Zwischen gestern und Morgen (23)
Windelgeschichten.org präsentiert: Zwischen gestern und Morgen (23)
Es hat etwas länger gedauert, die Fortsetzung zu schreiben, da ich einige Teile überarbeiten musste, um die Geschichte stimmiger zu machen. Ein besonderer Dank geht erneut an nice.smile, der sich wieder um das Korrekturlesen gekümmert hat. Ich freue mich auf euer Feedback zum aktuellen Teil!
Katja:
Ich lag wach und konnte nicht schlafen, meine Gedanken drehten sich im Kreis. Der Gedanke, Benjamin irgendwann allein lassen zu müssen, bereitete mir eine Unruhe, die kaum nachließ. Hier, im Krankenhaus-Kindergarten, geht es gerade so, weil ich immer in seiner Nähe bleiben kann. Aber wie wird es später im Alltag sein, wenn ich ihn morgens in die Kita bringe und dann, wenn auch nur für ein paar Stunden, arbeiten gehe?
Mir ist klar, dass er und ich das früher oder später auch lernen muss, dass er irgendwann selbstständig sein wird und sich sicher fühlen muss, auch wenn ich mal nicht da bin. Doch die Angst, dass ihm etwas passieren könnte, sitzt tief. Ich weiß nicht einmal, wem von uns beiden das Loslassen am Ende schwerer fallen wird – ihm oder mir.
Ich sage mir immer wieder, dass andere Eltern das auch durchmachen. Aber sie haben meistens wenigstens ein Jahr oder mehr Zeit, bis ihre Kinder das erste Mal die Kita besuchen. Sie können ihre Kleinen langsam an die Trennung gewöhnen, Schritt für Schritt. Bei uns ist alles anders, so viel schneller und komplizierter.
Diese Sorge, ob er sich wirklich sicher und geborgen fühlen wird, während ich nicht bei ihm bin, lässt mich einfach nicht los. Und trotzdem weiß ich, dass wir es versuchen müssen – für ihn und auch für mich.
Wird alles so funktionieren, wie Frau Grünwald es sich vorstellt? Werden wir wirklich Ruhe vor den Menschen haben, die Benjamin bisher verfolgt haben? Und wird es tatsächlich möglich sein, dass Benjamin offiziell als mein Adoptivsohn anerkannt wird?
Was, wenn nicht? Können wir das Jugendamt überzeugen, mir die Vormundschaft für ihn zu übertragen? Wie könnte ich beweisen, dass ich die beste Person bin, um ihm ein sicheres Zuhause zu bieten? Und was, wenn auch das nicht klappt – was passiert dann mit Benjamin? Sollten wir untertauchen? Ein neues Leben in einer anderen Stadt oder einem anderen Land beginnen?
Diese Gedanken kreisen unaufhörlich in meinem Kopf. Mit jedem Zweifel wächst die Anspannung, die Sorge, dass ich es nicht schaffe, ihn zu beschützen. Doch dann sehe ich Benjamin an – wie er mich anlächelt, sich an mich kuschelt und sich sicher fühlt. Und ich weiß, ich werde alles tun, um ihn zu behalten, um ihm die Kindheit zu geben, die er verdient. Egal, welche Hindernisse sich uns in den Weg stellen.
Die Tür öffnete sich leise, und die Nachtschwester von vorhin schaute herein. Sie bemerkte, dass ich wach war, und trat vorsichtig näher. „Ist alles gut bei euch? Ich wollte nur mal nach euch sehen.“
Ich nickte und erwiderte leise: „Ja, danke. Ich komme nur nicht richtig zur Ruhe.“
„Haben Sie Schmerzen?“ fragte sie mitfühlend.
„Nein,“ antwortete ich und seufzte leicht. „Es sind nur zu viele Gedanken. In letzter Zeit ist so viel passiert, und ich weiß, dass auch die Zukunft nicht ohne Herausforderungen sein wird.“
Die Schwester nickte verständnisvoll und setzte sich für einen Moment neben das Bett. „Das kann ich gut verstehen. Manchmal braucht es einfach Zeit, bis der Kopf zur Ruhe kommt,“ sagte sie sanft. „Aber wenn Sie irgendetwas brauchen, lassen Sie es mich wissen.“
„Ja, das mach ich,“ sagte ich zuversichtlich und versuchte, ein kleines Lächeln aufzusetzen. Doch ich fügte schnell hinzu: „Aber ich möchte keine Medikamente – nicht, dass ich dann so fest schlafe und es nicht mitbekomme, falls Benjamin etwas braucht.“
Die Nachtschwester nickte verständnisvoll. „Das verstehe ich. Manchmal hilft es schon, einfach ein wenig Zeit für sich zu haben und tief durchzuatmen. Wenn Sie dennoch etwas brauchen, ich bin gleich hier.“
„Danke,“ flüsterte ich und spürte eine leichte Erleichterung. Es tat gut, zu wissen, dass jemand da war, der uns im Blick hatte, auch in der Stille der Nacht.
Der Gedanke an Benjamins bedingungslose Liebe und der Anblick seines kleinen Körpers, wie er so friedlich da lag und schlief, füllten mein Herz mit Wärme und ließen die Sorgen langsam in den Hintergrund treten. Sein ruhiger Atem und sein friedliches Gesicht gaben mir das Gefühl, dass trotz allem alles gut sein könnte. Irgendwann kam ich zur Ruhe, und schließlich glitt ich, getröstet von seiner Nähe, in den Schlaf.
Ein plötzliches Klopfen an der Zimmertür riss mich aus dem Schlaf. Noch etwas benommen öffnete ich die Augen, und kurz darauf trat eine Krankenschwester ein. Ohne sich vorzustellen, sagte sie in einem recht schroffen Ton: „Guten Morgen, es ist Zeit aufzustehen für Sie beide.
Bitte erledigen Sie Ihre Morgentoilette; in etwa 30 Minuten kommt die Visite, und danach gibt es Frühstück. Brauchen Sie bei irgendetwas Hilfe?“
Ihr gesamter Tonfall erinnerte mich an frühere Kollegen, die ihre Arbeit nicht mehr mit Leidenschaft ausübten und das alle um sich herum spüren ließen. Es war, als ob sie ihre Pflichten nur noch mechanisch erfüllte, ohne wirklich auf die Menschen einzugehen, um die sie sich kümmern sollte.
Ich spürte eine leichte Unruhe in mir aufsteigen. Neben mir schlief Benjamin noch friedlich, und ich wollte nicht, dass er so abrupt geweckt wird. „Danke, wir kommen zurecht“, antwortete ich höflich, bemüht, meine Irritation nicht zu zeigen.
Die Schwester nickte knapp und verließ das Zimmer ebenso schnell, wie sie gekommen war. Ein leises Seufzen entfuhr mir. Ich blickte zu Benjamin hinüber, sein ruhiger Atem und das sanfte Heben und Senken seiner Brust beruhigten mich wieder ein wenig. Vorsichtig beugte ich mich zu ihm und strich ihm sanft über die Stirn.
„Zeit zum Aufwachen, mein Schatz“, flüsterte ich liebevoll. Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster und tauchten das Zimmer in ein warmes Licht.
Benjamin regte sich und blinzelte verschlafen.
„Guten Morgen, Mama“, murmelte er mit einem kleinen Lächeln.
„Guten Morgen, Benni. Hast du gut geschlafen?“ fragte ich sanft.
Er nickte und rieb sich die Augen. „Ja, hab ich. Was machen wir heute?“
„Nun, zuerst machen wir uns fertig. In etwa einer halben Stunde kommt der Arzt zur Visite, und danach gibt es Frühstück. Vielleicht besuchen wir später wieder den Kindergarten, wenn du Lust hast.“
Seine Augen leuchteten kurz auf, und ich konnte sehen, dass ihm der Gedanke gefiel. „Ja, das wäre schön.“
„Gut“, sagte ich lächelnd. „Dann lass uns anfangen.“ Mit meinem gesunden Arm half ich ihm, aus dem Bett zu klettern. Gemeinsam gingen wir zum Waschbecken, um uns frisch zu machen.
Während Benjamin sich eifrig die Zähne putzte, schweiften meine Gedanken kurz zurück zu der unfreundlichen Schwester. Doch ich beschloss, mir davon nicht den Tag verderben zu lassen. Es gab Wichtigeres—wie die Zeit mit Benjamin zu genießen und ihm Sicherheit und Geborgenheit zu geben.
Es gestaltete sich schwierig, Benjamin die Windel zu wechseln, also ließ ich ihm vorerst die Nacht Windel an. Den Rest der Morgentoilette bewältigten wir gemeinsam so gut es mit meinem verletzten Arm ging. Ein schnelles Waschen von Gesicht und Oberkörper mit einem Waschlappen schafften wir zusammen.
Als es dann erneut klopfte und Frau Hauptmann Müller hereinschaute, sagte sie: „Guten Morgen, ihr Zwei! Braucht ihr bei irgendwas Hilfe?“
Ich war erleichtert und antwortete dankbar: „Ich habe der vorherigen Krankenschwester, deren Namen ich leider nicht kenne, gesagt, dass wir zurechtkommen. Aber wenn ich ehrlich bin, könnte ich Hilfe beim Windel wechseln für Benjamin gebrauchen, da ich nicht weiß, ob sie bis zum Kindergarten durchhält. Und beim Anziehen wäre etwas Hilfe auch ganz toll.“
Frau Hauptmann Müller lächelte verständnisvoll und fragte: „Wäre es für euch in Ordnung, wenn ich Benjamin die Windel wechsle?“
Ich sah zu Benjamin, der zögernd nickte. Frau Hauptmann Müller ließ sich von mir Feuchttücher und eine von den Pampers geben, um ihn dann frisch zu machen. Danach unterstützte sie ihn noch beim Anziehen seiner Kleidung.
Kurz darauf kam die Visite. Der Arzt betrat mit einer Schwester das Zimmer und begrüßte uns freundlich. „Guten Morgen, Frau Hofmeister. Guten Morgen, Benjamin. Wie geht es Ihnen heute?“
„Guten Morgen“, antwortete ich. „Es geht uns soweit gut.“
Der Arzt untersuchte zuerst mich. Er sah sich meinen Arm an und sagte: „Der Heilungsprozess verläuft gut. Wir werden weiterhin täglich den Verband wechseln. Bitte melden Sie sich sofort, falls Sie Schmerzen haben oder sich etwas verändert. Und schonen Sie den Arm weiterhin.“
Ich nickte dankbar. „Das werde ich tun.“
Dann wandte er sich an Benjamin. „Und wie geht es dir heute, Benjamin?“
Benjamin lächelte schüchtern. „Gut, danke.“
„Das freut mich zu hören“, sagte der Arzt und nickte. „Wenn du irgendwelche Beschwerden hast, sagst du uns Bescheid, ja?“
Benjamin nickte.
„Sehr gut“, schloss der Arzt. „Dann wünsche ich euch beiden einen schönen Tag.“
Nachdem die Visite beendet war, sah Benjamin zu mir auf. „Mama, können wir nach dem Frühstück wieder zu den anderen Kindern?“
Ich lächelte und nickte. „Natürlich, mein Schatz. Das machen wir.“
Der Tag versprach, besser zu werden als er begonnen hatte. Gemeinsam setzten wir uns ans Fenster und beobachteten, wie der Morgen langsam erwachte, bereit, die neuen Herausforderungen gemeinsam zu meistern.
Benjamin:
Frau Hauptmann Müller warf einen Blick auf die Uhr. „Wenn wir jetzt gleich loslaufen, könnte Benjamin auch im Kindergarten mit frühstücken“, schlug sie vor.
Obwohl ich mich schon auf das Spielen freute, wollte ich eigentlich lieber hier im Zimmer mit Mama frühstücken. Unsicher sah ich zu ihr auf. „Können wir auch hier im Zimmer frühstücken und dann in den Kindergarten gehen?“, fragte ich leise.
Mama lächelte verständnisvoll und wandte sich an Frau Hauptmann Müller. „Ich würde sagen, wir essen noch in Ruhe hier Frühstück und brechen dann auf, wenn das keine Umstände macht.“
Frau Hauptmann Müller nickte freundlich. „Nein, das ist überhaupt kein Problem. Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht. Den Flur runter, die vorletzte Tür rechts, ist ein Personal aufenthaltsraum. Dort könnt ihr mich finden, wenn ihr soweit seid. Ich sage der Schwester Bescheid, dass sie euch das Frühstück bringt.“
Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und verließ das Zimmer.
Nachdem sie gegangen war, setzte ich mich auf mein Bett und schaute aus dem Fenster. Die Sonne schien bereits, und ich konnte sehen, wie draußen Menschen in Uniform und Zivilkleidung ihren Aufgaben nachgingen.
Mama kam zu mir und setzte sich neben mich. „Alles in Ordnung, Benni?“, fragte sie sanft.
Ich nickte. „Ja, ich wollte nur lieber mit dir frühstücken.“
Sie legte ihren Arm um mich und lächelte. „Das verstehe ich. Es ist schön, den Morgen ruhig zu beginnen.“
Nach einer Weile klopfte es erneut an der Tür. Eine Schwester trat ein, die ich noch nicht kannte. Sie wirkte etwas kühl und lächelte nicht. Mama beobachtete sie sehr genau, und ich bemerkte, dass sie dabei ein wenig angespannt wirkte. Irgendwie war mir die Schwester auch unsympathisch, obwohl ich nicht genau sagen konnte, warum.
Ohne viele Worte stellte sie ein Tablett auf den kleinen Tisch. „Hier ist Ihr Frühstück“, sagte sie knapp.
Auf dem Tablett lagen Brötchen, Marmelade in kleinen Plastik verpackungen, Käse und zwei Tassen dampfender Tee. „Danke“, sagte Mama höflich, während sie die Schwester weiterhin aufmerksam ansah.
Die Schwester nickte nur kurz und verließ wortlos das Zimmer.
Wir setzten uns an den Tisch. „Schau mal, Erdbeermarmelade“, bemerkte Mama und reichte mir eine der kleinen Plastikpackungen.
Ich nahm sie, aber mit unseren verletzten Armen war es gar nicht so einfach, die Verpackung zu öffnen. Mama hatte ihren Arm in einer Schlinge, und mein Arm war auch ruhiggestellt. Wir versuchten es zuerst jeder für sich, aber es klappte nicht.
„Vielleicht schaffen wir es zusammen?“, schlug Mama vor.
Ich grinste. „Ja, lass es uns versuchen.“
Ich hielt das Päckchen fest und Mama zog an der Ecke. Es war kompliziert, aber schließlich öffnete es sich mit einem leisen Knacken. Wir lachten beide.
„Gut gemacht, Teamarbeit!“, sagte Mama fröhlich.
Genauso ging es beim Aufschneiden des Brötchens und beim Bestreichen mit der Marmelade. ich hielt das Brötchen fest, und Mama schnitt. Es war umständlich, aber irgendwie hatten wir Spaß dabei. Ich war stolz darauf, Mama helfen zu können, und sie musste oft dabei lachen.
Nachdem wir endlich unsere Brötchen vorbereitet hatten, setzte ich mich wieder und wir genossen unser gemeinsames Frühstück.
Während wir aßen, fragte Mama: „Freust du dich auf den Kindergarten heute?“
Ich nickte. „Ja, ich bin gespannt, was wir heute machen. Vielleicht spielen wir wieder mit den Bauklötzen.“
Mama lächelte. „Das klingt nach Spaß. Und denk dran, wenn du irgendwas brauchst, bin ich nicht weit weg.“
Nach dem Frühstück räumten wir gemeinsam das Geschirr zur Seite. „Bist du bereit, loszugehen?“, fragte Mama.
„Ja!“, antwortete ich begeistert und sprang vom Stuhl.
Sie lächelte. „Dann lass uns Frau Hauptmann Müller suchen. Sie wartet bestimmt schon auf uns.“
Hand in Hand verließen wir das Zimmer und machten uns auf den Weg den Flur entlang. Ich fühlte mich glücklich und war gespannt auf den Tag, der vor uns lag.
Zusammen mit Frau Hauptmann Müller nahmen wir denselben Weg wie gestern, aber heute waren viel mehr Leute unterwegs. Überall waren Menschen in Uniformen und Zivilkleidung, die eilig hin und her liefen.
Diesmal durfte ich mir den Hubschrauber genauer ansehen. Er war wirklich riesig! Am liebsten wäre ich hinein gestiegen, aber alles war verschlossen, und Mama sagte, ich dürfe ihn nicht anfassen.
Als wir weiter liefen, fragte ich Mama: „Können wir uns auch mal einen Hubschrauber von innen ansehen?“
Mama lächelte mich an. „Da müssen wir mal schauen, ob es irgendwo ein Hubschrauber- oder Flugzeugmuseum gibt, wo man sich so etwas aus der Nähe ansehen kann. Ich denke, wir brauchen eine Liste mit Dingen, die wir besuchen wollen, wenn wir endlich sicher sind. Es gibt so viel, was ich dir gerne einmal zeigen möchte.“
Ihre Worte machten mich glücklich, und ich begann mir vorzustellen, wie wir all diese Orte gemeinsam besuchen würden. „Ja, das wäre toll! Können wir dann auch in einen Zoo gehen und Tiere anschauen?“ fragte ich aufgeregt.
„Natürlich, das setzen wir gleich mit auf unsere Liste“, antwortete Mama lächelnd. „Hast du noch mehr Ideen?“
Ich überlegte kurz. „Vielleicht könnten wir auch ans Meer fahren und im Sand spielen!“
„Das klingt wunderbar“, sagte Mama. „Wir schreiben alles auf, damit wir nichts vergessen.“
Während wir weiter zum Kindergarten gingen, fühlte ich mich voller Vorfreude auf all die Abenteuer, die noch vor uns lagen. Es war schön, daran zu denken, dass wir bald gemeinsam die Welt entdecken würden.
Im Kindergarten waren diesmal viel mehr Kinder als gestern. Als wir ankamen, lief Emil sofort auf Frau Hauptmann Müller zu. Die beiden umarmten sich freudig, und man konnte Emil deutlich ansehen, wie sehr er seine Mama lieb hat. Bei diesem Anblick musste ich daran denken, dass wir eigentlich fast im selben Alter sein müssen, denn die Erzieherin hatte gestern gemeint, dass wir in derselben Gruppe zusammen spielen können.
Der Gedanke bedrückte mich ein wenig, weil Emil schon so viele Jahre mit seiner Mama verbracht hatte und ich Katja erst seit kaum zwei Wochen als Mama habe. Ein leises Gefühl von Traurigkeit mischte sich in meine Freude. Trotzdem war ich froh, dass Katja jetzt meine Mama ist und immer für mich da ist.
Ich drückte Mamas Hand etwas fester und schaute zu ihr auf. Sie bemerkte meinen Blick und lächelte mich liebevoll an. „Alles in Ordnung, Benni?“ fragte sie sanft.
Ich nickte und versuchte zu lächeln. „Ja, ich bin nur froh, dass du bei mir bist.“
„Das bin ich auch, mein Schatz“, antwortete sie und strich mir über die Haare.
Während wir weiter in den Kindergarten hinein gingen, fühlte ich mich wieder etwas besser. Vielleicht würden Mama und ich auch so eine enge Verbindung haben wie Emil und seine Mama. Der Gedanke daran machte mich hoffnungsvoll, und ich beschloss, den Tag zu genießen.
Die Erzieherin Antje kam auf uns zu und begrüßte uns herzlich. „Guten Morgen, Benjamin! Schön, dass du wieder da bist. Möchtest du heute mit Emil und den anderen Kindern spielen?“
Ich schaute zu Mama, die mir ermutigend zu nickte. „Ja, gern“, antwortete ich leise.
„Super! Die anderen sind schon dabei, eine große Burg aus Bauklötzen zu bauen. Komm, ich zeige sie dir“, sagte Antje und hielt mir die Hand hin.
Ich warf Mama einen letzten Blick zu, und sie lächelte. „Ich bin hier, wenn du mich brauchst“, sagte sie beruhigend.
Mit einem kleinen Lächeln nahm ich Antjes Hand und ging mit ihr zu den anderen Kindern. Vielleicht würde heute ein guter Tag werden.
Als ich gerade einen Turm aus Bauklötzen baute, war ich so vertieft ins Spiel, dass ich alles um mich herum vergaß. Emil, der Sohn von Frau Hauptmann Müller, spielte neben mir, und wir ergänzten uns prima. Unsere Burg wurde immer größer, und wir lachten, als ein Turm einmal um kippte und wir ihn neu bauen mussten.
Während ich vertieft in mein Spiel war, spürte ich plötzlich, dass meine Windel nass wurde. Es kam völlig unerwartet; ich hatte nicht einmal bemerkt, dass es passieren würde. Ohne Vorwarnung lief es einfach, und als es schließlich aufhörte, tastete ich vorsichtig an die Vorderseite meiner Windel. Sie war nun etwas aufgequollen und angenehm warm – ein Gefühl, das mir auf seltsame Weise vertraut und irgendwie beruhigend erschien. Es störte mich nicht, im Gegenteil, es schuf ein wohliges Gefühl der Geborgenheit, das mich ganz umhüllte. Ich wollte das Spiel keinesfalls unterbrechen, und so spielte ich unbeschwert weiter, ganz in meinen eigenen kleinen Moment vertieft.
Antje, die Erzieherin, kam zu uns und bewunderte unser Bauwerk. „Wow, ihr beiden habt ja eine riesige Burg gebaut!“, sagte sie lächelnd. Emil strahlte über das ganze Gesicht, und auch ich freute mich über das Lob.
Wir spielten noch eine ganze Weile weiter und erweiterten unsere Burg aus Bauklötzen, die im Laufe des Vormittags immer beeindruckender wurde. Mit voller Konzentration und kreativen Ideen stapelten wir Block für Block und gestalteten Brücken und Türme, die unsere Burg zu einem kleinen Meisterwerk machten.
Die Stunden vergingen wie im Flug; jeder Moment war voller Freude, und es fühlte sich wunderbar an, einen Freund gefunden zu haben, der genauso viel Spaß am Bauen hatte wie ich.
Doch mitten im Bau hielt Emil plötzlich inne. Er ging in die Hocke, und sein Blick wurde irgendwie abwesend, fast so, als wäre er in Gedanken ganz woanders. Seine Wangen färbten sich leicht rot, und ich bemerkte, wie er kurz die Augen zu kniff. Dann hörte ich ein leises Geräusch, und mir wurde klar, dass er gerade sein Geschäft machte. Doch Emil blieb völlig unbeeindruckt davon – ohne jede Verlegenheit richtete er sich wieder auf und spielte einfach weiter, als wäre nichts gewesen.
Der Geruch, der sich langsam ausbreitete, störte mich erstaunlicherweise kaum. Vielmehr war ich fasziniert davon, wie Emil sich einfach ganz selbstverständlich verhielt, ohne nach der Erzieherin zu schauen oder sich um die anderen Kinder zu sorgen. Für ihn schien das ganz normal zu sein. Seine Gelassenheit beeindruckte mich, und in diesem Moment fühlte ich mich ihm irgendwie noch verbundener.
Während wir spielten, saß Mama am Rand des Raumes an einem Tisch mit einer anderen Erzieherin. Jedes Mal, wenn ich zu ihr hinschaute, um mich zu vergewissern, dass sie noch da war, lächelte sie mir aufmunternd zu. Das gab mir ein gutes Gefühl und half mir, mich sicher zu fühlen.
Irgendwann kam Antje zu uns und hockte sich mit einem fragenden Lächeln zwischen uns. „Einer von euch beiden verbreitet hier eine besondere Duftnote,“ sagte sie scherzhaft. Sie beugte sich erst zu mir und dann zu Emil. „Ich glaube, wir haben unseren kleinen Übeltäter gefunden, oder Emil?“
Emil sah sie an und schüttelte selbstbewusst den Kopf. „Ich hab nichts gemacht,“ sagte er bestimmt.
Antje schaute noch einmal zu mir. „Hast du vielleicht doch eine volle Windel?“ fragte sie mich freundlich.
Sofort stieg mir die Röte ins Gesicht. Ich schüttelte den Kopf und sagte leise und unsicher: „Nein… ich habe nur Pipi gemacht.“
Sie strich mir kurz über das Haar und lächelte. „Keine Sorge, Benjamin. Ich weiß, dass Emil wahrscheinlich eine frische Windel braucht. Das ist um diese Zeit ganz normal für ihn. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Und falls es dir auch passiert, ist das überhaupt nicht schlimm. Wir wissen, dass du das noch lernen musst, okay?“
Ich warf einen Blick zu Mama, die mich ermutigend anschaute und lächelte. Das half mir, mich zu entspannen.
Antje fragte weiter: „Müssen wir deine Windel auch wechseln?”
Ich zögerte einen Moment und spürte, wie mein Gesicht heiß wurde. Antjes freundliche Augen blickten mich erwartungsvoll an. „Ich glaube, es geht noch“, antwortete ich leise und versuchte, selbstbewusst zu klingen.
„Na gut, Benjamin“, sagte sie lächelnd. „Aber denk daran, du kannst jederzeit Bescheid sagen, wenn du etwas brauchst.“ Sie wandte sich wieder Emil zu. „Komm, Emil, wir wechseln schnell deine Windel, dann kannst du weiterbauen.“
Emil nickte und nahm Antjes Hand, während sie sich zum Ausgang begaben. Ich sah ihnen nach und bemerkte, wie selbstverständlich Emil damit umging. Es schien ihn überhaupt nicht zu stören, dass er eine neue Windel brauchte. Vielleicht war es wirklich nichts, wofür man sich schämen musste.
Ich setzte mich wieder zu unserer Burg und betrachtete die Türme und Mauern, die wir gemeinsam gebaut hatten. Die bunten Klötze leuchteten im Sonnenlicht, das durch die großen Fenster fiel. Ein leises Lächeln huschte über mein Gesicht, als ich daran dachte, wie viel Spaß wir zusammen gehabt hatten.
Meine Gedanken wurden unterbrochen, als Mama sich zu mir setzte. „Na, mein Großer, wie gefällt es dir hier?“, fragte sie und streichelte mir durchs Haar.
„Es ist schön“, antwortete ich und schaute zu ihr auf. „Emil ist nett, und Antje auch.“
„Das freut mich zu hören“, sagte sie und streichelte mir über den Rücken. „Ich sehe, ihr habt eine beeindruckende Burg gebaut.“
Stolz nickte ich. „Ja, wir haben ganz viele Türme und sogar eine Brücke gebaut.“
Mama lachte leise. „Das klingt großartig. Vielleicht kannst du sie mir später noch genauer zeigen.“
In diesem Moment kehrte Emil zurück, gefolgt von Antje. Er wirkte frisch und munter, bereit, das Spiel fortzusetzen. „Benjamin, wollen wir noch einen Turm bauen?“, fragte er eifrig.
„Auf jeden Fall!“, antwortete ich und spürte, wie die Vorfreude in mir aufstieg.
Antje lächelte uns zu. „Ihr habt noch ein bisschen Zeit, bevor es Mittagessen gibt. Viel Spaß euch beiden.“
Mama erhob sich. „Ich lasse euch dann mal wieder spielen. Bis später, mein Schatz.“ Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und ging zurück zu ihrem Platz.
Emil und ich machten uns wieder an die Arbeit. Wir ergänzten unsere Burg um weitere Details, fügten Fenster hinzu und bauten eine Mauer um das gesamte Areal. Die anderen Kinder schauten gelegentlich zu uns herüber, einige kamen sogar vorbei und bewunderten unser Werk.
„Das ist die größte Burg, die ich je gesehen habe!“, rief ein Mädchen aus und klatschte in die Hände.
„Danke“, sagte ich stolz und spürte, wie mein Herz vor Freude hüpfte.
Kurz darauf erklang ein sanftes Klingeln. Antje stand in der Mitte des Raumes und verkündete: „Kinder, es ist Zeit fürs Mittagessen. Bitte räumt eure Spielsachen auf und wascht euch die Hände.“
Emil und ich sahen uns an. „Wir dürfen die Burg stehen lassen, oder?“, fragte er hoffnungsvoll.
Antje nickte. „Ja, euer Kunstwerk könnt ihr gern stehen lassen. Aber die restlichen Klötze räumt bitte zurück in die Kiste.“
Gemeinsam sammelten wir die verbliebenen Bauklötze ein und brachten sie an ihren Platz. Dann gingen wir zum Waschbecken, wo schon eine kleine Schlange entstanden war. Das Wasser war angenehm kühl auf meinen Händen, und der frische Duft der Seife stieg mir in die Nase.
Am Esstisch setzte ich mich neben Emil. Die Tische waren liebevoll gedeckt, und der Duft von Spaghetti Bolognese erfüllte den Raum. Mein Magen knurrte leise, und ich bemerkte, wie hungrig ich war.
Ich hörte zu, als Emil während des Mittagessens von seinem Hund Bello erzählte, der immer die Socken seines Vaters klaute. Die anderen Kinder lachten, und Emil strahlte vor Freude über die Aufmerksamkeit.
Ich wollte auch etwas erzählen, aber mir fiel nichts ein. Ich merkte, dass ich von unseren bisherigen Erlebnissen nichts berichten konnte, also schwieg ich einfach und stocherte in meinen Nudeln herum. Hoffentlich kann ich bald auch von tollen Erlebnissen mit Mama berichten, dachte ich sehnsüchtig.
Antje bemerkte meine nachdenkliche Stimmung und lächelte mir ermutigend zu. „Schmecken dir die Spaghetti nicht, Benjamin?“ fragte sie sanft.
„Doch, doch“, antwortete ich schnell und nahm einen großen Bissen, um es zu beweisen. Sie nickte zufrieden und wandte sich den anderen Kindern zu.
Nach dem Essen ging es in den Ruheraum. Während die anderen Kinder langsam einschliefen, lag ich wach und starrte an die Decke. Meine Gedanken kreisten um Mama und die Hoffnung, bald etwas Schönes mit ihr zu erleben.
Katja:
Es war einfach schön, Benjamin und Emil beim Spielen mit Bauklötzen zu beobachten. Ich lehnte mich an den Türrahmen und konnte nicht anders, als zu lächeln. Benjamin schien alles um sich herum zu vergessen, so vertieft war er in das Bauen. Emil erklärte aufgeregt, wie sie gemeinsam einen Turm bauen sollten, und Benjamin hörte geduldig zu, ließ ihn die Führung übernehmen. Sie lachten zusammen, und ich spürte eine Wärme in mir aufsteigen. Solche Momente waren selten, und ich war dankbar dafür, sie mitzuerleben.
Der Unterschied zwischen den beiden war deutlich – nicht nur in ihrer Größe. Benjamin war gut zwei Köpfe größer als Emil, obwohl sie im selben Alter waren. Es wirkte fast komisch, wie der Große dem Kleineren folgte, doch für die beiden schien es keine Rolle zu spielen. Emil baute konzentriert, während Benjamin eifrig half, die Blöcke an die richtige Stelle zu setzen. Er war vorsichtig, als hätte er Angst, etwas zu ruinieren, und gleichzeitig freute er sich sichtlich, wenn Emil ihn lobte.
Die beiden schienen eine Verbindung zu haben, die ich kaum in Worte fassen konnte. Benjamin wirkte gelöst, ganz in die Rolle eines Kindes versunken. Es tat gut zu sehen, wie er sich auf Emil einließ, sich von seiner kindlichen Unbeschwertheit anstecken ließ. Für einen Moment war er einfach ein Junge, der spielte und lachte – genau so, wie er es sollte.
Als die Kinder später zum Mittagessen gerufen wurden, blieb Benjamin an Emils Seite. Sie hatten offensichtlich Spaß daran, weiterhin zu reden und zu planen, wie sie den Turm später noch größer machen könnten. Es war, als hätte Benjamin zum ersten Mal einen Freund gefunden, und mein Herz wurde schwer und leicht zugleich. Diese Momente waren so kostbar, so zerbrechlich.
Die nächsten drei Tage vergingen in einem überraschend harmonischen Rhythmus. Benjamin blühte im Kindergarten auf, vor allem durch seine neue Freundschaft mit Emil. Jeden Abend erzählte er mir mit leuchtenden Augen von den Spielen, die sie gemeinsam erfunden hatten, und von den kleinen Abenteuern, die sie im Sandkasten und auf der Rutsche erlebten. Ich hatte das Gefühl, dass Emil ihm half, ein Stück Normalität in seinem Leben zu finden.
Morgens begannen wir unsere Tage ganz gemütlich in unserem Zimmer. Es war unser kleines Ritual geworden: Ich deckte den kleinen Tisch, legte seine Autos an den Rand, damit sie nicht störten, und wir frühstückten zusammen. Benjamin schien diese ruhigen Momente zu genießen. Er schob mir immer wieder kleine Brotstücke über den Tisch, lachte über meinen Versuch, sein Marmeladenbrot ordentlich zu schneiden, und erklärte mir, was er später mit Emil machen wollte.
Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg zum Kindergarten. Obwohl die Erzieher mich ermutigten, die Zeit für mich selbst zu nutzen, blieb ich in Benjamins Nähe. Natürlich verstanden sie nicht, warum ich nicht einfach loslassen konnte – wie auch? Sie wussten nichts von den ständigen Gefahren, von den Menschen, die Benjamin bisher verfolgt hatten, und von meiner Angst, ihn auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Die Erzieher waren freundlich, gaben mir das Gefühl, willkommen zu sein, aber dennoch fühlte ich mich manchmal wie eine Außenseiterin in dieser heilen Welt, in der andere Eltern ihre Kinder sorglos abgeben konnten.
Am Nachmittag des vierten Tages, als Benjamin gerade mit Emil auf dem Boden des Gruppenraums saß und konzentriert an einer Kugelbahn baute, kam Frau Hauptmann-Müller auf mich zu. In ihrer Hand hielt sie ein Mobiltelefon, das sie mir mit ernster Miene reichte.
„Frau Grünwald hat mich gebeten, Sie zu informieren. Sie sollen sie bitte zurückrufen. Es scheint wichtig zu sein,“ sagte sie leise, um Benjamin nicht abzulenken. Ich spürte, wie mein Magen sich zusammenzog. Die angespannte Ruhe der letzten Tage schien plötzlich wie ein zerbrechliches Konstrukt, das jeden Moment einstürzen konnte.
Ich nahm das Telefon und trat ein Stück beiseite, doch mein Blick wanderte immer wieder zu Benjamin. Er lachte über etwas, das Emil gesagt hatte, und ich zwang mich, ruhig zu bleiben. Doch die Fragen begannen sich bereits in meinem Kopf zu überschlagen: Was wollte Frau Grünwald? Hatte es mit unserer Sicherheit zu tun? Oder mit Benjamins Zukunft?
Ich wandte mich an Antje, eine der Erzieherinnen, die gerade dabei war, den Kindern beim Aufräumen zu helfen. Sie war eine derjenigen, die Benjamin in den letzten Tagen besonders ins Herz geschlossen hatte, und ich wusste, dass ich mich auf sie verlassen konnte.
„Antje, ich müsste kurz vor die Tür gehen, um ein wichtiges Telefonat zu führen,“ begann ich leise, damit Benjamin nichts mitbekam. „Falls er nach mir fragt oder mich sucht, könntest du ihm bitte Bescheid geben, dass ich gleich wieder da bin? Ich will nicht, dass er sich Sorgen macht.“
Antje nickte verständnisvoll und schenkte mir ein Auf munterndes Lächeln. „Natürlich, das mache ich gerne. Ich bleibe in seiner Nähe und passe auf, dass er sich wohl fühlt. Keine Sorge, wir schaffen das schon.“
Ich atmete erleichtert aus. Es war beruhigend zu wissen, dass Benjamin gut aufgehoben war. Trotzdem war es ein innerer Kampf, mich auch nur für ein paar Minuten von ihm zu entfernen.
Mit einem letzten Blick zu ihm – er war immer noch völlig vertieft in seine Kugelbahn – schlüpfte ich hinaus und zog die Tür leise hinter mir zu.
Mit einem tiefen Atemzug griff ich nach meiner Jacke, zog sie über und nahm das Telefon in die Hand. Es fühlte sich seltsam an, wieder selbst eines in den Händen zu halten– ein Stück Normalität in einer Situation, die alles andere als normal war.
Draußen umfing mich eine unerwartete Stille. Die kühle Luft legte sich beruhigend auf meine erhitzten Wangen, und das Gebäude hinter mir wirkte wie ein stummer Wächter. Es war so ruhig, dass ich fast die Flügel eines vorbei fliegenden Vogels hören konnte. Ein seltsamer Kontrast zu der Unruhe in mir. Mein Herz pochte, während ich zögernd die gespeicherte Nummer wählte. Das Freizeichen hallte in der Stille wie ein Echo meiner Anspannung.
„Grünwald?“ meldete sich die vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung. Ich räusperte mich und bemühte mich, meine Nervosität zu unterdrücken. „Hier ist Katja Hofmeister. Frau Hauptmann-Müller hat mir ein Telefon gebracht, damit ich Sie anrufen kann.“
„Guten Tag, Frau Hofmeister“, begrüßte sie mich in ihrem gewohnt sachlichen Ton, der dennoch eine gewisse Beruhigung ausstrahlte. „Ich bin froh, dass Sie sich gemeldet haben. Es gibt einige wichtige Neuigkeiten.“
Ich spürte, wie sich meine Schultern an spannten, während ich mich auf das vorbereitete, was sie mir sagen würde.
„In einer groß angelegten Aktion, gemeinsam mit der tschechischen Polizei und Interpol, konnten wir das Labor in Prag durchsuchen und umfangreiche Beweise sicherstellen“, begann sie. „Die Ergebnisse sind erschütternd. Wir haben detaillierte Akten über die Experimente, Aufzeichnungen zu Finanzströmen sowie Listen aller Beteiligten und Opfer gefunden. Insgesamt wurden 23 Personen festgenommen. Die Beweise sind überwältigend und werfen ein grelles Licht auf die Verbrechen dieser Organisation.“
Ich schloss kurz die Augen, spürte die Schwere ihrer Worte und den Schmerz, den sie mit sich brachten. Doch sie sprach unbeirrt weiter. „Wir konnten außerdem fünf überlebende Kinder retten, die nun in Sicherheit sind. Allerdings entdeckten wir auch ein Krematorium. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass viele Opfer niemals identifiziert werden können.“
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, und ich schluckte schwer. Der Gedanke an die Opfer und die Grausamkeit dieser Menschen ließ mich innerlich erzittern.
„Was bedeutet das für uns?“ fragte ich schließlich mit leiser Stimme, bemüht, die Kontrolle über meine Emotionen zu behalten.
„Die Beweise, die wir gesammelt haben, sind so belastend, dass die Organisation derzeit keine Ressourcen mehr haben wird, um Benjamin weiter zu verfolgen“, erklärte sie. „Ihre Existenz steht auf dem Spiel. Sie werden ihre Energie darauf verwenden müssen, sich selbst zu schützen, anstatt weitere Verfolgungen zu riskieren.“
Ein Teil von mir wollte aufatmen, doch die Angst hielt mich noch fest in ihrem Griff. „Und wie konnten sie uns am Bodensee aufspüren?“ fragte ich nach einer kurzen Pause.
„Unsere Ermittlungen haben ergeben, dass es auch finanzielle Verbindungen zu Mitarbeitern deutscher Behörden gab“, antwortete sie ernst.
„Es liegt der Verdacht nahe, dass mehrere Informanten in den Reihen der Behörden agierten.“
Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. „Das heißt, wir waren die ganze Zeit in Gefahr?“ flüsterte ich.
„Nein, der Zeugenschutz an sich ist sehr solide. Allerdings erwies sich die Terminvereinbarung beim Physiotherapeuten als empfindliche Schwachstelle: Genau dort kam einem der Informanten erstmals der Verdacht, um wen es sich tatsächlich handeln könnte. Wichtig ist, dass Sie jetzt in Sicherheit sind und wir diese Informationen nutzen, um Ihre Schutzmaßnahmen weiter zu verbessern.“
„Und was bedeutet das für die Zukunft?“ fragte ich zögernd. „Können wir endlich wieder Kontakt zu unseren Angehörigen aufnehmen?“
„Ja, das können Sie“, sagte sie beruhigend. „Die Bedrohung durch die Organisation ist momentan stark geschwächt. Sobald es Ihre gesundheitliche Situation erlaubt, können Sie nach Hause zurückkehren. Die Polizei in Passau und Grafenau wurde informiert und steht Ihnen als Ansprechpartner zur Verfügung. Für Notfälle erhalten Sie eine direkte Durchwahl, und wir bleiben in engem Kontakt, um Sie weiterhin zu unterstützen.“
Langsam durchflutete mich ein Gefühl der Erleichterung, doch es mischte sich mit der Schwere der vergangenen Wochen. „Und was ist mit Benjamin?“ fragte ich schließlich. „Wie geht es mit seiner Vormundschaft weiter?“
„Das Jugendamt in Passau wurde bereits informiert“, erklärte sie. „Es arbeitet daran, Sie bei der Vormundschaft für Benjamin zu unterstützen. Ihr Wunsch, ihn als Pflegekind oder sogar Adoptivsohn aufzunehmen, wird derzeit ernsthaft geprüft. Nach aktuellem Stand stehen Ihre Chancen sehr gut.“
Ich nickte, auch wenn sie das nicht sehen konnte, und suchte nach den richtigen Worten. „Danke, Frau Grünwald“, sagte ich schließlich leise.
„Noch etwas: Ihr Smartphone wird morgen per Kurier geliefert“, fügte sie hinzu. „Es ist wichtig, dass wir Sie jederzeit erreichen können. Und bitte bleiben Sie weiterhin wachsam.“
„Das werde ich“, versprach ich und legte auf.
Ich blieb einen Moment still stehen, das Telefon in meiner Hand, und ließ die Informationen auf mich wirken. Die Beweise waren so erdrückend, dass die Organisation keine Energie mehr darauf verwenden würde, Benjamin weiter zu verfolgen. Aber die Vorstellung, dass sie uns all die Zeit beobachtet hatten, ließ mich nicht los.
Als ich die Tür zum Gruppen Raum öffnete, blickte Benjamin zu mir auf. Sein Gesicht strahlte vor Freude, während er mit Emil an einer Kugelbahn baute. In diesem Moment wusste ich, dass ich alles tun würde, um dieses Lächeln zu bewahren. Jetzt, wo wir endlich wieder Kontakt zu unseren Angehörigen aufnehmen konnten, schien ein Stück Normalität zum Greifen nah. Aber egal, was kommen würde, ich würde alles tun, um ihn zu schützen.
Fortsetzung folgt…
Autor: michaneo (eingesandt via E-Mail)
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Klasse Fortsetzung Freue mich auf mehr
Ob alle geschnappt werden die der Organisation angehören, wird warscheinlich nie der Fall sein, ich kann mir aber Vorstellen, daß alles Versucht wird Benjamin und Katja zu schützen. Bitte schnell weitere bzw. die letzten Teile noch bringen, wie schon geschrieben ist die Geschichte sehr gut.
Super Geschichte. Bitte weiter schreiben
Freue mich auf die nächsten Teile. Wunder mich, dass die Kinder im Kindergarten da gar nicht rausgehen. Vielleicht auch schreiben, was alles gebraucht wird (auch Draußenkleidung usw.) und wie das so aus Benjamins Sicht abläuft😊