Raum. Die Fenster ließen viel Licht herein, und es gab viele bunte Regale mit Büchern und Spielzeugen. Der Raum war mit mehreren kleinen Tischen und kindgerechten Stühlen ausgestattet, und in der Mitte lag eine große, weiche Spielmatte, auf der verschiedene Bauklötze und Autos verstreut waren. Es gab sogar eine kleine Kletterwand und eine Ecke mit Kuschelpolstern und Büchern.
Im Moment waren acht Kinder in der Gruppe, und zu meiner Überraschung waren zwei von ihnen fast so groß wie Benjamin. Emil saß noch auf Frau Hauptmann Müllers Arm, aber er winkte Benjamin freundlich zu. Antje sprach mit einem warmen Tonfall in die Gruppe: „Das hier ist Benjamin. Könnt ihr ihm ein wenig das Spielzimmer zeigen?“
Zwei der älteren Jungs, die gerade mit großen Holzbausteinen spielten, unterbrachen ihr Spiel und kamen sofort auf Benjamin zu. Ich sah die Unsicherheit in seinem Blick, doch die beiden nahmen ihn einfach an die Hand und führten ihn ohne Zögern zu den Bauklötzen zurück. Für einen Moment beobachtete ich ihn und sah, wie er langsam auftaute.
Antje zeigte auf einen Tisch mit Stühlen. Wir setzten uns, und ich wählte einen Platz, von dem aus ich Benjamin die ganze Zeit im Blick hatte.
„Können Sie mir ein bisschen was über Benjamin erzählen, Frau Hofmeister?“ fragte Antje freundlich.
Ich lächelte leicht. „Gerne, und ‚Katja‘ wäre für mich auch in Ordnung.“
Antje lächelte zurück. „Gerne, Katja.“
Ich überlegte kurz, wie ich anfangen sollte. „Nun, Benjamin hatte es in der Vergangenheit nicht leicht,“ begann ich behutsam. „Ich bin seine Adoptivmama, und er ist noch nicht allzu lange bei mir.“ Der Gedanke daran, wie viel er durchgemacht hatte, ließ mich kurz innehalten. „Er hat große Angst davor, wieder alleine zu sein,“ fügte ich hinzu und spürte, wie mir bewusst wurde, dass es mir eigentlich genauso ging. Ein Leben ohne ihn konnte ich mir schon jetzt kaum noch vorstellen.
„Benjamin ist für sein Alter ziemlich groß,“ fuhr ich fort, „aber leider hat sich seine Blase nicht entsprechend entwickelt. Er kann den Urin nicht halten und wird vermutlich dauerhaft auf Hilfsmittel angewiesen sein.“
Antje nickte mitfühlend. „Das ist überhaupt kein Problem,“ versicherte sie.
„Was das große Geschäft angeht,“ sagte ich leise, „daran arbeiten wir noch. Ihm fehlt einfach noch das richtige Körpergefühl, aber wir sind zuversichtlich, dass er das nach und nach lernt.“
Antje lächelte aufmunternd. „Das schaffen wir,“ meinte sie sanft.
„Außerdem hat er eine starke Allergie gegen Insektenstiche,“ fügte ich hinzu. „Deshalb haben wir immer einen Adrenalinpen in Reichweite.“
Antje nickte verständnisvoll. „Keine Sorge, der Umgang damit ist mir vertraut. Meine Tochter hat dasselbe Problem. Damit kenne ich mich bestens aus.“
„Ansonsten,“ fuhr ich fort, „ist Benjamin ein ziemlich cleverer und neugieriger Junge, dem einfach die Möglichkeit gefehlt hat, praktische Erfahrungen zu sammeln.“
Antje nickte erneut und sah kurz zu Benjamin, der sich inzwischen etwas entspannter unter den anderen Kindern bewegte. Es tat gut, zu sehen, dass er sich langsam ein wenig einlebte.
„Wie sieht es denn mit Vorschulthemen aus?“ fragte Antje. „Sollen wir mit ihm schon ein wenig üben? Bei den Großen schauen wir in den ersten Stunden meist, dass sie das Zählen festigen und ihren Namen schreiben lernen. Das erleichtert später den Einstieg in die Schule.“
Ich nickte zustimmend. „Grundsätzlich gerne,“ antwortete ich. „Er kann schon lesen, auch wenn ihm für größere Texte oft die Ausdauer fehlt. Zählen ist für ihn auch kein Problem, aber das Schreiben seines Namens – das wäre wirklich schön. Ich könnte mir vorstellen, dass er das gerne üben würde.“
Antje lächelte und schien erfreut. „Dann nehmen wir das gerne in den Alltag mit auf. Er wird es sicher spannend finden, es in der Gruppe zu üben.“
Die Uhr an der Wand zeigte 17:20 Uhr. „So, jetzt wird es langsam Zeit, zusammenzuräumen,“ sagte Antje und nahm eine Gitarre zur Hand. Sie begann ein Aufräumlied zu spielen, und die Kinder fingen sofort an, die Spielsachen aufzuräumen. Frau Hauptmann Müller saß am Rand des Raumes und beobachtete ihren Sohn, der kurz nachdem wir uns gesetzt hatten, wieder zu den anderen Kindern gegangen war, um mitzuspielen.
Ich bemerkte, wie Benjamin sich den anderen Kindern anschloss und sich von ihnen zeigen ließ, wo alles hingehörte. Er schien sich wohlzufühlen und genoss es, Teil der Gruppe zu sein.
In diesem Moment trat eine zweite Erzieherin in den Raum und sprach freundlich: „So, Mia, Finn und Karl, kommt ihr bitte mit in den Wickelraum?“ Die drei angesprochenen Kinder gingen ohne Zögern auf die Erzieherin zu.
Ich sah zu Antje und meinte leise: „Theoretisch könnte Benni auch einen Boxenstopp gebrauchen. Aber ich habe seine Wickelsachen im Zimmer gelassen.“
Antje nickte verständnisvoll und lächelte. „Wir haben Schlafhöschen für die größeren Kinder, die nachts noch Unterstützung brauchen. Die könnte er bestimmt anziehen, oder?“
Ich erinnerte mich daran, dass ich solche Schlafhöschen in Passau gesehen hatte, aber ich war bisher der Meinung gewesen, dass eine richtige Windel für ihn besser sei. Aber die Idee, es mal auszuprobieren, klang gut. „Das klingt super,“ antwortete ich.
Ich rief Benjamin zu mir: „Benjamin, kommst du bitte auch mit?“
Ich ging mit Benjamin zusammen in den Wickelraum, und die andere Erzieherin sah uns kurz überrascht an. „Das WC ist ein Raum weiter,“ sagte sie freundlich mit einem Lächeln.
Ich lächelte zurück und erklärte ruhig: „Nein, wir sind hier genau richtig.“
„Okay, ich bin Marion,“ stellte sich die Erzieherin lächelnd vor und schaute freundlich zu Benjamin. „Und wer bist du?“
Benjamin drückte sich unsicher an mich, also antwortete ich für ihn. „Das ist Benjamin,“ sagte ich sanft. „Er ist ein bisschen schüchtern.“
„Ah, verstehe,“ sagte Marion mit einem verständnisvollen Nicken. „Antje hat erwähnt, dass ihr Schlafhöschen für die Größeren hier habt, da die Pampers in Größe 8 gerade nicht vorrätig sind.“
Marion deutete auf eine Schublade neben der Tür. „Dort solltet ihr fündig werden,“ erklärte sie. „Braucht ihr Hilfe?“
„Wir versuchen unser Glück, sobald ihr fertig seid,“ sagte ich zu Marion, während sie einem der Jungs eine frische Windel anlegte. Marion lächelte und deutete auf den Wickeltisch. „Der Wickeltisch ist groß genug für beide,“ erklärte sie und zeigte auf die kleinen Stufen daneben, mit deren Hilfe die Kinder selbst hinaufklettern konnten.
Benjamin sah die Stufen neugierig an und wirkte etwas entspannter, als er merkte, dass alles hier auf die Bedürfnisse der Kinder abgestimmt war.
„Na dann, hoch mit dir, mein Schatz,“ sagte ich zu Benni, der die Stufen schnell, aber vorsichtig hinaufstieg. Oben setzte er sich hin, ließ die Beine baumeln und sah mich erwartungsvoll an. „Dann wollen wir mal sehen, ob wir beiden einarmigen Banditen das hinbekommen,“ scherzte ich und deutete ihm, sich hinzulegen.
Als er sich hingelegt hatte, begann ich, ihm vorsichtig die Hose herunterzuziehen. Gerade als ich die Windel öffnen wollte, trat Marion neben uns. „Falls ihr danach eine von den DryNites anziehen möchtet, müsst ihr die Hose komplett ausziehen,“ erklärte sie. Sie warf einen kurzen Blick auf meinen Arm und lächelte verständnisvoll. „Aber ich sehe schon, dass ihr beide im Moment ein kleines Handicap habt. Ich übernehme das gern, wenn das für euch in Ordnung ist.“
Dankbar nickte ich. „Das wäre super, danke.“
Marion zog Benjamin vorsichtig die Schuhe und die Hose aus, während ich aus der Schublade eine der hochziehbaren DryNites holte. Sie waren blau und mit einem Superhelden bedruckt. Ich fragte mich kurz, ob der Aufdruck die Tatsache verbergen könnte, dass es letztlich auch nur eine Windel war. Wahrscheinlich nicht, aber heute war das ja zum Glück auch kein so großes Tabu mehr. Jedes Kind hatte seine eigene Zeit, und das war auch gut so.
Marion wischte Benjamin mit einem Feuchttuch sauber, bevor sie ihm in die DryNites half. Als sie ihm die Höschenwindel über die Knie zog, half sie ihm, sich auf dem Wickeltisch hinzustellen, um sie ganz hochzuziehen. Sie zupfte noch an den Bündchen, bis sie zufrieden nickte. „So, damit solltest du erst einmal sicher versorgt sein,“ sagte sie lächelnd zu Benjamin, der die DryNites noch etwas skeptisch betrachtete.
Ich lächelte ihm ebenfalls zu. „Das wird schon, aber nicht, dass du jetzt nur noch solche Hosen möchtest,“ meinte ich schmunzelnd.
Marion half Benjamin noch dabei, seine Hose und Schuhe wieder anzuziehen. Dann gingen wir gemeinsam in das Kinderrestaurant, wo es belegte Brote und frisches Obst gab. Benjamin setzte sich schüchtern zu mir und den Erzieherinnen, da er sich nicht ganz traute, mit den anderen Kindern zu essen. Doch ich sah ihm an, dass es ihm schmeckte, und ich selbst war ebenfalls froh, endlich etwas essen zu können.
Nach seiner dritten Tasse Tee musste ich ihn ein wenig bremsen. „Ich glaube, diese Windel muss vor dem Schlafengehen definitiv noch einmal gewechselt werden,“ sagte ich schmunzelnd.
Am Tisch nahm ich mir einen Moment Zeit, um Marion Benjamins besondere Situation etwas genauer zu erklären. Ich sprach darüber, dass ich ihn in den nächsten Tagen gern hierher bringen würde, aber dass ich ihn noch nicht allein lassen wollte. Beide Erzieherinnen zeigten Verständnis und nickten. Sie erklärten, dass man das sicher so einrichten könne und dass ich dabei zumindest in Reichweite bleiben könne. Gleichzeitig betonten sie, wie wichtig es sei, dass Benjamin nach und nach lernt, sich auch ohne mich sicher zu fühlen und sich nicht zu stark an mich zu binden.
Ich wusste, dass sie im Grunde Recht hatten, und versuchte, mir vorzustellen, wie es für Benjamin wäre, hier kleine Schritte in die Selbstständigkeit zu machen. Doch der Gedanke, ihn allein zu lassen, ließ mich noch etwas unruhig zurück.
Nach dem Essen verabschiedeten wir uns, und Frau Hauptmann Müller beugte sich zu ihrem Sohn hinunter. „Bis gleich, mein Engel. Ich hole dich gleich ab,“ sagte sie liebevoll, bevor wir gemeinsam den Weg zurück zum Gebäudekomplex und in unser Zimmer antraten.
Draußen war die Sonne bereits untergegangen, und die kühle Abendluft machte sich bemerkbar. Ich hätte Benjamin jetzt am liebsten auf den Arm genommen, um ihn bei mir zu spüren, aber mit meinem verletzten Arm war das leider nicht möglich. Doch Benjamin schien das wenig zu stören. Er lief quitschvergnügt neben mir her und nahm die Kälte gar nicht richtig wahr.
Sein unbeschwerter Blick und sein fröhliches Gesicht halfen mir, den Moment einfach zu genießen, und für einen kurzen Augenblick fühlte es sich an, als ob all die Sorgen weit weg wären.
Im Zimmer verabschiedeten wir uns auch von Frau Hauptmann Müller. Sie lächelte uns zu und sagte: „Ich bin morgen früh ab 7 Uhr wieder für euch da. Solltet ihr in der Nacht Hilfe benötigen, wendet euch einfach an die Nachtschwester.“
Ich bedankte mich bei ihr und nickte, froh zu wissen, dass wir hier gut betreut waren. Benjamin winkte ihr kurz zu, bevor sie das Zimmer verließ, und ich spürte, dass er sich in ihrer Nähe ebenfalls sicher fühlte.
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Die Hochziehwindel fühlte sich ganz anders an als die Pampers. Schon im trockenen Zustand war sie viel dicker, und ich konnte sie deutlicher spüren. Als Mama mir gerade die Zahnbürste hinhielt, spürte ich plötzlich, dass ich ganz dringend musste. Es lief einfach los und wollte gar nicht aufhören. Ich merkte, wie sich ein kleiner See in der Windel sammelte und dann langsam aufgesogen wurde. Die Windel quoll richtig auf und fühlte sich warm an.
Mama wartete geduldig, bis ich fertig war, und fragte dann sanft: „Bist du fertig mit Pullern?“ Verlegen nickte ich und griff nach der Zahnbürste, damit sie mir die Zahncreme daraufmachen konnte.
Während ich mir die Zähne putzte, dachte ich daran, wie sehr ich mir wünschte, dass Mamas Arm bald besser wird. Ich vermisste es jetzt schon, von ihr getragen zu werden. Dieses Gefühl von Nähe und Geborgenheit war immer so schön gewesen.
Mama hockte sich neben mich und zog mir vorsichtig die Hose herunter, um die Windel zu prüfen. Sie sah sie kurz an und meinte dann: „Ich glaube, die könnte noch etwas aushalten, aber ob sie die ganze Nacht durchhält, bin ich mir nicht sicher. Was meinst du? Sollen wir sie lieber nochmal wechseln?“
Ich zögerte kurz, weil es sich eigentlich ganz gut anfühlte. Trotzdem wollte ich ehrlich sein und beschloss, ihr zu sagen, was ich dachte. „Mama,“ sagte ich leise, „eigentlich fühlt sie sich gerade ganz angenehm an wenn sie so schön warm sind.“
Mama lächelte sanft und legte ihre Hand beruhigend auf meine Schulter. „Es ist schön, dass du dich wohlfühlst,“ sagte sie ruhig. „Ich bin froh, dass du so ehrlich mit mir bist. Ich möchte, dass du dich immer sicher fühlst, mir alles zu erzählen. Ich werde immer für dich da sein, mein Schatz, und ich hab dich sehr, sehr lieb.“
„Aber da du bestimmt nicht möchtest, dass in der Nacht etwas ausläuft,“ sagte Mama mit einem sanften Lächeln, „wollen wir sie dann nicht lieber doch noch vor dem Schlafengehen wechseln?“
Ich nickte schließlich zustimmend, froh, dass Mama es so verständnisvoll vorschlug.
Mama nahm eine der Tena-Windeln für die Nacht aus dem Schrank. Gustav hatte auch an die Windeln gedacht und sie mit eingepackt. Sie legte alles auf dem Bett bereit und schaute mich an. „So, jetzt müssen wir nur noch jemanden finden, der uns hilft. Wollen wir zusammen auf den Flur gehen und schauen, ob wir jemanden finden?“
Ich zögerte ein wenig. Eigentlich wollte ich mich nicht von jemandem Fremden wickeln lassen – auch wenn es schon öfter nötig gewesen war. Das ging sonst meistens spontan und ohne, dass ich darüber nachdenken musste, aber jetzt jemanden direkt dafür anzusprechen, fühlte sich irgendwie seltsam an.
Mama merkte, wie ich zögerte. Sie lächelte sanft und sagte: „Benni, ich kann mir vorstellen, dass dir das unangenehm ist. Ich würde es viel lieber selbst machen, aber das klappt im Moment leider nicht. Aber ich verspreche dir, sobald ich meinen Arm wieder richtig benutzen kann, werde ich das übernehmen. Und ich bin die ganze Zeit bei dir, okay?“
Ich nickte schließlich, auch wenn es mir unangenehm war. Es musste ja sein, und Mamas lässt mich ja nicht alleine.
Wir gingen den Flur entlang und hielten nach der Nachtschwester Ausschau. Der Flur war gedämpft beleuchtet, die Wände in einem sanften Beige gehalten, und es war ruhig, bis auf das gelegentliche leise Summen von Maschinen und das entfernte Murmeln von Stimmen. An den Wänden hingen einige bunte Bilder, die das Krankenhaus ein wenig freundlicher machten. Ich spürte, dass Mama nah bei mir blieb, und das half mir, mich sicherer zu fühlen.
Zuerst kam uns ein junger Krankenpfleger entgegen. Er lächelte uns freundlich an und grüßte, aber als Mama mich fragend ansah, schüttelte ich leicht den Kopf, und sie verstand sofort. Dann kam eine Krankenschwester auf uns zu, etwa in Mamas Alter, die ein ruhiges, freundliches Lächeln hatte. Wieder sah Mama mich an, und dieses Mal schüttelte ich nicht den Kopf. Das schien ihr zu reichen, und sie sprach die Schwester an.
„Entschuldigung, könnten Sie mir eventuell behilflich sein, meinen Sohn kurz bettfertig zu machen?“ fragte Mama und legte ihren gesunden Arm von hinten um mich, fast wie eine schützende Barriere.
Die Schwester schaute freundlich zu uns und nickte. „Das bekommen wir hin. Ich wäre eh gleich zu euch ins Zimmer gekommen.“ Sie lächelte und fügte hinzu: „Geht schon mal vor. Ich bin in zehn Minuten bei euch.“
Mama bedankte sich, und wir gingen zurück ins Zimmer, wo ich mich etwas wohler fühlte.
Wieder im Zimmer lief ich direkt zum Fenster und schaute hinaus. Die Stadt war voller Lichter, die wie kleine Sterne in der Dunkelheit funkelten, und ich konnte einfach nicht wegsehen. Mama stellte sich leise hinter mich und legte sanft ihre Hand auf meine Schulter.
„Die ganzen Lichter da draußen in der Stadt sind schon beeindruckend, oder?“ fragte sie leise.
Ich nickte, fasziniert von dem Anblick. Doch dann murmelte ich: „Ja… aber auch ein bisschen beängstigend.“
Mama drückte leicht meine Schulter und lächelte beruhigend. „Das kann ich verstehen,“ sagte sie sanft. „Aber weißt du, hier drinnen sind wir sicher.“
Irgendwie gab mir das ein gutes Gefühl, und ich blieb noch einen Moment länger am Fenster, bis die Schwester leise an die Tür klopfte.
„Na dann wollen wir mal,“ sagte die Schwester freundlich und stellte sich vor. „Ich bin Schwester Nina, und du bist bestimmt Benjamin.“ Sie lächelte mich an und warf einen Blick auf das Bett, wo Mama bereits alles vorbereitet hatte. „Schaffst du es alleine aufs Bett, oder brauchst du Hilfe?“
Ich ging zum Bett, und Schwester Nina nahm eine kleine Fernbedienung zur Hand, um das Bett abzusenken, sodass ich ohne Klettern hineinspringen konnte. Dann hob sie mich mit der Fernbedienung wieder ein Stück nach oben, wie mit einem kleinen Aufzug. Das fand ich ziemlich cool.
Sie half mir vorsichtig aus der Hose, und Mama blieb die ganze Zeit neben mir, was mich beruhigte. Schwester Nina lächelte sanft und fragte: „Das macht sonst bestimmt immer deine Mama, oder? Das ist bestimmt ein bisschen ungewohnt für dich. Aber ich verspreche dir, ich mache alles ganz behutsam, okay?“
Ich sagte lieber nichts, auch wenn ich merkte, wie viel Mühe sie sich gab. Sie riss die Seiten der Hochzieh Windel vorsichtig auf und murmelte: „So wie die aussieht, ist es bestimmt besser, wenn du für die Nacht etwas Frisches bekommst.“ Der Wechsel ging dann recht schnell, und sie half mir schließlich in den Schlafanzug, den Mama gerade aus dem Schrank geholt hatte.
Als alles fertig war, lächelte sie zufrieden. „So, jetzt bist du bettfertig und bereit für eine gute Nacht.“ Mama lächelte mir beruhigend zu, und ich fühlte mich sicher und geborgen, mit Mama an meiner Seite.
Unsere Betten standen ein gutes Stück auseinander, und ich fühlte mich nicht ganz wohl damit. Also fasste ich mir ein Herz und sah Schwester Nina etwas unsicher an. „Können wir… mein Bett bitte zu Mamas Bett schieben?“ fragte ich leise.
Schwester Nina lächelte verständnisvoll und nickte sofort. „Natürlich, das kriegen wir hin,“ sagte sie und schob mein Bett vorsichtig näher an Mamas Bett heran, bis die beiden fast Seite an Seite standen.
Als ich mich schließlich hingelegt hatte, deckte mich Mama liebevoll zu und gab mir einen sanften Kuss auf die Wange. „Gute Nacht, mein kleiner Schatz. Ich bin bei dir, okay?“ flüsterte sie. Dann legte sie sich in ihr Bett direkt neben mir.
Nachdem Schwester Nina das Zimmer verlassen und das Licht gelöscht hatte, flüsterte ich noch leise in die Dunkelheit: „Ich hab dich lieb, Mama.“ Mama lächelte, und mit diesem Gefühl von Geborgenheit schloss ich die Augen und glitt langsam in den Schlaf.
Fortsetzung folgt….
Wie bereits angedeutet, nähern wir uns langsam dem Ende der Geschichte. Es wird vermutlich noch zwei oder drei Teile geben, in denen die meisten offenen Fragen beantwortet werden. Ich hoffe, es hat euch bis hierhin gefallen!
Autor: michaneo (eingesandt via E-Mail)
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Hallo Michaneo, ja diese Geschichte, und auch die anderen sind super, gerne können weitere in so eine Richtung von dir herausgebracht werden. Diese ist von Anfang bis jetzt sehr gut geschrieben, und man fiebert richtig mit. Ich würde mich freuen wenn Benjamin selbst einen Tipp geben könnte wer dahintersteckt, welcher vermutlich kranker Millionär dahintersteckt um so etwas zu tun. Von mir gibt es 5 Sterne.
Sehr gut bitte bald und nicht zu spannend
Macht süchtig
5/5 Sterne
Wieder mega schön geschrieben.
Sehr schöne Fortsetzung danke. LG
Ich könnte mir durchaus vorstellen das es noch die eine oder andere Überraschung geben dürte. Auch wenn es langsam zum Ende geht, so sicher ist ein Millitärkrankenhaus beatimmt nicht, wenn diese Organisation Ihre Finder in so vielen hat! Ich bin gespannt wie es weiter geht.